MYP Magazine #18 feat. Apparat

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MYP MAGAZINE



T H E M Y PAG E S M AGA Z I N E


TOLSTOI

DIE MUSIK IST DIE STENOGRAP DES GEF키HLS.


PHIE


XVIII

M E I N E

SUCHE A P PA R AT FOTOGRAFIERT V O N F R A N Z G RÜ N E WA L D



PROLOG WA S I C H S AG E N W I L L , WA S I C H F Ü H L E N W I L L , WO ICH LEBEN WILL, WEN ICH LIEBEN WILL, WER ICH SEIN WILL, WO MEIN GLÜCK LIEGT – I C H W E I S S E S N I C H T. ABER ICH KANN NICHT ANDERS, A L S E S H E R AU S Z U F I N D E N . M E I N E S U C H E B E G I N N T.




I N H A LT 016

A P PA R AT

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ANNE PUHLMANN JULIA WENGENROTH FLORIAN WENZEL N AT A L I E D O M B O I S DA N I E L L I C H T E N E G G E R ASTRID THEIS J U R A S S I C A PA R K A FLORIAN TENK K . F L AY A M E L I E S AT Z G E R HANNES LIPPERT FRASER A. GORMAN KERIM BECKER TIMO RUD ALLIE JONAS MEYER

48 54 60 66 72 78 84 20 26 56 62 68 18 24 30 70

278 280

DA N K E IMPRESSUM




GEWIDMET ALLEN, D I E AU F B R E C H E N I N S UNGEWISSE.



A P PA


A R AT




NEUE H E I M AT


Sascha Ring alias Apparat ist 37 Jahre alt, Musiker und lebt in Berlin. www.apparat.net

INTERVIEW & TEXT: JON AS MEYER FOTOS: FRANZ GRÜNEWALD ASSISTENZ: MORITZ JEKAT

Manchmal muss man einfach raus. Aus dem Bett. Aus dem Alltag. Vor die Tür. Vor die Stadt. Einfach raus – vor allem wenn man glaubt, keine Luft mehr zu bekommen. Oft hilft schon eine Fahrt ins Grüne, zum Beispiel in den Grunewald. Natürlich gibt es in Berlin nicht nur diesen Flecken Erde, an den man sich zurückziehen könnte. Zumindest wer ein paar Stunden Ruhe und Einsamkeit sucht, ist mit einem anderen Stück Natur oft besser beraten – jedenfalls an einem belebten Sonntagnachmittag.

Je tiefer wir in den Wald vordringen, desto mehr Licht wird von den dichten Baumwipfeln verschluckt. Unter unseren Schuhen knirschen Zweige und kleine Äste, Blätter rascheln. Für einen Moment fühlt sich das Ganze wie ein abenteuerlicher Jungsausflug an, die Locationsuche mitten im Wald wird für uns zu einer kleinen Entdeckungsreise. Kindheitserinnerungen werden wach, wir haben sogar Saft und Kekse im Rucksack – jetzt fehlen nur noch ein paar Holzschwerter.

Aber wir finden es einfach schön hier. Und obwohl heute ausgerechnet Sonntag ist, ist das Glück auf unserer Seite: Die Anzahl an Joggern, Hundebesitzern und Spazierstockhaltern ist überschaubar, der Parkplatz an der Teufelsseechaussee nur mäßig belegt. Es sieht also ganz so aus, als ob wir den Grunewald in den nächsten Stunden mit nur wenigen Mitmenschen teilen müssten. Wahrscheinlich steckt der gestrige Sturm den meisten noch zu tief in den Knochen.

Einige Minuten später. Wir erreichen die große Sandgrube südöstlich des Teufelssees. Auch hier ist glücklicherweise wenig los. Es dürften maximal ein Dutzend Familien sein, die sich über das weite Areal verteilt haben. Während die recht jung wirkenden Mütter und Väter auf großen karierten Picknick-Decken sitzen und diverse Obstsorten in mundgerechte Stückchen schneiden, springen ihre Kinder im Sand herum. Holzschwerter haben sie keine. Aber manche von ihnen Sicherheitswarnwesten.

Wir parken unser Auto, schnallen die Rucksäcke um und laufen los – erst über befestigte Wege, dann mitten in den Wald hinein. Wir sind mit dem Berliner Musiker Sascha Ring unterwegs, der bereits seit den späten 90ern als Solokünstler unter dem Namen Apparat agiert und einige Jahre später mit der Band Modeselektor das Gemeinschaftsprojekt Moderat gegründet hat.

Wir durchqueren die Sandgrube und gelangen an einen kleinen Tümpel. Auf einer großen Infotafel am Rande des Gewässers wird mit Fotos und Illustrationen die Flora und Fauna des hiesigen Naturschutzgebiets erklärt. Wir lernen Zwergtaucher, Erdkröte, Ringelnatter und Graureiher kennen. Fast wie damals in der Heimat, als man mit Papa stundenlang durch die Natur spazierte.




— Jonas: Du bist in der beschaulichen Stadt Quedlinburg aufgewachsen und mit 19 Jahren nach Berlin gezogen. Was genau hat dich Mitte der 90er aus dem Harz in die Hauptstadt getrieben? — Sascha: Ich musste damals einfach aus Quedlinburg raus. Die Ecke dort war ziemlich schlimm – eine einzige Party- und Drogenhölle. Und alle Leute arbeitslos. — Jonas: Du bist ausgerechnet nach Berlin gezogen, um dem Partyleben zu entfliehen? — Sascha: Naja, vor 18 Jahren war Berlin noch ein bisschen anders. Es gab hier zwar auch Partys und Drogen, aber irgendwie ist das damals noch anders abgelaufen. Diesen anonymen Partytourismus, wie man ihn heute kennt, hatte man Mitte der 90er in Berlin noch nicht. Man hat eher im engen Kreis gefeiert, jeder kannte sich. Ich selbst kannte hier allerdings noch niemanden und war dementsprechend auch nicht bei den Partys dabei – jedenfalls nicht in meiner Berliner Anfangszeit. Für mich waren das ideale Voraussetzungen, um ein wesentlich ruhigeres Leben führen zu können. Eigentlich absurd. — Jonas: Und wie hast du dein neues, ruhiges Leben in Berlin gestaltet? — Sascha: In den ersten drei Jahren habe ich in einem kleinen Designbüro eine Ausbildung zum Werbeund Medienvorlagenhersteller gemacht. Ein recht kantiger Begriff – aber so hieß der Beruf nun einmal. Mit der Zeit habe ich natürlich auch wieder neue Leute kennengelernt, um mich herum war es dann nicht mehr ganz so ruhig. Aber

wirklich rückfällig bin ich nicht geworden: So, wie mein Leben in Quedlinburg war, ist es in Berlin zum Glück nie geworden. Ich habe hier sogar für ein paar Jahre aufgehört zu rauchen und zu trinken. — Jonas: Hattest du denn absolut gar keine gute Zeit in Quedlinburg? — Sascha: Glücklicherweise funktioniert das Gehirn so selektiv, dass man sich fast nur an die guten Sachen erinnert. Dadurch wird einem vorgegaukelt, dass alles gar nicht so schlimm war – man vergisst einfach recht schnell die Schattenseiten. Nur was meine Jugend angeht, ist das leider andersherum: Aus dieser Zeit habe ich irgendwie die positiven Dinge vergessen und erinnere mich nur noch an die weniger schönen. — Jonas: Was ist passiert? — Sascha: Wenn man 18 oder 19 Jahre alt ist, erlebt man emotional eine wahnsinnig intensive Zeit. Tage, Wochen und Monate erscheinen endlos lang. Verkackt man diese Zeit, weil man ständig darunter leidet, keine Perspektive zu haben, und denkt, irgendwann als Asi zu enden, brennt sich dieses Gefühl dauerhaft ein. Wenn ich an meine Zeit in Quedlinburg zurückdenke, sehe ich mich, wie ich morgens auf der Couch sitze, eine Bong rauche und glaube, niemals ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden zu können. Vielleicht habe ich diese stille Befürchtung auch später noch mit mir herumgetragen – sozusagen als Motor. Das würde erklären, warum ich jahrelang so ruhelos war und immer wieder neue Sachen ausprobiert habe. Ich wollte wohl nie wieder auf dieser Couch in Quedlinburg landen.


W I R H A B E N U N S W I E AU F E I N E M R I E S E N G RO S S E N S P I E LP L AT Z G E F Ű H LT, D E R G A N Z A L L E I N U N S G E H Ő RT E . Aber es gibt auch schöne Erinnerungen an damals – immerhin habe ich dort diese ganze Techno-Urzeit erlebt. Wir haben uns wie auf einem riesengroßen Spielplatz gefühlt, der ganz allein uns gehörte. Um uns herum hat sich ja niemand um irgendetwas gekümmert. Man durfte einfach alles. Und für eine ganze Weile schienen wir in einer mehr oder weniger rechtsfreien Zone zu sein. Zwar ist irgendwann auch mal die Polizei gekommen und hat gesagt: „Jetzt macht mal nicht so dolle!“ Aber das war’s auch schon. — Jonas: War der Ur-Techno der 90er das Erste, mit dem du musikalisch in Berührung gekommen bist? — Sascha: Nein, ich bin schon wesentlich früher mit Musik in Kontakt gekommen, da mein Vater in den 80ern in einer Coverband spielte. Als kleiner Junge durfte ich oft mit zu den Konzerten kommen – dabei hatte ich auch immer schon ein Auge auf die Bühne geworfen. Etwas später habe ich angefangen, Schlagzeug zu spielen, und durfte damit sogar im Probenraum meines Vaters etwas

rumbolzen. Eine gewisse Zeit lang habe ich auch die örtliche Musikschule besucht, um das Instrument richtig zu lernen, aber irgendwann habe ich es wieder gelassen und mir einen Plattenspieler gekauft. — Jonas: Aber beruflich wolltest du anfangs nichts mit Musik machen, sondern mit Grafik. — Sascha: Quatsch, natürlich wollte ich etwas mit Musik machen! Aber wer denkt denn bitte, dass das eine wirklich realistische Option für die Zukunft ist, wenn man in Quedlinburg aufwächst? Dazu hat man dort nicht wirklich eine Beziehung. Für meinen Vater war die Musik ja auch kein Beruf, sondern eher Spaß und ein nettes Hobby. Ich wusste gar nicht, dass es auf der Welt so etwas wie Berufsmusiker gibt. Oder Leute, die damit klarkommen, ihr Leben in erster Linie nach der Musik auszurichten. Das musste ich in Berlin erst einmal lernen – und meinen Horizont gründlich erweitern. Und erst in dieser Stadt habe ich gemerkt, dass es auch noch viele andere Lebensentwürfe gibt, die tatsächlich funktionieren können.




— Jonas: In welchem Teil Berlins bist du damals gestrandet? — Sascha: Ich bin zu allererst in eine WG in der Brunnenstraße gezogen. In diesem Teil der Stadt zwischen Mitte und Prenzlauer Berg – mit all seiner Bürgerlichkeit – bin ich auch immer noch zuhause. Ich bin zwar zwischendurch ein paar Mal umgezogen und habe einige andere Ecken Berlins kennengelernt, aber so richtig weggeschafft aus der Ecke habe ich es nie. Meine aktuelle Wohnung ist gerade einmal fünfhundert Meter entfernt von meiner allerersten Adresse. Ich bin ja auch älter geworden und finde es gar nicht schlecht, dass ich in dieser Gegend mehr oder weniger meine Ruhe habe. Trotzdem spüre ich in mir gewisse Ambitionen, irgendwann einmal in den Wald zu ziehen – ein wenig steckt immer noch der Quedlinburger in mir. — Jonas: Hast du in deiner Heimatstadt bereits damit begonnen, deine eigene Musik zu produzieren? — Sascha: Nee, ich habe dort nur Platten aufgelegt – so richtig harten Techno auf diversen Partys. Vor kurzem habe ich den Film „Als wir träumten“ gesehen, zu dem wir unseren Moderat-Track „A New Error“ als Titelsong beigesteuert haben. Interessanterweise gibt es ziemlich viele Parallelen zwischen diesem Film und meiner Jugend: permanente Angst vor Nazis, Autos klauen und zwischendrin immer Techno. — Jonas: Warum hast du dich bei deiner Flucht aus Quedlinburg ausgerechnet für eine Grafiker-Ausbildung entschieden?

— Sascha: Ich wollte irgendetwas Handfestes machen. Grafik war auf der einen Seite kreativ genug, um überhaupt für mich in Frage zu kommen, und auf der anderen Seite ausreichend solide, dass ich meiner Oma sagen konnte: Ich mache jetzt etwas Richtiges. Nach meiner Ausbildung habe ich sogar noch ein Jahr lang in diesem Beruf gearbeitet. Aber irgendwie musste der Job immer mehr mit der Musik konkurrieren, die bereits permanent in meiner Freizeit stattfand. In Berlin war es damals noch ziemlich leicht zu sagen: Ich arbeite jetzt nicht mehr. Das habe ich dann einfach mal gemacht. Zu dieser Zeit war auch mein erstes Album fertig und ich habe so langsam angefangen, Konzerte zu spielen. Trotzdem musste ich mich damals nach wie vor mit Grafikjobs über Wasser halten, denn so richtig hat’s mit der Musik noch nicht gereicht. Eine Dauerlösung war das natürlich nicht, es musste eine Grundsatzentscheidung her. Doch als ich kurz davor war, mich voll und ganz für die Musik zu entscheiden, habe ich diese Grundsatzentscheidung noch einmal angezweifelt und einen Rückfall gehabt: Irgendwie war so ein richtiger, handfester Beruf zu verlockend. Ich habe mich daher nach einem Job als Art Director umgeschaut und hatte bald einige Vorstellungsgespräche. Ein Unternehmen hat mir sogar wenig später einen Arbeitsver­­trag zugeschickt. Aber als ich diesen Vertrag durchgelesen habe, habe ich mit jeder Seite gedacht: Das kann es irgendwie nicht sein. Ich habe das Dokument langsam zerrissen – und habe diesen Akt für mich selbst so richtig inszeniert. In diesem Moment war für mich absolut klar, dass es ab sofort in meinem Leben keine Grafik mehr gibt, sondern nur noch Musik. Dieses Bild habe ich noch ganz genau im Kopf.


