Schaufenster Kultur.Region 2012-Oktober

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Zeitgeschichte / 30

Forschung

DIE STILLE DRÖHNT Der Verein Arbeitsgruppe Strasshof hat die NS-Geschichte des Ortes erforscht. Ihre Arbeit wird bei den Niederösterreichischen Kulturpreisen 2012 mit dem Anerkennungspreis für Erwachsenenbildung prämiert.

Bruno Axmann (2. v. l.), Arbeitsgruppenmitglied, im Gespräch mit den ältesten Erinnerungswilligen in Strasshof. Foto: z. V. g.

Wir sind in Strasshof im Marchfeld. Ein Gebiet mit besonderen Anforderungen: Die Zeit der Bodenschätze, der Rohöl-Funde ist vorbei, die Bemühungen um industrielle Ansiedlung sind schwierig, der Lößboden des Weinviertels endet hier, die Landwirtschaft leidet am Wasser, dem Boden ist viel Gift zugefügt worden. Strasshof platziert sich jetzt als Schulstadt, die Volks- und Europamittelschule und die Musikschule sind Zentren des Aufbruchs. Gemeinsam mit der Pfarrgemeinschaft des Ortes, dem Chor vocapella, zahlreichen ehrenamtlichen Gruppen wie Pfadfinder oder Freiwillige Feuerwehr arbeitete die Arbeitsgruppe zwei Jahre lang an der Geschichte der NS-Zeit Strasshof, einer Geschichte, die sie weder verursacht noch verschuldet haben, aber die auch ihre Geschichte ist. Die Geschichte ihres Ortes.

Nach eineinhalb Jahren des Recherchierens, Befragens, des Wiederentdeckens und des Ringens um gemeinsam erträgliche Worte stand dieser Text fest und ist nun auf einer Marmortafel neben dem siebensäuligen Erinnerungsmal bei der Bahnunterführung Station Helmahofstraße zu lesen. Das Erinnerungsmal stellt das Abwesende, die unterdrückte NS-Geschichte dar. Es symbolisiert mit sieben Säulen die sieben Konzentrationsund Zwangsarbeitslager, zu deren Füßen auf auseinanderlaufenden Schienen eine Mosaikblume erblüht. Der Tafel-Text ist eine Andeutung dessen, was hier geschah: Strasshof war in den Jahren 1941 bis 1945 eine Drehscheibe der europäischen Geschichte – wobei das Wort Drehscheibe die zentrale Rolle der Bahn in dieser

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Bei den Workshops für die Aufführung der Klangblüten beim Gedenkakt 2011. Foto: z. V. g.

Geschichte andeutet. Wenn bislang die Anzahl der Opfer ungefähr bekannt war, wenn die Ausmaße der Flächen, in denen den Menschen jedwede Freiheit verwehrt wurde, vorlagen, wenn auch die Transport-Aktivitäten aus der riesigen Bahnanlage geschlossen werden können, so hat es doch 70 Jahre gedauert, bis eine konsequente Aufarbeitung möglich war.

Zwangsarbeitermarkt Die Aufarbeitung führte auf die Spur einer immensen historischen Bedeutsamkeit, einem riesigen Zwangsarbeiter-Markt der NSZeit, einem Menschen-Verteilungszentrum, in dem über vier Jahre lang 30.000 Opfer deportiert und von hier aus weitergekarrt wurden. Strasshof war nicht ungenannt, ein


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