MitOst Magazin #27

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Frühjahr 2015

Zivilgesellschaft heute

Die freie Kulturszene Kroatiens und taktische Netzwerke Deutsch-polnische Versöhnung

MitBlick nach...

The Voice of Civil Society in Armenia Syria in Transit NGO-Szene in Bulgarien

Capacity Building

Online-PlattformTeachSurfing.org und DesignThinking

Фестиваль – Festival auf Ukrainisch


Editorial Liebe Leserinnen und Leser, MitOst versteht sich als Netzwerk von Mitgliedern, Alumni und Partnern, von Denkern und Aktivisten. Die Zusammenarbeit und der Austausch in diesem Netzwerk basiert auf geteilten Werten und ist geprägt von Vertrauen und der Kultur eines lebendigen Dialogs. In diesem Heft beschreiben Teodor Celakoski und Waldemar Czachur, welches Potential gegenseitiges Vertrauen und der Dialog für den gesellschaftlichen Wandel haben. Teodor Celakoski, Kulturmanager und Aktivist, reflektiert über die Entwicklung der freien Kulturszene Kroatiens von einer Sammlung isolierter Akteure hin zu einem taktischen Netzwerk, das transsektoral agiert und Kultur als Labor für sozialen Wandel versteht. Waldemar Czachur schaut zurück auf die deutsch-polnische Versöhnung. Er schreibt, wie durch gut ausgerichtete Anstrengungen, Mut und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partnerschaften entstehen können. Die beiden Beiträge sind ein Plädoyer für das Verstehen des Anderen, das Finden einer gemeinsamen Sprache und für Orte an denen eine lebendige Kultur des Dialogs gepflegt wird. MitBlick begleitet sechs junge Fotografen auf ihrer Reise durch Europa auf der Suche nach „ArtBridges“ zwischen Grenzen, Identitäten und Konflikten. Und folgt Jon Davis und Vural Kamel in syrisch-türkische Grenzgebiete. Gemeinsam entwickelten sie im Rahmen von TANDEM – Turkey-EU das Projekt „Syria in Transit“. Diana Chobanyan schreibt für uns über die Stimmen der Zivilgesellschaft in Armenien. Rozalina Laskova, Yanina Taneva und Svetozar Gradev geben in einem Interview Einblicke in die NGOSzene Bulgariens. In der Rubrik Capacity Building stellen wir die Plattform TeachSurfing.org vor und wenden uns dem Thema Design Thinking zu. Die Softwareentwicklerin Miganoush Magarian erzählt von ihrem Selbstversuch: Als „TeachSurfer“ bot sie auf dem MitOst-Festival in Novi Sad einen Workshop über „DesignThinking“ an. Mit „We are not too old to play games in the streets!“ gibt Iva Tašić einen sehr persönlichen Einblick in die Netzwerkarbeit der Alumni. Wir stellen die MitOst-Gremien 2014/15 vor: den Vorstand und den Projektbeirat. Und wir geben einen Überblick über die Mitgliederprojekte. In diesem Jahr wollen wir das Internationale MitOst-Festival in der Ukraine feiern. Ivanna Chupak stellt das Festivalteam und die Festivalstadt IvanoFrankivsk vor. Neben dem Festival arbeitet das Team in der Ukraine auch an einem Herzensprojekt – der „Khata Maysternya“. Gemeinsam bauen sie in den ukrainischen Karpaten ein altes Holzhaus zu einem Begegnungsort aus. Viel Vergnügen beim Lesen wünschen Ester Tóth (Vorstand) Darius Polok (Geschäftsführung) und Laura Werling (Redaktion)

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Inhaltsverzeichnis Internationales MitOst-Festival – Von Novi Sad nach Ivano-Frankivsk Festivalrückblick – Der Tag vor dem Festivalbeginn 4 Mitgliederstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Фестиваль – Festival auf Ukrainisch . . . . . . . . . . . . . . 8 Khata-Maysternya: Ort der Traumverwirklichung . . . 10 Internationaler Dialog und transsektorale Zuammenarbeit – Zivilgesellschaft heute . . . . . . . . . 12 Netzwerke als Laboratorien für soziale Innovationen 13 Europa – Kontinent der Versöhnung? . . . . . . . . . . . . . . 16 Dialogue for Change . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Partner auf Augenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 MitBlick nach... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Independent Caucasus Partners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 The Voice of Civil Society in Armenia . . . . . . . . . . . . . . 21 Art Bridges: Grenzen – Identitaten – Konflikte . . . . . . 22 Syria in Transit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Edition NGO-Szene: Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Capacity Building . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 We are not too old to play in the streets! . . . . . . . . . . . . 35 Werde TeachSurfer auf deinen Reisen . . . . . . . . . . . . . . 36 Encourage wild ideas – Design Thinking . . . . . . . . . . . 38 Redrawing stories from the past . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Advocate Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 За границей – Über Grenzen hinweg . . . . . . . . . . . . . . 42 MitOst – Vereinsjahr im Überblick Vorstand und Projektbeirat 2014/15 . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Mitgliederprojekte 2013/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Расскажи мне сказку – Erzähl mir ein Märchen . . . . 50 Autoren dieser Ausgabe Oleksandra Bienert, Diana Chobanyan, Ivanna Chupak, Waldemar Czachur, Jon Davis, Teona Dalakishvilli, Elisabeth Desta, Olga Diatel, Jean-Félix Fayolle, Svetozar Gradev, Ludwig Henne, Gretta Hohl, Josephine Kretschmer, Rozalina Laskova, Miganoush Magarian, David Mirvelashvili, Natalia Pavlenko, Darius Polok, Elena Shadrina, Maria Shamaeva, Ljiljana Šotra, Yanina Taneva, Iva Tašić, Laura Werling Anmerkung der Redaktion In den Texten werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit nicht immer sowohl die männlichen als auch die weiblichen Formen verwendet. Gemeint sind aber stets alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten. MitOst-Magazin

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Der Tag vor dem Festivalbeginn – Ablenkung durch physische Arbeit Unter dem Motto „Imagine the Balkans“ kam im serbischen Novi Sad zum 12. Internationalen MitOst-Festival wieder eine bunte Mischung zusammen: Philosophen, Regisseure und Urbanisten trafen auf Musiker und DesignThinker, Alumni auf aktive Kulturmanager und Lektoren. Das Team Novi Sad und die Organisatorin Ljiljana Šotra haben wunderbare Festivaltage für über 250 Teilnehmer gestaltet und dafür vorab kräftig in die Hände gespuckt. Ein Rückblick von Ljiljana Šotra.

Es ist Dienstag, der 30. September 2014, ein Tag vor dem Festivalbeginn. Wir treffen uns im Kineska Cetvrt, nicht um zu entspannen oder die letzten Kleinigkeiten zu regeln, sondern um tatsächlich zu schuften. Ich habe einen Hammer und ein Kilo Nägel dabei. Weiße Holzpaletten sollen in vierzig Minuten geliefert werden. Marko soll schon seit zwanzig Minuten da sein. Wir sind es gewohnt, dass Marko sich verspätet. Aber er ist der Chef und wir brauchen sein Okay. Sein Mitarbeiter ist ja da, der ist aber schlecht gelaunt. Wir schaffen es trotzdem, ihn davon zu überzeugen, uns Getränke zu verkaufen. Auf meiner Dose kalten Erfrischungsgetränks steht: „Wake me up when it's all over!“. Wie passend. Dabei geht jetzt erst alles los. Und wir sollten unseren letzten Tag vor dem Beginn des Festivals wohl anders nutzen. Aber für Wünsche haben wir keine Zeit. Jetzt geht es ans Schie4

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ben der Holzpaletten. Hin und her. Das Tragen hoch auf die Galerie. Dann hämmern wir und schlagen auf die Nägel. Wir werkeln vor uns hin, immer noch auf Marko wartend. Nach zwei Stunden ist Marko dann tatsächlich da, um sein Okay zu geben, für das, was wir da zusammenbauen. Also: Wir dürfen weiter werkeln. Nur; wie weiter? Kurze Pause. Überlegen. Ein neuer Versuch mit Schieben und Hämmern. Wir kaufen noch mehr Handwerkszeug. Schließlich entscheiden wir uns, es so zu lassen, wie es ist. So wie wir es uns vorgestellt haben, sieht es nicht aus. Professionell gebaut ist es auch nicht. Aber wir können damit leben. Unsere Gäste hoffentlich auch. Der Blick auf die Uhr sagt uns, wir arbeiten seit fünf Stunden. Fünf Stunden ohne Panikattacken. Panikattacken und Aufregung wegen morgen. Jetzt, nach der Ablenkung durch unser Bauprojekt, wird uns doch bewusst – morgen geht es wirklich los! Ich denke, wäre ich doch in den fünf Stunden lieber zum Friseur gegangen.


Oder schlafen. Sicher werden wir in den nächsten Tagen nicht zum Schlafen kommen. Wie sehr mir Schlaf fehlt, kann ich an diesem Tag gar nicht erahnen. Es ist an der Zeit, das gerade aufgebaute Paradebeispiel unserer Improvisationskünste zu verlassen. Den Hammer nehme ich mit – wer weiß, wozu ich ihn noch brauchen kann. Am Abend bringen sich das Team Novi Sad und das Team Berlin gegenseitig auf den aktuellen Stand der Dinge. Es wird auch der Versuch unternommen, die nächsten Tage einigermaßen zu planen, obwohl wir alle aus Erfahrung schon wissen – es wird nicht viel nach Plan laufen. Aber daran werden wir auch unseren Spaß haben. Schließlich soll ja unsere serbische Flexibilität unter Beweis gestellt werden. Wir haben nämlich ganz viele klischeehafte Floskeln, die eingesetzt werden können, wenn was schief geht. Und die kamen zum Einsatz, denn natürlich ging Einiges schief. Wir hoffen aber, unsere Gäste haben davon so wenig gemerkt wie möglich.

Rückblickend stelle ich fest – den Tag vor dem Festivalbeginn habe ich eigentlich richtig genossen. Er ist mir im Bewusstsein geblieben. Die Festivaltage selbst flogen an mir vorbei, als wären es fünf Stunden gewesen, und nicht fünf Tage voller Programm. Ist es ein Paradox, ohne Schlaf wie im Schlaf zu sein? Ich weiß es nicht. Ich denke noch einmal an die Botschaft auf der roten Dose meines Erfrischungsgetränks „Wake me up when it's all over!“ und muss schmunzeln. Unsere Bilanz: Wir hatten Spaß. Wir hatten die Hände voll zu tun. Nicht alles war perfekt. Und doch war es ein einmaliges und schönes Festival. Und wir waren sehr gerne die Gastgeber.

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Agata Maziarz (Polen)

“For me the MitOst-Festival is one of the tastiest pieces of the MitOst cake. During this time you are learning everything about the achievements and results of a whole year at many useful and nice presented workshops. You can meet old friends or make new ones and, also, it is a good time to widen your perception and knowledge. This festival is a time for inspirations, meetings, celebrating/celebrations and new ideas. It's also a good lesson about giving and taking, because it's made by participants for participants. The MitOst-Festival is about people who are aware about the powerful meaning of real contact and sharing experiences.”

Christian Rabl (Deutschland/Republik Moldau)

„Für mich war das Festival eine sehr schöne und bereichernde Erfahrung. Als neues Mitglied habe ich die Vereinsarbeit und die Mitgliederversammlung als ungemein spannend und intensiv erlebt. Besonders gut haben mir die Workshops und die gemeinsamen Abende im Café Izba gefallen, an denen ich interessante neue Menschen kennengelernt habe.“

Mohamed Elsherkawy (Ägypten)

“I have learned, enjoyed, get to know a lot of friends and I came back to my country with love, strength, peace and hope to return next year. Thank you MitOst!“

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Mischa Badasyan (Deutschland)

„MitOst steht für Vielfalt und Partizipation. Ich habe mich gefreut, eine Vielfalt von Ideen und Menschen beim letzten Festival erleben zu können – eine Vielfalt, die ich auch in Serbien entdecken kann, in der Kultur und den Sprachen des Landes.“

Victoria Hepting (Deutschland)

„Als ich erfahren habe, dass das MitOst-Festival auf dem Balkan stattfindet, habe ich mich sofort dran gesetzt meinen Balkantrip samt Festival zu planen. Die Reise hat sich auf jeden Fall gelohnt! Ich habe sehr viele positive Eindrücke über die Region gewonnen und ein paar Tage voller spannender Diskussionen und netten Begegnungen in Novi Sad erlebt.“

Vanja Brcan (Serbien)

„This year's MitOst-Festival gave me an unique opportunity to experience Novi Sad, my hometown, from a different point of view. Especially I was impressed by the binding energy, new and old friendships and the enthusiastic atmosphere. On this way, I want to thank the whole team for making the festival possible.“

Tina Oparnica (Team Novi Sad)

„Es war wunderbar, so viele Menschen aus so vielen Ländern in Novi Sad willkommen heißen zu dürfen. Das schönste Gefühl war, dass unser Wunsch, eine entspannte und herzliche Atmosphäre zu schaffen, in Erfüllung gegangen ist. Die Offenheit der Novi Sader als auch die der Festivalteilnehmer um einander kennenzulernen, sich auszutauschen und gemeinsam zu feiern, haben mich durch die fünf Tage getragen. Vielen Dank dafür!“

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Фестиваль – Festival auf Ukrainisch Die Ukraine ist in aller Munde. Kultur, Bildung – ein Festival – dies ist wahrscheinlich das Letzte, woran man derzeit bei diesem krisengeschüttelten Land denkt. Und doch hat sich ein Team aus der ukrainischen Stadt Ivano-Frankivsk für die Ausrichtung des 13. Internationalen MitOst-Festivals beworben. Ivanna und Vitaliy Chupak und Olga Diatel laden gemeinsam mit MitOst 2015 in die Ukraine ein. Von Ivanna Chupak und Olga Diatel.

Seit Januar 2014 stellen uns die Ereignisse in der Ukraine dieser Stadt bleiben werde. Als ich die Krim verlassen habe, immer wieder vor die Frage: Sind die Dinge, die wir jetzt stellte sich mir die Frage: Wohin? Die Stimmung auf den tun, notwendig? Was braucht unser Heimatland, was brau- Straßen Ivano-Frankivsks hat mir gefallen und die Stadt chen die Menschen, die in diesem Land zu Hause sind, am selbst auch. Sie erinnert mich sogar ein bisschen an Simferonötigsten? Nach vielen Tagen des Grübelns, nach vielen pol auf der Krim, wo ich bisher lebte. Viele meiner Freunde Gesprächen mit den Menschen um uns herum, nach vielem wohnen hier, Freunde, die ich liebe und sehr schätze, die „In-sich-Hineinhören“, begannen wir zu verstehen, dass es mich aufgefangen haben in den Krisenzeiten und mit denen richtig ist, genau das zu tun, was wir selbst für nötig halten. ich in Zukunft arbeiten möchte. Dieser Freundeskreis kann Wie angespannt die Situation im Land und die Situation sich nun auch MitOst-Festival-Team nennen. Gemeinsam der Menschen auch ist, das Leben geht trotzdem weiter. wollen wir das Festival in der Ukraine ausrichten. GleichDas jährliche Internationale MitOst-Festival zu Gast in zeitig arbeiten wir seit einigen Monaten an einem weiteren der Ukraine? Gerade jetzt? In so einer angespannten und Projekt, der Khata-Maysternya. Damit erfüllen wir uns kritischen Situation? Ja! Wir wollen Frieden, wir wollen einen Herzenswunsch: Wir bauen gemeinsam eine Hütte Dialog und wir wollen neue Lösungen für unser Land, in den Karpaten aus. Es ist schon jetzt ein Ort, an dem wir für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Und wir zusammen kommen können. Später sollen dort auch Semiwollen zeigen, dass es möglich ist! Deswegen möchten wir nare stattfinden.“ die interessierten, kreativen und klugen Menschen aus dem MitOst-Netzwerk genau hierher einladen und gemeinsam „Ich bin in Ivano-Frankivsk geboren“, erzählt Vitaly Chupak. das MitOst-Festival feiern. Wir leben in Ivano-Frankivsk, „Hier ist das Zentrum meines Lebens. Meine Familie lebt einer Stadt im Westen der Ukraine am Rande der Karpa- hier, meine Arbeit ist hier. Ich bin Musiker. Nach Auftritten. Seit einigen Monaten ist diese Stadt für uns aus vielerlei ten meiner Band in der Region wurden wir auch bald auf Gründen ein neuer Lebensmittelpunkt. Ein Gedanke ver- nationaler Ebene erfolgreich und viele Reisen folgten. Es bindet uns, ein Team aus jungen engagierten Erwachsenen. zieht mich immer nur für kurze Zeit aus Ivano-Frankivsk Wir alle sind der Meinung, dass das Zentrum der Welt dort fort, ich komme jedes Mal gerne wieder zurück. In meiner Heimatstadt entdecke ich stets etwas Neues. Außerdem ist, wo wir sind. liebe ich es selbst Neues in Ivano auszuprobieren. Ich habe Olga Diatel erzählt: „Ich bin im Frühjahr 2014 nach Ivano- zum Beispiel ein Hostel eröffnet. In dem Hostel sind alle Frankivsk gezogen. Noch weiß ich nicht, wie lange ich in willkommen, hier spiegelt sich die Vielfalt Ivanos wider. Ich 8

