Magazin Nr. 19

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Ausgabe 19

12 | 2014

http://www.museum.de

MAGAZIN M USEUM.DE

Ganz Venedig ist ein Museum 1


Inventarisierung Multimedia-Archiv Ausstellungsverwaltung Leihverkehr Online-Kataloge

AUGIAS-Museum 5.0

AUGIAS-Data · Im Südfeld 20 · 48308 Senden · info@augias.de · www.augias.de Nähere Infos auf unserer Homepage · Kostenfreie Demoversion auf Anfrage


In diesem Heft

Seite

Die Barmer Theologische Erklärung 4 1934 – 2014 „VorBILDER Sport und Politik 10 vereint gegen Rechtsextremismus“ Ein Taufstein in Stein - Runensteine von Jelling Deutsches Glasmalerei- Museum Linnich

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Abraham Lincoln in neuem Lichte betrachten

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Das Westfälische Pferdemuseum Münster

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Playing Lawrence On The Other Side

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LWL-Tagung „Qualität in Museen“

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LWL-Museum für Kunst und Kultur

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Schule im Nationalsozialismus

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L

innich.

Meine Reise führte mich dieses Mal zum Glasmalerei-Museum nach Linnich, einer Kleinstadt inmitten einer reizvollen Landschaft zwischen Mönchengladbach und Aachen. Auch selbstkritisch frage ich mich: Muss es immer höher, schneller und weiter sein? Mein Besuch in Linnich erinnerte mich daran, dass es doch viele Museen kleiner und mittlerer Größe gibt, die abseits der Metropolen liegen. Die Menschen fliegen heutzutage nach New York, Sydney und Paris, um dort die größten und bekanntesten Museen der Welt in

nur wenigen Stunden zu „erklettern“. Hier dagegen ist es völlig entspannt und gleichzeitig wartet man mit einem eigenen Superlativ auf: Es ist das einzige Museum in Deutschland, das sich speziell mit der Glasmalerei vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart befasst und gehört damit zu nur fünf europäischen Museen seiner Art. Während andernorts Kunst wegen der UV-Strahlen oft in fensterlosen Räumen gezeigt wird, hängt sie hier direkt vor dem Fenster und strahlt die Gäste in den schönsten Farben an. Kirchenfenster beginnen meist in luftiger Höhe; im Glasmalerei-Museum präsentiert sich die Kunst ganz unmittelbar und direkt. Back to the roots?! Ich wünsche Ihnen ein frohes Fest! Ihr Uwe Strauch

Szenografie-Kolloquium 68 in Dortmund Nachhaltigkeit erleben im Steigerwald-Zentrum

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Glasmuseum Frauenau

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Museum für Literatur Karlsruhe

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Das Albertinum in Dresden

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„14 – Menschen – Krieg“

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Rückblick MUSEUMSTREFFEN 2014 106 Erfolgreiche Geschichte. Die FC Bayern Erlebniswelt

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Meer erleben – Das Deutsche Meeresmuseum Stralsund

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Ganz Venedig ist ein Museum

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Karikatur 164 „unser ältestes Exponat“ MUSÉE D’ETHNOGRAPHIE DE GENÈVE - MEG

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Titelbild: Carnevale di Venezia – einer der unzähligen Anziehungspunkte Venedigs. © Karin Diede-Becker

Dr. Myriam Wierschowski, Direktorin Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich, und Uwe Strauch (Gründer museum.de) vor „Verkündigungsengel“ von Wilhelm Buschulte. Foto: © Elia Cominato

MAGAZIN MUSEUM.DE

Ausgabe Nr. 19

Herausgeber

Kurfürstenstr. 9

Telefon 02801-9882072

museum@mailmuseum.de

Druck: Strube Druck & Medien

Dezember 2014

Uwe Strauch, Dipl.-Inf. TU

46509 Xanten

Telefax 02801-9882073

www.museum.de

Vers.: Dialogzentrum Rhein-Ruhr

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Gelebte Reformation zwischen Widerstand und Anpassung Die Barmer Theologische Erklärung 1934 – 2014 4

Im Juni diesen Jahres ist in Wuppertal eine Ausstellung über die vor 80 Jahren verabschiedete Barmer Theologische Erklärung eröffnet worden. Unter dem Titel „Gelebte Reformation“ sind am historischen Entstehungsort des Dokuments, in der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen, rund 700 Exponate zu Geschichte und Wirkung der Erklärung zu sehen.



Am 29. Mai 1934 trafen sich in Barmen Vertreter der deutschen evangelischen Kirche. Bei dieser sogenannten Synode wurde die „Barmer Theologische Erklärung“ verabschiedet. Noch heute fasst diese Erklärung wichtige Grundsätze des evangelischen Glaubens zusammen. Mit diesen Grundsätzen richteten sich die Vertreter der Bekennenden Kirche gegen die uneingeschränkten Machtansprüche des NS-Staats über die Kirche.

Im Jubiläumsjahr 80 Jahre Barmer Erklärung möchte die Ausstellung reformatorische Impulse erlebbar machen. Im Lichte einer innovativen LED-Beleuchtung nutzt sie dazu viele Mittel moderner Museumstechnik, von Touch-Screen-Bildschirmen, Klappen und Walzen über Klangduschen, einer Hörbar bis hin zu interaktiver Beteiligung. „Die Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, sich aktiv mit einer Kernfrage der Reformation auseinanderzusetzen: Welche Orientierung gibt der christliche Glaube für das Leben in der Gegenwart?“, erklärt der Wuppertaler Pfarrer Martin Engels, der das Projekt in der Gemarker Kirche leitet. Die Umsetzung dieser Ideen erfolgte durch die Ausstellungskuratorin Dr. Antoinette Lepper-Binnewerg und die Ausstellungsarchitektin Janet Görner. Der Weg durch die Ausstellung Der Weg zur Ausstellung führt durch Café und Eine-Welt-Laden und anders als erwartet erst einmal zu den Reformatoren Luther, Calvin, Melanchton und Zwingli. Im Nachbarraum findet man dazu kontrastierende bewegte Bilder eines NS-Aufmarsches. Die Ausstellung folgt einem chronologischen Gliederungsprinzip und führt die Besucher in einem Rundgang über verschiedene Stationen, von der Reformation als Ursprung und Impuls der sich formierenden Bekennenden Kirche bis zur Gegenwart, die die Relevanz der reformatorischen Bewegung angesichts gegenwärtiger Fragestellungen und Herausforderungen thematisiert. Die Ausstellung

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Die Barmer Erklärung


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LED-Pollux-Strahler

zeigt die großen Linien kirchlichen Denkens und Handelns und blickt zugleich aber auch auf Einzelschicksale. Kernstück der Präsentation ist das Dokument der Barmer Theologischen Erklärung, das in herausgehobener Form im jetzigen „Raum der Stille“ unmittelbar unter dem Glockenturm der Gemarker Kirche ausgestellt wird. Das Zentrum der Ausstellung selbst ist daher eher schmucklos und nüchtern: Drei vergilbte maschinenbeschriebene DIN A4-Blätter mit den Thesen der Barmer Erklärung in einer Vitrine. Um dieses gruppieren sich die übrigen Themenbereiche. Die Ausstellung ist stark vom schriftlichen Wort geprägt, das liegt in der Natur der Sache. Sie lockert aber auf, wo immer sie kann. Mit dezent eingespielten Liedern, mit Filmausschnitten und Hörern zum Abnehmen. Mit diesem Material eine lebendige Ausstellung sowohl für eilige, als auch für gründliche Besucher gleichermaßen zu gestalten, dieser Herausforderung hat sich die Ausstellungarchitektin Janet Görner gern gestellt. Sie habe noch nie mit einer derartigen Masse an Texten und einer vergleichsweise kleinen Zahl von Originalen geplant, berichtet sie.

Das Lichtkonzept

Die Gänge der Ausstellung führen dann in den Kirchenraum, ins Heute. Dort kann man der Ausstellung eigene Erinnerungen hinzufügen und hören, was andere zu erzählen haben. „Die Ausstellung soll sich entwickeln. Und wir wollen mit ihr arbeiten,“ so die Intention von Pfarrer Martin Engels.

Da die Ausstellungswände nur eine Breite von 60cm hatten, war die Vorgabe kleinteilig zu beleuchten. Andererseits sollte auch kein „Leuchtenwald“ entstehen, sondern durch Verwendung eines einheitlichen Strahlers eine visuelle Ruhe erreicht werden. Die Entscheidung fiel letztendlich auf einen ERCO Pollux-Strahler.

Da viele Exponate auf engsten Raum präsentiert werden sollten und dabei sowohl Text, Bild und interaktive Elemente eng zusammen gezeigt wurden, war eine sehr differenzierte Lichtplanung notwendig. Daher wurde zuerst ein Stromschienenraster festgelegt, mit dem die optimalen Einstrahlungswinkel für die im Raum platzierten Ausstellungswände erreicht wurden. Der optimale Winkel beträgt etwa 30 Grad, wodurch erreicht wird, daß es keine Reflexe auf den Exponaten gibt.

Aufgrund der geringen Größe passte sich dieser Strahler ideal in die Ausstellung ein. Die sehr unterschiedliche Gestaltung der sonst gleichen Ausstellungswände erforderte flexible Lichtverteilungen und die Möglichkeit, den Strahler zu dimmen. LED-Pollux-Strahler funktionieren nach dem Prinzip des „projizierten Lichts“, d. h. das Licht der LED wird mittels einer Kollimatoroptik parallel in die Ausstrahlungsrichtung gelenkt und anschließend wird mit einer Spherolitlinse der gewünschte Ausstrahlungswinkel erzeugt. Diese Linsen sind werkzeuglos wechselbar: So kann man je nach Bedarf den gleichen Strahler mit einer Spot, Flood oder Wide Flood-Charakteristik betreiben. Darüber hinaus sind auch asymmetrische Verteilungen und Wandflutungen möglich. Die Anwendung dieser Lichtwerkzeuge wurde im Vorfeld mit den Ausstellungsgestaltern ausprobiert und optimiert. Die zusätzliche Dimmfunktion am Strahler ermöglicht eine differenzierte Ausleuchtung. Damit ergibt sich durch die Reihung der Pollux-Strahler eine ruhiges Deckenbild, wobei den Strahlern nicht anzusehen ist, daß sie jeweils verschiedene Beleuchtungsaufgaben erfüllen.   Weitere Informationen zum Projekt und zu den eingesetzten Produkten sind unter www.erco.com oder unter der nachfolgenden Adresse erhältlich: Dr.-Ing. Wolfgang Roddewig Leiter Segment Museum Reichenberger Str. 113a, 10999 Berlin Tel. 030-769 967 14 email w.roddewig@erco.com Projektfotos: Dirk Vogel für ERCO GmbH Leuchtenfotos: ERCO GmbH

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„Vor­BIL­DER Sport und 10


Ganz vertraut und nah sitzen Nick Weihs und Petra Pau beieinander. Beide haben es sich auf einer Hochsprungmatte in einer Trainingshalle bequem gemacht und blicken eindringlich und direkt in die Kamera. Sie sind sich einig, sie haben sich gemeinsam in Stellung gebracht, sie positionieren sich gegen Rechtsradikalismus im Sport. Mit diesem Foto verdeutlichen die beiden ihren Standpunkt, denn es ist im Rahmen eines Ausstellungsprojektes für die Kampagne „Sport und Politik vereint gegen Rechtsextremismus - für Res-

pekt und Menschenwürde“ entstanden. Diese Kampagne, die von verschiedenen Organisationen aus Sport und Politik getragen wird, will Maßstäbe für ein offeneres, tolerantes Miteinander im Sport setzen. Und sie will die Chancen nutzen, die gerade der Sport bietet, um Rassismus und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Sie tut das auf verschiedene Weise: Durch Informationen und Handreichungen, Veranstaltungen und durch Öffentlichkeitsmaterialien. Und jetzt auch durch Fotos: © studio kohlmeier

Po­li­tik ver­eint ge­gen Rechts­ex­tre­mis­mus“ 11


Rechtsaußen Rechtsaußen die Rote Karte zeigen! die Rote Karte zeigen!

VorBILDER • www.vereint-gegen-rechtsextremismus.de VorBILDER • www.vereint-gegen-rechtsextremismus.de

JOACHIM LÖW

TrainerJOACHIM Fußball-Nationalmannschaft LÖW Trainer Fußball-Nationalmannschaft

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WINFRIED KRETSCHMANN MinisterpräsidentKRETSCHMANN von Baden-Württemberg WINFRIED Ministerpräsident von Baden-Württemberg


auf eine gemeinsame Aussage zu verständigen, mit der beide auf ihre Art Gesicht zeigen. Mit der sie zu einem Thema Stellung beziehen, das häufig nur dann aus der Versenkung auftaucht, wenn es einen dramatischen Zwischenfall gibt. Aber die Achtung der Würde aller Menschen und der Mut, einzuschreiten, wenn andere beleidigt oder bedroht werden, erfordert ein dauerhaftes Engagement, braucht Zivilcourage an jedem Tag und an jedem Ort. Dafür zu werben, vor allem junge Menschen für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren und VorBILD zu sein, ist Ziel des Fotoprojekts. Über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren zeigten 45 Menschen ihre Gesichter, um das Fotoprojekt mit Leben zu erfüllen. So traf beispielsweise Bundestrainer Jogi Löw den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Die Schwimmerin Kirsten Bruhn sprach mit dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Thorsten Albig. Und die Hammerwerferin Betty Heidler setzte sich mit dem Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, zusammen. Gemeinsam formulierten sie Boris Rhein (Zum Zeitpunkt der Aufnahme Hessischer Innemminister) und Betty Heidler (Hammerwerferin). Alle Fotos: © studio kohlmeier

die Ausstellung „VorBILDER - Sport und Politik vereint gegen Rechtsextremismus“, die das Bundesministerium des Innern in Auftrag gegeben hatte. Das Fotografenpaar Angelika und Bernd Kohlmeier wurde damit beauftragt, aus einer Idee eine Fotoausstellung zu konzipieren. Die Idee war, die Partnerschaft von Sport und Politik in der Kampagne aufzugreifen, jeweils eine Person aus Sport und Politik zusammen zu fotografieren und den Personenkreis möglichst heterogen Dietlind Tiemann (Oberbürgermeisterin Brandenburg) und Sandra Köppen-Zuckschwerdt (Judoka und Sumokämpferin).

zu wählen. Denn es sollte deutlich werden, dass es etwas gibt, was Menschen aller demokratischen Parteien und aller Sportarten verbindet: Die Ablehnung von Rechtsextremismus und Ausgrenzung und die Bereitschaft, sich zu engagieren. Die Fotografen entwickelten ein ambitioniertes Konzept. Sie stellten den Mitwirkenden eine Bedingung: Für den Fototermin mussten sich die Porträtierten eine Stunde Zeit nehmen, was eine fast unvorstellbare Forderung angesichts des hektischen, von zahllosen Terminen bestimmten Alltags von PolitikerInnen und ProfisportlerInnen darstellt. Und doch war es eine zwingende Voraussetzung für das Fotoprojekt. Denn die Fotos sollten im Rahmen eines intensiven Gesprächs entstehen, sollten die Abgebildeten unverstellt zeigen und sie sollten widerspiegeln, dass den Mitwirkenden das Thema und ihre gemeinsame Positionierung wichtig ist. Die Schauplätze durften die Protagonisten selbst wählen. Sie trafen sich meist an Orten des Sports. Auf dem Trainingsplatz, im Fußballstadion oder in der Schwimmhalle. Aber auch an politischen Orten, wie zum Beispiel der Zeppellinhaupttribühne in Nürnberg. Der Fototermin ließ genug Zeit, um sich

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Foto: Š Militzer

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Sandra Köppen-Zuckschwerdt (Judoka und Sumokämpferin) , Dietlind Tiemann (Oberbürgermeisterin Brandenburg), Bundespräsident Gauck. Unten: Angelika Kohlmeier. Fotos: © M. Militzer

deutliche und einprägende Aussagen wie „Rechtsaußen die Rote Karte zeigen“, „Wir wissen wo der Hammer hängt“ oder „Nicht abtauchen!“ Wolfgang Thierse diskutierte mit Marianne Buggenhagen und beiden war wichtig, dass man „Ohne Angst anders sein“ kann. Um diese Gespräche eindrucksvoll einzufangen, haben sich die Fotografen Angelika und Bernd Kohlmeier für die analoge Umsetzung entschieden. Fotografiert wurde auf Schwarz-Weiß-Film mit einer Mittelformat- und einer Kleinbildkamera, denn die Serie teilt sich in zwei Erzählperspektiven. Die Mittelformatkamera erzählt aus der Sicht des Zuhörenden, des direkt am Geschehen beteiligten. Wenn man sich die daraus entstandenen Plakate anschaut, hat man als Betrachter das Gefühl, Gesprächsteilnehmer zu sein. Die Kleinbildkamera dagegen nimmt eine ganz andere Perspektive ein. Die Bilder geben einen Überblick über das Gesamte. Sie zeigen die Gesprächsteilnehmer und den Ort. Es ist zu sehen, was sich hinter

der Kamera abspielt. Jeweils 4 Fotos sind pro Fotopaar entstanden, ein Plakat mit der gemeinsamen Aussage und 3 Originale, bei denen es sich um Handvergrößerungen auf Baryt-Papier handelt. Glasgerahmt mit handgefertigten Rahmen galt es, die hochwertigen Bilder entsprechend hochwertig auf Ausstellungswänden zu präsentieren. Wände, die die Bilder in den Mittelpunkt stellen und ein System, das flexibel genug ist, um die Ausstellung an den unterschiedlichsten Orten zu zeigen. Das passende Ausstellungssystem wurde nach langer Suche und sorgfältiger Auswahl gefunden: In der Ausstellung sind die Bilder an 11 beidseitig bespielbaren Wänden zu sehen. Analoge Fotografien in weißgeschwemmten Rahmen an Wänden, die eine Einheit bilden. Keine Verbindungselemente oder Ständer sind sichtbar. Nichts lenkt von den wesentlichen Inhalten ab. Man spürt bei dem Gang durch die Ausstellung, dass alles aus einem Guss gestaltet wurde, konzipiert von den Fotografen

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Angelika und Bernd Kohlmeier, die nicht nur die Fotos gemacht haben, sondern auch die Gesamtkonzeption der Ausstellungswände entwickelten. Die Ausstellungswände winden sich mal kettenartig wie eine DNA-Struktur durch die Mitte eines Raumes, mal positionieren sie sich wie Wachposten in den Ecken, sie sind flexibel und wandelbar. Sie passen sich den Gegebenheiten eines Ausstellungsortes an, damit die Ausstellung nicht nur in Museen ihren Platz findet, sondern auch dort ankommt, wo es Probleme gibt und wo Engagement gegen Rechtsextremismus besonders wichtig ist und auch stattfindet, zum Beispiel in Sportvereinen. Die gesamte technische Umsetzung für die Ausstellung erfolgte durch die Firma MBA Design & Display Produkt GmbH, die mit ihren flexiblen Modulbauteilen eine optimale Ausstellungspräsentation für die jeweiligen Standorte skizziert. Am 10. September wurde die Wanderausstellung „VorBILDER- Sport und Politik vereint gegen Rechtsradikalismus“ im Deutschen Historischen Museum von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière eröffnet. Bis zum 31.10.2014 war die Ausstellung im Glockenturm am Olympiapark in der Langemarckhalle zu sehen. Von da aus wandert die Ausstellung durch ganz Deutschland. Nächste Stationen werden Braunschweig, Bautzen und Stuttgart sein. Autorin: Alexandra Kohlmeier

Foto: © studio kohlmeier

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Bundesweite Wanderausstellung in Museen mit flexiblem Stellwand-System von MBA Die Ausstellung „Vor­BIL­DER Sport und Po­li­tik ver­eint ge­gen Rechts­ex­tre­mis­mus“ wurde mit dem modularen Mila-wall Stellwand-System von MBA realisiert.

Wanderausstellungen stellen extrem hohe Anforderungen an die Flexibilität und die Wiederverwendbarkeit eines Stellwand-Systems. Eine schnelle Montage- und Demontagetechnik ist dabei genauso wichtig wie ein neutrales und ästhetisches Design, das die Exponate und die Botschaft der Ausstellungen in den Vordergrund rückt.

www.mila-wall.de

Deshalb haben wir Mila-wall entwickelt – die Stellwände ohne sichtbare Verbindungstechnik, die in kürzester Zeit zusammengefügt werden können. Daneben sorgen reduzierte Umbauzeiten und eine sehr lange Lebensdauer nachweislich für eine deutliche Kostensenkung.

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Ein Taufschein in Stein Autorin: Annette Stassen 22


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Kein geringes Vermächtnis hinterließ bei seinem Tod 958 der alte Wikinger Gorm seinem Sohn Harald nach 15 Jahren gemeinsamer Regentschaft: den Stammsitz der jungen Dynastie im jütländischen Jelling, ein erstmals geeintes Königreich Dänemark – und die Frage, wie man es fortan mit der christlichen Religion im Lande halten wolle. Zahlreiche Missionierungsversuche in Skandinavien hatte es bereits gegeben. War der „Friesenapostel“ Willibrord Anfang des 8. Jahrhunderts in Dänemark noch gescheitert, so wurde 100 Jahre später der im Auftrag des Kaisers Ludwig des Frommen ins schwedische Birka reisende Mönch Ansgar immerhin schon vom König gerufen – um mit Gottesdiensten christliche Kaufleute anzulocken… Bis zuletzt hatte ihnen der als Christenverfolger geschilderte Heide Gorm widerstanden; Odin und Thor waren seine Götter, Erlösungsgedanken und den Glauben an eine unsterbliche Seele konnte er nur verachten. Wenn nicht Walhall, so wäre Hel sein Ziel nach dem Tod; in einem prachtvollen Schiff würde der Wikinger in das Totenreich reisen, wie er es zu glauben gewohnt war. Ruhm und Ehre hatte er im Diesseits erworben, als er ein zuvor unter Stammeshäuptlingen, Königen und Gegenkönigen zerfasertes Gebiet zum Königreich Dänemark geeint hatte. Als um 935 seine Frau Thyra starb, ließ Gorm ihr zum Gedenken neben dem Grabhügel am Königshof einen Runenstein errichten: König Gorm machte seiner Frau Thyre, Dänemarks Zierde, dieses Denkmal. Dies ist zugleich die früheste bekannte schriftliche Erwähnung Dänemarks; wie eine Geburtsurkunde gilt der Stein bis heute als eines seiner bedeutendsten Gründungszeugnisse.

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In Jelling, dem Zentrum dieses neuen dänischen Reiches, lässt der zweite Sohn und Nachfolger auf dem Thron, Harald Blauzahn, nach Gorms Tod wahrscheinlich im Jahr 958 eine monumentale Grabanlage errichten. Des Vaters Reise ins Totenreich soll majestätisch werden: Mannshohe Steine werden auf fast 350 Metern Länge in Schiffsform angeordnet. Beigesetzt wird der Leichnam in einer mit Eichenholz ausgekleideten Grube. Harald lässt in Jahre währender Schwerstarbeit Steinmassen darauf schichten; schließlich wird alles mit Grassoden zu einem acht Meter hohen Hügel von elf Metern Durchmesser überzogen. Nördlich der später entstandenen Holz- und heutigen Steinkirche entsteht so der größte Grabhügel Dänemarks. Machtkalkül und Poppowunder Anders als der „grimme Gorm“ zeigte Harald sich dem Christentum gegenüber schon in jungen Jahren aufgeschlossen. Hatte Gorm erst auf Drängen des ostfränkisch-sächsischen Königs Heinrich I., der 934 über die Schlei hinweg nach Dänemark vorgedrungen war, Priestern Zugang zu seinem Land gewährt und sie unter seinen Schutz stellen müssen, so schien Harald bei der gemeinsamen Begegnung mit Unni, dem missionierenden Erzbischof von Bremen und Hamburg, nur zu bereit, sich den neuen Vorstellungen zu öffnen. Mit dem Schleswiger Bischof Poppo soll Harald in ein religiöses Streitgespräch über die Macht des neuen Glaubens geraten sein; der Missionar nahm der Legende nach ein glühendes Eisen in die Hand und blieb unverletzt. Die

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als Poppowunder überlieferte Feuerprobe soll Harald derart beeindruckt haben, dass er sich zur Taufe entschloss. Dass mit dem Übertritt des heidnischen Herrschers zum Christentum eine neue Zeit für Dänemark anbrach, ist unbestritten; eine solcherart sagenhaft zustandegekommene Überzeugung darf aber als zweifelhaft gelten. Realistischer scheint die Annahme, Harald habe angesichts dauerhaft schwelender Bedrohung durch den Vorherrschaftsanspruch des römisch-deutschen Kaisers Otto I. kühl kalkuliert, dass er sich der Übermacht früher oder später würde beugen müssen. Mit seinem Bekenntnis zur vordringenden Religion nimmt Harald Otto nicht nur jeden Vorwand zum Angriff, sondert sichert mit der Anerkennung und Unterstützung von Kaiser und Papst zugleich die eigene Macht. Dei Gratia: getaufter König, christliches Reich Wohl auch zur Demonstration der Zeitenwende lässt Harald die heidnische Grabstätte in Jelling umgestalten. Der exhumierte Leichnam des Vaters wird in eine zwischen den beiden Hügeln neu errichtete Kirche umgebettet; dem Thyrastein gesellt er einen kolossal größeren zweiten Runenstein zu. Auf alle drei Seiten verteilt trägt der fast zehn Tonnen schwere Gneis ein Relief mit Runeninschrift: König Harald ließ diese Denkmäler machen nach Gorm, seinem Vater, und nach Thyra, seiner Mutter, jener Harald, der für sich gewann ganz Dänemark und Norwegen und der die Dänen zu Christen machte. Ist eine Seite dominiert vom größeren Teil des Textes, so zeigt eine zweite bildliche Darstellungen eines Tierkampfes. Die Christusdarstellung auf der dritten Seite – darunter die Worte „und der die Dänen zu Christen machte“ – ist die älteste bislang bekannte im Norden; so gilt der Haraldstein als Taufschein Dänemarks. Bewahren, präsentieren, erhellen Als einer der bedeutendsten archäologischen Funde im skandinavischen Raum wurden die Steindenkmäler von Jelling – die großen Grabhügel mitsamt Kirche und Runensteinen – zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.


Nach mehr als 1.000 Jahren war es an der Zeit, die identitätsstiftenden Zeugnisse dänischer Geschichte vor Wind und Wetter, Umweltverschmutzung und Vandalismus zu bewahren. Der Kopenhagener Architekt Erik Nobel entwarf ein klimatisiertes Gehäuse für die Runensteine, das diesen Schutz sichert, ohne die beeindruckende Präsenz der Denkmäler durch allzu augenfälliges eigenes Design zu beeinträchtigen. Wie eine behütende Hand liegt das Dach aus Bronzeguss über den Steinen; der schlichte Glaskorpus schirmt ab und gibt doch frei. Die Wahl der Beleuchtung fiel auf Glasfaseroptik von Roblon. Frei von schädlicher UV-Strahlung und Wärmeentwicklung, sorgen diskret in die Dachkonstruktion integrierte Glasfaserbündel und Avant-garde-Downlights für eine präzise Akzentuierung der Runenschriften und eine effektvolle Inszenierung der bildhaften Darstellungen. Die hochmoderne Technik wird vom staunenden Betrachter kaum wahrgenommen; die wertvollen Objekte, stille Zeugen des lang vergangenen Beginns, können ihre eindrucksvolle Wirkung ungehindert entfalten.