— Jonas: Gibt es in Berlin bestimmte Menschen, die dir in deiner Anfangszeit geholfen haben, die ersten musikalischen Schritte zu machen? — Sascha: Ja, da gibt es einige. Der erste, den ich in Berlin kennengelernt habe, war Marco Haas vom Label Shitkatapult. Mein Mitbewohner hatte ihm ein Demoband von mir gegeben und sagte eher aus Spaß: „Hör mal rein!“ Marco wollte das direkt herausbringen, hat es aber alleine nicht wirklich gebacken bekommen. Er war selbst gerade nach Berlin gezogen und vom Labelbusiness völlig überfordert, weil sein Geschäftspartner in Heidelberg geblieben war. Um meine Platte irgendwie releasen zu können, musste ich also kurzfristig Teil des Labels werden – und saß am Ende stellenweise ziemlich lange im Büro. Wenig später habe ich dann Ellen Allien, Gernot Bronsert und Sebastian Szary von Modeselektor sowie die Leute des Designkollektivs Pfadfinderei kennengelernt. Mit dieser ganzen Clique habe ich immer noch sehr viel zu tun. — Jonas: Gemeinsam mit den Jungs von Mode­ selektor hast du das Projekt Moderat gestartet – allerdings habt ihr dafür zwei Anläufe gebraucht. Was ging denn beim ersten Versuch im Jahr 2002 schief, was knapp sieben Jahre später funktioniert hat? — Sascha (grinst): Zu diesem Thema muss ich eine lustige Geschichte erzählen. Es gibt einen Fake-Pressetext zu unserem ersten gemeinsamen Album aus dem Jahr 2009, der bestimmt noch irgendwo im Internet herumgeistert. Dieser Text ist damals in einer Nacht- und Nebelaktion entstanden, nachdem uns in letzter Minute der Texter versetzt hatte. Gernot, Sebastian und ich

saßen damals in Gernots Wohnung auf der Couch und mussten dringend irgendetwas verfassen – die Deadline war am nächsten Morgen. Wir dachten, es wäre voll lustig, wenn wir einen totalen QuatschText veröffentlichen würden. Also haben wir beispielsweise geschrieben, dass wir die Platte in den berühmten Hansa-Studios aufgenommen hätten. Und wir haben erzählt, dass wir für die Produktion ein tonnenschweres Plate Reverb aus L.A. nach Berlin verschifft hätten. Außerdem haben wir behauptet, dass wir uns 2002 total zerstritten hätten und uns daher zuerst wieder menschlich annähern mussten, bevor wir uns musikalisch annähern konnten. Wie bereits gesagt, das war alles absoluter Quatsch, den wir dann natürlich zur Strafe in gefühlt 80 Interviews immer wieder runterbeten mussten. So weit hätte man eigentlich auch mal vorher denken können. Die wahre Antwort auf deine Frage ist: Wir haben uns nie schlecht verstanden. Aber wir haben auch nie wirklich das Bedürfnis gehabt, eine richtige Band zu sein. Wir wollten einfach gemeinsam Spaß haben – und so war Moderat ursprünglich ein reiner Fun-Live Act. Wir haben uns zusammen auf die Bühne gestellt und losgejammt. Darüber hinaus hatten wir aber einfach kein so großes Interesse daran, musikalisch weiter zusammenzuarbeiten – auch weil wir in unsere eigenen Projekten Apparat und Modeselektor recht stark eingespannt und viel unterwegs waren. Irgendwann haben wir aber festgestellt, dass wir uns privat so gut wie gar nicht mehr sehen. Also haben wir beschlossen, wieder mehr zusammen abzuhängen. Und so ist nebenbei unser erstes Album entstanden. Lustigerweise war das im Jahr 2006 bei meinem gemeinsamen Album mit Ellen Allien genauso: Wir wollten einfach wieder mehr Zeit miteinander verbringen. Und das Ergebnis war „Orchestra of Bubbles“.




WENN ICH DIE MUSIK ZU EINEM F I L M O D E R T H E AT E R S T Ű C K E N TWICKLE, MŐCHTE ICH NICHT I RG E N D E I N D I E N S T L E I S T E R S E I N , D E R E I N FAC H N U R D E N S O U N D L I E F E RT.

— Jonas: Wann hat sich bei dir ein konkretes Gefühl dafür entwickelt, welche Musik du machen willst? — Sascha: Ganz am Anfang findet man ja alle Sachen toll, von denen man sich auch vorstellen könnte, sie selbst zu machen. Im Laufe der Zeit häufen sich diese Einflüsse – und dann entsteht daraus im besten Fall etwas Eigenes. Wann genau ich selbst zum ersten Mal an diesem Punkt war, weiß ich nicht mehr. Aber es gab den Punkt definitiv. Das Problem ist: Mit der Arbeit an jeder neuen Platte habe ich das Gefühl, dass ich diesen Punkt von Neuem erreiche – und erreichen muss. Deswegen hört sich jedes meiner Alben auch anders an. — Jonas: Das kann ja auch etwas sehr Motivierendes sein.

— Sascha: Wenn ich das höre, was ich bei der letzten Platte gemacht habe, denke ich mir: Ich habe irgendwie keinen Bock, das nochmal zu machen. In dieser Situtation versuche ich, neue Inspiration zu finden. Das wird natürlich von Album zu Album schwieriger, weil man zur Ideenfindung bereits etliche musikalische Bereiche durchforstet hat. Seit neuestem höre ich mir recht viele Jazz-Platten an, aber so wirklich komme ich darauf gerade noch nicht so klar. — Jonas: Es gibt nicht wenige Künstler, die die unterschiedlichen Projekte, in die sie involviert sind, strikt voneinander trennen. Wie handhabst du es bei Apparat und Moderat? — Sascha: Für mich lässt sich das sehr schwer voneinander trennen – alleine deshalb, weil ich beides schon so lange mache.


Bei Moderat läuft die Zusammenarbeit auch eher blockartig ab, das heißt, man steckt zwei bis drei Jahre ziemlich tief in diesem Projekt. Im Anschluss daran kann man natürlich nicht einfach sagen: Ich habe damit nichts mehr zu tun und mache solo als Apparat sofort eine ganz andere Platte. Das, was ich als Apparat wenig später produziere, hört sich noch ziemlich stark nach Moderat an – und umgekehrt. Es dauert einfach eine ganze Weile, bis man sich von so einem gemeinsamen Projekt musikalisch wieder frei gemacht hat. Ich bin auch nicht der Typ, der im Kopf mehrere Projekt-Schubladen hat, die er öffnen kann, wenn er Songs schreibt. Ein Song kommt einfach so aus mir heraus. Danach kann ich mir immer noch überlegen, in welche Richtung ich ihn produzieren will. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es eigentlich richtig toll ist, diese beiden Projekte zu haben, weil ich dadurch aus Apparat ein wenig die Ambitionen herausnehmen kann. Ich muss dort nicht mehr unbedingt Songs mit richtigen Hooks schreiben. Und genauso muss ich nicht mehr etwas zwangsläufig für die große Bühne produzieren – das kann ich alles mit Moderat bedienen. Apparat hat sich dadurch für mich zu einer riesengroßen Spielwiese entwickelt, auf der viel mehr erlaubt ist. So spiele ich beispielsweise als Apparat zur Zeit nur bestuhlte Konzerte. Und wenn dort mal für sechs Minuten ein einziger Ton läuft, ist das auch ok. Diesen Zustand empfinde ich als eine große Befreiung.

— Jonas: Hast du auf dieser Spielwiese auch die Film- und Theatermusik für dich entdeckt? Vor allem in den letzten Jahren war deine Musik in diversen Produktionen vertreten. — Sascha: Ich habe nicht unbedingt danach gesucht. Aber es hat sich in den letzten Jahren gehäuft, dass mir Leute gesagt haben, dass meine Musik auch sehr gut in einem Filmkontext funktionieren könnte. Bis mich diesbezüglich aber mal jemand konkret kontaktiert hat, hat es ein wenig gedauert. Die erste Anfrage dieser Art kam von Sebastian Hartmann – einem sagen wir mal nicht besonders traditionell arbeitenden Theaterregisseur. Das alleine hat mich schon irgendwie gereizt. Sebastian hatte damals gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, seine Bühnenadaption von Tolstois „Krieg und Frieden“ zu vertonen. So hat sich eine nach wie vor wirklich interessante Zusammenarbeit ergeben. Für mich kommt es bei solchen Kooperationen vor allem darauf an, dass man einen Partner hat, mit dem man sich nicht nur perfekt ergänzt, sondern mit dem man sich auch auf einer gleichberechtigten Ebene trifft. Wenn ich die Musik zu einem Film oder Theaterstück entwickle, möchte ich nicht irgendein Dienstleister sein, der einfach nur den Sound liefert. Ich möchte über einen gewissen künstlerischen Freiraum verfügen. Sobald sich eine Konstellation ergibt, in der der eine den anderen bedient, funktioniert das für mich nicht mehr.






— Jonas: Der Regisseur Andreas Dresen verwendet in seinem neuen Film „Als wir träumten“den Song „A New Error“, der nicht eigens für den Film komponiert wurde, sondern bereits 2009 auf der ersten Moderat-Platte erschienen ist. Wie war es für dich, diesen Track zum ersten Mal in Kombination mit den Filmbildern zu erleben? Hast du in dem Moment deine Musik von einer anderen Seite kennengelernt? — Sascha: Für mich ist es wirklich schwierig, meine Musik in einem völlig anderen Kontext zu erleben. Da so ein Apparat- oder Moderat-Song meistens in langer, kleinteiliger Arbeit entstanden ist, hat man dazu auch eine ganz besondere Beziehung. Daher denke ich auch in acht von zehn Fällen: Das passt ja überhaupt nicht – meine Musik wirkt in dem Film wie ein Fremdkörper! Wenn man sich die Szenen aber wieder und wieder anschaut, versteht man allmählich, was derjenige damit gemeint hat, der Musik und Bewegtbild zusammengebracht hat. Eine ähnliche Erfahrung habe ich im letzten Jahr mit dem italienischen Film „Il Giovane Favoloso“ von Mario Martone gemacht, für den ich die Filmmusik komponiert habe. Dazu muss man wissen: Regisseure versehen ihre Filme in der Editing-Phase gerne mit sogenannten Temp Tracks – temporäre Musikpassagen, die dazu dienen, vorab eine gewisse Stimmung zu erzeugen, um den Komponisten eine grobe musikalische Richtung vorzugeben. Bei Musikern sind solche Temp Tracks nicht wirklich beliebt, weil sie schon im Vorfeld eine gewisse künstlerische Einschränkung bedeuten. Mario Martone hatte vorab sage und schreibe 15 bereits existierender Songs von mir als Temp Tracks in die erste Editing-Version seines Films gepackt. Als ich mir das Ganze angesehen habe, dachte ich:

Was für eine Katastrophe, da passt ja absolut kein Song! Zwei, drei Runden später habe ich aber langsam verstanden, was Mario meinte – und wie er selbst meine Musik hörte. Jeder Mensch nimmt Musik anders und hat dementsprechend auch eine andere, ganz persönliche Beziehung dazu. Irgendwann bin ich daher bei etwa 60 Prozent Verständnis angelangt – die restlichen 40 Prozent musste ich durch Veränderung meiner Skizzen erreichen. — Jonas: Immerhin scheint das, was am Ende dabei herausgekommen ist, nicht das Schlechteste gewesen zu sein: Im Sommer 2014 habt ihr auf dem großen Filmfestival in Venedig den Filmscorepreis „Premio Piero Piccioni“ gewonnen. — Sascha: Alles in allem war die Zusammenarbeit mit Mario super. Im Endeffekt hat er mich einfach machen lassen. Er hat sich meine Vorschläge angehört und gesagt: „Das ist zwar anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber trotzdem gut.“ Wenn man so eine Arbeitsweise gelten lässt und einander vertraut, kann es passieren, dass am Ende etwas viel Größeres daraus hervorgeht. Das ist auch extrem wichtig, wenn ich mit Gernot und Sebastian von Modeselektor im Studio sitze. Bei einigen Ideen, die die beiden entwickeln, denke ich am Anfang auch manchmal: Naja, geht so. Wenn aber ein gewisses Grundvertrauen besteht und man der Idee die Chance gibt, ein wenig zu reifen, kommt am Ende vielleicht etwas dabei heraus, das viel geiler ist als das, was ich mir vorher eher eindimensional vorgestellt habe. Man muss einfach andere Meinungen zulassen – erst dann erhält das Ganze, was man da tut, auch eine gewisse Tiefe.


W E N N DA S G A N Z E N I C H T U N B E D I N G T F Ü R RT L 2 P RO D U Z I E RT I S T, K A N N E S PA S S I E R E N , DA S S S I C H D E R Z U S C H AU E R S C H N E L L M A N I P U L I E RT F Ű H LT.

— Jonas: Bei der Musik für den Film „Traumland“ von Petra Volpe hast du für meine Begriffe eine besonders starke und tiefgehende Emotionalität geschaffen. War das von Anfang an dein Ziel? Oder ist dir erst am Ende der Komposition bewusst geworden, wie gefühlvoll und berührend dieser Soundtrack ist? — Sascha: Die Musik zu „Traumland“ ist folgendermaßen entstanden: Ich habe mir den Film angeschaut und dazu einfach vor mich hingejammt. Das war ziemlich cool. So eine spielerische Herangehensweise ist aber nur möglich, wenn man die entsprechende Zeit und auch den Freiraum hat. Ich mache ohnehin von Haus aus Musik, die sehr gefühlvoll ist. Allerdings muss man aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Vor allem bei dem Genre der Filmmusik habe ich gelernt, dass man extrem vorsichtig sein muss, da hier der Schritt zur Manipulation besonders klein ist. Man darf nicht versuchen, musikalisch die Stimmung zu verstärken, die eh schon durch den Film erzeugt wird. Denn wenn das Ganze nicht unbedingt für RTL2 produziert ist, kann es passieren, dass sich der Zuschauer schnell

manipuliert fühlt und einem das, was er da sieht, nicht mehr abnimmt. — Jonas: Würdest du sagen, dass die Musik, die du bei Apparat und Moderat erschaffst, eine grundsätzlich andere Wirkung auf Menschen hat als beispielsweise Schlager oder Metal? — Sascha (grinst): Das kommt auf die Menschen an. Es gibt sicherlich auch Leute, auf die die Musik von Helene Fischer eine unfassbar emotionale Wirkung hat und denen das richtig nah ans Herz geht. — Jonas: Emotionale Wirkung kann rein theoretisch auch Aggression bedeuten. — Sascha: Absolut. Ich bin sowieso der Überzeugung, dass es bei jeder Art von Musik – jeder Art von Kunst – wichtig ist, dass sie irgendeine Reaktion hervorruft. Wenn sie einfach nur an den Leuten vorbeigeht, hat es nichts gebracht.






I RG E N DWA N N KO M M T M A N DOCH WIEDER ZU DER MUSIK VO N DA M A L S Z U RŰ C K – MIT ALL DEN VIELEN KINDHEITSE R I N N E RU N G E N , D I E DA R A N HANGEN.

— Jonas: Zu deinem Album „The Devil’s Walk“ aus dem Jahr 2011 gibt es einen Kurzfilm, in dem du die langsame, aber stetige Veränderung deiner Musik beschreibst: Du erzählst, dass sich zu dem rein elektronischen Sound deiner Anfangsjahre mit der Zeit immer mehr Akustikelemente addiert haben. Fühlst du dich zwischen elektronischer und akustischer Musik hin- und hergerissen? — Sascha: Zu meiner Anfangszeit um die Jahrtausendwende gab es noch wahnsinnig viel zu entdecken. Die ganze Computermusikwelt schien zu explodieren: Ständig wurden neue Plugins entwickelt, die wiederum ganz neue Sounds generieren konnten.

Und wenn da noch nichts Passendes dabei war, hat man sich seine Sounds einfach selbst programmiert. In den letzten Jahren sind für mich elektronische Geräusche aber zunehmend langweilig geworden. Ich habe immer seltener einen Aha-Effekt, wenn ich elektronische Musik höre – das Thema ist einfach etwas abgegessen. Für mich haben mittlerweile akustische Signale einen größeren Reiz, weil sie nie hundertprozentig perfekt sind. Außerdem bekommen sie meiner Meinung nach den Ohren wesentlich besser – jedenfalls wenn sie gut aufgenommen sind. Nach wie vor liegt für mich persönlich die Magie immer noch darin, elektronische Sounds mit akustischen zu kombinieren.