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biete alle drei Monate eine Literaturresidenz für junge ukrainische Autoren an. Sie leben dann kostenfrei in dem Hostel. In Ivano und in der Region haben sie die Möglichkeit, sich ganz auf ihre Arbeit und ihr Schreiben zu konzentrieren.“ Ivanna Chupak kam das erste Mal im Sommer 2009 nach Ivano-Frankivsk: „Die Stadt meinte es sehr gut mit mir und empfing mich mit viel Sonne, viel Grün, mit freundlichen Menschen. Mir gefiel, dass die Menschen hier purer und ehrlicher sind als in Kiew oder Lviv. Doch Ivano-Frankivsk wird vom Rest der Welt, so wie viele andere Provinzstädte im heutigen Galizien, kaum wahrgenommen. Dabei leben hier so viele talentierte Persönlichkeiten und kulturelle Angebote sind allgegenwärtig. Schon bei meinem ersten Besuch überkam mich das Gefühl, dass die Stadt wohl eine Rolle in meinem Leben spielen wird. Und so kam es auch: In den letzten Jahren kam ich immer wieder nach Ivano, besuchte Freunde und wunderbare Menschen, die hier lebten. Vor zehn Monaten wurde Ivano-Frankivsk zu meinem neuen Lebensort. Ich entdecke jeden Tag mehr von dieser Stadt und möchte gerne andere Leute daran teilhaben lassen.“ Geht man auf den Marktplatz, den Rynok, bekommt man wohl den besten Eindruck von der Stadt und seinen Bürgern. In der Sonne zeigt sich Ivano von seiner besten Seite. Die Architektur der Häuser lässt die österreichisch-ungarische und auch die polnische Geschichte der Stadt erahnen. Zwischen zahlreichen Dächern mit großen Fenstern blitzen Kirchturmspitzen auf. Ein wunderbarer Anblick. Gegründet wurde die Stadt von der polnischen Adelsfamilie Potocki. Sie benannten sie nach einem ihrer Söhne, Stanislau, auf Polnisch: Stanislawow. Damit begann die Geschichte der Stadt und ihrer historischen Stadtnamen: Stanislawiw, Stanislau, Stanislew, Ivano-Frankivsk, Sztanyiszló. Die Menschen wurden hier schon früh zu Weltbürgern, ohne die Stadt je verlassen zu müssen. Das liegt an der lebendigen Geschichte der Stadt und der Region. Mehr als einmal wurden hier Grenzen aufgehoben und neu gesetzt, viele verschiedene Völker leben hier. Die multikulturelle Geschichte und das reiche kulturelle Erbe von Ivano-Frankivsk finden sich heute in der Literatur- und Musikszene der Stadt wieder. Eine sehr spannende und gute Basis für das 13. Internationale MitOst-Festival. Ivanna Chupak meint zum Schluss: „Ivano-Frankivsk ist nicht meine Heimatstadt, doch denke ich immer mit viel Wärme an Ivano. An die Altstadt mit ihren zahlreichen Cafés, Bücherläden, Springbrunnen und Denkmälern. An die Parks, in denen so viele Eltern mit Kinderwagen spazieren gehen. Die Stadt schenkt mir Sicherheit und Hoffnung. Ich wünsche mir, dass bald alle Menschen in jeder Stadt in der Ukraine diese Ruhe und diesen Frieden genießen können. Nun wartete das große Kino „Lumiere“ im Herzen der Stadt auf eine mögliche Verwandlung in die Festivalzentrale 2015.“

5 Gründe, warum man Ivano-Frankivsk besuchen sollte:

1. Ivano-Frankivsk ist eine Literaturstadt. Von hier stammen viele bekannte moderne ukrainische Schriftsteller, zum Beispiel Jurij Andruchowytsch, Taras Prochasko und Halyna Petrosanyak. In den 90er Jahren prägten sie eine neue literarische Richtung, das „Stanislauer Phänomen“. Apropos Literatur – im Stadtzentrum finden sich zahlreiche kleine Bücherläden, fast alle 100 Meter gibt es einen zu entdecken – so viele wie wohl in keiner anderen ukrainischen Stadt. 2. Die Karpaten sind ganz nah. Die Stadt ist das Tor zu dieser wunderbaren Bergwelt. Ivano-Frankivsk ist die letzte Stadt vor den Karpaten – im Winter steigen die Menschen aus den Zügen mit Skiern aus, im Sommer mit ihren Wanderrucksäcken. Nach zwei Stunden Fahrt mit Auto, Bus oder Zug gelangt man in die beeindruckende, geheimnisvolle Welt der Karpaten. 3. Ivano-Frankivsk ist eine Stadt für junge Unternehmer mit neuen Ideen und Geschäftsmodellen. Ein Beispiel: „23 Restaurants“, ein Netzwerk von Gastronomieeinrichtungen. Ein junges Team hat in diesem Rahmen bereits zehn Läden eröffnet. Jeder mit einem besonderen Stil, passend dazu Menü und Einrichtung. Sie begannen 2014 mit der Eröffnung von „Urban Space“. Die Gründung wurde durch Crowdfunding finanziert und jeder konnte einen finanziellen Beitrag leisten. Das Besondere an „Urban Space“: Der Gewinn des Restaurants kommt ehrenamtlichen, sozialen und kulturellen Projekten zu Gute, die die Entwicklung der Stadt fördern. 4. Ivano-Frankivsk ist auch eine Musikstadt. Nach Lviv und Kiev kann man hier auf viele junge ukrainische Musiker und Bands treffen – Perkalaba, Flit, Koralli, Patronytschi, Zvit Kulbaby etc. 5. Für alle, die historische Geschichten und Mythen mögen, finden sich zahlreiche historische Spuren: von der Suche nach der Burg, der Symmetrie der „idealen“ Stadt, bis zu den aktuellen Lebensgeschichten der Einwohner Ivano-Frankivsk während des Maidans im Winter 2013 und 2014.

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rain rnat 13. Inte -Frankivsk, Uk 15 o 0 Ivan ember 2 t p e S . 7 23.–2

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Khata-Maysternya: Ort der Traumverwirklichung Gebirgsnebel, Morgenfrische, Karpatenluft und heißer Kaffee. Menschen mit einer offenen Seele und ein gemütlicher Ort im ukrainischen Teil der Karpaten: Eine Gruppe junger Menschen erfüllt sich gemeinsam einen Traum. Sie bauen eine Hütte in den Bergen zu einem Begegnungsort aus. Von Ivanna Chupak und Olga Diatel. Was gibt es Besseres, als am frühen Morgen aufzustehen, aus dem Haus in den Hof zu gehen, taufrischen Morgennebel und den Ausblick über die Berge zu genießen? Man atmet die frische Gebirgsluft ein und nimmt aus einer uralten Tasse einen Schluck heißen Kaffee. Dieser Moment ist herrlich und das Leben fühlt sich wunderbar und gelungen an. Die Initiatoren von Khata-Maysternya kennen dieses Gefühl allzu gut. Die Berge in den Karpaten, südlich von Ivano-Frankivsk, sind ihre zweite Heimat geworden. Hier bauen sie gemeinsam eine Hütte aus: die Khata-Maysternya. Alles beginnt bei einem Treffen der Trainer von Maysternya, einem Kooperationsprogramm des Theodor-HeussKollegs, im Juni 2013. Der Wunsch, einen eigenen Ort für Seminare zu haben, kommt auf. Am liebsten an einem Ort in den Bergen. Alona Karavai und Ivanna Chupak sponnen schon vor sechs Jahren über eine Seminarhütte, Olga Diatel wollte seit langem einen Begegnungsort auf der Krim gründen und Bohdan wollte eine Hütte für sich und seine Frau in den Karpaten bauen. Wer den Traum zuerst träumte, ist nicht klar. Klar ist, jeder für sich würde seinen Traum nicht allein verwirklichen können. Ein gemeinsames Projekt könnten sie jedoch realisieren, vielleicht eine Hütte, ein Begegnungsort in den Bergen?

Freundschaft und eine gemeinsame Vision. Sie wollen nicht nur über ihre Träume sprechen, sondern sie verwirklichen und leben. Ein Jahr nach der Gründung besteht die Khata-Maysternya-Gruppe aus zwanzig Leuten. Beide, die Hütte und die Gruppe, wachsen und entwickeln sich immer weiter. Das Projekt ist einzigartig, denn auch die Einwohner des Dorfes sind an dem Aufbau des Projekts beteiligt. Die Gruppe glaubt an Synergien nach dem Prinzip 1+1=3. Und so bauen alle mit und helfen, wo sie können. Seit sechs Monaten bringen die jungen Leute Leben in die Hütte. Die Renovierungsarbeiten sind in vollem Gange. Immer sind Menschen da – für ein paar Tage oder Wochen – und arbeiten ehrenamtlich. Zusammen mit Handwerkern reparieren sie, kleiden Böden und Wände aus, installieren Rohre, malern, arbeiten im Garten und kochen. Sie verbringen hier Zeit mit ihren Freunden und Familien.

„Wenn mein Gehirn von den vielen Informationen übervoll ist, wenn meine Augen müde vom LaptopBildschirm sind, wenn Skype lebendige Gespräche nicht mehr ersetzen kann, dann packe ich ein paar Sachen zusammen und fahre auf die Khata“, erzählt Anna Mygal. „Dort kann ich allein und mit Freunden die Natur genießen und ganz praktisch arbeiAlona ist überzeugt: „Es ist ein alter ten. Dort finde ich etwas sehr EinfaTraum, und Träume sollen verwirk- Khata-Maysternya ches und Echtes – das, was ich so oft licht werden.“ Das Team aus Trai- www.facebook.com/KhataMaysternya in großen Städten und im virtuellen www.maysternya.org nern plant zuerst viel per E-Mail. Sie Raum vermisse.“ Auch Taras Kovalttauschen sich über Skype aus. Alle schuk meint: „Seit Langem habe ich leben in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Städ- mir so einen Ort wie die Khata im Gebirge gewünscht. ten. Sie treffen sich auf Seminaren und irgendwann doch Es ist eine wunderbare Mischung aus ganz praktischem immer öfter in den Bergen zu den Renovierungsarbeiten Engagement und Erholung.“ Das Gefühl mit den eigenen an einem Haus. Nach einer langen Suche und Besichtigun- Händen etwas zu schaffen, macht glücklich, erzählen sie, gen in vielen Gebirgsdörfern in den Karpaten findet die und die Aussicht auf die Berge ist sehr erholsam. Ganz im Gruppe eine Hütte – ihre Hütte – die Khata-Maysternya. Hier und Jetzt sein, das ist es auch, was sie in den Bergen der Die Gruppe mietet die Khata auf Partnerschaftsbasis. Jeder Karpaten finden. investiert so viel er kann und geben möchte. Gemeinsam erwirtschaftet die Gruppe das Geld für die ersten nötigen Die Hütte soll schon bald die ersten Seminargruppen beherRenovierungsarbeiten. Die Khata-Maysternya ist im ukra- bergen können. Menschen verschiedener Kulturen und inischen Dorf Babyn gelegen, nahe Ivano-Frankivsk. Das Länder, mit unterschiedlichen Perspektiven und HeranHolzhaus steht im Land der Huzulen. Seit sechs Jahren gehensweisen an das Leben und an die Arbeit, sollen hier steht es leer und wartete auf die Maysternya-Gruppe. Sie zusammenkommen. Die Gruppe um Ivanna, Alona und kommen aus der Ukraine, Polen und Belarus. Sie verbindet Olga glaubt daran, dass solche Begegnungen Potentiale

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bergen und Ideen dadurch schneller verwirklicht werden können – genauso wie ihre Khata: „Ich liebe Menschen mit offener Seele und gemütliche Orte. Ich möchte eine nette Atmosphäre schaffen und sie genießen“, sagt Julia Kniupa. „Ich träume davon, dass in unsere Khata-Maysternya die Wärme und das Licht von Menschen kommen werden, die glauben, die nicht gleichgültig sind, die lernen und sich entwickeln möchten.“ Eine offene Einladung geht an alle MitOst-Mitglieder und Mitdenker. Herzlich eingeladen in die Khata-Maysternya sind alle, die Offenheit und Toleranz, interkulturellen Dialog und Humor schätzen. „Ich bin begeistert von den Menschen und ihrer Arbeit hier. Sie stecken so viel Herzblut in die Khata“, schwärmt Natalia Trambovetska. „Sie haben mich angesteckt und ich will meinen Beitrag zur Verwirklichung des Khata-Traums leisten.“ Ehrenamtliche Helfer wie Natalia sind willkommen, genauso wie kreative Lösungen und interessante Ideen für die Khata, Spenden und Materialien.

Khata-Maysternya

Khata-Maysternya will be a meeting point for creativity, education and ecology. The renovation process started and from March 2015 on groups will be hosted, alumni can visit and set up meetings and help to build up Khata-Maysternya. Maysternya

Maysternya is a programme for young people from Ukraine, Poland and Belarus. The programme is realised by the Theodor-Heuss-Kolleg in partnership with several NGOs in Ukraine and in Poland. More information at www.maysternya.org.

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Internationaler Dialog und transsektorale Zusammenarbeit – Zivilgesellschaft heute MitOst wurde 1996 gegründet in der festen Überzeugung, eine Überwindung der Spaltung Europas und die Festigung einer demokratischen Kultur seien notwendig und möglich. Wir setzten uns deshalb zum Ziel, die Völkerverständigung und Bildung, insbesondere in Mittelund Osteuropa, zu fördern. Die optimistische und visionäre Kraft, die uns damals Flügel verlieh und uns verband, scheint heute verbraucht zu sein, angesichts der drohenden Spaltung Europas und des Krieges in der Ukraine.

Doch der Einsatz für Dialog und Verständigung zwischen den Nachbarn in Europa ist heute so brisant und notwendig wie damals. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir als Zivilgesellschaft neuen Herausforderungen gegenüberstehen und unsere Rolle neu definieren müssen, wenn es um Dialog, Bildung und demokratische Gesellschaft geht. Wir wollen diese Diskussion anstoßen und beginnen mit einem Rückblick auf das, was die Zivilgesellschaft in den letzten 20 Jahren erreicht hat. Waldemar Czachur schreibt, anlässlich des 20. Jahrestags der Versöhnungsmesse, über Kreisau/Krzyżowa in Polen als symbolträchtigen Ort der „Verständigung der Völker“. Die deutsch-polnische Versöhnung ist das gemeinschaftliche Werk mündiger und mutiger Bürger aus Polen, aus der DDR und der BRD. Mit ihren Aktionen haben sie zur Überwindung der Tragödie des Zweiten Weltkrieges beigetragen und Verständnis für die Perspektive des Nachbarn auf beiden Seiten geschaffen. Nach Kreisau lud auch MitOst Studenten aus Mittel- und Osteuropa zu internationalen Seminaren ein. Prinzipien einer lebendigen Demokratie wurden vermittelt, das bürgerschaftliche Engagement gefördert und stets auch das Verständnis für die Perspektive des Nachbarn gestärkt. Teodor Celakoski erzählt von der Entwicklung der unabhängigen Kulturorganisationen in Kroatien. Der Weg in die Selbstständigkeit der Szene wurde geprägt durch die

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Abgrenzung von einem zentralistischen Staat, der für sich die Deutungshoheit für Kunst und Kultur innehatte, und von der reinen Kommerzialisierung der Kunst durch die Kräfte der Marktwirtschaft. Die Organisationen der freien Kulturszene Kroatiens agieren heute in taktischen Netzwerken und positionieren sich als gleichberechtigte Partner der Verwaltung, Politik und der Wirtschaft bei der Entwicklung von sozialen Innovationen. Auch MitOst versteht seine Rolle immer stärker als Intermediär. Unsere Aktivitäten setzen zunehmend auf das Potential der transsektoralen Zusammenarbeit und die Stärke der Ko-Kreation. Wir nehmen uns zunehmend als Partner in einem Netzwerk wahr, das als gesellschaftlicher Akteur Innovationen hervorbringt und damit zu einer lebendigen Zivilgesellschaft beiträgt. In unserem Selbstverständnis heißt es: „Wir setzen uns (…) für eine lebendige Zivilgesellschaft und kulturelle wie sprachliche Vielfalt in Europa und seinen Nachbarregionen ein.“ Welche Rolle spielt der Verein heute und in der Zukunft, als eine europaweit vernetzte und aktive zivilgesellschaftliche Organisation? Mit diesem Schwerpunktthema begeben wir uns – gemeinsam mit unseren Mitgliedern und Partnern – auf die Suche nach der Mission von MitOst. Welchen Herausforderungen wir uns heute und in der Zukunft stellen, sind nicht zuletzt Fragen für das nächste MitOst-Camp.