Runensteine von Jelling www.jelling.dk und http://whc.unesco.org/en/list/697 Architekt: Erik Nobel, www.nobel.dk

Intelligentes Design

existiert

Wissenschaftliche Leitung: Jørgen Westphal, The Heritage of Denmark, www.kulturarv.dk Lichtplanung: Rambøll Danmark, www.ramboll.dk Lichtlösung von Roblon: Glasfaser, Avant-garde-Downlights Fotos: © Erik Nobel, www.nobel.dk, © Jens Markus Lindhe, www.jenslindhe.dk

Roblon Lighting Roblon A/S 9900 Frederikshavn / Dänemark E-Mail: info@roblon.com Kontakt: Stefan Lendzian Telefon: +45 9620 3300 www.roblon.com

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Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich Autorin: Elisa Cominato „Wie herrlich muss es sein, mit der Sonne selbst malen zu können.“ (Johan Thorn Prikker) Jeder, der schon einmal eine Kirche betreten hat, weiß, wie essentiell die Gestaltung der Fenster für die Atmosphäre des Raumes ist. Durch die Wirkung von Licht und Farbe sind die Möglichkeiten, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, schier unendlich. Nicht zuletzt deshalb

übt Glas eine ganz besondere Faszination aus. Dass Glasgestaltung nicht nur ein Handwerk geblieben ist, sondern sich zu einer autonomen Kunst etabliert hat, verdanken wir einer Entwicklung, die bis ins Mittelalter zurückreicht und Künstlern, die selbige revolutionär vorantrieben. Mit Buntglas und Bleirute Vorreiter mehrerer Künstlergenerationen

Foto: © Stefan Johnen

Blick in die Ausstellung „Raumkunst der Gegenwart – Glasmalerei und Skulptur von Tobias Kammerer“ (7. September 2013 - 9. Februar 2014). Foto: © Stefan Johnen

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auf dem Gebiet der Glasmalerei war der Künstler Johan Thorn Prikker, dessen Werke die klassische Moderne am Anfang des 20. Jahrhunderts in der Glasmalerei begründen. Der Niederländer gilt als Erneuerer der Glasmalerei, da er völlig neuartig mit Buntglas und Bleirute arbeitete und so diese Kunstsparte revolutionierte. Seine Leitmaxime war die Malerei mit Glas und nicht auf Glas. In einer zeitgenössischen Bildsprache fügte er die farbigen Glasflächen mittels Bleiruten zu expressiven Kompositionen zusammen. Nur eines von fünf in ganz Europa Die Sammlung, Erforschung und Vermittlung dieser ganz besonderen Kunst hat sich das Deutsche Glasmalerei-Museum

in Linnich zur Aufgabe gemacht. Seit seiner Eröffnung am 29. November 1997 wird es getragen von der gleichnamigen Stiftung und unterstützt vom Förderverein. Landesweit ist es das einzige Museum für Flachglasmalerei, europaweit gibt es nur vier weitere dieser Spezialmuseen. Denn Glasmalerei ist eine vorwiegend architekturgebundene Monumentalkunst, die auf Fernwirkung konzipiert ist. In Linnich haben die Besucher jedoch die seltene Gelegenheit, Glasgemälde und ihre Herstellungsweise aus nächster Nähe und in Augenhöhe zu bestaunen. Wo ist das sonst schon möglich? Spontaneität versus Präzision Die Dauerausstellung gibt den Besuchern

einen Überblick über die Geschichte der Glasmalerei von ihren Anfängen im Mittelalter bis hin zur Gegenwart. Den Schwerpunkt bilden Werke, die zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert entstanden sind. Einen großen Raum nimmt hierbei die Darstellung der klassischen Moderne (erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) in der Glasmalerei ein. Neben der inhaltlich-formalen Betrachtungsweise wird auch die komplexe Technik der Glasmalerei in der museumseigenen Werkstatt für die Besucher nachvollziehbar. Denn Glasmalerei beinhaltet neben dem Malen auf Glas ebenso das Herstellen von farbigen Scheiben und das Schneiden und Zusammenfügen der Einzelteile zu einem Gesamtbild. Bei der Komposition ist eine ganze Menge Fantasie gefragt. Professio-

Rechts Oben: Blick auf die Ebene 4 mit den Werken „Fazit 8/1984/F (Musikfenster) von Johannes Schreiter sowie „Auferstehung Christi“, St. Kolumba, Köln. Fotos: © Strauch Rechts Unten: Blick auf die Ebene 6 mit Werken von Ludwig Schaffrath („Lagune“), Hermann Gottfried („Angst der Zeit“) sowie Jochem Poensgen („Auferstehung“)

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Ludwig Schaffrath bei der Arbeit. Foto: Inge Bartholomé, © Ursula Schaffrath-Busch

nell arbeitende Künstler in diesem Bereich benötigen vor allem einen reichen Erfahrungsschatz, denn sie müssen im Vorfeld bedenken, welche Lichtverhältnisse – u.a. im Wandel der Tages- und Jahreszeiten – am Einsatzort des Werkes herrschen, damit die gewünschte Ausstrahlung des Gemäldes erreicht wird. Darum findet Spontaneität in der Glasmalerei vorrangig im Entwurf statt, die Ausführung des Werkes ist geplante und äußert präzise Arbeit. Handwerk für die Kunst Bis Anfang des 20. Jahrhunderts lagen Entwurf und Ausführung in den Händen der Werkstätten, seit Anfang des 20. Jahrhunderts findet wie überall so auch in der Glasmalerei Arbeitsteilung statt. Der Künstler fertigt nach einem Entwurf den Karton in Originalgröße, die Werk-

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statt führt die Arbeit aus, meist ebenfalls in Kooperation mit dem Künstler. Gerade nach den Weltkriegen erlebten die Werkstätten hierzulande eine Hochkonjunktur, da der Bedarf an neuen Verglasungen hoch war: Es galt, die zerstörten Kirchen – und natürlich ihre Fenster – wieder aufzubauen. So kam es auch, dass ein solches Spezialmuseum wie das Deutsche Glasmalerei-Museum in der beschaulichen Ortschaft an der Rur entstand. Denn Linnich beheimatet auch die älteste heute noch tätige Glasmalerei-Werkstatt Deutschlands. Die Firma Dr. Heinrich Oidtmann vermachte dem Museum zu seiner Gründung 100 Glasmalereien aus der Nachkriegszeit, die den Grundstock der Sammlung bilden. Nicht zuletzt aufgrund dieser einzigartigen Zeugnisse der rheinischen Kulturgeschichte liegt der Schwerpunkt der Linnicher Ausstellung

auf den Glasgemälden des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Geburt der klassischen Moderne der Glasmalerei im Rheinland Die Tradition der Glasmalerei im Rheinland ist besonders dem vielseitigen Wirken Johan Thorn Prikkers zu verdanken. Da dieser ab 1904 u.a. in Krefeld, Hagen, Düsseldorf und Köln arbeitete und lehrte, kommt der gesamten Region bei der Entwicklung der Glasmalerei eine entscheidende Rolle zu. Nicht nur, dass Prikkers glasmalerisches Werk ausschließlich in Deutschland entstand; er inspirierte als Lehrender auch seine Schüler nachhaltig, wie u.a. Anton Wendling und Heinrich Campendonk (1930er Jahre), die ihrerseits Schüler wie Ludwig Schaffrath oder Wilhelm Teuwen ausbildeten (1950er


Blick in die Ausstellung „Ludwig Schaffrath – Universum in Glas“ (19. Mai - 4. November 2012). Foto: © Peter Hinschläger. Unten: Fritz Geiges „Anbetung der Könige“ (Detail)

Jahre). Sie alle prägten und prägen durch ihre Arbeit und Lehrtätigkeit die Glasmalerei auch auf internationaler Ebene entscheidend mit. Glasmalerei im Wandel der Zeiten Positionen historischer und zeitgenössischer Glasmalerei werden in mehreren jährlich wechselnden Sonderausstellungen präsentiert. Nationale wie internationale Künstler erweitern das Spektrum der Dauerausstellung und schärfen so den Blick für den Facettenreichtum vor allem der gegenwärtigen Glasmalerei. Fachliteratur zu den Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen wie die Bearbeitung von Künstlernachlässen oder die Erstellung von Werkverzeichnissen bringen neue, zukunftsweisende Forschungsergebnisse hervor.

Ausgezeichnete Architektur Doch nicht nur die vielen faszinierenden Werke, die so unterschiedlich und einzigartig sind, wie die Menschen, die sie erschaffen haben und von denen jedes für sich eine eigene Geschichte zu erzählen vermag – die des Motivs wie die seines Produktionsprozesses – laden ins Deutsche Glasmalerei-Museum nach Linnich ein. Allein der Museumsbau ist einen Besuch wert. Hierbei handelt es sich um eine ehemals kurfürstliche Getreidemühle aus dem 17. Jahrhundert, die zu einer modernen, lichtdurchfluteten Architektur umgebaut wurde. Was das Museum zu einem ganz besonderen Ort macht, ist nicht nur der offene Grundriss des Gebäudes und die großzügige Gestaltung jedes einzelnen Raumes, durch die jedes Werk genügend Raum erhält, um seine individuelle

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und Techniken der Glasgestaltung in der hauseigenen Werkstatt gibt es auch außergewöhnliche Veranstaltungen wie Konzerte mit Glasinstrumenten, Exkursionen zu Bauten mit bedeutenden Werken der Glasmalerei, Lesungen und Vorträge zu aktuellen Themen der Kunst.

Die hauseigene Werkstatt des Deutschen Glasmalerei-Museums: nach dem Workshop ist vor dem Workshop.

Wirkung entfalten zu können. Es ist auch die Verbindung von alt und neu: Historisches Mauerwerk und große Glasfronten bilden eine harmonische Einheit, die Vergangenheit ist genauso präsent wie die Gegenwart. Denn noch heute fließt die Rur, die einst das Mühlrad antrieb, unter dem Museum hindurch. Die Ausstellungsfläche beträgt nunmehr 1600 m², verteilt auf sieben unterschiedlich hohen Geschossebenen, die über einen Aufzug barrierefrei zugänglich sind. Dank der wunderbaren Verschmelzung all dieser

Elemente wurde der Museumsbau im Jahr 2000 vom NRW-Bauministerium und der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen als „Beispiel für vorbildliches Bauen in NRW“ ausgezeichnet. Erfassen, Erleben, Erzählen Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Medium Glas wird durch das umfangreiche Rahmenprogramm des Museums unterstützt. Neben Führungen und Workshops zu unterschiedlichen Themen

Jeder Workshop geht einmal zu Ende. Aufräumen und umziehen. Fotos: © Strauch

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So werden alle Besucher von Kindern bis Senioren dazu eingeladen, auf ganz eigene Weise Zugang zu diesem besonderen Schatz der Kunst zu finden. Abgerundet wird das Angebot vom Museumsgarten, der bei gutem Wetter zum Austausch einlädt, sowie dem Museumsshop, der mit seinem umfangreichen Angebot an Fachliteratur zur Glasmalerei und ausgewählten Glasobjekten und Schmuck zeitgenössischer Glaskünstlerinnen und Glaskünstler immer einen Besuch wert ist.

Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich Rurstraße 9-11 52441 Linnich Telefon: 02462-9917-0 Fax: 02462-9917-25 E-Mail: info@glasmalerei-museum.de Internet: www.glasmalerei-museum.de Öffnungszeiten: Dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr


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Abraham Lincoln in neuem Lichte betrachten Groß angelegtes Projekt digitalisiert und veröffentlicht gesamte Korrespondenz des amerikanischen Präsidenten

Briefe und andere handschriftliche Aufzeichnungen sind eine der wichtigsten Quellen, um die Gedanken, Motive und Handlungen eines der bedeutsamsten amerikanischen Staatsmänner zu verstehen. ‚The Papers of Abraham Lincoln’ hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Dokumente, die von Abraham Lincoln verfasst oder an ihn geschrieben wurden, elektronisch zu erfassen und im Internet der Öffentlichkeit frei zur Verfügung zu stellen. Dabei gibt es immer wieder Erstaunliches zu entdecken.

Bewegender Moment der Geschichte

„Der Schuss einer Pistole“, so Dr. Charles Leale „war deutlich zu hören und nach einer Minute sprang ein Mann mit kleiner Statur und schwarzem Haar auf die Bühne und verschwand hinter dem Vorhang“. Sofort rannte der Arzt zu dem angeschossenen Opfer. Der am Hinterkopf schwer verwundete Mann lehnte sich gegen seine Frau, die verzweifelt den Arzt anschrie: „Oh Doktor, tun Sie, was sie können, tun sie, was sie können“. Dr. Leale erkannte aber schnell, dass die Situation sehr ernst war: „Er befand sich bereits in einem tiefen Koma“. Alle Hilfe nützte nichts mehr, der Mann starb nur wenige Stunden später, ohne noch einmal das Bewußtsein erlangt zu haben. Die historische Tragweite des Moments kommt in den letzten Zeilen des Reports zum Ausdruck: „Sofort nach seinem Tod verneigten wir uns und Reverend Helena Iles Papaioannou, wissenschaftliche Mitarbeitern von ‚The Papers of Abraham Lincoln’ beim Digitalisieren mit einem Zeutschel OS 14000 Buchscanner. Dr. Gurley flehte Gott im Namen der Während Helena Iles Papaioannou, wissen- Hinterbliebenen und des leidgeprüften schaftliche Mitarbeitern von ‚The Papers Landes um Beistand“. of Abraham Lincoln’, eine Box von histo- Der Mörder war der Schauspieler John rischen Dokumenten sorgfältig sichtete, Wilkes Booth, sein Opfer der amerikanifiel ihr plötzlich ein Report in die Hände, sche Präsident Abraham Lincoln. der sie schnell in ihren Bann zog. „Seine Direktheit und seine detaillierte Beschrei- Verstreute Quellen bungen bewegen sehr. Und man realisiert plötzlich, wie schmerzhaft und schrecklich Der Report ist ein historisches Juwel, da er die Verletzung gewesen sein muss“. Der viele Details enthält, die vorher nicht behandgeschriebene Augenzeugenbericht kannt waren. Er zeigt auch die Bedeutung stammt von einem 23-jährigen Arzt und der Arbeit von ‚The Papers of Abraham widmet sich den Ereignissen im Ford’s The- Lincoln’. Das 2001 als Erweiterung der ‚Lincoln Legal Papers’ gegründete Projekt ater, Washington D.C. am 14. April 1865.

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verfolgt das langfristige Ziel, die gesamte eingehende und ausgehende Korrespondenz sowie die Reden von Abraham Lincoln zu identifizieren, per Digitalisierung zu bewahren, die handschriftlichen Texte Wort für Wort in eine Datenbank zu übertragen sowie die digitalen Images und die Transkriptionen über das Internet frei zugänglich zu machen. Die Materialien stammen größtenteils aus Hochschulbibliotheken, Museen, historischen Gesellschaften, der Library of Congress sowie der National Archives and Records Administration (NARA), dem Nationalarchiv der USA. Weitere Quellen sind Privatsammler und Regierungen aus aller Welt. Seit Beginn des Projekts konnten tausende von Dokumenten aus 47 US-Bundesstaaten und aus Ländern wie Japan, Australien, Portugal und der Schweiz zusammengetragen werden. Daniel W. Stowell, Direktor und Herausgeber von ‚The Papers of Abraham Lincoln’ merkt an, dass „trotz des bereits großen Bestands wir immer noch Zug um Zug neues Material entdecken“. Seit 2011 findet die Projektarbeit im Nationalarchiv statt, das den größten Bestand an Lincoln-Papieren besitzt. Hohe Ansprüche Viele der Originale sind gebundene Dokumente, die entweder bereits in gebundener Form hergestellt oder später aus konservatorischen Gründen zusammengefasst wurden (zum Beispiel kombinierte Sammelalben aus losen Blättern). Die Anforderungen an den Digitalisierungsprozeß sind entsprechend des Zustandes und der Bedeutung der Dokumente sehr hoch. Dazu gehören neben der schonenden Behandlung der Vorlagen auch die Möglichkeit, größere Formate zu verarbeiten. Entscheidende Voraussetzung für den Projekterfolg ist jedoch eine exzellente Image-Qualität mit einer Auflösung von 600 dpi.


Dabei werden alle Dokumente in Farbe erfasst. Im Lincoln Editor, dem vierteljährlichen Projekt-Newsletter, heißt es dazu: „Farbe verbessert den Kontrast und die Lesbarkeit der Manuskripte. Wird die Farbe des gealterten Papiers und die Farbe der Tinte erfasst, lassen sich Durchstreichungen und Ergänzungen besser erkennen sowie Hinweise auf die Autorenschaft erschließen“. Und zweitens bleiben die farbigen Eigenschaften der Dokumente bewahrt – von dem blauen Schreibpapier, typisch für die Zeit Lincoln’s, über die eingesetzte Farbtinte bis hin zu farbigen Briefmarken und Umschlägen. Bei der Auswahl des Scansystems vertraute ‚The Paper of Abraham Lincoln’ auf die Kompetenz von ‚The Crowley Company’. Der Anbieter von Digitalisierungs- und Mikrofilmlösungen ist seit zwei Jahrzehnten ein zuverlässiger Parter des Nationalarchivs (NARA) und empfahl den Einsatz von Zeutschel Aufsichtsscanner. Das aktuelle High-End-Modell OS 14000 wurde von Zeutschel nach den strengen Vorga-

ben der NARA hinsichtlich der Farbqualität der Images sowie der produktiven Verarbeitung entwickelt. „Die Zeutschel Geräte erfüllen alle unsere Anforderungen. Neben einem OS 10000, der seit vielen Jahren zuverlässig arbeitet und jetzt im Zeitungsarchiv in Springfield, Illionois eingesetzt wird, nutzen wir den OS 14000 für unser Projekt“, erläutert Daniel W. Stowell. Aufwändiger Digitalisierungsprozeß Für Helena Iles Papaioannou beginnt der Workflow mit der Lokalisierung der Dokumente. Diese sind teilweise bereits mikroverfilmt und durch die NARA archiviert worden, so dass Helena jede Filmserie durchsuchen muss. Mit der gefundenen Filmreferenz lässt sich das Original dann im Archiv finden. Alle Vorlagen werden – wann immer möglich – vom Original digitalisiert, um Qualität und historische Exaktheit sicher zu stellen. Gescannt wird in einer optischen Auflösung von 600 dpi im unkomprimierten TIFF-Format.

Ein Bewilligungsschreiben von Abraham Lincoln. Foto: © The ‚Paper of Abraham Lincoln‘

Danach erfolgt die manuelle Übertragung der Inhalte in eine Datenbank. „Lincolns Handschrift ist zwar recht gut lesbar, das gilt aber leider nicht für alle, die an ihn geschrieben haben“, erklärt Daniel W. Stowell. Am Ende des Digitalisierungsprozesses werden die Dokumente kommentiert und in XML ausgezeichnet und beschrieben. Bisher hat das Projekt-Team ca. 96.000 Dokumente eingescannt und davon 30.000 Transkriptionen angefertigt. Das ergibt eine Datenmenge von 30 – 35 Terabyte, die auf einem Server an der Universität von Illionois in Urbana-Champaign gesichert sind. Die gesamte Sammlung beträgt über 150.000 Dokumente bei einem Datenvolumen von ca. 60 bis 70 Terabyte. Der Online-Zugang ist für Historiker, Wissenschaftler, Gelehrte und allgemein die interessierte Öffentlichkeit kostenfrei, die Images können hochauflösend im JPEG-Format betrachtet und ausgedruckt werden. Helena Iles Papaioannou ist sich sicher, dass die Entdeckungsreise in die Gedankenwelt Abraham Lincolns noch lange nicht beendet ist und es noch viele historische Schätze zu bergen gibt. The Papers of Abraham Lincoln ‚The Papers of Abraham Lincoln’ ist ein langfristiges Dokumentations-Projekt zur Identifizierung, Digitalisierung und Veröffentlichung der gesamten Korrespondez und anderer Schriftstücke von Abraham Lincoln während seines Lebens (1809 – 1865). Dies beinhaltet sowohl Dokumente und Briefe, die von dem amerikanischen Präsidenten selbst verfasst als auch an ihn geschrieben wurden. 1985 als ‚Lincoln Legal Papers’ gegründet, erweiterte sich das Projekt 2001 zu den ‚The Papers of Abraham Lincoln’. Neben staatlichen Zuschüssen finanziert sich das Projekt zu einem Drittel aus privaten Spenden. Die Webseite unter http://www.papersofabrahamlincoln.org enthält neben den eingescannten Dokumenten umfangreiche Informationen zur Sammlung, einen Newsletter mit aktuellen Projekt-Informationen sowie umfangreiche biografische und bibliographische Angaben zu Abraham Lincoln.

Zeutschel GmbH Heerweg 2, 72070 Tübingen Tel.: +49 (0) 7071 / 9706-0 info@zeutschel.de, www.zeutschel.de

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Das Westfälische Pferdemuseum Münster Vom Objekt zum lebenden Tier. Autorinnen: Sybill Ebers, Julia Hammerschmidt

Im Allwetterzoo Münster wurde im Jahr 2002 ein einzigartiges Museumskonzept umgesetzt. Ein eigenständiges Museum mitten im Zoo. Auf 1000 qm Ausstellungsfläche widmet es sich der Natur- und Kulturgeschichte der Pferde. Sonderausstellungen vertiefen spezielle Themen rund um das Pferd, widmen sich aber auch darüber hinausreichenden Themen wie Natur- und Artenschutz sowie Tieren generell. Zum Museum gehört eine Vorführarena. Von April bis Juni und September bis November gibt es hier jeden Sonntag Vorführungen mit echten Pferden. Noch mehr Pferdebegegnungen ermöglicht der direkt an das Museum angrenzende Kinder– und Pferdpark. Das ungewöhnliche Konzept und der attraktive Standort im Allwetterzoo machen das Westfälische Pferdemuseum zu einem der lebendigsten Museen Europas und zieht jedes Jahr bis zu 250.000 Besucher an. Oben: Ausgestorbene Emscherbruecher. Unten: Urpferdchen, Anatomisches Modell. Rechts: Polydor

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Ständige Ausstellung „Von Pferden und Menschen“ Mit einer Kombination von Original-Objekten, interaktiven Exponaten, neuester Medientechnik und dem gezielten Einsatz von Licht, Farben und Klanginstallationen beleuchtet das Pferdemuseum in acht Abteilungen das spannungsgeladene Verhältnis von Mensch und Pferd. Den Anfang macht das Thema „Pferdebilder“: Die Ausstellung zeigt jahrhundertealte Vorstellungen vom „wohlgestalteten“ und „ungestalteten“ Pferd sowie das Präparat von Polydor, einem der erfolgreichsten Zuchthengste unserer Zeit. Gemeinsam spiegeln sie die wechselvolle Beziehung zwischen Mensch und Pferd wider und zeigen, dass auch die Pferdezucht wechselnden Schönheitsidealen unterliegt. Im Bereich „Evolution und Domestizierung“ führen das Original-Fossil eines 47 Millionen Jahren alten Messeler

Urpferdchens und archäologische Funde die Besucher auf eine Zeitreise. War der Urahn unserer heutigen stolzen Rösser wirklich nur fuchsgroß? Die Abteilung „Wilde Pferde“ gibt Einblicke in die historischen Wildbahnen Westfalens, die als die Wurzel der westfälischen Pferdezucht gelten. Von der einstigen Vielfalt wilder Pferde zeugt heute nur noch die Dülmener Herde im Merfelder Bruch. Einzigartige Präparate der im 19. Jahrhundert ausgestorbenen Emscherbrücher erinnern an die Zeiten des traditionellen Pferdefangs in Westfalen. Unter der Rubrik „Biologie und Verhalten“ kann man die Welt aus der Pferde-Perspektive erleben oder in den Körper eines Pferdemodells hineinschauen. Auf amüsante Weise und im Vergleich „Mensch-Pferd“ lernt der Besucher die Besonderheiten der Pferdeanatomie und damit das faszinierende Lebewesen Pferd besser kennen

und verstehen. Nebenan gestattet das Thema „Pferdezucht“ einen Blick hinter die Kulissen von Landgestüt, Privatzucht und Pferdestammbuch und zeigt die Methoden erfolgreicher Zucht auch unter historischen Aspekten: Vom Natursprung zum Tiefkühlsperma. Inszenierungen von vergangenen Arbeitswelten des Pferdes – vom bäuerlichen Pferdestall über die Postkutsche bis hin zum Spezialschuh für Pferde im Moor – gibt es im Bereich „Arbeitspferde“. Wer sich für „Sport und Freizeit“ interessiert, kann anhand von Computer-Animationen einen Eindruck vom Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter bekommen und mit Hilfe interaktiver Stationen die unterschiedlichen Sitzgefühle in Western-, Renn- oder Springsätteln ausprobieren. Einzigartig in Deutschland ist der interaktive Kutschensimulator, der vermittelt, wieviel Fingerspitzengefühl es beim Führen eines Gespanns braucht.

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Links: Grupenpferd, Oben: Evolution

Die Ausstellung endet mit dem „Westfälischen Olymp“, in dem Westfalens Spitzenreiter und Siegerpferde vorgestellt und geehrt werden. Nicht nur originale Olympische Medaillen, sondern persönliche Gegenstände erinnern an Reiterlegenden und Ausnahmepferde.

Pferdeshows in der Arena „Hippomaxx“ In der angeschlossenen Manegenhalle werden die Museumsinhalte lebendig. Sie dient als Forum für Veranstaltungen rund um das Pferd. Vorführungen zum Voltigieren und therapeutischen Reiten, rasante Westernshows und beeindruckende Freiheitsdressuren geben einen Eindruck vom Umgang mit Pferden. Die Vorstellung alter und bedrohter Pferderassen wie Knabstrupper oder Dülmener Wildpferde erlauben hautnahe Kontakte zum Tier. Erläuterungen von Fachleuten sorgen dafür, dass die Vorführungen nicht nur unterhaltenden, sondern stets auch informativen Charakter haben. Die Pferdeshows finden von April bis Juni und September bis November jeden Sonntag statt.

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Oben: Westf채lischer Olymp. Rechts: Reitsimulatoren. Unten: Barockreiterei in der Arena

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Kinder– und Pferdepark Direkt an das Museum grenzt der Kinder– und Pferdepark. Er ist Lebensraum für verschiedene Pferde- und Eselrassen, darunter auch Przewalskipferde sowie die beeindruckenden Poitou-Riesenesel. Die weitläufige Anlage ermöglicht Einblicke in die natürlichen Verhaltensweisen der Einhufer, bietet hautnahen Kontakt zu den Tieren und weist viele Spielmöglichkeiten für Kinder auf. Und mit ganz viel Glück kann man sogar die Geburt eines Fohlens beobachten… Sonderausstellungen: Aktuell „Wildlife Photographer of the Year“ Neben der dauerhaften Ausstellung bietet das Westfälische Pferdemuseum seinen Kinder- und Pferdepark The mouse, the moon and the mosquito, © A. Badyaev Snake-eyes, © Marc Montes You have been warned, © Alex Mustard

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Besuchern regelmäßig Wechselausstellungen und kleinere Sonderschauen. In der Vergangenheit weckten Sonderausstellungen wie „Polizei und Pferd“, „Anatomie“ oder „Pferd und Krieg“ bundesweit Aufmerksamkeit. Passend zum Standort Zoo und dem Bildungsauftrag des Museums entsprechend, greifen die Sonderausstellungen aber auch Themen zum Natur- und Artenschutz oder zu Tieren allgemein auf. Aktuell ist die Londoner Fotoausstellung „Wildlife Photographer of the Year“ vom 29. November 2014 bis zum 29. März 2015 im Pferdemuseum zu sehen. Sie zeigt die hundert Siegerbilder des wohl größten und renommiertesten Wettbewerbs für Naturfotografen. Der Wettbewerb ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem BBC Wildlife und dem Natural History Museum, London und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Seine Anfänge liegen im Jahr 1964 – damals gab es lediglich 600 Einsendungen in drei Kategorien. Inzwischen hat sich der Wettbewerb zur eigentlichen Marke für herausragende Naturfotografie entwickelt. Die Auswahl der Bilder setzt jedes Jahr neue Maßstäbe in der Fotografie. 2014, zum 50-jährigen Jubiläum, gingen bei den Veranstaltern 41.000 Beiträge aus 96 Ländern ein. Die Fotos stammen nicht nur von erfahrenen Profifotografen, sondern auch von Amateuren und jungen Nachwuchstalenten. Aufwendige Ausrüstung ist keine Grundvoraussetzung, auch nicht monatelange Reisen an die entlegensten Orte der Welt. Als einzige Voraussetzung gilt nur, dass die Aufnahme in freier Natur entstanden sein muss, nicht technisch bearbeitet ist – und dass die Tiere nicht gestört wurden. Die Siegerbilder sind spektakulär, kraftvoll

und bewegend. Sie stimmen nachdenklich und hinterfragen unseren Blick auf die Natur, unseren Umgang mit ihr und unseren Einfluss auf sie. Die Ausstellung vereint berührende Tierporträts, atemberaubende Unterwasseraufnahmen, beeindruckende Landschaftsbilder und schockierende Umweltreportagen. Das Besondere: Zu jedem Foto erfährt man die technischen Details und die Geschichte „hinter dem Bild“. Es ist bereits das dritte Mal in Folge, dass das Museum die spektakulären Aufnahmen präsentiert – als erste Station in Deutschland und einziges Museum in Nordrhein-Westfalen! Ob das sphärische Foto einer Maus bei Vollmond oder die bizarr anmutende Aufnahme einer winzigen Meeresschnecke: Die 100 prämierten Fotos der Ausstellung sind das Beste, was die Natur- und Tierfotografie aktuell zu bieten haben – und sie schärfen den Blick für die Einzigartigkeit unserer Erde. Die Arbeit und Aktivitäten des Museums heben sich durch seinen innovativen Ansatz und seinen ungewöhnlichen Standort im Zoo von den landläufigen Vorstellungen eines Pferdemuseums ab. Nicht ein sentimentaler Blick auf die „gute alte Zeit“ oder eine „Pferdeseligkeit“ werden reproduziert, sondern zeitgemäße und provokante Blicke auf ein weites Themenspektrum geworfen. Westfälisches Pferdemuseum Münster Sentruper Str. 311 48161 Münster www.pferdemuseum.de Der Eintritt in das Pferdemuseum ist im Zooeintritt enthalten.


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Uwe Strauch, Gründer museum.de. Foto: © Andrea Wark

In einer intelligenten Vernetzung von Museen und Besuchern sehe ich ein großes Potential. Nach der Theorie wollen wir uns nun intensiv mit der praktischen Umsetzung beschäftigen. Mit großer Leidenschaft haben wir eine App entwickelt, die für alle Besucher und Museen kostenlos ist. In Ihrem Museum funktioniert sie wie eine museumseigene App und gleichzeitig erreicht sie alle museumsinteressierten Menschen - überall und jederzeit. Legen Sie Bildergalerien, Nachrichten oder Ausstellungstermine an. Der integrierte Audioguide mit zeitgesteuerter Diashow bringt einen Bestandteil Ihrer Ausstellung zum Besucher. Was fehlt denn noch? Die Realität – und die findet der moderne Mensch nur in Ihrem Museum. Infos unter http://app.museum.de


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Playing Lawrence On The Other Side Die Expedition Klein und das deutsch-osmanische Bündnis im Ersten Weltkrieg. Ausstellung vom 26.10.2014 bis 25.1.2015 Das Preußen-Museum NRW beteiligt sich mit einer Ausstellung über deutsche Orientpolitik im Ersten Weltkrieg am LVR-Verbundprojekt „1914 – Mitten in Europa“. Ob militärische Kämpfe an der Front, persönliche Berichte aus dem Krieg oder der gesellschaftliche Wandel – wer 2014 in Ausstellungen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert, richtet den Blick dabei zumeist auf Europa. Die Perspektive, die nun das Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen einnimmt, geht weit darüber hinaus. Unter dem Titel „Playing Lawrence On The Other Side. Die Expedition Klein und das deutsch-osmanische Bündnis“ wird in Wesel ab dem 26. Oktober der fast in Vergessenheit geratene Krieg im Osmanischen Reich und seinen Nachbarstaaten in den Mittelpunkt gerückt. Die Ausstellung, die bis zum 25. Januar 2015 zu sehen ist, ist Teil des in Deutschland einzigartigen Verbundprojektes „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“, mit dem der Landschaftsverband Rheinland (LVR) noch bis Mitte 2015 an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor rund 100 Jahren erinnert. „Die Ausstellung verdeutlicht wachsenden Beziehungen zweier unterschiedlicher Kulturen, die gemeinsam in den Krieg ziehen. Darin spiegelt sich die Spannung zwischen Avantgarde und Aggression, der rote Faden, der sich durch das gesamte Verbundprojekt zieht“, sagt Prof. Dr. Thomas Schleper, Leiter des LVR-Verbundprojektes. Hintergrund ist die Tatsache, dass Deutschland und das Osmanische Reiche vier Jahre lang zusammen als Verbündete kämpften. Dabei ist fast völlig aus dem Bewusstsein geraten, dass die türkische Seite dabei mindestens ein Viertel ihrer eingesetzten Soldaten verlor und dadurch mit die höchsten Verluste des Ersten Weltkriegs zu beklagen hatte. Links: Fünf osmanische Auszeichnungen des osmanischen Majors Erich Serno Oben: Hauptmann Klein als osmanischer Major und Mensil Mufetisch (menzil müfettis / Generaletappenchef) der türkischen Truppen im Irak, Bagdad, Frühjahr 1915. © Preußen-Museum NRW, Wesel

Die Ausstellung beginnt mit der deutschen Orientpolitik in der Vorkriegszeit, den sprunghaft steigenden deutschen Wirtschaftsbeziehungen zum Osmanischen Reich und zu Persien und den deutschen Militärmissionen – und setzt sich fort mit der Zeit um den Ersten Weltkrieg. In den Mittelpunkt rücken dann das deutsch-türkische Bündnis und die vielfältigen Erfahrungen, die mehr als 25.000 deutsche Soldaten auf den orientalischen Kriegsschauplätzen und mit fremden Kulturen machten.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht dabei ein Aspekt der deutschen Orientpolitik, der in historischer Betrachtung bisher nur eine geringe Rolle spielte: Die Expedition Klein. „Damit stellt die Ausstellung ein bisher unbekanntes Kapitel des Ersten Weltkriegs vor, das der Öffentlichkeit nun erstmals durch die Auswertung umfangreicher Quellen zugänglich gemacht wird. Diese Expedition war zur damaligen Zeit die vielseitigste deutsche Orientexpedition“, erklärt Dr. Veit Veltzke, Direktor des Preußen-Museums NRW. Die Geschichte der Expedition Klein brachte ihr aus einer jüdischen Familie stammender Adjutant Edgar Stern-Rubarth 1936 in seinem Londoner Exil auf eine Formel, die der Ausstellung in Wesel ihren Namen gab: „Playing Lawrence On The Other Side“.