— Jonas: Gibt es ganz aktuell für dich Musik, bei der du das Gefühl hast, etwas zu entdecken? — Sascha: Ich höre zur Zeit sehr viel ältere Musik, vor allem die 80er haben es mir angetan. Dieses Jahrzehnt habe ich musikalisch immer noch nicht vollständig erkundet. Ich entdecke aus dieser Zeit immer wieder Sachen, die ich richtig toll finde. Damals wurde Musik noch richtig aufgenommen. Doch leider gab es irgendwann einen Zeitpunkt, von dem an man alles totkomprimiert hat, nur damit es besonders gut im Radio knallt. — Jonas: Mit der Musik der 80er verbindet unsere Generationen einfach unzählige Kindheitserinnerungen. — Sascha: Das ist absolut wahr. Ich habe immer noch vor Augen, wie ich als Kind mit meinem Vater auf der Wohnzimmercouch saß und wir auf einem Tonbandgerät Westradio-Shows mitgeschnitten haben. So haben wir das Programm für die Konzerte seiner Coverband „zusammengeraubkopiert“. Das Absurde dabei war: Mein Vater sprach kein Englisch, daher hat er sich alle Texte in Lautschrift mitgeschrieben. Und mit diesem Fantasie-Englisch hat er dann auf der Bühne beispielsweise seine Cover-Versionen von Roxy Music gespielt. Durch solche Geschichten baut man natürlich eine besondere emotionale Bindung zu

dieser Musik auf – Roxy Music finde ich auch heute noch geil. Zwar fand ich später als Teenager die Musik von meinem Vater doof und dachte, ich müsse rebellieren und Techno hören. Aber irgendwann kommt man doch wieder zu der Musik von damals zurück – mit all den vielen Kindheitserinnerungen, die daran hängen. — Jonas: Bist du ab und zu noch in Quedlinburg? — Sascha: Ich bin gerade dabei, ein neues Verhältnis zu meiner Heimatstadt herzustellen. Und ich habe das Gefühl, das klappt bisher ganz gut. Wenn man länger nicht an einem Ort war, verändert sich einfach die Beziehung dazu. Mittlerweile finde ich es echt schön, wieder dorthin zu fahren. Ich sehe die Stadt heute einfach anders – und die Stadt sieht auch tatsächlich anders aus: Vor 15 Jahren war Quedlinburg noch total grau, heute ist daraus eine mega Touri-Stadt geworden. — Jonas: Du selbst hast dich in all den Jahren ja auch sehr verändert. Vielleicht lernt ihr beide euch gerade neu kennen. — Sascha: Vielleicht. Vor 18 Jahren bin ich aus Quedlinburg geflohen, um den vielen negativen Einflüssen zu entkommen – aber die gibt’s jetzt ja nicht mehr. Ich finde, das ist eine recht gute Voraussetzung.




A N

PUHLM


N E

MANN




IM NIRGENDWO TEXT & FOTO: ANNE PUHLMANN Anne Puhlmann ist 29 Jahre alt, studier t Fotodesign und lebt in M端nchen. www.annepuhlmann.format.com


Manchmal, mitten im Nirgendwo, finde ich mich. Und dann wieder nicht. Mein Körper. Gespalten. Ein Teil jagt den anderen. Und so drehe ich mich im Kreis. Niemals da wo ich sein soll. Nichts ist greifbar. Tagein. Tagaus. Die richtigen Worte. Vernebelt in meinem Kopf. Menschen ändern sich. Gefühle ändern sich. Nichts bleibt wie es ist. Und so drehe ich mich im Kreis. Weiß nie was ich will. Aber ich will mehr. Ein Weg. Allein. Lauf ich links, lauf ich rechts oder bleib ich stehen? Gefangen im Labyrinth. Und so drehe ich mich im Kreis. Manchmal, mitten im Nirgendwo, finde ich mich. Und dann wieder nicht.


J U L

WENGE


L I A

NROTH




DIE MŰHE WERT Ich bin auf der Suche nach besonderen Fotografien. Ich kann nicht genau sagen, seit welchem Zeitpunkt ich hiernach suche, weil ich schon immer von einzigartigen Bildern beeindruckt war. Vielleicht kann man aber sagen, dass ich selbst aktiv danach suche, seit ich im Jahr 2011 das erste Mal eine Spiegelreflex Kamera in den Händen gehalten und meine ersten eigenen Aufnahmen gemacht habe. Diese Suche stellt für mich eine große Herausforderung dar, weil hierfür vieles zusammenkommen muss – ein interessanter Ort, ein gutes Timing, stimmige Lichtverhältnisse, passende Ausrüstung und die richtige Wahl der Einstellungen an der Kamera. Durch meine Suche hat sich mein Blick für Details deutlich geschärft, denn am Ende sind es Kleinigkeiten, die ein besonderes Foto ausmachen und somit den Moment für die Ewigkeit einfangen und einfrieren. Meine ständige Suche führte mich schon zu außergewöhnlichen Orten. So bin ich beispielsweise im letzten Jahr nach Island gereist. Neben den Bildern, die ich dort geschossen habe, habe ich unzählige schöne Erinnerungen sammeln können. Und wenn ich mir die Fotos am Ende eines Tages anschaue, weiß ich, dass die Suche die Mühe wert ist.


TEXT & FOTO: JULIA WENGENROTH Julia Wengenroth ist 30 Jahre alt, Fotografin und lebt in Krefeld. www.juliawengenroth.com


F L O R

WEN


R I A N

NZEL




TEXT & FOTO: FLORIAN WENZEL Florian Wenzel ist 20 Jahre alt, Fotograf und lebt in Neu-Ulm. www.facebook.com/flo.we.photography

FLASCHEN– POST Ich weiß nicht, nach was ich suche. Mein Ziel ist ungewiss. Wie die Reise einer im Meer treibenden Flaschenpost. Man weiß nicht, wo, wann, oder ob man überhaupt ankommt.



N A T A

DOM


A L I E

BOIS




TEXT & ILLUSTRATION: NATALIE DOMBOIS Natalie Dombois ist 28 Jahre alt, Illustratorin und Grafikdesignerin und lebt in Leipzig. www.da-monkey.tumblr.com www.facebook.com/endeillustration

BERG– U N D TA L– FA H RT


Bestimmt kennt jeder einen Menschen, der die Fähigkeit besitzt, sich mittags an den Tisch zu hocken und bis zum Nachmittag einen kompletten Plan für sein Leben zu erstellen. Meine Schwester zum Beispiel hat dieses Talent. Schon seit ihrer Schulzeit lebt sie ihren Plan ohne große Abweichungen und ist glücklich damit. Auch ich habe früher Pläne geschmiedet, wie mein Leben auszusehen hat. Doch zwischen mir und meiner Schwester gibt es einen großen Unterschied: Während ihre Träume stets die gleichen blieben, wache ich quasi alle paar Wochen auf und habe neue Ideen. Schließlich kam ich irgendwann zum Schluss, dass diese Pläne für mich sinnlos sind. Eigentlich weiß ich doch gar nicht, wo ich genau hinwill! Immer mehr fand ich Gefallen an dem Gedanken, meine Zukunft als ein großes Fragezeichen zu betrachten. Wenn ich mich selbst nicht durch meine eigenen Pläne einschränke, stehen alle Möglichkeiten offen! Unwissenheit wurde für mich zu einer spannenden Suche und die Endgültigkeit eines Planes zu einem gruselig-langweiligen Film, dessen Schluss man schon kennt. Die Suche nach meinem Weg ist wie eine rasante Fahrt durch eine unendliche Berglandschaft. Wenn ich einen Pfad zum nächsten Berg entlangfahre, weiß ich niemals vorher, was hinter diesem auf mich lauert; es könnte noch mehr bergauf gehen! Vielleicht ist es aber auch eine Sackgasse und ich muss komplett umkehren. Die Umwege sind dennoch immer auf irgendeine Weise bereichernd. Oft trifft man Leute, die einen Tipp für einen besonders guten Weg für dich haben, oder man erhält zumindest einen anderen Blickwinkel auf die Richtung, die man gewählt hat. Als Suchender hat man bestimmt keinen einfachen, linearen Weg und macht auch ein paar Erfahrungen, die nicht unbedingt zum Ziel führen. Aber überschaubare Talfahrten führen selten bergauf – und machen mir zudem auch weniger Spaß!


D A N

LICHTEN


N I E L

NEGGER




TEXT & FOTO: DANIEL LICHTENEGGER Daniel Lichtenegger ist 20 Jahre alt, stammt aus Graz und studier t in GieĂ&#x;en Medizin. www.lichtenegger.photography


ERGOMETER Es gibt wohl keinen Moment, in dem ein Mensch nicht auf der Suche ist, sei es nach einem Objekt, einem Lebensstil, nach Liebe oder einem Zustand. Meistens ist es aber nicht das Gesuchte, das die Suche beendet, sondern ein Zufall w채hrenddessen. Sei es eine Idee auf der Suche nach Geld, ein Mensch auf der Suche nach Liebe, ein Hobby auf der Suche nach Karriere oder ein Ergometer auf der Suche nach Fitness.


A S T

THE


R I D

EIS




AM ENDE DER SUCHE „Wer sucht, der findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden.“ – Franz Kafka

Die Suche. Jeder sucht mal. Sei es nach einer Hose, nach einem Job oder nach der Liebe. Wenn wir suchen, verbinden wir damit gleichzeitig Hoffnung und Erwartung, weil wir fündig werden wollen. Eine Suche kann oft mit einer Erkenntnis zusammenhängen. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass suchen oftmals gar nicht weiterhilft, sondern, dass man lediglich die Dinge auf sich zukommen lassen sollte und dann schaut, was passiert. Oft hat man sich schon in der Situation befunden, in der man nach etwas Bestimmtem sucht, sei es ein Gegenstand oder etwas nicht Greifbares, und findet dann gerade dieses nicht. Vielleicht, weil zu viel Bemühung und Angestrengtheit dahinter steckt, sodass man es nur weiter von sich wegtreibt. So oder so geht eine Suche Hand in Hand mit Empfindungen. Was am Ende unserer Suche für eine Empfindung bleibt, erfahren wir erst, wenn wir diese beendet haben.


TEXT & FOTO: ASTRID THEIS Astrid Theis ist 22 Jahre alt, Kommunikationsdesignerin, Fotokünstlerin und lebt in Köln. www.astridtheis.allyou.net


J U R A S

PA R


S S I C A

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PA I L L E T T E GEHT IMMER


Jurassica Parka ist Travestiekünstlerin, Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin. Sie lebt und arbeitet in Berlin. www.jurassicaparka.com

INTERVIEW & TEXT: JON AS MEYER, BENEDICT FÖLL FOTOS: M AXIMILI AN KÖNIG

Für ein Sektchen ist es nie zu früh, auch nicht morgens um halb elf. Vor wenigen Minuten erst haben wir die neuen Räumlichkeiten des SchwuZ in der Neuköllner Rollbergstraße betreten, schon werden wir von Gisela, einer der vielen guten Seelen des Hauses, mit einer eisgekühlten Flasche „Geldermann Carte Blanche“ versorgt. Zugegeben, das erfrischende Präsent ist nicht direkt an uns gerichtet. Es gilt in erster Linie der Berliner Dragqueen Jurassica Parka, die die Flasche wie ein Neugeborenes auf den Armen hält und streichelt. „Sekt ist mein Lebenselixir!“, stöhnt sie mit lasziver Stimme. Warum auch nicht? Jurassica Parka heißt mit bürgerlichem Namen Mario Olszinski und verfügt über eine stolze Ansammlung von Berufsbezeichnungen: Travestiekünstlerin, Moderatorin, DJane, Veranstalterin, YouTube-Star und Kolumnistin – alles simultan, wohlgemerkt. Zusammenfassen könnte man das Ganze auch schlicht als multimediale One-WomanShow. Und das Berliner Schwulenzentrum – kurz SchwuZ – ist der Ort, an dem diese Show vor über zehn Jahren begann. Als Jurassicas Karriere startete, hatte das SchwuZ bereits seine härtesten Schlachten

gekämpft – nicht selten unter Wut und Tränen, dafür aber immer aufrecht. Die Anfänge des Zentrums gehen zurück auf die Berliner Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Seitdem versteht es sich als „Ort des Aufbegehrens und der Emanzipation homosexueller Lebensweisen“ und leistete im Laufe der Zeit an etlichen Stellen Starthilfe. So sind beispielsweise die Idee zum Stadtmagazin „Siegessäule“ sowie zum ersten CSD der Hauptstadt im Jahr 1979 in den Räumlichkeiten des SchwuZ entstanden. Die knapp 40-jährige Geschichte des Schwulenzentrums beinhaltet auch drei große Umzüge: 1987 ging’s von der Kulmer Straße in Schöneberg in die Kreuzberger Hasenheide. Acht Jahre später zog man weiter in einen kuscheligen Kellerclub am Mehringdamm und im Jahr 2013 schließlich in das großzügige Gebäude der ehemaligen Kindl-Brauerei. Hier ist nun endlich Platz für die zahllosen Veranstaltungen des SchwuZ. Denn wer kräftig aufbegehrt, der will auch mindestens genauso kräftig feiern. „Prösterchen!“ also, wie Jurassica Parka sagen würde.






— Jonas: Du bist in den 80ern in Neukölln aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit? — Jurassica (lacht): Ich bin in der Upper-Eastside von Neukölln groß geworden: in Britz. Britz ist nicht wirklich Neukölln, sondern ein kleiner Mikrokosmos für sich – alles super beschaulich. Was Neukölln angeht, erinnere ich mich, dass die Karl-Marx-Straße zu Mauerzeiten noch eine klassische Einkaufsstraße war. Die vielen Handyshops und Dönerbuden gab es in den 80ern noch nicht. Damals hatte Neukölln auch noch nicht dieses Ghetto-Image, das man dem Stadtteil heute gerne zuspricht. In Britz hatte ich eine wunderschöne und wohl behütete Kindheit. Mein Vater hatte eine Autowerkstatt, in der er an alten Oldtimern geschraubt hat. Als ich xx Jahre alt war, sind wir leider nach Rudow gezogen – in ein kleines Einfamilienhaus, das direkt an der Mauer lag. Sonntags sind mein Vater und ich manchmal mit dem Rad zur Mauer gefahren. Dann sind wir auf einen dieser Aussichtstürme geklettert, von denen aus man auf den Todesstreifen schauen konnte. Das war für mich als Kind total normal, ich habe das nicht wirklich hinterfragt. Wenn wir zu unseren Verwandten nach Ost-Berlin gefahren sind, war das für mich sehr befremdlich. Alles sah so anderes aus, so grau. Am Alex gab es damals ein Kaufhaus, in dem heute Kaufhof sitzt. Ich weiß noch, dass ich mich immer gewundert habe, wieso es da nicht wirklich etwas zu kaufen gab. — Jonas: Wolltest du beruflich nicht in die Fußstapfen deines Vaters treten? — Jurassica: Mein Vater musste irgendwann einsehen, dass ich nicht der geborene KFZ-Mecha-

niker bin. Schon mit 15 war mir klar, dass ich in die Werbung will. Daher habe ich nach dem Abi hier in Berlin Grafikdesign studiert und anschließend in einer Werbeagentur gearbeitet. — Ben: Irgendwann hast du damit angefangen, abends aus Mario eine Frau werden zu lassen. Wie kam es dazu? — Jurassica: Der Drang, Frauenkleider zu tragen, war schon immer in mir. Als Kind habe ich es geliebt, mir Mamas Klamotten anzuziehen. Meine Oma war Schneiderin und hat den Spaß mitgemacht – und mich damals immer wieder als Frau verkleidet. Wenn sie heute noch leben würde, wäre sie sicherlich eine Schwulen-Mutti. Die Szene habe ich relativ spät entdeckt. Mit 19 war ich zum ersten Mal schwul aus und habe im Berliner Nachtleben die vielen Transen gesehen, die mich unglaublich fasziniert haben. Irgendwann fing ich selbst an, damit zu experimentieren. Und im Oktober 2004 bin ich zum ersten Mal als Transe ausgegangen: auf den Berliner HustlaBall. Ich habe mich damals von einer Freundin schminken lassen und sah furchtbar aus. Von heute aus betrachtet muss ich als Transe eine absolute Katastrophe gewesen sein: völlig aufgedreht und in viel zu hohen Schuhen, in denen ich überhaupt nicht laufen konnte. Aber ich fand das super! Damals habe ich sofort Blut geleckt und für mich in der Travestie einen Kanal gefunden, über den ich Energie ablassen konnte – es war sofort um mich verloren. In den folgenden Wochen und Monaten bin ich aus Spaß an der Freude immer öfter als Transe in Clubs gegangen. Und irgendwann fing es damit an, dass ich im SchwuZ am Schnapstresen Kurze verteilt habe und dann nach und nach bezahlte Auftritte dazukamen.