Netzwerke als Laboratorien für soziale Innovationen Teodor Celakoski ist Kulturarbeiter und Aktivist, Initiator und Mitgründer des kroatischen Netzwerks „Clubture“, der Kampagne „Pravo na Grad“ (Recht auf Stadt) und eine Leitfigur der kroatischen Kulturszene. In einem Gespräch erzählt er wie sich die freie Kulturszene Kroatiens seit den 1990er Jahren entwickelt. Teodor berichtet von dem Aufbau eines starken und transsektoralen Netzwerks, das heute gesellschaftlich und politisch wirksame Aktivitäten und Kampagnen hervorbringt, soziale Innovationen und einen positiven Wandel in der Gesellschaft bewirkt hat. Getrieben wird Teodor von seiner Überzeugung, dass Akteure des Kultursektors Transformationsprozesse im Sinne des Gemeinwohls mitgestalten sollten, das Gemeinwohl als großes Ziel im Blick behalten sollten. Heute inspiriert das Netzwerk „Clubture“ Kulturschaffende weit über die Grenzen Kroatiens hinaus. Teodor Celakoski wurde 2014 mit dem ECF Princess Margriet Award ausgezeichnet. Das Interview führte Milica Ilic im März 2014 in Zagreb. In diesem Artikel wurden Auszüge des Gesprächs ins Deutsche übersetzt. Das komplette Interview „Building on Previous Achievements – A converstaion with Teo Celakoski“ wird in der Publikation „Another Europe – 15 Years Capacity Building with Cultural Initiatives in the EU Neighbourhood“ by Philipp Dietachmair & Milica Ilic (ed.), European Cultural Foundation, Amsterdam, 2015 veröffentlicht. Wie alles begann

„Meine Arbeit und mein Engagement im Kulturbereich sind eng verbunden mit der Geburt unabhängiger Kulturinitiativen in Kroatien. Ende der 1980er Jahre, mit dem Zerfall Jugoslawiens, entwickelten neue Akteure der Zivilgesellschaft unabhängige Kulturinitiativen parallel zu der vorherrschenden institutionalisierten und repräsentativen Kultur. Mit diesen Initiativen stießen diese Akteure die Entwicklung einer vollkommen neuen subkulturellen Szene in Kroatien an. Der Krieg sowie die Bildung und der Aufbau eines Nationalstaates etablierten eine Art Notstandslogik: Die Kulturszene fungierte einzig in der Rolle eines Staatsdieners, welcher der Legitimation und zum Aufbau des neues Staats beitrug. Die institutionalisierte Kulturszene war somit in der ihr zugeteilten Rolle der nationalen Identitätsstiftung gefangen. Lediglich einige Festivals, gegründet in den 1980er Jahren, die nie institutionalisiert wurden, trugen noch Spuren von anderen und differenzierteren Formen von Kultur – freier Kultur. Allerdings waren sie in gewisser Weise ein Ergebnis der Toleranz des überkommenen Systems in der neuen Hegemonie, was sie wiederum zu Verbündeten und Akteuren innerhalb des neuen Systems machte. Ende der 1990er war der Krieg vorüber und die innerstaatlichen Bemühungen um Aufbau und Ausbau des Staatssystems ließen nach. Als Reaktion auf die kulturelle Isolation der vorangegangenen Jahre tauchten die ersten Initiativen auf und begaben sich auf die Suche nach neuen kulturellen

Inhalten. Im Kulturbereich waren tatsächlich viele Themen und Formate gar nicht mehr vorhanden. Wer sich nach ihnen sehnte, konnte sich nur selbst helfen und musste diese Themen aufgreifen und mit Inhalt füllen. Zu dieser Zeit entstanden das „Autonome Kulturzentrum Attack!“ 1 oder „Mocvara“. Diese Orte waren einerseits eine Reaktion auf die inhaltsleere Kultur der vorherigen Jahre, andererseits eine Reaktion auf den politischen Zeitgeist. Vor diesem Hintergrund gründeten auch wir das „MaMa“ 2 und das „Multimedia Institut“. Uns gibt es jetzt seit 15 Jahren. Wir haben in dieser Zeit viel ausprobiert und Erfahrungen gesammelt. Dabei war es uns immer wichtig, schon bestehende Ressourcen zu nutzen. Das wurde zu unserem Charakteristikum und bestimmt bis heute unser Schaffen.“ Namensgebung als politischer Akt

Zu Beginn unserer Arbeit haben wir bewusst von „unabhängiger Kultur“ gesprochen, in dem Bewusstsein, dass gerade dieser Begriff Kritik hervorrufen könnte. Uns war es wichtig damit das Verständnis für die Bedeutung unserer Aktivitäten und den Kontext unserer Arbeit zu schärfen. Fachsprachlich müsste es wohl „Non-Profit-Kultur außerhalb öffentlicher Kulturorganisationen“ lauten, aber diese Beschreibung fanden wir unpassend. Unser Ziel bei der Namensgebung war eine dynamische, politische Positionierung unabhängig und jenseits von Staat und Markt. Wir forderten die Unabhängigkeit der Kultur von Staat und Wirtschaft und diesen Anspruch haben wir bis heute. In diesem Kontext sind Gemeinnützigkeit und ein nicht-kommerzieller Anspruch sehr wichtige Aspekte unserer Arbeit. Dies führte zu einer sehr intensiven gemeinschaftlichen Arbeit innerhalb des Netzwerks „Clubture“ 3 und prägte die Arbeit und Kollaboration mit Akteuren in weiteren werteorientierten Bereichen, wie beispielsweise dem Engagement für Menschenrechte oder gegen Globalisierung, entschieden mit. Unsere Unabhängigkeit erlaubte uns selbst zu bestimmen, mit welchen Themen wir arbeiten, auf welche Herausforderungen wir aufmerksam machen, welche Lösungsansätze gesellschaftlicher Herausforderungen wir MitOst-Magazin

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Foto: Tomislav Medak, Ne damo Varšavsku! :: Bandića na referendum :: Teodor Celakoski, CC BY 2.0

unterstützen. Daher war unsere Wahl der Terminologie schon ein politischer Akt an sich. „Unabhängige Kultur“ ist aus dieser Perspektive keine generische, sondern eine politische Kategorie, definiert durch die Umstände und den Zeitgeist, in der er entstanden ist. Clubture – Ein neuartiges Netzwerk

Auf die Etablierung freier Kulturinitiativen und einer unabhängigen Kulturszene in Kroatien folgte die Erkenntnis, dass die extreme Zentralisierung im Land eine systematische Zusammenarbeit von Kulturschaffenden sowie Organisationen landesweit unmöglich machte. Als die unabhängige Kulturszene also ihre ersten Schritte machte, erkannten wir, dass das Teilen und Weitertragen unserer (Kultur-)Programme über die Hauptstadtgrenzen hinaus möglich ist, und dass der Peer-to-Peer-Austausch dafür eine sehr geeignete Methode ist. Wir beschlossen daraufhin, ein Netzwerk zu etablieren – kein repräsentatives Organ der Kulturorganisationen der darstellenden und bildenden Künste, sondern ein interdisziplinäres Netzwerk. Es sollte primär dem Programmaustausch dienen, basierend auf Peer-to-Peer-Kollaborationen. Mit unseren Organisationen, dem „Multimedia Institut“ und „MaMa“, gemeinsam mit „Attack!“ und „Mocvara“, gründeten wir das partizipative Netzwerk „Clubture“. Damit schufen wir einen Rahmen, in dem das Aushandeln der Bedingungen einer Zusammenarbeit, definiert durch einen gemeinsamen, beratenden und direkten demokratischen Entscheidungsprozess, möglich war. Das Netzwerk selbst verpflichtete seine Mitglieder gleichzeitig nicht dazu, Kollaborationen einzugehen, sondern ermöglichte Kollaboration durch Projekte. So wuchs „Clubture“ sehr schnell. Es beteiligen 14

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sich mittlerweile mehr als 100 Organisationen und arbeiten an Peer-to-Peer-Kollaborationen. Heute ist „Clubture“ sowohl für die Programmarbeit als auch für die Themenanwaltschaft für gesellschaftliche und politische Prozesse/Herausforderungen verantwortlich. Mit „Clubture“ als Netzwerk können wir sehr schnell auf konkrete politische Momente reagierte. Im Jahr 2004 zum Beispiel führte die neu eingesetzte Regierung ein komplett intransparentes Gesetzgebungsverfahren ein. Durch dieses sollten die wichtigsten Gremien und Ausschüsse, die über finanzielle Förderung der Kulturszene in Kroatien und die Finanzierung der unabhängigen Kulturszene, entschieden, abgeschafft werden. Innerhalb von 24 Stunden mobilisierten wir unser Netzwerk. Wir brachten tatsächlich mehr als hundert Menschen dazu, in das Ministerium einzudringen. Die Regierung war daraufhin gezwungen den Prozess noch einmal zu überdenken. Sie akzeptierten unsere Forderungen und die Finanzierung der unabhängigen Kulturszene wurde fortgesetzt. Durch die jahrelange, sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit in dem von uns geschaffenen Netzwerk konnten wir uns sehr schnell organisieren und reagieren. Entscheidungsprozesse in taktischen Netzwerken

Bei „Clubture“ definieren wir Entscheidungsprozesse durch eine bestimmte Methode, auf die wir uns vorher einigen und die wir gemeinsam festlegen. Natürlich gibt es immer auch Auseinandersetzungen, Reibungen und Frustrationsmomente. Jedoch ermöglicht uns diese Form der Konsensbildung eine lebendige Zusammenarbeit, bei der das Wichtigste die aktive Beteiligung aller Netzwerk-


mitglieder ist. Gemeinschaften, die sich im Sinne eines taktisch agierenden Kollektivs verstehen, verhalten sich nach der Logik der Auseinandersetzung. Welche Mitstreiter sich beteiligen, also welche Parteien in einem bestimmten Prozess involviert sind, ist nicht vordefiniert. Daraus ergeben sich zwangsläufig immer Verhandlungen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden und die gemeinsame Basis zu definieren. Und diese führen wiederum immer wieder zu neuen internen politischen Konstellationen innerhalb des Kollektivs. Mit diesem Prozess, mit dem ständigen Aushandeln über gemeinsame Ziele, Strategien und methodische Umsetzung unserer Aktivitäten, schaffen wir einen sehr vertrauensvollen Raum für alle Beteiligten. Arbeitet ein Kollektiv über Jahre hinweg so zusammen wie wir, so spricht sich das herum und bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen. Vor allem in einer Gesellschaft, wo diese Art von Zusammenarbeit nicht der Norm entspricht. Die Kontinuität unserer Bemühungen, unsere Beharrlichkeit und die Qualität unserer Arbeit über eine sehr lange Zeitspanne hinweg haben uns zu einem ernstzunehmenden Partner gemacht, trotz unserer schwächeren politischen Position. Heute arbeiten wir beispielsweise mit Gewerkschaften zusammen, die eine wesentlich stärkere wirtschaftliche und politische Stellung innehaben. Institutionen schätzen unsere Arbeit und erkennen den Wert der Zusammenarbeit an. Recht auf Stadt – Kultur als Experimentierfeld für soziale Innovationen

Die Festlegung, Politik im Rahmen von politischen Ereignissen genau vorhersagen zu können, widerspricht unserem politischen Denken. Politik wird immer auch durch unplanbare Ereignisse beeinflusst. Es existiert eine Art Spontanität. Damit meine ich nicht so sehr den Einfluss von Individuen oder Gruppen, sondern eher den Einfluss von Situationen und Umständen. Viele Dinge passieren zufällig. Genau aus diesem Grund betrachte ich die Idee, eine Revolution zu planen, mit großer Skepsis. Mich überzeugt eher eine taktische Herangehensweise. Du musst Situationen und Momente erkennen und darauf reagieren können, sozusagen die Gelegenheit beim Schopfe packen. Du musst schnell die richtige Antwort auf den Moment finden. Vertrauen ist hierfür eines der wichtigsten Instrumente. (…) Das Modell des taktischen Netzwerks illustriert diesen Ansatz meiner Meinung nach. Taktische Netzwerke haben eine starke soziale und politische Agenda und sind oft transsektoral. Sie setzen auf mittel- und langfristige Partnerschaften, nicht auf kurzfristige Projektpartnerschaften und setzen sich stets mit der eigenen Struktur auseinander. Die von uns ins Rollen gebrachte Initiative und Kampagne „Pravo na grad“ 4 (Das Recht auf Stadt) verdeutlicht diese Wirksamkeit. „Pravo na grad“ ist eine Kampagne gegen den wirtschaftlichen Missbrauch des öffentlichen Raums, gegen kurzfristig gedachte Politik und gegen intransparente Entscheidungsprozesse im Rahmen der Stadtentwicklung von Zagreb. (…) Wir brachten Organisationen aus dem Kultur-, Jugend- und Umweltbereich, Architekten und Stadtplaner, Personen des öffentlichen Interesses, Entscheidungsträger, Ökonomen, Aktivisten und Einzelpersonen zusammen. „Pravo na grad“ zeigt die Form der Zusammenar-

beit in einem taktischen Netzwerk sehr beispielhaft. Hier arbeiten diejenigen zusammen, die auf organisatorischer Ebene in den jeweiligen Organisationen tätig sind, die sich finanziell, logistisch oder mit ihrer Expertise einbringen und die Gruppe der Aktivisten auf verschiedenen Ebenen, Geschwindigkeiten und mit unterschiedlich viel Engagement zusammen. Das ermöglicht eine sehr solide und dynamische Struktur. Mit dieser vielschichtigen Struktur konnten wir über 50 Aktionen umsetzen. Es begann mit der Mobilisierung der unabhängigen Kulturszene, doch schnell entwickelte sich daraus eine breit gefächerte Bewegung, in der weitere Akteure und Bürger aktiv wurden. Diese Initiative hat vier sehr neuartige und wirksame Ansätze: Durch Peer-to-Peer-Kollaboration werden in einem Kollektiv gemeinsam Entscheidungen getroffen und Aktivitäten geplant. Durch die Entstehung hybrider Organisationsformen werden Koalitionen zwischen Aktivisten und Institutionen geschaffen. Dies ermöglicht ein Umdenken, hin zu partizipatorischen Prozessen, wenn es um Entscheidungen im gesellschaftlichen Sinne und um das Allgemeingut geht. Und wir haben ein taktisches Netzwerk geformt, das über sektoralen Grenzen hinausgeht. In unserem Netzwerk verhandeln wir ständig über das, was getan werden muss und wie es getan werden kann. Wir setzen uns kontinuierlich mit neuen, aktuellen Herausforderungen des Systems und mit den Bedürfnissen der Menschen, die in diesem System leben, auseinander. Indem wir immer wieder auf Vorhandenes aufbauen, sind wir heute im Stande, Einfluss auf das Staatssystem und, für uns noch viel wichtiger, Einfluss auf sein Verständnis von Gemeinwohl zu nehmen. Wir sind beispielsweise in der Lage zu hinterfragen, wie viel Einfluss die Regierung in unserem Land auf Allgemeingut und öffentliche Mittel hat. In diesem Kontext kann Kultur als Laboratorium und Experimentierfeld für Transformationsprozesse dienen, denn Kultur bietet die Möglichkeit zu spielen und auszuprobieren, sie ist wenig limitiert und bietet Raum für Prototypen und Neuerungen. Veränderungsprozesse und gesellschaftlicher Wandel werden nicht von allein angestoßen, wenn sich nicht diejenigen verantwortlich fühlen, die sich am Rand der Politik und Ökonomie befinden. Die Zeit ist reif für proaktive Formate, die alle Ebenen einbinden und zusammenbringen, um diesen Wandel zu bewirken. Für mich liegt die Antwort in der Einrichtung und in der Ermächtigung transsektoraler Kollektive. Sie sollten Veränderungsprozesse anstoßen und die Anwaltschaft für einen positiven Wandel übernehmen. Auf europäischer Ebene sollte es auch so ein taktisches Netzwerk geben, eine Plattform für kleine und große Player. Institutionen, Organisationen sowie Intellektuelle und Aktivisten müssen einbezogen werden. Die Aufgabe aller Beteiligten sollte darin bestehen, gemeinsam Forderungen für das Gemeinwohl zu formulieren und diese in die Politik zu tragen. www.attack.hr www.mi2.hr 3 www.clubture.org 4 www.pravonagrad.org

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Europa – Kontinent der Versöhnung? Am 12. Oktober 2012 meldete das Norwegische Nobelkomitee, dass der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union (EU) vergeben wird, mit der Begründung: „Die Union und ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden. Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können“. Ein Artikel von Waldemar Czachur.

Waldemar Czachur führt die Bundeskanzlerin, Angela Merkel und die polnische Premierministerin Ewa Kopacz durch die Ausstellung. Foto: Adam Symonowicz, Deutsch-Polnisches Jugendwerk

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Die deutsch-französische Versöhnung ist zum Gründungsmythos der Europäischen Union geworden, zu einem Friedensprojekt als eine kluge, mutige und vor allem politische Antwort freier Europäer auf die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges. Die heutige Europäische Union wäre aber auch ohne die deutsch-polnische Versöhnung kaum denkbar, denn sie steht ebenso für die Überwindung der Nachkriegsteilung Europas.

geworden ist, in dem sich auch die Dynamik des Umbruchsjahres 1989 und die deutsch-polnische Werte- und Interessengemeinschaft äußern. Polen will Freiheit und ein demokratisches Nachbarland im Westen. Deutschland will Einheit und ein demokratisches Nachbarland im Osten, das auch zu Europa gehört. Die Überwindung der Teilung Europas, die mit der deutsch-polnischen Versöhnung einhergeht, wird zum Motor der weiteren europäischen Integration.

Drei Tage nach der Öffnung der Berliner Mauer, von der Bundeskanzler Helmut Kohl am ersten Tag seines lange geplanten, ersten Besuches in Polen erfährt, und den er auch für ein paar Stunden unterbricht, kommt es in polnischem Krzyżowa, ehemals Kreisau zu einer Versöhnungsmesse. Kreisau mit dem Erbe des „Kreisauer Kreises“, einer deutschen Oppositionsgruppe gegen den Nationalsozialismus, sollte das feste Fundament für die deutsch-polnische Versöhnung darstellen. Während des Gottesdienstes auf dem ehemaligen Gut von der Familie von Moltke wird der Friedensgruß zwischen dem ersten nichtkommunistischen Ministerpräsident Polens Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl ausgetauscht. Ein spontaner Friedensgruß, der zum Symbol der deutsch-polnischen Versöhnung

Die deutsch-polnische Versöhnung ist aber anders als die deutsch-französische. Sie ist nicht die Antwort mutiger Staatsmänner, sondern die Antwort mutiger Bürger aus Polen, aus der DDR und der BRD auf die Tragödie des Zweiten Weltkrieges. Kreisau, und somit die deutsch-polnische Versöhnung, steht für den Mut von einigen Menschen, die es geschafft haben, das eigene Trauma aus dem Zweiten Weltkrieg zu überwinden und sich der Feindseligkeit unter den Völkern zu entziehen. Von einem langen und beschwerlichen Weg dieser Menschen aus Polen und Deutschland erzählt die Ausstellung „Mut und Versöhnung“, die in Kreisau am 20. November 2014 von der polnischen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wurde.

