Unser Haus hat eine bewegte Geschichte... Was 1875 an der Strasse nach Morteratsch mit einem einfachen Verkaufsstand begonnen hatte, entwickelte sich unter dem Bergführer Valentin Kessler sehr bald zu einem beliebten Ausgangspunkt für Gletscherwan‐ derungen und Bergtouren. Nach der Fertigstellung der Bernina-Bahn im Jahre 1910 haben auch in den fol‐ genden Jahrzehnten weiterhin unzählige Gäste aus aller Welt im - notabene seit 1994 total um- und ausge‐ bauten - Hotel Restaurant Morteratsch Halt gemacht. Nicht nur eine Sage rankt sich um das Morteratsch Vor vielen Jahren sommerte auf der Alp, wo jetzt hinter Pontresina der kolossale Morteratsch-Gletscher liegt, ein junger Senn mit Namen Aratsch, die Kühe des Dorfes. Er liebte die Tochter des reichsten Bauern in Pontresina, aber dieser, ein geldstolzer Mann, schlug sie ihm ab und gab sie dem reichen Besitzer der Burg oberhalb des Dorfes. Aratsch aber ging in die Fremde und wurde Soldat. Nach Jahren kehrte Aratsch als Offizier zurück; bei Nacht trat er in Annettas Elternhaus, fand aber die Ge‐ liebte auf dem Totenschrein liegen, unter dem Spiegel, nach Landessitte, von Blumen umgeben. Stumm schaute er auf das bleiche Gesicht, dann stürmte er fort, schwang sich auf sein Ross, sprengte zu der Alp, wo er einst gehütet hatte, und weiter zu dem Gletscher, der dahinter lag und spornte sein treues Tier zum grausen Sprunge in eine Gletscherspalte. Niemand hat ihn wieder gesehen. Auf dieser Alp sennte damals der alte Barba Gian. Der hörte seither oft in stillen Nächten ein seltsames Hantieren in seiner Hütte, es war als jemand von einer Gebse zur anderen ginge und die Milch besorgte, und zwischen hinein ertönte eine klägliche, weibliche Stimme: „Mort Aratsch, Mort Aratsch!“ (Aratsch ist tot) - Das war Annettas Geist, der nach ihrem Tode noch an den ihres Geliebten gefesselt war. Gian liess den Geist gewähren und als er in hohem Alter das Senntum aufgab, empfahl er seinem Nachfol‐ ger, ein Gleiches zu tun, es werde sein Vorteil sein, denn seit der Geist da weile und walte, sei die Alp bes‐ ser geworden, und die Kühe gäben mehr Milch und besseren Rahm als vordem, auch verunglücke selten mehr ein Stück Vieh. Aber der junge Senn war rohen und hartherzigen Sinnes, und als der Geist wieder kam und in die Milchgebsen schaute, ob alles recht und in Ordnung sei, von jeder wieder wegging und klagte: „Mort A‐ ratsch, Mort Aratsch!“ da tat er einen furchtbaren Fluch und wies die arme Seele auf ewig aus der Hütte, und die Mort Aratsch-Jungfer entwich mit schmerzlichem Weinen. Aber aus der Höhe hörte der Senn noch ihre zürnende Stimme: „Schmaladia saja quaist alp e sia pastüra!“ Von Stund an rückte der Gletscher aus seiner Schlucht zusehends vor und überzog in kurzer Zeit die Alp, die Hütte und das ganze Seitental, bis dahin, wo jetzt die Alp Nova ihr weniges Gras nährt. Nur die BovalHütte, hoch oben am Gletscher, und die Isla persa (verlorene Insel) mitten in Eis und Schnee, erinnern noch an die alte Alp. In stillen Nächten aber vernimmt man noch bisweilen tief unten das Läuten der Herd‐ englocken und die Klage um Aratsch. Der Gletscher aber trägt noch heutzutage zum beständigen Andenken an Aratschs Tod den Namen Morte‐ ratsch-Gletscher. Andere erzählen, die Pontresiner hätten, auf die Beschwerde des jungen Sennen hin, den Geist durch einen Kapuziner wollen bannen lassen. Der habe zwar die Hütte von dem Geiste befreit, aber sofort sei sie auch in Asche zerfallen, und zugleich habe der Gletscher angefangen, vorzurücken.