ICH HABE FŰR MICH IN DER T R AV E S T I E E I N E N K A N A L GEFUNDEN, ŰBER DEN ICH E N E RG I E A B L A S S E N KO N N T E – E S WA R S O F O RT U M M I C H V E R LO R E N . — Ben: Dieses Hobby hast du irgendwann zum Beruf gemacht. Das Festgehalt der Werbeagentur aufzugeben und sich mit der Travestie selbstständig zu machen, war bestimmt kein leichter Schritt. — Jurassica: Irgendwann musste ich mich für eines von beiden entscheiden. Du kannst nicht fünf Tage in der Woche in einer Werbeagentur arbeiten und dir freitags und samstags die Nächte um die Ohren schlagen. Davon wirst du bekloppt. Im Jahr 2008 kam es zu dem glücklichen Zufall, dass mir in der Agentur gekündigt wurde. Ich dachte mir, wenn ich jetzt nicht diesen Beruf zu meinem Hauptberuf mache, mache ich es wahrscheinlich nie. Trotzdem war das natürlich ein schwerer Schritt. Und Mutti war davon auch nicht sonderlich begeistert. Aber mir war das egal, ich wollte das einfach machen und habe eine reine Bauchentscheidung getroffen. Kohlemäßig war es in der ersten Zeit zwar

desaströs, aber da muss ja jeder Künstler am Anfang durch. — Jonas: Schon im Jahr 2008 wurde ein Taff-Beitrag über dich produziert. War es deine Absicht, medial so früh in Erscheinung zu treten? — Jurassica (lacht): Zu Taff bin ich gekommen, weil ich mich dort selbst beworben hatte. Ich habe Taff geliebt! Anschließend habe ich mich noch gleich von VOX einrichten lassen, was aber ziemlich schlimm war – das würde ich nie wieder machen. Kohle gab es für beide Formate keine, ich habe nur Sachpreise gewonnen: eine Diskokugel, Scheinwerfer und eine Nebelmaschine. Toll. Zuhause wirft man ja gerne mal die Nebelmaschine an. Aber dieses Privatfernsehen war damals ein absoluter Bekanntheits-Booster – und ist es immer noch. Ich würde auch sofort ins Dschungel-Camp gehen, wenn man mich fragen würde.






E S G I BT S O V I E L E H E T E RO – SEXUELLE MANNER, DIE INS— G E H E I M AU F T R A N S E N S T E H E N . — Jonas: Im Gegensatz zu gewöhnlichen Kandidaten wäre für jemanden wie dich der Dschungel bestimmt ein absoluter Karriere-Kick – sonst bedeutet das Format ja eher die Endstation des medialen Lebens. — Jurassica: Auf jeden Fall! — Ben: Ohnehin scheinst du eine ganz spezielle Beziehung zum Privatfernsehen zu haben. Auf der einen Seite erfährst du dadurch Aufmerksamkeit und profitierst davon, auf der anderen Seite lässt du etwa bei der Moderation von „Nutten gucken“ – deinem Public Viewing-Format von „Germany’s Next Topmodel“ – kein gutes Haar an den Privaten. — Jurassica: Das „Nutten gucken“ war kein Kalkül. Ich bin durch Zufall dazugekommen, als ich vor ungefähr acht Jahren noch im „Schmutzigen Hobby“ im Prenzlauer Berg gearbeitet habe. Da habe ich donnerstags immer aufgelegt und ein bisschen moderiert. Die Topmodels habe ich damals privat super gerne gesehen. Da war es natürlich scheiße, dass die immer donnerstagsabends kamen. Aus dieser Situation heraus haben wir dann das Public Viewing veranstaltet. Ich fing an, das Ganze zu moderieren und zu kommentieren. Mittlerweile sehe ich die Topmodels ganz anders als früher. Privat würde ich mir das nicht mehr anschauen, weil es mich absolut nicht interessieren würde. Das Absurde beim „Nutten gucken“ ist ja, dass ich als Transe auf der Bühne sitze,

total nuttig aussehe und ein widerwärtiges Frauenbild präsentiere – und dabei Frauen verachtendes Unterschichtenfernsehen auf bösartige Weise kommentiere. Dabei bin ich eigentlich dasselbe, was sich auch im Fernsehen abspielt. Mittlerweile ist das für mich eine absolute Abrechnung mit dem Privatfernsehen, wo arme kleine Mädchen vorgeführt werden, die wahrscheinlich noch nicht einmal Geld dafür bekommen. Ich find’s widerwärtig. — Jonas: Es soll mittlerweile sogar Studien geben, die belegen, dass Jugendliche durch Sendungen dieser Art einem falschen Schönheitswahn verfallen und ernsthaft erkranken können. — Jurassica: Es gibt viele Jungs und Mädchen, die dieser Sendung total verfallen sind. Als ich beim GNTM-Finale in Mannheim war, war ich sehr überrascht: Ich dachte immer, dass Pro7 all seine Praktikanten und Volontäre zu so einer Veranstaltung karrt, damit die Halle voll wird. Die Zuschauer waren aber alle absolute Hardcore-Fans – Mädchen im Alter von sechs bis 15 Jahren sind extra mit Mama und Papa nach Mannheim gefahren, um die Models wie Stars zu feiern. Dieser Kritik stimme ich daher zu. Aber den Vorwurf, die Sendung würde krank machen, finde ich etwas weit her geholt. Würde die Sendung – zugespitzt gesagt – die Magersucht fördern, dann gäbe es doch nicht andauernd Berichte, dass Deutschlands Kinder immer fetter werden.


Das ist eine Diskrepanz, die mir nicht logisch erscheint. Die Mädchen wollen alle richtige Models sein und schön aussehen. Aber was sie in ihrem richtigen Leben machen, ist nochmal etwas ganz anderes. — Jonas: Dein YouTube-Videobericht über das GNTM-Finale startet mit einer Szene, in der du morgens an einer Straßenecke in Mannheim stehst und von Autofahrern angehupt wirst. Begegnet dir eine solche Verhaltensweise auch in Berlin? Oder ist das eher ein Merkmal der Provinz? — Jurassica: Das Gehupe hat man immer wieder, obwohl es in Mannheim schon extremer war als in Berlin. Hier sind die Leute so etwas eher gewohnt. Generell bist du als Transe aber immer eine Attraktion, wenn du raus auf die Straße gehst. Die Leute glotzen grundsätzlich immer, egal wo du bist. Aber das gefällt mir auch. — Ben: Glotzen auch die Männer? — Jurassica: Es gibt so viele heterosexuelle Männer, die insgeheim auf Transen stehen. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich zusammen mit zwei Transen an der Kurfürstenstraße für meinen YouTube-Kanal gedreht habe. Da haben etliche Autos angehalten – die Fahrer wollten wissen, wie viel wir nehmen. Das ist halt so, damit musst du leben können.

Natürlich gibt es auch oft Anfeindungen zu hören – damit stößt man bei mir aber auf Teflon. — Jonas: Gibt es Situationen, in denen du tatsächlich Angst hast? — Jurassica: Ich vermeide es weitgehend, mich selbst in derartige Situationen zu versetzen. Anders als viele Kolleginnen würde ich beispielsweise abends nie im Fummel U-Bahn fahren. Ich nehme immer nur das Taxi. Wenn ich im Kostüm bin, versuche ich grundsätzlich, möglichst wenige Reibungspunkte mit dem echten Leben als normaler Mann zu erzeugen. — Ben: Im Alltag bist du Mario – ohne Paillette und Makeup. Wie siehst du die Beziehung zwischen der Kunstfigur Jurassica Parka und dem echten Mario? Beeinflusst ihr euch gegenseitig? — Jurassica: Ich glaube, Jurassica ist ein großer Mehrwert für Mario. Bevor ich eine Transe geworden bin, habe ich auf andere Leute ziemlich anstrengend gewirkt – einfach weil ich schon immer sehr extrovertiert war. Jurassica bietet mir einen Kanal, in den ich das alles reinpfeffern kann. Privat bin ich dadurch sehr viel ruhiger und unaufgeregter geworden. So gesehen war Jurassica für meinen persönlichen Charakter fantastisch.




I M G RU N D E G E N O M M E N S I N D W I R A L L E WA H N S I N N I G G E LT U N G S B E D Ű R F T I G E T R A N SV E S T I T E N , D I E A L L E E I N E B Ű H N E B R AU C H E N . — Ben: Wie hat sich Jurassica über die Jahre verändert? — Jurassica: Sehr stark. Vor allem optisch. Mir ist erst neulich wieder bewusst geworden, dass das Gesicht das Wichtigste bei einer Transe ist. Natürlich auch das Outfit und die Haare – aber beim menschlichen Miteinander geht es vor allem um das Gesicht. Daher sitze ich am Makeup um die zwei Stunden. Outfit und Haare habe ich in 15 Minuten fertig. Als Transe arbeitest du permanent am Makeup, das ist immer unvollendet. Daher schaue ich mir nach wie vor YouTube-Tutorials an oder beobachte meine Kolleginnen. Wenn ich mir Fotos von vor einem Jahr anschaue, erschrecke ich jedes Mal davor, wie ich damals aussah. Das wird auch immer so bleiben. Bei Kolleginnen, die das seit 40 Jahren machen, ist das nicht anders. Jurassica hat sich über die Jahre aber nicht nur optisch sehr verändert. Mit der Erfahrung wird man einfach besser im Job: Heute bin ich beispielsweise viel eloquenter als früher. Vor drei Jahren hätte man mich nicht ohne Weiteres unvorbereitet auf eine Bühne stellen können. Mittlerweile habe ich mir aber eine Art Handwerksköfferchen gebastelt, das ich aufmachen und meinen

Text abspulen kann. Das verbessert sich stetig. Und auch die Gagenverhandlungen werden besser. Ich habe es immer gehasst, über Gagen zu verhandeln. Mir war das jedes Mal unangenehm. Mittlerweile bin ich da eiskalt. — Jonas: Hat sich mit der Zeit auch Jurassicas Charakter verändert? — Jurassica: Jurassica ist bissiger und böser geworden. Wenn ich mir heute Videos von vor drei Jahren anschaue, wirkt Jurassica im Vergleich zu heute sehr handzahm. Das liegt zum einen am Format „Nutten gucken“, aber auch an meiner Kolumne in der Siegessäule, in der ich für das Bösesein bezahlt werde. Böse Transen kommen immer gut an bei den Leuten – es hat mir aber auch viel Ärger eingebracht. Das gehört nun einmal dazu. — Jonas: Dein YouTube-Kanal ist für deine Arbeit ein zentrales Instrument: Du warst auf der Plattform bereits aktiv, als der Hype um YouTuber in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Wieso haben Videos einen so großen Stellenwert für Jurassica Parka?


— Jurassica: Das liegt an meiner Ausbildung. Bereits im Studium habe ich mich sehr für Videoschnitt interessiert, dementsprechend habe ich im Rahmen meiner Abschlussarbeit auch einen Film produziert. Das Cutten war schon immer mein Steckenpferd, daher war für mich von Anfang an klar, dass Video ein zentraler Teil meiner Arbeit sein muss. Der YouTube-Kanal ist dabei aber nicht aus irgendwelchen strategischen Überlegungen entstanden, sondern aus reinem Spaß. Damit habe ich auch nach und nach die Aufmerksamkeit von Menschen gewinnen können, die nicht unbedingt in der Schwulen-Szene unterwegs sind. Von diesen Leuten Anerkennung zu erfahren, freut einen natürlich umso mehr. Die sehen das, was ich tue, einfach aus einem ganz anderen Blickwinkel. — Jonas: Hinter der Produktion der Videos steckt eine Menge Arbeit. Schneidest du alles selbst? — Jurassica: Ja, das tue ich. Das ist zwar viel Arbeit, aber es macht mir auch eine Menge Freude. Und wenn ich das tue, gibt es für mich nichts anderes. Mein Mann sagt dann immer: „Ach, du bist heute wieder am Schnippeln? Gut, ich bin dann mal abgemeldet.“ — Jonas: Zu deiner Arbeit erhältst du nicht immer positives Feedback. Auf deinem Kanal gibt es einige Videos, in denen du dich aktiv mit diesem Feedback auseinandersetzt und beleidigende Kommentare vorliest und kommentierst. Wie gehst du persönlich mit dieser mehr als unsachlichen Kritik um? — Jurassica: Gar nicht. Ich lese es einfach vor. Persönlich geht mir wirklich am Arsch vorbei – obwohl da oft wirklich krasse Kommentare dabei sind wie etwa „Die Transe muss

brennen!“. Ich frage mich, warum Leute so etwas schreiben. Aber damit musst du eben rechnen, wenn du dich als Transe auf YouTube zur Schau stellst. Und es dir einfach am Arsch vorbei gehen zu lassen, ist der einzige Weg, um damit umzugehen. Wenn ich das lese, sitze ich nicht zuhause und heule. Ganz im Gegenteil: Ich finde das wirklich unterhaltsam. Mir ist klar, dass die Leute, die das schreiben, dumme und armselige Menschen sind, die es einfach nicht besser wissen. Das sieht man alleine an den unzähligen Schreibfehlern. Ohnehin gibt es im Internet ja keine Grammatik. Aber die Kommentare unter meinen Videos schießen nochmal den Vogel ab. Ich muss zugeben, dass ich mich richtig darauf freue, dass derartige Kommentare bei mir gepostet werden. Mittlerweile habe ich schon wieder eine riesige Liste voll, sodass es dazu bald ein neues Video geben wird – das mir wiederum etliche Klicks beschert. — Ben: Stößt du auch innerhalb der Berliner Szene auf Ablehnung oder Kritik an dir und deiner Arbeit? — Jurassica: Die Konkurrenz in Berlin ist natürlich enorm. Hier gibt es die größte Drag-Szene in Deutschland. Ich würde aber sagen, dass ich mit allen Kolleginnen auskomme. Es gibt natürlich welche, mit denen man sich besser versteht als mit anderen – bei denen gibt es dann eine ganz distanzierte Höflichkeit. Man kann ja auch nicht jeden mögen. Aber irgendwie müssen wir ja alle miteinander existieren und ich habe keinen Bock auf Zickerei. Im Grunde genommen sind wir alle wahnsinnig geltungsbedürftige Transvestiten, die alle eine Bühne brauchen. Natürlich gibt es Konfliktpotenzial, wenn die eine schöner oder lustiger ist als die andere. Das ist aber in allen Berufen so. Im Großen und Ganzen hält in Berlin die Szene zusammen.






ALS ICH NOCH SINGLE WA R , H A B E I C H B E I DAT E S N I E Ű B E R M E I N E N B E RU F G E S P RO C H E N .

— Jonas: Die Reaktionen auf deine Arbeit könnten kaum gegensätzlicher sein: Auf der einen Seite erhältst du im Internet Kommentare von Leuten, die all das hassen, was du bist, auf der anderen Seite wirst du als Dragqueen in der Szene extrem gefeiert und bewundert. Wie gehst du mit diesem Spannungsverhältnis um?

ich Grafiker bin. War ich allerdings von Anfang an offen und ehrlich, war der Abend meistens gelaufen. Das liegt vielleicht auch daran, dass man als Partner einer Transe ein riesiges Ego braucht: Ich als Transe stehe immer im Mittelpunkt, mein Mann ist dabei nur die First Lady.

— Jurassica: Das ist mir in dieser Form noch nie wirklich aufgefallen, aber du hast recht. Ich denke über so etwas nicht wirklich nach. Ich mache einfach mein Ding und lasse meinen Bauch entscheiden. Daher belastet mich das überhaupt nicht.