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Die Ausstellung zeigt in aller Deutlichkeit, dass eine Versöhnung als langer und mühsamer Annäherungsprozess nur dann gelingen kann, wenn er von der Bürgergesellschaft mit mutigen und kreativen Initiativen gepflegt wird. Eine Annäherung zwischen zwei verfeindeten Nationen, beziehungsweise Ländern, besteht aber keinesfalls nur darin, dass die politischen Interessen gleich sind. Um sich zu versöhnen, sich auch psychologisch anzunähern, muss man sich besser verstehen. Um sich aber besser verstehen zu können, braucht es eine gemeinsame Sprache, die nicht nur das beschreiben kann, was das Verbindende in Zukunft sein soll. Eine Sprache, die vor allem Verständnis für die unterschiedlichen Perspektiven auf vergangene tragische Ereignisse schafft, sodass die Erinnerung daran nicht mehr

Wunden aufreißt, sondern verbindet. Diese gemeinsame Sprache findet man nur dann, wenn eigene Positionen überschritten und eine Dialog-Gemeinschaft geformt werden kann. Kreisau ist heute nicht nur ein Symbol der deutsch-polnischen Versöhnung, Kreisau ist vielmehr ein lebendiger Ort, wo viele Menschen, auch aus Ländern mit einer komplizierten Nachbarschaftsgeschichte, versuchen können, eine gemeinsame Sprache für das bisher Trennende zu finden. MitOst e.V. ist auch ein Teil der Geschichte von Kreisau und umgekehrt. 1997, 1998 und 1999 hat MitOst junge Studierende aus Mittel- und Osteuropa zu internationalen Seminaren eingeladen und in Workshops für die Medien-

Kreisau/Krzyżowa. Foto: Adam Symonowicz, Deutsch-Polnisches Jugendwerk

arbeit und für die Prinzipien der Demokratie sensibilisiert. Das, was die Teilnehmer nach kurzer Zeit verband, war die Überzeugung, dass das Ziel einer demokratischen Kultur nicht im Gewinnen von Konfliktsituationen, sondern im verständigen Zuhören und der Aufrechterhaltung des Dialogs besteht. Es mag sich vielleicht allzu pathetisch anhören und der Eindruck entstehen, die Stimmung der MitOstSeminare in Kreisau würde idealistisch nachkonstruiert werden – dieses ist aber nicht der Fall. Von den Seminaren sind viele Menschen verändert nach Hause gefahren. Hier ist auch das Konzept für das Theodor-Heuss-Kolleg entwickelt worden. Somit ist ein Stück von dem Erbe des Deutschen Widerstandes und der deutsch-polnischen Versöhnung in die Arbeit von MitOst eingeflossen. Wie gut, dass diese Arbeit in den unruhigen Nachbarländern des Trägers des Friedensnobelpreises fortgesetzt wird. Konflikte innerhalb und in der Nachbarschaft der heutigen EU sind für Politiker und Akteure der Zivilgesellschaft eine große Herausforderung. Sie können aber zugleich als eine enorme Chance für Europa genutzt werden. Denn durch kluge und mutige Lösungen liefert Europa seinen Bürgern genug Argumente, warum der Frieden für Generationen, die den Zweiten Weltkrieg oder den Kommunismus nicht

erlebt haben, tatsächlich einen besonderen Wert darstellt. Auch hier muss eine gemeinsame Sprache in der politischen Kommunikation gefunden werden, damit der Dialog miteinander stattfinden kann. Waldemar Czachur, Teilnehmer des MitOst-Seminars 1998 in Kreisau, 2000 – 2002 Beisitzer, 2002 – 2003 2. Vorsitzender im MitOst-Vorstand, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Institut der Universität Warschau, Kurator der Ausstellung „Mut und Versöhnung“.

Odwaga i Pojednanie – Mut und Versöhnung

„Mut und Versöhnung“ ist Titel der ständigen Freilichtausstellung in Kreisau/Krzyżowa. Sie entstand anlässlich des 25. Jahrestages der Versöhnungsmesse, die am 12. November 1989 auf dem ehemaligen Gut der Familie von Moltke in Kreisau stattgefunden hat. Mehr Informationen unter www.odwagaipojednanie.pl/de.

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Dialogue for Change Während dieser Text geschrieben wird, ist nicht absehbar, welche Konsequenzen der Krieg in der Ukraine nach sich zieht. Absehbar ist, dass die künftigen Herausforderungen in der Ukraine nicht nur militärischer oder wirtschaftlicher Art sein werden. Um einer gesellschaftlichen Spaltung und möglichen Traumata des Krieges entgegenzuwirken, müssen die bürgerschaftliche Verantwortung für das Gemeinwesen und die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschaft gestärkt werden. Dies kann gelingen durch strategisch angelegte Partnerschaften zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Der kooperativen Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft stehen viele Faktoren entgegen. Die Scheu vieler Menschen, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, ist dabei sicherlich die größte Blockade. Aber auch die fehlende Bereitschaft der Verwaltung, strategische Partnerschaften einzugehen und nach neuen gesellschaftlichen Funktionen für Institutionen aus der Sowjetzeit zu suchen, erschwert gemeinschaftliches Handeln. Hinzu kommt auf beiden Seiten die fehlende Erfahrung mit transsektoralen Kooperationen. Schon heute übernehmen zivilgesellschaftliche Akteure die Anwaltschaft für gesellschaftliche Herausforderungen. Sie sind Fürsprecher eines positiven sozialen Wandels und der Chancengleichheit. Mit ihren Vorhaben setzen sie Impulse für eine Nachkriegsgesellschaft in der Ukraine. Ihre Expertise ist der Schlüssel für mehr Transparenz, Partizipation und innovative Lösungsansätze. Es gilt, diese Impulse des bürgerschaftlichen Engagements und der transsektoralen Zusammenarbeit zu stärken und übertragbar zu machen. Hier fehlt eine Plattform für den gesamtukrainischen Austausch über Visionen, Werte, Strategien und Know-How. Und es fehlen verlässliche Kontakte zu Partnern in Europa und in Russland, die die ukrainischen NGOs in diesem Prozess begleiten und ihre Erfah18

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rungen über transsektorale Zusammenarbeit und die Einbindung der Zivilgesellschaft in gesellschaftsrelevante Entscheidungen mit ihren ukrainischen Kollegen teilen. Genau hier setzt das neue Programm „Dialogue for Change“ an: Es wird gemeinsam von MitOst und Інша Освіта (Insha Osvita) durchgeführt und vom Auswärtigen Amt unterstützt. Mit dreizehn Werkstätten, sogenannten „Maysternyas“, werden für junge Erwachsene in vielen ukrainischen Regionen auf lokaler Ebene Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement und kulturelle Bildung sowie die Auseinandersetzung mit Geschichte gefördert. Multiplikatoren der nicht-formalen Bildung werden als „Community Developer“ qualifiziert. Mit dem „UkraineLab“ entsteht ein landesweites Netzwerk für zivilgesellschaftliche Organisationen. Hier treffen sich „Akteure des Wandels“. Sie unterstützen sich gegenseitig bei Konfliktbearbeitungen und Netzwerktreffen. Ermöglicht werden Hospitationen und Fortbildungen in „Capacity Development“. Auf europäischer Ebene entstehen so zwölf langfristige Partnerschaften zwischen ukrainischen und europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen im Rahmen des Programms TANDEM. Die Tandem-Partner führen gemeinsam Projekte für „Community Development“ und „Kultur des demokratischen Dialogs“ durch und werden in das europaweite TANDEM-Netzwerk eingebunden.


Partner auf Augenhöhe Die deutsch-ukrainischen Beziehungen erleben auf zivilgesellschaftlicher Ebene gerade einen Aufschwung. Dadurch treten einige Lücken in dieser Zusammenarbeit zutage. Oleksandra Bienert analysiert diese Tendenzen in ihrem Artikel „Die deutsch-ukrainischen Beziehungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Stand und Verbesserungsvorschläge“, der in den UkraineAnalysen Nr. 148 (24.03.2015) erschien. In Auszügen veröffentlichen wir ihren Artikel hier und zeigen Beispiele auf, wie sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit entwickeln sollte. Aus einem historischen Zusammenhang heraus existieren in Deutschland viele NGOs, die im Bereich humanitäre Hilfe für die Ukraine arbeiten. (…) Etwas geringer ist die Zahl der NGOs, die sich der Demokratisierung in der Ukraine widmen, es gibt sie aber auch. Außerdem gibt es eine kleine Zahl deutsch-ukrainischer Projekte, die die Reformprozesse in der Ukraine unterstützen. Einen wichtigen Beitrag leisten zudem bereits bestehende Städtepartnerschaften. Beim Überblick über die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit stößt man (…) auf die beinahe vollständige Abwesenheit von Konsolidierungs-, Koordinierungs- und Vernetzungsstrukturen für diese Zusammenarbeit. In Deutschland fehlt ganz offensichtlich eine Stelle, die zum einen Kontakte vermitteln und zum anderen bei der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit nachsteuern könnte. (…) Festzuhalten ist aber, dass zurzeit besonders viele und gute Projekte stattfinden und dass neue zivilgesellschaftliche Partnerschaften zwischen der Ukraine und Deutschland gebildet werden. (…) Folgende Beispiele lassen sich derzeit vorschlagen, um die Richtung anzuzeigen, in die Unterstützung gehen sollte: Erstens ist eine (weitere) Professionalisierung der NGO-Vertreter durch Austausch und Wissenstransfer notwendig (…). Wichtig wäre es, zum einen deren Aktivitäten zu unterstützen und zu professionalisieren und zum anderen den Multiplikatoren Werkzeuge an die Hand zu geben, die diese dann in die Ukraine hineintragen können. (…) Zweitens bedarf auch das sich zurzeit stark wandelnde Verhältnis von Zivilgesellschaft und Regierung der Unterstützung – das hieße, den Austausch zum Thema Kommunikation von Zivilgesellschaft und Regierung sowie die Förderung des Dreiergesprächs zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und internationalen Förderern zu unterstützen. (…) In der Ukraine muss ein Bewusstsein für die Wirksamkeit der politischen Beteiligung einzelner Bürger erst noch geschaffen werden; hier wären bspw. BestPractice-Beispiele aus anderen europäischen Ländern hilfreich. Dabei wäre es ebenso wichtig, die Professionalisierung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes – inklusive der Polizei – nicht zu vergessen. Notwendig wäre es auch, auf einen Wissenstransfer an lokale Multiplikatoren zu achten, damit diese das Wissen in Zukunft selbst ins Land tragen können. Ebenso entscheidend ist es, sowohl einen unabhängigen, qualitativ hochwertigen und sich nicht an (Gegen-)Propaganda orientierenden Journalismus im Land zu stärken als auch die Öffentlichkeitsarbeit von NGOs, damit deren Arbeit der Gesellschaft besser vermittelt wird. (…)

Eine sehr wesentliche Aufgabe ist es zurzeit, die bereits bestehende Zusammenarbeit gründlich zu analysieren und in Deutschland eine Stelle zur Koordinierung und Konsolidierung dieser Partnerschaft zu schaffen, die auf Lücken im Dialog mit aktiven NGOs eingehen könnte, um sie zu bearbeiten und ggf. zu schließen. Um die bestehende Zusammenarbeit zu erweitern, bräuchte man eine Struktur bzw. ein Forum (…). Bei allen Aktivitäten in der Ukraine empfiehlt es sich, vor allem in die Regionen zu gehen und – nicht minder wichtig – den ukrainischen Partnern auf Augenhöhe zu begegnen. Ein Vorschlag wäre hierzu: Alle Partner, auf deutscher wie auf ukrainischer Seite, müssen darauf bei der Zusammenarbeit achten und lernen, ihre Projekte gemeinsam zu erarbeiten – wenn es tatsächlich eine Partnerschaft geben soll. Die Ukrainer müssten ihre deutschen Partner dann rechtzeitig auf „paternalistische Anfälle“ aufmerksam machen und sie zu verstehen versuchen, bei den deutschen Partnern wären dagegen Geduld und besondere Sensibilität gefragt. Dabei geht es nicht darum, die Ukrainer als primäre Kenner der Ukraine zu betrachten – was sie nicht unbedingt sein müssen – es gilt aber zu lernen, dem Partner mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Dies kann man nur, wenn man die Ukraine bzw. die ukrainische Zivilgesellschaft als Subjekt versteht und wahrnimmt. Eine Absage an den Paternalismus bedeutet ebenso, dass sich die deutschen Akteure – was dringend angeraten ist – stärker mit der Situation in der Ukraine und ihrer (Vor-) Geschichte vertraut machen, um sich für die Ukraine als Subjekt zu interessieren und das Land nicht weiterhin als Objekt zu betrachten. Sobald das geschieht, wird die Frage, „wie wir dem Land helfen können“, automatisch durch die Frage, „wie wir den Austausch vertiefen können“, ersetzt werden. Damit dies passiert, bedarf es eines hohen Wissenstands zur Ukraine und eines hohen Grads an Selbstreflexion über das eigene Handeln.

Erstveröffentlichung unter dem Titel „Die deutschukrainischen Beziehungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Stand und Verbesserungsvorschläge“ von Oleksandra Bienert in den Ukraine-Analysen Nr. 148 (24.03.2015). www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/ UkraineAnalysen148.pdf

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MitBlick nach... Über aktuelle Entwicklungen in den MitOst-Ländern berichten wir in „MitBlick ...“. In dieser Ausgabe blicken wir nach Armenien, Syrien und Bulgarien. Armenien war zuletzt nur noch selten in den Hauptnachrichten. Zuletzt aufgrund der strategischen Partnerschaft mit Russland, die die ökonomische Abhängigkeit des Landes spiegelte und das Land nun auch in eine gewisse Distanz zum Nachbarn Georgien brachte. Wie sieht es heute mit der Zivilgesellschaft in Armenien aus? Welche Stimmen kommen in ihr zu Wort? Und vor allem: Wie stark ist die Stimme der armenischen Zivilgesellschaft? Diana Chobanyan engagiert sich für das Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs EcoLab und schildert ihre Eindrücke über die Entwicklung der armenischen Zivilgesellschaft. Auf der Suche nach „ArtBridges“ zwischen Grenzen, Identitäten und Konflikten reisten sechs junge Fotografen durch Europa. Wir begleiten sie durch Griechenland, Mazedonien, Albanien, Montenegro und den Kosovo. In Kurzaufnahmen erzählen sie von ihren Eindrücken. In Syrien führten die friedlichen Proteste Anfang 2011 zu einem bis heute andauernden Bürgerkrieg. Die Vereinten Nationen geben an, dass vom März 2011 bis April 2014 191.396 Menschen getötet wurden. Rund 2,6 Millionen Syrer mussten aus ihrem Land fliehen und mehr als 9 Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Das Tandem Jon Davis und Vural Tarla dokumentiert mit „Syria in Transit“ die Wege einiger syrischer Flüchtlinge. Jon Davis schreibt

von den Besuchen in der türkischen Grenzstadt Gaziantep und erzählt eine von vielen, vielen Geschichten, die ihn selbst quer durch Europa führte. Zu den Grundprinzipien von MitOst zählt die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern bei der Durchführung von Programmen und Projekten. Im MitOst-Kosmos gibt es viele Organisationen und NGOs, mit denen wir immer wieder zusammenarbeiten, manche von ihnen sind institutionelle Mitglieder bei MitOst. Wir wollen Gründern und Mitarbeitern dieser NGOs eine Stimme geben, ihre Geschichten erfahren. Wir gehen deswegen der wollen wissen wie NGO-Arbeit in anderen Ländern auf den Grund und versuchen zu erfahren, vor welchen Herausforderungen die Zivilgesellschaft und die Akteure der NGOs stehen. Dazu stellen wir ein Land und drei Perspektiven vor. In diesem Heft erzählen Rozalina Laskova, Yanina Taneva und Svetozar Gradev über ihre Arbeit in Bulgarien. Alle drei sind in unterschiedlichen Organisationen aktiv. Sie geben auch einen Überblick über die veränderte Wahrnehmung von NGOs in der bulgarischen Gesellschaft. Die folgenden Artikel wurden von den Autoren in englischer Sprache verfasst. Wir haben nicht alle ins Deutsche übersetzt. Damit kommen wir dem Wunsch der Mitglieder nach Mehrsprachigkeit entgegen.

From Joint Civic Education to Independent Caucasus Partners In 2010 MitOst and the Theodor-Heuss-Kolleg started with the coopration programme “Getting Involved” in the Caucasus. In 2012 the activities were broadened under the roof of “Joint Civic Education”. Supported mainly by the Federal Foreign Office each year around 100 persons from Armenia, Azerbaijan, Georgia, South-Eastern Anatolia in Turkey and the Northern Caucasus in Russia were empowered to create a change in their societies. Furthermore the cross-border format “Social Leader Forum” connected and qualified more experienced actors from civil society, administration and politics in these regions.

of the Theodor-Heuss-Kolleg and the “Social Leader Forum” will be independent programmes. Why? Firstly, the funding of the Federal Foreign Office expires. Secondly, the partners in the Caucasus are ready to assume more responsibility. During several meetings the programme coordinators developed strategies, talked to potential donors and thought of innovations like integrating social entrepreneurship, alumni associations and co-operations with universities. From now on it will be “EcoLab” in Armenia, “Time for Development” in Azerbaijan, “New Horizons” in Russia, “Take the Chance” in Turkey and “Diversity School” in Georgia.

In 2014 alone, were around 122 participants, 46 projects “Each of the programmes is critically and robustly engaged and more than 1.400 beneficiaries within the regional pro- in raising generations of young people who try and solve grammes and activities in the Caucasus. But things are chang- some of the issues of contemporary significance in their ing: From 2015 on the five country cooperation programmes countries.” (Diana, EcoLab) 20

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The Voice of Civil Society in Armenia We are living in an increasingly globalised world, where walls are crumbling and falling every day. The fall of barriers between nations exposes us to global diversity and variety. We need to embrace this multiculturalism and human variety in order to keep up with the rest of the global community. Globalisation and technical advancements have undoubtedly accelerated and improved the way we vote, protest, learn and live. These developments have led to the strengthening of civil society in almost all parts of the world. By Diana Chobanyan. In Armenia, the voice of civil society is becoming louder and more confident, thus contributing to democratic governance, transparency and participatory politics. The unrestricted voice of Armenian civil society can now be heard on the streets of Yerevan, in marzes (regions of Armenia) and all over social media platforms. The vestige of Soviet authoritarian and paternalistic political processes is however unfortunately still evident in Armenia. Its consequence is ruthless and shocking social injustice, and persistent violation of human rights and democratic values resulting in social apathy and emigration. In the current situation, education and empowerment of the young generation is one of the best recipes for bringing about positive change. In order to be active members of the global community, young people need to be well informed about global challenges, respectful of other cultural and religious practices, and have a decent understanding of their role as change-makers in our society. RA Ministry of Education and Science introduced a reform called “Education Quality and Relevance” to develop the post-Soviet educational system in newly-independent Armenia. The reform responded to outdated educational standards and textbooks, inconsistencies in assessment, and the predominance of teacher-centred teaching methods 1. In 2000, the RA Ministry of Education and Science decided to amend the state curricula for secondary education by adding “human rights, civic education, and state and law”. Starting with 2001 these “legal block” subjects were taught in secondary school for eighth to tenth grades 2. Studies have shown that civic education is no longer an abstract subject that teachers struggle to comprehend. The Ministry of Education and Science has introduced informative and useful textbooks and thematic trainings/seminars for teachers. Nonetheless, the subjects they have introduced fail to equip students with civic skills, emphasizing only the knowledge of rights and responsibilities. The Citizen’s Awareness and Participation in Armenia Survey (IFES, 2003) confirms that young adults (18 – 25 years old) are not 1 Tovmasyan & Thoma, 2008 2 Gyulbudaghyan, Petrosyan, Tovmasyan & Zohrabyan, 2007, p. 21

only less interested and involved in politics but also have a lower level of civic participation that those aged 26 and above. It can therefore be concluded that there is a gap in the civic education of the young people in Armenia which consequently leads to low social consciousness and awareness and an even lower level of civic activism. The Ministry has acknowledged the need for high-quality civic instruction which would fill the gap in civic education in the Armenian context. Nevertheless, it has failed to take adequate measures and, as a result, young Armenians lack civic competencies and skills. Fortunately, the civil sector has taken over and started offering civic trainings, courses and seminars which combine civic “knowledge” with its practical application. These educational measures use synergies from formal and non-formal education to deliver breath-taking content. The hallmark of these courses is that they not only enhance the learners’ knowledge about civil society, but also shape learners’ civic competencies and promote active citizenship and democratic values. EcoLab, the active citizenship project that I coordinate is a vivid illustration of how an NGO project can empower and educate young people more efficiently than the school curriculum on civic education. I myself am a “product” of EcoLab, which provided the civic education that the educational system did not. Overall, I am hopeful that similar projects, which nurture learners’ civic literacy and emphasize such core concepts as democracy, rights and responsibilities, will be offered more widely. Also, I hope that by that time the Ministry of Education will appreciate both independent and autonomous learning and higher civic participation, and include both in its comprehensive list of educational objectives. EcoLab

Diana Chobanyan is part of the coordination team of EcoLab. EcoLab is an cooperation programme of the Theodor-Heuss-Kolleg. EcoLab empowers young Armenians to change their local community by fostering sustainable development. Participants implement their own projects in small teams in their cities and villages. These projects focus on sustainable local economy, non-formal education and community mobilisation. More information at theodor-heuss-kolleg.de.