Wie der legendäre „Lawrence von Arabien“ agierte die Gruppe Klein mit hoher interkultureller Kompetenz im Bündnis mit arabischen Stämmen. Hauptmann Klein war mit dem Auftrag des Auswärtigen Amtes und des deutschen Generalstabes in den Orient gereist, die englische Pipeline am Persischen Golf gemeinsam mit verbündeten Beduinenstämmen zu sprengen. Er erfüllte den Auftrag – und gewann die schiitische Geistlichkeit in Kerbela für den Erlass einer Fatwa gegen England, Russland und Frankreich. Als osmanischer Major stabilisierte er die Front in Mesopotamien, kümmerte sich um Nachschub, Gesundheitsvorsorge und Wirtschaftskontrolle und arbeitete erfolgreich mit Araberstämmen des Irak zusammen. Später kämpfte er mit persischen Stammesreitern gegen russische Truppen im Westen des heutigen Iran. Archäologen, Ingenieure, Globetrotter und Abenteurer gehören zum bunten Bild seiner Expedition. Welche Eindrücke Klein sammelte, ist in Wesel zu sehen. Auf insgesamt 700 Quadratmetern werden rund 500 Exponate ausgestellt. Viele davon sind erstmals überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich. Dazu gehören beispielsweise der Fotoschatz der Expedition Klein mit Bildern aus dem Irak und Westpersien vor 100 Jahren, islamische Handschriften seit dem 10. Jahrhundert aus dem Besitz Max von Oppenheims, ein Morgenrock Kaiser Wilhelms II. im orientalischen Stil, eine Uniform seines Reichskanzlers von Bülow, das Fotoalbum zur Völkervielfalt des Osmanischen Reiches vom bedeutendsten osmanischen Fotografen Pascal Sébah und der Ordensnachlass des Begründers der osmanischen Luftwaffe, Major Serno, Ausgestellt sind zudem berührende persönliche Zeugnisse, die interkulturelle Beziehungen zwischen Deutschen, Türken und Arabern belegen. Preußen-Museum NRW An der Zitadelle 14–20 46483 Wesel www.preussenmuseum.de

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Dr. Hermann Arnhold (Direktor des LWL-Museums für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum Münster), Prof. Dr. Bernhard Graf (Leiter des Institutes für der Stiftung Kunst3 für das LWL-Museum für Kunst und Kultur), Matthias Löb (Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe), Dr. Barbara Rüschoff-Thale scher Museumsbund), Dr. Adelheid Wessler (Förderreferentin VolkswagenStiftung), Prof. Dr. Eckart Köhne (Präsident des Deutschen Museumsbundes e.V., Direktor

LWL-Tagung zu Qualität in Museen Appell an Museumsleute: „Sprechen Sie mit den Politikern“ „Museen sind Ankerpunkte der Kultur, in Museen können wir Weltbürger werden“, sagte Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters am Donnerstag (23.10.) auf einer Tagung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster zu „Qualität in Museen“. „Qualität ist immer noch das beste Argument, wenn es da-

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rum geht zu begründen, warum knappe Mittel in unsere Kulturinstitutionen fließen sollten“, so Grütters weiter. Über 200 Kulturfachleute diskutieren am Donnerstag und Freitag die Qualität von Museen. „Sie dürfen die Qualität von Museen nicht nur im eigenen Kreis dis-

kutieren, sondern sprechen Sie mit den Politikern“, appellierte LWL-Direktor Matthias Löb an die Experten. Politiker stünden bei knappen Mitteln zum Beispiel vor der Frage, ob sie einem Museum zusätzliches Geld für die Inventarisierung geben sollten oder die Ressourcen besser in die Aufsicht von Jugendheimen steckten. Gerade die aktuelle Diskussion um die Versteigerung von Warhol-Bildern zeige, dass Kulturpolitiker und Politiker, die auch


Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, Vorsitzender des Landesverbandes der Museen zu Berlin e.V.), Dr. Wolfgang Henze (Stiftungsratsvorsitzender (Kulturdezernentin Landschaftsverband Westfalen-Lippe), Dr. Volker Rodekamp (Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig, 2000-2014 Präsident Deutdes Badischen Landesmuseums Karlsruhe), als Gast: Uwe Strauch (Gründer museum.de, Xanten). Foto: © Stefan Althaus (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)

noch für andere Bereiche Verantwortung tragen, „unterschiedliche Zielsysteme“ hätten. Wünschenswert sei es, wenn die Museumsleute mit Sozial- und Finanzpolitikern und mit Vertretern der Wirtschaft über Kriterien diskutieren, nach denen Ressourcen verteilt werden. Museen seien aber nicht nur Dienstleister, sondern „Bewahrer des kulturellen Erbes“, so der Vorsitzende des Deutschen

Museumsbundes, Prof. Dr. Eckart Köhne. LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale referierte über Säulen, die Qualität von Museen bestimmten: die Sammlung, der Service, die inklusiven Angebote für Menschen mit Behinderung sowie das Umfeld des Museums. Deutlich auch ihr Appell: „Wenn wir in der Kultur nicht selbst Kriterien für Qualität festlegen, tun es andere.“ Politiker dürften sich nicht gegen gute

Argumente aus den Museen „teflonisieren“, meinte Dr. Volker Rodekamp vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. Gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Graf vom Institut für Museumsforschung (Staatliche Museen zu Berlin) plädierte er dafür, selbstbewusster gegenüber der Politik aufzutreten. Graf: „Museen sind ein Erfolgsmodell. „Aber auch wir müssen unsere Inseln verlassen und uns öffnen“, meinte Museumschef Rodekamp.

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LWL-Museum für Kunst und Kultur 1.000 Jahre Kunst vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Nach fünf Jahren Bauzeit öffnete das Museum seine Pforten.

Das Foyer des Museums verbindet zwei städtische Plätze miteineander. Fotos Foyer: © H. Neander

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Das neue LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster wurde im September in einem feierlichen Festakt nach fünf Jahren Bauzeit eröffnet. Damit öffnet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sein neues Haus für die Kunst und schließt die größte Baumaßnahme in der Geschichte des LWL ab. Markenzeichen des Neubaus von Staab Architekten Berlin sind die „Architektur der Höfe“, die markante Gebäudespitze und die 14 Meter hohe Eingangshalle, die zwei städtische Plätze miteinander verbindet. Die Architektur Dank der Architektur der Höfe und Plätze erschließt eine 100 Meter lange, öffentliche Passage das Museum. Im Süden öffnet sich der Neubau den Besuchern in Form eines Platzes, an dem sich auch das Museumsrestaurant befindet. Durch den offenen Innenhof, den Patio, gelangt der Besucher in das lichtdurchflutete Foyer. Den Vorplatz am Dom beherrschen die

Gebäudespitze und das Aufeinandertreffen von Neubau und dem NeorenaissanceAltbau von 1908, dem Gründungsjahr des Museums. Die Einbindung des Museums in die sehr dichte Bebauung der Altstadt habe den Architekten fasziniert: „An zentralen Orten öffnet sich der Bau mit großen Fenstern der Nachbarschaft, so dass Blickachsen in die Stadt und in das Muse-

um entstehen“, erklärte Volker Staab. Im Inneren dienen die Räume mit den sechs Meter hohen Fenstern als sogenannte Brückenräume: Auf dem Rundgang unterbrechen sie die Kunstpräsentation, laden zum Ausruhen ein und geben Blicke in die Stadt frei. Sandstein an der Fassade und geschliffener Beton an allen Außenflächen, die in das Museum hineinführen, sind die Mate-

Foto oben: © Elisabeth Deiters-Keul

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Links: Die Überwasserskulpturen in der Spitze Rechts: Das Bockhorster Triumpfkreuz. Fotos: © Elisabeth Deiters-Keul

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rialien, die Staab für die Fassaden gewählt hat. Innen setzt sich die Auswahl mit Terrazzo, Beton, Räuchereiche und Putz fort. Das 700 Quadratmeter große Foyer, das Eingangshalle, öffentlicher Durchgang und Veranstaltungsraum zugleich ist, markiert die Drehscheibe des neuen LWL-Museums. Umgeben wird es von der Kunstbibliothek, dem Restaurant „Lux“, dem Museumsshop Walther König und dem Auditorium mit 230 Sitzplätzen. Über die Treppen, die wie aus dem Beton herausgeschnitten wirken, gelangen Besucher in die oberen Stockwerke zur Sammlung und zur Sonderausstellung. Die Sammlungspräsentation Mit der Neueröffnung zeigt das Museum 1.200 Kunstwerke in 51 Ausstellungsräumen. „Erstmalig lässt sich das Museum in einem inhaltlichen Rundgang vom Mittelalter bis zur zeitgenössischen Kunst erkunden, wobei ein ,Seiteneinstieg‘ – zum Beispiel in den Barock oder die Moderne – jederzeit möglich ist“, sagte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale. Kräftige Farben in den Ausstellungsräumen schaffen spannende Zugänge zur Kunst und lassen die Werke in einem neuen Licht strahlen. Dank der abwechslungsreichen Architektur wechseln sich kleine Kabinette und große Ausstellungssäle ab, doppelgeschossige Museumsräume bieten völlig neue Bezüge zwischen den Epochen und zwischen Sammlung und Sonderausstellung. Einige Räume sind besonders inszeniert, um den Besuchern einen sinnlichen Zugang zur Kunst zu ermöglichen. „Mal hört man Klänge, in einem anderen Raum sind schwarze, spiegelnde Wände eingebaut. So haben wir eine abwechslungsreiche Präsentation entwickelt, die neue Blicke freigibt“, erklärte Museumsdirektor Dr. Hermann Arnhold: „Die Idee des offenen Museums zeigt sich im neuen Raumkonzept, und die unterschiedlichen Raumgrößen nehmen direkten Bezug auf das Sammlungsprofil des Hauses. Endlich haben wir Räume, von denen wir schon lange geträumt haben.“ Für die Gestaltung der Ausstellung wurde das Stuttgarter Büro Space4 beauftragt.

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Der barocke Kamin einer Mßnsteraner Adelsfamilie wird in einem doppelgeschossigem Raum gezeigt. Foto: Š Hanna Neander

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Im Sammlungsraum „An der Schwelle zur Renaissance“. Figurengruppe „Adam und Eva vom Paradiesportal des St.-Paulus-Doms“, um 1545/50, von Johann Brabender. Sammlungsraum im Altbau mit Malerei der Expressionisten, darunter Ernst Ludwig Kirchner, Kaffeetafel, 1908, (Bild im Zentrum) oder Wilhelm Morgner, Große Astrale Komposition II, 1913 (Bild links). Fotos: © Hanna Neander

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Szene gesetzte Werke, das Erzählen von Geschichten und Hintergründen auf dem Multimedia-Guide, die thematischen Führungen, die Highlight-Touren und einen Kurzführer im Taschenbuch-Format. So bleiben die Werke nicht rätselhaft, sondern öffnen sich den Besuchern – gleichgültig wie alt sie sind, ob sie eine Behinderung haben oder mit welchen Kenntnissen sie ins Museum kommen. Die Inklusion ist fester Bestandteil des neuen Konzepts in der Kunstvermittlung.

1.000 Jahre Kunst Das LWL-Museum für Kunst und Kultur vereint 1.000 Jahre Kunst vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Insgesamt umfasst die Sammlung des LWL-Museums über 350.000 Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen und Grafiken, Münzen und Objekte sowie 135.000 Bücher. Auf dem Rundgang durch die Sammlung trifft der Besucher auf Kunstwerke unter anderem von Heinrich

Brabender, Lucas Cranach d. Ä., Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Otto Piene, Gerhard Richter, Rosemarie Trockel. Kunstvermittlung und Kulturprogramm So offen wie die Architektur und die Präsentation der Kunst ist auch die Vermittlung: Im neuen Museum werden die Menschen stets begleitet – durch in

Das LWL-Museum bietet auch für das Kulturprogramm neue Möglichkeiten: vom Popkonzert in der Eingangshalle bis zum Tanztheater und Performances im Patio. Vor allem an den langen Freitagen (jeweils am 2. Freitag im Monat) möchte das Museum mit seinem Veranstaltungsprogramm Studierende und andere junge Besucher ins Haus holen. LWL-Museum für Kunst und Kultur Domplatz 10 48143 Münster Telefon: +49 (0)251 5907 01 Fax: +49 (0)251 5907 210 E-Mail: museumkunstkultur@lwl.org

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LWL-Museum für Kunst und Kultur zeigt vom 8.11.2014-22.2.2015 erste Sonderausstellung: „Das nackte Leben“ mit Werken von Bacon, Freud, Hockney und andere Euan Uglow, The Diagonal, 1971-77, Privatsammlung © The Estate of Euan Uglow. Foto: Courtesy of Browse & Darby Ltd.

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Lichthof: Rachel Whiteread Foto: Š Hanna Neander

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Ticket meets mobile Viele Menschen mit Verantwortung in Museen, Kulturstätten und Science Centern haben uns in den letzten Monaten um umfassende Informationen zum Thema Mobile Ticketing gebeten. Unabhängig von der Größe einer Einrichtung geht es dabei immer um die wirtschaftliche Kombination des strategisch wichtigen Ticketverkaufs an der Kasse (Zweitnutzen durch Rückseitenvermietung/Veranstaltungshinweise etc.) mit dem Webshop und der zukünftigen Lösung für unkompliziertes Mobile Ticketing. Basis dafür und für eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten ist die von Beckerbillett speziell für Museen entwickelte modulare Software TOP II für Verwaltung und Warenwirtschaft, ergänzt durch die umfangreichen und bewährten Leistungen, die wir für Kasse, Zutrittskontrolle und Ticketdruck bieten. Sprechen Sie uns einfach an. Auf dem Museumstreffen in Dresden, auf der MUTEC in Leipzig oder einfach per E-Mail oder Telefon.

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Schule im Nationalsozialismus Ein neuartiges Ausstellungsformat für Jugendliche im Schulmuseum Nürnberg. Autor: Dr. Mathias Rösch

Klassenfoto einer Nürnberger Volksschule 1941. Foto: © Schulmuseum Nürnberg

Ein verbogener, Ruß überzogener Metallsplitter, ein Meterstab und ein gewöhnlicher Stuhl. 2013 startete das Schulmuseum Nürnberg ein Projekt zur Entwicklung eines neuartigen Ausstellungsformates. Die Verknüpfung dieser drei Objekte in einem Schüler-Workshop gab den entscheidenden Anstoß: Wie wäre es, wenn ein Besucher die in einem historischen Objekt verborgene Geschichte selbst herausfinden könnte, sich ein historisches Thema selbst erarbeiten könnte, an einem kleinen Tisch mit gemütlichen Stühlen, das Objekt unmittelbar vor Augen, als Replik zum Anfassen oder als Original in einer Vitrine, dazu einzwei weitere Objekte die den Gedankenprozess anregen und unterstützen, den Kontext erhellen. Die Ausstellung mit Lernlabor wird Ende Februar 2015 in Nürnberg eröffnet werden und bis Juni des Jahres für Schulen und Besucher allgemein zugänglich sein. Im Mittelpunkt steht die Schule im Nationalsozialismus. Im Folgenden bietet ein Werkstattbericht einen Blick auf die Intentionen, Entwicklung und Umsetzung des Projektes zusammen mit Schulen, Wissenschaftlern und Didaktikern.

Schule im NS – ein kaum bekanntes Thema Die Geschichte von Schule ist eher selten ein Thema großer überregionaler Ausstellungen. Vorhaben wie im Bergisch-Gladbacher oder im Bremer Schulmuseum 2013 und 2000 sind die Ausnahme. Das Nürnberger Projekt thematisiert den Schulalltag in den Jahren der Hitlerdik-

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tatur im mittelfränkischen Großraum Nürnberg, Fürth, Erlangen. Diese lokalgeschichtliche, stellenweise biografische Perspektive der Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte 1933 bis 1945 wird mit den großen historischen Zusammenhängen verknüpft, mit den Zielen, Anforderungen, Einwirkungen von Diktatur und Gesellschaft. Die Institution Schule ist ein eigenes Phänomen in den Jahren der

NS-Diktatur 1933 bis 1945. Wie ein Mikrokosmos verfügt sie über eigene „Gesetze“ und Formen und spiegelt zugleich die Gesamtgesellschaft, deren soziale und politische Verfassung, Bedürfnisse, Verwerfungslinien und offenen Fragen. Entsprechend nehmen Ausstellung und Lernlabor auch die Ambivalenzen und Gegensätze in den Blick bzw. das Spannungsverhältnis zwischen (u.a. ideologischem) Anspruch und Realität, die charakteristisch für die NS-Diktatur sind und damit auch für die Schulwelt. Manche Objekte und Themen lassen auch an aktuellen politisch-menschenrechtlichen Fragen der Gegenwart anknüpfen. Die Darstellung wird zusätzlich von eigenen Fragestellungen durchzogen: Wo kann ich als Individuum und als Teil einer Gesellschaft ansetzen, um der Barbarisierung der Gesellschaft und einer sich anbahnenden Diktatur etwas entgegen zu stellen. Umgemünzt auf das historische Thema: Woran erkennen wir heute aus der Retrospektive und woran hätte der Zeitzeuge damals vor Ort erkennen können, dass er in einer menschenverachten-


kraft auch manche Freiräume innerhalb des Unterrichts, die nicht kontrollierbar waren. Da und dort entfalteten sich die Beharrungskräfte der Weimarer Bildungsvorstellungen. Die innere Systematik und Eigengesetzlichkeit von Fachunterricht und Lernen konnten geradezu wie eine Barriere den Ideologisierungsversuchen entgegenwirken. Die zweite Themeninsel bietet eine Blick auf die innerschulischen Reaktionen auf die Indoktrination: Beschrieben werden Gemeinschaftsgefühle, Ausgrenzung, Verfolgung, aber auch Skepsis, Ablehnung und Widerstand in der Schule. Der Erfolg der Indoktrinationsversuche bzw. der hohe Grad an Zustimmung war nicht zu übersehen. Die Uniformierung des gesamten Schullebens, die ideologische Überformung von Schule, Unterricht und Lehrerbildung, von den Lehrplänen bis zur Prüfung, hatten zweifellos nicht nur bei den Schülern und Lehrkräften Wirkung gezeigt. Ohnehin waren Lehrkräfte gegenüber nationalsozialistischen Ideen überdurchschnittlich offen.

Glasnegativ mit Rassenkunde und Eugenik, Lehrmittel an der Volksschule Schwabach 1934. Foto: © Schulmuseum Nürnberg

den Diktatur lebte? Welche Ziele hatten die Nationalsozialisten? Warum ließen sich manche dieser Ziele durchsetzen und andere nicht? Warum und wie gelang es, einen so großen Teil der Schulwelt (wie auch der Gesamtbevölkerung) zur Zustimmung zu Terror und Verfolgung zu gewinnen? Die verschiedenen Ereignishorizonte und Handlungsfelder von Schule sind in drei Themeninseln gegliedert. Die erste Themeninsel bietet einen Blick auf die Ebene der Indoktrination, auf die nationalsozialistische Überformung von Schule. Wie ein roter Faden durchzog der Versuch, die schulische Erziehung und Lehre, alle Facetten des Schullebens ausnahmslos und durchdringend auf die NS-Ideologie auszurichten, die Jahre zwischen 1933 und 1945. In mehreren zeitlichen Etappen wurden diese Kampagnen immer mehr intensiviert. Die Schule war nach der Hitlerjugend die wichtigste Institution zur Vermittlung dieser Ideologien an die nachwachsenden Generationen. Sie trug an einer wichtigen

Stelle dazu bei, die – über das Elternhaus oder die Peergroup entwickelte – bereits vorhandene innere Zustimmung zur NS-Diktatur oder eben auch die Ablehnung zu stärken. Schule war nur im Ausnahmefall der Ursprung dieser Haltungen. Doch sie war wichtig, weil sich in ihr Kinder und Jugendliche für mindestens die Hälfte eines Tages aufhielten und weil diese, abhängig von ihrem Alter, durchaus offen waren für Meinungen, Ideen und Vorgaben. Schule hat den Auftrag, nicht nur fachliche Inhalte, sondern auch gesellschaftliche Normen und Werte zu lehren und zu trainieren. 1933 bis 1945 waren Rassismus, Antisemitismus, extremer Nationalismus, Volksgemeinschaft, Kriegserziehung und das NS-Rollenverständnis von Frauen fester Teil des Unterrichts. Diese Ideologien waren mehr oder minder in jeder Fibel, in jedem Erdkundeund Geschichtsbuch greifbar, wurde in Schulappellen und Schulfesten trainiert, aber auch bei Erntehilfs- und Sammelaktionen während des Krieges, Briefeschreiben an die Front und ähnlichen Veranstaltungen eingebracht. Und doch gab es für die einzelne Lehr-

Der Nationalsozialismus war im Unterricht aber auch darüber hinaus im gesamten Schulleben prägend. Die NS-Ideologie forderte und förderte ein bestimmtes Verhalten. Die Forderung nach bedingungslosem Zusammenhalt und die Ausgrenzung wurde auch im Schulraum umgesetzt: Kinder und Jugendliche mit Behinderung sowie Juden, Sinti und Roma wurden drangsaliert und für die Zwangssterilisierung oder für die Ermordung selektiert. Abweichende politische Meinungen oder auch Skepsis und selbst Desinteresse an NS-Veranstaltungen wurden bestraft.

Das Schulmuseum Nürnberg Das Schulmuseum Nürnberg ist eine Kooperation der Universität Erlangen-Nürnberg und der Stadt Nürnberg und zählt rund 40.000 Besucher jährlich (ca. 60 Prozent Schüler). Im Mittelpunkt steht die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung. Die Sammlung mit ca. 180.000 Objekten unterstützt die universitäre Forschung und Lehre. Das Museum entwickelt Lernwerkstätten und betreibt Wanderausstellungen im gesamten Bundesgebiet.

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Oben: Schüler arbeiten mit historischen Originalen. Die Gasmaske wurde von einem Nürnberger Schüler zum Feuerlöschen-Training vor 1939 verwendet. Die Fibel dient dem Erstleseunterricht im der Volksschule 1933 bis 1945. Rechts: Schülerinnen erarbeiten sich historische Dokumente. Fotos: © David Stein

Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte reagierten 1933 bis 1945 im Raum Nürnberg, Erlangen, Fürth in vielen verschiedenen Formen auf den Nationalsozialismus. Abhängig von Elternhaus, eigenen Veranlagungen oder auch von der Peergroup bzw. Freundeskreisen empfanden nicht wenige über einen langen Zeitraum hinweg Faszination oder zumindest partielle Zustimmung. Andere blieben desinteressiert. Wieder andere waren skeptisch, ablehnend. Die rückläufigen Schulleistungen und die fachliche Beeinträchtigung des Unterrichts durch die wachsende Dominanz der Ideologisierung oder auch der Hitlerjugend weckten unter Teilen der Lehrerschaft Verärgerung und Ablehnung. Widerständig engagierten sich jedoch nur wenige. Manche durchlebten auch alle diese Haltungen. Die dritte Themeninsel widmet sich dem Krieg im Schulalltag. Bereits ab 1933 wurde der Schulalltag massiv durch die Vorbereitung auf einen potentiellen Krieg

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geprägt. Lernziele, Prüfungsfragen, Aufsatzthemen, Rechenbeispiele, Leseübungen – in allen Bereichen wurde versucht Kindern und Jugendlichen das Kämpfen mit der Waffe und den Krieg als etwas Positives, als etwas Normales, geradezu Erstrebenswertes zu vermitteln. Damit verknüpft waren die Abwertung des politisch-militärischen Gegners und eine Überhöhung des militärischen Potentials des eigenen Landes. Zweifellos trug diese Ausrichtung des Schulunterrichts dazu bei, während des Krieges 100.000de Schüler als Flakhelfer, Luftwaffenhelferinnen, Luftschutzhelfer oder auch für den Ernteeinsatz zu motivieren. Doch spätestens 1943/1944 ernüchterte die Realität nicht nur manche Erwachsene, sondern auch viele Jugendliche. Mehr und mehr gerieten die Zahl der Kriegstoten oder auch die permanente Angst, Überforderung, Traumatisierung und Schlafmangel im Gefolge des Bombenkriegs in den Vordergrund.

Dazu kamen in den letzten Kriegswochen Sinnverlust, die Angst vor der drohenden Niederlage, das Gefühl gegen einen übermächtigen Gegner „verheizt“ zu werden. Bei manchen Angehörigen der „HJ-Generation“ führte diese Ernüchterung schließlich sogar zur allmählichen inneren Abkehr vom Nationalsozialismus. Für die Inhalte des Vorhabens lieferte der Förderverein des Schulmuseums Nürnberg richtungsweisende Impulse. Max Liedtke, Mitglied im Vorstand des Vereins, hatte seine Schulzeit vor 1945 erlebt und die Anregung zu einer Ausstellung über die Schule im NS gegeben. Liedtke, emeritierter Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg, Gründer des Schulmuseums Nürnberg und der schulgeschichtlichen Sammlung Nürnberg, stärkte das Projekt in den folgenden Jahren zusammen mit dem Förderverein durch Objektspenden und eine intensive inhaltliche Diskussion.


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Eine Ausstellung mit Lernlabor Das Vorhaben steht auf zwei didaktischen Pfeilern. Der Ausstellungsbereich führt in die Themen ein. In historischen Schulschränken der Jahre 1933 bis 1945, die von Schulen aus dem Großraum Nürnberg gespendet oder geliehen wurden, werden Objekte inszeniert und präsentiert. Film- und Hörstationen zeigen die biografische Wirklichkeit. Der Lernlaborbereich ermöglicht die inhaltliche Vertiefung und Reflexion dieser Themen. Beide Bereiche sind eng miteinander verknüpft. Jede der drei Themeninseln des Vorhabens hat sechs verschiedene Lernstationen. An jeder Lernstation können sich jeweils zwei Schülerinnen und Schüler die Hintergrundgeschichte, Wirkung und Funktion eines historischen Objektes mit Hilfe zusätzlicher Objekte und Hilfsmittel erarbeiten, selbsttätig, von eigenen Interessen geleitet und ohne Anleitung durch Dritte. Auf einem Tisch werden drei bis vier historische Objekte so arrangiert, dass sich durch ihre Kombination die „Geschichte hinter den Objekten“ erschließen lässt. Auf diese Weise erarbeiten sich die Schüler Schritt für Schritt immer weitere Ausschnitte aus der Geschichte der Schule im Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt stehen dreidimensionale Objekte. An manchen Stationen lassen sich auch Zeitzeugenberichte analysieren. Die Lernarrangements arbeiten mit irritierenden Objekten und wecken immer wieder auch die Möglichkeit des Transfers zur Gegenwart. Initialzündung waren die Erfahrungen 2012 mit Gymnasiasten einer 9. Klasse während eines Workshops des Schulmuseums zum Thema Zweiter Weltkrieg. In einem Experiment waren verschiedenen Teams á je zwei Schülern, wie eingangs beschrieben, drei Objekte vorgelegt worden. Ein rußgeschwärztes Metallstück, an dem ein kleines Briefmesser befestigt war, dazu ein Meterstab, ein PC-Zugang sowie eine Notiz. Die Notiz informierte, dass es sich hier um ein Objekt handle, das in einer deutschen Familie höchste Wertschätzung besitze und stets nur an diejenige Person weitervererbt werde, die über einen langen Zeitraum hinweg intensives Interesse für Geschichte und für die Familie bewiesen habe. Die Irritation durch den Meterstab („was soll hier vermessen werden?“) und den Metallsplitter löste eine Such-, Fragebewegung des Betrachters aus. Durch das Vergleichen,

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in-Beziehung-setzen und Bearbeiten der drei Objekte entwickelten die Schüler Schritt für Schritt eine Lösung. Der Meterstab veranlasste zu der Schlussfolgerung, dass hier ein großer Gegenstand vermessen werden sollte bzw., dass das Metall, das offenbar keinesfalls von Anfang an mit dem Messer verbunden war, ursprünglich Teil eines größeren Objektes gewesen war. Der Ruß veranlasste über eine Explosion oder einen Brand nachzudenken. Daraus entstand die Überlegung, es könnte sich um den Teil einer Bombe gehandelt haben. Über den PC-Zugang wurden die Sprengwirkung und die Größe von Bomben des Zweiten Weltkriegs ermittelt („wie groß war der Krater, den diese Bombe geschlagen hatte?“). Entscheidend war die Überlegung, dass vermutlich niemand ein Objekt für den täglichen Gebrauch („Briefmesser“) präpariert, wenn dieses Objekt an eine familiäre Katastrophe, d.h. an den Tod naher Angehöriger, oder an den Totalverlust der Wohnung erinnert. Am Ende stand die Antwort: Es handelt sich um einen Bombensplitter, der daran erinnert, dass die Familie oder die Wohnung des ersten Besitzers dieses Objektes einen Bombenangriff überlebt hatte.

ten nach eigenen Interessenlagen Priorität. Die Schüler erhalten Raum für die Entwicklung eigener Lösungs- und Erklärungsansätze, auch wenn diese nicht zielführend sind; d.h. die Schüler können auch „Fehler“ machen. Die Arbeitsprozesse sind ergebnisoffen. Gefördert wird der Perspektivwechsel: wie wäre es mir damals gegangen? Wie ist das heute? Gerechnet wird mit einem sehr unterschiedliche Vorwissen und Vorstellungen der Schüler. Daher werden variable Vorgehensweisen für den Einstieg angeboten und die Lernarrangements auf verschiedene Kompetenzstufen ausgerichtet. Zugleich gilt es das Lernlabor so zu präparieren, dass es von rechtsextremistisch argumentierenden Schülern nicht als Propagandaplattform missbraucht werden kann. Ausstellung und Lernlabor werden von pädagogischen Betreuern begleitet. Deren Aufgabe wird es sein, den Schülern zu helfen, ihre Aufgabe und Arbeit selbst zu steuern. Dabei gilt es, bewusst jede ergebnisorientierte Lenkung der Schüler zu vermeiden. Jede Klasse/Gruppe wird eine kurze Einführung erhalten. Ein zusätzlicher Arbeitsraum bietet für die jeweils

Über die Frage nach der Funktion und Bedeutung dieses zunächst unbekannten Objektes entwickelte sich die Frage, warum diese Familie ein solches Objekt aufgehoben hatte, nach der Wirkung des Bombenkriegs auf das Familienleben bzw. auf den Mensch generell. Die Langzeitwirkung von Krieg wird eindrucksvoll deutlich über die Erkenntnis, dass ein solcher Splitter sieben Jahrzehnte aufgehoben und aufgeladen mit besonderer emotionaler Bedeutung von Generation zu Generation weitergegeben wird. Entscheidend für die Arbeit an der Lernstation zu diesem Thema wie auch zu den Themen des hier vorgestellten Vorhabens sind fünf Faktoren: 1. Freie Entscheidung für das Thema 2. Irritation durch Objekte und der Vergleich von Objekten 3. Räumliche Nähe zu den Objekten 4. Das gemütliche Sitzen 5. Eine als Hinweis formulierte Anlei- tung, die die Such- und Fragebe- wegung auf die Objekte lenkt. Im Lernlabor zur Schule im NS hat das eigenständiges Forschen und Beobach-

Mit Schülern wurden auch historische Inszenierungen getestet. Foto: © Schulmuseum Nürnberg


zwei Schulklassen, die die Ausstellung/ Lernlabor parallel besuchen können, die Möglichkeit, sich zum Abschluss ihres Ausstellungsbesuchs gemeinsam auszutauschen und die Arbeitsergebnisse abzugleichen und zu klären. Warum ein Lernlabor? Die Ausstellung mit Lernlabor bietet die Möglichkeit zur intensiven Beschäftigung mit historischen Originalen und konzentriert sich auf die Schulperspektive sowie auf biografische und regional- bzw. alltagsgeschichtliche Bezüge. Der unmittelbare Kontakt zu Originalen ist für Jugendliche hochattraktiv, ebenso der Einblick in den persönlichen Lebensalltag von gleichalten Zeitgenossen 1933 bis 1945. Für das Themenfeld Schule wiederum bringen die jugendlichen Besucher aus ihrer eigenen Erlebniswelt vielfältiges Wissen mit. Damit möchte das Vorhaben vor allem unter Jugendlichen Interesse und Offenheit für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus aber auch für Regionalgeschichte fördern und zugleich einen Beitrag zur Prävention rechtsextremisti-

scher Meinungen und Haltungen leisten. Gestärkt werden sollen über das Grundlagenwissen hinaus auch Kompetenzen mit Blick auf Quellenkritik, rationales Argumentieren und Denken, Beobachtungsfähigkeit und Kommunikation. Vielleicht kann dieses neuartige didaktische Format eines Lernlabors auch zur methodischen Weiterentwicklung bei der Vermittlung der NS-Vergangenheit an Jugendliche beitragen. Zentrale Zielgruppe des Vorhabens sind die Jahrgangsstufen 9 bis 12 an Hauptund Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien. Ausstellung und Lernlabor werden darüber hinaus an den Wochenenden auch für interessierte Erwachsene, Fortbildungen und Wissenschaftler offen stehen.

die Entwicklung eingebunden. Auf diese Weise sollten die Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen optimal in das Vorhaben integriert werden. Die Schüler trafen eine erste Auswahl welche historischen Objekte eingesetzt werden sollten. In Universitäts-Seminaren entstanden

Entwicklung zusammen mit Schülern Die Ausrichtung von Ausstellung und Lernlabor nicht nur auf die Gymnasien, sondern auch auf die Haupt- und Mittelschulen sowie Realschulen, ist ein erklärtes Ziel des Vorhabens. Aus diesem Grunde waren von Anfang an Schülerinnen und Schüler aller Schularten in

Geisteswissenschaftliche Lernlabore in Deutschland Im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Schüler-Lernlaboren stehen deren geisteswissenschaftliche Pendants in Deutschland erst am Anfang. Die vier größeren (universitären) Lernlabore in Bochum, Berlin, Hamburg und Hannover richten sich an die gymnasiale Oberstufe und setzen auf intensive pädagogische Anleitung. Die Themen erstrecken sich von der NS-Zwangsarbeit über mittelalterliche Handschriften bis zur Friedensforschung.