— Jonas: Es gibt Kolleginnen wie etwa Olivia Jones, die sich auch politisch äußern – ihr Auftritt auf einem NPD-Parteitag mit einem Kamerateam von „extra 3“ ist legendär. Glaubst du, dass du selbst durch deinen Beruf eine gewisse Verantwortung dafür trägst, gesellschaftliche und politische Mißstände anzusprechen?

— Ben: Als Transvestit hat man es oft auch innerhalb der queeren Szene nicht leicht, Diskriminierung von Trans- oder beispielsweise Bi-Menschen existiert auch dort. Hast du selbst damit Erfahrungen gemacht? — Jurassica: Ich persönlich habe gemerkt, dass es als Transe wahnsinnig schwer ist, einen Partner zu finden. Transen sind zwar unter Schwulen extrem beliebt und gefeiert. Aber als Freund? Bloß nicht – das ist zu schwul! Das geht nicht! Als ich noch single war, habe ich bei Dates nie über meinen Beruf gesprochen. Ich habe immer gesagt, dass

— Jurassica: Generell bin ich der Meinung, dass man als Transe ein gutes Sprachrohr sein kann. Ehrlich gesagt fällt es mir mir persönlich aber eher schwer. Als ich im letzten Jahr „Miss CSD“ wurde, war ich plötzlich ungewollt in einer politischen Rolle. Ich finde es generell wichtig, dass man bestimmte Dinge öffentlich anspricht – auch wenn ich mich selbst darin unwohl fühle. Für mich persönlich gibt es auch nur ganz wenige Kolleginnen oder Promis, denen ich politische Statements wirklich abnehme. Vielen gelingt es einfach nicht, politische Aussagen mit tatsächlichem Inhalt zu verbreiten.


In dem Moment wirkt es dann nur aufgesetzt und lächerlich. Manchen Personen nimmt man es einfach nicht ab. Man weiß ganz genau, dass sie es nur machen, weil es beispielsweise gerade total en vogue ist, Putin zu hassen. Politik ist für mich ein so vielschichtiger Bereich mit derartig vielen Pros und Contras, dass ich es mir nicht anmaßen möchte, Statements dieser Art zu liefern. Eine politische Transe zu sein ist extrem schwierig! — Jonas: Gibt es denn überhaupt ein rein politische Transe? — Jurassica: Generell gibt es innerhalb der Travestie große Unterschiede. Hier ein kleiner Crashkurs in Travestie: Es gibt die Dragqueen, sprich die Transe. Dazu zähle ich mich – ich bin schön, witzig und mache Entertainment. Und es gibt die Tunte, was eher ein Berliner Phänomen ist. Die Tunte ist immer politisch. Sie hat hier in der Stadt eine große Tradition. Das SchwuZ zum Beispiel wurde von Tunten gegründet. Die Figur der Tunte ist in den 70er Jahren aus der Homobewegung heraus als konterkariertes Spiegelbild entstanden: Aus dem Schimpfwort haben Männer in Frauenkleidern einfach eine Selbstbezeichnung gemacht.

Die Tunte ist zwar nicht so glamourig wie die Dragqueen – sie trägt eher einen ollen Fummel, ist nicht besonders gut geschminkt und die Haare sitzen nicht so richtig – aber sie hat eine politische Meinung, setzt ein Statement und geht bei jeder Möglichkeit auf die Straße, um die Regenbogenflagge hochzuhalten. Diese Form gibt es so nur in Berlin. Die Tunten sind auch die einzigen, denen ich politische Statements abnehme: Denen ist die Bewunderung und Medienaufmerksamkeit scheißegal, sie fahren mit dem Fahrrad im Fummel in die Disko. Ich selbst sehe mich allerdings überhaupt nicht so und habe mich auch nie so gesehen. — Jonas: Dafür spielt für dich als Dragqueen Humor eine große Rolle in deinem Leben. An welcher Stelle verstehst du keinen Spaß mehr? — Jurassica: Beim Haare anfassen! Kennt ihr die drei goldenen Regeln der Travestie? First rule: Never touch the hair. Second rule: Never touch the hair. Third rule: Never touch that fucking hair. Und das ist wirklich so! Ein anderes No-Go: wenn Leute meine Brüste anfassen wollen. Es ist doch so offensichtlich, dass das Plastikbrüste sind. Generell hört daher der Spaß für mich auf, wenn Leute übergriffig werden.






— Ben: In einer deiner Kolumnen schreibst du über Erlebnisse mit den Berliner Taxifahrern. Hört da der Spaß ebenfalls auf? — Jurassica: Taxifahrer sind ein Thema für sich. Die Mehrzahl der Berliner Taxifahrer ist arabisch- oder türkischstämmig. Und die lieben einfach Transen. Ich werde dafür zwar oft aus der politisch korrekten Ecke heraus kritisiert, aber ich sage es trotzdem. In der Türkei existiert ja Homosexualität offiziell nicht. Wenn man dort offen schwul ist, ist man eine Transe – und zwar eine Nutte. Viele prostituieren sich im Fummel. Und deshalb denken wohl viele Türken in Berlin, dass wir alle Nutten wären. So muss das sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Am Anfang meiner Karriere bin ich selbst auch das ein oder andere Mal auf eindeutige Angebote von Taxifahrern eingegangen – als ich betrunken war und mir das Taxigeld sparen wollte. Mittlerweile nervt es mich aber nur noch. Wenn ich gerade ins Taxi gestiegen bin und von der Rückbank aus schon die gaffenden Augen im Rückspiegel sehe, fühle ich mich genervt und belästigt. Meistens geht es dann mit ganz vorsichtigen Fragen los. Wenn ich ihnen daraufhin eine Abfuhr erteile, sind die meisten Fahrer plötzlich total devot und haben Angst vor mir. Die haben einfach einen riesigen Respekt vor großen Frauen! — Jonas: Homosexualität ist in den letzten Monaten und Jahren ein immer größeres gesellschaftliches Thema geworden. Glaubst du, dass wir insgesamt auf einem guten Weg in Richtung vollkommene Gleichstellung sind?

— Jurassica: In Deutschland geht es den Schwulen doch eigentlich heute schon ganz gut. In meiner Familie geht man mit mir und meinem Beruf ganz normal um. Das mag aber vielleicht auch ein Phänomen meiner Familie sein. Natürlich gibt es aber immer wieder Dinge, die mich einfach wütend machen. Vor kurzem hat der Regierungssprecher wieder kommuniziert, dass es mit dieser Regierung in dieser Legislaturperiode keine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare geben wird. Da bin ich stinksauer! An dieser Stelle sieht man, dass doch noch einiges gemacht werden muss. Aber das wird, alles braucht seine Zeit – leider. Ich finde, in den letzten 15 Jahren ist so viel passiert, was in den Jahrhunderten davor nicht passiert ist. Das ist doch ein gutes Zeichen. Die Entwicklung geht immer schneller und schneller. Meiner Meinung nach wird es letztendlich ein Selbstläufer sein. Ich merke das an der jungen Generation: Wenn ich in schwulen Clubs auflege, sind da so viele heterosexuelle junge Männer und Frauen, die mit Homosexualität so viel entspannter umgehen als früher. Denen ist das heute gar nicht mehr so wichtig. Das ganze Thema wird sich daher immer weiter verselbstständigen. — Jonas: Wie geht es mit dir persönlich weiter? Hast du einen Plan für die Zukunft? — Jurassica: Einen Plan gibt es nicht, aber es gibt Träume. Ich will auf jeden Fall innerhalb der nächsten maximal zehn Jahre aus der Disko raus. Es gibt Kolleginnen, die mit 50 immer noch in der Disko stehen und auflegen. Ich merke aber schon jetzt mit 35, dass es mich anstrengt, mir die Nächte am DJ-Pult um die Ohren zu hauen.


TA L K I S T G E N AU M E I N D I N G . M E I N G RO S S E R T R AU M I S T E S , I RG E N DWA N N M E I N E E I G E N E S H OW I M F E R N S E H E N ZU HABEN.

Manchmal bekomme ich auch Musikwünsche, von denen ich noch nie im Leben etwas gehört habe. Langsam gibt es einen Altersunterschied zwischen mir und meinem Publikum, dass ich mich auf manchen Partys wie die Kindergärtnerin fühle. Irgendwann wirke ich dann auch nicht mehr authentisch am DJ-Pult. Das Nacht- und Partyleben geht eben auf Dauer nicht. Seit einer Weile habe ich im BKA-Theater meine Late-Night-Show „Jurassica Parka – Paillette geht immer“, die mir unglaublich viel Freude bereitet. Ich bin zwar überhaupt keine Show-Transe, aber ich kann lustig sein und reden. Talk ist genau mein Ding. Mein großer Traum ist es, irgendwann meine eigene Show im Fernsehen zu haben. Fernsehen ist mein Medium. Gäbe es noch „Wetten, dass...?“, würde ich das übernehmen wollen.

Ich musste in der Vergangenheit leider immer wieder feststellen, dass es sich die Sender nicht trauen, eine Transe ins Fernsehen zu holen. Travestie gibt es im deutschen Fernsehen einfach nicht. Außer vielleicht bei „Punkt12“, wenn sie mal einen perversen Schwulen brauchen, der Perücken austestet. In diesen Momenten ärgere ich mich manchmal, dass ich mir diese Optik ausgesucht habe. Als Mann würde ich es zwar niemals machen wollen, aber ich hätte es auf jeden Fall leichter. Aber auch das wird sich verändern! In den USA ist Travestie durch Sendungen wie „RuPaul’s Drag Race“ zum Mainstream geworden. Das wird in Deutschland noch ein paar Jahre dauern, aber dann wird auch hier der Fernsehmarkt offen sein für die Transen. Ich bin allzeit bereit!




F L O R

TEN


R I A N

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TEXT & FOTOS: FLORIAN TENK Florian Tenk ist 27 Jahre alt, studier t Kunst mit Schwerpunkt Fotografie und lebt in München. www.floriantenk.de

LETZTE FR AGMENTE Alles, was ich von ihm habe, hat er mir gesagt. Oder: Das, was ich von ihm haben kann, ist bereits gesagt. Endlich ist es wieder soweit für den nächsten Herzschlag, nur alle zwei, drei Wochen, wenn wir unsere Wege an diesem Tisch kreuzen lassen. Welche Seite wem gehört, weiß inzwischen keiner mehr. Vorbei die Jagd, vorbei. Jetzt spricht er zu mir in letzten Fragmenten. Was wird jetzt noch passieren, geht mir durch den Kopf. Ich mag Orangen sagt D. und da erscheint das Bild von einer perfekten Orange auf dem Tisch. Nur ein Stück Stängel ist dran, er ist noch grün und zeigt nach Norden. Magst du auch Orangen? Ich ja schon. Ich glaube, ich mag keine Orangen. Weißt du, ich mag auch Türen, sagt D. Also beiße ich doch schnell in die Orange, bevor D. auch eine Tür auf den Tischen malen kann. Etwas zu schnell, um dabei ehrlich zu wirken. Ihr Geschmack trägt die Bitterkeit meiner Gedanken, denn ich weiß jetzt schon, zum Norden hinaus gehen wird er trotzdem bald, das weiß er auch. Und ich weiß auch, alle, die aus seiner Gegend kommen, haben einen starken Willen, wenn ich es aber schaffe, dass er noch ein, zwei Momente länger bleibt, werde ich wieder vergessen, was ich ihm zuerst an den Kopf werfen wollte.


Dass er mir ein Wort erfunden hatte: Und dann doch noch eines hinterher schob, es heißt ichwollteesnureinfachhaben. Und wenn alle Probleme unserer Zeit, doch nur noch Übersetzungsprobleme sind, habe ich noch nicht gelernt, wie man das buchstabiert. Wenn er später zurück sein wird, in seiner Gegend und einer an seinem Tisch sitzt, oder zwei, die über mich lachen, weil man mir die Herkunft ansieht und ich seine Worte nicht übersetzen kann. Alles richtig machen, kann man doch eh nur, wenn man gar nichts mehr macht – und so spucke ich ihm einen Orangenkern an den Kopf. Ich habe alle Kerne hinter meinen Zähnen gesammelt, sie sind der einzige Teil von meiner Orange, den ich jetzt beginne zu mögen. Diese Menschen, die dann an seinem Tisch sitzen werden, schütteln den Kopf über mich, denn alle, die aus seiner Gegend kommen, schütteln den Kopf über die mit meiner Herkunft, die nie finden und nur denken im Suchen stark zu sein. D. schaut mich heute zum ersten Mal an, so wenn man angesehen wird und darin neu entsteht, mit seinem schrägen Blick, von unten herauf in die Augen. Vielleicht hat ihn der gespuckte Kern getroffen, doch unter seine Haut hat er es sicher nicht geschafft. Schon als er meinen Mund verlassen hatte, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Daran wird nichts mehr wachsen, weil an D. keine Dinge hängen bleiben. Langsam hebt sich seine Lippe, ob es ein Lachen ist, kann man nicht mehr erkennen, nur seine Zahnreihen aus Kernen, die er schon lange mit sich trägt. Mit dem letzten Rest meiner Orange, den ich nicht vermissen werde, ist seine Zahnreihe nun ganz. Die Laute aus seinem Mund sind die seiner Zukunft, unsere Sprachen sind jetzt ganz verschieden. In dieser Sprache malt er auf den Tisch seine ersten Rudimente. Ich kann es jetzt noch nicht lesen, aber ich denke, für ihn heißt es gehen, für mich heißt es bleiben.


K.F


L AY




STILL SUR– PRISING Kristine Flaher ty aka K.Flay is a 30-year-old musician and producer living in Los Angeles, California. www.kflay.com


INTERVIEW: M AXIM TSAREV PHOTOGRAPHY: ROBERTO BRUNDO

— Maxim: Is this your first time in Berlin?

expensive in New York right now. I have a lot of people there.

— K.Flay: No, this is my second time here. We played here in January. But never before then, so I’m still getting to know the city.

— Maxim: You were signed to a major label when you lived in New York, right?

— Maxim: You had more tour dates in Germany, didn’t you?

— K.Flay: Yeah, I was with RCA. Those were the dark days.

— K.Flay: We did. They were cancelled, which, in a twist of fate, turned out to be a good thing. I’m bummed to miss those shows but we’ve gotten to stay in Berlin, do press for the album, and get to know the city. I feel like I’m starting to figure it out.

— Maxim: The dark days?

— Maxim: Where do you call home right now? — K.Flay: Kind of L.A. at the moment, I guess. My last apartment was in New York but that was two years ago. Since then most of my stuff has been in storage, and I’ve been sub-letting a place here, a place there, for a month or two at a time. Honestly, I’m kind of getting sick of it. I feel too untethered. In Los Angeles, I’ve mostly stayed at friends’s places while I’m on the road. It feels like most of my music friends moved to L.A. because it’s too

— K.Flay: They weren’t really so dark but it took me about a year to get off the label. All that shit takes a while. After that I left my apartment, and just went floating in the wind. It was a frustrating experience because I wanted to put out a full-length record while I was on the label, and never got to. It was a formative experience in many other ways. It taught me how I wanted to do it when I finally got the opportunity. We’re all still friends so there aren’t any hard feelings. — Maxim: It all turns out in the end, I guess? — K.Flay: Eh, they don’t really care over there. They make so much money, and I was never really profitable for them.






