Reichtum

1,50 EUR davon 90 CT für den_die Verkäufer_in

Straßenzeitung für Berlin & Brandenburg

No. 17, September/Oktober 2016

REICHTUM ES KANN NICHT ALLEN BESSER GEHEN

EXKLUSIV: Dr. Nico Rose: »Wir können durch Geld nicht glücklich werden« (Seite 8)

EIN MÄRCHEN?

Die Schere zwischen Arm und Reich (Seite 6)

DAS GRUNDEINKOMMEN Wer finanziert es? (Seite 16)

OBDACHLOSE FAMILIEN Wohin in der kalten Jahreszeit? (Seite 26)

2 | INHALT

strassenfeger | Nr. 17 | September/Oktober 2016

AKTUELL

Liebe Leser_innen,

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Aktuelle Meldungen

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mob e. V. teilt Westen aus

viele von uns haben vielleicht schon einmal Lotto gespielt. Was, wenn wir ad hoc um drei Millionen Euro reicher wären? Nach dieser Ausgabe des strassenfegers kann ich Ihnen versichern: Geld macht auf Dauer nicht glücklich. Ganz im Gegenteil! Wir gewöhnen uns schließlich an jede Form von materiellem Besitz und streben nach mehr Reichtum (Wir können durch Reichtum nicht glücklich werden, Seite 8).

REICHTUM 6

Es kann nicht allen besser gehen?

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Interview: »Wir können durch Reichtum nicht glücklich werden«

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War Andy Warhol dümmer als Goethe?

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Der Mann mit dem Goldhelm

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Die scheinbare Sicherheit

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Interview: Das Bedingungslose Grundeinkommen - eine Utopie?

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Geld ist nicht alles

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»Ich wühle im Leben, ich will es wissen«

ERZÄHLEN IN BILDERN 16

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Was ist Reichtum?

Wie reich die reichsten Deutschen tatsächlich sind, bleibt im Verborgenen – auch weil das meiste Geld in Deutschland nach wie vor vererbt wird – hingegen die Armut jederzeit für alle Menschen täglich sichtbar ist. Die ungerechte Verteilung des Besitzes wächst hierzulande und sie hat Folgen, die viele Lebensverhältnisse betreffen (Es kann nicht allen besser gehen?, Seite 6). Besonders gefährdet sind Alleinerziehende, Erwerbslose, Geringverdienende, ältere und kranke Menschen. Aber auch die jungen Erwachsenen leiden zunehmend unter der Armut. Laut Werner Schäffer von der ver.di Bundesverwaltung ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger zwischen 15- und 24-Jährige gestiegen.

Etwa 300 000 junge Menschen seien sogar schon seit Jahren auf staatliche Grundsicherung angewiesen.

Doch die Armut wird durch Worte und Statistiken nicht kleiner.

Hier sollten Politik und Gesellschaft dringend handeln – was mich zum nächsten Punkt führt: Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Was wäre, wenn Sie monatlich 1 000 Euro Grundeinkommen bekämen? Seit Jahren diskutiert die Politik darüber. Kommt es, oder kommt es nicht? Was sich für uns Menschen verändern würde und wer das Grundeinkommen finanzieren könnte – die Antworten au diese Fragen gibt der Berliner Projektmacher, Christian Lichtenberg, von »Mein Grundeinkommen« e. V. (Das Bedingungslose Grundeinkommen – eine Utopie?, Seite 15).

AUF ANDEREN STRASSEN

Wir wünschen Ihnen ein schönes Lesevergnügen!

»Mein Grab war schon geschaufelt«

Ihre Nadin Schley redaktion@strassenfeger.org

BRENNPUNKT 22

Live-Musik in der Bahn – ein Drahtseilakt für alle Beteiligten

AUS DER REDAKTION 24

Veranstaltungstipps skurril, famos und preiswert

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mob e. V. Wohnungslos und vergessen

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Har tz I V-Ratgeber Repressionsvereinfachungsgesetz Teil 1

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Kolum ne Für dickes Fell

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Vo r letzte Seite Schwarzes Brett, Vorschau, Impressum

strassen|feger Die soziale Straßenzeitung strassenfeger wird vom Verein mob – obdachlose machen mobil e.V. herausgegeben. Das Grundprinzip des strassenfeger ist: Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe!

Der strassenfeger wird produziert von einem Team ehrenamtlicher Autoren, die aus allen sozialen Schichten kommen. Der Verkauf des strassenfeger bietet obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen die Möglichkeit zur selbstbestimmten Arbeit. Sie können selbst entscheiden, wo und wann sie den strassenfeger anbieten. Die Verkäufer erhalten einen Verkäuferausweis, der auf Verlangen vorzuzeigen ist.

Der Verein mob e.V. finanziert durch den Verkauf des strassenfeger soziale Projekte wie die Notübernachtung und den sozialen Treffpunkt »Kaffee Bankrott« in der Storkower Str. 139d.

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AKTUELL | 3

AKTUELLE MELDUNGEN

Von der Straße in den Job durch mob e. V.: Rumänin hat es geschafft Ihre Zielstrebigkeit hat sich ausgezahlt: Gabriela (34) arbeitet seit dem ersten August in Vollzeitanstellung bei der Bäckerei Steinecke hinter der Theke. Schnell hat die schmale blonde Frau sich in die verschiedenen Brot- und Kuchennamen eingearbeitet. Was jetzt noch fehlt ist eine Wohnung, noch kommt die junge Frau in einer Pension unter.

Neben ihr selbst haben auch andere zum Erfolg beigetragen. Der Verein mob hat Gabriela lange in seiner Notunterkunft untergebracht, sie auf Minijobbasis angestellt – und den Kontakt zu Unternehmerin Katrin Steinecke hergestellt. Diese war gerne bereit, der Rumänin eine Chance zu geben. »Ehrlichkeit und der Wille, ordentlich zu arbeiten« zähle für sie, so Steinecke, nicht so sehr, ob jemand wohnungslos sei.

Gabriela hat eine lange Odyssee hinter sich. Mit 13 das Zuhause verloren schlug sie sich zunächst in Rumänien, dann in verschiedenen deutschen Städten durch. Die Odyssee scheint nun ein Ende zu haben: Wenn Gabriela eine Wohnung gefunden hat, möchte sie ihre Tochter (7) nach Berlin holen.

(Foto: Mara Fischer)

Feiern Sie mit beim Tag der offenen Tür am 7.10.2016 Der Verein mob – obdachlose machen mobil e.V. feiert das einjährige Bestehen der Notübernachtung für obdachlose Menschen und lädt Sie herzlich dazu ein.

In unserer Notübernachtung stehen an diesem Tag alle Türen offen und Sie können sich über unsere Arbeit informieren.

Seit dem 20. Oktober 2015 ist es uns möglich Dank großzügiger Unterstützung von vielen Seiten, die ganzjährige Notübernachtung zu betreiben.

Wir würden uns sehr freuen, Sie am Freitag, den 7. Oktober von 14 bis 17 Uhr in der Notübernachtung für obdachlose Menschen, Storkower Str. 139 c, 10407 Berlin begrüßen zu dürfen!

Hartz IV: Paritätischer fordert Regelsatz von 520 Euro Auf 520 Euro muss, nach einer aktuellen Studie der Paritätischen Forschungsstelle, der Hartz IVRegelsatz angehoben werden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband wirft dem Bundesarbeitsministerium vor, bei der Neuberechnung der Regelsätze willkürliche Eingriffe in die Statistik vorgenommen und das Ergebnis auf 409 Euro künstlich klein gerechnet zu haben. Zur Bestimmung des Existenzminimums von Kindern verlangt der Verband die Einsetzung einer Expertenkommission. »Die vorliegenden Regelsatzberechnungen des Ministeriums sind ein Gemisch aus statistischer Willkür und finanzieller Nickeligkeit«, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Der Verband kritisiert, dass so gut wie alle Ausgaben, die mit gesellschaftlicher Teilhabe zu tun haben, dem Rotstift geopfert wurden. Statt das soziokulturelle Existenzminimum zu garantieren, wie es die Verfassung vorsieht, werde fast ausschließlich ein physisches Existenzminimum berechnet.

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AKTUELLE MELDUNGEN

Obdachlosenlager am Bahnhof Zoo geräumt Über 20 Frauen und Männer hatten auf den Bürgersteigen rechts und links der Hertzallee in Charlottenburg gelebt. Ihre Lager unter der Brücke, über die im Minutentakt die S-Bahn donnert, bestanden aus Matratzen und Decken, auch Stühle, Elektrokocher, leere Konservendosen gab es hier. Viele der hier Lagernden stammten aus östlichen EUStaaten. Die in unmittelbarer Nähe gelegene Bahnhofsmission Zoo bot kostenloses Essen, zudem die Möglichkeit, Duschen und Toiletten zu nutzen.

Am 31. August wurden die Wohnlager rechts und links der Straße unter Federführung der Polizei des zuständigen Abschnitts 25 geräumt. Vorausgegangen waren Beschwerden von Passanten über die unter der Brücke lagernden Obdachlosen sowie Konflikte zwischen den Obdachlosen und Polizisten.

Am 31. August wurden die betroffenen Obdachlosen 30 Minuten vor der Räumung durch Beamte über die bevorstehende Aktion informiert. Dabei ist unklar, ob die zum Teil über keinerlei Deutschkenntnisse verfügenden Menschen unter der Brücke diese Information überhaupt verstanden.

Ein bei der Räumung anwesender Streetworker des Brennpunkt-Teams der Organisation Gangway berichtet von einem »mehr oder weniger ruhigem Ablauf« der Räumung. Die Polizisten hätten sich Ausweise zeigen lassen, Platzverweise seien ausgesprochen worden. »Erstaunlich« sei für ihn gewesen, so der Gangway-Streetworker, dass auch die BSR (Berliner Stadtreinigung) anwesend gewesen sei. Wer den Ort nicht innerhalb der letzten 30 Minuten mit seinem Hab und Gut verlassen hatte, dessen Sachen wurden nun entsorgt. Der Streetworker und seine Gangway-Kollegen suchten das Gespräch mit dem Einsatzleiter der Räumung, fragten ihn, ob die persönlichen Gegenstände der betroffenen Obdachlosen nicht im Ordnungsamt verwahrt werden könnten, damit sich diese ihr Eigentum später abholen könnten.

Der Polizeibeamte verneinte. Das sei nicht möglich, sagte er, rechtlich gesehen handele es sich bei Sachen, die auf der Straße lägen, um Müll, der zu entsorgen sei.

(Foto: Jutta Herms)

Als eine von der Räumung betroffene Frau versuchte, Gegenstände eines nicht anwesenden Freundes vor der Entsorgung zu retten, unterstützte der Streetworker von Gangway sie. Er sprach mit zwei Polizisten, die ihm erklärten, die obdachlose Frau habe soeben einen Platzverweis erhalten und dürfe deshalb nicht auf die Sachen zugreifen. Zudem handele es sich nicht um ihre eigenen Sachen. Einer der Beamten fragte dann doch bei seinem Vorgesetzten nach – ohne Erfolg, die Sachen des Freundes wurden entsorgt.

Auch Mitarbeiter des Ordnungsamts Charlottenburg-Wilmersdorf waren bei der Räumung anwesend. Bezirksstadtrat Marc Schulte (SPD), zuständig für Stadtentwicklung und Ordnungsangelegenheiten, bestätigt, dass bei der Räumungsaktion Platzverweise ausgesprochen wurden. Platzverweise seien ein »adäquates Mittel«, wenn man auf Personen treffe, die den zu räumenden Ort trotz Vorankündigung nicht verlassen hätten. Dass im Fall der Hertzallee den Betroffenen erst eine halbe Stunde vorher die Räumung angekündigt worden sei, sei kritikwürdig, so Schulte, er werde das an entsprechender Stelle zur Sprache bringen. Laut dem Bericht seiner Mitarbeiter wurden am 31. August etwa 20 Menschen unter der Brücke in der Hertzallee angetroffen; 10 Kubikmeter »Müll« wurden entsorgt.

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»Wir wehren uns gegen Bettel-Verkäufer!« Der Verein mob e. V. teilt Westen an Verkäufer des strassenfegers aus TEXT: Redaktion

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it der Verteilung der grüngelben Westen reagiert der Verein auf den gehäuften Missbrauch mit der Zeitung in den letzten Monaten. Täglich erreichen uns Hinweise, das Personen den strassenfeger lediglich zur Bettelei nutzten. Nach Polizeiangaben sind derzeit sogar Trickbetrüger mit der Zeitung unterwegs.

Um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen und Missbrauch vorzubeugen, hat mob e. V. Westen anfertigen lassen, die die Verkäufer autorisieren. Auf den Westen steht der Name des Verkäufers und der Verkäufer-Ausweis ist für Zeitungskäufer sichtbar platziert. Damit können die Käufer autorisierte strassenfeger-Zeitungsverkäufer von Bettlern und Trickbetrügern unterscheiden. Dennoch suchen wir den Austausch mit ihnen, um neue Lösungswege fernab der Bettelei und Kriminalität zu finden.

Die Westen werden in regelmäßig stattfindenden Schulungen an die strassenfeger-Verkäufer ausgegeben.

»Wir wollen mit den Westen diejenigen Verkäufer stärken und für potentielle Zeitungskäufer sichtbar machen, die die Zeitung seriös verkaufen und sich an unsere Regeln halten«, Mara Fischer, Vorstandsmitglied des Vereins.

Der strassenfeger kostet 1,50 Euro.

Davon behalten die Verkäufer 90 Cent, 60 Cent gehen an den Verein. Mit diesem Beitrag finanziert mob e. V. die Notübernachtung für obdachlose Menschen in der Storkower Straße in Prenzlauer Berg.

Diese Arbeit wird nun gefährdet, da die Verkäufe des strassenfegers erheblich einbrechen. So ist die Auflage der Zeitung, seit Auftreten des Problems, auf 10 000 Exemplare gesunken. Zum Vergleich: Zuvor erreichte unser Blatt eine Auflage von 21 000.

Zehn bis fünfzehn BeschwerdeMails erhält der Vorstand des mob e. V. jeden Tag von aufgebrachten Bürgern. Stammkunden, die einen regelmäßigen Kontakt zu den Verkäufern pflegen, berichten von Bettel-Verkäufern, die autorisierte Verkäufer von ihren regulären Plätzen vertrieben haben. Die strassenfeger-Zeitungsverkäufer unterschreiben klare Regeln, wenn sie Zeitungen verkaufen möchten: kein Alkohol, keine Drogen und kein Betteln. So ziehen die Verkäufer oftmals mit dem Motto los »Ich gehe jetzt zur Arbeit!«.