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Lernstation „NS-Frauenbild“ im Schülertest. Foto: © Martina Switalski

Lernstation „Rassenkunde im Schulunterricht“ im Schülertest. Foto: © Heike Bolleininger

zusammen mit Studierenden erste Prototypen, die anschließend von Schülern getestet wurden. Auf diese Weise konnten verschiedene methodische Zugänge, von der historischen Inszenierung bis zum nüchternen Arbeitstisch erprobt werden. Beteiligt waren verschiedene Klassen von Mittelschulen in Nürnberg (Konrad Groß Straße und Bismarckstraße) und in Fürth (Seeackerstraße) sowie vom Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg. Die Testreihen wurden z.T. durch den Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg, bzw. Prof. Dr. Charlotte Bühl-Gramer unterstützt. Nebenbei entwickelten Schüler des Melanchthon-Gymnasiums und des Christian-Ernst-Gymnasiums in Erlangen Hörstationen für die Ausstellung. In der Nürnberger Konrad Groß-Mittelschule sollen während der Laufzeit der Ausstellung ergänzende Projekte mit den Schülern durchgeführt werden. Die Schule war 1939 als Hermann Göring Volksschule gebaut worden und hatte den Krieg ohne Zerstörung überstanden. Richtungsweisende Erkenntnisse für das Lernlabor zum NS lieferten die Erfahrungen mit den Lernwerkstätten, die das Schulmuseum zusammen mit Partnern 2010 und 2011 für den naturwissenschaftlichen Bereich entwickelt hatte. Bereits hier wurden Lernarrangements erprobt, in denen sich Schülerinnen und Schüler selbsttätig und ohne Anleitung durch Lehr- oder Führungskräfte Themen erarbeiten können. Im Matheland können sich Kinder von der Vorschule bis zur 2. Klasse Grundschule an 16 Stationen auf rund 300 m2 Mathe-Phänomene auf spielerische Weise erschließen. Im Technikland experimentieren und analysieren Schüler aller Schularten der Jahrgänge 5 bis 9 an 20 Stationen zu den Bereichen Kraft, Wärme, Energie, PC/Robotik und Bionik. Das Matheland wird jedes Jahr für drei bis vier Monate präsentiert. Das Technikland ist alle zwei Jahre für Schulen und die Öffentlichkeit zugänglich. Die Lernwerkstätten sind meist binnen weniger Wochen von Schulen ausgebucht. Beide Formate gaben deutliche Hinweise, wie durch entsprechende Lernarrangements bei Schülern nachhaltige Lernprozesse angestoßen werden können, wie die konzentrierte und intensive Beschäftigung mit einem Thema gefördert werden kann. Zugleich konnten sich die Entwickler auf die langjährigen Erfahrungen innerhalb des Schulmuseums mit der selbstständigen Objektarbeit von Schülern stützen. In den regulären historischen Workshops des

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Museums erschließen sich Schüler anhand von Originalen unterschiedliche Themen, von der sozialen Frage im deutschen Kaiserreich über das „Dritte Reich“ bis zur Schülerrevolte 1968. Inhaltlich wurde das Projekt durch den Förderverein des Schulmuseums unterstützt sowie durch die Historiker Dr. Fritz Schäffer, Dr. Jörg Link (Universität Potsdam) und Prof. Dr. Georg Seiderer (Universität Erlangen-Nürnberg). An der Entwicklung des Lernlabors waren das Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, das Kunst- und Kulturpädagogisches Zentrum Nürnberg, die Zentralkustodie der Universität Erlangen, Prof. Peter Gautschi (Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen an der PHZ Luzern) und verschiedene Lernlaborbetreuer von Schulen beteiligt. Finanziell getragen wird das Projekt durch die Universität Erlangen Nürnberg, den Förderverein des Schulmuseums, den Bezirk Mittelfranken, den BLLV, den Philologenverband Mittelfranken und weitere Einrichtungen. Lernstation „Schüler erleben Auschwitz“ im Schülertest. Foto: © Martina Switalski

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Energiehalle der DASA Arbeitswelt Ausstellung Dortmund. © Foto: Susanne Dobler

Szenografie-Kolloquium in Dortmund DASA Arbeitswelt Ausstellung lädt ein zum Experten-Treff Es ist ein erster Meilenstein im neuen Jahr: Das Szenografie-Kolloquium in der DASA hat Tradition. 2015 findet es zum 15. Mal in der Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund statt, und zwar vom 21. bis 23. Januar. Im Mittelpunkt stehen diesmal „Formen der Wahrnehmung“. Es ist kein Geheimnis, dass Gestaltung erst Sinn macht, wenn sie wahrgenommen wird. So einfach das klingt, so komplex und vielschichtig ist jedoch der Sachverhalt. Was beeinflusst die Wahrnehmung in Ausstellungen? Wie können die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und die Erfahrung der musealen Ausstellungspraxis näher zusammengebracht werden? Und wie können Erkenntnisse zur Wahrnehmung die Gestaltung von Ausstellungen verbessern, respektive die Wahrnehmung der Besucher in die Konzeption einbezogen werden und damit die Rolle und Aufgabe der Szenografie neu definieren oder gar erweitern? Die DASA hat es sich zur Aufgabe gemacht, an bestehende Forschungen und Diskurse anzuschließen und auf dem Szenografie-Kolloquium verschiedene Be-

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trachtungsweisen auf das Thema Wahrnehmung zu eröffnen. Angesprochen sind Museumswissenschaftler, Architekte, Ausstellungsgestalter sowie Interessierte aus dem Bildungs- und Kulturbereich.

während am Freitag, 23. Januar den Szenografen das Wort gegeben wird. Kooperationspartner des Szenografie-Kolloquiums ist die FH Dortmund – Lehrstuhl für Design. Szenografie in der DASA

Zu den Referenten zählen diesmal unter anderem Prof. Danièle Cohn von der Pariser Sorbonne, Prof. Dr. Stephan Schwan vom Leibnitz Institut für Wissensmedien aus Tübingen, Prof. Dr. Martin Tröndle von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, Eva Fürstner, Museum der Wahrnehmung aus Graz oder Dr. Birgit Wiens, Theater- und Kulturwissenschaftlerin aus München. Dabei widmen sich die Expertinnen und Experten der Untersuchungsmöglichkeiten von Wahrnehmung, dem Phänomen des Schauens und Verstehens und den Auswirkung der Wahrnehmung im Kontext von Ausstellungen. Das Tagungsprogramm gliedert sich in drei Schwerpunkte: Am Mittwoch, 21. Januar stehen interdisziplinäre Fragen im Vordergrund, die sich mit Grundlagen und Begrifflichkeiten beschäftigen werden. Am Donnerstag, 22. Januar, sollen Aspekte der Wahrnehmung in verschiedenen Museen und Ausstellungen beleuchtet werden,

Die Veranstaltung hat sich mit jährlich rund 300 Fachteilnehmenden zu einer renommierten Gesprächsplattform von Gestaltern und Kuratoren entwickelt. Die DASA gilt als maßgebliche Ausstellung zum Thema Arbeitswelt, die in künstlerischer Szenografie umgesetzt ist. Weitere Informationen gibt es unter www.dasa-dortmund.de/fachbesucher/ szenografie-in-der-dasa/ Dort kann man sich auch zum Kolloqium anmelden. Die Tagungsgebühr beträgt für drei Tage 210 EUR inklusive Verpflegung. Anmeldung Ivonne Bohne-Iserlohe DASA Arbeitswelt Ausstellung Friedrich-Henkel-Weg 1-25 44149 Dortmund Tel 0231 9071 2480 bohne-iserlohe.ivonne@baua.bund.de www.dasa-dortmund.de


Formen der Wahrnehmung – 21. – 23.01.2015 www.dasa-dortmund.de

Foto: Harald Hoffmann

15. Szenografie-Kolloquium in der DASA

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Nachhaltigkeit erleben im Steigerwald-Zentrum Und wieder konnte ein großes Ausstellungsprojekt von Impuls-Design erfolgreich abgeschlossen werden. Am 12. September 2014 wurde in Handthal im Landkreis Schweinfurt das „Steigerwald-Zentrum – Nachhaltigkeit erleben“ eröffnet.

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Im Raum nebenan befindet sich da der eigentliche Kernbereich der Dauerausstellung. Auf einer Fläche von 131m² wird der Besucher mit einer außergewöhnlichen und so noch nie dagewesenen Rauminszenierung überrascht. Der (Steiger-) Wald wird mit mehreren stilisierten Bäumen nachempfunden ohne einfach die Natur zu kopieren. Fünf große raumhohe stilisierte Bäume behandeln die Themen „Mensch braucht den Wald“, „Holz“, „Naturnahe Forstwirtschaft“, „Integrativer Waldnaturschutz“ und „Nachhaltigkeit“. Der Besucher wird durch einen ansprechenden Mix aus Grafiken, Scan-

Leitidee der Dauerausstellung ist, das Thema Nachhaltigkeit am Beispiel der Waldbewirtschaftung und Holzverwendung erlebbar zu machen. In der von Impuls-Design gestalteten Dauerausstellung erwarten die Besucher zahlreiche Mitmachstationen in analoger und multimedialer Form. Der Wald und seine Bewirtschaftung, der heutzutage immer wichtiger werdende Rohstoff Holz sowie ein nachhaltiger Lebensstil werden so für alle Altersgruppen erlebbar gemacht. Als Startpunkt der Dauerausstellung begrüßt der „liegende Baum“ mit seiner echten Wurzel die Besucher im Außenbereich des Steigerwald-Zentrums. Im Eingangsfoyer setzt der „liegende Baum“ seinen Weg fort. An Drehwalzen, Riechstationen und Monitoren bietet der „liegende Baum“ den Besuchern erste allgemeine Informationen rund um den Steigerwald, seine Geschichte, seine Besonderheiten sowie seine Bedeutung für die gesamte Region. Im Foyer weiter geht es dann mit einem multimedialen Landschaftsmodell. Hier kann der Besucher anhand eines Reliefmodells und aufprojizierten Grafiken detaillierte Informationen über die Geologie, das Klima und Formen der Bewirtschaftung im Steigerwald erhalten. Er lernt die Besitzverhältnisse der Wälder im Steigerwald und viele touristische Angebote kennen.

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ner- und Hörstationen, Ratespiele und weitere Multimediastationen auf ganz leichte und spielerische Weise dazu animiert, sich mit dieser umfassenden Themenvielfalt auseinanderzusetzen. Als krönender Abschluss des Ausstellungsraumes gilt, für alle Besucher schnell sichtbar, der „Erlebbare Baum“. Er lässt die kleinen und großen Besucher durch das „Eintauchen in das Bauminnere“ erfahren, wie eine Buche den Nährstoffund Wasserkreislauf organisiert, welche Lebewesen sich rund um die Buche befinden und was alles im Waldboden passiert. Durch eine atmosphärische multimediale


Projektion innerhalb der Baumkrone und einer Auswahl an animierten Filmen wird der Besucher förmlich in die Lebenswelt Baumkrone hineingezogen. Hier haben wir von Impuls-Design sehr viel Wert auf eine bildhafte Informationsvermittlung gelegt. Nur so viel Information, wie nötig und so viel Stimmung wie möglich. Drei Tabletmonitore am Baumstamm, an denen man sich u.a. über die Photosynthese und weitere Lebensarten informieren kann sowie eine Druckstation, an der der Besucher hautnah erleben kann, wie viel Kraft die Buche aufwenden muss, um das Wasser vom Waldboden in die Baumkrone zu transportieren, sowie zwei Bodenvitrinen, die einen Einblick in den Waldboden geben, schließen diesen außergewöhnlichen „Baum des Erlebens“ ab. Das Team von Impuls-Design war seit Sommer 2013 an der Konzeption, Planung und Ausführung dieses außergewöhnlichen Projekts beteiligt. Wir freuen uns, dass die Dauerausstellung ab seinen Beitrag zum sinnhaften Erleben und Kennenlernen des Steigerwalds leistet. Fotos: © Matthias Kutsch / Impuls-Design Impuls-Design GmbH & Co. KG Gerberei 19 91054 Erlangen Fon +49 (0) 9131 81295 0 www.impuls-design.de www.steigerwald-zentrum.de

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Glasmuseum Frauenau Eine Reise durch die Welt des Glases. Autor: Sven Bauer

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Tiefrot, über vier Meter lang und ganz aus Glas ist das Kunstwerk und sticht sofort ins Auge. Es ist die anatomisch perfekte Nachbildung eines Herz und ziert die Grünfläche vor dem Glasmuseum Frauenau, wo sich alles rund um das Glas und seine Geschichte dreht. Ein Haus wie dieses würde man nicht unbedingt in der Provinz vermuten. Doch gibt es wohl keinen passenderen Platz als hier. Seit dem Mittelalter wird im Bayerischen Wald Glas gemacht. Und noch heute ist das Glas nicht aus der Region weg zu denken.

All diese vielfältigen Facetten des Glases macht das Glasmuseum Frauenau zum Thema. Gegründet wurde es vor 40 Jahren. Damals fanden sich mit Bürgermeister Alfons Hannes, Helmut Schneck und Erwin Eisch drei tatkräftige Männer zusammen, die aus einem alten Sägewerk in der Ortsmitte ein Museum machten. Dieses ursprüngliche Haus ist dem 2005 eröffneten Glasmuseum gewichen, das sich durch einen modernen Neubau mit völlig neuer Konzeption auszeichnet. Das Besondere daran: Die Architektur wurde aus den Museumsinhalten heraus entwickelt, was eine speziell auf das Haus zugeschnittene Inszenierung möglich machte. Im Bewusstsein der engen Verbindung von Glashandwerk und Kunst wurden Glaskünstler der Region in diese Gestaltung eingebunden, so dass das Museum schon fast als Gesamtkunstwerk gesehen werden kann. Trotz der überregionalen Ausrichtung hat das Glasmuseum Frauenau immer die kulturelle Bedeutung des Glases für die Nachbarländer Bayern und Böhmen im Blick. Schließlich ist es für die Region seit 700 Jahren als Handelsware,

Fotos: Oben: © Tom Wundrak, Unten: © Klaus Bock

Frauenau selbst gilt als das „gläserne Herz des Bayerischen Waldes“. Drei Glashütten produzieren hier Glas, angefangen vom maschinengeblasenen Kelchglas der Firma Nachtmann bis zu den edlen Designgläsern der Glashütte Eisch. Am weitesten zurück reicht die Tradition der Glasmanufaktur von Poschinger. Bereits im 15. Jahrhundert stiegen die Poschinger ins Glasgeschäft ein und prägten von da an die Glashistorie des Bayerischen Waldes mit. Neben den Glashütten ist noch eine ganze Reihe von Glasveredlern in Frauenau ansässig, die dem Glas im wahrsten Sinne des Wortes den letzten Schliff geben. Außerdem ist der Ort ein wichtiges Zentrum der internationalen Studioglasbewegung, zu deren Vorreitern der Frauenauer Erwin Eisch zählt.

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Technologieträger und künstlerisches Medium von großer Bedeutung. Das Museum ist konzipiert als eine Reise durch die Welt des Glases, eine Reise, die den Besucher nicht nur an weit entfernte Orte bringt, sondern ihn durch die Zeiten führt. Die Segelschiffe eines Bodenmosaiks leiten den Besucher nach Mesopotamien, ins Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Dort liegen die Anfänge der Glaserzeugung. Vor rund 4000 Jahren entstand dort das Wissen um das Glas, vermutlich als Zufallsprodukt bei der Glasur von Keramik. Vorbei an einer kleinen Teilreplik von Babylons Ischtar-Tor geht es weiter zu den frühen Hochkulturen des Mittelmeerraums. Ägypter und Griechen entwickelten die Glasherstellung stetig weiter und ließen eine vielfältige Glaskultur entstehen. Es waren schließlich Handwerker aus Syrien oder Phönizien, die im 1. Jahrhundert vor Christus eine revolutionäre Erfindung machten: die Glasmacherpfeife. Mit dieser „Pfeife“, einem Rohr, wird Luft in einen heißen Glasposten geblasen. So konnten frei geformte Hohlgläser hergestellt werden. Diese entscheidende Verbesserung machte das Glas im Römischen Reich zum erschwinglichen Gebrauchsgegenstand. Auch in der Ausstellung werden die Exponate nun zahlreicher und erlauben einen Einblick in die Vielfalt der römischen Glasherstellung. Durch einen dichten Wald aus grünen Glassäulen führt der Weg ins Mittelalter in die Gegenden nördlich der Alpen. Etwas versteckt in diesem Säulenwald findet sich ein Krummstab aus Glas. Dieser steht als Symbol für Kirche und Klöster, die das Wissen um die Glasherstellung weitergaben. Klöster und später auch der Adel waren es, die die Erschließung des schier undurchdringlichen Bayerischen Waldes vorantrieben. Mit der Besiedlung kamen die ersten Glashütten, denn die wichtigsten Rohstoffe Holz und Quarz gab es hier zur Genüge. Archäologische Funde zeigen, was die Glashütten des Mittelalters hervorbrachten. Gläser mit Nuppen oder aufgelegten Glasfäden waren weit verbreitet – und praktisch, denn bei den mittelalterlichen Tischsitten waren sie auch mit fettigen Händen noch gut zu greifen. Nur ein paar Schritte weiter steht der Besucher unter den Bögen einer gotischen Kathedrale, blickt auf eine leuchtende Bildwand aus Glas und erfährt von der Bedeutung der Glasfenster in den Kirchenbauten des Mittelalters.

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Fotos: Š Tom Wundrak


Auf dem Rundgang durch das Museum markieren in den Boden eingelassene Gräben den Abschluss eines Themenschwerpunkts. Das zerbrochene Glas steht für das Ende der jeweiligen Epoche. Foto: © Glasmuseum Frauenau/Sven Bauer

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Kristallhelle venezianische Gläser treten ab dem 15. Jahrhundert in Konkurrenz zu den Produkten der Waldglashütten Mitteleuropas und symbolisieren in der Ausstellung den kulturellen und künstlerischen Aufbruch der Renaissance. Das barocke Zeitalter präsentiert sich in einem gläsernen Gartenlabyrinth mit Luxusgläsern, Spiegeln und einem Kristalllüster aus Böhmen, die für das Repräsentationsbedürfnis der europäischen Herrscherhäuser produziert wurden. Dem aufstrebenden Bürgertum und dem technologischen Wandel im Zeitalter der industriellen Revolution ist die Vielfalt der veredelten Gläser im 19. Jahrhundert

gewidmet. Im Fußboden angedeutete Eisenbahnschienen führen in diese Zeit des Aufbruchs, der auch die Glasproduktion erfasste. Gerade diese Zeit gilt im Bayerischen und Böhmischen Wald als Jahrhundert der Glashüttengründungen und brachte eine besondere stilistische Vielfalt hervor. Die Alabastergläser aus Schachtenbach, die kunstvollen Glasobjekte aus Theresienthal oder die prächtigen Stücke von irisierendem Glas der böhmischen Lötz-Hütte beeindrucken den Betrachter bis heute. Bis hinein in die 1960er Jahre wurde das Glas ausschließlich von Hand gefertigt, und zwar von vielen fleißigen Händen.

Oben: In der Mitte des Glasmuseums wird die Arbeit in der Glashütte dargestellt. Das Zentrum bildet der Glasofen. Unten: Im Glasdesign vereinen sich künstlerischer Anspruch und die Anforderungen der Industrie. Rechts: Die Präsentation moderner Glaskunst nimmt im Glasmuseum einen bedeutenden Raum ein und stellt die Individualität des Glases in den Vordergrund. Fotos: Klaus Bock

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Auf seiner Reise durch die Welt des Glases wird der Besucher in der Mitte des Gebäudes in die Arbeitswelt einer Glashütte hineinversetzt. Lediglich der Glasofen ist eine Inszenierung. Der Arbeitsplatz der Glasmacher, die Werkstätten der Schleifer, Graveure und Maler sowie alle übrigen Gerätschaften und Werkzeuge sind Originale aus Glashütten der Region. Es scheint, als wären die Arbeiter nur kurz aufgestanden und würden jeden Moment ihre Arbeit fortsetzen. Anhand von Fotos und Filmen lassen sich die Arbeitsabläufe erkunden. Bevor es in den nächsten Ausstellungsbereich geht, berichten „Glasleute“ verschiedenster Berufssparten über ihr Metier und dessen Zukunft. Ihre Prognosen sind nicht unbedingt positiv. Das gläserne Herz der Region pulsiert nicht mehr so, wie es das schon einmal tat. Auf der Glaskunst liegen noch die meisten Hoffnungen. Das leitet über zur Sammlung internationaler Glaskunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Der „Lokalmatador“ Erwin Eisch ist mit zentralen Arbeiten vertreten. In ihrer Gesamtheit sind die Kunstwerke ein eindrucksvolles Zeichen für die Vielgestaltigkeit des Materials Glas. Der Experimentierfreudigkeit sind augenscheinlich kaum Grenzen gesetzt. Letzte Station der Dauerausstellung ist die umfangreiche Studiensammlung. Ganz neu und besonders bei den Frauen beliebt ist der Nachlass des Perlen- und Knopfmustermachers Franz Josef Ginzel (1898-1960) aus Gablonz an der Neiße, der einst im internationalen Geschäft mit Glasschmuck tätig war. In den Vitrinen und Schüben warten nun seine Ketten, Broschen, Ohrringe und anderen Kreationen darauf, entdeckt zu werden. Eher eine Männerdomäne sind dagegen die Schnupftabakgläser. Der Schnupftabak war im Bayerischen Wald einmal ein unverzichtbares Genussmittel. Als Behältnisse zur Aufbewahrung boten sich im Land der Glashütten gläserne Fläschchen an. Waren sie ursprünglich Gebrauchsobjekte, so sind sie heute kleine Kunstwerke. Weitere wichtige Spezialbeständen wie die Hinterglasbilder ergänzen die Sammlung. Darüber hinaus veranstaltet das Glasmuseum mehrmals im Jahr Sonderausstellungen. Interessierten Fachleuten stehen eine umfangreiche Glasfachbibliothek sowie ein glashistorisches Archiv zur Verfügung.

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Die Reise durch die Welt des Glases muss damit aber noch nicht beendet sein. Man kann sie bei einem Spaziergang durch die Gläsernen Gärten ausklingen lassen. Diese erstrecken sich rund um das Glasmuseum zwischen den Glashütten Poschinger und Eisch und präsentieren 25 Großkunstwerke von Glaskünstlern aus der Region und ganz Europa.

Glasmuseum Frauenau Staatliches Museum zur Geschichte der Glaskultur Am Museumspark 1 94258 Frauenau Tel.: 09926-941020 Fax: 09926-941028 www.glasmuseum-frauenau.de post@glasmuseum-frauenau.de

Der gläserne Schuh und das gläserne Telefon zählen zu den bekanntesten Werken von Erwin Eisch, Pionier der Studioglasbewegung. Foto: © Glasmuseum Frauenau/ Sven Bauer

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Das Museum für Literatur in Karlsruhe im Prinz Max Palais – kulturträchtig von außen sowie von innen, Foto: © ONUK

Museum für Literatur Karlsruhe Es gibt in Karlsruhe einen Ort für Literatur: Das PrinzMaxPalais! Dort hat sich die 1924 gegründete Literarische Gesellschaft, mit über 7.000 Mitgliedern die größte literarische Vereinigung Mitteleuropas, mit dem Karlsruher Museum für Literatur und dem Literaturhaus über die Karlsruher Grenzen hinaus als Förderer der deutschsprachigen Literatur etabliert.

Das Museum selbst geht, obwohl es mit der Gründung 1926 zu den ersten Literaturmuseen in Deutschland zählt und somit einer großen Tradition verpflichtet ist, neue Wege: Es versteht sich als Lernort für Jugendliche und Erwachsene. Das Museum präsentiert die Vielfalt des literarischen Lebens am Oberrhein. Exponate wie Handschriften, Erstausgaben, Briefe, Fotografien und Tondokumente werden durch digitale Medien ergänzt. Für einen individuell zusammenstellbaren Rundgang stehen eine deutsche, eine französische und eine speziell für Kinder und Jugendliche konzipierte Audioführung zur Verfügung. So entsteht ein lebendiges Erleben der Vielfalt der Literatur von der Klosterkultur bis in das digitale Zeitalter – multimedial, informativ und innovativ.