— Maxim: This isn’t your first turn in California though, is it? I read somewhere that you had gone to Stanford. — K.Flay: I grew up outside of Chicago, and then I moved to the Bay for school. I ended up staying there for a while, and now my mom and stepdad live in Oakland. I have a bunch of extended family over there. It’s always been a home-type of place. — Maxim: If you were forced to categorize yourself, and say, ‘’I am a rapper, or a musician, from XYZ,’’ which city would you choose? Is there a scene you would lay claim to? — K.Flay: I wouldn’t say I was part of a scene, just because I don’t think that I am. I would definitely say I was based out of San Francisco because that’s the city that I started making music. It’s where people supported me, and it’s where I came up, playing music. Sometimes I’ll feel sad because I never belonged to a scene. My drummer was super into pop punk back in the day. It was a cohesive scene, and there was a real sense of community. And I’ll say to myself, ‘’Man, you should have been making that music fifteen years ago’’. It seems so fun. There is a community of musicians from the Bay that I know. We’ve been crisscrossing paths in the last four years or so. — Maxim: You mentioned before that you were born outside of Chicago. Are we talking suburbia here? — K.Flay: One hundred percent. I was born in Evanston, and I grew up a ten minute’s drive

from there. It was very leafy, not a lot of crime. — Maxim: Were you in Chicago proper often? — K.Flay: Fairly often. As I got older definitely more so, especially when I started going to shows, and ventured outside of the little bubble. Everything in Evanston closed around 21.00, and that eventually got old. My brother and sister, my parents – almost everyone – left Chicago. I’m not there for the holidays which is weird because it is where I grew up. Maybe it isn’t that weird anymore. Who knows. — Maxim: I grew up all over the place, so I can relate. You said you started going to shows in Chicago – were those rap shows, punk gigs, or something else entirely? — K.Flay: No, to be honest I was a late bloomer, musically. Back then I would mostly just go to indie rock shows. That was the stuff my friends listened to. I never really spearheaded the effort. I didn’t get into music as a lifestyle until college which is odd. I listened to music but I was never immersed in it. Now I love going to shows. I’ve been here a week, and I’ve already seen two. — Maxim: Being a musician isn’t second nature to you then? — K.Flay: Funnily enough it you’ve been walking your entire life, and that there’s another and way cooler.

is though. Imagine the same way home suddenly you realize path that is shorter


SOMETIMES I‘LL F E E L S A D B E C AU S E I N E V E R B E LO N G E D TO A S C E N E .

Once you find it, you ask yourself why you ever did things differently. When I did discover music for myself it was a really easy fit. To the point that – and I was completely sober at the time – I never felt nervous, never wanted a drink before a show. It just felt very natural and easy. It’s kind of like dating someone you love. When you meet them it falls into place but before that it’s just terrible. — Maxim: Speaking of sobriety, in one of your songs you talk about sucking on a bottle of Jim Beam. — K.Flay: Oh, my mom loves that one! — Maxim: That’s my personal favorite on the album! So you do drink now, right? — K.Flay: I do drink. Jim Beam is good. Nobody has paid me to say that! — Maxim: I’m from Kentucky so hearing that warms my heart! — K.Flay: Whiskey is a great thing to drink when you

have no reliable access to ice or soda. It became my backstage go-to. You never know what misfortune lurks back there, so I adopted it because it’s nice to drink neat. Warm gin just doesn’t really taste that good. — Maxim: I spent many a warm night in college on the way to, or from, a show or house party, passing a bottle of bourbon back and forth. Just something that comes naturally, I guess. You said that you started making music professionally in college. — K.Flay: Yeah, not professionally. Very horribly in fact. Everything was delayed for me. That was my time for figuring things out, experimenting, and playing really weird shows. My philosophy was to say yes to everything. Not to people neccessarily, but to anything music-related. For example, somebody could be throwing a house party really far away, and it might not be clear whether anyone would show up, and I would still have said yes if asked to play. You never know where opportunity is going to strike. That’s why it’s cool to say yes like that. My first serious release was in 2010 – “the Green EP”. That was my tippy-toes release.






I F YO U ‘ R E C O O L I N M I D D L E S C H O O L , YO U ‘ R E P RO B A B LY N E V E R G O I N G TO B E C O O L AG A I N . — Maxim: And then later you had a couple of mixtapes? — K.Flay: Yes, “I Stopped Caring in ‘96” and “West Coast”, and then the full-length record. — Maxim: How do you come by your titles? “Life as a Dog” is just such a cool title. It reminds me of the Bulgakov novel “Heart of a Dog”. I was wondering where you get the inspiration. — K.Flay: The inspiration literally comes from things I’ve said. For “Life as a Dog” I was fresh off the label, I was super bummed out, and I was staying in New York. Anyway, I got out of the shower one day, and my hair was really fucked up looking, and I was really fucked up looking for some reason, and I took a picture of myself. I think it’s still on instagram. I captioned it, totally off the cuff, with “Life as a Dog”. Later that day I started a Soundcloud stream of demos with the same title, and it just naturally became the album title. With “I Stopped Caring in ‘96” I was talking to a friend, and just said exactly that. That was the year I stopped caring what anyone thought. Obviously I still wanted to be a kind person but I just didn’t care what other people thought about my clothes, or whatever. These are just things I’ve said. — Maxim: Wow, so in ‘96 you must have been ten. That seems like a pretty early age to quit giving a fuck.

— K.Flay: Yeah, I was in Mr Spangenburger’s class. He was a terrible teacher by the way. I don’t really want to tarnish his image but he really wasn’t very good. The one really cool thing about him was that he was missing half of his index finger. He would make up stories about how it happened but they were all lies. Probably he just didn’t use a saw correctly. — Maxim: He wasn’t your shop teacher, was he? — K.Flay: No, he was my fifth grade teacher. He was in charge of everything, except for math and Spanish. I literally did not learn anything that year, except for the lyrics to “Shantily Lace” and “Lemon Tree” because he would do sing-alongs. — Maxim: Was that the Peter, Paul and Mary “Lemon Tree”? — K.Flay: I honestly have no idea but I know the words! I remember that I came to school wearing shorts over sweatpants, and I have no idea what compelled me to do this but one of my friends asked me what I was doing. Everybody thought it was weird but nobody really cared, and I remember thinking that I could do whatever I want. That’s really liberating for a kid. It’s difficult being that age but I just kind of acquiesced to my status as a weirdo. It was nice. — Maxim: Have you ever read Sylvia Plath?


— K.Flay: I have! — Maxim: Okay, so there’s this scene in “The Bell Jar” where the protagonist is eating at this fine dining restaurant but she’s doing it with her hands instead of utensils. And she claims that if you do something with enough self-assurance, you can get away with anything. That’s what your shorts and sweatpants made me think of.

— Maxim: Speaking of parents, your dad died when you were fairly young, right?

— K.Flay: I think it’s good to be kind of niche cool in high school. Friends with some of the cool kids but not getting super fucked up when you’re fourteen, sleeping around. I’m not about to become a parent though. Just putting that out there.

— K.Flay: Yeah, he died when I was fourteen. That was the big reason why I was sober for so long. Him not being sober was the cause of his demise. Often, when you have a parent who’s an addict, you gravitate towards these extremes. Either you start very young, or you swear to never do any of it, which is more where I fell on the spectrum. It was cool because I did eventually find the grey area of moderation. It’s nice to go out, and be able to enjoy wine with friends. As a kid my view was much more polarized. Growing up, all of my friends experimented. In a way it was nice to never have a hangover though. When I was in college I would get up every Saturday to go to the library, so that I could get my work done for the weekend. People were always tired, and didn’t want to go anywhere, which I just couldn’t relate to. Then I had my first hangover, and realized what was going on. I was like an alien for a while. It’s bizarre because I had no concept of what it was like to be altered. At parties I would act crazy just because that was the atmosphere there. I didn’t know what it was like to actually be –

— Maxim: Damn, I’m not breaking the story, am I?

— Maxim: Twisted?

— K.Flay: That would be bad news for me right now.

— K.Flay: Yeah, twisted.

— K.Flay: It’s true. Especially when you’re young – nobody knows what they’re doing. Everyone is so lost that if you move forward with confidence, you can get away with it. I hope I have a weird kid who studies a lot. I really hope that my kid is not cool! — Maxim: I feel like there are phases of coolness. If you’re cool in middle school, you’re probably never going to be cool again.






— Maxim: I’m the guy who’s been having hangovers since he was fourteen, so I have a lot of trouble relating to this. It’s fascinating but way out there for me. — K.Flay: It’s so weird doing it all in reverse. I know a lot of people who were really crazy when they were kids, and now they’re calming down. They don’t go out much. I was going out all that time but I didn’t have my first drink until I was 23. I missed out on all the shitty alcohol. — Maxim: I think that’s one of the problems when you start young: You drink really cheap booze that makes you sick to the point where you get flashbacks just from smelling it. I couldn’t drink vodka at all for a long time because of that. — K.Flay: It’s true. You just drink swill when you’re young because you have no money. When I started drinking I was having these nice craft beers. I entered at a much more civilized place than my friends did at seventeen. — Maxim: You were never curious, watching your friends? — K.Flay: Oh, I was unshakeable. Not at all. I believed that I had this moral imperative not to do it. This is gonna sound extreme but it would never occur to me to steal from someone. I’m not tempted. I’m not curious. That’s how I felt about alcohol. — Maxim: That’s cool in its own way though.

— K.Flay: It didn’t affect my social life at all. My friends just always had a designated driver, which was tight. — Maxim: What did you study at Stanford? — K.Flay: I was a psychology-sociology major. Mostly I was interested in power structures, and how they affect the way people act, and think, and vote, and do a million other things. — Maxim: Could you see yourself as a sociologist if you weren’t making music? — K.Flay: I don’t know what the hell I’d be doing. I really loved school, and learning. I like being in an academic environment because there are a lot of ideas floating about. The same goes for music – there are so many different ideas. I really have no clue what I’d be doing. It’s kind of terrifying when I think about it. — Maxim: On the other hand it’s great because it’s working for you the way you’re doing it. For me there are always fifty other things I could see myself myself doing, and I often wonder, ‘’What the hell am I doing now?’’ — K.Flay: Most people think about the what-ifs, or wonder about opportunities that they missed out on. To a certain extent I engage in that line of thinking. Once I’ve made a decision to do something though, I don’t spend time thinking about what I could have done instead. It’s liberating on the one hand but weird on the other.


S O M E T I M E S I T ‘ S G R E AT TO BE ON DIFFERENT SIDES OF T H E P L A N E T, A N D H AV E T H E E L E M E N T S C O N V E RG E U N E X P E C T E D LY.

I never even day-dream about doing other stuff. It’s strange that I even started doing music. One day I just decided to start doing it.

and nutty song on it. I thought it would be cool to have him on it so I asked, and he said yes.

— Maxim: So you’ve remixed one of Danny Brown’s songs, or have you actually recorded with him in the studio?

— Maxim: How does that work? Do you ask, and he sends in a verse, or does he physically come into the studio.

— K.Flay: Both. A friend played XXX for me real early. I had never even heard of him up until then. That album had just come out, and obviously I was struck by its difference. It’s a very interesting record. I love the song “Party All the Time”, so I just remixed it on my own. It premiered on some magazine, and he saw that and reached out. Then we played a couple of festivals together, so we got to hang out. Around that time I was working on an EP, and it had this really weird

— K.Flay: It totally depends. I was on tour at the time, so I couldn’t be in the studio. He recorded it wherever he was, and sent it to me. I’ve done it both ways though. With rap stuff it’s more common to just record it wherever, and email it in. For the more electronic collaborations it’s really cool to get together in a room because it can change everything about a track. Sometimes it’s great to be on different sides of the planet, and have the elements converge unexpectedly.




— Maxim: In a way you sound like a prime example of the universal musician: Collaborate with anyone, feature on anything. I remember hearing one of your tracks on “Girls”, and I love that show. It must be awesome to have exposure across so many different mediums and platforms. — K.Flay: I started out in more of a hip-hop/rap capacity but I don’t think you could call the latest record a rap album. I would call it more of an alternative album. Obviously it does have some rhythmic speaking and singing but I feel like I’ve embraced the chaos of having no genre. It’s great because there are no rules. Nobody expects a specific thing from me, which is liberating. I can be creative without constraint. At first it was troubling because people thought it was all over the place but I came to terms with it. — Maxim: Is there a sense of disconnect to hear one of your songs play during an episode of television? — K.Flay: No, it doesn’t seem weird. It is really exciting. There are layers of performance with every song: If I sang right now, that would be the closest I get to my art. When

I hear myself on a record there’s a layer of separation. Then a music or concert video is another layer. Finally, when your music is part of something that has nothing to do with you, that’s another layer of abstraction. It almost feels like it isn’t you. In that way it can be weird. — Maxim: Have you gotten used to hearing your own voice? — K.Flay: Yeah, I’ve gotten used to it. Almost everyone I know hates hearing their own voice. I actually had to record my mom’s voicemail message because she doesn’t want to be on it. Sometimes it still surprises me, even though I’ve heard it a million times. — Maxim: Are you touring until the end of this year? — K.Flay: In terms of confirmed things, I’m booked until mid-August. Hopefully we’ll be back in Europe in the fall. Maybe around October/ November. I still need to figure out what the next thing is gonna be. I have a couple of ideas but I need a month or two to sit down, and write somewhere. I definitely don’t want to be on tour the whole time.


N O B O DY E X P E C T S A S P E C I F I C T H I N G F RO M M E , W H I C H I S L I B E R AT I N G .

— Maxim: Are you mostly playing festivals, or other venues? — K.Flay: It’s a good mix of the two. We’re doing a couple of indie festivals. Then some radio stuff because two of my songs are getting air time. Then just some regular headline club shows. I’m opening for AWOLNATION for part of the summer, and then for a week with Third Eye Blind. That’ll be cool because they will be really big shows. Way more people than show up for my shit. It’s really interesting to open for someone because it isn’t really your party. You’re like the apetizer but you still have to be good. You’re not the steak. Afterwards, ideally, people would still say, ‘’That bruscetta was good!’’ — Maxim: When you are on tour you must spend a lot of time with other musicians. Just as an example, I saw that you got a shout-out from Carly Rae Jepsen recently. — K.Flay: Yeah, I actually met her through a writer friend of mine who was helping her out with a track. He’s an awesome dude, and a really big support. He played her my record, so she decided to come to a show, and we ended up hanging out afterwards.

Now we hang out when both of us are in L.A. She’s super awesome. You meet all kinds of people: Metal, pop, hip-hop. Make friends everywhere you go. That’s the seamlessness of the whole experience. We did the Warped tour last year, and that’s very much in line with what I do. It’s very DIY. Everyone’s really humble because you’re all out there together in 120 degree sun, sweating like a goddamn animal. We made friends with people who play in all of these heavy-ass bands. Music I hadn’t listened to my entire life, and these were the nicest people. Have you read the new Kim Gordon book? — Maxim: I haven’t but it’s on my list. — K.Flay: Okay, well there’s this part in it where she talks about Courtney Love, and a couple of other heavier singers. Many of them would finish a show, and then go back to the bus to watch Coneheads – do something really subdued. Some of them were insane but their main outlet was playing. The point being that you have to get that energy out somehow, and if the music is crazy enough, you don’t neccessarily have to be crazy the rest of the time with partying and drugs.




A M E

S AT Z


E L I E

ZGER




TEXT & FOTO: AMELIE SATZGER Amelie Satzger ist 20 Jahre alt, Fotografin und lebt in München www.facebook.com/ameliesatzgerphotography

VERSUCHE GLŰCK Ich suche schon mein Leben lang. Nach Schlüsseln, Brillen, Handys und Glück. Immer dieses Glück. Es wollte einfach nicht kommen. Fand ich Liebe, zerbrach eine Freundschaft, schloss ich Freundschaften, lief es in der Familie schlecht. Und das in einem ewigen Kreislauf, sodass ich immer suchte. Nach Vollkommenheit in einer Form, wie sie nur in unseren Köpfen existiert. Das Ende einer Suche kommt nur zufällig in der Perfektion eines einzigen flüchtigen Momentes vor, den man, wenn man Glück hat, in irgendeiner Form festhalten kann, sei es mit einem Lied, einer Zeichnung oder einem Foto, um sich an seine Existenz später noch erinnern zu können. Viele Menschen sind traurig, weil sie nicht finden, was sie suchen. Ich wäre traurig, nichts mehr zum Suchen zu haben. Die Suche nach mehr gibt mir eine Richtung im Leben. Ohne Suche wäre Stillstand.



