2 Sexueller Missbrauch, Pädosexualität und Kultur Thomas Stompe
In den meisten Gesellschaften der Gegenwart sind die jüngsten Angehörigen vor Übergriffen durch Erwachsene durch Tabus, Normen und Gesetze geschützt. Nahezu alle Staaten greifen durch rechtliche Schutz- und Heiratsaltersbestimmungen weit in die Sexualitäts- und Verpaarungspräferenzen von Erwachsenen ein, um die sexuelle Unversehrtheit und Autonomie von Unmündigen zu gewährleisten. Dies erscheint uns inzwischen als so selbstverständlich, dass aus dem Blick gerät, dass diese Verrechtlichung unserer Wertehaltungen Endpunkt oder eher Zwischenschritt einer langen Geschichte der Humanisierung ist (Pinker 2011). Marksteine auf diesem Weg waren im Europa der Aufklärung die Religionsfreiheit, das Verbot der Folter und später der Todesstrafe, die Aufhebung der Sklaverei im 19. Jahrhundert, die Aufhebung der Apartheit, die Gleichberechtigung der Frau im 20. Jahrhundert und relativ spät erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, die Stärkung der Kinderrechte. Zahlreiche historische Dokumente legen Zeugnis davon ab, dass inzestuöser und nichtinzestuöser sexueller Kindesmissbrauch in nahezu allen bekannten Kulturen so weit verbreitet war, dass sich eher die Frage stellt, wie es denn zu den Schutzbestimmungen kommen konnte, die wir heute für selbstverständlich halten (DeMause 1991, 1997). Bevor wir uns näher mit diesem Problembereich auseinandersetzen, ist es erforderlich, das semantische Feld der Pädosexualität zu beschreiben und einige Termini wie sexueller Kindesmissbrauch, Inzest, Pädophilie und Päderastie, auf die wir später immer wieder stoßen werden, begrifflich festzulegen.
2.1
Sexueller Kindesmissbrauch, Inzest, Pädophilie und Päderastie
Im ersten Schritt gilt es, sexuellen Kindesmissbrauch im Allgemeinen zu definieren und von Inzest abzugrenzen. Es existieren zahlreiche Definitionen des
15