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Neben der ständigen Ausstellung sind regelmäßige Wechselausstellungen zu sehen. Aktuell bis zum 29. März „Joseph Victor von Scheffel als Zeichner und Maler – ein Künstlerleben des 19. Jahrhunderts“, worin erstmalig in diesem Umfang das künstlerische Schaffen Scheffels präsentiert wird. Die ausgestellten Werke stammen zum Großteil aus dem Nachlass Scheffels, der von der Literarischen Gesellschaft erworben wurde und im museumseigenen Oberrheinischen Literaturarchiv im PrinzMaxPalais aufbewahrt wird. Das Museum für Literatur übernimmt auch die Rolle des Literaturhauses in Karlsruhe. Es beherbergt die Oberrheinische Bibliothek, welche 10.000 Bände an Primär- und Fachliteratur umfasst. Darunter befinden sich seltene Ausgaben badischer und elsässischer Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts wie Marie Luise Kaschnitz, Hans Arp oder René Schickele. Der Bestand der Präsenzbibliothek kann online über den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund recherchiert werden. Einzigartig ist das „Ton-Kabinett“ des Museums, indem über 400 der seit 1995 veranstalteten Lesungen nachzuhören sind. Mitten in der Bibliothek befindet sich der Lesesaal der Literarischen Gesellschaft. Gerahmt von Buchrücken sind wöchentlich prominente Autorinnen und Autoren wie Martin Walser, Daniel Kehlmann, Judith Hermann, Rafik Schami und Robert Seethaler sowie literarische „Newcomer“ bei abendlichen Lesungen zu erleben. Fester Bestand der Bildungsarbeit des Museums ist die jährliche Vergabe des nach Joseph Victor von Scheffel benannten Scheffel-Preises für die beste Abiturleistung im Fach Deutsch an über 700 Gymnasien in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern sowie an einer stetig wachsenden Zahl der deutschen Auslandsschulen. Der seit 1928 von der literarischen Gesellschaft verliehene Preis ist somit der wichtigste überregionale Schulförderpreis der Bundesrepublik Deutschland und trägt zur Belebung des Interesses an künstlerischer und wissenschaftlicher Literatur bei. Die Liste berühmter Scheffelpreisträger ist lang. Auf ihr sind der baden-württembergische

Links: Joseph Victor Scheffel, Fischerhütte auf Rügen, 1846 Oben: Lesung Süd im KOHI am Werderplatz in der multikulturellen Südstadt Unten: Besucherin der Dauerausstellung

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Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Peter Schneider, Hans Mayer, der Komponist Wolfgang Rihm, der ehemalige badische Erzbischof Robert Zollitsch, die Lyrikerin Silke Scheuermann und viele mehr zu finden. Um eine Vernetzung untereinander zu ermöglichen, hat die Literarische Gesellschaft ein digitales Forum für Scheffel-Preisträger initiiert. Neben der Vergabe des Scheffel-Preises umfasst das museale Angebot Themenführungen, Lehrerfortbildungen, Workshops zum „Kreativen Schreiben“ und Diskussionsabende mit Autoren. Im Auftrag der literarischen Gesellschaft wird auch die Literaturzeitschrift allmende herausgegeben. 1981 von Martin Walser, Adolf Muschg, und anderen gegründet, ist die allmende ein Spiegelbild der zeitgenössischen Literatur. Sie bringt bekannte literarische Stimmen und junge Autorinnen und Autoren zusammen! Von Beginn an ein Forum für Experimente und Entdeckungen war und ist das Ziel der allmende neue bemerkenswerte Literatur zu präsentieren und das Nach-Denken über aktuelle Themen zu befördern. Die Dezember-Nr. im Mitteldeutschen Verlag stellt Leipzig als Literaturort vor. Des Weiteren betreut die Literarische Gesellschaft die im Auftrag des Landes Baden-Württemberg konzipierten Literaturportale www.literaturland-bw.de und www.autoren-bw.de. Oben: Marie T. Martin in der Schreibwerkstatt des MLO mit Karlsruher Schülern. Unten: Scheffelpreisträger 2014 im Konzerthaus Karlsruhe mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Alle Fotos: © Museum für Literatur Karlsruhe

In Kooperation mit den Partnern der Gesellschaft werden auch außerhalb der Räume des Museums für Literatur Lesungen und Veranstaltungen organisiert. Als durchschlagender Erfolg erwiesen sich die 29. Baden-Württembergischen Literaturtage 2012 in Karlsruhe. Nachdem Karlsruhe für zehn Tage zur Hauptstadt des literarischen Lebens in Baden-Württemberg geworden war, entschlossen sich die Veranstalter und Initiativen gemeinsam in einem Karlsruher Rahmen die Literaturtage fortzuführen. Gezielt wollte man regionalen Autoren die Möglichkeit geben vor großem Publikum aufzutreten. Die Mischung aus Kleinkunst und deutschlandweit bekannten Künstlern konnte 2014 bei den 2. Karlsruher Literaturtagen an die 2.500 Besuchern bei Veranstaltung von klassischer Lesung bis zum Poetry-Slam für Literatur begeistern. Für ein jüngeres Lesepublikum wurde im September 2009 die Lesereihe LESUNG SÜD von der Literarischen Gesellschaft und ins Leben gerufen. Der KOHI Kulturraum e.V. ist mit seiner Lage im Zentrum der Karlsruher Südstadt, einem von kleinen Läden und Cafés, niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten, Studentenleben und Multikultur geprägten Viertel, idealer Veranstaltungsort.

Museum für Literatur Karlsruhe PrinzMaxPalais Karlstr.10 76133 Karlsruhe Tel. 0721/133-4087 info@literaturmuseum.de www.literaturmuseum.de www.facebook.com/Literaturhaus.Karlsruhe

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Foto: © SKD; Klut

Nach Sanierung und Umbau präsentiert sich das Albertinum seit 2010 mit Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart. Die Ausstellungssäle teilen sich die Galerie Neue Meister und die Skulpturensammlung. Die Bestände beider Museen mit Malerei von Caspar David Friedrich bis Gerhard Richter sowie Skulptur von Rodin bis ins 21. Jahrhundert besitzen weltweit einen bedeutenden Ruf. Riesige gläserne Schaudepots eröffnen dem Besucher bisher unbekannte Einsichten in das Innere des Museums und erschließen bislang verborgene Werke der Sammlung auf Dauer. Innerhalb der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist das Albertinum berufen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu schlagen. Während in den Ausstellungsräumen der Kunst der Moderne und Gegenwart eine große Bühne geboten wird, werden hinter den Kulissen des Museumsbetriebes die Gemälde alter und neuer Meister restauriert. Das Albertinum ist in seiner Gesamtheit auf Begegnungen zwischen Malerei und Skulptur, Romantik und Moderne, zwischen Ost und West, zwischen gestern, heute und morgen ausgerichtet. Den Anlass für eine Neukonzeption des Museums gab das Jahrhunderthochwasser der Elbe und ihrer Nebenflüsse im Jahr 2002. Was damals als Katastrophe begann und die Depots im Untergeschoss des historischen Baus in Mitleidenschaft zog, sollte sich alsbald für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als Chance herausstellen. Denn drei Monate später versteigerten mehr als 40 zeitgenössische Künstler im Rahmen einer Auktion jeweils aus ihrem Oeuvre bekannte Werke. Das Albertium von heute hat kaum noch etwas mit dem giebelgeschmückten Zeughaus zu tun, das von 1559-1563 errichtet worden war und in den folgenden Jahrhunderten wichtige militärische Funktionen erfüllte. Von dem Renaissance-Bau mit gewaltigen Gewölben im Erdgeschoss stammen vor allem noch das Untergeschoss, die zweischiffige Halle mit den toskanischen Säulen im Erdgeschoss, zwei Portale und Teile der Rustikafassade. Im späten 19. Jahrhundert war im Dresdner Stadtteil Albertstadt ein neues Arsenal gebaut worden und das alte Zeughaus hatte seine ursprüngliche Nutzung verloren. In nur vier Jahren (1884-1887) wurde das Gebäude zum Museum für die Skulpturensammlung umgebaut. Es erhielt sein heutiges Aussehen als Neorenaissancebau und wurde nach dem regierenden König Albert benannt.


Das Albertinum in Dresden Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart

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Gläsernes Depot im Erdgeschoss. Foto: David Brandt, © SKD

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Skulpturensammlung Im heutigen „Albertinum. Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart“ ist mit der Präsentation der Skulpturensammlung und der Galerie Neue Meister die Kunst der Moderne in einem Umfang erlebbar, wie es zuvor in Dresden nicht möglich war. Die innovative Museumskonzeption steht für einen neuen Anfang in der Kunstpräsentation in Dresden und zeigt die Kunst vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die jüngste Gegenwart. Für die Skulpturensammlung beginnt die Moderne mit Werken des französischen Bildhauers Auguste Rodin. Er hat das Zeitalter der modernen Plastik und Skulptur eingeläutet und gilt als Vorreiter für eine Vielzahl von Stilrichtungen, die sich im 20. Jahrhundert herauskristallisiert haben. Die in der Ausstellung gezeigten Werke der klassischen Moderne und der Skulptur nach 1945 spinnen den Grundgedanken Rodins – die Subjektivität der Kunst – bis ins Heute weiter. Auf die Kunst in der DDR wird mit Werken zum Beispiel von Wieland Förster, Werner Stötzer und Helmut Heinze in besonderer Weise eingegangen. Der Klingersaal – von der Skulpturensammlung und der Galerie Neue Meister als sinnlicher Epochenraum konzipiert – befasst sich mit der Kunst des Fin de Siècle, veranschaulicht mit Werken von Arnold Böcklin und Max Klinger bis zu Franz von Stuck und Sascha Schneider. Der Mosaiksaal widmet sich dem großen Thema Moral anhand von Skulpturen des Klassizismus mit einem Schwerpunkt auf Ernst Rietschel. Die Skulpturensammlung umfasst Werke aus mehr als fünf Jahrtausenden – von den antiken Kulturen über alle Epochen der europäischen Plastik vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Das Herzstück der Sammlung – die Antikensammlung mit Skulpturen wie dem »Dresdner Knaben« sowie Vasen, Bronzen und Terrakotten – wird in einigen Jahren eine neue Aufstellung in der Osthalle des Semperbaus finden, die einst von Gottfried Semper für antike Skulpturen entworfen wurde. Bis es soweit ist, kann man sich in einem experimentellen Schaudepot im Albertinum einstimmen, wo ausgewählte Skulpturen für den Besucher in Szene gesetzt werden.

Blick in die Skulpturenhalle des Abertinums Foto: David Brandt, © SKD

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Skulpturenhalle, im Vordergrund: August Rodin, der Denker; mittig: Thomas Scheibitz, Ruine, 2010. Foto: David Brandt, © SKD

Sammlungsgeschichte Von der Antike über die Kunst von Renaissance, Barock und Expressionismus bis ins 21. Jahrhundert reichen die sehenswerten Bestände der Dresdner Skulpturensammlung, von Polyklet über Giambologna und Permoser, Rodin und Lehmbruck bis zu Glöckner und Cimiotti. Diese Vielfalt spiegelt die lange Sammlungsgeschichte. »Der König von Polen hat jemanden hierher gesandt, der alle antiken Statuen gekauft hat, die dem Fürstenhaus Chigi gehörten, und einen großen Teil der Sammlung, die Kardinal Alessandro Albani zusammengetragen hat«, schrieb 1728 ein Akademiker aus Rom nach Frankreich. Der Ursprung des Museums geht zwar auf die 1560 gegründete Kunstkammer zurück. Aber in der Tat war es August der Starke (1670 – 1733), der die Gründung der »Sammlung der antiken und modernen Skulpturen« vollzog und Dresden zu einer Metropole barocker Architektur und Skulptur machte. Nach dem Eintreffen der Antiken aus Rom Ende 1729 wurde die Sammlung im Palais

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im Großen Garten aufgestellt, umgeben von Meisterwerken der zeitgenössischen Skulptur. 1786 erhielt die Sammlung im Japanischen Palais eine neue museale Aufstellung. Eine Blütezeit begann, als der Archäologe Georg Treu (1843-1921) 1882 die Leitung des Museums übernahm. Treu hat in den gut drei Jahrzehnten seiner Amtszeit mit systematischen Erwerbungen ganze Sachgebiete ausgebaut. Das Renaissance-Zeughauses an der Brühlschen Terrasse wurde umgebaut und 1889 konnte die Antikensammlung in das »Albertinum« übersiedeln. Treu setzte die Tradition der Gegenüberstellung der Antiken mit zeitgenössischen Werken fort. Als erstes deutsches Museum erwarb Dresden zahlreiche Werke von Auguste Rodin und Constantin Meunier. Obwohl das Albertinum im Februar 1945 teilweise zerstört wurde, haben die Bestände mit Ausnahme von Großgipsen den Zweiten Weltkrieg ohne nennenswerte Verluste überstanden. Die Originale gelangten nahezu vollständig in die Sow-

jetunion und kamen erst 1958 nach Dresden zurück. Nach Sanierung und Umbau des Albertinums präsentieren sich Skulpturensammlung und Galerie Neue Meister als Museum der Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart. Die Antiken werden in Schaudepots gezeigt, bis sie in einigen Jahren in der Osthalle des Semperbaus ein neues, altes Zuhause finden – Gottfried Semper hatte sie Mitte das 19. Jahrhunderts für antike Skulpturen entworfen.


Oben: Vom Klassizismus bis Ernst Rietschel. Unten: Schaudepot Barock bis Gegenwart, 1. Obergeschoss. Foto: David Brandt, Š SKD

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Klingersaal: Kunst des Fin de Siècle. Foto: David Brandt, © SKD

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Galerie Neue Meister Von Caspar David Friedrich bis Gerhard Richter. Der weite Horizont von der Romantik bis zur Gegenwart und die großartige Qualität des Bildbestandes zeichnen die Galerie Neue Meister aus und machen sie zu einer der wichtigsten Museen ihrer Art in Deutschland. In der Präsentation im Albertinum sind Meisterwerke der Romantiker in einem Rundgang zu erleben mit der Kunst des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischen Arbeiten. Gegenwartskunst tritt in spannungsvollen Dialog mit gewachsenem Sammlungsbestand. Der Besucher des 21. Jahrhunderts durchschreitet ein weites geistiges Universum. In ungewohnter Nähe zueinander kann er die Epochen erleben und damit neu und anders entdecken. Der Gang durch die Ausstellung beginnt gleich mit mehreren Meisterwerken von Caspar David Friedrich, dem bedeutendsten deutschen Künstler der Romantik. In chronologischer Reihenfolge folgen weitere Romantiker (Carl Gustav Carus, Jo-

han Christian Dahl, Ludwig Richter), französische und deutsche Impressionisten (Claude Monet, Edgar Degas, Max Liebermann, Max Slevogt), Expressionisten mit Otto Dix und den Brücke-Künstlern (Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff) sowie Vertreter der Dresdner Sezession (Bernhard Kretzschmar, Carl Lohse). Erstmalig wird dem Künstler Georg Baselitz ein vollständiger Raum gewidmet. Neue Medien sind in Form von (Klang-Video-)Installationen und Videofilmen vertreten. Zwei Säle mit Werken von Gerhard Richter, die der Künstler selbst einrichtete und für die er extra neue Werke schuf, beenden den Rundgang. An einigen Stellen überrascht die Begegnung mit Werken aus der Skulpturensammlung, auch sie ist im Albertinum zuhause. Die Präsentation der Skulpturensammlung beginnt mit Auguste Rodin und führt den Besucher, wie die Galerie Neue Meister, in die unmittelbare Gegenwart.

Blick in zwei Gerhard Richter-Räume. Links im Vordergrund: 9 Stehende Scheiben Fotos: David Brandt, © SKD

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Blick in die Räume der Galerie Neue Meister mit einer neuen Präsentation der Kunst der Moderne und der Gegenwart - Albertinum,Salzgassenflügel, Fotos: Oliver Killig, © SKD

Sammlungsgeschichte Geht man durch die Ausstellungssäle der Galerie Neue Meister, hat man wenig Vorstellung von der Entstehung der Sammlung. Auffälligstes Merkmal ist, dass in der Dresdner Sammlung die Moderne mit Caspar David Friedrich beginnt, also mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Dieser Trennungsschnitt gegenüber der Sammlung „Alte Meister“ und die Identifizierung der „Neuen Meister“ mit der Moderne beruht auf der Überzeugung, dass die Bilderwelt des 19. Jahrhunderts nach wie vor einen Bewusstseinsspiegel darstellt, auf dem die Menschen des 21. Jahrhunderts sich ausrichten und wiedererkennen. Die heutigen Verkehrs- und Kommunikationsmedien sind weit im 21. Jahrhundert angekommen, aber das Be-

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wusstsein der Menschen und die Modelle, nach denen sie sich orientieren, wurzeln tief im frühen 19. Jahrhundert. Die spezifische Erfahrung von Zeit, der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, das Erlebnis von Stadt und Land, das Wandern in der Landschaft – all das sind Zeugnisse für einen täglichen Orientierungsrahmen, der ganz wesentlich im 19. Jahrhundert ausgeprägt worden ist. Institutionell wurde die Galerie Neue Meister erst 1959 gegründet. Die Sammlung des Museums geht aus der Gemäldegalerie Alte Meister hervor, für die nach 1843 auch verstärkt zeitgenössische Kunst angekauft wurde. Ihre Entstehungsgeschichte ist eng mit dem Namen des sächsischen Staatsministers Bernhard von Lindenau (1779-1854) verbunden,

der bedeutende Mittel für den Ankauf zeitgenössischer Gemälde zur Verfügung stellen konnte. Auch aus dieser Tradition heraus gilt noch heute das Sammelinteresse der Kunst des 20. Jahrhunderts, mit Schwerpunkten auf der zeitgenössischen Dresdner Malerei und dem Aufbau einer Galerie der internationalen Avantgarde. Prägend für die Geschichte des Museums war die Aktion »Entartete Kunst«, durch die die Sammlung während der Zeit des Nationalsozialismus 56 Gemälde verlor, darunter Werke von Edvard Munch, Max Beckmann und Emil Nolde. Nach der Rückkehr der in die Sowjetunion verbrachten Kunstwerke fand die Galerie Neue Meister als eigenes Museum 1965 im Albertinum ein neues Domizil.


„Beim Betreten der Ausstellung wird man sofort in die Details der kleinen Exponate hineingezogen und man vertieft sich in jede Ausstellungstafel.“ Museumsvitrine beleuchtet von Roblon

„Dahl und Friedrich – Romantische Landschaften“ Sonderausstellung: 6. Februar bis 3. Mai 2015 Die Ausstellung „Dahl und Friedrich. Romantische Landschaften“ stellt erstmals herausragende Werke beider Künstler in einen Dialog. Gemeinsam mit dem Nationalmuseum Oslo, wo die umfangreichste Dahl-Sammlung zu Hause ist, werden sowohl Gemälde als auch Zeichnungen aus nationalem und internationalem Bestand präsentiert. Dresden wiederum beherbergt eine der größten Friedrich-Sammlungen. Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Adresse: Eingänge Georg-Treu-Platz / Brühlsche Terrasse, 01067 Dresden Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen Informationen: www.skd.museum Besucherservice: Tel 0351 – 49 14 20 00 / Fax 0351 – 49 14 20 01 / E-Mail: besucherservice@skd.museum

www.roblon.com

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„14 – Menschen – Krieg“ Die Sonderausstellung zum Ersten Weltkrieg im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden Autor: Dr. Gerhard Bauer, Kurator der Ausstellung „14-Menschen-Krieg“ und Sachgebietsleiter Uniformen und Feldzeichen im MHM in Dresden

Vitrine mit einem Porträt von Ludwig Renn und einer Manuskriptseite. Alle Fotos: © MHM / Andrea Ulke

Ferner noch als das Mittelalter in Barbara Tuchmans „Ein ferner Spiegel“ erschien den Deutschen noch vor wenigen Monaten der Erste Weltkrieg. Die intensive Beschäftigung mit der Epoche um 1914/18 förderte mittlerweile Bizarres, Widersprüchliches und Vieles zu Tage, was hierzulande lange vergessen oder verdrängt worden war. Vor allem musste man erkennen, dass die Vorstellungen des Ersten Weltkriegs – sofern in Deutschland dieser Krieg überhaupt noch präsent war – oft klischeehaft und in manchen Fällen falsch waren. Seit dem Beginn dieses Gedenkjahres 2014 haben Museen versucht, den „Großen Krieg“ von den unterschiedlichsten Ansätzen ausgehend „dingfest“ zu ma-

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chen. Tatsächlich haben sich Relikte dieses Krieges in großen Mengen erhalten, so dass die Versuchung groß ist, alles mit allem zu zeigen zu wollen. Gerade die nutzbare Exponatfülle zwang dazu, eine strenge Auswahl zu treffen und aus der Vielzahl der möglichen Themen eine stringente Erzählung zu generieren. Das Ausstellungsteam des MHM entschied sich letztlich dafür, keine umfassende Militärgeschichte des Weltkrieges darzubieten. Stattdessen sollte im Sinne der Philosophie des MHM, der zufolge stets der Mensch im Mittelpunkt von Geschichtsbetrachtungen zu stehen habe, dargestellt werden, wie Lebensläufe von jener ersten großen Katastrophe des 20.

Jahrhunderts beeinflusst wurden. Dieser Ansatz wurde nicht zuletzt auf Grund einer Kooperation mit den Produzenten und Autoren der TV-Dokumentation „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ gewählt. Die Schicksale der 14 Menschen, von denen die TV-Serie berichtet, erscheinen leitmotivisch in der Ausstellung. Sie belegen, dass der Krieg jeden Bereich des menschlichen Lebens und jede gesellschaftliche Gruppe erfasste. Diese Biografien bekannter und unbekannter Protagonisten des Weltkriegs werden in der Ausstellung ergänzt durch Hinweise auf zahlreiche weitere Schicksale, die ihrerseits mit musealen Objekten verknüpft sind.


Fries mit Porträts und Biografien aus der TV-Dokumentation „14 Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ im Sonderausstellungsraum im Arsenalgebäude des Militärhistorischen Museums

Manche dieser Exponate sind beredte Zeugen dessen, was viele Historiker heute als „Zeitalter der Weltkriege“ bezeichnen. Manches wirkt auf den ersten Blick banal, wie zwei rechte Handschuhe, die Wilhelm II. bereits 1914 besaß und die er nach 1918 im holländischen Exil beim manischen Holzhacken nahezu ruinierte. Zu sehen gibt es auch den Uniformrock des Einjährig-Freiwilligen Alfred Sternberg, der 1913 seinen Wehrdienst beim 2. Garde-Dragoner-Regiment begann, bei Kriegsbeginn noch aktiv war und in der Folge den gesamten Weltkrieg erund überlebte. Nach 1933 musste er als Jude sein Leben vor der Verfolgung durch seine eigenen Landsleute retten. 1939 vermochte er ins schwedische Exil zu emigrieren, wohin er ausgerechnet seine preußische Uniform mitnahm. Die Biografien des Kaisers und des Bürgersohns, und die ungezählter weiterer ihrer Zeitgenossen wurden gelenkt, gebrochen und oft auch auf ganz andere Gleise gesetzt als dies Herkunft, Bildung und andere Lebensumstände dieser Menschen 1914 vermuten hätten lassen.

Parolen beschrieben waren, an Züge mit Kriegsgefangenen und Verwundeten. Unwillkürlich kommt dem Betrachter aber auch das Foto des Gleises in den Sinn, das auf Auschwitz zuführt, wo auch Veteranen von 1914/18 umgebracht wurden. Der Güterwagen verweist insofern auch auf die Potenzierung der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts im Zweiten Weltkrieg mit einer weiteren Entgrenzung der Gewalt, die mit ihren Deportationen, Völkermorden, Säuberungen und Vertreibung alles das noch übertraf, was im Ersten Weltkrieg geschehen war. Das andere, und von Vielen als noch typischer empfundene Merkmal des Ersten Weltkriegs ist das der Erstarrung der Krieg-

führung, zumal an der Westfront vom Spätherbst 1914 bis zum Sommer 1918. Von einander getrennt wie die Erfahrungsbereiche der Soldaten und der Zivilisten, wie Kampfzonen und Heimatfront, sind die beiden Orte dieser Ausstellung. Im Foyer des Museums ist mit einem gotischen Wetterhahn aus Ypern ein emblematisches Objekt platziert. Es zeugt von der völligen Verwüstung der flandrischen Stadt, deren mittelalterliche Pracht bis 1914 erhalten blieb. Ein deutscher Flieger, Dietrich von Kanne, der den Weltkrieg nicht überlebte, fotografierte aus der Luft den Beginn der Zerstörung Yperns. Diese Verheerung, die sich alleine an der

Der erste Brief, den Käthe Kollwitz 1914 an ihren Sohn an die Westfront schrieb, wurde nicht mehr zugestellt. Sohn Peter war bereits gefallen. Der Vermerk auf auf dem Brief lautete lapidar: „Zurück tot.“

Als Symbol für die dynamischen Prozesse, die der Krieg auslöste, wählte des Ausstellungsteam deshalb einen Güterwagen G 10, der ab 1910 und bis in die 1920er Jahr in 120 000 Exemplaren hergestellt wurde und bei deutschen Eisenbahnen durch das gesamte Zeitalter der Weltkriege im Einsatz war. Der im MHM gezeigte Waggon wurde gar erst 2004 außer Dienst gestellt. Er steht für die großen Menschenverschiebungen des 20. Jahrhunderts. Man denkt an die Truppentransporte, die im August 1914 oft noch mit patriotischen Krankenbücher aus deutschen Etappenlazaretten und -krankenhäusern aus dem besetzten Brüssel. Darin sind Eintragungen über Verletzungen durch Bierglaswurf und Patienten mit Geschlechtskrankheiten zu finden.

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Westfront in Belgien und Frankreich hundertfach wiederholte, nahm, wie vieles im Ersten Weltkrieg, die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs vorweg und mag nicht zuletzt in Dresden, am Ort der Ausstellung, nachdenklich stimmen. Der eigentliche Rundgang durch den ersten Teil von „14-Menschen-Krieg“ beginnt im Sonderausstellungsraum des Arsenalgebäudes. Dieser ist mit seinen um den Güterwagen gruppierten Ausstellungseinheiten dem Kriegsbeginn und den Auswirkungen des Krieges auf Menschen, die darin verwickelt wurden, gewidmet. Man beschreitet darin gleichsam den Weg von der Vorkriegszeit in die Phase der ersten Kämpfe und von den Fronten über die Etappe in das Hinterland der Front und schließlich an die Heimatfront. Ein zweiter großer Ausstellungsbereich in der Halle hinter dem Arsenalgebäude, erzählt vom Inferno der Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Nach dem Ende des „Wettlaufs zum Meer“ gruben sich die Kriegsgegner entlang der gesamten Front im Westen ein. Als moderne Höhlenmenschen versuchten die Soldaten in Schützengräben und Unterständen die Wirkung der von ihnen

Links: Güterwagen G10 . Deutsches Reich, nach 1910 Waggons dieses beförderten im Verlauf des Ersten Weltkriegs Soldaten, Pferde und Nachschubgüter, aber auch Flüchtlinge und Kriegsgefangene. In der Ausstellung fungiert er als Symbol des Zeitalters der Weltkriege. In seinem Inneren werden Manuskripte der Arbeiten bekannter und heute weniger präsenter Schriftsteller gezeigt, die sich mit dem Weltkrieg befassten, darunter Julius Bab, Ludwig Renn (eigentl. Arnold Vieth von Golßenau) oder Erich Maria Remarque Rechts Oben: Im nachgebauten Laufgraben des „Kilianstollens“ werden die archäologischen Funde präsentiert, wie ein deformiertes Gewehr und eine Schützenblende aus Panzerstahl. Alle Fotos: © MHM / Andrea Ulke

Masse der Funde stammt aus dem sogenannten „Kilianstollen“, den Archäologen des PAIR, des elsässischen Landesamtes für Archäologie in den vergangenen Jahren freilegten und dessen Inhalt sie bargen und wissenschaftlich untersuchten. Der Stollen war am 18. März 1918 besetzt mit Soldaten des thüringischen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 94, als drei nahe beieinander liegende Minen-

Mittels des „Hamburger Systems“ konnten in einem Güterwagen jeweils rechts und links zwei Krankentragen befestigt werden, sodass ein Lazarettwaggon entstand.

eingesetzten Waffen zu überleben. Neben Beispielen des Waffenarsenals der Kriegsparteien ist es dem MHM möglich, eine Art „Pompeij“ des Ersten Weltkriegs zu präsentieren, eine mit archäologischen Funden bestückte und einer ganzen Reihe originaler Bauteile rekonstruierte Sektion einer deutschen Grabenstellung vom südlichen Ende der Westfront im Elsass. Die

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treffer ihn auf einer Länge von über 60 Metern zum Einsturz brachten. 34 Soldaten wurden getötet. 21 von ihnen konnten auf Grund der fortdauernden Kampfhandlungen nicht geborgen werden und blieben bis zur Wiederentdeckung des „Kilianstollens“ vor wenigen Jahren mit ihrer Ausrüstung, Bewaffnung, mit Erkennungsmarken, Rosenkränzen, Brillen, Ta-

schenmessern und Pfeifen sowie mit der Ausstattung der Stellung verschüttet. Ihre Bergung erlaubt nun, das zu leisten, was bislang nahezu unerforscht blieb, nämlich die Rekonstruktion der Grabenroutine der deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Ohne diese Funde – viele weitere werden sicherlich folgen – blieben die Historiker und Ausstellungsmacher auf mehr oder weniger stilisierte Beschreibungen von Kriegsteilnehmern bzw. -schriftstellern wie Remarque und Michael, Jünger und Renn oder Schauwecker und Ettighofer angewiesen. Durch den Fund weiß man nun, wie deutsche Fronttruppen ihre Unterstände ausstatteten, dekorierten und was sie bei sich trugen. Jeder Soldat führte Pfeife und Tabak, Taschenmesser, Blöcke und Bleistifte bei sich. Eine Brille erhielt sich völlig unbeschädigt ebenso wie Rosenkränze oder gar Parfümfläschchen. Auch zeigte sich, dass die Verpflegung eine ungewöhnliche Vielfalt aufwies. Die Archäologen fanden in Abfallgruben sowohl Austern- und Jakobsmuschelschalen, aber auch zerkleinerte Hundeknochen. Und viele Bierflaschen… Wie schon die letztjährige Sonderausstellung des MHM zu den Befreiungskriegen entstand „14-Menschen-Krieg“ in enger Zusammenarbeit mit vielen privaten und öffentlichen Sammlungen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Italien und den Niederlanden. Zur Ausstellung erschien beim Dresdner Sandstein-Verlag eine zweibändige Begleitpublikation mit Essays namhafter Autoren und umfangreichem Katalogteil. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden. www.mhmbw.de


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Rückblick MUSEUMSTREFFEN 2014 Am 8. Oktober fand das dritte Museumstreffen im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) statt. Autor: Christoph Friedl

Für das unter dem Leitgedanken „Der begeisterte Museumsbesucher“ geführte Museumstreffen 2014 war das MHM Dresden herausragender Gastgeber. Diese kurze Rückschau, soll einen Einblick über die Veranstaltungen bieten zu der sich fast 200 Experten überwiegend Mitarbeiter aus Museen, Sammlungen und Ausstellungen – in der Kunst- und Kulturstadt Dresden einfanden. Der folgende Überblick erfolgt aus Sicht eines teilnehmenden Sponsors. Herzlich begrüßt wurden die zahlreich erschienenen Teilnehmer des dritten bundesweiten Museumstreffens durch Oberst Prof. Dr. Rogg (Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Dresden) und den Veranstalter Uwe Strauch (museum.de). Beide Herren gingen in Ihren Beiträgen unter anderem auf die Begrifflichkeit „Begeisterung“ ein. Auch wenn der Begriff „Begeisterung“ nur bei wenigen unmittelbare Assoziationen mit dem Besuch eines Museums hervorruft, boten die hochkarätigen Referenten in ihren Vorträgen den Zuhörern eine breite Palette an unterschiedlichen Ansätzen und Erfahrungen wie es im Museumsalltag gelingen kann, Besucher nicht nur zu unterhalten oder zu informieren sondern im besten Fall sogar zu begeistern.