H A N

LIPP


N E S

PERT




TEXT & FOTO: HANNES LIPPERT Hannes Lipper t ist 31 Jahre alt, 3D-Ar tist und lebt in Berlin. www.cargocollective.com/hanneslipper t

Es ist Mittwoch 20:15 Uhr. Eigentlich ist das egal, denn auch an den anderen Wochentagen sitze ich um die gleiche Zeit – sozusagen zur Primezeit – auf meinem mittlerweile leicht abgewetzten Ikea-Ledersofa. Vor mir steht eine geöffnete Flasche lauwarme Hopfenbrause und mein Blick ist auf meinen Fernseher gerichtet... nicht so ein neues Teil… nein, noch Röhre.

URKNALL

Das Bild zeigt lauter kleine Punkte, schwarze und weiße. Ich habe mal gelesen, dass der Ursprung des sogenannten „Weißen Rauschens“ hier vor mir in meiner Berliner Altbauwohnung im Urknall liegt. Nun liegt ja der Ursprung von allem, das wir kennen, irgendwo bzw. irgendwie im Urknall, so 'ne halbe Milliarde Jahre in der Vergangenheit. Hmm… nun stellt sich mir die Frage: Liegt auch die Ursache unserer heutigen Probleme irgendwo da vergraben? Wie der festgefahrene Stellungskrieg zwischen schwarzem und weißem Punkt, kämpft alles, das ich kenne, irgendwie gegeneinander an. Religionen, politische Ansichten und fanatische Fußballproleten sind nur winzige Beispielfussel in meiner beschränkten Vorstellungskraft. Aber davon abgesehen: Was wäre denn, wenn neben der Ursache der unzähligen Probleme auch die Lösung derselben im Urknall liegen würde? Und nun sitze ich hier und suche zur besten Sendezeit, inmitten des Geflimmers – dieser einzigen mir bekannten Verbindung zum Urknall – nach einer Lösung der unzähligen Konflikte um uns herum. Dauert wohl 'ne Weile.



F R A S

GOR


E R

A .

MAN






Fraser A. Gorman is a 23-year-old musician living in Melbourne, Australia. www.fraseragorman.com.au

P E R M A足足N E N T FUN


INTERVIEW & TEXT: JON AS MEYER PHOTOGRAPHY: MORITZ JEKAT

— Jonas: You know, you don‘t meet that many people from Australia here. It‘s always something spe-cial for us Europeans. We have a very romanticized notion of your country – happy people, sunny beaches. Would you say that your experiences growing up confirm or deny that image? — Fraser: I suppose a bit of both. Australia is very beautiful, and chilled-out, and sunny, and cool like that. At the same time it‘s normal. When I come here I‘m always struck by the beauty and age of everything around me, like the buildings and the mountains. In general it is true that Aus-tralians love the outdoors – the hot weather for going to the beach and getting a sun-tan. — Jonas: Do you get bored of it? — Fraser: Yes, you definitely can. I much prefer to be here in Berlin this summer. There‘s so much more to do. You have this great nightlife here, and stuff like that. It‘s a super vibrant kind of place with more people. The good and bad thing about Australia is that there aren‘t that many people living there. You could probably find a tourist bar and have a pretty good time, and you could probably find a deserted beach to swim at but that‘s about the extent of it. Here in Germany you have so many people with so many cities that are worth going around. It depends on what you like.






— Jonas: I’d like to ask you about your development into a musician. It seems like the whole process was very pragmatic. For example, your stuttering was the only reason why you started singing at the age of twelve. — Fraser: I still do stutter! — Jonas: Really? — Fraser: Yeah, I try not to. — Jonas: I didn’t notice.

I DUNNO WHETHER M Y P R AG M AT I S M IS A GOOD OR BAD THING.

— Fraser: Nah, just spend a little more time with me and you’ll realize that it isn’t. — Jonas: Still, you seem very pragmatic about your music. You picked up the guitar shortly after you started making music because it was easier than singing. Then you added a letter to your performing name because you didn’t want people to mix it up with your facebook name. Is pragmatism part of your personality? — Fraser: I guess it is. I’ve never really given it much thought. I dunno whether my pragmatism is a good or bad thing. — Jonas: It certainly makes things easier, I should think. — Fraser: Yeah, that it does. I’m trying to get it to a place where it’s as relaxed as possible. I’m all about chilling out.







WHEN WE COME WE CARRY OUR OVER. AUSTRAL JUST TOO HOT ABOUT THE SMA


E HERE, LIFESTYLE LIA IS TO CARE ALL THINGS.








— Jonas: Do you apply that demand to your music? — Fraser: Yeah, we do. We aren’t a super loud band. For lack of a better word we are pretty chilled-out. I reckon it’s a very common Australian trait. When we come here, we carry our lifestyle over. Australia is just too hot to care about the small things. — Jonas: How did your love of the musicion Justin Townes Earle come about? Does that have a prag-matic background as well? — Fraser: It actually does. When I was growing up I played in this garage punk band. I was the driving force behind that band. We went on tour but it was just hard. Anyway, I saw Justin Townes Earle play solo at a festival, and he was incredible. He’s an amazing performer. When I saw him it blew me away. He was just going nuts on-stage, and it really inspired me to make music on my own. I don’t really listen to his music that much anymore but it definitely made me want to continue. — Jonas: Was that because he reached so many people, or because of the music itself? — Fraser: It was everything. He makes a lot of noise for one guy. It was a great gig. I was on acid at the time which probably helped to fuel how good I thought it was. — Jonas: How old were you? — Fraser: Nineteen. I saw him, and pretty much went home to start writing songs. — Jonas: So that was the turning point?


— Fraser: Yeah, I’d played in bands before but that reinvigorated me. — Jonas: Did that turning point make you realize what kind of music you would like to make? — Fraser: Justin Townes Earle is kind of this modern outlaw country musician. I found a love for that kind of music through him. His middle name comes from Townes Van Zandt who died in the late ‘90s. I learned a lot about that style of music through his music. It’s one of those things where you find someone you really like – say Bob Dylan for example – and then through Dylan you discover Neil Young or the Stones. It’s this world of music you keep going through. — Jonas: I remember when I was thirteen, and my dad had these Neil Young and Emmylou Harris records that I would listen to in the evening. The next morning I would go to school, and talk about liking my dad’s music. It was so uncool. — Fraser: Oh yeah, definitely. I know that very well. — Jonas: I read that Melbourne has a very competitive music scene. — Fraser: Yeah, Melbourne is known for having all these great bands, even though it’s such a small place, and it’s in the middle of nowhere. It’s not very easy to get to, and because of that it’s a very tight-knit community. Bands want to be good because you’ve only got your peers. That natural competitiveness is the reason that Melbourne has such a good music scene. The competition drives the music. People want to be good.






— Jonas: At the same time you have some very special relationships within the community, don’t you? Your friendship with Courtney Barnett comes to mind. — Fraser: Oh yeah. I’ve been friends with for years. She was one of the first people I met when I moved to Melbourne. We were both doing singer-songwriter things when we were starting out. We bonded over that connection. It’s like when you go to school, and you become friends with someone because you both have similar interests. We were both making music, and we both had bands. She’s fucking good at it too. — Jonas: Who’s the guy who makes your videos? — Fraser: His name is Sonny Leunig – an incredible guy. — Jonas: How did you get to know him? — Fraser: Oh, I met him years ago in Melbourne as well.


WHENEVER THINGS AREN‘T FUN ANYMORE, YO U G OT TA H O L D U P, A N D A S K WHERE THINGS W E N T W RO N G .

Like I said, Melbourne is a pretty small place. Once your band gets a bit of note, you very quickly meet everyone there. It’s really cool because you suddenly have all these mates. — Jonas: A few weeks ago, your first record “Slow Gum” came out – where do you want to go next? — Fraser: I want to go everywhere. I really want to travel around Europe more. I’ve been to the UK twice, and to the US. I’m going back to the States this year. I want to come back to Berlin, as well, and just cruise around. — Jonas: And where do you want to go generally in your life? — Fraser: Anywhere that’s fun. My goal in life is to permanently have fun. Whenever things aren’t fun anymore, you gotta hold up, and ask where things went wrong. That ties back into the picture we have of Australia. That’s right. It’s important to have fun. What else is there to do?


















K E R

BEC


R I M

KER




TEXT & FOTO: KERIM BECKER Kerim Becker ist 22 Jahre alt, Musiker in der Band Zaunkönig und lebt in Berlin. www.youtube.com/user/StandbeinSpielbein

WA R T E N A U F DEN FLOW Ok. Erstmal die Musik ausmachen. Man braucht Ruhe zum Schreiben. ... Aber wenn die Ruhe unerträglich wird und dieses Rauschen im Kopf einsetzt? Was braucht man dann zum Schreiben? Pilze? Kokain? LSD? Gummibärchen? Immerhin regnet es jetzt endlich und diese schwüle Luft verzieht sich. Also Fenster auf und Kopf abkühlen. einatmen, reinhorchen, einfühlen Die Fakten: Heute ist der 13. und am 15. ist die letzte Abgabemöglichkeit. Zwei Tage. Scheiße! Unter Druck schreiben ist scheiße! Das klappt nie.


Warum eigentlich nicht? Muss einen immer die blöde Muse küssen, damit was kommt? Kann sich nicht mal einfach so was ergießen? Ich mein’, beim Masturbieren klappt’s doch auch... Über was reg’ ich mich eigentlich so auf? Im Prinzip nervt mich doch nur, dass ich es schlicht nicht hinbekomme, diesen blöden Text auf Anfrage zu schreiben. „Deine Probleme will ich haben!“, das könnten jetzt locker 1,4 Milliarden Menschen zu mir sagen – also wenn die alle hier wären und deutsch sprechen würden. (Hmmm... 1,4 Milliarden auf 42 m³; das wär’ dann schon ziemlich harte Materie...) Aber so einfach ist das nunmal nicht mit dem Schreiben! Das muss von innen kommen. Alles andere ist nur Kompromiss. Keine Kompromisse! Zumindest nicht hier! Nicht auf dieser Ebene! Das ganze Leben, unsere Systeme, Gesellschaften, Regeln, wach sein und schlafen müssen – alles ein einziger Kompromiss! Hart bleiben! dranbleiben, aufschreiben Tick, tick, tick, tick, tick, tick – und wieder stirbt ein Kind unter fünf Jahren an Hunger und ich spür’ nichts... Weich werden. klein werden, zulassen, aufnehmen, Luft werden, leicht werden Kompromiss. ...irgendwas läuft doch schief hier.


T I M

RU


M O

UD





TEXT & FOTO: TIMO RUD Timo Rud ist 33 Jahre alt, Fotograf und lebt in Garmisch-Par tenkirchen. www.timorud.de

FLUG A348 Der Der Der Der

Raum Raum Raum Raum

ist da um ihn zu suchen ist da um Teer zu atmen ist pure Sucht – oh filtrierte Luft

Der Der Der Der

Raum Raum Raum Raum

ist da um gelb zu werden ist da um Krebs zu kriegen ist purer Rauch – oh ich such’ ihn auf

Ich irr’ umher mich steuert Sucht Frag hier, frag da hol’ schnappend Luft Ich irre noch schier endlos lang da vorne da das Licht im Gang


ALL


LIE







Florian Boss alias Allie ist Musiker und lebt in Berlin. www.alliemusic.bandcamp.com

FILM– MUSIK INTERVIEW & TEXT: JON AS MEYER FOTOS: STEVEN LÜDTKE

Das Leben ist seltsam geworden. Immer höher will der Mensch hinaus, immer schneller will er laufen, immer weiter will er springen. Und lauter schreien will er auch – aus Angst, nicht gehört oder gesehen zu werden in der Masse. Die Welt verkommt zu einem Fischmarkt. Dabei ist Geschwindigkeit nicht unbedingt ein Zeichen von Fortschritt. Und Lautstärke bei weitem kein Ausdruck von Stärke oder Qualität. Sind es nicht vor allem die leisen Töne, die uns in besonderer Weise berühren? Wer sich je eine Muschel ans Ohr gehalten hat, um das Meer zu hören, der weiß, welche Kraft sich aus der Stille heraus entwickeln kann. Berlin-Friedrichshain an einem späten Nachmittag Ende Juni. In den Räumen des „Antje Öklesund“, das sich selbst als „audiovisuelles Labor“ bezeichnet, treffen wir den Berliner Musiker Florian Boss, der hier vor wenigen Tagen sein viertes Album vorgestellt hat. Seit 2010 sorgt der 26-Jährige unter dem Namen Allie für Akustikerlebnisse der besonderen Art. Zart und fast zerbrechlich wirkt seine Musik – doch gerade daraus entwickelt sie ihre Kraft. Die Stille als Verbündeter und enger Freund. Das muss man erstmal schaffen in einer Welt, die immer lauter wird.






Jonas: Du lebst seit mittlerweile acht Jahren in Berlin, kommst aber ursprünglich aus der Nähe von Hannover. Welche Bilder hast du im Kopf, wenn du dich an deine Zeit dort zurückerinnerst? Allie: Ich muss vor allem an die extreme Langeweile denken, die ich dort hatte. Ich glaube, diese Langeweile ist auch dafür verantwortlich, dass ich angefangen habe, Musik zu machen. Es gab für mich in der Ecke auch einfach nichts anderes zu tun. Außerdem erinnere ich mich an die vielen schlechten Konzerte, die es dort gab. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie sind in der Provinz Hardcore und Metal sehr weit verbreitet. Nichts gegen diese Musikrichtungen – das kann schon cool sein. Aber dort war es das eben nicht. Jonas: Vielleicht helfen in der Provinz Hardcore und Metal beim Rebellieren und Anderssein. Allie: Ja, vielleicht. Aber so wirklich dahinter gekommen bin ich noch nicht. Jonas: Wie genau hast du in deiner Heimat mit dem Musikmachen angefangen? Allie: Ich habe neben der Schule als Gitarrist in einer Art Rockband gespielt. Als ich nach dem Abi meinen Zivi machen musste, habe ich mich entschieden, dafür nach Berlin zu gehen. Mir erschien Berlin als eine gute Möglichkeit, endlich mal etwas anderes zu sehen, ohne dabei zu weit weg von meiner Band zu sein. Leider ist die Band zerbrochen, kurz nachdem ich in Berlin angekommen bin.

Nach dem Zivi bin ich einfach hier geblieben und habe angefangen, Soziale Arbeit zu studieren. Jonas: Soziale Arbeit ist aber nicht unbedingt ein Studienfach, das einem bei der musikalischen Karriere hilft. Allie: Ehrlich gesagt habe ich das nur studiert, um irgendeinen Abschluss zu haben – im Mittelpunkt stand die ganze Zeit nur die Musik. Nach dem Zerbrechen der Band habe ich angefangen, zum ersten Mal alleine Musik zu machen – und alleine zu singen. Das habe ich vorher nie getan. Und so ist in Berlin im Laufe der Monate allmählich auch mein erstes Album entstanden. Jonas: Wie hast du es geschafft, dass man auf deine Musik aufmerksam geworden ist? Allie: Eigentlich hat sich das Interesse der Leute für meine Musik erst während meiner Zeit in New York entwickelt: Im Jahr 2010 habe ich im Rahmen meines Studiums ein sechsmonatiges Praktikum in Brooklyn absolviert – in einer Tageseinrichtung für Erwachsene mit psychatrischer Diagnose. In New York bin ich als Musiker zum ersten Mal öffentlich aufgetreten – und habe nach und nach gemerkt, dass das irgendwie ganz gut funktioniert und die Leute mit meiner Musik etwas anfangen können. Ich hatte zwar vorher schon in Berlin einige Songs vor Freunden gespielt, aber das ist nicht vergleichbar. New York hat mir gezeigt, dass ich mit meiner Musik meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Von da an habe ich mich intensiv darum bemüht, Konzerte zu spielen.