Ein großes Dankeschön an den PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e. V. für die Spende von 2 500 Euro für die Anschaffung und Druck der ersten Westen. Damit mob e. V. weitere Westen für die Zeitungsverkäufer anschaffen kann, brauchen wir bitte Ihre Unterstützung!

Wir freuen uns daher über jede Spende an: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE97100205000003283801 BIC: BFSWDE33BER

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Es kann nicht allen besser gehen?

Die Scheren zwischen Reich und Arm zerstückeln die Lebenskultur TEXT: Scharmann

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ichail Lomonossow (1711 - 1765), der russische Universalgelehrte, war's, der im Jahre 1750 als Erster aus der Dichte des Eises (0,92 g/cm³) ableitete, dass sich 90 Prozent des Volumens eines Eisberges unter der Wasseroberfläche verbergen. (Die Dichte des Meerwassers beträgt 1,025 g/cm³.)

Diese faszinierenden, schillernden Gebilde sind also eindeutig heimtückischer Natur, wie zum Beispiel die Passagiere der Titanic auf verhängnisvolle Weise erkennen mußten.

Merke: Wenn die Schiffsbesatzung schon dazu neigt, recht leichtsinnig auf die Nähe von Eisbergen zu reagieren, dann sollten wenigstens genügend Rettungsboote an Bord sein.

Hilfreich wäre auch, wenn einige Anwesende wüßten, wie man sie richtig zu Wasser lässt.

Was für ein gelungenes Gleichnis, um auf das Thema zu sprechen zu kommen. Da meinen also zum Beispiel 73 Prozent der US-Amerikaner, dass es sehr wohl zutrifft, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Dabei weiß niemand darüber Bescheid, wie reich die Reichen tatsächlich sind, auch im sonst so statistikversessenen Deutschland nicht. Die wahren Ausmaße der Anhäufung des Reichtums bleiben schön unter der Oberfläche.

Armut hingegen, der man tagtäglich begegnet und die sich ja mit Händen greifen lässt, wird von vielen mehr oder weniger geistreichen Kommentatoren mit wachsendem Eifer kleingeredet. Meine Lieblingsthese: Jammern auf hohem Niveau. Damit soll uns vor Augen geführt werden, dass die Armut in unserem Land eigentlich gut zu ertragen ist. Und

wissen Sie was? Dem kann man nur zustimmen, denn für alle, die nicht unterhalb der Armutsgrenze leben – oder nur knapp darüber –, also für zwei Drittel der Menschen hierzulande, ist Armut ohne Probleme hinzunehmen. Unerträglich wird es erst dann, wenn man tatsächlich mit Mutter, Vater und zwei Kindern mit 1 926 Euro im Monat über die Runden kommen soll. Hier liegt die Armutsgrenze in Deutschland für eine Familie mit vier Personen. Das mittlere Einkommen für einen Haushalt dieser Größe liegt bei 3 440 Euro.

Mangel und Teilhabe Genau an dieser Stelle erklärt sich, warum nach realistischen Maßstäben von mehreren Scheren zwischen Reich und Arm zu sprechen ist. Denn die wachsende Ungerechtigkeit der Verteilung des Reichtums hat logischerweise Folgen, die viele Lebensverhältnisse betreffen. Seit langem ist bekannt, dass Menschen mit geringem Einkommen sich aus Kostengründen ungesünder ernähren. Das Krankheitsrisiko ist entsprechend viel höher. Es steht auch weniger Geld für den Wohnraum der Familie zur Verfügung; das beengte Zusammenleben führt zu Spannungen, die durch finanzielle Engpässe zumindest unterschwellig befeuert werden.

Ebenso ist die Teilhabe an üblichen Frei-

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Die wachsende Armut in Deutschland wird von vielen mit wachsendem Eifer kleingeredet.(Foto: Norbert Reimer CC BY-SA 2.0)

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Eingeschränkten Bildungschancen sind eine weitere Schere, die sich zwischen Reich und Arm immer weiter spreizt. (Fotos: gerald.uhr CC BY-ND 2.0 / IGMetallJugendRegensburg CC BY-ND 2.0)

dass die Sozialverbände seiner Meinung nach bei diesem Thema nicht auf schlüssige Weise argumentieren. Herr Eckert gegen die versammelten Sozialverbände unseres Landes!

Entsprechend blass zitiert er Gerd Maas: »Wenn der Anteil der Personen, die relativ zum Durchschnitt ein Stück weniger Einkommen haben, gleich bleibt, heißt das nämlich nicht, dass es nicht allen besser geht.« Wer diese Floskel entschlackt, wird ab jetzt unterschreiben, was sie meint: Allen geht es besser, wenn diejenigen mit weniger Einkommen in ihrer üblen Lage verharren.

Andersherum stimmt es: Wenn das Durchschnittseinkommen wächst, dann in höherem Maße zuerst in den oberen Einkommen. Relativ auf das Einkommen bezogen bedeutet es für die mittleren und geringen Einkommen eine spürbare Verschlechterung der finanziellen Lage.

Es ist ein alter Trick, das durchschnittliche mit dem mittleren Einkommen zu verwechseln. Es kann nicht allen besser gehen, wenn es um den Durchschnitt geht. Das ist seit langem Konsens in Forschung und Realpolitik. Was auch in den Chefetagen der Zeitungsredaktionen bekannt ist. Und dennoch werden wir uns immer wieder mit diesem, bis zum Abwinken unsinnigen, Schlendrian aus Sonstwoher abgeben.

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Wohin geht die Reise?

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zeitaktivitäten stark eingeschränkt, worunter vor allem die Kinder leiden. Sportvereine, Musikunterricht, Museums- und Kinobesuche, Urlaubsreisen oder Freizeitspaß mit Freunden in Schwimmhallen oder Tobewelten – alles das kostet viel Geld. Zeitschriften zu abonnieren, mal außer der Reihe ein spannendes Buch zu kaufen, ausgelassen Geburtstag zu feiern oder sich gar ein Hobby zuzulegen, stellt dann ein enormes Problem dar. Von hier aus kommen wir sofort zu den eingeschränkten Bildungschancen, einer weiteren Schere, die sich zwischen Reich und Arm immer weiter spreizt.

Selbstverständlich ist Bildung mehr als das Streben nach einer höheren Schulbildung. Spaß an Bildung wird anerzogen – als Neugier, als Wissensdrang, als Erkenntnisinteresse. Bildung beruht auf Anreizen, die zuerst geboten werden müssen. Und die man sich eben leisten können muss. Ich fasse das in einem Satz zusammen: Die Menschen können sich erst dann von einander

unterscheiden, wenn sie zuerst gleich sind. Nämlich in den Voraussetzungen, in der Familie und vor allem in der Kindheit, ganz am Start.

»Es kann nicht allen besser gehen« Von Daniel Eckert stammt ein Artikel mit dem Titel »Das Märchen von der Kluft zwischen Arm und Reich«. Unter dieser Überschrift formuliert er: »Die Armut entzweit Deutschland. Zumindest der Streit darüber, ob die Bevölkerung immer mehr in Arm und Reich zerfällt.« Gehen wir über diese Aussagenverknüpfung hinweg. Denn nicht der Streit, sondern die Armut ist das grundsätzliche Problem. Auch die Behauptung, dass wir es mit einem Märchen zu tun hätten, ist ohne Frage dämlich. Nach einigen angemessenen Angaben zur Armutsquote, die sich auf die Untersuchungen der Sozialverbände stützen, überrascht Herr Eckert mit: »Andere Experten sehen die Entwicklung differenziert.« Er will damit zu erkennen geben,

Reden wir Tacheles: Die Hälfte der Kinder in Deutschland lebt heute im Haushalt eines alleinerziehenden Elternteils. Denen kann man vorsorglich mitteilen, dass sie – statistisch erfasst – in Altersarmut enden werden. Ihnen werden viele Möglichkeiten verschlossen bleiben, weil ihre Eltern das Geld zusammenhalten müssen.

Blicken wir noch einmal hinüber in die USA: Mittlerweile sollen schon siebzig Millionen der 320 Millionen Bewohner des Landes von der Versorgung durch die Suppenküchen abhängig sein. Und dennoch bewundern neun von zehn US-Amerikanern die Reichen für ihre Fähigkeit, Reichtum zu scheffeln. So also reguliert sich die systemkritische Gegenöffentlichkeit nahezu gegen Null: Dass das Anhäufen von Reichtum darauf beruht, die Mehrheit in Armut zu halten, wird von dieser Mehrheit beinahe komplett ausgeblendet! Sogar unter den Ärmsten der Armen.

Erinnern wir uns noch? Eine gesetzliche Krankenversicherung für alle scheint auch vielen von denen, die sie dringend nötig haben, als eine kommunistische, gegen die Freiheit gerichtete Doktrin. Sie wird abgelehnt!

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»Wir können durch Reichtum nicht glücklich werden« Dr. Nico Rose, Experte für »Positive Psychologie«, zum Thema materieller Besitz und Glück INTERVIEW: Nadin Schley

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ätten die Menschen die Wahl, dann würden sie nach mehr Geld und Besitz streben als sie aktuell haben. Doch Geld allein macht nicht glücklich. Ganz im Gegenteil! Forschungen zeigen, dass sich das Streben nach Reichtum negativ auf unsere Lebenszufriedenheit auswirkt. Warum wir es dennoch tun, beantwortet Dr. Nico Rose, führender Experte und Keynote-Speaker für »Positive Psychologie« in Deutschland.

strassenfeger: Dr. Rose, hat Glück grundsätzlich etwas mit Geld und Besitz zu tun?

Dr. Rose: Ja und nein. Untersuchungen legen eine nichtlineare Beziehung zwischen Einkommen und Geld nahe.

Wer beispielsweise in Deutschland lebt und ein unterdurchschnittliches Jahreseinkommen von 15 000 Euro bezieht, der erlebt einen deutlich spürbaren Glückszuwachs, wenn sich das Einkommen auf 30 000 verdoppelt. Wer es schafft, dies nochmal auf 60 000 zu steigern, erlebt eine weitere Steigerung, die jedoch schon wesentlich unbedeutender ausfällt als beim ersten Sprung. Im Bereich 80 000 und 100 000 Euro Jahreseinkommen verliert sich der Zusammenhang fast vollends. Ökonomen sprechen hier von einem abnehmenden Grenznutzen. Millionäre sind zwar im Mittel glücklicher als Menschen, die »nur« gut verdienen, aber dieser Unterschied ist zu vernachlässigen im Vergleich zum Abstand zwischen Gut- und Geringverdienern.

Unter dem Gesichtspunkt der Lebenszufriedenheit lohnt es sich also nicht, reich sein zu wollen. Warum streben dennoch so viele Menschen nach der Million?

Zum einen, weil wir für unseren Lebensunterhalt Geld verdienen müssen. Das ist sozusagen die Pflichtkomponente in unserer Gesellschaft. Zum anderen hat Geld etwas mit Status zu tun. Ständig werden Hitlisten veröffentlicht mit den reichsten Menschen, Staaten oder Arbeitgebern, die am besten bezahlen. Sogar Hochschulen werben inzwischen mit dem Einkommen, welches ihre Studenten in Zukunft erwarten können. Das beeinflusst unser Handeln und Streben nach Reichtum.

Ein dritter und wie ich finde hochspannender Ansatz ist folgender: Jüngere Arbeiten im Bereich der Bindungsforschung deuten an, dass Geld für manche Menschen zu einer Art Kompensation für sichere Bindungserfahrungen werden kann. Wir sind soziale Wesen und suchen Schutz bei anderen Menschen, wenn es uns nicht gut geht oder wir uns unsicher fühlen. Am deutlichsten sieht man das in der frühen Kindheit.

Wer nun häufig die Erfahrung gemacht hat, dass dieser primäre Mechanismus nicht gut funktioniert, geht naturgemäß auf die Suche nach einem Ersatz. Manche Menschen streben folglich nach Sicherheit durch Geld – aber eben nicht nach materieller, sondern emotionaler Absicherung.

In Bhutan gilt als Maß aller Dinge das Bruttoinlandsglück und nicht das Bruttoinlandsprodukt. Die Vision des vierten Königs der Dynastie, Jigme Single Wangchuk: Das Glück der Bewohner ist oberstes Staatsziel. Der Westen hat ihn dafür belächelt, denn für die Zufriedenheit einer Nation schien vor allem das Wirtschaftswachstum von Bedeutung, oder nicht?

Das Bruttoinlandsprodukt sollte nicht das Maß aller Dinge sein. Das Thema Glück ausschließlich am Einkommen der Bewohner festzumachen, greift nachweislich zu kurz. Seit 2012 erstellt ein internationales Expertengremium jedes Jahr den »World Happiness Report«. Neben dem rein materiellen Wohlstand wird dafür unter anderem berücksichtigt, wie die Bewohner eines Landes ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung empfinden, ob sie ihre Regierung und die Verwaltung des Landes als vertrauenswürdig erachten, oder auch, wie sie den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft erleben – denn all das zahlt ebenfalls auf das Glücksempfinden ein. Im Übrigen: Neben der Frage, wie viel der einzelne Mensch im Durchschnitt besitzt, ist vor allem die Einkommensverteilung hochrelevant. Etwas verkürzt ausgedrückt: Gleichheit macht glücklich. Wenn einige wenige Menschen in einer Volkswirtschaft sehr viel besitzen und viele nur sehr wenig, dann drückt das subjektive Glücksempfinden in einem Land maßgeblich nach unten. Deshalb landen im »World Happiness Report« auch nicht die superreichen, aber tendenziell ungleich strukturierten Staaten

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ganz vorne, sondern jene, in denen auf eine möglichst faire Verteilung wert gelegt wird, zum Beispiel unsere skandinavischen Nachbarn.

Studien legen nahe, dass es gar nicht so wichtig ist, wie viel Geld wir haben, sondern wofür wir es ausgeben?

Korrekt. Überschüssiges Geld sollte man im Zweifel lieber in Erlebnisse anstatt in Dinge investieren, beispielsweise in einen Kurzurlaub anstelle eines tollen Mantels. Der Unterschied: Der Mantel unterliegt, wie alles, was einfach nur da ist, dem Gewöhnungseffekt. Wir freuen uns, wenn wir ihn das erste Mal tragen, und vielleicht auch bei der zweiten und dritten Gelegenheit – doch dann brauchen wir im Prinzip schon wieder den nächsten Kick. Psychologen nennen dieses Prinzip »hedonische Tretmühle«. Positive Erlebnisse wie der Urlaub können hingegen durch aktives Erinnern, unterstützt durch Fotos, immer wieder hochgeladen werden – und damit auch teilweise die guten Gefühle, die mit dem ursprünglichen Erlebnis einhergingen. Wir zapfen gewissermaßen das Licht vergangener Freuden an, um die Gegenwart zu erhellen.