Das Organisationsteam vom MHM. Ein besonderer Dank geht an Hauptmann Schmidt (rechts)

Oberst Rogg im Gespräch mit Dagmar Borchert vom Bergbaumuseum Oelsnitz. Fotos: © Horst Schröder

In diesem Sinne ging Frau Prof. Dr. Kleingärtner (Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Bremerhaven) in ihrem aufschlussreichen Redebeitrag, der Frage nach, wie es gelingen kann, im Zuge der Neuausrichtung des DSM, Fragen der Forschung über die Möglichkeiten die Ausstellungen bieten zu vermitteln. Prof. Kleingärtner schaffte es einen Bogen zu spannen zwischen der Begeisterung des Erlebten und der Begeisterung die durch Wissensvermittlung und Forschung entstehen kann. Ebenso wie seine Vorrednerin konnte sich auch Dr. Rosseaux (Stellvertretender Direktor des Geldmuseums der Deutschen Bundesbank, Frankfurt) für die geplante Neugestaltung des Geldmuseums an den vielfältigen Erkenntnissen die bis dato erhoben wurden orientieren. Um komplexe, geldpolitische Zusammenhänge für die Besucher greifbar zu machen, bedarf es demnach unter anderem auch der Möglichkeiten die moderne Medientechnik bietet. Die Partizipation der Besucher eines Museums war im spannenden Redebeitrag von Dr. Murr (Museumsleiter tim | Staat-

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liches Textil- und Industriemuseum Augsburg) ein wichtiger Ansatz. Ziel des tim ist demzufolge u.a. Identität durch Teilhabe zu erreichen und somit die „Besucher“ zu „Benutzer“ des Museums zu machen. Sehr lebendig und mitreißend schaffte es anschließend der Szenograf Otto Steiner (Steiner Sarnen Schweiz AG) zu veranschaulichen, wie es gelingen kann, „berührende Momente“ zu schaffen. Nach der Präsentation fulminanter Beispiele aus seiner Tätigkeit, stand Herr Steiner dem Auditorium noch Rede und Antwort. Der Mittagspause folgten weitere interessante Vorträge. Es referierte Reimund Heinisch (Leiter Besucherservice, Ausstellungsmanagement, Werksführungen - Porsche Museum, Stuttgart) über die Faszination Automobil und die Aktionen und Veranstaltungen des Porsche-Museums. Prof. Grütter (Direktor Ruhr Museum, Essen) ging in seinem Beitrag auf die Verbindung von Erlebtem und Fremdem ein. Museen sollten versuchen, die Lebenswelt des Besuchers so mit den im Muse-


um präsentierten „Welten“ zu verflechten, dass für den Besucher Analogien zwischen diesen Beiden entstehen. Die Integration modernster musealer Didaktik in ein bedeutsames Gebäude wie jenes des Kaufhauses Schocken, war das Thema des Vortrags von Frau Dr. Wolfram (Direktorin Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz). Das neu eröffnete Museum beschreitet gekonnt den schwierigen Weg, ein so facettenreiches Thema wie jenes der Erd- und Kulturgeschichte, ohne den „Staub der Jahrtausende“ zu veranschaulichen. Im abschließenden Beitrag präsentierte Dr. Plaßmeyer (Direktor Mathematisch-Physikalischer Salon / Staatliche Kunstsammlungen Dresden) einen Erfahrungsbericht des Mathematisch-Physikalischen Salons, ein Jahr nach dessen Wiedereröffnung. Es wurde hier u.a. die höfische Herkunft der Sammlung als maßgeblicher Faktor für die Positionierung der Neukonzeption angeführt. Die Unterschiedlichkeit der Vorträge spiegelte auch die Vielzahl an Möglichkeiten wieder, die Besucher eines Museum anzusprechen, aber auch die Schwierigkeiten das passende Maß und Medium für „sein Haus“ zu finden. Ob durch den Einsatz moderner Museumstechnik, Wissensvermittlung durch Zeitzeugen oder Inszenie-

rungen – es geht demnach nicht um die Frage, was man nach einem Museumsbesuch gelernt hat, sondern welche geistigen Türen geöffnet werden konnten, ob es inspirierend war und neue Zusammenhänge entdeckt werden konnten. Besucher wollen nicht belehrt oder nur unterhalten, sie wollen eingebunden werden, sodass jeder seine eigenen Erfahrungen mitnehmen kann. Ziel sollte es demnach sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Museumserfahrung möglichst positiv zu beeinflussen. Dies kann das Fundament bilden Begeisterung in den „Benutzern“ von Museen zu wecken. In den Pausen zwischen den Vorträgen blieb ausreichend Gelegenheit neue Kontakte zu knüpfen, alte Kontakte zu pflegen, in Gruppen zu diskutieren oder sich geführten Führungen durch das wunderbare MHM anzuschließen. Wie auch schon bei den vorherigen Museumstreffen im Museum Kunstpalast Düsseldorf und in der Bundeskunsthalle Bonn führte erneut Frau Petra Albrecht (WDR Düsseldorf) gekonnt durch das Vortragsprogramm. Nochmals erwähnt werden soll der Einsatz und die Gastlichkeit von Oberst Prof. Dr. Rogg und seinem Team des MHM Dresden für diese gelungene Veranstaltung die mit einem abschließendem „come together“ bei Radeberger Pils abgerundet wurde. Otto Steiner. Foto © Andrea Ulke, MHM.

Pause im Restaurant „zeitlos“, Foto: © Horst Schröder

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Erfolgreiche Geschichte. Die FC Bayern Erlebniswelt Autor: Kurt Ranger, Ranger Design, Stuttgart

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Der FC Bayern und seine Erlebniswelt Folgt die Gestaltung dem Inhalt? Folgt der Inhalt der Gestaltung? Formatiert die Vision eines Raumes die Inhalte? Welche Inhalte? Welche Botschaften? Was erzählt die Metaebene? Welche Gestaltung funktioniert im Raum? Als Ranger Design die Aufgabe gestellt bekam, über ein mögliches Museum für den FC Bayern München in der Allianz Arena nachzudenken, begann ein spannender Prozess. Vorgegeben war ein möglicher Ausstellungsraum mit einer noch zu bestimmenden Fläche. Die Gestalter um Kurt Ranger stellten sich zugleich mehrere Fragen: Welche Inhalte werden vermittelt? Welche Form bekommt die Ausstellung? Welcher Dramaturgie folgt die Ausstellung? Wie kann der zur Verfügung stehende Raum organisiert werden? Und welche Themen verbinden sich mit einem FC Bayern Museum? Die Arbeit an diesem Projekt folgte mit der inhaltlichen und gestalterischen Gleichzeitigkeit der Überlegungen nicht der klassischen Arbeitsmethode, zuerst ein schriftliches Konzept zu formulieren und die Bestände eines Archives nach möglichen Exponaten zu durchsuchen. Und anschließend über die Gestaltung nachzudenken. Zumal es kein Archiv und damit nur wenige Exponate gab. Die Ranger Design-Vorgehensweise: Mögliche Inhalte wurden sofort nach ihrer Ausstellbarkeit überprüft, Gestaltungsideen erzeugten Inhalte, inhaltliche Ideen gaben die Suchrichtung nach Exponaten vor, Exponate definierten Inhalte. Kurt Ranger: „Mir gefällt die Vorstellung, eine Ausstellung sei eine Art begehbarer Film ist. Besonders dann, wenn sich Medien in der Vermittlung anbieten. Die Exponate dienen dann der Erzählung. Alles ordnet sich dem gesamtgestalterischen Drehbuch unter.” Die Konzeptioner und Gestalter in Personalunion folgten deshalb der Methode, Inhalt (auf der Basis historischer Fakten), Wirkung und Funktion zugleich zu denken.

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Die Arbeit an dem Konzept begann direkt an einem (noch) leeren Modell des Raumes. Inhalte wurden angedacht und sofort in Modellform gebracht: Schnell zeigte sich eine Fülle von Ideen, mit der der übliche Rahmen von Fußballclub-Museen verlassen wurde. Der FC Bayern ist sowohl unter kulturhistorischen, sporthistorischen und soziologischen Aspekten ein spannendes Phänomen. Eine Weltmarke. Ein sehr professionell geführter Verein mit außergewöhnlichen Erfolgen. Ein von den Anfängen an gesellschaftlich aufgeschlossener, von Künstler, Kreativen und sportbegeisterten Individualisten gegründeter Verein mit einer ganz eigenen Geschichte. An ihm ließe sich, so eine der Ideen, die Entwicklung des Fußballs in den vergangenen 112 Jahren (zum Zeitpunkt der Eröffnung 2012) exemplarisch nachzeichnen: unter Gesichtspunkten der Entwicklung des Sports, der Medien, parallel zur Zeitgeschichte. Jedes Exponat, so eine weitere These des sich entwickelnden Konzeptes, sollte jeweils eine Geschichte erzählen. Geschichten, die möglichst ganz spezifisch den FC Bayern und seine Akteure in den verschiedenen Zeiträumen charakterisieren sollten. Das Gesamtkonzept konnte, das war relativ schnell klar, ganz neue, ungewöhnliche Themen aufnehmen und ausstellen. Und würde damit zwangsläufig einen neuen Standard für Fußball-Museen setzen. Die Gestalter von Ranger Design entwickelten ein inhaltliches und gestalterisches Konzept und überzeugten damit den Vorstand des FC Bayern. Eine Projektgruppe des FC Bayern wurde gegründet, das „Befüllen” des Konzeptes mit Exponaten, Medien und präzisierten Inhalten konnte beginnen.

Eine großformatige Vitrine zeigt historische und aktuelle Trikots des FC Bayern.


Der historische Teil der Erlebniswelt wird von mehreren Themeninseln begleitet. Diese vertiefen bestimmte Ereignisse, wie die erste Deutsche Meisterschaft 1932 und stellen Kurt Landauer, den prägenden Präsidenten der ersten Meisterschaftszeit, aus. Dieser, ein Münchner mit jüdischem Hintergrund, führte den FC Bayern auf die Spur des Erfolges.

Entlang einer langen Achse von Meisterschaftsschalen und DFB-Pokalen wird der Besucher durch die weiteren Zeiträume geführt. Diese „Via Triumphalis” bildet das Rückgrat des ersten Ausstellungsabschnitts. Insgesamt 23 Meisterschaftsvitrinen dokumentieren die sportliche Dominanz des Rekordmeisters, viele dieser Vitrinen beinhalten neben einer Replik der Meisterschaftsschale auch das Double, den dazugehörigen DFB-Pokal.

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Die klare Struktur der Zeiträume, ein übersichtliches grafisches Layout, das alle Titel, Trainer und Präsidenten dem Zeitgeschehen zuordnet, großformatige Grafik und eine eindrückliche Gesamtchoreografie von Medien lassen die Geschichte des FC Bayern lebendig werden. Da Fußball, wie auch Musik, nur im Zeitpunkt des Spielens entsteht und existiert, war den Planern

Die Projektionsflächen in den sieben Zeiträumen sind untereinander und mit den Vitrinen als virtuelle Choreografie vernetzt.

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wichtig, dass Ton- und Bildträger für die Lebendigkeit einer Erlebniswelt eine bedeutende Rolle spielen. Für die mediale Bespielung und Inszenierung der FC Bayern Erlebniswelt wurden deshalb rund 120 km Elektro- und Datenkabel gezogen, rund 110 Monitore verbaut und 11 Beamer miteinander vernetzt.


Die FC Bayern Erlebniswelt – Ort der Emotionen Die Erlebniswelt beginnt ihre Erzählung mit den Anfängen des Fußballs in Deutschland. In einer Zeit, in der die Turner den sportlichen Ton angaben und Fußballspieler Außenseiter waren, von einer merkwürdigen „englischen Krankheit” befallen. In sieben Zeiträumen erzählt die Ausstellung die Geschichte des FC Bayern bis heute. Da die Geschichte des FC Bayern nicht abgeschlossen ist und sich jeden Tag fortsetzt, war Flexibilität von Anfang an Teil des Konzeptes. Dies war auch der Tatsache geschuldet, dass die Sammlung an Exponaten zu Beginn des Projektes nicht abgeschlossen war, sondern gerade erst begann. Die sieben Zeiträume beinhalten sieben große Projektionsflächen: Auf diesen werden in einer choreographierten Medien- und Lichtinstallation in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus Filmaufnahmen gezeigt. Als Höhepunkt dieser Rauminstallation wird im ersten Zeitraum (1900-1932) ein historischer Lederball angestoßen, der sich spielerisch bis in den siebten Zeitraum (heute) bewegt. Die mitspielenden Akteure in den Zeiträumen sind bis ins Detail mit Trikots, Bällen, Schuhen bis zur Haarlänge der Spieler den jeweiligen Vorbildern nachempfunden. Auf den Stirnseiten der Kojen befinden sich jeweils 3 Monitore, die zeitgenössisches Fotomaterial aus Politik, Kultur, und Sport transportieren.

Modelle von FC Bayern Spielstätten, zuerst einer Wiese an der Leopoldstraße, dem Grünwalder Stadion, dem Olympiastadion bis zur heutigen Allianz Arena dokumentieren, neben der architektonischen Entwicklung der Stadien, den zunehmenden Erfolg einer Randsportart zu der zentralen Sportart, quer durch alle Schichten der Gesellschaft. Eine Themeninsel zur Mediengeschichte des Fußballs ergänzt die Schau. Eine „Schatzkammer” mit getauschten Freundschaftsgaben, bei internationalen Begegnungen ist das bis heute üblich, glitzert und funkelt mit diesen Artefakten, deren Symbolgehalt und Gestaltung eine sehr spannende eigene Welt für sich darstellt. Eine Bühne steht für Vorträge, Lesungen und Diskussionsrunden bereit.

Die Sockel in den Vitrinen leuchten und vermögen auch die Farbe von reinem Weiß in Rot zu wechseln. Um diesen Effekt zu ermöglichen, wurde innovative LED-Lichttechnologie von Osram angewendet. Eigens entwickelte Strahler, hocheffektiv und energiesparend, kommen zum Einsatz.

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Ein besonderes Schmankerl der Medienbespielung findet im Inneren des Hall of Fame Kreises statt. Lebensgroß tritt ein Teil der ausgestellten Stars heute ins Bild. Sie kommentieren rückblickend sich und ihre Mitspieler meist augenzwinkernd und witzig, erinnern sich an Torszenen und bleiben allemal sympathische, menschliche Fußballhelden.

Die Hall of Fame In diesem Teil der Ausstellung dominiert die runde Kreisform. Sie markiert damit einen neuen Abschnitt der Ausstellung, von den Besuchern deutlich wahrnehmbar. Auf der einen Seite des Hall of Fame Kreisbogens werden 11 Werte des FC Bayern in Wort und Bild vorgestellt. Im Hintergrund dieser Idee stand die Frage, was den FC Bayern im Hinblick auf die anhaltenden sportlichen Erfolge prägte und prägt. Der FC Bayern ist schließlich der einzige deutsche Fußballklub, der seit über 40 Jahren an der Spitze steht und auch international konstant mitspielt. Gegenüber werden die großen internationalen Erfolge ausgestellt:

Die drei errungenen Europapokale der Landesmeister, dem Vorläufer der Champions League, und die 2001 und 2013 gewonnenen Champions League-Pokale. Dazu werden seltene Exponate zu diesen Siegen, aber auch zu den Niederlagen des FCB in den Finalspielen gezeigt. Das Zentrum der Hall of Fame bildet ein innerer Zirkel. In diesem werden die 16 großen Spieler der FC Bayern Geschichte als lebensgroße, fotografische Figuren ausgestellt. Jeder Figur ist ein Exponat beigestellt. Die Auswahl beginnt bei Conny Heidkamp und endet (derzeit) bei Mehmet Scholl.

Über 700 Spielernamen und Spielerporträts derjenigen, die in den vergangenen 114 Jahren mindestens in einem Pflichtspiel in der Mannschaft des FCB spielten, werden gezeigt. Von einer kleinen Zahl sind nur die Namen bekannt. Das Erlebniswelt-Team erhofft sich von den Besuchern weitere Informationen über diese Spieler. Auch werden alle Trainer und Präsidenten bildlich vorgestellt.

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Ein Leckerbissen für Freunde des Fußballs ist die Themenwand „Trainer und Strategen“. In für den Sportjournalismus untypisch ruhigen und gelassenen Statements erklären vier Trainer der Bayern Ihre Vorstellungen zu Taktik, Motivation und Aufstellung: Udo Lattek, Dettmar Cramer, Ottmar Hitzfeld und Jupp Heynckes. Die Besucher können dazu über ein interaktives Pult die eingestellten Fragen und Antworten anwählen und abrufen.

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FC Bayern aktuell Der dritte Teil der Erlebniswelt zeigt das breite Spektrum aktueller Fankultur. Fanomene, Fanklubs und Fankurve sind die Überschriften für drei großräumige Vitrinen, die immer wieder aktualisiert und verändert werden. Hier werden Fanklubs vorgestellt, Fan-Produkte des FCB und kreative Eigenschöpfungen der Fans ebenso wie „Allesfahrer”, FC Bayern Tattoos und Fanklubs, die für ein Spiel gegen die A-Mannschaft ausgelost wurden und daraus einen Riesenevent machen. Ein lebensgroßes Touch-Spiel lädt ein, seine Reflexe als Torhüter zu testen. Beim Spiel „Eckball” können zwei Spieler gegeneinander antreten, indem jeder versucht, mit jeweils einem Fußball blitzschnell und punktgenau möglichst sechs kleine Felder, die abwechselnd getroffen werden wollen, anzuspielen. Ein Sonderausstellungsbereich steht für Sonderausstellungen, Feiern und Präsentationen zur Verfügung. Seit 2012 in Betrieb hat sich die FC Bayern Erlebniswelt mit 300.000 Besuchern im Jahr zu den Top 5 Museen, an Besucherzahlen gemessen, in München entwickelt. Und das, ohne dass jemals ein Plakat für die Ausstellung geworben hätte. Bei einem Eintrittspreis von 12,- Euro ist das nicht selbstverständlich. Die Umsatzzahl des Megastores ist seit der Eröffnung der Erlebniswelt stark gestiegen, auch die Anzahl der Führungen durch die Arena hat zugenommen. Die Erlebniswelt trägt sich selber, die Allianz Arena profitiert insgesamt vom weit erhöhten Besucheraufkommen. Informationen über die Erlebniswelt werden vorwiegend über die vorbildliche FC Bayern Homepage und das Stadionmagazin kommuniziert. Die Erlebniswelt ist sehr gut in die Homepage eingebunden. Regelmäßig wird ein Exponat der Woche ausführlich präsentiert. Der in den Münchner Hotels ausliegende Prospekt ist nach dem Stadtplan von München die am häufigsten abgegriffene Drucksache. Das Team der FC Bayern Erlebniswelt ist in den Verein stark integriert. Eine Fülle von Veranstaltungen findet laufend in der Erlebniswelt statt. Pressekonferenzen, Präsentationen, Vorträge, Diskussionsrunden, Lesungen. Diese Veranstaltungen beschäftigen sich einerseits mit historischen Themen, andererseits mit aktuellen Erfolgen und Begegnungen mit Spielern. Die Erlebniswelt hat die Identität des FC Bayern gestärkt und das Wissen über diesen Verein einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vielleicht eine steile

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These: der Verein hat sich mit diesem größten deutschen Vereinsmuseum seine eigene Geschichte deutlicher vor Augen geführt und lebt seither verstärkt im Bewusstsein seiner historisch gewachsenen Identität. Diese reicht über die großen Erfolge hinaus in eine tief wurzelnde FC Bayern Tradition, die mit Internationalität, Liberalität, Siegeswillen und mittelständischem Wirtschaften gekennzeichnet ist. Die Begeisterung vieler Besucher ist spürbar und wahrnehmbar. Sie speist sich zuerst aus der Faszination des FC Bayern selbst. In vielen Rezensionen ist eine fast merkwürdig anmutende Überraschung über die Qualität des Museums spürbar: Anfang dieses Jahres schrieb Gerhard Mautzig in der Süddeutschen Zeitung über die FC Bayern Erlebniswelt als „vorbildliches Museum”. Christoph Seidel zitiert in „11 Freunde” einen norwegischen Besucher: „Torger Trigge wollte eigentlich nur die Allianz Arena besichtigen. Der Norweger ist ein Stadion-Hopper und hat schon viele Vereinsmuseen gesehen. Er sagt: „Das hier übertrifft alles. In Barcelona stehen Pokale hinter Vitrinen, in München spüre ich die Seele des Vereins.”

FC Bayern Erlebniswelt Öffnungszeiten Montag bis Sonntag,10 bis 18 Uhr (außer Weihnachten, Silvester, Neujahr und an Heimspieltagen des TSV 1860 München); letzter Einlass 17.15 Uhr; An Spieltagen des FC Bayern gelten gesonderte Öffnungszeiten; Eintritt nur mit gültigem Spielttagsticket. Infos unter: www. fcb-erlebniswelt.de Touren und Kombitickets sind an Spieltagen nicht möglich


Der aktuelle Spieler- und Trainerkader wird mit lebensgroßen Figuren und einer zugeordneten Datenbank präsentiert.

Ranger Design ist ein interdisziplinär arbeitendes Gestaltungsbüro mit Schwerpunkt in der Ausstellungsgestaltung. Der ganzheitliche Ansatz umfasst die dialogische Entwicklung von Ausstellungskonzeptionen, deren Szenografie, Inszenierung, Grafik und Medien. Des Weiteren liegt das Leistungsspektrum von Ranger Design in der Entwicklung von Corporate Design-Konzepten bis hin zu Werbekampagnen.

Mehr als ein Triple: Die großen Erfolge der Saison 2012/2013.

Projekte für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft Wiener Straße 104 70469 Stuttgart Telefon 0711 99 31 63 - 0 contact@ranger-design.com www.ranger-design.com

Bei „myFCB” können sich die Fans über Fotostelen fotografieren lassen und diese auf Wunsch in das „myFCB”-Netzwerk einstellen. Auf einer Welt- bzw. Europakarte wird eine punktuelle Verbindung zu den Heimatorten der Fans visualisiert. Mit dieser Medieninstallation ist die FC Bayern Erlebniswelt online mit dem weltweiten Internet live verbunden.

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Meer erleben – Das Deutsche Meeresmuseum Stralsund Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum Stralsund mit ihren vier Museumsstandorten OZEANEUM, MEERESMUSEUM, NAUTINEUM und NATUREUM stellt sich vor.

Der skurrile Drachenkopf lauert in der Natur gut getarnt zwischen Korallen und Schwämmen auf seine Beute. Im MEERESMUSEUM ist er mit dem giftigen Steinfisch in einem Aquarium vergesellschaftet.


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Im Jahr 1951 bezog eine kleine Sammlung als städtisches Naturkundemuseum das damals 700 Jahre alte Katharinenkloster in Stralsund im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns. Das Haus entwickelte sich zu dem international anerkannten Museum für Meereskunde und Fischerei der DDR. Mit der Wanderausstellung „Meer und Museum“ im Jahre 1981 konnte das meistbesuchte Museum Ostdeutschlands auch im damaligen Westdeutschland sowie in Dänemark auf sich aufmerksam machen. Nach der Wende wurde das Haus 1994 in eine Stiftung überführt und 1998 umbenannt in Deutsches Meeresmuseum. Damals wie heute ist das Zusammenspiel aus wissenschaftlich fundierter Ausstellung und Aquarien als lebende Ergänzung der wesentliche Erfolgsfaktor des Museums. Das Deutsche Meeresmuseum zählt mit dem Eintrag in das sogenannte Blaubuch zu den kulturellen Leuchttürmen in den neuen Bundesländern. Weltweit widmen sich nur wenige Museen so speziell und umfassend der wissenschaftlichen Bearbeitung und musealen Darstellung des Lebensraumes Meer. Neben dem Stammhaus MEERESMUSEUM in der Stralsunder Altstadt entwickelte Deutschlands einziges Museum für Meereskunde und Fischerei in den 1990er Jahren zwei weitere Standorte. Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft am Darßer Ort informiert das NATUREUM seit 1991 über Landschaft und Tierwelt des Darß. 1999 öffnete auf der Insel Dänholm das NAUTINEUM als Ausstellungszentrum für Fischerei, Meeresforschung, Hydrografie und Seewasserstraßen. Seit Sommer 2008 zeigt das OZEANEUM auf der Stralsunder Hafeninsel fünf neue Dauerausstellungen, u. a. zur Ostsee, dem Weltmeer und zu den Riesen der Meere, sowie die Unterwasserwelten der nördlichen Meere in zwei umfangreichen Aquarienrundgängen. Das Deutsche Meeresmuseum erreichte 2009 mit über 1,2 Millionen Gästen Platz drei der besucherstärksten Museen in Deutschland. Das Deutsche Meeresmuseum hat sich über die Jahre beständig weiter entwickelt, um mit neuen Konzepten sowohl Erstbesucher als auch Wiederholungsgäste in die Museumshäuser zu locken. Neben den Ausstellungen und Aquarien an den einzelnen Standorten spielen die weiteren, zentralen Aufgaben eines Museums, das Sammeln, Bewahren und Forschen, eine ebenso wichtige Rolle. Sie sind gleichzeitig die Quelle für wissenschaftlich fundierte Öffentlichkeitsarbeit. Dieser Bildungsauftrag ist die zentrale Aufgabe des Deutschen Meeresmuseums

Einzigartig in Deutschland – das MEERESMUSEUM zeigt in einem 350.000 Liter fassenden Becken fünf große Meeresschildkröten drei verschiedener Arten.



und erfolgt über die Ausstellungen und Aquarien hinaus in Form von Podiumsgesprächen, Kooperationen und zahlreichen Veranstaltungen für Familien mit Kindern, Schulklassen und Erwachsene. Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum wird zu rund 60% aus Eigenmitteln finanziert und darüber hinaus von der Hansestadt Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesregierung gefördert. Sie ist alleinige Gesellschafterin der OZEANEUM Stralsund GmbH, die wirtschaftlich vom Stammhaus getrennt ist und sich zu 100% selbst trägt – eine Besonderheit, die kaum ein anderes Museum dieser Größenordnung leistet. Allein das OZEANEUM besuchen jährlich über eine halbe Million Besucher. Tropische Meere hinter Klostermauern Die Besucher des MEERESMUSEUMs erwartet zu Beginn des Rundganges ein imposanter Globus, der zeigt, dass die Erde ein Wasserplanet ist. In den darauf folgenden Ausstellungen werden Themen wie Meereskunde, Meeresbiologie, Fischerei sowie Fauna und Flora der Ostsee vermittelt. Besonders beeindruckend sind das 15 Meter lange Skelett eines Finnwals, ein präparierter Eisbär, eine Japanische Riesenkrabbe und die originalgetreue Nachbildung einer Lederschildkröte. In den 36 Aquarien der Tropen und des Mittelmeeres tummeln sich u. a. Haie, Seepferdchen, bunte Korallenfische und riesige Meeresschildkröten in ihrem 350 000-Liter-Schildkrötenaquarium mit drei Meter mal acht Meter großem „Schaufenster“. Zum Leuchtturm und zurück durch den Darßwald Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft informiert das NATUREUM seit 1991 über Landschaft und Tierwelt des Darß‘. Dieses Naturkunde-Museum beherbergt Ausstellungen zum Naturraum Darßer Links: Präpariertes Skelett eines 1825 vor Hiddensee geborgenen Finnwals.

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Auf dem Areal des MEERESMUSEUMs bildet der Neubau des Schildkrötenbeckens einen spannenden Kontrast zum historischen Bestand der ehemaligen Klosteranlage.

Von der oberen Ebene der Ausstellungskonstruktion hat man freien Blick auf das restaurierte, gotische Deckengewölbe des Kirchenschiffes.

Die farbenfrohen Anemonenfische im MEERESMUSEUM sind besonders bei den jüngsten Besuchern sehr beliebt.

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Auf dem Außengelände des NAUTINEUMs finden sich zahlreiche Großexponate aus Seefahrt, Meeresforschung und Fischereigeschichte. Ein besonderes Highlight ist dabei das begehbare Unterwasserlabor „Helgoland“. Unten: Einstiegsbereich des Unterwasserlabors.

Ort, zur Ostseeküste und zu den Tieren der Region, darunter das Szenario „Darßwald bei Nacht“ mit dämmerungsaktiven Waldbewohnern. Die Ostseeaquarien, der Strandund Dünengarten, ein Feuchtbiotop und der begehbare Leuchtturm belohnen ebenfalls für den Weg durch den Darßer „Urwald“ denn das NATUREUM ist nur zu Fuß, per Rad oder Pferdekutsche erreichbar. Sich fühlen wie ein Meeresforscher 1999 öffnete auf der Insel Dänholm das NAUTINEUM als Ausstellungszentrum für Fischerei, Meeresforschung, Hydrografie und Seewasserstraßen mit vielen Originalexponaten. Auffällig ist die 14 m hohe Bootshalle mit Zees- und Strandbooten der vorpommerschen Küstenfischer. Auf dem 23 000 m² großen Areal sind neben einem Abenteuerspielplatz für Kinder viele imposante Großexponate zu sehen, wie z. B. Kutter, ein historischer Fischerschuppen und als Highlight das begehbare Unterwasserlabor HELGOLAND. Vom NAUTINEUM als „Logenplatz am Strelasund“ hat man einen schönen Blick auf die Rügenbrücke. Eine Ausstellungshalle auf dem Gelände des NAUTINEUMs zeigt neben einem Zeesboot eine umfangreiche Sammlung von historischen Fischerbooten aus Mecklenburg-Vorpommern.

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Zusammen mit den ehemaligen Speichergebäuden auf der Hafeninsel, dem Museumsschiff „Gorch Fock I“ und den Kirchtürmen prägt die geschwungene Stahlfassade des OZEANEUMs maßgeblich die Ansicht der Hansestadt Stralsund. Unten: Kronprinz Frederik von Dänemark fütterte im September 2010 die Pinguine auf der Dachterrasse.