DIE LANGEWEILE IST DA F Ű R V E R A N T WO RT L I C H , DA S S I C H A N G E FA N G E N H A B E , M U S I K Z U M AC H E N . Jonas: Wie funktioniert das denn ganz praktisch? Es kommen täglich hunderte, vielleicht sogar tausende Musiker nach New York, die alle gerne irgendwo vor Publikum auftreten möchten. Allie: Meine Musik bestand damals hauptsächlich aus Akustikgitarre plus Gesang. Bei solchen Sachen läuft in New York recht viel über Open Mic Sessions in Clubs und Bars. Eigentlich ist das ja nicht so mein Ding, aber es war eine Möglichkeit, gesehen und gehört zu werden. Jonas: Was genau stört dich an diesen Open Mic Sessions? Allie: Dass man nicht gefragt wird, ob man auftreten möchte, sondern sich von sich aus anbieten muss. Jonas: Das scheint einfach eine recht amerikanische Herangehensweise zu sein. Allie: Ja, wahrscheinlich. Jonas: Auch wenn du diesen Weg nicht so sehr magst, warst du trotzdem erfolgreich – im Gegensatz zu vielen anderen guten Musi-

kern, die in New York ihr Glück versuchen. Was hat deiner Meinung nach den Unterschied ausgemacht? Allie: Wenn man wie ich bei Null gestartet ist und über keinerlei Kontakte verfügt, funktioniert das nur über megaviel Arbeit. Aus 200 Bookingmails, die man versendet, kann man am Anfang vielleicht fünf Auftritte generieren. Irgendwann hat man dann eine Tour zusammen, es kommt halt nur auf die Zeit und die Mailarbeit an, die man bereit ist zu investieren. Oder aufgrund von anderen Verpflichtungen überhaupt investieren kann. Jonas: Ist dieser Pragmatismus immer schon ein Teil von dir gewesen? Oder hat man diese Einstellung automatisch, wenn man eine Zeit lang in New York gelebt und überlebt hat? Allie: Ach, ich weiß nicht, ich sehe Musik ja auch irgendwo als einen Job. Natürlich liebe ich total, was ich tue – Musik ist einfach mein Leben. Aber wie ich schon gesagt habe, steckt dahinter einfach verdammt viel Arbeit. Man muss sich einfach ransetzen und das Ganze konsequent durchziehen. Wer das nicht mag, dem bleibt nichts anderes übrig, als auf sehr viel Glück zu hoffen.






I C H G L AU B E , D I E A RT U N D W E I S E , W I E M A N M U S I K M AC H T, HANGT IM WESENTLICHEN VO N D E N U M S TA N D E N A B , I N D E N E N M A N S I C H B E F I N D E T.

— Jonas: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Alltag in Berlin und dem Alltag in New York? — Allie: Definitiv. In New York geht noch wesentlich mehr als in Berlin – und zwar in jeder Hinsicht. Man kann quasi jeden Tag zu einem Konzert einer Band gehen, die man gut findet. Berlin wirkt dagegen eher wie eine Kleinstadt – ist dafür aber auch weniger stressig. Ich finde, das Leben in New York kann einem insgesamt schneller an die Substanz gehen – oder aufregender sein. Je nach dem. — Jonas: Wann hast du ein Gefühl dafür entwickelt, welche Art von Musik du in deinem Leben machen willst? — Allie: Meiner Meinung nach überlegt man sich so etwas nicht bewusst – ich kenne jedenfalls niemanden, der sich zuerst für eine konkrete Musikrichtung entscheidet und dann einen ausgetüftelten Plan entwickelt, mit dem er diese Musik umsetzen will.

Ich glaube, die Art und Weise, wie man Musik macht, hängt im Wesentlichen von den Umständen ab, in denen man sich befindet. Und von den Instrumenten, die einem zur Verfügung stehen. Wenn man beispielsweise mit einem Schlagzeug Musik machen will, funktioniert das nur, wenn einem auch ein geeigneter Probenraum zur Verfügung steht. Ansonsten beschweren sich relativ bald die Nachbarn. Mit dem Singen ist es ähnlich: Ist man zu laut, fühlen sich andere genervt. Singt man eher leise, stört es niemanden. Außerdem glaube ich, dass es generell keinen richtigen Startschuss für die eigene Musik gibt. Die entwickelt sich einfach mit der Zeit. Ich persönlich habe mich am Anfang total auf meine Akustikgitarre und den Gesang konzentriert, dann kamen immer mehr Sounds und Beats dazu. Mittlerweile mache ich gar nichts mehr mit der Gitarre, sondern arbeite eher mit Synthesizern. Insgesamt ist das, was man tut, einfach durch viele random Umstände bestimmt. Und außerdem ist man sowieso ständig davon beinflusst, welche Musik man hört und welche Filme man sieht.


— Jonas: Sind TV und Kino eine große Inspirationsquelle für dich? — Allie: Einen Fernseher habe ich gar nicht. Aber Filme inspirieren mich sehr. Ich schaue mir sehr, sehr viele Filme an, wahrscheinlich sogar fast täglich einen. Das ist irgendwie wichtig für mich. Ich glaube, dass sich in meiner Musik vieles wiederfindet, was seinen Ursprung mal in einem Film hatte. Ich fühle mich aber auch generell von allem inspiriert, was mir im Alltag so begegnet. — Jonas: Ist der Name Allie auch auf einen Film zurückzuführen? — Allie: Tatsächlich gibt es in einem Film names „Permanent Vacation“ von Jim Jarmusch eine Hauptfigur namens Allie – für mich der coolste Typ auf dem Planeten. Lustigerweise hatte ich mir den Namen aber schon zugelegt, bevor ich den Film gesehen habe. Als ich anfing, alleine Musik zu machen, habe ich nach einem simplen Namen gesucht, den ich gerne ausspreche. Das war ehrlich gesagt auch das einzige Kriterium. Eine besondere Bedeutung musste der Name für mich nicht unbedingt haben – ich dachte, die kommt ja eh mit der Zeit. Dass der Name etwas später dann im Film auftauchte, war ein wunderschöner Zufall, über den ich mich immer noch sehr freue. — Jonas: Zwischen Film und deiner Musik gibt es eine interessante Parallele: Film erschafft in der Regel eine visuelle Kunstwelt, in die man als Zuschauer hineingezogen wird –

jedenfalls wenn der Streifen gut gemacht ist. Genauso erzeugt deine Musik eine ganz eigentümliche, stille Welt, in das dein Publikum versinken kann. — Allie: Wenn man Musik macht, schafft man sich selbst sein ganz eigenes Universum. Ich versuche einfach, das nach außen zu transportieren. Ich finde aber, dass es zwischen Film und Musik einen entscheidenden Unterschied gibt: Wenn man ins Kino geht bzw. sich einen Film anschaut, ist man darauf eingestellt, dass man in diese Welt eintaucht. Bei Musik ist es wesentlich schwieriger, jemanden so zu involvieren, dass er das Gefühl hat, in einer anderen Welt zu sein. — Jonas: Es gibt noch eine weitere Parallele: Man sagt, dass es die Aufgabe von Schauspielern – insbesondere von Theaterschauspielern – ist, dem Publikum den Spiegel vorzuhalten. Deine Musik wirkt im ersten Moment sehr verletztlich. Im zweiten Moment merkt man als Hörer aber, wie verletzlich man selbst ist, weil die Musik einen so intimen Raum schafft. — Allie: Ich finde, dass die Verletzlichkeit der Musik oft mit der des Musikers verwechselt wird. Bei meiner Musik geht es in erster Linie nicht um mich. Dementsprechend muss man sich bei mir auch keine Gedanken darüber machen, was ich vielleicht vor kurzem durchgemacht haben könnte. Bei einem Theaterschauspieler fragt man sich ja auch nicht, was bei dem gerade abgeht, der die Rolle spielt.








— Jonas: Dennoch basiert eine Vielzahl von Songs letztendlich auf eigenen Erlebnissen der Musiker. — Allie: Ich mag es einfach nicht, wenn Musik immer so tagebuchmäßig verstanden wird. Bei mir ist jeder Song eine Geschichte, die ich mir ausgedacht habe. Und diese Geschichte versuche ich zu erzählen. Wie bei einem Theaterstück soll mein Publikum einfach der Story folgen. Mit meiner eigenen Person hat das nichts zu tun. Dabei verstehen viele Leute nicht, dass es sich bei einem Konzert von mir immer um eine Show handelt. Oft sind sie dann irritiert – auch weil ich meistens direkt mit der Musik starte und nicht hallo sage. Das tut mir immer total leid. Aber um auch hier wieder den Vergleich mit der Bühne aufzumachen: Im Theater würde man sich auch wundern, wenn im Vorfeld die Schauspieler zur Begrüßung einige persönliche Worte ans Publikum richten würden. Ich jedenfalls würde das für sehr befremdlich halten. — Jonas: Vielleicht sind manche Leute auch deshalb irritiert, weil sie nicht genau wissen, wie sie mit dieser Art von Musik umgehen sollen, die du machst. Man ist – auch durch das Fernsehen – mittlerweile geradezu darauf konditioniert, dass Musik heutzutage nicht mehr gespielt, sondern nur noch „performt“ wird. — Allie: Jedes Konzert von mir ist eine Performance – allerdings eine, die die Musik in den Vordergrund stellt und nicht den Künstler oder irgendwelche Tänzer. Wenn die Leute dadurch überrascht oder sogar verunsichert sind, ist das genau das, was ich erreichen will. Für mich ist das absolut wünschenswert. Und alles, was über das

Egal-Gefühl hinaus geht, ist cool – ganz gleich, in welche Richtung. — Jonas: Einer der ersten Allie-Songs, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, ist dein Cover des Klassikers „The power of love“ von Frankie goes to Hollywood. Diese Interpretation schafft ebenfalls eine ganz eigentümliche Intimität. Wie kam es dazu, dass du gerade diesen Song gecovert hast? — Allie: Ich covere recht viele Songs – es macht mir einfach wahnsinnig viel Spaß. Ich finde, so etwas ist immer mal wieder ein gute Übung, um zu sehen, wie meine Musik funktioniert. „The power of love“ spiele ich oft als ersten Song bei meinen Konzerten, denn das Lied ist ein richtig guter Opener: Mit dem A-Capella-Gesang schaffe ich es, dass die Leute erst einmal runterkommen. Und außerdem kann ich ihnen mit so einem bekannten Lied eine gute Einführung in das Konzept meiner Musik geben. Ich finde das irgendwie ganz lustig. Und ganz davon abgesehen ist es einfach ein richtig cooler Song. — Jonas: Der Song entwickelt einen ganz eigenen, aber nicht weniger starken Charakter, wenn er so leise und zaghaft interpretiert wird. — Allie: Ich empfinde es als einen spannenden Gegensatz, wenn man einen so epochalen Song ganz leise und zart vor sich hin singt. — Jonas: Hörst du selbst auch lieber leise Musik? — Allie: Nein, überhaupt nicht. Die Musik, die ich höre, ist eher laut – HipHop oder Punk Rock zum Beispiel. Das hat releativ wenig mit der Musik zu tun, die ich selbst mache.


I C H M AG E S E I N FAC H N I C H T, W E N N M U S I K I M M E R S O TAG E B U C H M A S S I G V E R S TA N D E N W I R D.








— Jonas: Vor einiger Zeit hast du auf Facebook ein Bild gepostet mit der Überschrift „Recording vocals in my butze“. Ist deine Wohnung der Ort, an dem alle deine Songs entstehen? — Allie: Während mein letztes Album „Uncanny Valley“ noch komplett im Clouds Hill Studio in Hamburg aufgenommen wurde, hat das bei dem neuen Album nicht mehr geklappt. Ich habe es zum Teil im Heimstudio eines Freundes und bei mir zuhause produziert – dabei ist auch das Foto entstanden. — Jonas: Dein neues Album ist am 19. Juni erschienen und trägt den Namen „Allie“. Gibt es einen bestimmten Grund, warum du Album Nummer vier schlicht nach dir selbst benannt hast? — Allie: Bei diesem Album hatte ich – anders als beim vorherigen – alle Fäden selbst in der Hand. Ich habe es selbst aufgenommen, selbst produziert und selbst gemischt. Darüber hinaus habe ich das Artwork entwickelt und mein eigenes Netzwerk von Künstlern für Gastauftritte genutzt. Die Idee dahinter war, alle künstlerischen und technischen Ressourcen, die ich in meinem bisherigen

Leben angesammelt habe, so gut wie möglich auszuschöpfen. Dazu passend zieht sich inhaltlich als roter Faden eine gewisse Anmaßung und charmante Selbstüberschätzung durch das Album. Daher dachte ich: Wenn es eine Platte gibt, die meinen Namen tragen muss, dann ist es diese. — Jonas: Das Intro des Albums wird gesprochen vom Berliner Rapper Black Cracker. Wie kam es zu dieser Kooperation? — Allie: Ich dachte, es wäre einfach cool, eine Art A Capella Rapsong auf dem Album zu haben. Der Text dazu wurde aber sehr aggressiv und programmatisch, sodass ich es irgendwie blöd fand, ihn selbst zu sprechen. Meine Lyrics sind normalerweise ausgedachte Geschichten und haben einen gewisse Distanz zu meinem richtigen Leben. Bei diesem Text ist das aber anders, er ist sehr persönlich. Um diese Distanz wiederherzustellen, hielt ich es für eine gute Idee, jemand anderen den Text lesen zu lassen. Ich kenne Black Cracker von Lesungen, wo er seine Gedichte vorgetragen hat, deshalb habe ich ihn gefragt und er hat großzügigerweise zugestimmt. Sonst hätte ich den Text wahrscheinlich wegwerfen müssen.


DA S , WA S S I C H B E I E I N E R TO U R V E R A N D E RT, SIND LEDIGLICH D I E LO C AT I O N U N D DA S P U B L I K U M . A B E R DA S S I N D AU C H D I E EIGENTLICH INTERES– S A N T E N KO M P O N E N T E N .

— Jonas: Seit du als Musiker unter dem Namen Allie unterwegs bist, hast du über 200 Shows in allen Ecken der Welt gespielt – und mit dem neuen Album werden wahrscheinlich bald weitere dazukommen. Kannst du an dir nach diesen vielen Auftritten bestimmte Muster und Angewohnheiten erkennen, die sich im Laufe der Jahre entwickelt haben und die dich seitdem begleiten? — Allie: Hmm, bei einer Tour zum Beispiel hat man immer wieder dieselben Abläufe – und das

ist auch gut so. Nicht zu wissen, was mich erwartet, wäre einfach zu stressig für mich. Das, was sich bei einer Tour verändert, sind lediglich die Location und das Publikum. Aber das sind auch die eigentlich interessanten Komponenten. — Jonas: Wie bei einem Film, der von Kino zu Kino tourt: Es ändern sich immer nur der Ort und die Zuschauer. — Allie (lacht): Genau. Und manchmal auch die Bildqualität.






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MOONSTONE BEACH


TEXT & FOTO: JONAS MEYER Jonas Meyer ist freiberuflicher Ar t Director und Publizist und lebt in Berlin. www.jmvc.de

Wer ich sein will, wo ich hingehöre, was ich machen soll – ich weiß es nicht. Eine Suche ohne Ziel. Und ohne Antworten. Doch gerade scheint es, als hätte ich den besten Ort der Welt gefunden. Frisch und wärmend ist es hier. Karg und sanft. Rau und lebendig. Und unendlich schön.




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