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Art Bridges Europe: Grenzen – Identitäten – Konflikte Teo, David, Josephine, Niklas, Jean-Félix und Jérémie, sechs Fotografen aus Georgien, Deutschland und Frankreich, steigen im Sommer 2014 in Nantes in einen 20 Jahre alten Renault Espace, liebevoll Grand Ma genannt. Sie sind auf der Suche nach Geschichten über Identität, Grenzen und Konflikte in Europa. Die Bilder ihrer Reise zeigen sie in ihren Heimatstädten Tbilissi, Saarbrücken und Nantes, die gleichzeitig Partnerstädte sind. Sie dokumentieren ihre Erlebnisse auf dem Blog artbridgeseurope.wordpress.com. Ein Artikel von Teona Dalakishvilli, Jean-Félix Fayolle, David Mirvelashvili und Josephine Kretschmer.

Die Gruppe startet im französischen Nantes, fährt durch Deutschland, danach geht es in Richtung Osteuropa bis in die rumänische Hauptstadt Bukarest. Von dort aus fahren sie über Bulgarien und den Balkan wieder zurück nach Saarbrücken. Wir begleiten die jungen Fotografen und Grand Ma durch Griechenland, Mazedonien, Albanien, Montenegro und den Kosovo. Zurück in die EU

Das Überqueren der Grenze in die EU von türkischer Seite aus gestaltet sich etwas schwierig. Unsere georgischen Teammitglieder sind nicht willkommen. Die griechischen Grenzbeamten fragen uns nach dem Ziel der Reise. Jedes Detail wird überprüft. Selbst das Schengenvisum in ihren Pässen schützt sie nicht vor erneutem Nachfragen und Prüfen der georgischen Pässe. Das Misstrauen kommt wohl daher, dass in Griechenland eine große georgische Gemeinschaft lebt, davon einige auch illegal. Wir erzählen von unserem Projekt und allmählich wird das Gesicht und der Ton des Grenzbeamten milder und wir dürfen schlussendlich passieren. Wir fahren in Richtung Alexandropolis. Die Grenznähe der griechischen Stadt ist deutlich zu spüren. Viele Türken kommen über das Wochenende her oder ver22

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bringen ihre Ferien hier. Als wir auf die Karte sehen, fällt unser Blick auf „Makedonien“, eine Region im Nordosten Griechenlands. Die Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien 1991 entfachte einen Konflikt zwischen Griechenland und Mazedonien um den Namen, denn beide Länder beanspruchen ihn für sich. Griechenland befürchtet Gebietsansprüche auf die griechische Region Mazedonien. Mazedonien hingegen argumentiert mit der historischen Bezeichnung für das Gebiet, in dem der Staat liegt, daher läge es nahe den Namen zu verwenden. Aus Namensübereinstimmungen mit der griechischen Region lassen sich jedoch keine Gebietsansprüche ableiten. Trotzdem gipfelte der Streit 1994/95 in einem Embargo Griechenlands gegen Mazedonien. Da bis heute keine Lösung für den Konflikt gefunden wurde, trägt die offizielle Landesbezeichnung den Zusatz: Republik Mazedonien. Makedonija/Mazedonien

Wir sind auf der Suche – wie eigentlich immer – nach einer kleinen Stadt oder einem Dorf, nach Freunden, die uns für eine Nacht bei sich aufnehmen. Nur so sind wir ganz nah am Leben dran und können den Geschichten unserer Gast-


nen Kameradisplays sofort begutachtet. Sie wollen uns und unsere Kameras gar nicht mehr gehen lassen. Einige Roma sprechen deutsch. Sie erzählen uns von ihrem Leben in Deutschland oder von ihren Verwandten dort. Manche von ihnen verdienen sich Geld mit dem Sammeln von Müll und Flaschen. Nur selten bekommen sie einen „richtigen“ Job. Die Roma haben sich etwas außerhalb der Stadt angesie- Ihr Leben ist mühsam und hart, und scheint doch so herzdelt. Sie haben weder fließend Wasser und noch Strom. Die lich und lebenslustig. Unsere Antwort auf ihre Frage, ob Kinder gehen nicht in die Schule und nur wenige Erwach- wir uns solch ein Leben vorstellen könnten, lautet dennoch: sene haben einen Job. Die Einwohner von Kavadarci begeg- „Nein, definitiv nicht.“ nen ihnen misstrauisch, gehen ihnen aus dem Weg oder ignorieren einfach ihre Existenz. Für sie sind sie lediglich Wir können Mazedonien nicht verlassen ohne noch einmal Diebe und Banausen. Statt dieser Ignoranz wünschen wir zu den Roma zurückzukehren und uns bei ihnen zu bedanuns, dass die Bewohner von Kavadarci einmal versuchen, ken. Wir haben ihnen einige Fotos ausgedruckt und schenihre Augen nicht vor der Realität der Roma zu verschließen ken sie ihnen. Strahlende Gesichter sind der Dank. Wir und einen Blick für ihre Nachbarn zu haben, für die Wasser wissen, dass dies nur eine Kleinigkeit ist, die wir für sie und Brot nicht selbstverständlich sind, ganz zu schweigen tun können. Nach zwei wundervollen Tagen verlassen wir von der Ausbildung ihrer Kinder. An unserem ersten Tag in Kavadarci und fahren weiter. Kavadarci besuchen wir die viel diskutierte Roma-Siedlung. Es ist uns selten passiert, dass wir so herzliche und lebendige Gezuar! (Cheers in Albanien) Menschen getroffen haben. In der Siedlung lärmen überall Unsere erste Station in Albanien ist Durres. Eine KüstenKinder. Mit unseren Kameras sind wir gleich willkommen. stadt voller Touristen und Menschen mit den unterschiedUnsere Aufnahmen werden von den Kindern auf den klei- lichsten Hintergründen. Auf der Straße schnappen wir alle geber über Land und Leute lauschen. So auch in Mazedonien. Wir besuchen Freunde im mazedonischen Kavadarci und werden von ihrer Familie eingeladen. Schnell bemerken wir, dass unsere Gastgeber von einer Gruppe Roma verunsichert sind, die am Rand von Kavadarci lebt.

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möglichen Sprachen auf, sehr oft jedoch Italienisch. Wir erfahren, dass viele Albaner nach Italien ziehen und wir deshalb in Durres viel Italienisch hören. Nachdem uns unser Gastgeber begrüßt hat, schlagen wir unsere Zelte etwas außerhalb von Durres auf. Er warnt uns, nicht nach 22 Uhr auszugehen, denn die Mafia geht um. Am nächsten Tag wollen wir vom Norden Albaniens in den Kosovo fahren. Kurz vor der Grenze entscheiden wir uns, kurz in einem Dorf anzuhalten. Wir wollen schnell ein paar Bilder machen. Unser Plan ändert sich: Wir werden zum Tee eingeladen. Auf den Tee folgt Rakya. Der Dorfälteste hat ihn selbst hergestellt und schenkt uns zur Verkostung ein. Wir lernen all seine Kinder und Kindeskinder kennen. Obwohl sie weit verstreut in anderen Städten und Ländern leben, kehren sie jeden Sommer nach Albanien zurück. Das Dorf wird lebendig und laut. Die meisten der jungen Leute wollen in die weite Welt, sie wollen weg aus Albanien. Sie sehen ihre Chancen in Europa. Der Dorfäl-

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teste lädt uns ein, noch zu bleiben. Wir wollen weiter, denn wir sind am nächsten Tag zum Filmfestival „Dokufest“ in Prizren im Kosovo eingeladen. Die Einladung des Dorfältesten auszuschlagen, wäre unhöflich, also einigen wir uns darauf am nächsten Tag noch ein paar Stunden bei der Familie zu verbringen. Erst dann werden wir nach Prizren weiterfahren. Mit den Kindern schauen wir zu, wie Rakya gemacht wird und gehen im Anschluss wandern. Beim Abendessen lauschen wir den Geschichten der Dorfbewohner, erfahren mehr über die Traditionen und genießen den wunderbaren Ausblick. Am Ende fahren wir dann doch nicht nach Prizren. Es ist unmöglich schon Abschied zu nehmen, denn die Menschen hier sind so herzlich und gastfreundlich. Also bleiben wir noch eine weitere Nacht. Die Albaner mögen die Kosovaren, erzählen sie uns, denn sie sind vom gleichen Menschenschlag wie die Albaner. Das haben wir schon von Freunden im Kosovo gehört. Großvater erzählt uns von der politischen Vergangenheit Albaniens. Viele seiner früheren Freunde sind heute Poli-


tiker. Er glaubt, dass sich der Kosovo und Albanien eines Tages zu einem neuen Staat verbinden werden. Es ist ein regnerischer Tag als wir uns von unseren neuen Freunden verabschieden. Wir alle hoffen, dass wir eines Tages zurückkehren werden. Wir fahren weiter in den Kosovo und von dort aus nach Montenegro. Montenegro

Wir überqueren die Grenze zwischen dem Kosovo und Montenegro, die hier direkt durch die Berge verläuft. Der Checkpoint ist wahrscheinlich einer der höchsten, den wir auf unserer Reise passieren. Wie an allen Grenzen auf dem Balkan sehen wir auch hier Hinweisschilder gegen den Schwarzhandel. Glaubt man den Schildern, so haben alle Staaten dem Schmuggel den Kampf angesagt, doch noch immer ist er ein großes Problem. Dieses Mal werden nicht nur unsere Ausweise, sondern auch unser gesamtes Gepäck kontrolliert. Als die Beamten nicht fündig werden, dürfen wir die Grenze passieren. Das war einfach!

Der Weg zu unserem nächsten Ziel Pljevlja, einer Grenzstadt im Norden Montenegros, gestaltet sich schwieriger, denn wir kommen wieder an eine Grenze. Anstelle durch Montenegro zu fahren, haben wir versehentlich eine Straße genommen, die uns durch Serbien führen wird. Beim Abstempeln unserer Pässe erfahren nicht nur wir, sondern auch der Grenzbeamte, dass Georgier auch mit einem Schengenvisum nicht nach Serbien einreisen dürfen. Unsere Stempel werden wieder ungültig gemacht. Und wir suchen uns einen anderen Weg, um nach Pljevlja zu gelangen. Dort angekommen, zeigen uns unsere Gastgeber Vladan und seine Freunde ihre Stadt. Sie erzählen uns die Geschichte ihrer Heimat. Pljevlja liegt nur 12 Kilometer von der serbischen Grenze entfernt. Die meisten Einwohner bezeichnen sich hier als Serben. Wir sehen lateinische und kyrillische Buchstaben. Wir bemerken serbische Klöster neben Kirchen, Überbleibsel des Osmanischen Reichs. Die Stadt ist klein und doch sehr vielfältig. Die Menschen hier leben trotz ihrer Unterschiede friedlich miteinander. Unsere Gastgeber erzählen uns: „Das Osmanische Reich hat die Kultur stark beeinflusst: von der lokalen Küche über religiöse Einstellungen bis hin zum Zusammenleben zwischen Frauen und Männern.“ Uns fällt auf, dass die Stadt sehr grün ist. Dennoch ist die Luft stark verschmutz. Dies liegt an dem großen Kraftwerk, gleich hinter den Grünanlagen. Immer wieder demonstrieren junge Menschen für stärkeren Umweltschutz und gegen die hohe Luftverschmutzung. Wir hören eine sehr interessante Geschichte über Novi Pazar, eine serbische Stadt nahe der Grenze. Die Stadt gilt heute als das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Muslime, denn die meisten Einwohner dort sind Muslime. Es schwelt jedoch ein Konflikt mit unterschiedlichen Interessen: Die Stadtväter wollen Autonomie für ihre Stadt, doch Serbien sieht sich durch diese Forderung in seiner Souveränität bedroht. Dieses Beispiel zeigte uns, dass trotz der stabilen Situation auf dem Balkan, kulturelle und politische Dynamik die Region prägen. MitOst-Magazin

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Syria in Transit Syria in Transit is a photography, sound and video exhibition which documents both the stories of Syrians remaining on the edge of war in Turkey and those attempting the dangerous journey across Europe to the UK. Since the conflict began in April 2011, over three million Syrians have fled their country. Over a third have been forced to cross the border into neighbouring Turkey, where they now work in fields and factories, living in temporary tent cities, cheap hotels and vacant buildings. They wait in the hope that they can soon return home and rebuild the lives they left. Others, however, choose to undertake the long and dangerous journey into Europe. Their route over land and sea, from detention camps to police cells, and through a litany of European cities, is always driven by the hope that a better future is waiting for them in the United Kingdom. By Jon Davis. Vural and I first met in Izmir in May 2013 as Turkey erupted in protests against the destruction of Istanbul’s main park. It was here, amongst our evenings of Raki and tear gas, that our friendship and desire to work together was formed. It was a collaboration born out of the political upheaval spiralling out of the Gezi Park protests but also, more importantly, the humanitarian crisis playing out in Syria and Turkey’s role in welcoming over a million Syrians fleeing the conflict which has engulfed their country for more than three years. Over the following year and a half Vural and I worked on Syria in Transit. It is the story of two borders: the Turkish-Syrian border and the France-UK border. The former is an escape route for over a million Syrians fleeing the conflict in hope of finding safety in their neighbouring country. The latter is the final border on a long and dangerous journey across Europe. Between these two borders are many other borders. Some are imperceptible, their only marker the changing language on the road signs, while others are far more treacherous and can only be traversed by swimming a river, sailing across open sea in a small boat with a 150 other desperate souls, or covering yourself in oil and climbing under a lorry. In December 2013 I visited Vural in Gaziantep in southeastern Turkey. With a population of one and a half million, Gaziantep is the sixth-largest city in the country and a growing centre for industry, textiles, and agriculture. Only 60 miles from the Syrian border, it has attracted tens of thousands of Syrians who are seeking safety, work and a place to live. It is not difficult to see the effects; Syrians can be seen at the side of the road collecting rubbish to sell, they are working in cafes and factories and filling the cheap hotels and vacant buildings. And outside the city are the tent cities, thousands of temporary white tents which have become permanent homes. Of all Syria’s neighbours, Turkey has done the most to secure the protection of refugees. However, with the increasing strain on resources, changes in the government’s use of terminology clearly hint that they perceive their displaced neighbours as transitory visitors. Initially referred to as “guests”, the Turkish government has since awarded Syrians “temporary protected status”. However, with increasing 26

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numbers of refugees crossing the border, the government is now attempting to limit those who can cross without official documents. All this has led to the creation of over 20 camps along the border, yet over 70 percent of Syrians in Turkey are living undocumented in urban areas. As the conflict continues and IS makes further gains across the border, Turkey is rapidly losing its ability to protect and provide for the sheer number of refugees flooding into its territory. During my visit, Vural and I spent some time at the official border crossing talking to the Syrians who were waiting for family members to cross, drinking tea and warming our hands and feet over an open fire. There was a long line of trucks and lorries queuing to cross the border. We were told that they don’t actually enter Syria but unload their goods in a buffer zone where they will be collected by Syrian truck drivers and then distributed throughout the country. A steady flow of Syrians was crossing in both directions on foot and, after what appeared to be only a cursory glance at their passports, those entering Turkey were quickly herded into packed waiting taxis which would ferry them to the centre of Kilis. Later we walked into the fields on a track running parallel to the border. In the hundred metres between us and Syria were olive trees, a minefield and a two-metre high fence. Border zones are always liminal spaces where people pass from one state to another; here a new informal border crossing has been created for those who don’t have passport. Despite the presence of the Turkish military, hundreds of Syrians cross the border each day, by climbing either over the fence or through its many gaps and holes. It’s clear that, whilst the Turkish authorities don’t officially allow this form of illegal entry, in 2013 they were unwilling to use further force to prevent it. Vural tells me that, with the increasing threat from IS, the border is now heavily patrolled, with the military stopping any attempting to cross illegally. As we were leaving, we saw two teenage brothers with their two sisters jump out of the back of a white pickup truck on the Syrian side of the border. They found a gap in the fence and came running, zigzagging into Turkey with tears and fear in their eyes. We shouted at them to stay on a rough small path which led out of the minefield. When they


This map documents the journeys of five Syrians – Hassan, Firas, Ammar, Marios and Abed. Hassan —— · —— · —— · —— · —— · —— · —— · —— Idlib > Bab al-Hawa > Istanbul > Athens > Catania > Rome > Milan > Paris > Lille > Calais Firas · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · Bab al-Hawa > Gaziantep > Istanbul > Athens > Rome > Sicily > Rome > Austria > Italy > France > Geneva > Basel > Luxembourg > Antwerp > Amsterdam > Hamburg > Berlin > Hamburg > Augsburg > Copenhagen > Stockholm > Malmo > Germany > Belgium > Calais Ammar —— —— —— —— —— —— —— —— —— —— Damascus > Istanbul > Izmir > Athens > Copenhagen > Paris > Calais Marios – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · Aleppo > Kilis > Gaziantep > Antakya > Istanbul > Athens > Crete > Rome > Milan > Nice > Paris > Calais > Dusseldorf > Berlin > Hamburg > Bremen > Calais > London > Wakefield > Middlesbrough > Dungavel House Abed — — — — — — — — — — — — — — — — — — Damascus > Beirut > Cairo > Alexandria > Cairo > Gaziantep

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reached us we told them that they were safe; their tears stopped and smiles spread across their faces. They got into a taxi which had suddenly appeared behind us and headed off to the main road towards Kilis. In the UK, however, the plight of Syrian refugees seems like a distant tragedy, a story in a newspaper rather than a humanitarian crisis played out on our doorstep. This is partly due to the reluctance of the British government to welcome Syrian refugees (it has set a quota at 500, preferring to offer financial aid), but also due to the fact that our border has been effectively outsourced to France. Calais has become our de facto border zone. It is here, at one of the world’s most famous migrant bottle necks, where over a thousand Sudanese, Eritrean, Afghan and Syrian migrants have become stuck. Since the Sangatte refugee camp was closed in 2002, migrants arriving in Calais have been offered very few professional services; thousands sleep in the streets, in parks and in tarpaulin tents known as “jungles”. They are helped by some local residents and activists but are often arrested by the police. Every day they walk out to the port or Eurotunnel and try to scale the fence, hide under a lorry or sneak onto a train, all in the attempt to reach the UK. In our two visits to Calais, Vural and I met a number of Syrians attempting to reach the UK. All had begun their long and dangerous journey in Turkey, ‘the door’ to Europe, and the names of the European cities that they had visited rolled off their tongues in long litanies. Their stories were all shockingly similar and familiar; exploitation and racism were common, and kindness was hard to find. It was in Calais that we met Marios, a young man with an easy, affable manner and excellent English. He, like everyone else, was trying to get to England but when he said “see you in London” as we parted you could see in his eyes that he meant it.