Europaweit einmalige Unterwasserreise durch die nördlichen Meere Das OZEANEUM auf der Stralsunder Hafeninsel ist der vierte und neueste Standort des Deutschen Meeresmuseums. Seit Juli 2008 besuchten mehr als vier Millionen Gäste das Museum mit seinen Ausstellungen und Aquarien zu den nördlichen Meeren. Seine spektakuläre Architektur mit einer Fassade aus bis zu 12 Meter hohen, geschwungenen Tafeln aus weißem Schiffsstahl macht neugierig, das Innere des Museums zu erkunden. Dort erleben Besucher die weltweit größte Ausstellung über Wale mit Nachbildungen der Meeresgiganten in Originalgröße, für deren Gestaltung das Stuttgarter Atelier Lohrer beauftragt wurde. Im Sommer 2011 öffnete die neue Ausstellung Erforschung und Nutzung der Meere. Eine Erlebnisausstellung für Kinder, eine großzügige Humboldt-Pinguinanlage auf der Dachterrasse und insgesamt 45, teils riesige Aquarien zählen ebenfalls zum Rundgang. Das größte Becken fasst 2,6 Millionen Liter Wasser und durch seine 50 m² große Panoramascheibe eröffnet sich der Blick auf verschiedene Rochen, Ammenhaie, einen Sandtigerhai und einen riesigen Makrelenschwarm. Die Ostsee spielt im OZEANEUM eine ganz besondere Rolle: Besucher lernen

die typischen Lebensräume und Bewohner in der europaweit größten Schau zu diesem Thema kennen. Ein ebenfalls einzigartiges Erlebnis im OZEANEUM bietet im Rundgang die letzte Ausstellung „1:1 Riesen der Meere“. Sie zeigt lebensechte Nachbildungen von Buckelwal, Orca und Co. In einem multimedialen Schauspiel aus Lichteffekten, Klängen und Bildern erleben Museumsbesucher die Giganten der Meere. Auf Liegen folgen die Gäste am Ende der Ausstellung vom Meeresgrund einer Multimediashow, welche die Besonderheiten, aber auch die Gefährdung der Wale eindrucksvoll vermittelt. Gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace wirbt das OZEANEUM für den Schutz der Riesen der Meere. Auf der weißen Außenfassade des OZEANEUMs trifft aktuell ein Humboldt-Pinguin auf eine Badeente. Mit dem 120 m² großen, temporären Ausstellungselement macht das Deutsche Meeresmuseum auf sein Themenjahr „Kein Plastik Meer“ aufmerksam. Die Plastikente steht als verbindendes Element in den verschiedenen Standorten und erinnert an das Jahr 1992, als einem Containerschiff Tausende von Plastikentchen verloren gingen, von denen auch heute noch einige in den Weltmeeren schwimmen. Das aktuelle Jahresthema regte Hundertausende Besucher zum Nach- und Überdenken des eige-

nen Handelns an und macht ganz deutlich, dass Umweltschutz bei jedem Einzelnen beginnt. Zur Saison 2015 plant das Deutsche Meeresmuseum neue Ausstellungsstationen und Angebote zum Thema Tiefsee. Erstmals sollen umfangreich lebende Kaltwasserkorallen im OZEANEUM gezeigt werden, thematische Führungen während des Familiensommers und viele weitere Aktionen zur „Expedition Tiefsee“ sind in Planung.

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In der Ausstellungshalle „1:1 Riesen der Meere“ vermitteln lebensgroße Modelle von Walen und Großfischen einen realistischen Eindruck von den Dimensionen dieser Tiere.

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Die 50 qm große Panorama-Scheibe des größten Beckens im OZEANEUM bietet einen beeindruckenden Blick auf Fischwärme, Rochen und Haie.

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Oben: Verschiedene Nasspräparate von Fischen aus den Sammlungsbeständen des Deutschen Meeresmuseums.

Deutsches Meeresmuseum Stralsund

Links: Das OZEANEUM zählt zu den wenigen Aquarien in Deutschland, die mehrere Quallenarten züchten und halten.

www.deutsches-meeresmuseum.de info@meeresmuseum.de Tel. (03831) 2650 610

Gehörnter Schleimfisch (Parablennius tentacularis)

Fotoreportage: Johannes-Maria Schlorke Seit der Eröffnung im Jahre 2008 arbeitet der selbständige Fotograf und Bildjournalist Johannes-Maria Schlorke für das Ozeaneum und die Standorte des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund. Durch das Studium

Johannes-Maria Schlorke am Set. Foto: © Hannes Ewert

der Kunstgeschichte und der Informationswissenschaften an der Universität des Saarlandes hat er einen starken persönlichen Bezug zu Museen und Ausstellungen. Neben Architektur- und Wissenschaftsfotografie sind diese beiden Themen ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit. Zahlreiche Publikationen in nationalen und internationa-

len Medien belegen das hohe Niveau seiner Bilder, zu seinen Kunden zählen Museen, Architekten und wissenschaftliche Institutionen in ganz Europa. Daneben setzt er sich in künstlerischen Arbeiten in Form von wissenschaftlich-dokumentarischen Recherchen mit gesellschaftlichen und ökologischen Fragestellungen auseinander. www.j-ms.de

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Mit der Ankunft in der Stadt tritt man unwillkürlich in ein allumfassendes Museum einzigartigen Reichtums ein. Nun heißt es, den Überblick zu wahren und sich langsam durch die Vielfalt zu kämpfen. Und dabei lässt sich Spannung und Entspannung ganz leicht im Gleichgewicht halten.

Diverse Dimensionen: Kreuzfahrtschiff vor Venedig Foto: © Karin Diede-Becker

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Einer jener grauen Herbstmorgen in Venedig. Ein dumpfer, langgezogener Brummton zieht durch die Lagune, dröhnt über die noch schlafende Stadt, schallt vom Hafen im Westen durch den Canale della Giudecca bis zum Strand des Lido hinüber. Das Nebelhorn ertönt wieder und wird sich noch einige Male seinen Weg durch die dämmrigen Nebelschwaden bahnen, bis der Schleier aufbricht, Konturen und Farbtöne freigibt und die Sonnenstrahlen in den Mittagsstunden Mauern und Zinnen wieder hell erstrahlen lassen. Auf dem Wasser der Lagune, wo sich das

Salzwasser des Meeres mit dem Süßwasser des Brenta und anderer Gewässer aus dem Gebirge und Landesinneren vermischt, spiegelt sich der Sonnenglanz und tanzt mit sanften Wellen. Zahlreiche Vaporetti, Taxiboote und größere Schiffe, darunter auch die noblen, bis zu 180 Meter langen Motor- und Segelyachten der Superreichen, prägen das Bild. Heute will ich einen Rundgang durch Venedig machen und meine Gedanken zur Stadt, zur Geschichte, zu den endlosen Sehenswürdigkeiten und Museen, ja zum


Ganz Venedig ist ein Museum Ein Kulturrundgang mit Karin Diede-Becker

Leben selbst in bella Venezia notieren. Gleich auf dem Weg zur Haltestelle der Linienboote am Lido, Santa Maria Elisabetta, sticht mir das von einem Schleppschiff gezogene, durch die Lagune manövrierende Monstrum ins Auge, das mich heute Morgen geweckt hat. Bis zu 12 solcher Navi da Crociera sind es, die gleichzeitig im Hafen ankern und einen täglichen Besucherstrom von Tausenden Touristen in die Stadt schleusen. Die Kreuzfahrtschiffe sind den meisten Venezianern ein Dorn im Auge, nicht etwa wegen des Nebelhorns. Die schwimmenden,

bis zu 20stöckigen Luxushotels verderben nicht nur das Stadtbild, wenn sie an den nicht einmal halb so hohen Palazzi und all den historischen Bauwerken vorbeiziehen. Ein größeres Problem überwiegt: Venedig ist bekanntermaßen eine völlig autofreie Stadt. Die Luftverschmutzung durch Feinstpartikel erreicht jedoch, aufgrund der ungefilterten Abgase der Schiffe, bedenkliche Höchstwerte. Mittlerweile amtlich anerkannt ist die beträchtliche Zunahme an Lungentumoren; Venedig ist die Stadt Italiens, die die höchste Lungenkrebsrate aufweist.

Zudem richtet der durch die Schiffe ausgelöste Wasserdruck durch das umfangreiche Kanalsystem der Stadt selbst auf den kleinsten dieser Wasserstraßen große Schäden an. Gegeneinander aufgerechnet überwiegen nicht Nutzen, sondern Nachteile, die der Kreuzfahrtboom mit sich bringt: Im Juli 2011 stand Venedig kurz vor dem Kollaps, als sich 35.000 Kreuzfahrer neben den üblichen 80.000 Tagestouristen durch die Gassen zwängten. Bei einer stetig sinkenden Einwohnerzahl von derzeit 58.900 sind dies doppelt so viele Touristen wie Einwohner. Jeder der


Oben: Umzug in Venedig – alles muss über´s Wasser. Fotos: © Karin Diede-Becker Rechts: Das Wasser tritt bereits über die Ufer. Im Herbst, Winter und Frühjahr muss man in Venedig stets darauf vorbereitet sein.

bis zu 30 Millionen Touristen jährlich lässt etwas in der Stadt zurück. Allemal Devisen, aber noch mehr Unrat, der wie alles in Venedig mühsam transportiert werden muss: rund 60.000 Tonnen touristischer Abfall sind es im Jahr. So lebenswichtig der Tourismus für Venedig ist, so viele Probleme bringt er mit sich. Er verdrängt zunehmend die städtische Infrastruktur: Geschäfte für das tägliche Leben weichen Souvenirshops, überteuerten Cafés und mäßigen italienischen Restaurants, deren Betreiber aus aller Welt durch die hohen lokalen Umsätze angezogen werden. Die grundlegenden Bedürfnisse der Touristen werden bedient, die der Einheimischen bleiben jedoch zuweilen auf der Strecke. Größere Einkäufe erledigen die meisten Venezianer auf dem Festland, pendeln dafür in das vorgelagerte Mestre und die nahen Gewerbegebiete auf der Terra Ferma. Auch die überteuerten Mieten und Kaufpreise machen den Einheimischen das Leben in Venedig schwer. Da die meisten

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Gebäude renovierungsbedürftig sind, entstehen hohe Instandhaltungskosten. Zahlreiche Häuser und Wohnungen gehören inzwischen reichen Ausländern, dienen als Feriendomizil oder zweiter Wohnsitz. Dadurch stehen viele Palazzi einen Großteil des Jahres leer. Vor allem jüngere Leute können sich das Leben in Venedig nicht mehr leisten. Obwohl Venedig eine Universitätsstadt ist, seit 1968 den Status der Volluniversität erfüllt und 4 Fakultäten aufweist, liegt das Durchschnittsalter mit etwas mehr als 20.000 Studenten bei erstaunlichen 47 Jahren. Keine junge Città – eben eine Methusalem-Stadt, in der sich in den vergangenen 40 Jahren die Zahl der Einwohner halbiert hat. Die Stadtväter müssen versuchen, den Trend aufzuhalten, der die Stadt beinahe zu einem historischen Disneyland verkommen lässt. Zunehmend verbreiten sich in dem Konstrukt der Gassen und auf dem umsatzstarken Markt „Museumsshop Venedig“ Souvenirläden aus Fernost, verdrängen kleine Einzelhändler, konkurrieren mit Fälschungen gegen die wertvolle Glaskunst,

die auf der nordöstlich von Venedig gelegenen Insel Murano produziert wird, ergänzt durch ein buntes Programm von Lederartikeln. Die große Nachfrage nach den billigen Fakes gefährdet mittlerweile die Existenz der traditionellen Glasbläser Muranos. Dokumentiert wird die tausendjährige Geschichte der Glasherstellung Venedigs übrigens im Museo del Vetro im Palazzo Giustinian an Beispielen von Vasen, Spiegeln, Trinkgefäßen und anderem filigranen und zerbrechlichen Kunsthandwerk. Den wichtigsten Kampf muss die Stadt gegen ihren wahrscheinlich gefährlichsten Gegner führen; das Hochwasser. Venedigs Hafen zählt zu den größten des Mittelmeeres und weist im Vergleich zu anderen eine Besonderheit auf: Er liegt inmitten einer Lagune eines flachen Binnenmeeres, die für Riesenschiffe naturgemäß nicht tief genug ist. Einzelne Kanäle wurden daraufhin 15 Meter tief ausgegraben, und die Erosion tat ihr Übriges dazu. Dadurch gelangt bei Flut immer und auch schneller Meerwasser in die Lagune


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Links Einblick in eine Werkstatt: Lieferungen erfolgen nur über das Wasser. Blick über den Rio di Sant´Andrea im Stadtsechstel Cannaregio. Foto: © Karin Diede-Becker

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und überschwemmt Venedig. Es beginnt immer an dem tiefgelegensten Punkt der Stadt, nämlich in San Marco. Gleichzeitig gibt der sandige und lehmige Untergrund der Inseln, auf denen die Fundamente der Stadt errichtet wurden, unter dem gewaltigen Gewicht der Bauwerke nach. Jedes Jahr sinkt Venedig tatsächlich um 2 Millimeter, wie ein internationales Forscherteam mit Hilfe von GPS- und Satellitenmessungen laut National Geographics festgestellt hat. Die Grundmauern der Palazzi und Kirchen sind meist parallel

und senkrecht zum Kanal angeordnet. Sie bestehen aus Mauerreihen, die knapp einen Meter tief in den Boden gebaut wurden. Kanalseitig ruhen die Fassaden auf Baumstämmen: Um zu verhindern, dass die Mauern an den Ufern abrutschen, wurden lange Pfähle aus Eichen, Ulmen, Lärchen oder Pappeln dicht aneinander in den Boden gerammt. Die Zwischenräume wurden mit Lehm und Schlick gefüllt und bilden so ein solides Fundament. Das Holz fault auch über Jahrhunderte nicht, da es komplett unter Wasser liegt und das

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Segelschulschiff „Amerigo Vespucci“ der italienischen Marine, vertaut am Riva degli Schiavoni.

Salz des einfließenden Meerwassers für die Konservierung sorgt: Das Holz mineralisiert und versteinert förmlich. Die Gebäude selbst sind zum großen Teil Konstruktionen aus Holz und Kalkstein sowie Ziegelsteinen aus Ton. Diese Bauweise ist so stabil, dass sie der Zeit trotzt und die Stadt sich heute noch in ihrem Kleid wie vor langer Zeit präsentieren kann. Immerhin bewohnen die Venezianer größten-

teils Häuser, die noch vor der Entdeckung Amerikas gebaut wurden. Zurück zum Wasser, dem Element, mit dem sich der Venezianer heute noch stärker verbunden fühlt als mit dem Land. Menschenhand förderte durch den Ausbau der Schifffahrtsstraßen das Hochwasser Venedigs – und kämpft heute darum, es wieder aus der Stadt zu verbannen.

Die Hochwasserschleuse „MO.S.E.“ soll ab 2016 die Stadt vor den jährlich signifikant zunehmenden Überschwemmungen des Acqua Alta schützen. Das bei Flut und niedrigem Luftdruck durch die Gezeiten und des Scirocco-Windes landeinwärts in die Lagune drückende Wasser soll durch dieses unter der Wasseroberfläche befindliche Schleusensystem gestoppt werden können. Das Projekt wurde heftig kritisiert und bekämpft, Baustopps und Kürzungen verzögern die Fertigstellung. Im Juni 2014 wurde der Bürgermeister Venedigs mit 34 weiteren Politikern und Bauunternehmern wegen Korruption im Zusammenhang mit dem Projekt verhaftet. „MO.S.E.“ trotzt, im Bau befindlich, dem politischen Zeitgeschehen, und wird voraussichtlich 2016 – nach der Investition einer geschätzten Bausumme von 5 ½ Milliarden Euro und weiteren zig Millionen jährlichen Unterhaltskosten – fertiggestellt. Ein Hochwasser wie im Jahre 1966 wird es dann wohl hoffentlich nicht mehr geben: Die Fluten stiegen damals 2 Meter hoch, und die UNESCO rief zur Rettung Venedigs auf. Auslaufendes Heizöl richtete größte Schäden an und wurde deshalb in der ganzen Stadt verboten. Heute wird in Venedig daher ausschließlich mit Gas geheizt. Während eines Espresso, den ich typischerweise für die Städter an der Bar im Stehen zu mir nehme, um den Mehrkosten für die Touristen zu entgehen, schweifen meine Gedanken zurück zu den Anfängen… Nachdem die ersten Fischersiedlungen bis in die etruskische Zeit zurückreichen, brachten sich Flüchtlinge hier im 5. Jahrhundert vor den Westgoten und den Truppen Attilas in Sicherheit. Venedigs Gründung wird auf das Jahr 421

Die rechteckige Friedhofsinsel San Michele (Insel der Toten), Blick von den Fondamente Nove aus. Alle Fotos: © Karin Diede-Becker

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datiert. Mit dem Einzug der Langobarden rund 100 Jahre später retteten sich weitere Siedler auf die Inselgruppen, lebten vom Fischfang und der Salzgewinnung. Letztere, die Verbundenheit mit dem Meer, die starke Handels- und Kriegsflotte, ergänzt durch das Handelsgeschick des venezianischen Volkes, brachte Venedig unermesslichen Reichtum und machte es zu einer Weltmacht. In den Ursprüngen wurde ein Doge als lokaler Stellvertreter des Exarchen von Ravenna, der wiederum als Statthalter des Byzantinischen Reiches in Oberitalien fungierte, eingesetzt. Mit der Emanzipation Venedigs von Byzanz stieg der Doge zum Herrscher einer Stadtrepublik auf. Sein Amt vereinigte sowohl militärische als auch richterliche Funktionen, so dass

Maskierte auf dem Markusplatz: Wie in alten Zeiten.

er im frühen Mittelalter eine fast uneingeschränkte Macht besaß. Dies wurde in der Mitte des 12. Jahrhunderts geändert, als dem Dogen, um Machtmissbrauch zu verhindern, der Große Rat und später der Rat der Zehn zur Seite gestellt wurden. Il Consiglio dei Dieci war eine Art oberste Kontrollinstanz, und nach dieser Zeit war das Amt des Dogen eher repräsentativ, obgleich er weiterhin den militärischen Oberbefehl innehatte. Der Adel besorgte die Politik, die gehobene Verwaltung sowie die Kriegs- und Flottenführung. Durch ihn wurde der Fernhandel, vor allem mit Luxuswaren, Gewürzen, Stoffen und Weizen dominiert. Die bürgerlichen Kaufleute, die Cittadini, die keinen Zugang zu den politischen Ämtern hatten, waren für Wertschöpfung und Schaffung von Geldmitteln zuständig. Die allgemeine Bevölkerung, die Populani, stellte das Heer, die Besatzung der Schiffsflotten und wiegelte das Handwerk ab. Wenn der Doge dann alljährlich am Himmelfahrtstag einen schweren, goldenen Ring feierlich und mit bedeutungsvoller Geste von seinem Schiff aus – dem vergoldeten Bucintoro – in die Lagune warf, feierte er und die ganze Stadt symbolisch die Vermählung mit dem Meer. Venedig, die Königin der Meere, zeigte demonstrativ seine Macht. In dieser Zeit war Venedig das europäische Zentrum der Unmoral und des Glücksspiels. Selbst Klöster wurden zu Tempeln der Leidenschaft. Als einer der bekanntesten Vertreter dieser Zeit gilt der venezianische Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova, der es schaffte, sogar den berüchtigten Mauern der Piombi (Bleikammern) des venezianischen Gefängnisses zu entweichen. Das Tragen von Masken machte alle gleich und erlaubte Mann und Frau, mit Gespielin bzw. dem männlichen Cicisbeo öffentlich zu verkehren: Gängig war beispielsweise der Opernbesuch mit Maske. Im Arsenale, dem Bezirk der Flottenbasis und Schiffswerften, waren rund 10.000 Menschen beschäftigt. Es liegt im Sestiere Castello und ist ein riesiges Arsenal aus Werkstätten, Lagerräumen, Gebäuden und Wasserbecken, in dem die hier einst erstellten Schiffe vom Stapel laufen konnten. Selbst Dante Alighieri erwähnte das Arsenale in seiner „Göttlichen Komödie“. 50 Galeeren konnten zu den besten Zeiten der Staatsrepublik im Monat produziert werden. Anlässlich des Besuches des französischen Königs demonstrierte man säbelrasselnd die stetige Kriegsbe-

„Venedig ist die Langsamkeit, die Stille, die beschauliche Ruhe, die jeder Mensch in der heutigen Zeit bräuchte.“ Giovanna Zanella, Schuhmacherin mit eigenem Geschäft, Venedig

reitschaft, indem man ihm während eines Banketts eine Galeere baute. Auf meinem Rundgang durch Venedig komme ich an hunderten von Löwenskulpturen vorbei. Insgesamt sollen es 2.500 Löwen aus allen Epochen sein, 75 Stück alleine am Eingang des Dogenpalastes, die Venedigs Schutzpatron, den Evangelisten Markus, symbolisieren. Dem Evangelisten erschien auf einer Überfahrt durch die Lagune, lange bevor Venedig errichtet wurde, ein Engel im Schlafe. Dieser soll ihn mit den Worten „PAX TIBI, MARCE, EVANGELISTA MEUS“ gegrüßt und ihm prophezeit haben, dass er hier einmal seine letzte Ruhestätte finden werde. Venezianische Kaufleute halfen nach, indem sie seine Gebeine von Alexandria nach Venedig entführten, wo ihm zu Ehren die Markusbasilika errichtet wurde. Der Gruß des Engels – Friede sei mit Dir, Markus, mein Evangelist – ist auf vielen Abbildungen des Markuslöwen zu sehen. Wird er mit einem geöffneten Buch, dem Evangelium gezeigt, symbolisiert er den Frieden. Das geschlossen gezeigte Buch deutet auf Kriegsbereitschaft hin. Viele Jahrhunderte sind seither vergangen. Nach der Eroberung Venedigs durch Napoleon im Jahre 1797 und der folgenden französischen und österreichischen Herrschaft wurde Venedig 1866 ein Teil Italiens. Die Welt hat sich verändert. Venedig hingegen trotzt dem Wandel und zeigt sich auch heute noch dem Besucher in einem fast unveränderten Festkleid. Marco Polo zog von hieraus in die Welt, erkannte aber trotz der Millionen Schätze, die er in aller Welt sah, die Einzigartigkeit seiner Heimat.

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Venezia war und ist heute noch Inspirationsquelle für zahlreiche Künstler, Dichter und Denker: Shakespeare, Albrecht Dürer, Vivaldi, Mozart, Lord Byron, Goethe, Verdi, Wagner. Letzterer starb in Venedig und wollte sogar trotz Krankheit dem Karneval nicht fernbleiben. Der glorreiche Satz: „Ich ziehe es vor, in Venedig zu sterben, als in einer anderen Stadt zu leben“, könnte aus seinem wie auch Strawinskys Munde stammen, der auf der nahezu rechteckigen Friedhofsinsel Venedigs, San Michele, beerdigt wurde. Goethe bezeichnete Venedig als „göttliche Republik“ und zeigte sich bei seinem ersten Besuch tief beeindruckt. 1829 schrieb Johann Wolfgang von Goethe während seiner „Italienischen Reise“: „Alles, was mich umgibt, ist würdig, ein großes respektables Werk versammelter Menschenkraft, ein herrliches Monument, nicht eines Gebieters, sondern eines Volks. Und wenn auch ihre Lagunen sich nach und nach ausfüllen, böse Dünste über dem Sumpfe schweben, ihr Handel geschwächt, ihre Macht gesunken ist, so wird die ganze Anlage der Republik und ihr Wesen nicht einen Augenblick dem Beobachter weniger ehrwürdig sein. Sie unterliegt der Zeit, wie alles, was ein erscheinendes Dasein hat.“ Durch die endlosen Calle und Rughe, über zahlreiche Fondamente entlang der mehr als 170 Kanäle, über manchen Rio terà einen zugeschütteten Kanal), viele Campi (befestigte Plätze, ehemalige Felder), über rund 435 Brücken, kleinere Campielli und durch manch einen Sotoportego unter Häusern und Palästen auf einen Corto (Innenhof) stoßend, erstreckt sich Venedig, deren Wasserfläche die Hälfte der Gesamtfläche der historischen Stadt ausmacht, auf über 120 Inseln. Eine einzige Piazza gibt es, und was für eine impo-

sante: Den Markusplatz, der das ehemalige Machtzentrum der Stadt darstellte. Napoleon nannte die Piazza San Marco den „schönsten Ballsaal der Welt“. Er wird von den Neuen und Alten Prokuratien, dem Uhrenturm Torre dell´Orologio, der Basilica di San Marco, dem Patriarchat und dem separat stehenden Glockenturm, dem Campanile di San Marco, gesäumt. Die angrenzende kleinere Piazzetta, der Platz unmittelbar vor dem Palazzo Ducale, verbindet den Markusplatz mit der Molo, dem Anlegeufer an der Lagune. Jedes dieser Gebäude ist ein einzigartiges Museum für sich. Hier nahm man früher sein Glas Rotwein im Schatten des Campanile ein. Da der Weinhändler mit dem Schatten des Turms über die Piazza weiterzog, verselbständigte sich die Bezeichnung un Ombra (ein Schatten) für das beliebte Gläschen. Heute ist das legendäre Getränk der Venezianer der Sprizz oder der süßere Bellini. Ich schlendere weiter durch geschichtsträchtige Gassen und erkunde verträumte Winkel. Meine Wege wähle ich fernab der Menschenströme aus aller Herren Länder, die allerorts auf Fotojagd den Tauben und Gondoliere auflauern und mit ihren Handys „Selfies“ für irgendein soziales Netzwerk schießen. Venedig kann auch sehr ruhig sein, erstaunlich still und menschenleer. An manchen Orten ist es kaum vorstellbar, dass man sich gerade an einem der beliebtesten Reiseziele weltweit befindet – Venedig zieht mehr Besucher jährlich an als die Millionenstadt Rom. Ganz Venedig ist ein historischer Zeitzeuge oder eben – ich kehre wieder zu diesem Vergleich zurück – ein Museum. Wohl das größte, lebendige und bewohnte Freilichtmuseum der Welt. Inmitten einer der engen, über 3.000 Gassen, in denen man schon nach wenigen hundert Metern seine Orientierung verlieren kann, erinnere ich mich an meinen ersten Besuch in ei-

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nem Freilichtmuseum: als Kind in Kommern in meiner Heimatregion am Rhein. Ich überlege, ob andere Städte mich jemals in dieser Art faszinieren konnten. Nein, Venedig ist nicht vergleichbar. Der amerikanische Schriftsteller Henry James urteilte treffend: „Es gibt zwei Arten von Städten: alle anderen und Venedig.“ Überall ist es möglich, Kunstschätze und Kuriositäten zu entdecken, wie zum Beispiel das steinerne Relief der alten Frau hinter dem Uhrenturm und der Piazzetta dei Leoncini. Sie soll daran erinnern, wie jene alte Dame einen Revolutionsführer mit einem versehentlich aus dem Fenster gefallenen Blumentopf – andere halten diesen für einen schlagkräftigeren Mörser – niederstreckte, und somit die Stadt vor einem Aufruhr rettete. Immerhin; sie durfte lebenslang mietfrei in der Metropole leben. Auf dem Gemüse- und Fischmarkt, dem legendären Mercato Venedigs, hört man schon seit nahezu 1.000 Jahren die Rufe der Marktleute – eine visuelle, akustische und olfaktorische Reise in vergangene Jahrhunderte. Il Ponte di Rialto, eine der berühmtesten Brücken der Welt, wurde im 16. Jahrhundert erbaut und verbindet das hohe Ufer (Rivus Altus) des Stadtteils San Marco mit dem damals wichtigsten Handelsplatz der Stadt, San Polo. Sie wird durch einen einzigen Segmentbogen aus Stein gestützt, dessen Sockel zu beiden Seiten auf jeweils 6.000 in den Boden gerammten Holzpfählen ruht. Köpfe, Masken, kunstvolle Figuren finden sich an allen Ecken und Kanten. Foto: © Karin Diede-Becker

Im jüdischen Ghetto, das diesen Begriff weltweit geprägt hat, im Sestiere Canareggio, ganz in der Nähe des Bahnhofes, stehen die höchsten Wohnhäuser der Stadt, da die Juden zwar den Schutz durch die Republik und damit eine große Rechtssicherheit innerhalb Europas genossen, aber in einem abgeschlossenen Wohngebiet unter beengten Verhältnissen lebten. Gerade habe ich die Orientierung verloren, nachdem ich einige Minuten gedankenverloren über einsame Pfade gelaufen bin. Endlich stoße ich wieder auf nützliche Hinweisschilder, die an den Hauswänden befestigt sind und auf die wichtigsten Ziele der Stadt hinweisen.

Die Piazzetta verbindet den Markusplatz mit der Lagune und wurde als Eingangstor der Stadt bezeichnet, so lange Venedig nur vom Meer her erreichbar war. Die zwei Säulen tragen die beiden Schutzheiligen Venedigs, den Hl. Theodor mit dem besiegten Drachen, und den den Evangelisten Markus symbolisierenden Löwen. Das geöffnete Buch zeigt die friedvollen Worte: „Pax tibi, Marce, evangelista meus“. Wurde der Löwe mit geschlossenem Evangelium präsentiert, sollte damit die Kampfbereitschaft signalisiert werden. Zwischen den beiden Säulen, von denen eine dritte auf den Grund des vorgelagerten Baccino di San Marco ins Wasser gestürzt sein soll, befand sich früher der Richtplatz. Noch heute geht kein Venezianer gern zwischen den beiden Säulen hindurch. Foto Doppelseite: © Thomas Schüpping www.schuepping.com

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Jeder Zeit ihre Kunst: Nebeneinander aufgereihte Palazzi am Canal Grande im Stil des Barock, der Gotik, der Renaissance und des venezianisch-byzantinischen Stils. Wunderbar zu erkennen der Aufbau der prunkvollen Handelshäuser: Mit Ausrichtung zum Kanal hin zeigen sich im Erdgeschoss Geschäfte und Lagerräume. Gegebenenfalls ein Zwischengeschoss für die Büros

der Kaufleute. Im prunkvollen ersten Stock das „Piano Nobile“ für den glanzvollen Empfang der Gäste, darüber die Wohnräume der Familie und im Dachgeschoss die Zimmer des Dienstpersonals. Die „Altana“ auf dem Dach bietet mit Frischluft am Abend eine angenehme Terrassenfläche. Foto: © Thomas Schüpping www.schuepping.com

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Zum Glück findet man sie reichlich. Eine Postanschrift in Venedig zu finden, kann zum reinsten Abenteuer werden: Sie zeigt nur Stadtteil und Hausnummer. Diese werden tatsächlich durchlaufend gezählt, bis in die Tausender. Man sollte daher möglichst neben der offiziellen Anschrift, die einen der sechs Stadtteile (Castello, San Marco, Cannaregio, Santa Croce, Dorsoduro und San Polo) benennt, auch einen Namen der jeweiligen Gasse kennen. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass viele Straßennamen mehrfach existieren, und die in venezianischem Dialekt geschriebenen Straßenschilder führen zusätzlich zu Verwirrungen. Eine „Calle della Madonna“ gibt es in Venedig sicherlich zehnmal! Meinen Weg wiedergefunden, stärke ich mich mit ein paar Cicchetti, kleine, ganz unterschiedlich belegte Weißbrotschnitten und Häppchen, die echte Spezialitäten Venedigs sind und in den Bars angeboten werden, und fahre meine Sinnesreise fort. In anderen Städten wird man ständig durch Motorengeräusche belästigt. Hier ist es eher ein singender Gondoliere, der die Stille durchschneidet, gelegentlich von einer Ziehharmonika begleitet, und das Staccato der Damenschuhe, das an den Mauern der Gassen widerhallt. Autos, Motorroller und Fahrräder sind in der Lagunenstadt verboten. Auch die Notdienste von Polizei und Feuerwehr sind mit Booten unterwegs. Le Gondole, früher übliche Fortbewegungsmittel der wohlhabenden Familien, waren damals 10.000 an der Zahl. Heutzutage fahren sie ausschließlich für die Touristen, 400 Gondeln sind es noch schätzungsweise, und das beliebte Fotomotiv will bezahlt sein. Bemerkenswert ist die stets unterschiedliche Forcola, der geschnitzte Steuerhalter, der niemals einem anderen gleicht. Auch die Gondel selbst ist eine Maßanfertigung für jeden einzelnen Gondelführer, dessen Ausbildung mehrere Jahre dauert und dessen Beruf ein lukratives Einkommen hat. Ideal für die seichten Gewässer, wird die Gondel nur durch ein Ruder gesteuert und ist leicht schief gebaut, wodurch sie sich nicht im Kreise dreht, sondern geradeaus fahren kann.