Wir können also nicht nachhaltig glücklicher durch materiellen Besitz werden.

Genau, denn wir gewöhnen uns an jede Form von materiellem Besitz und streben schließlich nach mehr. Selbst Lottomillionäre gewöhnen sich recht schnell an ihren neuen Status und brauchen irgendwann den nächsten »Kick«. Wir benötigen nicht viel Besitz, um glücklich zu sein. Altruistisches verhalten hingegen ist in dieser Hinsicht eine sichere Bank. Wenn wir überschüssiges Geld in andere Menschen investieren, sei es, indem man seinen Liebenden eine Freude bereitet, oder Geld (beziehungsweise Zeit) für wohltätige Zwecke spendet, dann bekommen wir dieses warme Gefühl im Bauch, weil wir anderen Gutes tun. Menschen haben bis zu einem gewissen Grad das Bedürfnis, sich selbst als wertvolle, als »gute« Individuen wahrzunehmen. Sich als großzügig und fürsorglich sehen zu können, bestärkt uns in diesem Teil unseres Selbstkonzepts. Das wirkt deutlich nachhaltiger als der Mantel.

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Macht Geld glücklicher? (Foto: Martin Abegglen CC BY-SA 2.0)

Nico Rose ist Diplom-Psychologe und wurde an der EBS Business School (Wiesbaden) in BWL promoviert.

Außerdem schloss er 2014 berufsgeleitend ein MasterStudium in angewandter »Positiver Psychologie« an der University of Pennsylvania ab, direkt beim Begründer der »Positiven Psychologie«, Dr. Martin Seligman.

Im Hauptberuf arbeitet Rose im Stab des Personalvorstands eines internationalen Medienkonzerns. Seit 2008 ist er zusätzlich als freiberuflicher Speaker und Coach unterwegs.

Neben seinem 2013 erschienenen Buch »Lizenz zur Zufriedenheit« hat er bislang rund 50 Fachartikel und Buchbeiträge veröffentlicht. Er bloggt über »Positive Psychologie« auf Mappalicious.com und auf UnterderLiebe.me über das Papasein. Regelmäßig schreibt er Gastbeiträge für Seiten wie ZEIT Online und Lead-Digital.de.

Rose lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Hamm, dem laut TAZ »dunkelsten Loch in Westfalen«. Wenn er nicht arbeitet oder Zeit mit seiner Familie verbringt, trifft man ihn mit großer Wahrscheinlichkeit auf Heavy Metal-Konzerten, zum Beispiel bei Iron Maiden.

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Was zählt ist die soziale Herkunft und nicht die Intelligenz (Foto: Bildung und reichtum ABC Bildungs- und Tagungszentrum CC BY-SA 2.0)

War Andy Warhol dümmer als Goethe?

Zur Beziehung zwischen Reichtum und Intelligenz Vo n J o n a Va n t a rd

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ie Annahme, dass clevere Menschen Sachverhalte schneller begreifen und dadurch eher zu Geld kommen, ist, auch wenn das zunächst logisch klingt, vollkommen falsch. Drei Gründe, warum das so ist: 1. »Intelligenz« ist kein klarer Begriff Bis heute ist unklar, was »Intelligenz« wirklich bedeutet. Sie bezeichnet lediglich einen Sammelbegriff der Psychologie für die gedankliche Leistungsfähigkeit des Menschen. Die gemessene Klug- oder Dummheit verändert sich entsprechend der angelegten Kriterien und verschiedene Intelligenztheorien können sich daher bloß auf verschiedene »Operationalisierungen«, daher Messbarmachungen berufen.

Einmal messbar gemacht, verliert eine »Intelligenz« jedoch ihre allgemeine Aussagekraft und kann höchstens Teilbereiche erklären. Ferner ist Intelligenz laut Theodor W. Adorno eine »moralische Kategorie«. Eine Intelligenz bleibt demnach nicht unbeeinflusst von den moralischen Ansichten zeitlich und räumlich begrenzter Gesellschaften. Personen, die heutzutage bei einem in Deutschland durchgeführten Intelligenztest gut abschneiden, könnten an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit als »mittelmäßig intelligent« oder gar »dumm« eingestuft werden.

Man denke nur an Goethe, der angeblich einen Intelligenz-Quotienten (IQ) von 183 gehabt haben soll, und an Andy Warhol, dessen IQ laut Gerüchten nur etwa 86 betrug. War Andy Warhol deshalb dümmer als Goethe?

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2. Auch eine Studie mit konventionellem IQTest widerlegt einen Zusammenhang Doch selbst wenn wir (fälschlicherweise) davon ausgingen, dass in westlichen Gesellschaften entwickelte IQ-Tests ein objektives Bild über jemandes Intelligenz verschaffen können, ist eine Beziehung zwischen Reichtum und Intelligenz nicht feststellbar.

»Menschen, die schlecht beim IQTest abschnitten, waren später »im Durchschnitt genauso reich wie bedeutend klügere Menschen« Im Gegenteil, ein 2007 im Focus veröffentlichter Artikel »Klug und trotzdem arm« behauptet unter Berufung auf die Langzeitstudie einer amerikanischen Forschergruppe, dass Menschen, die schlecht beim IQ-Test abschnitten, später »im Durchschnitt genauso reich [waren] wie bedeutend klügere Menschen.« Bei der Studie, für die 7 304 Amerikaner seit 1979 begleitet wurden, fand man heraus, dass »intelligente« Menschen manchmal überhaupt nicht mit Geld umgehen können und sich mitunter in Schulden stürzen, »dümmere« Menschen hingegen oft besser haushalten können.

3. Was zählt ist die soziale Herkunft Bleibt zu klären: Was führt denn dazu, dass jemand reich oder arm wird? »Intelligenz«, sagt

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Niels Köbel, einer von zwei Moderatoren des Soziopods bei einer Podiumsdiskussion am 14. September im Berliner Heimathafen zum Thema Bildung und soziale Ungerechtigkeit, »ist nur ein Schlagwort.« Was zählt, sei, mit den Worten des Soziologen Pierre Bourdieus gesprochen, der Habitus der Menschen, also die feinen Unterschiede in Kleidung, Gestik Sprache, Verhalten, bei Gesprächsthemen usw., die es Menschen verschiedener Milieus ermöglicht, sich gegenseitig zu erkennen und Menschen abzuweisen oder zuzulassen. Man muss nicht sonderlich intelligent sein, um in bestimmten Kreisen reich werden zu können.

Es gibt hartnäckige »Ketten der Ungleichheit«, die sich ständig »rep roduzieren« Gleichzeitig gibt es Menschen, die, egal wie intelligent sie sind, nur mit größter Mühe Zugang zu ökonomischen Ressourcen bekommen, die bestimmten Milieus vorenthalten sind. Diese Annahme belegen auch die neuesten, im September 2016 veröffentlichten, Statistiken zur Kinderarmut in Deutschland. Trotz der zuletzt starken Wirtschaft ist die Zahl der in Armut lebenden Kinder im Vergleich zu 2011 um 0,4 Prozent gestiegen. Obwohl also eigentlich genug Geld erwirtschaftet worden ist, um zu verhindern, dass niemand arm sein muss, gibt es, wie Köbel sie

nennt, hartnäckige »Ketten der Ungleichheit«, die sich ständig »reproduzieren«. Was zählt ist die soziale Herkunft und nicht die Intelligenz.

Diejenigen, denen das Durchbrechen dieser Ungleichheitsketten gelingt, sind meistens überdurchschnittlich intelligent Aus drei Gründen ist also ein Zusammenhang zwischen Reichtum und Intelligenz ein Mythos.

Erstens ist »Intelligenz« ein ambivalenter Begriff, der viele (reichtumsfördernde oder –mindernde) Formen von Klugheit bedeuten kann. Zweitens existiert selbst zwischen Reichtum und einem standardisierten IQ-Test keine klare Beziehung.

Und drittens ist immer noch der stärkste Garant für Reichtum die Herkunft aus einem reichen Milieu, der häufigste Grund für Armut über Generationen weitergereichte Armut. Aber in einem Zusammenhang spielt die Intelligenz dabei doch eine Rolle: Diejenigen, denen das Durchbrechen dieser Ungleichheitsketten gelingt, sind meistens überdurchschnittlich intelligent.

Der immer noch stärkste Garant für Reichtum ist die Herkunft aus einem reichen Milieu, der häufigste Grund für Armut über Generationen weitergereichte Armut (Foto: aspernDieSeestadtWiens CC BY-ND 2.0)

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Das in der Hauptstadt als wertvollstes Gemälde angesehene Werk wurde nicht von Rembrandt gemalt. DER MANN MIT DEM GOLDHELM verliert dadurch nicht an Glanz.

(Quelle: C. Scharmann)

Der Mann mit dem Goldhelm

Eine Debatte um Urheberschaft und Urheberrechte – und ihre Folgen TEXT: Scharmann

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m Jahre 1986, vor dreißig Jahren, wurde es amtlich: Nicht der bedeutende Rembrandt van Rijn (1606 - 1669) selbst schuf dieses bekannte in Berlin zu bestaunende Gemälde, sondern es wurde wohl von einem in seiner Werkstatt beschäftigten Künstler gemalt. Fast zwei Jahrzehnte lang kursierten unter der Hand Zweifel an der Urheberschaft – so lautet die heute dargestellte Sichtweise in dieser Angelegenheit. Ursächlich wird sie in Zusammenhang gebracht mit dem im Jahre 1968 ins Leben gerufenen Rembrandt Research Project. Vor nunmehr fast fünfzig Jahren begann eine Gruppe von Amsterdamer Wissenschaftlern die Werke des Barockmalers auf Urheberschaft und Echtheit zu untersuchen.

Doch bereits zu Lebzeiten Rembrandts ließ sich nicht in jedem Falle bestimmen, welche Werke dem Meister tatsächlich zugeschrieben werden konnten. Ähnlichkeiten zum Schaffen anderer Künstler waren übermächtig. Hinzu kam, dass in dieser Zeit üblicherweise von bedeutenden Gemälden auch Kopien und Variationen in Auftrag gegeben wurden.

Festzuhalten ist also, dass schon im 17. Jahrhundert oft Zweifel an der Urheberschaft einiger Werke zu Recht bestanden und bestehen mussten.

Rembrandt als Unternehmer Obwohl sich die Wissenschaftler von Rembrandt Research also zweifelsfrei in einer Traditionslinie berechtigt Fragender sehen konnten, schwiegen sie zuerst jahrelang über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und zweifelten zuerst einmal an ihrer eigenen Kompetenz. Diese Selbstzensur entsprang offensichtlich der Vorahnung: Ein Sturm der Entrüstung traf die in das Projekt Involvierten: Als bekannt wurde, dass sie die Zahl der Rembrandt eindeutig zuzuordnenden Werke auf etwa 350 reduziert sehen wollten, ging es eben nicht darum, dass neue Erkenntnisse den Blick auf die Epoche schärfen konnten, sondern oft stand im Mittelpunkt der Debatte, dass das Kapital der Besitzer der Kunst in Gefahr geraten musste und würde. Dass hier vor allem kunstgeschichtliche Fragen von Belang gewesen wären, geriet in den Hintergrund – so zum Beispiel die Rolle des Malers Johann Ulrich Mayr (1630 – 1704), der 1648/49 bei Rembrandt tätig war und als Urhe-

ber des Werkes in Frage kommt. Bisher war nur wenig über den Augsburger bekannt. Leider wurde kaum in diese Richtung diskutiert.

Halten wir kurz fest, wie die Debatte ihren formalen Abschluss fand - mit einer grundsätzlich positiven Bewertung des Eigentumsverhältnisses: Nach auch damals schon geltendem Recht stand es Rembrandt zu, alle Produkte, die von seinen Schülern und Angestellten in seiner Werkstatt hergestellt wurden, unter seinem Namen, also als seine eigenen zu verkaufen. Schließlich wurde in seinen Räumen mit seinen Materialien und unter seiner Herrschaft produziert.

Weil von ihm die Voraussetzungen der Produktion (inclusive der Arbeitskraft) bezahlt wurden, standen ihm auch die Resultate zu. Das klingt auch für unsere Zeit nur zu vertraut.

Der tatsächliche schöpferische Beitrag zum Verkaufsertrag bleibt bedeutungslos, und das bis in unsere Tage. Auch wenn das unserem Grundempfinden, was ein Werk künstlerisch wertvoll werden lässt, grundsätzlich widerspricht.

Kunst als Schatz Abschließend ein paar Worte zur befürchteten Wertschmälerung eines Kunstwerkes: Um es auf den Punkt zu bringen, geht es in solchen Debatten immer um Kunstobjekte. Was mit dem Rembrandt Research Project zuerst in Zweifel gezogen wurde, ist eine sogenannte optimistische Zuschreibungspraxis, nach der den verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern mehr als ihr tatsächliches Schaffen zuzuordnen sein sollte. Sobald hier eine Umbewertung angesagt ist, wandeln sich auch die Verkaufswerte der Objekte, die eben vor allem als Spekulationsobjekte in die privaten Sammlungen aufgenommen werden. Das ist uns allen bekannt.

Kunst als privater Schatz, Kunst als Statussymbol, Kunst als Demonstration von Machtanspruch – diese vertrauten äußerlichen Formen der Kunst sind nicht vereinbar mit dem Kunstgenuss. Und erst recht nicht mit dem schöpferischen Prozess, der ihn hervorgebracht hatte und uns in Erstaunen versetzt.

Bleiben wir bei Rembrandts Werken: Dieser ohne Frage bedeutende Künstler starb als armer Mann.

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Die scheinbare Sicherheit Für und wider dem Grundeinkommen TEXT: Andreas Peters

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ie Schweizer haben sich im Rahmen eines Volksentscheides entschieden. Achtzig Prozent haben sich im Sommer gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ausgesprochen. Das lag daran, dass bis zur Wahl unklar blieb, wie hoch es sein sollte und vor allem wie finanziert.