“Syria in Transit” is a collaboration between British producer Jon Davis (LIFT) and Turkish photographer Kemal Vural Tarlan in the framework of TANDEM Turkey – EU. Through their extensive research in Turkey, Calais and the UK, Jon and Vural reveal the hope and desperation of lives lived in transit. It was exhibited at Rich Mix and Balfron Open Studios Season in London in September. It will be exhibited at Kirkayak Art Centre in Gaziantep in November 2014. More information at www.tandemexchange.eu.

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Two months later I had a call from Marios telling me that he was in an immigration removal centre near London. In the following months, he was moved to two further detention centres, one near Gatwick Airport, the other in Wakefield, whilst the UK Home Office attempted to deport him to Greece or Italy where he had previously been arrested. After several months Marios was given a room in a house in Middlesbrough where he hoped to build a new life. Yet at the beginning of August, the UK Home Office sent Marios to his third detention centre, Dungavel House in South Lanarkshire, Scotland. This time he has been issued a plane ticket to France. This is just one of the many stories that Vural and I uncovered from the millions of refugees in transit, in and on the fringes of Syria and the UK. It is clear that, as the conflict continues with increasing violence and the country fractures further, their temporary displacement is becoming a permanent limbo, a transitory existence with no known destination in sight.


Edition NGO-Szene: Bulgarien Sie arbeiten für unterschiedliche NGOs in Bulgarien. Rozalina Laskova, Yanina Taneva und Svetozar Gradev schauen auf ihre eigene Arbeit und die Entwicklungen der NGOs in Bulgarien. Sie reflektieren über die Bürgerprotestbewegung der letzten Jahre und deren Auswirkungen auf die NGOs im Land. Sie schauen gemeinsam in die Zukunft Bulgariens.

Svetozar Gradev

Rozalina Laskova

Yanina Taneva

Hintergrund: Ökonom und Ingenieur Interessen: Projektmanagement, Nachhaltige Entwicklung, Ökonomie und Internationale Beziehungen Die größte Herausforderung der letzten Monate für dich: Die Vorbereitung von zwei Projekten in der Donauregion gefördert durch EEA Grants und Norway Grants.

Hintergrund: Geschäftsführerin der Iliev Dance Art Foundation in Sofia, freiberufliche Kulturmanagerin und Beraterin zu Themen wie Kultur- und Kreativindustrien, EU-Finanzierung, Social Entrepreneurship und kulturelle Bildung Interessen: Kunst, Medien und Demokratie, (Social) Innovation, Führung Die größte Herausforderung der letzten Monate für dich: Den größtmöglichen Nutzen aus meiner Teilnahme an einem großen, transatlantischen Leadership Development Programm – dem Marshall Memorial Fellowship der GMF – zu ziehen.

Hintergrund: Medien, Kulturanthropologie, Psychodrama und angewandte Theaterwissenschaften Interessen: Kollektive Intelligenz, Bürger, die ihre Kreativität in die Tat umsetzen Die größte Herausforderung der letzten Monate für dich: Der Versuch kommunale und staatliche Verwaltung in Vorhaben einzubeziehen und deren Verständnis für die Bedeutung der Worte „Zusammenarbeit“ und „Innovation“ zu schärfen.

Organisation: Novo Badeste (auf deutsch „Neue Zukunft“). Aktivitäten: Mit der Stärkung von jungen Erwachsenen und deren Gemeinschaften setzt sich Novo Badeste für nachhaltige Entwicklung und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen ein. Größe: 100 Mitglieder Ort: Burgas, Bulgarien Aktiv seit: 2007 Motivation eine NGO zu gründen: Die Entwicklung einer aktiven Zivilgesellschaft in Bulgarien, die Stärkung des Umweltbewusstseins durch Projektarbeit, Partnerschaften und Einbindung von Entscheidungsträgern, und die Identifikation mit europäischen Werten und Ideen in der Bulgarischen Gesellschaft zu stärken.

Organisation: Iliev Dance Art Foundation Aktivitäten: Tanzkunst – Tanztraining, Community-Projekte und -produktionen Größe: Klein, aber eine der aktivsten Kulturorganisationen in Bulgarien. Ort: Sofia, Bulgarien Aktiv seit: 2008 Motivation eine NGO zu gründen: Die Notwendigkeit professionelle Tanzausbildung zu fördern und zu verbessern sowie die Tanzkunstszene in Bulgarien nach Weltstandards zu entwickeln.

Organisation: Ideas Factory Aktivitäten: Soziale Innovation, Social Innovation Challenge, Changemakers Academy, Forum Theater, Baba Residence Ort: Sofia und Plovdiv, Bulgarien Aktiv seit: 2007 Motivation eine NGO zu gründen: Themen, die ungehört sind, eine Stimme geben. Zugleich wollen wir neue Methoden finden, ihnen zu begegnen und mit ihnen umzugehen.

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Novo Badeste Bike Parade „Together we can make a difference“

Hatten die Proteste in Bulgarien von 2013 Auswirkung auf den NGO-Sektor? Yanina: Es wurde deutlich, dass viele NGOs an den realen Bedürfnissen und Interessen unserer Gesellschaft vorbei wirken. Diese Entwicklung hat den erfrischenden Effekt, dass die Rolle von NGOs in der Gesellschaft in Bulgarien überdacht wird. Mir stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Rolle NGOs heute einnehmen, wenn Menschen selbst fähig sind sich über Social Media Kanäle schnell und effizient zu organisieren. Wie in den meisten osteuropäischen Ländern, bildete sich in den 1990er Jahren in Bulgarien ein NGO-Sektor mit korrupten Strukturen. Dadurch litt das Ansehen von NGOs in der Bevölkerung. Heute formt sich der Sektor neu und organisch und es bildet sich eine starke und parteienunabhängige Zivilgesellschaft. Sie existiert unabhängig vom NGO-Sektor. Diese Entwicklung zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel durch die Bürger selbst angestrebt werden muss, nicht durch einen bestimmten Sektor. Rozalina: Die Protestbewegung hat einen Teil der Bulgarischen Gesellschaft – einzelne Menschen, Aktivisten und NGOs – zusammengebracht und ihr Engagement über die aktuellen Proteste hinaus aktiviert. Viele NGOs wurden ermutigt, ihre Stimme zu erheben. Die Zivilgesellschaft und NGOs wurden trotz dieser positiven Effekte nicht nur gestärkt. Es gab auch Kampagnen in den Medien, die diese Entwicklung sehr negativ darstellten. Svetozar: Ein positiver Effekt ist, dass Politiker nun Respekt und vielleicht auch etwas Angst vor der Zivilgesellschaft in Bulgarien haben. Sie nehmen den Einfluss der Menschen ernster. Die Protestbewegung in Bulgarien hat Einfluss auf die Entwicklung politischer Strukturen im Land. Akteure aus dem NGO-Sektor werden zunehmend von der Politik eingeladen, sich an Debatten zu beteiligen. Yanina: Nicht zuletzt haben die Menschen hier verstanden, dass sie gemeinsam mehr erreichen können, gerade wenn es darum geht, wie in Bulgarien, ein politisches und korruptes System zu verändern. Es bildeten sich Koalitionen verschiedener Interessensgruppen. Der Antrieb der Leute liegt darin, dass sie sich durch die Politiker nicht gut vertreten 30

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fühlen. Wie in vielen anderen Ländern auf der Welt, sind ist auch in Bulgarien die Mehrheit der Bevölkerung nicht im Parlament vertreten und somit von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. In welchen Bereichen engagieren sich NGOs? Rozalina: Ich würde sagen, in den Bereichen Umweltschutz, Sozialfürsorge, Jugend und Bildung sowie im Kulturbereich sind die NGOs hierzulande sehr aktiv. Svetozar: Ich habe einen ähnlichen Eindruck. Es gibt viele Aktivitäten rund um Umweltschutz, Sport und Kultur und im sozialen Bereich. Es beschäftigen sich auch viele NGOs mit Sinti und Roma. Yanina: In den letzten Jahren hat das Thema Umweltschutz tausende Menschen mobilisiert. Eine Bewegung engagierter Bürger, die sich für die Reformierung unseres Bildungssystems einsetzt, hat sich gebildet. Grundsätzlich sind bulgarische NGOs in Bereichen der Sozialfürsorge sehr aktiv. Sie übernehmen Aufgaben, die eigentlich durch den Staat getragen werden sollten. Ein Beispiel dafür: das Engagement in Kinder- und Waisenheimen. Diese Institutionen sind ein unmenschliches Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten. Neue Themen sind Migration und das Recht von Migranten, die mit den Konflikten im Nahen Osten aufgekommen sind. Die Flüchtlingsbewegung löste eine unglaubliche und sehr wichtige Debatte innerhalb der Gesellschaft aus und führte auch zu Meinungspolarisierung in Bezug auf die Rechte von ethnischen sowie religiösen Minderheiten, die seit Jahrhunderten in Bulgarien leben. Im Zuge dessen gründeten sich viele neue Initiativen. Welche Themen sind unpopulär? Svetozar: Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen. Meiner Meinung nach auch Sozialunternehmertum. Yanina: Das Gesundheitssystem, welches nicht zuletzt verantwortlich ist für viele Menschenrechtsverletzungen, und der fehlende Zugang zum Gesundheitswesen. Tabuisiert wird auch die Thematik Armut und ihre Wurzeln sowie Homosexualität und die Kontrolle über die Verwendung von öffentlichen Geldern.


konnten beispielsweise mehrere Nationalparks vor Baumaßnahmen bewahrt werden. Ein Erfolgsmoment für mich persönlich war, als Novo Badeste von der Europäischen Kommission 2013 einen Preis im Rahmen der Sustainable Urban Mobility Campaign „DO THE RIGHT MIX“ gewann. Gibt es regionale oder spezielle Herausforderungen, denen die NGOs in Bulgarien begegnen? Rozalina: Viele Organisationen neigen dazu, zu reagieren und nicht zu agieren. Statt Lösungsvorschläge und konstruktive Ideen anzubieten oder gute Lösungsansätze zu unterstützen, werden sie nur aktiv gegen bestimmte Entscheidungen oder gesellschaftliche Probleme. NGOs bewegen sich in Bulgarien in einem unsicheren rechtlichen Raum. Die Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit in Bulgarien macht deutlich, in welchem Rahmen NGOs sich oftmals mit ihren Aktivitäten bewegen. Zudem gibt es keine nachhaltige Finanzierung durch den Staat. Es gibt keinen Wettbewerb um staatliche Förderungen. Yanina: Die Medien sind an einem Ort konzentriert, es gibt Zensur und einen Mangel an Förderprogrammen im Gegensatz zum Wachstum des Sektors. Innovative Vorhaben brauchen Förderungen im Rahmen von 2.000 bis 20.000 Euro an Stelle einer Projektförderung von 250.000 Euro. Der Mehrwert wäre viel höher, auf Bedürfnisse in den Regionen könnte besser reagiert werden. Svetozar: Herausforderungen, wie Umweltverschmutzung, der Aufbau einer starken Zivilgesellschaft, Arbeitslosigkeit und auch Integration der Roma und Sinti werden in den Teilregionen Bulgariens oft nicht wahrgenommen. Im Mittelpunkt steht die Hauptstadt. Das liegt wohl an daran, dass dort auch die Politik gemacht wird. Rozalina: Mir fällt auf, dass Fragen rund um das Älterwerden und alte Menschen vernachlässigt werden. In allen Bereichen gibt es unbeliebte Themen. NGOs tendieren oft dazu auf akute Probleme und Herausforderungen zu reagieren und eher „sichtbare“ Themen in ihrer Arbeit aufzugreifen. Was ist die größte Errungenschaft für den NGO-Sektor in Bulgarien in den letzten Jahren? Yanina: Gerechtigkeit, im rechtlichen Sinne, und Umweltbelange sind öffentliche Angelegenheiten. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein und das Verständnis dafür ist gewachsen. Rozalina: Wir ringen um mehr Mitspracherecht in politischen Prozessen und Entscheidungsprozessen. Wir sind dabei nicht immer erfolgreich, es ist aber auch eine wirklich große Herausforderung. In den letzten Jahren wurden immer wieder politische Entscheidungen überdacht und letztendlich neu verhandelt auf Grund der Proteste und Aktionen von NGOs. Das ist ein echter Erfolg. Dass unsere Aktivitäten etwas bewirken macht Hoffnung und es stärkt die Zivil Gesellschaft in Bulgarien. Es wurde auch eine Strategie für die Entwicklung von Organisationen der Zivilgesellschaft auf Regierungsebene erarbeitet, nur wurde sie bis heute nicht wirklich umgesetzt. Svetozar: Die Proteste haben etwas bewirkt. Dank ihrer

Wie ist die Haltung der bulgarischen Bevölkerung gegenüber NGOs? Yanina: NGOs, die sich durch ausländische Mittel finanzieren, stehen dem Vorwurf gegenüber, auch ausländische Interessen zu vertreten. Diese Haltung ist nicht mehr weit verbreitet, existiert aber. Rozalina: Vor ein paar Jahren kam es häufig vor, dass Parteien oder Unternehmen Stiftungen und andere Organisationen gründeten, um Projektmittel bei der EU zu beantragen, die dann nicht für die geplanten Vorhaben eingesetzt wurden. Das hat Misstrauen geschaffen. Wenn heute Stiftungen Initiative oder Projekte starten, sind die Menschen noch immer skeptisch. Jedoch ist die Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Dritten Sektor Zusehens besser und differenzierter. Die Änderungen auf der nationalen Ebene im Rahmen der EU-Förderprogramme schaffen bessere Kontrollen und höhere Transparenz, wo und wie die Gelder eingesetzt werden. Svetozar: Das sehe ich auch so. Diese Art von NGOs, gegründet auf den Interessen von Politikern, Parteien oder Unternehmen, führte nicht zu einer Entwicklung einer Zivilgesellschaft oder einem positiven gesellschaftlichen Wandel. Jetzt gibt es unabhängige Organisationen, die von der Bevölkerung unterstützt werden. Im Moment vor allem durch ehrenamtliche Hilfe. Der Finanzkrise geschuldet, ist eine sehr geringe finanzielle Unterstützung.

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Ideas Factory, EMPATHEAST 2014, Workshop by Ralf Bohlke about Community-led actions, Foto by Mariya Angelova

Wächst das zivilgesellschaftliche Engagement innerhalb der Bevölkerung? Rozalina: Immer mehr Leute investieren ihre Zeit in ehrenamtliches Engagement. Sie sind aktiv in ihren Gemeinden, engagieren sich für NGOs oder beteiligen sich an gesellschaftlichen Bewegungen. Diese Beobachtung macht mich sehr glücklich. Yanina: Die Menschen bestehen stärker darauf, ihre Gesellschaft, ihr Land mitzugestalten. Diese Entwicklung ist nicht nur in Bulgarien zu beobachten. Die politischen Entscheidungsträger der letzten 70 Jahre haben daran gearbeitet, dass die Bulgaren heute wenig Vertrauen in Politik haben. In einem System, das so kaputt ist, ist dies die richtige Haltung und ihr Aktivismus ist eine absolut richtige Antwort darauf. Wer ist in die Aktivitäten deiner NGO involviert? Svetozar: Wir beziehen Ehrenamtliche der Jugendarbeit ein. Wir binden auch Entscheidungsträger und Politiker auf lokaler sowie regionaler Ebene ein. Bei unseren Aktivitäten sind meist junge Leute involviert. Das hängt immer vom Projekt und den jeweiligen Zielgruppen ab. Repräsentanten unserer Partnerorganisationen beteiligen sich auch. Yanina: Unsere Changemakers aus dem Changmakers Network und natürlich die Mitarbeiter und alle ehrenamtlichen Helfer arbeiten mit uns zusammen. Involviert sind NGOs, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Dazu kommen Medienvertreter und das Netzwerk um die „European Capital of Culture 2019 – Plovdiv“, sowie Zielgruppen, mit denen unsere Alumni arbeiten und interagieren. Rozalina: Die meisten Menschen sind mit unserer Vision und unseren Aktivitäten verbunden, zum Beispiel die Tänzer selbst, ihre Familien oder auch Teilnehmer unserer Programme sowie Menschen, die Kunst und Tanz mögen.

zwanzig junge Ehrenamtliche mit. Yanina: Unser Team besteht aus sieben Leuten. Unser Changemakers-Netzwerk besteht aus über hundert Alumni. In den letzten drei Jahren begleiteten uns zehn Praktikanten und mehr als sechzig Ehrenamtliche haben sich beteiligt. Rozalina: Wir haben drei festangestellte und etwa fünfzehn externe Mitarbeiter, die regelmäßig mit uns an der Umsetzung von Projekten arbeiten. Für unterschiedliche Kampagnen und Projekte arbeiten jedes Jahr in etwa zehn bis fünfzehn Ehrenamtliche bei uns und drei bis fünf Hospitanten. Seid ihr mit euren Themen Alleingänger oder habt ihr viele Mitstreiter? Svetozar: Bei all unseren Vorhaben setzen wir auf die Zusammenarbeit mit Partnern und Förderern. Das gibt uns die Möglichkeit der größtmöglichen Unterstützung unserer Vorhaben, durch Know-How, Austausch und, auch sehr wichtig, Feedback und konstruktive Kritik für unsere Arbeit. Yanina: Wir haben es geschafft, Teil eines guten und großen Netzwerks zu werden, was sich jeden Tag auszahlt. Partnerschaften, Koalitionen und Netzwerke sind für gesellschaftliche Veränderungen unerlässlich, im Alleingang kann man das nicht bewirken. Eine unserer letzten Bemühungen war das Projekt EMPATHEAST, für das wir mehr als 40 Partner gewinnen konnten. Rozalina: In Bulgarien gibt es glücklicherweise viele aktive Organisationen, die ihr Arbeitsfeld den Darstellenden Künsten widmen. Genau wie wir engagieren sie sich in der Kulturpolitik, bemühen sich die bestehenden Strukturen zu verbessern oder zu verändern, auch in Kooperation mit Ministerien und anderen staatlichen Behörden.