Venezianisches Verkehrsnetz: Einbahn-Kanäle, Straßenspiegel. Links: La Gondola, seit einem Dogenentscheid ausschließlich in schwarz gestrichen, siebenmal lackiert, aus 280 Teilen und 8 verschiedenen Hölzern gefertigt. Rechts das einfacher angefertigte Sandolo mit einem traditionell gekleideten Gondoliere. Foto: © Thomas Schüpping www.schuepping.com

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Venedig war Jahrhunderte lang eine Supermacht. Militärisch, wirtschaftlich sowie kulturell. Militärisch hat Venedig heute kaum eine Bedeutung mehr. Wirtschaftlich – die Industrie im vorgelagerten Marghera blüht nicht mehr, auch Norditalien hat längst der wirtschaftliche Tiefpunkt erreicht. Die Politik bleibt trotz oder gerade wegen ständiger Regierungswechsel instabil, wenngleich die Region noch immer mit Abstand zu den reichsten Gebieten Europas zählt. Kulturell ist Venedig unangetastet ein Abenteuer wie anno dazumal und selbst bei einem Aufenthalt von mehreren Wochen nur rudimentär erfassbar. Ein Mekka für Kunsthistoriker und Geschichtsforscher, Wissenschaftler und Studenten aller möglichen Fakultäten.

Anlaufstelle für Verliebte, Flitterwöchler und solche, die ein Jubiläum feiern. Kinder entdecken die Lagune, bauen Burgen am Sandstrand des Lido, Jugendliche feiern moderne „White Partys“ am Meer. Pensionäre genießen das milde Klima während des Frühlings und im Herbst, Segler und Angler kommen in die Lagune und genießen verschiedene Regatten. Das Feuerwerk zum jährlichen Redentore schenkt atemberaubende Augenblicke und erinnert an die besiegte Pestepidemie mit all den leuchtenden Laternen. Läufer reisen in die Stadt, um einmal im Leben am Venice Marathon teilnehmen zu können, Hartgesottene schwimmen am Neujahrstag am Lido in eiskaltem Wasser. Der nach alten Traditionen erst wieder in den 70er Jahren

zu neuem Leben erweckte Carnevale di Venezia treibt die Flug- und Hotelkosten in dieser Jahreszeit in die Höhe. Carnevale ist das aus Venedig stammende Wort, das so viel bedeutet wie „Fleisch ade“, und die bevorstehende Fastenzeit einläutet. Heute finden in der Stadt zwar nicht mehr wie in den Hoch-Zeiten Schweinejagden und Stierhetzen statt, aber Karnevalisten und Kostümnarren finden ihresgleichen aus aller Welt, präsentieren sich auf den Campi und besuchen die festlichen Bälle. Kulinarisch und bestenfalls durch Ratschläge an die rechten Adressen geführt, kommt der Genussmensch auf seine Kosten und speist Moeche, Risotto di Gò, Baccalà, Sarde in Saor und die Verdure di Sant´Erasmo von Venedigs Gemüsein-


sel. Liebhaber der Musik und der Kunst werden genauso bedient wie solche der Architektur. Die Internationalen Filmfestspiele am Lido sind Dreh- und Angelpunkt für großes Kino und schleusen Weltstars en masse in die Stadt. Durchaus begegnet man einem Filmstar so ganz nebenbei. Galeristen, Kuratoren, Kunstsammler und Künstler treffen sich zum Stelldichein während der Esposizione Internazionale d´Arte - Biennale di Venezia und setzen bedeutende Akzente für den zeitgenössischen Kunstmarkt. Die Liste könnte endlos fortgeführt werden – Venedig hat jederzeit und für alle etwas zu bieten. »Man hat mich zu Tode fotografiert«, sagte einst die Filmdiva Marlene Dietrich, und ebendieser Satz könnte von der un-

ermüdlich ihren Zauber versprühenden Stadt in der Lagune stammen. Alltags kann es anstrengend sein und einem Slalom gleichen, sich einen Weg durch die wimmelnden Touristen zu bahnen und dabei noch zu versuchen, nicht als Motiv auf den unendlichen Fotos zu landen.

Ein architektonisches Meisterstück neben dem anderen, von links nach rechts: Procuratie Vecchie, der Uhrenturm (Torre d´Orologio), der Palast des Patriarchen von Venedig, die Basilica di San Marco, der 98 Meter hohe Campanile, die dahinterliegende Porta della Carta, der Dogenpalast (Palazzo Ducale) und die Procuratie Nuove. Foto: © Thomas Schüpping www.schuepping.com


1720 unter den Arkaden der Neuen Prokuratien eröffnet, entdeckt man das älteste Kaffeehaus Italiens, das Caffè Florian, nur in den frühen Morgenstunden so still. Hier weilten bereits Größen wie Goethe, Lord Byron, Giacomo Casanova, Richard Wagner oder Thomas Mann.

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Nach der Eroberung Venedigs residierte hier Napoleon und ließ den Verbindungstrakt zwischen den Procuratie Nuove und den Procuratie Vecchie errichten, so dass die Piazza San Marco dreiseitig von ihnen umschlossen wurde. Foto: © Thomas Schüpping www.schuepping.com


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Schaulaufen im Carnevale di Venezia mit kostümierten Besuchern aus aller Welt. Fotos: © Karin Diede-Becker

Sogar allein die Kirchen sind eine Reise wert: Im historischen Zentrum finden sich über 90 der Prachtbauten. Die schönsten, imposantesten unter ihnen sind neben der Basilica di San Marco die beiden aus Dankbarkeit für die besiegte Pest erbauten Kirchen Madonna della Salute und die Erlöserkirche Santissimo Redentore, Madonna dell´Orto, San Giacomo Dall´Orio,

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die zu den ältesten Kirchen Venedigs zählt, die gelegentlich als „Schmuckkästchen“ bezeichnete Kirche Santa Maria dei Miracoli, die durch ihre charakteristische Marmorverkleidung fasziniert, die Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari, die Kirche der Heiligen Johannes und Paulus, die Scalzi-Kirche, San Polo, San Sebastiano, Santa Maria della Pietà, die Kirche San

Moisé, Santa Maria del Rosario, San Giorgio Maggiore und die beiden auf der Insel Torcello liegenden Kirchen Santa Fosca und Santa Maria Assunta, deren wertvolle Mosaike von enormer kunsthistorischer Bedeutung sind. Stundenlange Auseinandersetzungen mit kunstgeschichtlichen, mineralogischen, historischen und theologischen Experten wären hier angebracht.


last, für den man mindestens 3 Stunden einkalkulieren und den man unbedingt mit einer Führung oder zumindest einem Audio-Guide erkunden sollte. Weiterhin beinhaltet der Museums- Pass den Zugang zum Museo Correr, dem Städtischen Museum im Napoleonischen Flügel der Prokuratien am Markusplatz, dem Nationalen Archäologischen Museum in den neuen Prokurationen, der Nationalbiblioteca Marciana und dem Uhrenturm am Markusplatz. Auch der Eintritt in das Ca´Rezzonico, das Museum des venezianischen 18. Jahrhunderts, den Palazzo Mocenigo, in dem man historische Textilien und Kostüme findet sowie Handelswaren Venedigs anschaulich gezeigt werden; das Museo Carlo Goldoni, in dem das Theatermuseum und Geburtshaus des Komödiendichters und Librettisten präsentiert werden, das Ca‘Pesaro mit moderner Kunst von Klimt, Kandinsky, Klee und Zeitgenossen und das Museo Fortuny, das Fotographien, Design und Malerei thematisiert, werden durch den Pass abgedeckt.

Ich kämpfe mich alleine weiter durch die venezianische Vielfalt, gesammelte diverse Literatur auf drei Sprachen im Gepäck. Der Eintritt zu den meisten Kirchen ist frei, in wenigen wird eine geringe Gebühr zur Instandsetzung erhoben. Selbst in den unscheinbarsten und kleinsten Gotteshäusern sind Kunstwerke von unschätzbarem Wert, so wie Tintorettos „Fußwaschung“ in der

Mose-Kirche, oft ganz nebenbei, zu finden. Weder Venedig, noch seine unzähligen Museen kann man in wenigen Tagen wirklich besichtigen. Wer etwas mehr Zeit mitbringt, kann online einen Museumspass erwerben unter www.veneziaunica.it. Mit diesem Pass hat man Zugang zu allen städtischen Museen wie dem Dogenpa-

“Venedig ist für mich die Stadt meiner Kindheit, an der hunderte Erinnerungen hängen, sie ist einzigartig, manchmal etwas überfüllt und verschmutzt, aber ich liebe sie über alles!”

Anouck Tositti Studentin

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O.: Die Barockkirche Santa Maria della Salute am Canal Grande, als Dank für die Errettung von der Pest errichtet. Unten Links: Altar in der barocken Salutekirche mit einem Marienbild byzantinischer Herkunft. Unten Rechts: Kunstschätze und Historik zwischen Alltag und normalem Leben: Bunte Wäscheleinen und die Kirche Santa Maria Assunta nahe der Fondamente Nove. Fotos: © Karin Diede-Becker Rechts: Glanz und Gloria: Venezianische Weihnachtsmesse in der Markusbasilika mit dem Orchester des Teatro La Fenice. Foto: © Michele Crosera / Fondazione Teatro La Fenice

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„Venedig ist meine Welt und meine Dimension. Sie schafft es immer wieder, mich in staunende Sprachlosigkeit zu versetzen.“ Guido Fuga Professore d´Orchestra - Gran Teatro La Fenice Eines der schönsten Opernhäuser der Welt: Das Gran Teatro La Fenice, dreifach dem Feuer zum Opfer gefallen, ebenso oft wie Phönix aus der Asche aufgestiegen, erstrahlt es heute umso mehr. Foto oben: © Karin Diede-Becker Foto: © Michele Crosera / Fondazione Teatro La Fenice

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Der Pass beinhaltet aber auch den Zutritt zum Glas-Museum auf Murano, dem auf der Insel Burano gelegenen Klöppel-Museum, dem Naturkunde-Museum im Palazzo „Fondaco dei Turchi“, das eine Alt und Jung faszinierende, gelungene Schau in einem historischen Gebäude, kombiniert mit modernstem Museumserleben präsentiert, und dem für Venedigs Historie so wichtigen Schifffahrtsmuseum an der Riva di San Biagio.

„Ohne Zweifel hat Thomas Mann mit seiner Novelle ´Der Tod in Venedig´ uns so beeindruckt, dass Venedig seither mit einem Bild des Todes verknüpft ist. Der Tod ist hier mit dem Leben verflochten, durch jenes enge Zusammenleben und Abwechseln von verschiedenen Stilen, von Ausdrucksweisen unterschiedlicher Epochen, von aristokratischem Überfluss und würdiger Armut.“

Kaum ein prominenter Repräsentant der mehr als 500-jährigen Geschichte der venezianischen Malerei fehlt in der einzigartigen Ausstellung der Accademia, die in den Gebäuden der ehemaligen Bruderschaft Santa Maria della Carità am Südufer des Canal Grande im Stadtsechstel Dorsoduro untergebracht ist. Sie zählt zu den bedeutendsten Gemäldegalerien der Welt mit Meisterwerken von Bellini, Canaletto, Carpaccio, Giorgione, Tintoretto, Tizian, Tiepolo und Veronese.

Prof. Nevia Pizzul-Capello Präsidentin der Deutsch-Italienischen Kulturgesellschaft ACIT Venezia

Eine außerordentliche Sammlung moderner Arbeiten von Picasso, Kandinsky und Miró über Max Ernst, Piet Mondrian, Paul Klee oder Hans Arp findet man in der Peggy Guggenheim Collection in dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden, unvollendeten Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande. Viele weitere museale Stationen sind einen Besuch wert, wie das Ca´ Corner della Regina (Fondazione Prada), das Museo d´arte erotica, das Museo d´arte orientale, der Palazzo Grassi, die Pinacoteca e museo di San Lazzaro degli Armeni, auf deren Insel ursprünglich das Krankenhaus für Leprakranke untergebracht war, die Pinacoteca Manfrediniana und das Museum Punta della Dogana am ehemaligen Zollpunkt Venedigs. Nicht versäumen sollte man auch einen Besuch im Gran Teatro La Fenice. Das größte Opernhaus der Stadt zählt zu den schönsten der Welt. Die Venezianer nennen es liebevoll „La Bonboniera“, die Pralinenschachtel. Das Theater, das im Februar 1996 von einem verheerendem Feuer heimgesucht wurde, entstieg bereits dreimal wie Phoenix aus der Asche und wurde im Jahr 2006 festlich und mit neuester Technik ausgerüstet wieder eröffnet: Die originalen Pläne und das ur-

Links: Verdi´s Othello im Innenhof des Dogenpalastes: kunstvolles Spektakel am Original-Schauplatz Foto: © Michele Crosera / Fondazione Teatro La Fenice

sprüngliche Modell waren glücklicherwei- libran und ehemalige Teatro San Giovanni se nicht dem Feuer zum Opfer gefallen. Grisostomo im Stadtsechstel Cannaregio, Seither gibt es in Venedig Hydranten: Die wird ebenfalls vom Ensemble des Teatro Feuerwehr konnte seinerzeit durch das La Fenice bespielt. Hier werden vorwiein den Kanälen stehende Niedrigwasser gend kleinere, aber auch qualitativ hochnicht zum Theater vordringen. Die Ende wertige Produktionen gezeigt. November 2014 beginnende neue Opernund Ballettsaison des Teatro La Fenice, die Und noch eine Station gilt es für mich Tausende weltweit faszinierte Musiklieb- anzusteuern: An der Fondamenta haber sehnsüchtig erwarten, wird mit Sant´Andrea im Stadtsechstel Cannaregio Verdis hier uraufgeführten Opern „Simon betrete ich den Palazzo Albrizzi, dessen Boccanegra“ und „La Traviata“ gleich Fassadenstil an seine Erbauungszeit in zweifach eingeweiht. Das Theater mit den Anfangsjahren des 16. Jahrhunderts seiner einzigartigen Akustik weist 1.000 erinnert. Der Portego lädt den Besucher Sitzplätze auf und wird ganzjährig, auch ein. Typisch der romantische Innenhof mit außerhalb der Opernsaison, durch das einem kleinen Garten. Der Hauptsaal im „Orchestra del Teatro La Fenice“ mit Sin- Piano Nobile ist aufwendig mit Stukkatufoniekonzerten bespielt. Kein Opernhaus ren und Fresken der Schule des Tiepolo in Italien bietet mehr Opern- und Kon- verziert, und angrenzend findet sich der zertabende an. Die Aufführungen sind „Sala della Pace“, dessen Deckengemälde fast immer ausverkauft. Das Theater zählt von Guarana auf den Namenstitel hinweizu den bedeutendsten Bühnen Europas sen. Aufwendig mit Damasttapeten ausund erlebte zahlreiche Ur- und Erstauffüh- gekleidet, bildet er eine Einheit mit dem rungen. Zwei Monate nach Richard Wag- angrenzenden ersten Saal. ners Tod in Venedig fand hier 1883 auch die italienische Erstaufführung seines vierteiligen „Der Ring des Nibelungen” statt. Während der akustische Genuss am Abend in die Oper oder das Sinfonie-Konzert zieht, ist der visuelle Genuss tagsüber mit einem Audioguide oder einer persönlichen Führung erlebbar. Mit ein wenig Glück kann man einer Probe des Orchesters beiwohnen oder die Arbeiten zu einer Opernproduktion samt Regie sehen. Der Hauptsaal des Palazzo Albrizzi in Cannaregio, Sitz der Deutsch-ItalieniDas zweite Opernhaus schen Kulturgesellschaft und Prüfungszentrum Goethe-Institut. der Stadt, das Teatro MaFoto: © ACIT / Palazzo Albrizzi

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„Venedig ist himmlisch veraltet: zeitunabhängig trägt sie herrliche Farben, und zwischen ihren Falten trägt sie ihre wertvollsten Juwelen. Sie weiß zu faszinieren, ist viel geliebt, aber öffnet ihr wahres Herz nur wenigen.“ Gianni Boldrin Lehrer

Der kleine Musiksaal ist ein weiteres Schmuckstück, in dem sich tanzende Figuren, eingefasst in Medaillons, Nymphen und Ranken das Deckengemälde umrahmend wiederfinden. Wertvolle Kronleuchter aus Muranoglas mit alabasterweißen Reflexen greifen einzelne Motive der Rose wieder auf. Die glänzenden Terrazzo-Böden mit vielen Details spiegeln das Licht wider, das durch die hohen Fensterbögen vom Kanal her dringt. In all der Schönheit hier ist Kultur pur zu finden: Als Sitz der im Jahre 1971 gegründeten Deutsch-Italienischen Kulturgesellschaft ACIT (Associazione Culturale Italo-Tedesca) und zertifiziertem Prüfungszentrum des Goethe-Instituts wird hier seit über 40 Jahren die deutsche Sprache und Kultur vermittelt. Gegründet wurde das Institut durch das deutsche Generalkonsulat in Mailand sowie das deutsche und österreichische Honorarkonsulat unter Beteiligung der lokalen Handelskammer. Zum Vorstand gehören bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Stadt, die einen Präsidenten stellen. Prof. Nevia Pizzul-Capello, die Präsidentin der Gesellschaft, wurde für ihre Arbeit bereits mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und erster Klasse ausgezeichnet. Autofähre zum Lido mit der herausstechenden Bergfront im Hintergrund Venedigs. Kein Wunder, dass die meisten Venezianer ausgezeichnete Skifahrer sind. Fotos: © Karin Diede-Becker

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Sonnenuntergang über der Lagune, Blick vom Lido di Venezia aus. Foto: © Karin Diede-Becker

Die gemeinnützige Gesellschaft, die seit ihrer Gründung Sprachkurse, Konzerte, Kunstausstellungen, Theateraufführungen, Filmvorführungen, Konferenzen, Seminare und Reisen im Bezug zum Deutschen Kultur- und Sprachraum organisiert, hat eine große Zahl von Freunden, die deren kulturelle Veranstaltungen regelmäßig besucht. Das Institut besitzt hervorragende Verbindungen zur Universität Ca´ Foscari und kooperiert erfolgreich mit der Richard-Wagner-Gesellschaft Venedigs. Bedeutende Veranstaltungen wie die „Musikalischen Nachmittage in Venedig“, große Retrospektiven wie „Barlach und Goethe“, „Otto Dix“, „Max Ernst“ oder die jüngst stattgefundene Ausstellung „Etty Hillesum – Maestra di Vita“, die in den herrlichen Räumen des Palazzo Albrizzi gezeigt wurden, sind ebenso hervorzuheben wie die kontinuierliche Teilnahme im Rahmen eines Collateral-Events zur Internationalen Kunstausstellung der Biennale von Venedig: 19.000 Besucher konnten im Palazzo Albrizzi anlässlich der internationalen Kunstschau in 5 Monaten gezählt werden. Die bevorstehende Biennale, die dem Thema „All the World´s Futures“ unterstellt ist, erwartet eine noch größere Aufmerksamkeit: Die in Mailand stattfindende EXPO 2015 weitete ihre Grenzen bis nach Venedig aus, und die Laufzeit der Biennale 2015 wurde vom 9. Mai bis zum 22. November verlängert. Kunst und Kultur en masse - die UNESCO tat Recht daran, als sie wegen seiner außergewöhnlichen Architektur und aufgrund des großen Reichtums an Kunstschätzen Venedig 1987 ins Weltkulturerbe erhob. Wenn auch einige Museen Venedigs zumindest in den Wintermonaten mit eingeschränkten Öffnungszeiten

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arbeiten, hat die Königin der Meere hingegen 24 Stunden geöffnet, 365 Tage im Jahr – und das seit mehr als 1.000 Jahren. Das Einzige, was einem passieren kann, ist, dass die Welt ein wenig stehen bleibt: Sciopero. Dann streikt die Belegschaft der Verkehrsbetriebe, Vaporetti fahren nicht mehr und Busse am Piazzale Roma bleiben stehen. Sogar die Lehrer an den öffentlichen Schulen verweigern ihre Arbeit. Es ist mittlerweile später Abend, der Ansturm bis 22.30 Uhr in den Restaurants ist vorbei. Die Lokale servieren noch einen Caffè, ein Dolce nach dem Essen, einen Grappa zum Aufräumen. Kaum eine andere Stadtkulisse bietet solch ein atemberaubendes Schauspiel wie Venedig. Das Wasser spiegelt ständig sich ändernde Lichtreflexe auf die alten Gemäuer, die seit ewigen Zeiten an der gleichen Stelle der Dinge harren. Dennoch, die Stadt ist lebendiger denn je, kaum jemand kann sich ihrem Charme entziehen. Wenn man sein Herz wirklich öffnet, kann sie einem viele Geschichten erzählen. Mich hat sie längst in ihren Bann gezogen… Ein Spaziergang am Meer entlang in der Dunkelheit der Nacht lässt meine Gedanken wieder frei. Ich atme die salzige Luft des adriatischen Meeres tief ein. Da ist wieder die Erkenntnis, dass Italien und insbesondere die Erlauchteste, la Serenissima, eben bezaubernd anders sind und anders ticken. Apropos ticken. Mezzanotte: Mitternacht. Vom Markusplatz herüber ruft sich la Marangona in mein Gedächtnis. Diese wunderbare, 3.625 kg schwere Glocke des Campanile, deren dunkles „a“ durch die gesamte Lagune ertönt, erinnert daran, dass sie früher zur Sitzung des Großes Rates läutete und den Vene-

zianern den Anfang und das Ende eines Arbeitstages bedeutete. Auch mein Tag ist nun zu Ende. Todmüde falle ich voller wunderbarer Eindrücke ins Bett und freue mich auf ein Wiedersehen in Venedig. Zu jeder Jahreszeit - benvenuti!

Über die Autorin: Karin Diede-Becker Kulturmanagerin, lebt im Kreis Ahrweiler und in Venedig Seit 15 Jahren im Bereich Eventmanagement, Marketing und PR in kulturellen Einrichtungen tätig. Durchlief Stationen als Selbständige auf dem freien Kunstmarkt, Verantwortliche des Kulturbüros ihrer Heimatregion und arbeitete für verschiedene Museen, u. a. das Arp Museum Bahnhof Rolandseck und das Mineralogische Museum der Universität Bonn. Wirkt heute als Freelancer und Kulturreferentin der Deutsch-Italienischen Kulturgesellschaft ACIT in Venedig und fungiert als erste Deutsche Repräsentanz für das Gran Teatro La Fenice.


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Nach einer Bauzeit von vier Jahren öffnete das Musée d‘ethnographie de Genève (MEG) Ende Oktober 2014 seine Pforten. Das neue MEG ist aus dem gemeinsamen Willen entstanden, ein zeitgemässes, anspruchsvolles Museum zu schaffen und den ethnografischen und musikethnologischen Sammlungen einen Rahmen zu geben, der ihrer würdig ist und sie einem möglichst breiten Publikum zugänglich macht. In der Dauerausstellung, «Archiv der menschlichen Vielfalt», werden mehr als tausend Objekte aus fünf Kontinenten gezeigt. Die Szenografie stammt von Atelier Brückner aus Stuttgart. Mit der Sonderausstellung «Die Könige der Mochica. Gottheit und Macht im alten Peru», inszeniert von mcbd architectes, erhält das MEG das hohe Privileg, dank einer aussergewöhnlichen Leihgabe des Kulturministeriums von Peru in einer Weltpremiere die Schätze aus einem Grab zu zeigen, das 2008 an der peruanischen Nordküste freigelegt wurde. Das neue MEG hat fünf Ebenen. Im zweiten Souterrain erstreckt sich der grosse Ausstellungsraum, über 2020 m2 und über eine Höhe von teilweise bis zu 10 Metern. Die als Black Box konzipierte Halle ist durch bewegliche Wände aufteilbar und lässt eine Fülle unterschiedlicher Ausstellungsszenarien zu. Technisch bemerkenswert: die Deckenplatte ruht nicht auf Stützen, sondern ist an den tragenden Querwänden des darüberliegenden Geschosses aufgehängt. Im ersten Souterrain befinden sich das Foyer, das Auditorium mit 250 Plätzen, zwei Seminarräume, Technik- und Lagerräume. Die Wände der Haupttreppe sind mit gestaffelten Metallbahnen in zwei Farben so verkleidet, dass je nach Gehrichtung zwei unterschiedliche Stimmungen entstehen: weiss und lichtvoll beim Hinuntergehen, braun und rätselhaft beim Hinaufgehen.

MUSÉE D’ETHNOGRAPHIE DE GENÈVE - MEG

Foto: © Daniel Stauch Unten: © Maquette / Graber Pulver Architekten

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In der Dauerausstellung werden, basierend auf der Leitidee des Schaudepots, über 1000 Objekte auf rund 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche gezeigt. Sie sind in farbkodierten Großvitrinen angeordnet, die den fünf geografischen Abteilungen des Hauses entsprechen: Afrika, Amerika, Asien, Europa und Ozeanien. Zudem wird die Abteilung für Musikethnologie anhand von Instrumenten und akustischen Beispielen vorgestellt. Blickfang jeder geografischen Abteilung ist ein herausragendes Exponat, das sich als Solitär zwischen den Vitrinen einordnet. Die

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ausgestellten Objekte sind eindrucksvolle Botschafter der Vielfalt der Kulturen der Welt. Zahlreiche Bezüge und Querverweise sind möglich. Ein Multimedia-Guide des Museums bietet thematische Rundgänge an. Der Besucher betritt dieses enzyklopädische Archiv über einen hellen Prolograum, der ihn auf die Vielfalt der Sammlung einstimmt und deren Ursprung erläutert. Die Exponate sind hier auf einem großen Tisch, gleich einer Arche, in thematischen Gruppen angeordnet. Sie werden

als Kuriositäten, Raritäten, Exotika, als Kunstgegenstände mit Marktwert, als von Missionaren gesammelte ambivalente Objekte, als diplomatische Geschenke und schließlich als Artefakte aus der wissenschaftlichen Feldforschung vorgestellt: Ein vielfältiges, facettenreiches Ensemble, das sich zu einem beeindruckenden Bild zusammenfügt. Die großformatige Videoinstallation „Mer“ (Meer) des Künstlers Ange Leccia, die sich hinter dem Ensemble ausbreitet, verleiht dem Raum eine kontemplative Note.


Fotos: Š Daniel Stauch

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Foto: Š Daniel Stauch


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Anz1-2 MuseumdeJWokokneinnein_Layout 1 19.11.14 13:46 Seite 1 Fotos: © Daniel Stauch

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Ausstellung „Die Mochica Könige“ Gottheiten und Machtverhältnisse im alten Peru. Foto: © MEG, B. Glauser

Die Könige der Mochica. Gottheit und Macht im alten Peru. 1. November 2014 bis 3. Mai 2015 In einer Weltpremiere sind dank einer aussergewöhnlichen Leihgabe des Kulturministeriums von Peru erstmals die Keramik-, Gold- und Silberschätze aus einem Königsgrab der Moche-Kultur (100-800 n.Chr.) zu sehen, das 2008 an der peruanischen Nordküste freigelegt wurde. Der mit Unterstützung des Bundesamtes für Kultur vor Ort restaurierte Ausnahmefund

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wird durch bedeutende Leihgaben aus dem ethnologischen Museum Berlin und dem Museum für Völkerkunde in Stuttgart ergänzt. In einer Szenografie von mcbd architectes zeigt die Ausstellung die komplexen Beziehungen zwischen Ökologie, Macht und Religion auf, welche an der Entstehung und Konsolidierung eines der ersten präkolumbianischen Andenstaaten beteiligt waren. Das Kulturministerium von Peru erweist

der Stadt Genf eine grosse Ehre und gewährt ihr das Privileg, die archäologische Sammlung des «Señor de Ucupe» aus der Kultur der Mochica in einer Weltpremiere auszuleihen und auszustellen. Wir sind sehr dankbar, dass wir für die erste Sonderausstellung im neuen MEG auf eine so bemerkenswerte Sammlung zurückgreifen können. Unter deren knapp dreihundert Objekten, alle eintausendfünfhundert Jahre alt, befinden sich rund


Oben: Gürtelornament, Peru, 6.-7. Jh. Museo Tumbas Reales de Sipán, Chiclayo. Foto: © MEG, J. Watts / Ministerio de Cultura del Perú, Lima

hundert Grabbeigaben, die 2008 von den Archäologen Bruno Alva Meneses und Steve Bourget in der Ortschaft Ucupe an der Grabungsstätte Huaca El Pueblo freigelegt wurden. Zwischen dem ersten und dem achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entwickelten die Moche oder Mochica einen Staat, mithin eine zentralisierte, hierarchisch strukturierte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Orga-

nisation; und das, ohne die wichtigsten technischen oder geistigen Neuerungen gekannt zu haben, die in der Regel mit der Heranbildung von «Zivilisation» und Staat verbunden werden: sie kannten weder das Rad, noch Geld, Schrift oder Marktwirtschaft. Mit dem Projekt «Die Könige der Mochica. Gottheit und Macht im alten Peru» will das MEG erstmals eine Ausstellung verwirklichen, die sich im wesentlichen

auf Ausgrabungsfunde und auf archäologische Daten aus erster Hand stützt. Es handelt sich um die Umsetzung eines ethischen Anspruchs und die Gelegenheit zu beweisen, dass das MEG hier wie in der Ethnografie die Präsentation von Erkenntnissen aus wissenschaftlicher Arbeit über das Ausstellen entkontextualisierter Sammlungen stellt. Der Schatz des «Señor de Ucupe» ist hierfür geradezu ideal geeignet.

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Links: Ohrschmuck Krieger, Ente Rechts: Grabmaske Peru, 6.-7. Jh. Museo de Sitio de Chan Chan, Trujillo Fotos: MEG, J. Watts / Ministerio de Cultura del PerĂş, Lima

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Totenmaske, Peru 6.-7. Jh. Linden-Museum, Stuttgart Foto: Š Anatol Dreyer, Linden-Museum, Stuttgart

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ArchäoMontan 2014 Falkenhofmuseum 2013 Museum Wiesbaden 2013

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Landesmuseum Mainz 2012 Archäologisches Museum Herne 2012 Museum Het Valkhof 2012 Drents Museum 2011 Reiss Engelhorn Museum 2011 Römermuseum Haltern 2009 Archäologische Staatssammlung 2008 Focke Museum 2007 179


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