Man war eben noch nicht soweit. Die Finnen sind da offensichtlich einen Schritt weiter. Sie sind bereits jetzt mehrheitlich für das BGE. Die regierenden Parteien wollen damit ab 2017 ihr Staatssystem entlasten. Die finnische Bevölkerung will endlich arbeiten ohne die Angst, den Anspruch auf Sozialhilfe zu verlieren. Diese beiden LänderBeispiele verdeutlichen die aktuelle Situation mit dem BGE. Es soll die Kosten für soziale Systeme senken, und trotzdem Sicherheit geben. Es soll aber auch finanziell kalkulierbar sein.

Bei uns spielt das BGE im poltischen Alltag und im hiesigen Wahlkampf jedenfalls noch keine Rolle. Es gibt einzelne Köpfe in allen Parteien, die sich seit Jahren für das BGE aussprechen. Katja Kipping von Die Linke sieht dabei die Notwendigkeit eine gesellschaftliche Mehrheit für dieses Lebensmodell zu finden, Christian Ströbele von B90/Die Grünen setzt vor allem auf Zeit, Thüringens ehemaliger Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hält mit der Einführung des BGE die Schaffung neuer gesellschaftlicher Werte für notwendig und für Die Piraten ist das BGE bereits Partei-Programm.

Was spricht für das BGE? Was für das BGE spricht, ist, dass es im Gegensatz zu Hartz IV (ALGII) deutlich über der Armutsgrenze liegt. Für Wohnen, Essen, Trinken, Bildung und Kultur wäre somit gesorgt, mit Abstrichen an der einen, oder anderen Stelle.

Wer mehr will, zum Beispiel jährlich in den Urlaub fahren, dem steht es frei, eine Lohnarbeit auszuüben. Die eigene Arbeitskraft wird dann quasi zu einer Ware, die man anbietet, ohne damit allein die Existenz sichern zu müssen. Nicht mehr müssen, sondern wollen, kann bedeuten, dass man aus gesundheitlichen, oder anderen Gründen eine Arbeitszeitverkürzung, oder eine unbezahlte, ehrenamtliche Arbeit vorzieht. Arbeit und Einkommen werden somit getrennt. Da wundert es wenig, dass die SPD dem BGE eher zurückhaltend und die Gewerkschaften dem ablehnend gegenüber stehen. Das ist nachvollziehbar, solange dort die Erwerbsarbeit im Zentrum einer Politik steht, in der Arbeitsplätze geschaf-

Das BGE – ein zukunftsweisendes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell? (Foto: stanjourdan CC BY-SA 2.0) fen und erhalten werden, um damit gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren. Mit dem BGE soll Teilhabe ohne Arbeit möglich werden.

Wer würde dann noch arbeiten gehen?

Klingt gut, doch die Frage »wer würde dann noch arbeiten gehen« kommt wie ein Reflex.

Und was ist schließlich mit denen, die nie gearbeitet haben und trotzdem BGE bekommen, ist das nicht eine Ohrfeige für alle hart arbeitenden Arbeitnehmer? Genau darüber gilt es künftig zu diskutieren. Die Höhe des Grundeinkommens spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ist sie hoch sind Arbeitsanreize gering, ist sie niedrig sind die Anreize höher. In der Schweiz war die Rede von über 2000 Franken, in Finnland ein Mindestbetrag von 550 Euro, hierzulande ist die Rede von 1000 Euro. Anspruch auf das BGE hätte bei uns in jedem Fall nur der, der über eine Steuer-ID verfügt. Das heißt, alle gemeldeten Erwachsenen und Kinder gehörten zum berechtigten Personenkreis. Alleinerziehende Mütter hätten sowohl für sich, als auch ihrem Kind Anspruch. Der Student, der noch nie gearbeitet hat, würde es bekommen, wie der Rentner, der lebenslang gearbeitet hat. Selbst Wohlhabende hätten grundsätzlich ein Recht auf BGE. Es wäre

somit im Gegensatz zum jetzigen System eher pauschal, als am Einzelfall orientiert! Das heißt aber auch, es wird nicht mehr individuell hingeschaut, ob der Bedarf durch das BGE wirklich gedeckt ist.

Aktuell könnten allerdings selbst die hohen Steuereinnahmen die Kosten für das BGE nicht decken. Ökonomen halten daher das BGE nur mit einem anderen Steuersystem für realisierbar.

Und zwar eines in das alle einzahlen. Darin sind sich sogar Befürworter und Gegner einig. Kritiker des BGE stellen allerdings in Frage, ob es neben einem neuen Steuersystem tatsächlich noch eines neuen Sozialsystems bedarf.

Das BGE bleibt in jedem Fall ein idealistisches, wie ambitioniertes, umstrittenes, wie zukunftsweisendes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, dass noch dazu dem zunehmenden Schwund von Lohnarbeit, wie wir es aus der Vergangenheit kennen, Rechnung trägt. Leider gibt es noch zu wenig belastbare Daten und Untersuchungen zum BGE, um eine greifbare Prognose für deren Umsetzung zu erstellen. Vielleicht hilft uns der Blick nach Finnland nächstes Jahr.

Aktuell lohnt in jedem Fall der Blick auf das Projekt von Michael Bohmeyer´s »Mein Grundeinkommen«. Damit lässt sich sogar ganz ohne Geld eine dem BGE angelehnte Idee befördern.

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»Für den Einzelnen bedeutet das Grundeinkommen eine würdevolle Existenz« Das Bedingungslose Grundeinkommen - eine Utopie?

INTERVIEW: Nadin Schley

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ie Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) wird in Deutschland seit Jahrzehnten diskutiert. Kritiker befürchten, dass das BGE die Bürgerinnen und Bürger hierzulande dazu verleitet, nicht arbeiten zu gehen.

Christian Lichtenberg von Mein Grundeinkommen e. V. gibt Antworten auf wichtige Fragen zum BGE. Nadin Schley: Wer hat Anspruch auf ein BGE? Christian Lichtenberg: Jede*r sollte Anspruch auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen haben, sonst wäre es ja nicht bedingungslos. Es geht darum, den Menschen die materielle Existenzangst zu nehmen, damit sie selbstbestimmter leben können und kreativer und effizienter an technologischen Innovationen arbeiten können.

Schließen sich Lohnarbeit und das BGE aus?

Nein. Allerdings verschiebt sich mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen das Machtgefüge zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Letztere sind nicht mehr gezwungen, unterbezahlte Jobs anzunehmen, so wie es derzeit häufig der Fall ist. Somit würden wahrscheinlich derzeit als minderwertig sozialisierte Tätigkeiten wie Putz- oder Mülljobs oder auch Soziale Arbeit aufgewertet werden. Aber ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde auch bedeuten, dass viele Arbeitnehmer*innen lernen müssten, mit mehr Eigenverantwortung umzugehen. Trotzdem könnte es in einer Grundeinkommens-Gesellschaft weiterhin so etwas wie Gewerkschaften geben, um bestimmte Rechte, die beispielsweise Kündigung oder Elternzeit betreffend, zu verhandeln und Arbeitnehmer*innen zu entlasten.

Knapp 41 Prozent der Deutschen gehen einer bezahlten Arbeit nach, der Rest lebt von Transferleistungen. Würde das BGE diese Transferleistungen ersetzen?

Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte das Arbeitslosengeld ersetzen, außerdem BAföG, Wohn- und Kindergeld. Es sollte meiner Meinung nach auf keinen Fall sämtliche Transferleistungen ersetzen, wie es nicht selten zu lesen ist. Beispielsweise müsste ein Umgang mit der bestehenden Rentenregulierung gefunden werden und das Bedingungslose Grundeinkommen sollte - zumindest vorläufig - mit Rentenbeträgen verrechnet werden, die höher sind als der Betrag des Grundeinkommens. Ich bin auch nicht dafür, dass die gesetzliche Krankenversicherung entfällt, sondern fände es sinnvoll, dass ein bestimmter Anteil des Grundeinkommens für die Krankenversicherung vorgesehen ist, so wie es Thüringens ehemaliger Ministerpräsidenten Althaus (CDU) 2010 vorgeschlagen hat.

Finnland und die Schweiz sind bereits dabei das BGE politisch und ökonomisch umzusetzen. Wie kann es in Deutschland finanziert werden und was würde sich für den Einzelnen ändern?

Finnland wird 2017 ein Experiment starten, in der Schweiz ist zunächst nur die gesellschaftliche Debatte zum BGE angestoßen worden. In Deutschland müssten sich zunächst die Parteien im Bundestag ernsthaft mit dem Grundeinkommen auseinandersetzen. Momentan gibt es dort leider noch keine breite Diskussion über verschiedene Finanzierungsmodelle und die Vor- und Nachteile eines BGE. Ein Grundeinkommen könnte in Deutschland beispielsweise über eine hohe Konsum- bzw. Mehrwertsteuer finanziert werden, wie eine Studie der FU Berlin kürzlich belegt hat. Weitere Möglichkeiten wären durch eine Finanztransaktionssteuer oder höhere Vermögenssteuern gegeben. Aufgrund der zunehmenden Robotisierung und weniger werdenden Arbeitsplätzen sollte man auch über eine Maschinensteuer für Unternehmen nachdenken.

Für den einzelnen Menschen bedeutet das Grundeinkommen eine würdevolle Existenz, aus der heraus er selbstbestimmt und sinnvoll tätig werden kann.

Christian (Foto © mein-grun)

Christian Lichtenberg arbeitet für den Verein »Mein Grundeinkommen« e. V. und ist verantwortlich für die Kooperation mit unterschiedlichen Medien sowie für die Inhalte, die der Verein zum Thema Grundeinkommen publiziert. Mein Grundeinkommen verlost in Deutschland regelmäßig bedingungslose Jahres-Grundeinkommen, um Menschen GrundeinkommensErfahrungen zu ermöglichen und die öffentliche Debatte zum Bedingungslosen Grundeinkommen im deutschsprachigen Raum zu befeuern.

16 | ERZÄHLEN IN BILDERN

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Was ist Reichtum?

T E X T: N a d i n S c h l ey | FOTO S: A n d re as Pe te rs , K a t h a r i n a T j a r t

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eich sein können wir an vielem: reich an Freundschaft, reich an Liebe, reich an Ideen.

Doch immer bedeutet das Wort, dass jemand besonders viel von etwas hat. Häufig wird es bei Geld und Gütern benutzt. Aber festzulegen, wer reich ist und wer nicht, ist schwierig, denn es kommt darauf an, mit wem man sich vergleicht. Deshalb fordern Zukunftsforscher eine neue Definition - abseits von Geld, denn schließlich geht es im Leben nicht nur um Finanzielles, sondern auch um gefühlten Wohlstand. Ein paar Vorschläge zur Definition von Reichtum.

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Nur wer im Wohlstand lebt, schimpft auf ihn. (Ludwig Marcuse)

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Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung. (John F. Kennedy)

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Reich wird man erst durch Dinge, die man nicht begehrt. (Mahatma Gandhi)

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Nicht der ist reich, der viel hat, sondern der, welcher viel gibt. (Erich Fromm)

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Steigerung des Luxus: eigenes Auto, eigene Villa, eigene Meinung. (Wieslaw Brudzinski)

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Geld allein macht nicht glücklich. Es gehören auch noch Aktien, Gold und Grundstücke dazu. (Danny Kaye)

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Wirklich reich ist der, der mehr Träume in seiner Seele hat, als die Wirklichkeit zerstören kann.

(Hans Krupp) 01

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Geld ist nicht alles

Warum Liebe, Freundschaft und Anerkennung Reichtum sind E i n Te x t a u s d e r Te x t w e r k s t a t t v o n D e t l e f F l i s t e r

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eld ist für viele Menschen der Sinn des Lebens.

Sie pflegen selten Beziehungen oder Freundschaften, sind oft nicht mehr in der Lage normale soziale Kontakte zu pflegen, weil sie immer beschäftigt sind. Ihr Leben ist bestimmt vom Terminkalender. Fremdbestimmt quälen sie sich durch einen vorbestimmten und aufzehrenden Alltag. Oft ohne sich selbst darüber klar zu sein, sind sie es leid so zu leben.

Ihr Leben ist ein Teufelskreis, dem sie einfach nicht mehr entrinnen können. Für neue Impulse sind sie nicht mehr empfänglich und können daher auch ihr Leben nicht umgestalten. Sie sind nicht mehr in der Lage auf ihren Wohlstand und ihr Schicki-Micki-Leben zu verzichten. Dazu fehlen einfach die Energie und der nötige Antrieb. Oft ahnen sie, dass etwas fehlt, nehmen sich aber nicht die Zeit herauszufinden, worum es sich handelt.

Wohlständige und reiche Menschen sind dadurch, dass sie alles haben, was sie brauchen, in einer Scheinwelt gefangen, die sie schon aus reiner Gewohnheit durchleben. Was haben wir, was sie nicht haben?

Liebe, Freundschaft und Anerkennung FREUNDSCHAFT: Ich habe wegen meiner Probleme mit meinen Füßen fast drei Wochen im Krankenhaus gelegen. Um wieder richtig laufen zu können, habe ich einer Einweisung zugestimmt. Meine sogenannten Freunde haben mich, bis auf einen, dort nicht besucht. Klaus kam jeden Tag nach der Arbeit vorbei und nahm sich Zeit für mich. Mit Zustimmung der Ärzte blieb er oft bis 22.00 Uhr und länger. Er sprach viel mir mir und gab mir Kraft und Power, alles zu überstehen. In meiner Zeit als aktiver Alkoholiker war er immer für mich da, besuchte mich ständig und telefonierte mit mir, wann immer

Ich möchte mein Leben mit ihr teilen. Ja, ich liebe sie. (Foto: Cristian Iohan Ştefănescu CC BY 2.0)

ich es wünschte. Er ist und war immer ein sehr guter Freund für mich.Das ist wahre Freundschaft!

ANERKENNUNG: Ich stehe auf der Bühne und singe Sinatra- Songs. Es ist zwar nur Karaoke, aber das Publikum geht begeistert mit. Immer wieder gibt es Zwischenapplaus.

Auch am Ende bekomme ich lange anhaltenden Applaus. Ich werde zum Sieger des Karokewettbewerbs erklärt und alle sagen mir, was ich für eine tolle Stimme habe. Ich genieße diese Anerkennung und bedanke mich.

LIEBE: Ich spüre ein aufregendes Kribbeln in mir, wenn sie in meiner Nähe ist. Ich werde schüchtern und traue mich kaum etwas zu sagen. Ich lausche eingefangen und fasziniert ihrer Stimme. Jetzt rückt sie näher an mich heran. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Jetzt beginnen wir uns zu umarmen. Sie küsst mich. Eine wohlige Wärme macht sich in mir breit.