Wie viele Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer sind an Mit wem arbeitet ihr zusammen? eure NGO gebunden? Svetozar: Wir haben regionale und internationale PartSvetozar: Für Novo Badeste arbeiten im Moment fünf Leute ner, andere Organisationen und auch Behörden wie zum und die Organisation wird von drei Leuten gesteuert – den Beispiel das Youht Information Centre, Thracian Society Vorstandsmitgliedern. An der konkreten Umsetzung unse- „Exarch Antim I“, Ideas Factory, Veloevolution, National rer Projekte, Aktivitäten und Kampagnen arbeiten etwa Cycling Association oder das Czech Centrum Sofia. Auf 32

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Iliev Dance Art Foundation, Team-Bild

Ideas Factory, EMPATHEAST 2014, Foto by Mariya Angelova

internationaler Ebene arbeiten wir mit EUROCITIES, dem Regional Environmental Center Romania, dem Regional Environmental Center Turkey, dem Caucasian House – Georgia und natürlich mit MitOst. Yanina: Wir haben ein gutes internationales Netzwerk in Europa und in Afrika, natürlich auch auf dem Balkan. Unsere Partner sind Romania – Art Fusion, Balkans – SEEYN, London – LEAD International, wir haben Partner in Tansania, Uganda, Ghana und im Senegal, um nur einige zu nennen. Rozalina: Das hängt ganz von dem jeweiligen Projekt und der Initiative ab. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Partnern von der America for Bulgaria Foundation oder der Amerikanischen Botschaft über Gemeinden und Städte wie Sofia und Burgas bis hin zu Institutionen wie Theatern und Kunstschulen zusammen. Gemeinschaftsprojekte führen wir ebenso mit anderen NGOs und Organisationen in Bulgarien, die im Bereich Darstellende Kunst tätig sind.

men. Wir laden sie ein, gemeinsam an gesellschaftlichen Veränderungen zu arbeiten. Ich bin überzeugt, dass wir neue Formen des Zusammenkommens dringend brauchen. Rozalina: In Bulgarien ist das im Moment sehr üblich. Glücklicherweise haben sich in unserem Arbeitsfeld Kooperationen zwischen beispielsweise Kulturorganisationen und Bildungseinrichtungen etabliert.

Seid ihr Teil eines etablierten Netzwerks? Yanina: Wir sind in unserem Teil der Welt gut eingebunden in Netzwerke. In den Bereichen Social Impact und Social Innovation kann das Netzwerk in Osteuropa aber noch stärker und verzweigter werden. Svetozar: Wir sind Mitglied bei MitOst und dem Bulgarian Bicycle Netzwerk. Im Moment arbeiten wir daran, in Bulgarien auch ein Netzwerk von Social Entrepreneurs und Innovatoren zu etablieren. Rozalina: Ja, wir sind Teil verschiedener informeller Netzwerke für Darstellende Künste (performing arts) in Bulgarien. Auf europäischer Ebene ist das noch nicht der Fall. Da möchten wir gerne hin. Wie verbreitet sind transsektorale Kooperationen? Svetozar: Wir arbeiten eng mit regionalen Behörden zusammen und streben bei jedem unserer Projekte eine gemeinsame Implementierung an. Yanina: Das ist eines unserer größten Anliegen. Wir arbeiten viel mit der Workshop-Methode „World Café“. Dabei bringen wir verschiedene Akteure aus der Verwaltung, Kultur und Kunst, Jugendarbeit und den Medien zusam-

Wie finanziert ihr eure Arbeit? Svetozar: Wir implementieren Projekte. Für diese beantragen wir Fördergelder bei verschiedenen Programmen in Bulgarien und bei der EU. Yanina: Wir finanzieren uns über Stiftungsgelder einer amerikanischen Stiftung, durch öffentliche Gelder und EUMittel. Wir erhalten auch Spenden. Etwa 8 bis 12 Prozent unserer Einnahmen erwirtschaften wir selbst durch eigene Dienstleistungen. Rozalina: Wir finanzieren uns über Projektmittel, die meist von größeren ausländischen Organisationen und Kulturinstitutionen oder Botschaften kommen. Dazu kommen kleine Budgets aus kommunalen Töpfen und Spenden von Privatpersonen. Einen Teil der Mittel erwirtschaften wir selbst. Mit welchen Herausforderungen seid ihr konfrontiert? Svetozar: Wir wollen kontinuierlich unsere Arbeit ausbauen und für eine sichere und zukunftsfähige Finanzierung sorgen. Unser Ziel ist es, auf Maßnahmen und politische Entscheidungen in unserer Region Einfluss nehmen zu können. Das verlangt eine Menge an kreativen Ideen und professioneller Entwicklung. Yanina: Intern sehe ich Wachstum als eine schöne, aber auch unberechenbare Herausforderung vor der wir stehen. Als externen Faktor, der uns herausfordert, sehe ich Skepsis und Anti-Kampagnen, die einem in diesen Zeiten doch auch entgegenschlagen, wenn man im NGO-Sektor tätig ist. Rozalina: Langfristig gesehen wird unsere größte Herausforderung die stabile Finanzierung unserer Aktivitäten sein und das Wachstum sowie die Belastbarkeit unserer Organisationsstrukturen.

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Capacity Building MitOst verbindet engagierte Menschen zu einem vielfältigen und offenen Netzwerk. Über kulturelle, sprachliche und politische Grenzen hinweg wollen wir den Austausch über neue Methoden fördern Erfahrungen teilen und Wissen zugänglich machen. In unserem Netzwerk kommen auch Alumni verschiedener Stiftungsprogramme zusammen. Sie tauschen ihre Erfahrungen und Expertise aus und planen gemeinsame Projekte. In Belgrad spielten die Alumni des Theodor-Heuss-Kollegs auf der Straße. Sie probierten sich im „Adventures Education Gaming“. Iva Tašić schreibt darüber, warum wir nie zu alt sind, um in den Straßen zu spielen. Diversity Dynamics, das neue Handbuch aus dem Theodor-Heuss-Kolleg, wendet sich dem Thema Diversitätsbewusstsein zu. Wie können wir mit Diversität in Seminaren, Projekten und Programmen umgehen? Welche Rolle spielt Diversitätsbewusstsein im gesellschaftlichen Engagement? Das Handbuch gibt theoretische und praktische Einblicke. Wir stellen euch die Online-Plattform TeachSurfing vor. Sie bringt weltweit Menschen, die ihre Erfahrungen, Wissen und Kultur mit anderen teilen wollen, mit gemeinnützigen Einrichtungen zusammen. Von Englisch-Unterricht in Brasilien bis zu Organisationsentwicklung in Georgien ist alles möglich. Miganoush Magarian entwickelte die Plattform mit und engagiert sich damit für weltweite Vernetzung von

MitOst Edtion Neu erschienen: Diversity Dynamics – Activating the Potential of Diversity in Trainings Ein Handbuch aus dem Theodor-Heuss-Kolleg für Trainerinnen und Trainer. Das Handbuch unterstützt Experten in der non-formalen Bildung dabei, Diversitätsbewusstsein in Trainings und im gesellschaftlichen Engagement zu entwickeln. “Let’s discuss identities and beliefs. Listen to other perspectives and be surprised that things can be seen in a totally different way. Let’s try to understand the mechanisms and structures through which discrimination and exclusion work: in civil society, on economical levels, but also in our direct surroundings, our own organizations, or the seminar group. Let’s incorporate diversity consciousness into our seminars, projects, and civil involvement. Let’s develop attitudes that embrace diversity and find best-practice mechanisms as well as new structures of collaboration that allow us to meet one another eye-to-eye. Let’s develop diversity!” Ein Handbuch, entwickelt vom Theodor-Heuss-Kolleg in Kooperation mit Working Between Cultures. Eine OnlineVersion ist in der Mediathek auf mitost.org zu lesen. Die Druckausgabe kann gegen Übernahme der Versandkosten unter geschaeftsstelle@mitost.org bestellt werden. 34

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Reisenden und Einheimischen und den Zugang von Bildung. In einem Selbstversuch bot sie als TeachSurferin den Workshop „DesignThinking“ beim MitOst-Festival in Novi Sad an. Passend dazu stellen wir die Methode Design Thinking vor. Ursprünglich wurden mit dieser Methode Produkte und Services entwickelt. Heute wird Design Thinking immer häufiger angewendet, um Probleme ganzheitlich und nutzerorientiert zu lösen. Kernelemente sind Kollaboration, Kreativität, Diversität, Empathie und Prototyping. Menschen unterschiedlicher Disziplinen kommen in einem kreativitätsfördernden Umfeld zusammen. Gemeinsam entwickeln sie – oft unkonventionelle – Ideen und Lösungsansätze zu bestimmten Fragestellungen.


Alumni Network: We are not too old to play in the streets! In late September 2014, Theodor-Heuss-Kolleg’s alumni met in Belgrade, Serbia. The adventure education game in the streets of the city took a magical turn of events. By Iva Tašić. altogether. However, we decided to move to another place. And this is where the magic happened. We restarted the game just next to the Danube River, more excited and louder than we were during the first attempt. Passers-by were stopping, wondering what was going on. An older couple seemed particularly interested; the man started shouting suggestions at us, every one more complicated but more creative than the previous one. We made two extra holes in the net so they could join the game. Contrasting our principle to find one reliable way to go through the net and use it over and over, they insisted on finding new and unique solutions for each and every hole in the net. The adrenaline rush was compelling. For those of us like me, who are not used to physical challenges in everyday life, it felt simply amazing to find ourselves in a situation like this, pushing both our bodies and our minds beyond their comfort zones. As we finished the task, we all burst out cheering as one. And then the man said: “Hey, I own a free climbing gym just around the corner. What are your plans for tonight?” Thus our adventure education workshop took an unexpected turn. We spent the next two hours learning about the basics of free climbing, trying out different techniques and exercises. The man was as excited to have us there as we were to be there. We were captivated, listened to him talk passionately about his sport, describing the incomparable feeling of the rock under your fingertips while you’re climbing your way up, knowing that no human hand touched it before. At the Theodor-Heuss-Kolleg’s alumni meeting in Belgrade, we were to attend a workshop on adventure education. The story that followed lived up to the expectations set by its title. A group of roughly ten people, we set out to find a convenient place to set up a net made of rope needed for our small adventure game. The task was simple: the net would have as many holes as participants, some of them easier to go through than others. Working as a team, we were supposed to go from one side of it to the other, one by one, without touching the rope. First we set up the net just in front of our hostel in Belgrade’s old town. The passions were high as we were trying to figure out the task – up until the moment when an old lady in front of whose window we were situated came out and started yelling at us – not for being too loud, but simply because “we were too old to be playing games outside”. After a brief row resulting in us being forced to leave, the group spirit reached a low point. I even considered leaving the workshop

In the aftermath, I was surprised to find out that people who hadn’t participated didn’t share our enthusiasm about the whole event; moreover, they were astonished about my excitement, knowing that I usually don’t get carried away with things of this sort. At that moment I fully realized that something indeed magical had happened.

Von Alumni für Alumni

Bei MitOst verbinden sich Alumni internationaler Stiftungsprogramme zu einem Netzwerk. Die Almunigruppen tauschen Wissen aus, bilden sich weiter und pflegen ihre Kontakte. MitOst unterstützt die Gruppen dabei, geeignete Formate und Veranstaltungen zu entwickeln und durchzuführen. Für Almuniaktivitäten können Fördermittel beantragt werden. Alle Informationen unter www.mitost.org.

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Teilen macht Spaß – Werde TeachSurfer auf deinen Reisen Miganoush Magarian und Gretta Hohl sind Softwareentwicklerinnen und haben gemeinsam das Projekt TeachSurfing.org ins Leben gerufen. Die Plattform bringt weltweit Menschen, die ihre Erfahrungen, Wissen und Kultur mit anderen teilen wollen, mit gemeinnützigen Einrichtungen zusammen. Miganoush stellte dieses globale Netzwerk aus Wissensspendern und Wissenssuchenden, und die Arbeitsmethode „Design Thinking“ in einem Workshop beim 12. Internationalen MitOst-Festival in Novi Sad vor. Ein Artikel von Miganoush Magarian. Aus dem Englischen von Gretta Hohl.

Stell dir vor, du möchtest eine neue Fähigkeit erlernen oder Einblick in ein neues Thema gewinnen. Vielleicht möchtest du lernen, wie man eine Website baut oder eine Fundraising-Kampagne startet. Vielleicht interessiert dich wie du Tische für dein Klassenzimmer herstellen kannst oder wie du ein Basketball-Team trainierst. Wäre es nicht toll, wenn ein Experte auf dem Gebiet zu dir kommt und dir genau das beibringt? Stell dir vor, Menschen gehen auf Reisen und geben ihr Wissen und ihre Expertise überall da weiter wo es auf ihrer Reiseroute gerade benötigt wird. Im Gegenzug erleben sie vor Ort die einheimischen Menschen und lernen deren Sprache, deren Kultur und Traditionen aus einem unverfälschten Blickwinkel kennen. Weltweit herrscht ein großer Bedarf in Schulen, Universitäten, Gemeinschaften und ehrenamtlichen Organisationen, an dieser – persönlichen und informellen – Form von Wissens- und Kulturaustausch. Dennoch fehlte bis heute eine passende Lösung, welche einfach und flexibel die Freiwilligen mit passenden Einrichtungen direkt verbindet. Deshalb haben wir die Plattform TeachSurfing.org entwickelt. Dort können sich Menschen die etwas teilen möchten einfach vernetzen. Ich selbst nutze die Plattform regelmäßig, denn ich suche immer wieder nach Möglichkeiten mein Wissen und meine Fähigkeiten Anderen zu vermitteln. 36

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Beruflich bin ich Softwareentwicklerin für innovative ITLösungen. Bei meiner Arbeit probiere ich ständig neue Entwicklungsmethoden aus und teste neue Ideen. Bei der Entwicklung von neuer Software arbeite ich zum Beispiel sehr oft mit der Methode Design Thinking, die es ermöglicht über den Tellerrand hinaus zu blicken und so innovative und sehr nutzerfreundliche Lösungen zu finden. Design Thinking kann vielfältig und fachunabhängig, zum Beispiel auch bei der Arbeit von ehrenamtlichen Organisationen eingesetzt werden. Neue zukunftsfähige Lösungen für heutige gesellschaftliche Probleme können dabei geschaffen werden. Meine Erfahrungen mit dieser Methode wollte ich deshalb gerne mit Interessierten mittels TeachSurifng.org teilen. Die perfekte Gelegenheit bot sich beim Internationalen MitOst-Festival in Novi Sad. Dort wollte ich Design Thinking in einem Workshop vorstellen. Die Teilnehmenden sollten sich die Methode zu Eigen machen indem sie Design Thinking direkt im Workshop anwenden. Gerade weil ich mit der Methode regelmäßig arbeite, hielt ich einen professionellen Design-Thinking-Coach für eine größere Teilnehmerzahl für wichtig. Um einen geeignete Coach zu finden der mich bei dem Workshop begleiten kann, nutzte ich TeachSurfing.org.


MitOst legte ein Profil für das Festival auf TeachSurfing an, mit einem Gesuch für einen Design-Thinking-Coach. Das Gesuch verbreitete sich in der TeachSurfing-Community, die es wiederrum in ihre eigenen Netzwerke wie zum Beispiel an Universitäten verbreitete. Der Aufruf mit der Suche nach einem Coach für das Festivalprogramm war veröffentlicht. Noch am selben Tag meldete sich Mito bei mir. Mito ist Produktdesigner und professioneller Design-ThinkingCoach. Er teilt mit Begeisterung sein Wissen, wenn es einem sozialen Zweck dient. Zum Zeitpunkt des Festivals war er zufälligerweise unweit entfernt, in der slowenischen Stadt Ljubljana, und reiste gerne als TeachSurfer zum Festival nach Novi Sad an. Ich traf Mito das erste Mal einen Tag vor dem Workshop. Unsere Begeisterung dafür Wissen mit anderen zu teilen, schweißte uns von Anfang an zusammen. Bei der Vorbereitung für den Workshop fühlte es sich so an, als würden wir schon lange wie ein eingespieltes Team zusammen arbeiten. Der Workshop war ein voller Erfolg und TeachSurfing hatte sich bewährt. Seit einem halben Jahr ist die Plattform online und schon jetzt gibt es eine Gemeinschaft von mehr als 800 TeachSurfern aus über 100 Ländern. Ich bin überzeugt, dass TeachSurfing eine neue Form von Kulturaustausch ermöglicht.

