Maulnes-en-Tonnerois

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de dahinter aber von vielen aufgeklärten Geistern der Epoche bevölkert wird. Nach Antoine de Crussols Tod wurde die Baustelle für lange Zeit geschlossen. Louise de Clermont hat, soweit wir wissen, das Schloß nie wieder betreten – so sehr muß der Bau ihr gemeinsames, mit dem Tod ihres Mannes obsolet gewordenes Projekt gewesen sein. Stattdessen nahm sie bald darauf ein anderes Vorhaben in Angriff, das noch einmal den Esprit dieses ungewöhnlichen Paares schlaglichtartig beleuchtet. Sie bemühte sich, das Maison Carrée in Nîmes zu erwerben und zu einer gemeinsamen Grablege für sich und Antoine de Crussol umzugestalten. Das Maison Carrée ist ein römischer Podiumstempel aus augustäischer Zeit, der ursprünglich am Forum der antiken Colonia Augusta Nemausus lag. Er wurde im Jahr 20/19 v.Chr. errichtet, war zunächst dem Agrippa geweiht, dann aber im Jahr 16 v.Chr. seinen Enkeln, den jung verstorbenen Adoptivsöhnen des Augustus, Caius und Lucius. Seitdem nannte man ihn den Tempel der »Principes Iuventutis«. Vom Typus her handelt es sich um einen Pseudoperipteros mit sechssäuligem Prostylos korinthischer Ordnung. An der Längsseite sind 8 der 11 Säulen als Wandsäulen ausgebildet, die Fronttreppe des Podiums ist 15 Stufen hoch. Dieser Tempel diente in der Spätzeit des römischen Reiches der Stadt als Capitol und seine kontinuierliche Nutzung, die auch unter westgotischer und vandalischer Herrschaft erhalten blieb, sicherte ihm den baulichen Fortbestand auch über die Antike hinaus. Im Mittelalter hatten die Grafen von Toulouse hier ihre Konsularbehörde untergebracht, danach jedoch ging der Bau in Privatbesitz über. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gehörte er zwei Schwestern, den Erbinnen eines gewissen Pierre Boys und er diente jedenfalls teilweise als Wohnhaus. Deshalb war er mit Einbauten verstellt, eine Treppe war angebaut und auf einer der Seiten lehnte sich noch ein weiteres Haus gegen die antiken Säulen. Am 25. 11. 1576 reichte Louise de Clermont eine Eingabe beim Rat der Stadt Nîmes ein, mit der Bitte, daß die Ratsherren alles in ihrer Macht stehende tun möchten, um ihr den Kauf des Maison Carrée zu ermöglichen. Sie bot an, zu ihren Lasten eine Schätzung der Kosten für den Erwerb durchführen zu lassen, da sie das antike Bauwerk dann – einen vernünftigen Kaufpreis vorausgesetzt - »in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen wolle, um darin eine Grablege für den verstorbenen Herzog von Uzès, ihren Mann, und sich selbst einzurichten. Daneben wolle sie zwei Spitäler von Grund auf neu errichten, eines für Männer, das andere für Frauen, und für deren Unterhalt wolle sie eine Summe von 2.000 Livres Jahresrente zur Verfügung stellen.« Der Rat stimmte ihrem Vorschlag einstimmig zu, bedankte sich bei Louise für den Großmut, den sie der Stadt erweisen wollte und setzte eine Kommission von städtischen Notablen ein, die auf die Eigentümerinnen einwirken sollten, damit sie dem Verkauf des Maison Carrée zustimmten. Wie es scheint blieben ihre Bemühungen ergebnislos, denn wir hören im folgenden Jahr noch ein weiteres Mal in den Ratsprotokollen von dem Vorhaben, als Louise ihr Angebot mit der stattlichen Summe von 4.000 Livres konkretisierte. Auch dies hat offensichtlich die beiden Schwestern nicht zum Verkauf bewegen können.143 86

Das Vorhaben zur Wiederherstellung des Maison Carrée zusammen mit der Stiftung eines Doppelspitals und der Einrichtung der eigenen Grablege läßt noch einmal in aller Konsequenz deutlich werden, welch weit schweifender humanistischer Geist das Bauherrenpaar des Château de Maulnes beflügelte. Mit der Einrichtung einer wohltätigen Stiftung bei dem Maison Carrée stellt Louise sich in die Tradition der guten Fürstin, die aus humanitärer Verantwortung heraus Barmherzigkeit und Nächstenliebe übt, denn neben der sepulkralen Widmung des Tempels war dies der erklärte Zweck des Vorhabens. Zugleich jedoch geht damit ein konservatorisches Interesse einher, ein Bemühen um den Erhalt eines der bedeutendsten Denkmäler der Antike in der Provence, denn Louise stellt ausdrücklich klar, daß sie das antike Bauwerk zu restaurieren beabsichtigt. Dies ist ein großartiges Zeugnis für ihre antiquarischen Neigungen, und damit reiht sie sich ohne weiteres in die illustre Gesellschaft der Connaisseurs und Mäzenaten bei Hof und in ihrem eigenen familiären Umfeld ein, etwa ihres Schwagers, des Kardinals Du Bellay. Die Antikenzitate in Maulnes stehen so noch einmal in einem ganz anderen Lichte da, sie sind nicht einfach als architektonische Mode oder Ausweis humanistischer Bildung zu verstehen, sondern sie müssen als Ausdruck eines genuinen Interesses an der antiken Baukunst begriffen werden. Und schließlich beleuchtet das ganze Vorhaben noch einmal schlaglichtartig ihre Position in den unversöhnlichen religiösen Auseinandersetzungen der Epoche. Im Mittelpunkt des Projektes steht ja die Einrichtung einer Grablege, zwar nicht in dynastischer Perspektive, da ihre Ehe kinderlos blieb, sondern ausschließlich für sich selbst und Antoine.144 Grablegen der Adelsgeschlechter werden für gewöhnlich in Kirchen oder Kapellen untergebracht, aber davon ist hier nicht die Rede. Louise erwähnt in ihrer Eingabe an den Stadtrat von Nîmes mit keinem Wort, daß sie das Maison Carrée als Kirche umzuwidmen gedächte und dies wäre auch mit der gesamten Zielrichtung ihres Projektes nicht zu vereinbaren gewesen. Sie wollte etwas ganz anderes: Ihr Plan war es, die letzte Ruhestätte für sich selbst und Antoine zwar an einem geweihten Ort zu finden, der allerdings seine Weihe nicht aus einem christlichen Ritual empfangen hatte, sondern dessen Heiligung aus viel älteren Traditionen schöpfte, aus der ungebrochen bis in die Antike zurückreichende Verehrung des Numinosen.

132 Zum frommen Gedenken an die Bartholomäusnacht ließ Papst Gregor XIII. ein Gedächtnismedaillon mit der Umschrift VGONOTTORVM STRAGES 1572 prägen, das die Greuel als göttliches Strafgericht preist. Ein alttestamentarischer Würgeengel mit Herz und Schwert vernichtet die Ungläubigen.


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