Ich merke es: Ich habe mich verliebt! Ich will immer mit Marita zusammen sein – am liebsten jede freie Minute. Ich möchte mein Leben mit ihr teilen, Ja, ich liebe sie.

Diese drei Erlebnisse und viele andere Momente sind es, die ein Leben lebenswert machen und immer wieder Mut geben zum Weitermachen. Es sind für mich magische Momente, die mir Stärke, Antrieb und Selbstbewusstsein geben und mir auch aus Krisen herausgeholfen haben. Für mich sind es Momente, für die ich gelebt habe und immer leben werde. Diese Beispiele zeigen, was mir wirklich entscheidend ist. Liebe, Freundschaft und Anerkennung sind für mich wichtiger als Geld. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wird es anders nie aushalten. Geld macht nicht glücklich und kann mir solche magischen Momente nicht geben. Für kein Geld der Welt würde ich auf solche Momente, die mir Liebe, Freundschaft und Anerkennung geben, nicht verzichten.

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REICHTUM | 19

»Ich wühle im Leben, ich will es wissen«

Hasso B. ist ein ganz normaler Bürger. Dann wurde er obdachlos TEXT: Hasso B.

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ein Name ist Hasso B. Ich bin 64 Jahre alt. Ich möchte Ihnen von meinem Sommer erzählen. Viele Deutsche haben Angst, obdachlos zu werden. Mir ist es tatsächlich passiert.

Ich möchte wieder in Berlin leben. Als mir schließlich der Vermieter meiner Wohnung in Hannover sagte, ich müsse dringend ausziehen, da witterte ich meine Chance: Der Grundgütige möchte, dass ich wieder nach Berlin gehe.

Denn hier verbrachte ich vor über dreißig Jahren die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich führte ein Geschäft für Innendesign am Olivaer Platz. Berlin vor der Wende: Wir lebten in einer Art Käseglocke. Jeder kannte jeden. Meine Kunden: reiche, kunstinteressierte Größen und der Berliner Senat. Ich schwelgte in den höchsten Höhen des Lebens: Champagner am Morgen, Kaviar am Abend. Ich war dem Berliner Schick erlegen und irgendwann waren die Probleme schneller als ich sein konnte.

Ich habe mich hochgradig verschuldet. Ich musste irgendwann mehr zahlen, als ich über die Jahre eingenommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass ich mehr als dreißig Jahre in dieser verschuldeten Situation sein würde.

Ich zog mich zurück und richtete mich in einem neuen Leben ein, fernab der Berliner Scheinwelt. Ich heiratete und bekam mit meiner Frau drei Söhne. Ich versuchte beruflich Fuß zu fassen, um meine Familie ernähren zu können.

Doch das alles reichte mir nicht. Ich wühlte im Leben, ich wollte es wissen.

»Zum ersten Mal lernte ich einen speziellen ›Schlag‹ Mensch kennen: die Obdachlosen« Und doch stehe ich nun auf Anfang: Seit neun Wochen bin ich auf Wohnungssuche. Die ersten fünf Wochen immer für zwei bis drei Tage pendelnd zwischen Hannover und Berlin. Vor vier Wochen entschied ich mich, so lange in Berlin zu bleiben, bis ich eine Wohnung finden würde.

Das Geld war mittlerweile aus. Mein 400 Euro -Hartz-IV-Satz hatte ich in Flixbusse, BVG und Unterkünfte investiert. Also schlief ich die ersten zwei Nächte in einem abgegrenzten Bereich am Lehrter Bahnhof. Ich sagte zu den Sicherheitsmännern, »ich lungere hier ein wenig um. Mir gehts gut.« Sie waren sehr freundlich und ließen mich dort sein.

Die dritte Nacht verbrachte ich in einem Vierbettzimmer in der Notunterkunft der Berliner Bahnhofsmission am Zoo. Zum ersten Mal in meinem Leben lernte ich einen speziellen

Hasso B. vor dem Kaffee Bankrott (Foto: Karl-Ludwig Poggemann CC BY 2.0)

»Schlag« Mensch kennen: Die Obdachlosen, Menschen die weit am Rand in unserer Gesellschaft stehen. Ich knüpfte Kontakte und fand auch Freunde.

»Darf ich Sie nach Ihrer Pfanddose fragen?« Täglich ging ich mit meinem Hab und Gut den Weg zu Wohnungen und Behörden. Ich hatte Schwielen an den Händen und Blasen an den Füßen. Ich sammelte auf der Straße liegende Kippen, suchte Pfandflaschen und Dosen für ein paar Euro. Die Red-Bull-Dosen sind mir am liebsten. Ich sehe genau, in welchem Winkel die Dose am Mund steht, bevor der letzte Tropfen fließt. Dann gehe ich zu ihm, entschuldige mich und frage schließlich nach der Dose. Eines Tages sah ich am Berliner Zoo eine Gruppe junger Unternehmer über einen Bauplan grübelnd Red Bull trinken. Unauffällig schlich ich mich in ihrer Nähe. Ich wollte auf den richtigen Zeitpunkt warten. Dann sagte ich: »Bitte entschuldigen Sie, eigentlich würde ich auch viel lieber mit Ihnen über diesen Bauplan sprechen, denn ich bin eigentlich Innenarchitekt, aber wie das Leben so spielt, möchte ich Sie heute nach Ihrer Pfanddose fragen.« Die Unternehmer sahen mich lange an. Dann schließlich bat mich einer von ihnen

an den Tisch und wir diskutierten gemeinsam über die Baupläne.

»Ab diesem Zeitpunkt haben mich die Menschen getragen« Ich zog weiter in die Notübernachtung des Obdachlosenvereins mob e.V. in der Storkower Straße. Ab diesem Zeitpunkt haben mich die Menschen getragen. Ich bekam bedingungslose Hilfe angeboten. Ich durfte bleiben, bis ich mit Unterstützung der Sozialarbeiter und der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter eine Wohnung fand.

Während dieser 26 Tage Obdachlosigkeit hat man mir mehrfach Flaschen an den Kopf geworfen. Ich habe den Krieg auf der Straße kennen gelernt, den Kampf um die Leergutsammelreviere und sogar den blanken Hass anderer Obdachloser gespürt, weil ich noch wenige gute Klamotten aus alten Zeiten trage.

Ich bin unendlich dankbar dafür, was die Stadt Berlin an umfangreichen Hilfen zu bieten hat wie die zahlreichen Hilfsorganisationen mit den ehrenamtlichen Helfern, die Tag für Tag, an der Front kämpfen und jeder von ihnen die aktuelle Not so vieler Obdachloser zu lindern versucht. Tayfun Özkan, Sozialarbeiter in der Notunterkunft für Obdachlose mob e. V., bringt es auf den Punkt: »Jeder Mensch sollte einen Lehrgang in Obdachlosigkeit machen!«

20 | AUF ANDEREN STRASSEN

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»Mein Grab war schon geschaufelt« Der frühere Suchtkranke Jörg Michels trainierte eine Vereins-Mannschaft aus Flüchtlingen und wurde nun dafür vom Ministerpräsidenten ausgezeichnet Vo n Pe te r B ra n d h o rs t

E

r kann auch mit den Augen lachen. Die ganze Zeit schon erzählt Jörg Michels von seinem Leben früher und heute, von durchlittenen Niederlagen und erkämpften Erfolgen, und wenn mal nicht seine glucksende Stimme zu hören ist, dann strahlt der 49-Jährige doch fast immer über das ganze Gesicht. »Ich freue mich einfach über jeden Tag«, sagt Michels irgendwann und lacht wieder laut, »mein Grab war ja schon geschaufelt«.

Eine Geschichte soll hier erzählt werden, die so nur selten geschrieben werden kann. Die Geschichte eines Lebens, in dem 30 Jahre lang Süchte und Saufen fast die einzigen Konstanten waren und in dem sich Jörg Michels an zehn Jahre kaum mehr als schemenhaft erinnert.

Ungewöhnlich nicht nur, dass er es nach seinem früheren Leben mit Alkohol und Drogen als Mittvierziger tatsächlich geschafft hat, eine Berufsausbildung zu machen und inzwischen ganz normal seinem Job als Elektroniker für Maschinen- und Antriebstechnik nachgeht.

Michels, fußballbegeistert seit Kindheitstagen und bis vor kurzem auch einige Jahre bei den HEMPELS-Kickern aktiv, trainiert beim Kieler Verein SV Friedrichsort eine um Punkte kämpfende Kreisklassen-Mannschaft, in der überwiegend Flüchtlinge spielen. Anfang dieses Jahres erhielt er, auch stellvertretend für den Verein, für diese »hervorragende Flüchtlingsarbeit« aus den Händen von Ministerpräsident Torsten Albig die Medaille »Schleswig-Holstein hilft« überreicht.

»Eine Suchtkarriere, so wie sich die Leute das immer vorgestellt haben« Aus Schleswig stammt Jörg ursprünglich, und man muss sein früheres Leben nicht bis in jeden Winkel ausleuchten, um zu erkennen, dass seine spätere Wandlung fast einem Wunder gleicht.

Das Elternhaus hat er als »nicht lange behütet« in

Erinnerung, Schule lief eher nebenher, trotzdem schafft er noch einen ordentlichen HauptschulAbschluss. Er lehnt sich als Jugendlicher gegen das Establishment auf, färbt sich die Haare bunt, bekommt den Spitznamen »Ratte« und tritt in eine Punk-Band ein; er kann Klavier, Schlagzeug, Bass und Gitarre spielen. Aber schon in ganz jungen Jahren nimmt der Alkohol eine große Rolle in seinem Leben ein. »Eine Suchtkarriere, so wie sich die Leute das immer vorgestellt haben«, sagt er heute und lacht laut.

Mit zwanzig zieht er der Liebe wegen nach Kiel und lebt weiter sein Leben als Punk. »Unser Leitsatz war damals, nie im Leben zu arbeiten«, sagt er, zum Alkohol kamen Tabletten, Haschisch, »überhaupt alles, was so da war«. Zwischendurch, mit dreißig, »ein kleines Hoch«, wie er es nennt, als er seinen Führerschein macht und eine Lehre als Elektromaschinenbauer beginnt. Bald stürzt er wieder ab, beendet die Lehre vorzeitig, verliert seinen Führerschein, wird eine Zeit lang obdachlos. Es beginnen die zehn Jahre, an die sich Jörg Michels heute kaum mehr erinnert, als »dass ich unausstehlich war und mich dem Suff hingegeben habe. Nachts musste ich alle zwei Stunden zur Flasche greifen, morgens war ich erster Kunde im Supermarkt und abends letzter.«

»Die Welt will noch was von dir!« 2007 bemerkt er, dass ihn der Gebrauch illegaler Drogen zunehmend psychisch fertig macht.

Er hört auf damit, lässt sich substituieren, fliegt aber zunächst wieder raus aus dem Programm, weil er sich den Alkohol nicht verbieten lassen will. 2009 - er gehörte damals bereits der HEMPELS-Fußballmannschaft an und erfährt darüber eine erste Stabilisierung seines Alltags - die entscheidende Wendung: Betrunken stürzt er nach einem Krampfanfall eine Treppe hinunter

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Hempels Footballer (Foto: j. rg. michels)

und wacht am nächsten Morgen im Krankenhaus auf. »Da dachte ich: Alter, die Welt will noch was von dir!« Seitdem ist Jörg auch vom Alkohol weg.

Schritt für Schritt kämpft er sich weiter hoch.

Bis vorletztes Jahr gehörte er zum Stamm unserer Fußballmannschaft und nahm an drei Deutschen Straßenfußball-Meisterschaften teil. Beim DLRG bekam er während der Sommersaison am Strand Jobs als Ein-Euro-Kraft und später als Vorarbeiter. Er beginnt nach einem Computerkurs 2011 schließlich bei einer Kieler Firma ein Praktikum, um mal in seinen alten Job reinzuschnuppern. 45 ist er, als ihn der Chef fragt, ob er nicht doch noch mal eine Ausbildung beginnen wolle.

Er will. Dreieinhalb Jahre geht er - mittlerweile seit 25 Jahren verheiratet und zweifacher Vater sowie dreifacher Opa - »mit 18-jährigen Jungs« in Neumünster in eine Berufsschulklasse. »Ich wurde von denen aber voll gut aufgenommen«, sagt er und lacht wieder sein Lachen.

Zwischendurch hat er vor ein paar Jahren auch die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) bestanden, um den vor Jahren betrunken verlorenen Führerschein zurückzubekommen.

Seit gut eineinhalb Jahren arbeitet er nun fest angestellt in seinem Ausbildungsbetrieb. Er, der früher als sein Lebensziel sah, nie arbeiten zu wollen, sagt heute, dass »es kaum Tage gibt, an denen ich nicht gerne zur Arbeit gehe. Nach so langer Zeit diese Chance bekommen zu haben, ist großartig.«

Das Leben mit Süchten und Drogen muss keine Einbahnstraße sein, auch dafür steht Jörg Michels. Wie sehr er das alte Leben hinter sich gelassen hat, ist ihm schon äußerlich anzusehen. Auch HEMPELS-Mitarbeiter, die zuletzt vor Jahren in der schwersten Phase seiner Suchterkrankung mit ihm in direktem Kontakt waren, mögen jetzt fast nicht glauben, welche Wende ihm gelungen ist.

Geblieben als Lebenskonstante ist ihm die Liebe zum Fußball. Schon mit fünf Jahren war er damit angefangen, später als junger Punk spielte er in Schleswig in der Bezirksliga. Seit sechs Jahren ist er beim SV Friedrichsort wieder auf und neben dem Platz aktiv. Im Frühjahr hat er die Trainer-C-Lizenz erworben und trainiert die in der Kreisklasse spielende dritte Herrenmannschaft des Vereins. Seit vor gut einem Jahr rund 30 junge Menschen aus der benachbarten Erstaufnahme Schusterkrug das Friedrichsorter Trainingsgelände entdeckten, ist aus der Mannschaft ein fast reines Flüchtlingsteam geworden.

»Anfangs kamen sie nicht pünktlich und besaßen keine Klamotten« Mit Irakern und Iranern, Syrern und Afghanen arbeitet Michels jetzt auf dem Platz, »viele Einzelkämpfer sind darunter«, sagt er, »anfangs kamen sie nicht pünktlich und besaßen keine Klamotten.« Fußballschuhe hat er dann organisiert und langsam ein Team geformt. Die vergangene Spiel-

zeit wurde als Tabellensiebter abgeschlossen, »in der neuen Saison hoffen wir auf den Aufstieg«.

Die Arbeit mit den Flüchtlingen bedeutet Jörg Michels viel, »was die Jungs leisten, ist spitze; ich bin total stolz auf sie«. Und das Team ist stolz darauf, in der Integrationstabelle der Sparda-Bank - einem speziellen Ausweis besonders gelungener fußballerischer Arbeit mit Flüchtlingen - unter insgesamt 800 Teams aus Schleswig-Holstein den zweiten Platz einzunehmen.

Eine Frage bleibt noch, die Frage nach der Motivation bei seiner fußballerischen Arbeit mit Flüchtlingen. »Niemand verlässt freiwillig seine Heimat«, antwortet Jörg Michels, »wir konnten sie doch nicht einfach wegschicken, als sie bei uns auf dem Platz standen.« Man muss Aufgaben annehmen, wo sie sich stellen, will er sagen.

Er weiß ja schließlich selbst, wie viel Kraft sich daraus ziehen lässt; man muss ihm bloß in seine lachenden Augen schauen.

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Hempels / INSP.ngo

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Kunstgenuss, müder Lärm oder die pure Belästigung?

Live-Musik in der Bahn – ein Drahtseilakt für alle Beteiligten TEXT: Scharmann

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ictor, Cristina, Lorena und Antonia Nur wenige unter denjenigen, die eine Straßenzeitung kaufen, werden davon gehört haben, dass zwischen den vielen Redaktionen dieser Zeitungen die neuesten Ausgaben seit Jahren ausgetauscht werden. Zumindest im deutschsprachigen Raum besteht eine lange Tradition, und selbstverständlich werden die Ausgaben der anderen begutachtet, bestaunt, bewertet und nach Themen durchforstet, die für die eigene Arbeit interessant sind.

Ein Text, über den wir uns vor Kurzem unterhalten haben, weil er uns sehr berührte, war ein Beitrag von Benjamin Laufer, der in der 283. Ausgabe des Hamburger Straßenmagazins Hinz & Kunzt erschien (September 2016). Der Autor schreibt zu einem Thema, das alle, die mit dem öffentlichen Personennahverkehr unterwegs sind, mehr oder weniger beschäftigt, aber sie auch polarisiert: Live-Musik in der Bahn.

Eingangs macht Herr Laufer uns mit Victor, einem Saxofonisten, bekannt, der mit seiner Frau Cristina und ihren beiden Töchtern Lorena und Antonia in Hamburg lebt. Der Autor stellt uns das bescheidene Zuhause der Familie vor, in dem es wohl nicht sehr behaglich ist, aber am Nötigen nicht fehlt, wie er beschreibt: Schrank, Bett, Tisch mit Stühlen, Schlafsofa, auch einen Röhrenfernseher gibt es. Für ihr Krabbelkind Antonia hat Victor einen Teppich aufgetrieben: »Es ist das karge Heim einer Familie, die bis vor Kurzem davon lebte, in Hamburgs S-Bahnen Musik zu machen und die Fahrgäste dafür um Spenden zu bitten. Meistens in der Linie S1 auf dem Weg zum Flughafen – die Touristen dort seien am spendabelsten.« Aus den Angaben zu Victors Einnahmen lässt sich darauf schließen, dass seine Familie mit etwa eintausend Euro alle anfallenden Kosten bestreiten musste: sämtliche Fixkosten wie Miete, Wasser, Strom und so weiter, Nahrung, Kleidung, Windeln. Mit diesem Budget liegen sie mit fast eintausend Euro unter der Armutsgrenze, die hierzulande für eine vierköpfige Familie gilt: 1 926 Euro.

Mit Kanonen auf Spatzen Diese Tatsache hilft uns beim Umdenken. Wenigstens einige der Musikanten, die mit ihrer Musik in der Bahn Geld zu verdienen versuchen, sind aus purer Not am Start. Zumindest verdienen sie unser Verständnis, denn sie haben diese geringen Spenden, die sie einnehmen, vielleicht bitter nötig.

In diesem konkreten Fall bringt Benjamin Laufer eine besonders bedrückende Situation an die Öffentlichkeit:

Victor ist Diabetiker und braucht sein Insulin. »150 Euro kosten die Medikamente im Monat – eine Krankenversicherung hat er nicht. Und deshalb reicht das Geld oft nicht.« Aus diesem Grunde spart Victor am Insulin - eine Entscheidung, die nicht nur seine Lebensqualität entscheidend und spürbar verschlechtert, sondern seine Lebenserwartung mit Sicherheit verkürzt.

Auf einem vollkommen anderen Niveau argumentieren die Vertreter der Verkehrsbetriebe. Ihrer Auffassung nach ist es ausgeschlossen, dass Live-Musik in den Bahnen zulässig ist. Die Lala verstößt gegen die Beförderungsbestimmungen, und damit ist es sämtlichen Fahrgästen untersagt, in den Fahrzeugen oder auf den Betriebsanlagen zu musizieren. Deshalb können die Tageskarten der Musizierenden wegen des Verstoßes gegen die Regelungen eingezogen werden. Sie werden ungültig. So lautet das Beförderungsgesetz.

Es schließt Victor und alle anderen Musiker in den Bahnen ein. Und aus.

In der Hauptstadt gelten andere Regeln, könnte man meinen. Sehr aufgeräumt und tolerant beschreibt zum Beispiel Armin Lehmann für den Berliner Tagesspiegel: »Blaskapellen, Gitarristen, Minnesänger, Tenöre – alles ist dabei. Und mittendrin sind da noch die Obdachlosenverkäufer und andere Menschen, die versuchen, »ein bißchen Kleingeld oder etwas Essbares« zu erbetteln. Das alles ist in Ordnung und völlig normal in einer Großstadt.« Vielen Dank für diese Größe, Herr Lehmann!

Herr Thomas Loy und Frau Marine Mugnier hatten im selben Blatt schon ganz anders aufgetrumpft: »Kein Pardon für fahrende Musikanten« überschrieben sie ihren Beitrag und titelten gegen die Plagegeister: »Deren Verhalten hat für manche schon »Hütchenspieler-Potenzial«.« Ausgesprochen dümmlich meinten sie damals: »Mit den Touristen kommen die Straßenmusiker nach Berlin.« Blöddreist bis zum Abwinken, doch dicht gefolgt von der Einsicht: »Musik zu machen, ist eine der letzten genehmigungsfreien Erwerbsquellen in der Stadt.« Das stimmt zwar beides nicht – weder für die Stadt, noch für den Planeten -, aber wen interessiert es?

Die marodierenden Trompeterclans Das ist natürlich alles Unsinn, aber ließ sich noch steigern, denn es »fühlen sich immer mehr Berufspendler in BVG und S-Bahn von fahrenden Trompeterclans aus Osteuropa belästigt.« Zweifellos eine exakte Wahrnehmung: Erst ging der Plan, dann kam der Clan. Doch es kommt noch besser: Sofort

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BRENNPUNKT | 23

Hinz&Künztler Victor hat lange in Zügen musiziert und danach um Geld gebeten.(Foto © Mauricio Bustamante)

doch gleich doppelt so lange leben!

Aber zurück nach Hamburg. Benjamin Laufer hat etwas Wunderbares getan: Die Deutsche Bahn, Betreiberin der Hamburger S-Bahn, bezichtigte die Bahnmusiker der organisierten Bettelei. Sogar Flugblätter wurden herausgebracht, mit denen die Fahrgäste dazu aufgefordert wurden, den Musikern kein Geld mehr zu geben.

Dort stand: »So wird der Hamburger Nahverkehr unattraktiv für organisierte Bettelei.«

Herr Egbert Meyer-Lovis

ist von einer »Bettelindustrie« der osteuropäischen Zuwanderer die Rede. Zurecht, zurecht!

Denn was uns am meisten im Nahverkehr nervt, ist nicht die um sich greifende Sauferei, sondern der verschämte Singsang. Unserem Charakter entsprechend muß es etwas aus dem Osten sein.

Der Fahrgastverband sieht es genauso. Aha, Sie staunen: Ja, es gibt einen Fahrgastverband! Und der kümmert sich um uns Fahrgäste - zwar eher im Verborgenen, aber da passiert schon irgendwas.

Der Berliner Fahrgastverband soll IGEB heißen, ihr Sprecher ist wohl (immer noch?)

Jens Wieseke. Er meint: »Was in den Zügen passiert, ist hart am Rande der Nötigung. Die Musiker müssen raus aus den Zügen«, fordert er. Sehr richtig! Vor allem die mit den zu großen Streichinstrumenten! Und alle Blechbläser! Und jeder, der vor sich her summt! Oder brummelt – das ist auch Musik! Ich habe das jetzt erst einmal nicht weiter recherchiert, aber hoffe sehr, dass diese Kolleginnen und Kollegen vom IGEB ihren Aufgaben gewissenhaft und unbestechlich nachgehen. - Es gibt einen Fahrgastverband! Lasst uns alle Feiern! Da will man

Herr Laufer zitiert den Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis: »Aufgrund der Erfahrungen und Zusammenarbeit mit den ermittelnden Behörden hat sich gezeigt, dass oft hinter den 'Musikern' eine Organisation steht.« Dann fragte Herr Laufer bei der zuständigen Bundespolizei und bei der Hamburger Staatsanwaltschaft nach: »Beide haben keine solchen Erkenntnisse über eine mögliche Musiker-Mafia in den SBahnen.« Danke, Herr Laufer! Und wieder wurde ein loser Lügner ausgemacht.

Ich nehme mal an, dass sich alles bald in etwa so aufklärt: Der Sprecher (!) Egbert MeyerLovis ist ein Mann der Fahrgastverbandsmafia und verfolgt irgendwelche dubiosen Pläne, für die alle Sprecher irgendwo nur zu gut bekannt sind. Es geht ihm um irgendetwas, womit die Fahrgastindustrie enorme Profite erzielt und diese gerne mit Herrn EML teilen möchte. Das liegt doch auf der Hand! Aus welchem anderen Grunde sonst sollte der Mann lügen?

Victor und seiner Familie wird es bald viel besser gehen. Zurzeit verkaufen sie die »Hinz & Kunzt«, aber es werden sich drei, vier Hamburger Schulen finden, die für ihre Grundschüler Saxofonunterricht anbieten wollen. Hier an der Schule unserer Tochter fehlt es gerade an zwei Gitarrenlehrern. So verschieden wird es hier und da nicht zugehen. Und wenn Sie jetzt eine gute Idee haben, dann rufen Sie Ihre Freundin oder Ihren Freund in Hamburg an! Das sind Sie mir schuldig! Immerhin habe ich schon diesen langen, laaangen Text geschrieben.

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Vera ns t a l tu ngs t i p ps

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skurril, famos und preiswert!

Veranstaltungstipps aus unserer Redaktion 01 05

01 FÜHRUN G

Abendlicher Kranicheinflug Der NABU Berlin bietet jährlich im Herbst von der Storchenschmiede Linum aus zahlreiche Führungen zu den zu dieser Jahreszeit in den Linumer Teichgebieten rastenden Kranichen an. Dabei ist der Veranstalter der Führungen bemüht, den Besuchern das Beobachten des beeindruckenden Schauspiels des Kranich- und Gänsezugs zu ermöglichen und gleichzeitig Störungen der empfindlichen Vögel zu vermeiden. Den Besuchern wird viel Interessantes über Kraniche und Gänse vermittelt. Für die Führung gilt: Dunkle, wettergerechte Kleidung und festes Schuhwerk mitbringen.

23. September – 16. November Jeweils Fr, Sa, So am späten Nachmittag

Preis: 8 Euro, NABU-Mitglieder und Kinder bis 12 Jahre 5 Euro Anmeldung erforderlich unter: 033922 – 50500

04 05

Treffpunkt: Nabu Storchenschmiede Linum Nauener Str. 54 16833 Fehrbellin OT Linum Info: https://berlin.nabu.de/

04 AU SSTELLUNG 03 STA DTF Ü HRU N G

Betteln, Arbeitszwang und Rebellion 02 W ORKSHOP

»Kontakthof« – tanzen Selber tanzen! Der Workshop bietet den Besuchern der Ausstellung »Pina Bausch und das Tanztheater« die Möglichkeit, gemeinsam mit derzeitigen oder ehemaligen Ensemblemitgliedern des Tanztheater Wuppertal zu tanzen. In den mindestens 90-minütigen Trainingseinheiten können die verschiedenen Unterrichtsinhalte der jeweiligen Workshop-Leitung – seien es Körperübungen, Bewegungstechniken oder choreografische Formen – ausprobiert, geübt und vertieft werden. Für Menschen ab 15 Jahre. Dauer: 180 min., maximale Teilnehmerzahl: 20.

07. & 8. Oktober, jeweils 11 Uhr Eintritt frei mit Ausstellungsticket

Voranmeldung erforderlich: Tel: 030 - 30 254 860

Eine Stadtführung zur Geschichte der Armut in Berlin. Die historische Spurensuche zeigt den Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit Armen vom Mittelalter bis ins 19.

Jahrhundert. Gegen Regulierung, Kriminalisierung und Arbeitszwang entwickelten sich vielfältige Formen des Widerstandes: Widerstand auf der Straße, in Literatur, Kunst und sozialen Initiativen. Eine Stadtführung von »Frauentouren«.

4. Oktober, 17 – 19 Uhr Beitrag: 5 Euro

Martin-Gropius-Bau Niederkirchnerstraße 7 10963 Berlin

Treffpunkt: Ecke Koppenplatz/ Linienstraße 10115 Berlin-Mitte

Info: www.berlinerfestspiele.de

Info: www.frauentouren.de

Mensch und Metropole Jürgen Bürgins Fotografien sind Momentaufnahmen von Menschen in Großstädten wie Berlin, New York, Tokio, Shanghai und Barcelona. Die von 2009 bis 2015 entstandene Fotoserie zeigt vielschichtige Porträts dieser Städte und der dort lebenden Menschen. Der Neuköllner Fotograf ergründet mit seinen Fotografien das Abseitige, die Getriebenheit das Eilige aber auch stille Verharren in den Metropolen der Welt.

Es sind kurze, vermeintlich beliebige Augenblicke aus dem Leben der Großstädter und der Stadt selbst. Das Projekt wird unterstützt von der Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten.

Noch bis 13. November • Eintritt frei Öffnungszeiten: Di – So 10 – 20 Uhr

Galerie im Saalbau Karl-Marx-Str. 141 12043 Berlin Info: http://www.juergenbuergin.com/ mensch-und-metropole/ Foto: © Jürgen Bürgin

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Vera ns t a l tu ngs t i p ps

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VORSCHLAGEN

Sie haben da einen Tipp? Dann senden Sie ihn uns an: redaktion@strassenfeger.org Je skurriler, famoser und preiswerter, desto besser!

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05 K INO

Citizen Kane Citizen Kane gilt heute vielen als der beste Film aller Zeiten. Orson Welles war erst 27, als er ihn 1941 drehte. Der Film schildert in Rückblenden das Leben des Medienzars Charles Foster Kane.

Als vielfacher Millionär herrscht dieser Jahrzehnte über unzählige Zeitungen und Radiostationen. Zu einem korrupten und machtgierigen Menschen geworden endet er schließlich in der völligen Einsamkeit seines geheimnisvollen Anwesens Xanadu. »Rosebud« ist das letzte Wort auf seinen Lippen, bevor er stirbt. Ein Journalist verfolgt die Spur dieses Rätsels und deckt ein faszinierendes Leben auf.

Der Film (119 min) ist in der Originalfassung zu sehen.

8. & 15. Oktober, jeweils 19:30 Uhr Tickets: 7,50 Euro, Berlin-Pass: 3 Euro

Kino Arsenal Potsdamer Straße 2 10785 Berlin Info: www.arsenal-berlin.de Foto: public domain

08 M U LTI M E DIA

06 W O RK S H O P

Ich-kann-nichtsingen-Chor Singen befreit von den Lasten des Alltags, beflügelt Seele und Sinne und stärkt das Immunsystem. Und: Singen ist Kult! Der »Ich-kann-nicht-singen-Chor« ist ein Erfolgsprojekt, für das die Urania und der Ich-kann- nichtsingen-Chor 2014 mit dem Innovationspreis des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ausgezeichnet wurden.

Zum Chor sind alle eingeladen: Diejenigen, die sonst nur alleine singen, diejenigen, die meinen, sie könnten nicht singen, und diejenigen, die sich bisher nicht zu singen trauten.

9. Oktober, 11 Uhr Teilnahme: 12 Euro, ermäßigt 10 Euro

Urania Berlin e. V. An der Urania 17 10787 Berlin Info: www.urania.de

Pink Floyd - The Wall 07 G E B R AU C HTE S

Riesenflohmarkt am Berliner Ostbahnhof Das Berliner Flohmarkt-Highlight des Jahres für junge Leute, hartgesottene Sammler, Secondhand-Freaks, aber auch für die ganze Familie: An Vielfalt und Stimmung nicht zu schlagen lädt der Riesenflohmarkt am Berliner Ostbahnhof am langen Feiertagswochende zum gemeinsamen Feiern und Flanieren ein. Beim Angebot von mehr als 600 ausgewählten und gut gelaunten Händlern im Freien und 100 Anbietern im Ostbahnhof lässt sich so manches Schnäppchen machen.

Das 1979 erschienene Album "The Wall" der britischen Band Pink Floyd erzählt die Geschichte von Pink, einem jungen Mann, der nach Überbehütung durch die Mutter, Grausamkeit der Lehrer und einer unglücklichen Ehe eine imaginäre Mauer um sich errichtet. Durch sie ist Pink von sozialen Kontakten weitgehend abgeschirmt und verzweifelt daran.

Starlight Productions hat aus dieser Geschichte und der Musik von Pink Floyd eine faszinierende 360-GradMultimedia-Choreographie geschaffen, die die Inhalte der Songs auf ganz neue Weise visualisiert. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie 66 Minuten lang einen Meilenstein der Rock-Geschichte! Für Menschen ab 16 Jahre.

2. & 3. Oktober, jeweils ab 9 Uhr

8. Oktober, 18 Uhr Tickets: 9,50 Euro, ermäßigt 7,50 Euro

Direkt am Ostbahnhof Erich-Steinfurth-Straße 1 10243 Berlin

Wilhelm-Foerster-Sternwarte Munsterdamm 90 (Am Insulaner) 12169 Berlin

Info: http://oldthing.de/BerlinerFlohmarkt/

Info: www.planetarium-berlin.de Foto: Starlight Productions

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m o b e. V.

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Wohnungslos und vergessen: Familien mit Kindern in Berlin T E X T & FOTO S: M a ra F i s c h e r

D

er Verlust von Wohnraum oder einer Unterkunft stellt eine existentielle Krise für Familien dar. Insbesondere Kinder sind einer sehr hohen Belastung ausgesetzt. Diese verlieren beim Wohnungsverlust nicht nur das Dach über dem Kopf, sondern auch ihr soziales Umfeld. Wohnung und Wohnumfeld sind ein zentraler Lebens- und Erfahrungsraum für Kinder und Jugendliche und setzen somit die Rahmenbedingungen für ihre Sozialisation. Genaue Zahlen, wie viele Familien und minderjährige Kinder in den einzelnen Bezirken der Stadt Berlin von der Wohnungslosigkeit ihrer Eltern betroffen sind, existieren nicht.

In Berlin gibt es bisher nicht genügend adäquate und ausreichende Angebote für wohnungslose und obdachlose Familien und ihre Kinder. Dabei dürfen auch Kinder (»Straßenkinder«) ohne Eltern nicht vergessen werden.

Flüchtlingskinder sind auch von der Wohnungslosigkeit betroffen Die Zahl der nach dem ASOG (Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin) untergebrachten Familien mit Kindern ist eklatant angestiegen, alleine im Bezirk Neukölln auf etwas mehr als 20 Prozent.

Die Tendenz ist steigend. Dort wurden im Jahr 2015 ca. 1 000 Kinder mit ihren Eltern behördlich untergebracht, in Einrichtungen für Wohnungslose. Zunehmend werden auch Pensionen und Hotels genutzt. Flüchtlingskinder sind auch von der Thematik betroffen, diese sind bei den Statistiken bisher noch nicht umfassend berücksichtigt. In den Unterkünften leben Menschen in unterschiedlichsten sozialen Schwierigkeiten auf sehr engem Raum und häufig ohne jegliche weitere Unterstützung. Kinder sind dort oftmals von suchtkranken und langjährigen Wohnungslosen umgeben, welche eigene Probleme und Auffälligkeiten vorweisen. Bei akuter Wohnungslosigkeit gibt es für Familien nur die Möglichkeit über die Soziale Wohnhilfe der Bezirksämter zu gehen, für weiterführende Hilfen im Rahmen der Kinderund Jugendhilfe liegt die Zuständigkeit bei den Jugendämtern. Spezielle Angebote für Familien sind noch nicht in ausreichender Zahl vorhanden.

Die Betreuung von Familien mit Kindern ist nicht möglich, wie es die Betroffenen benötigen Die Jugendämter in Berlin sehen mit der Beseitigung der akuten Wohnungslosigkeit durch die erfolgte Unterbringung oft keinen gesetzlichen Handlungsauftrag. Die Betreuung von ordnungsrechtlich untergebrachten Familien mit Kindern nach dem SGB XII ist aufgrund der desolaten Personalsituation in vielen Behörden und bestehenden Unterbringungsangeboten

Diese drei Kinder fanden mit der Mutter Schutz im Familienzimmer bei mob e.V.

nicht in dem Umfang möglich, wie es die Betroffenen benötigen. Das Sozialamt im Bezirk Reinickendorf ist bisher das einzige, welches auf die zunehmende Tendenz wohnungsloser Familien reagiert und eine Abteilung für diesen Personenkreis eingerichtet hat. Für Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, gibt es in Berlin Frauenhäuser und Kriseneinrichtungen.

Der Anteil von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (EU-Bürger und andere), welche niedrigschwellige Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe aufgrund ihrer akuten Notsituation aufsuchten, lag im Jahr 2014 bei 37,4 Prozent.

Die Anzahl der Kinder wurde nicht immer vollständig erfasst. Während der Kältehilfeperiode (Oktober bis Ende März) in Berlin ist die Zahl deutlich höher. Für die Volksgruppe der Roma, sofern Leistungsansprüche für Transferleistun-

gen geltend gemacht werden können, gibt es in Berlin insgesamt elf Zufluchtswohnungen über den Verein »Phinove« e. V.

Familien in Notlagen mit minderjährigen Kindern können nicht abgewiesen werden Die Notübernachtung von obdachlose machen mobil e.V. hat aus gegebenen Anlass im März 2016 ein Familienzimmer eingerichtet.

Ein erhebliches Problem sind obdachlose Familien mit Kindern. Sie dürfte es nicht geben.

Nicht einen Tag, nicht eine Nacht! Des Öfteren kommt es vor, dass nachts Familien mit kleinen Kindern vor der Tür der Notübernachtung stehen und ein Obdach suchen. Es müssen häufig Menschen abgewiesen werden, weil die Platzkapazitäten ausgeschöpft sind. Familien in

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m o b e . V.

AUS DER REDAKTION | 27

Gerade für kleine Kinder, die krank sind und Schlaf brauchen, ist dies eine unzumutbare Situation. Deshalb wurde nun liebevoll ein Familienzimmer eingerichtet, wo im Notfall die Familie für eine Nacht untergebracht werden kann. Das wichtigste ist, dass die Familien erst mal eine menschenwürdige Grundversorgung erhalten, ein wenig Ruhe und vor allem die Möglichkeit in einem warmen und sauberen Bett zu schlafen.

Eigentlich müsste sofort eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden. Damit diesen Familien eine Zukunft in der eigenen Wohnung und gegebenenfalls erzieherische Hilfe und Unterstützung in aufenthaltsrechtlichen Fragen gegeben werden kann. Das neue Familienzimmer bei mob e.V. in der Storkower Str. 139 c soll als Auffanglösung für obdachlose Familien in Not

fungieren. In unserer Notübernachtung tauchen auch immer häufiger hochschwangere Frauen auf, auch das ist besorgniserregend. Es brauchen immer mehr Familien mit Kindern Hilfe.

Besonders besorgniserregend ist die steigende Zahl von wohnungslosen Familien, welche aus anderen EU-Staaten kommen und in Deutschland keine Leistungsansprüche geltend machen können. Oder von wohnungslosen Familien die keine Aufenthaltserlaubnis haben und illegal, aus rechtlicher Sicht, in Deutschland sind. Hier kam es schon vor, dass wir Familien mit Kindern wieder in die Wohnungslosigkeit, auf die Straße, entlassen mussten, weil es keine Rechtsgrundlage gibt, um diese Menschen in das Regelsystem zu bringen. Dies könnte evtl. gerichtlich durchgesetzt werden, aber hier fehlen uns die personellen Kapazitäten.

Vor dem Eintritt in die Wohnungslosigkeit müsste es in Berlin mehr präventive Maßnahmen und Fachstellen geben. Es müssten ressortübergreifende Netzwerke zwischen Jugend, Soziales und Stadtentwicklung installiert werden. Auch die Einrichtung einer zentralen Fachstelle zur besseren Kooperation der beteiligten Behörden und eine Anpassung der Personalsituation in den Ämtern ist zwingend notwendig (gerade für die »aufsuchende Hilfe«). Auch die Beschleunigung behördlicher Verfahren (Berechtigung zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen, JobCenter, etc.) und der zügige Ausbau des Sozialen Wohnungsbaus sind sehr wichtig.

Diese hilfesuchende schwangere Frau wurde mit ihrer Tochter ebenfalls im Familienzimmer von mob e.V. untergebracht.

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*

Notlagen mit minderjährigen Kindern können nicht abgewiesen werden. Kinder brauchen Schutz. Diese Familien werden dann erst einmal aufgenommen und es wird versucht, diese an entsprechende Institutionen zu vermitteln.

Leider kann das lange dauern. Es kommt auch vor, dass die Frauenhäuser in Berlin und Brandenburg belegt sind und Kriseneinrichtungen in der Notübernachtung anrufen, um Frauen und deren Kinder in dem Familienzimmer von mob e.V. unterzubringen.

In unserer Notübernachtung tauchen auch immer häufiger hochschwangere Frauen auf

tung ausschließlich für Familien, Schwangere und Jugendliche geschaffen. Dabei sind solche Unterkünfte so wichtig, da insbesondere Kinder und Jugendliche nicht in eine Notunterkunft gehören. In einem so jungen Alter sollten sie noch nicht mit Suchtmittelabhängigkeit in Berührung kommen.

Interview mit dem Sozialarbeiter Samyr, welcher in der Notübernachtung von mob e.V. seit 2007 arbeitet: Redaktion strassenfeger: Wie schätzt du die Situation von obdachlosen Familien in Berlin momentan ein?

Sozialarbeiter Samyr: Ich persönlich habe den Eindruck, dass das Problem in den letzten zwei Jahren stark zugenommen hat. Seit der Eröffnung der neuen Notunterkunft im Oktober letzten Jahres begegnen wir immer wieder obdachlosen Familien. In der alten Notübernachtung von mob e.V. gab es das so gut wie gar nicht. Obdachlose Familien sind inzwischen viel präsenter geworden. Wir selbst hatten im letzten Jahr sieben Fälle, in denen wir Familien aufgenommen haben.

Wie viele obdachlose Familien gibt es denn in Berlin?

Es gibt keine genauen Zahlen. Dadurch, dass das Problem erst seit kurzem als solches wahrgenommen wird, wurden bisher kaum Daten dazu erhoben. Ein Wachstum lässt sich aber allein schon daran festmachen, wie viel präsenter die Familien inzwischen geworden sind.

Was für Familien begegnet ihr?

Oft haben die Menschen ausländische Wurzeln, viele kommen aus den Balkanstaaten. Insbesondere für diese Familien ist es hier schwierig, Fuß zu fassen, da kein Leistungsanspruch besteht. Doch auch auf deutsche Familien treffen wir immer wieder. In solchen Fällen wurde meist

Sozialarbeiter Samyr vor der Notunterkunft von mob e.V.

bis zum letzten Moment gewartet, Energie- und Miet-Schulden angehäuft und das Jugendamt zu spät eingeschaltet. Viele wissen auch nicht, an wen sie sich wenden können, eine richtige Anlaufstelle gibt es für Familien in einer solchen Situation nicht. Auch Frauenhäuser sind inzwischen immer öfter überbelegt. In solchen Fällen rufen dann Stellen wie die BIG-Hotline bei uns an und versuchen, die Familien bei uns unterzubringen.

Wie kommt es, dass trotz der wachsenden Zahl an obdachlosen Familien keine Hilfsangebote geschaffen wurden?

Man ist sehr lange davon ausgegangen, dass es in Berlin keine obdachlosen Familien gibt.

Das Problem lag nie im Fokus der Verantwortlichen. Wir hoffen allerdings, dass es nun zu einer Veränderung kommt. Letztes Jahr wurde in der Berliner Kältehilfe zum ersten Mal eine Einrich-

Sind weitere solche Anlaufstellen in Planung?

Die Berliner Kältehilfe will auch dieses Jahr wieder eine solche Unterkunft schaffen. Sehr erfreulich ist es außerdem, dass Anfang September dieses Jahres durch das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte e.V. in der Taborstraße 17 eine weitere Unterkunft eingerichtet wurde, die ab sofort insgesamt 12 Plätze für Familien, Schwangere und Jugendliche in der Obdachlosigkeit bietet.

Wie geht ihr bei mob e.V. mit dem Problem um?

Kurz nach der Eröffnung der Notübernachtung haben wir für Notfälle ein Familienzimmer eingerichtet. Dieses fungiert als Auffanglösung für obdachlose Familien in Not. Diese können dann vorerst bei uns unterkommen, eine Langzeitlösung stellt das jedoch nicht dar. Unser Ziel ist es dann immer, eine langfristige Lösung zu finden oder die Familien an eine geeignetere Stelle zu vermitteln. Leider ist das nur sehr selten möglich, immer wieder müssen Familien wieder in die Obdachlosigkeit entlassen werden, da es keine adäquaten Lösungen gibt. Das ist natürlich für die Familien ganz fatal und auch für die Sozialarbeiter und die ehrenamtlichen Helfer ist diese Situation sehr belastend. Effektiver Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

Ein Dach über dem Kopf

Foto: r.Werner Franke

Der Schlagersänger Björn Landsberg unterstützt die Spendenkampagne »Ein Dach über dem Kopf«!

Die Spendenkampagne »Ein Dach über dem Kopf« wurde von mob – obdachlose machen mobil e.V. und der sozialen Straßenzeitung strassenfeger gestartet, um obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen wirksam helfen zu können. Damit mob e. V. und strassenfeger diese Menschen wirksam und nachhaltig unterstützen kann, brauchen wir dringend Ihre Hilfe!

Ich unterstütze die Spendenkampagne »Ein Dach über dem Kopf« einmalig mit EUR

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R a t geb er

AUS DER REDAKTION | 29

Soziale Beratung ( S chwe rp u n kt H art z I V ) D i e n s t ag s 1 5 – 1 7 U h r i n d e r Sto rkowe r St r. 1 3 9d

REPRESSIONSVEREINFACHUNGSGESETZ TEIL 1 (Rechtsvereinfachungsgesetz) R ATG E B E R : J e t t e S t o c k f i s c h

G

anze vier Jahre haben die Verantwortlichen an diesem Gesetz, das eigentlich zur Rechtsvereinfachung dienen sollte, herumgedoktert. Ein Konzept ist nicht erkennbar. Eigentlich wurden die Wünsche von Bund, Ländern und Kommunen sowie der Bundesagentur für Arbeit gesammelt, verhandelt und in Gesetze gegossen. Eine der wenigen und wichtigen geplanten Verbesserungen wäre die Abschaffung der brutalen Sondersanktionierung junger Menschen unter 25 Jahren gewesen. Das Veto der CSU hat dies verhindert. Man muss sich schon christlich und sozial nennen, um Gesetze zu verteidigen, die vielfach als verfassungswidrig bewertet werden und junge Menschen bis in die Obdachlosigkeit treiben. Betroffenenverbände konnten eine Verschlechterung verhindern; dass der Staat sich nicht noch mehr an Alleinerziehenden bereichert, indem er sich Regelsatzteile der Kinder, wenn sie beim anderen Elternteil zu Besuch sind, in die »eigene Tasche« steckt.

Während es nur wenige Verbesserungen gibt, wie z.B. bei bestimmten Azubis und BAföGBeziehenden, die wieder ins SGB II und damit in die Krankenversicherung geholt wurden, gibt es jede Menge Verschlechterungen. Mehr und mehr Gesetze werden geschaffen, die die Regelsätze senken. Da die Gesetzgeber sie nicht direkt senken können, daran mäkelt das Bundesverfassungsgericht herum, werden immer mehr Gesetze geschaffen, um die Regelsätze indirekt zu kürzen - mit immer mehr Sanktionen, der Verschärfung der Mitwirkungspflichten, der Erweiterung von Aufrechnungen und Rückforderungen der Jobcenter sowie der Schaffung neuer Bußgelddelikte. Die Kriminalisierung der Armen schreitet voran. Ein weiterer Akt der Regelsatzkürzung ist die Verallgemeinerung des Begriffs des sozialwidrigen Verhaltens. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten für Betroffene massiv

eingeschränkt, zu Unrecht nicht gezahltes oder zu Unrecht zurück gefordertes Geld durch die Jobcenter zu erhalten.

Immer mehr von Hartz IV Betroffene müssen einen Teil der Miete zahlen. Sie zahlen jahrelang Darlehen für Kautionen, die bis 2011 als Zuschuss gezahlt wurden und Genossenschaftsanteile sowie für Kühlschränke, Waschmaschinen, Möbel ab oder müssen jahrelange Rückforderungen und Aufrechnungen bis zu 30 Prozent aus ihren Regelsätzen hinnehmen. Hinzu kommen rund eine Million Sanktionen im Jahr.

Da fast alle Gesetze seit dem 1. August 2016 gültig sind, sollen hier im ersten Teil die Gesetze vorab kurz angesprochen werden, bei denen Betroffene sofort handeln müssen, um Nachteile zu vermeiden.

Wenn SGB II-Leistungen komplett rückwirkend aufgehoben wurden, waren die Jobcenter verpflichtet, 56 Prozent der Miete nicht zurückzufordern. Auch wenn sich viele Jobcenter nicht daran gehalten haben, jetzt wurde diese Verpflichtung abgeschafft. Jedoch können Betroffene in diesen Fällen rückwirkend (schon seit 1.1.2016) Wohngeld beantragen. Wichtig: Das Wohngeld muss bis zum Ende des Folgemonats nach Erhalt des Aufhebungsbescheids beantragt werden. Das bedeutet: Erhalt des Aufhebungsbescheids am 15.8.- hier muss bis zum 30.9. der Antrag auf Wohngeld gestellt werden, um es rückwirkend zu erhalten.

Bezieher von BAföG, die bisher einen Wohnkostenzuschuss erhalten oder eine zweite duale Ausbildung absolvieren, denen dadurch keine Berufsausbildungsbeihilfe gewährt wird, sollten vorsorglich formlos und per Fax sofort einen Alg II-Antrag stellen, denn bei Alg II-Bezug wird

auch wieder die Krankenversicherung übernommen. Ebenfalls werden Alg II-Leistungen bei Aufnahme einer BAföG-geförderten Ausbildung bis zur Entscheidung über den BaföG-Antrag weiter erbracht. Auch hier gilt: vorsorglich formlos und per Fax einen Antrag auf Weiterzahlung stellen. Studierende mit eigenem Haushalt sind von beiden Leistungen weiter ausgeschlossen.

Der bisherige »Katalog« der Widersprüche, die keine aufschiebende Wirkung haben, wird durch das Entziehen des Leistungsanspruchs wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 SGB I) erweitert. Wer einen solchen Bescheid erhält und Widerspruch einlegt, muss sofort beim Gericht einen Antrag auf aufschiebende Wirkung des Widerspruchs stellen, um weiter Geld vom Jobcenter zu erhalten.

Im nächsten Teil wird das Sammelsurium neuer Gesetze zum SGB II fortgesetzt.

I N FO Mehr zu ALG II und Sozialhilfe: ›› »Leitfaden: ALG II/Sozialhilfe von A-Z« (Stand 1. 9. 2015) Preis: 13,50 Euro inkl. Versand Bestellung online: www.dvs-buch.de per Fax: 069/74 01 69 per Brief: DVS, Schumannstr. 51, 60325 Frankfurt weitere Hilfen unter www.tacheles-sozialhilfe.de www.erwerbslosenforum.de

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Ko l u m ne

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FÜR DICKES FELL Neues vom Besserwisser

D

ie Welt, von der wir umgeben sind, ist voller Dinge, aber in Wirklichkeit ist der Weltraum dermaßen leer, dass es kaum zu fassen ist. Wir treiben förmlich in einer Unmenge an Nichts. Unser Sonnensystem, das unser Dasein ausmacht, erstreckt sich über unvorstellbare Weiten. Dahinter, besser gesagt: rundherum kommt erst einmal sehr, sehr lange nichts. Sehr, sehr lange nichts. Wie unermeßlich groß das uns umgebende Nichts ist und ab wann man auf etwas trifft, das wieder betrachtet werden kann, ist so weit entfernt, dass wir bisher nur untaugliche Beschreibungen dafür haben: interstellarer Raum, Lichtjahre, Galaxien, die grüne Langeweile.

Proxima Centauri ist unser nächster Nachbar. Dieser Stern gehört zu einer Gruppe von drei Sonnen, die wir Alpha Centauri nennen. Sie ist nur viereinhalb Lichtjahre entfernt. Mit unserer heutigen Technik könnten wir schon in 20 000 Jahren Kontakt aufnehmen, wenn wir uns heute auf die Reise machen. Oder in 30 000 Jahren. Ankommen würden wir wieder in einem unverständlich großen Raum von Nichts. Prima!

Von dort geht es weiter zum Sirius. Noch einmal 20 000 oder 30 000 Jahre. Also noch einmal viereinhalb Lichtjahre. Oder sechs? Oder viel mehr? Das imponiert mir! Es ist also schwer einzuordnen, was die sinnvollen Wahrscheinlichkeiten der Kontaktaufnahme zu intelligenten Lebensformen betrifft. Der Weltraum ist so riesengroß, hoppla! Aber keine Überraschung!

Die Milchstraße soll ja zwischen 100 und 400 Milliarden Sterne enthalten. Heute wird angenommen, dass sie nur eine von 140 Galaxien ist. Verzeihung: Von 140 Milliarden Galaxien. Aber wissen Sie, was das bedeutet? Offensichtlich gibt es unzählige Zivilisationen.

Unsere Zivilisation ist also vielleicht nicht einmalig. Doch von draußen kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit für lange Zeit nichts, was unsere Lebensgrundlagen grundsätzlich zum Positiven verändern könnte. Soviel ist ganz sicher. Wir müssen also alles selbst in Ordnung bringen. Diese Einsicht klingt so offensichtlich, dass man keine weiteren Gedanken darauf verschwenden will.

Das ist es: Manchmal muss man sehr weit ausholen, um auf den Punkt zu kommen. Zwei Erkenntnisse haben wir nun gewonnen: Zuerst sind wir wohl auf uns allein gestellt. Dazu kommt, dass wir mit den Ressourcen, die uns unser Planet zu bieten hat, nicht nur auskommen, sondern vor allem haushalten müssen. Aus den Weiten des Weltalls werden wir keine Rohstoffe heranschaffen können. Jedenfalls nicht in einer Menge, die unser Überleben als Spezies sichern könnte.

Neu oder überraschend ist diese Erkenntnis nicht. Schon seit Jahrzehnten gibt es Untersuchungen dazu, ab wann wir an die Grenzen des Wachstums geraten. Beeindruckend ist jedoch auf jeden Fall, mit welcher Schludrigkeit unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter dieses Thema seit vielen Jahrzehnten beinahe vollständig ausblenden. Weil wir aber in einer von vielen Kriegen und Krisen erschütterten Welt leben, wird die entscheidende Frage, nämlich die Erhaltung unserer Art, immer wieder hintenan gestellt.

Erinnern Sie sich noch an die Sorge darum, dass durch die Treibhausgase die Ozonschicht zerstört werden könnte?

Dieses Thema spielt heute gar keine Rolle mehr. Wissen Sie, dass die Ozonschicht nur drei Zentimeter stark ist? Dieses schmale Band schützt uns vor jeder Menge an kosmischen Strahlen, die ansonsten verheerende Auswirkungen auf alles Leben auf unserem Planeten hätte.

Erschreckenderweise hat die Erdbevölkerung bisher keine in ihrem Interesse agierende Weltregierung zustande gebracht.

Die miteinander in Konflikt stehenden Interessen bestimmen unsere Wirklichkeit. Der Sinn des Lebens, nämlich die Erhaltung der eigenen Art, spielt in der Weltpolitik keine Rolle.

Es geht um die Aufteilung von Einflusssphären, um heutige und künftige Ansprüche, um Besitz und Einfluss. Milliarden Menschen bleiben außen vor.

Andererseits: Die Einsicht, dass die Rohstoffe unseres Planeten zur Neige gehen, und die Erkenntnis, dass die Reichtümer nicht länger ungerecht verteilt werden können, gehören zusammen. Nur auf diese Weise kann unsere Art überleben.

Klug wäre, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass es ist, wie es ist. Auf diese Weise – also im kosmischen Zusammenhang betrachtet – haben wir eine gute Chance, mit uns entspannter umzugehen. Mal sehen, was draus wird! Also auf eine moralische Weise und besser und anständig und nachhaltig auf einen Weg gebracht, für den wir uns bei unseren Nachkommen nicht entschuldigen müssen.

Zum Schluss noch diese Mitteilung: Nun gehören Sie zu einem erlesenen Kreis. Nur wenige Ihrer Freundinnen und Freunde, Verwandten, Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen usw. wissen so gut wie Sie, wie lange man bis zum Sirius unterwegs ist. Auch der Besserwisser, von dem dieser Text stammt, hat sich alles nur angelesen. Aber noch drei, vier Ausgaben, und Sie sind voll auf der Höhe, was die Relativitätstheorie betrifft. Versprochen!

strassenfeger | Nr. 17 | September/Oktober 2016

AUS DER REDAKTION | 31

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erscheint am 17. Oktober 2016

NAHTODERFAHRUNG SCHLEIMPILZE – DER BEGINN DER ZIVILISATION FLUCHT UND EXIL

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Spendentombola für den mob e.V. Wir wurden wiederholt zur »Tipi am Kanzleramt: 4. Vaudeville Variety Burlesque Revue« von der wunderbaren Berliner Drag-Queen Sheila Wolf eingeladen. An diesem Abend haben wir 800 Euro zugunsten der Notübernachtung für obdachlose Menschen eingenommen. Wir möchten uns dafür ganz herzlich bei Sheila Wolf bedanken.

Sie setzt sich für Toleranz und Gleichberechtigung ein und überführt ihren hart erarbeiteten Ruhm in soziales Engagement. Während der Veranstaltung hat sie mehrmals erwähnt, nicht an den auf der Straße lebenden Obdachlosen vorbeizugehen, sondern hinzuschauen und Solidarität zeigen.

Wir finden: Das ist der richtige Rahmen, um den obdachlosen

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