Bist du auf der Suche nach einem Experten für dein gemeinnütziges Projekt, in deiner Schule, deiner Universität oder Gemeinschaft? Oder Möchtest du dein Wissen für einen guten Zweck, während einer Reise oder in deiner Nachbarschaft weitergeben? Dann werde Teil der TeachSurfingGemeinschaft und gestalte mit uns zusammen ein kostenfreies, weltweites Netzwerk für Kultur- und Wissensaustausch.

teachsurfing.org

TeachSurfing is an educational and cultural exchange revolution. It connects individuals passionate to share their skills for social cause, while traveling the world or locally in their home town. Through the web application individuals can create a profile and add their location, travel plan and skills ranging from hobbies to professional expertise. On the other hand, members of schools, universities, communities or non-profit organizations can report their community’s learning needs and invite experts to run a workshop or make inspiring educational speeches.

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Encourage wild ideas – Design Thinking Design Thinking ist eine Methode zur Entwicklung innovativer Lösungen für Fragen und Herausforderungen in allen Lebensbereichen. David Kelley, Gründer der Design Agentur IDEO, entwickelte die Methode. Dabei arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und mit verschiedenen Fähigkeiten gemeinsam an einer Fragestellung. Im Mittelpunkt stehen das Erforschen von Schnittstellen unterschiedlicher Meinungen und Perspektiven und das Lernen durch Anwenden. Empathie ist dabei eines der

wichtigsten Werkzeuge. Denn nur wer die Bedürfnisse und die Motivation von Menschen kennt und versteht, kann kann für ihre Probleme und Herausforderungen die besten Lösungen entwickeln. Somit stehen bei diesem lösungsorientierten Beteiligungsverfahren die betroffenen Menschen im Fokus. Ideen werden nicht nur diskutiert, sondern in Prototypen umgesetzt. Der schnellste Weg zur Innovation: Fehlermachen und daraus lernen.

Leitfaden für Design Thinking, 11 wichtige Regeln:

Quelle: Design Thinking in der Praxis von Juergen Erbeldingen und Thomas Ramge

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Team: Das optimale Team besteht aus Menschen, die hinsichtlich ihrer Expertise, Herkunft, Nationalität und kulturellen Zugehörigkeit sehr unterschiedlich sind. Ziel ist eine möglichst große Vielfalt an Perspektiven. Verstehen – Beobachten – Sichtweise – Ideenfindung – Prototyping – Test Verstehen: Das Arbeitsfeld wird definiert. Das Team entwickelt ein gemeinsames Verständnis, was die eigentliche Herausforderung ist. Es versucht diese in ihren Elementen, wie Akteure, Situation, Gestaltungsmöglichkeiten, zu verstehen. Es geht darum die richtigen Fragen zu stellen.

Beobachten: Das Team erforscht die Herausforderung. Es begibt sich in die Erlebniswelt der Akteure und sammelt Erkenntnisse sowie rahmengebende Faktoren für die zu lösende Herausforderung. Sichtweise: Alle gesammelten Eindrücke kommen nun zusammen. Die Herausforderung wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Oftmals wird dabei eine fiktive Person beschrieben, die für die Zielgruppe steht, anhand derer man sehr konkret beschreiben kann. Das Kernproblem wird identifiziert und in einer ganz konkreten Fragestellung formuliert. Ideenfindung: Für das definierte Problem werden mit Kreativitätstechniken aus der Ideenvielfalt des Teams so viele Ideen wie möglich gesponnen. Dabei ist alles erlaubt und alle Ideen, egal wie wild sie sind, werden gesammelt. Im Anschluss werden sie auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft. Möglichweise werden sie sogar kombiniert. Daraus ergeben sich passende qualitativ hochwertige Lösungen. Prototyping: Die Ideen werden getestet und damit greifbar gemacht. Prototypen sind praktisch erfahrbar und greifbar, das können Collagen, Konstruktionen oder Events sein. So kann der Lösungsansatz direkt getestet werden und Schwachstellen können erkannt werden. Test: Ist die Idee tatsächlich geeignet für die Zielgruppe? Die Zielgruppe testet inwieweit der Prototype tatsächlich hilfreich ist. Daraufhin kann das Konzept verfeinert werden und die bestmöglichste Lösung gefunden werden.

Lass dich inspirieren und lerne von Erfahrungen engagierter Ehrenamtlicher, Experten und Facilitators. Mehr Methoden und Werkzeuge unter www.getting-involved.net

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Redrawing stories from the past Mit dem Aussterben der letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus wird die Suche nach neuen Konzepten des Erinnerns immer dringlicher. In Bildergeschichten erforschen Künstler und Jugendliche die gemeinsame Vergangenheit. In Graphic Novels bringen sie die vergessenen Geschichten von Opfern des Nationalsozialismus‘ ans Licht. Mit Stift und Papier spüren sie der Erinnerungskultur und den widersprüchlichen Narrativen in West- und Osteuropa nach. Unter dem Dach von MitOst e.V. organisieren die Kultur- zeitgenössischer Kunst kommt in der Verhandlung von manager Elisabeth Desta und Ludwig Henne das Projekt Geschichte und Erinnerungsdiskursen eine besondere „Redrawing Stories from the Past“. Ziel ist es, eine bereits Rolle zu. Wichtige gesellschaftliche Debatten sind durch sie über 70 Jahre zurückliegende Geschichte für Jugendliche angestoßen worden. Das Format der Graphic Novel wird in noch heute greif- und fühlbar zu machen und damit auch den letzten Jahren besonders im Bereich der Geschichtsdiein Verständnis für gegenwärtige europäische Entwicklun- daktik mit Interesse verfolgt und weiterentwickelt1. gen zu schaffen. Unter Leitung des anerkannten ComicTheoretikers und Historikers Ole Frahm und des Zeichners „Die Ursprünge des Comics, also die Abfolge einer Sascha Hommer trafen die Künstler erstmals im April 2015 Geschichte in Bildern, gehen zurück bis in die Antike. Der bei einem Workshop in Panevo, Serbien zusammen. Comic an sich ist also keine neue Erfindung. Jedoch hat es, besonders in Deutschland, sehr lange gedauert, bis eine „Ich beschäftige mich seit langem mit dem Nationalsozialis- breite Öffentlichkeit und die Feuilletons erkannt haben, mus und dem Holocaust. Und mit der Frage, wie man Ver- dass mit Comics nicht nur kurze, sondern auch lange, komgangenheit mit Mitteln der Kunst aufarbeiten kann. Mir ist plexe und schwierige Geschichten erzählt werden können“, es ein Anliegen, jungen Künstlern die Möglichkeit zu geben, erklärt Elisabeth. „Die Vermittlung von geschichtlichen sich intensiv mit der Komplexität des Nationalsozialismus Ereignissen, Traumata und verschütteten Realitäten lässt und besonders mit der Perspektive der Opfer auseinander- sich im Format der Graphic Novel durch das Zusammenzusetzen“, erzählt Elisabeth von der Idee, das Format der spiel von Bild und Text in besonderer Weise darstellen, da Graphic Novel und Erinnerungskultur in einem Projekt sie mehrere Erzählweisen in sich vereint. Im Text findet zusammen zu bringen. „Zudem gibt es viele historische ein Nacheinander der Informationen statt, im Bild sind sie Comics, in denen sich meines Erachtens die Autoren zu simultan zugegen, mehrere Zeitformen können somit verwenig Gedanken gemacht haben über das was sie erzählen eint werden. Dieses Gefüge überschreitet die rein lineare, und vor allem wie sie es erzählen. Das Projekt schafft einen folgegebundene Narration, kann so mehrere Zeitebenen in Rahmen, in dem sich Künstler untereinander, aber auch einem Raum darstellen und Widersprüche und Absurditämit uns und den Workshopleitern Ole Frahm und Sascha ten vermitteln.“ Hommer, austauschen und diskutieren können: „Wie gehe ich mit historischem Material und Rechercheergebnissen Elisabeth Desta und Ludwig Henne wollen die vergessenen um?“, „Was heißt es etwas „wahrheitsgemäß“ darzustellen Geschichten wieder ans Licht bringen: „Es macht einfach und geht das überhaupt?“ oder „Wie kann ich etwas zeich- Spaß, gut gezeichnete und geschriebene Geschichten zu nen, von dem ich kein Bild habe?“. Mir war es wichtig, dass lesen. Zudem wollen wir mit dem Projekt junge Comicdie Künstler mit diesen Fragen nicht alleine sind und wir Künstler fördern und unterstützen. Wir möchten die diesen Prozess begleiten.“ Ludwig ergänzt: „Das Erinnern Geschichten von Opfern des Nationalsozialismus erneut ist harte Arbeit und ein ständiges Diskutieren und Aufar- sichtbar machen. Denn die Bilder der Erinnerung verdichbeiten. Es verlangt nach dem Bewusstmachen. Tun wir das ten sich mehr und mehr auf ein paar wenige, die Komplexinicht, verschwindet die Geschichte irgendwann im Dun- tät dieser Zeit wird kaum dargestellt. Dem wollen wir entkeln. Mit dem Projekt wollen wir Jugendliche für das Thema gegentreten und mit unserem Projekt vergessene Geschichinteressieren und sie einbinden. Für sie ist es sehr weit weg. ten und Bilder dieser Zeit ans Licht bringen.“ Viele der Gymnasiasten in Panevo wissen nur wenig davon. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Comics und diese Geschichten zusammen passen. Zu unserer Tagestour ins Redrawing Stories from the Past KZ Sajmište sind gleich einige Jugendliche mitgekommen. Mitte Oktober 2015 wird die Publikation zum ProVier Jugendliche haben damit begonnen selber zu recherjekt veröffentlicht. Im Oktober findet eine Ausstelchieren und arbeiten nun an Geschichten. Wir begleiten sie lung im AJZ in Chemnitz statt. Am 6. November in den nächsten Monaten.“ folgt die Eröffnung der zweiten Ausstellung in der Galerie im Saalbau in Berlin-Neukölln. „Redrawing Stories from the Past“ geht der Frage nach, welche künstlerischen Strategien und Möglichkeiten die Graphic Novel – mit ihrem Zusammenspiel aus Bild und Text – bietet, um das Gedenken an die Opfer des National- 1 Vgl. Réne Mounajed: Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von sozialismus sichtbar zu machen und zu bewahren. Denn Geschichtscomics im Geschichtsunterricht. Peter Lang, 2009 40

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Advocate Europe – Deine Idee für Europa Europa gehört uns, den Bürgern. Uns gibt es von Reykjavik bis Ankara, von Lissabon bis Helsinki, in Metropolen und in ländlichen Regionen: Individuen und Gruppen, die etwas verändern und innovative Europaarbeit betreiben wollen. Nur gemeinsam und über Disziplinen und Denkschulen hinweg können wir Lösungen für unsere Herausforderungen finden.

Hast du eine Idee für Europa, die dich begeistert? Wir laden dich ein, die Zukunft Europas zu gestalten.

Teile deine gemeinnützige Projektidee mit uns und ganz Europa. Wir suchen Studierende oder Berufserfahrene; solche mit jahrelanger Erfahrung, die nach einer neuen Herausforderung suchen. Oder Neu- und Quereinsteiger, die sich für das Thema begeistern. Wir freuen uns über ungewöhnliche Partnerschaften über geografische, sprachliche oder kulturelle Grenzen hinweg.

Bis zu zwölf zukunftsweisende Vorhaben werden mit jeweils bis zu 50.000 Euro gefördert. Zusätzlich steht der mit 5.000 Euro dotierte „Community Award“ zur Wahl, über den ausschlieslich von der Community entschieden wird. Wir laden euch ein, euch auszutauschen und voneinander zu lernen. Denn wir sind überzeugt: Ideen zu Europa, zu unserem Zusammenhalt und unseren Werten, werden mehr, wenn wir sie teilen. Wir wollen den Zusammenhalt und die Handlungsfähigkeit Europas stärken. Zusammenhalt entsteht, wenn die Menschen in Europa sich als Europäer fühlen und die Vorteile der Gemeinschaft erleben.

„Advocate Europe“ ist ein jährlich stattfindender Ideenwettbewerb für innovative Vorhaben zum Thema Europa, realisiert von MitOst e.V. und Liquid Democracy e.V., gefördert von der Stiftung Mercator. Gesucht sind unkonventionelle, Wir ermutigen euch zur Einreichung eurer Vorhaben für transnationale Ideen zur Stärkung des Zusammenhalts der ein Europa, das von seinen Bürgern mitgestaltet wird, das Zivilgesellschaft in Europa. „Advocate Europe“ ist offen für auf Weltoffenheit und Toleranz basiert, das Gerechtigkeit engagierte Menschen, die Unterstützung und Anschubfi- und Chancengleichheit bietet, das die Rechte des Einzelnen nanzierung suchen. Und ihre Ideen und Vorhaben in den schützt, das Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisFeldern politische Bildung, Austausch von Menschen und tet und Frieden sichert. Ideen, Partizipation und Demokratie, innovative Formen der Themenanwaltschaft, soziale Innovation sowie Kunst „Advocate Europe“ startete im Februar 2015. Im Herbst und Kultur umsetzen wollen. 2015 geht der Ideenwettbewerb in eine weitere Runde. Ein Netzwerk und 50.000 Euro für deine zukunftsweisende Idee

Auf www.adovate-europe.eu können die Projektideen eingereicht, veröffentlicht, kommentiert und diskutiert werden. MitOst-Magazin

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За границей – Über Grenzen hinweg MitOst Hamburg engagierte sich im Rahmen vieler Projekte für grenzüberschreitende Begegnungen und Erfahrungen. Ziel ist es dabei Horizonte zu erweitern und Perspektiven zu wechseln. Ausbruch aus der Zivilisation

Über die Grenzen hinweg anderen helfen und zugleich den engen Grenzen der Zivilisation entkommen – mit dem Workcamp im sibirischen Ergaki geht beides. Zusammen mit Jugendlichen des Zentrums für Deutsche Kultur in Minusinsk erneuerten und befestigten deutsche Teilnehmer den Pfad des „Sibirischen Jägers“, sie frönten der Banja-Kultur inmitten einer grandiosen Naturkulisse. Später schnupperten sie in Gastfamilien russische Alltagsluft. Velosophieren an der Elbe

Vor 25 Jahren wäre allein diese Idee verboten gewesen– heute ist es weder Wahnsinn noch Utopie. Ganz selbstverständlich legten deutsche und russische Jugendliche im Sommer die Strecke von Dresden nach Hamburg mit dem Velo zurück. Die Grenzerfahrungen waren ganz andere, als noch vor 25 Jahren. Entlang der Elbe wurde frei velosophiert, bewegende Geschichten über das Leben am Fluss vor und nach der Wende ausgetauscht, Freundschaften geschlossen und gemeinsam ein Abenteuer bestanden. Maaaaschinaaa! Was bestellt man in einem Grenzcafé?

Staatsgrenze, Toleranzgrenze, soziale Ausgrenzung, Geschmacksgrenze, Zollgrenze, Kulturgrenze... die Grenzerfahrungen der Velosophen waren so wertvoll, dass eine Initiativgruppe in Hamburg beschloss, im Worldcafé-Format ausführlich darüber zu diskutieren. An einem Cafétisch kamen junge Menschen, Politiker, Vertreter des russischen

MitOst 2015

Ihr habt gewählt! Der MitOst-Vorstand bleibt international. Die Vorstandsmitglieder stammen aus Ungarn, Bulgarien, Russland, Polen und Deutschland. In Novi Sad wurden Eszter Tóth und Rozalina Laskova zu den Vorsitzenden für das Vereinsjahr 2014/15 gewählt. Anja Kretzer wurde in ihrer Position als Schatzmeisterin wiedergewählt und auch Elena Bobrovskaya bleibt weiterhin im Vorstand. Als neue Beisitzer treten in diesem Jahr Marta Gawinek-Dagargulia und Sergei Shalamov in die Fußstapfen von den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern Katarzyna Lorenc und Olga Diatel.

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Generalkonsulats und der Wirtschaft mit Vereinsmitgliedern zusammen. Das Grenzcafé wird in Zukunft wieder öffnen, damit der Dialog in Hamburg und über Hamburg hinaus nicht abbricht. Chapeau! Mobile_Roots im Grand Chapiteau

Mehr als 2.500 Menschen besuchten die von MitOst Hamburg mit verantwortete „Week of Partnership: Hamburg – Dar es Salaam“ im September 2014. Zur selben Zeit kamen beim deutsch-tansanischen Jugendaustausch ECHTZEIT Mobile_Roots auf dem Gut Karlshöhe junge Erwachsene zusammen. Sie diskutieren Mobilität und Migration, sprechen über kulturelle Wurzeln und soziale Identitäten. Dazu luden sie Politiker beider Partnerstädte in ihr Mobile_home ein. Bis zur Rückbegegnung in Dar es Salaam im März 2015 sammeln die ECHTZEITler in eigenen Projekten Erfahrungen und suchen Antworten auf ihre Fragen. „Ich hätte gern mehr gesagt, aber die Sprachbarriere hat mich gehindert.“

MitOst Hamburg

2010 gründete sich der Regionalverein MitOst Hamburg. Mit eigenen Ideen, Aktionen und Projekten gestaltet der Verein Bildung und Jugendhilfe in der Metropolregion Hamburg mit und trägt zur Völkerverständigung bei. Die Mitglieder von MitOst Hamburg engagieren sich ehrenamtlich in Arbeitsgruppen. Kontakt: vorstand@mitost-hamburg.de www.mitost-hamburg.de

Sprachbarrieren sind dafür da, um überwunden zu werden. Mit dem Sprachmittler-Workshop des Netzwerks::Jugendarbeit::Hamburg::St. Petersburg bleibt niemand sprachlos. Im November 2013 wurde das Fortbildungsprojekt ins Leben gerufen, um deutsche und russische Jugendliche auf den Austauschalltag vorzubereiten. Im Juni 2014 ging es in die zweite Runde, um für das gemeinsame Jugendevent des Netzwerks bestens gerüstet zu sein. Sprachmittler bekamen die Möglichkeit, eine klare Vorstellung zu entwickeln, wo die Grenzen ihrer Tätigkeit liegen, was ihre Rolle ausmacht und in welchen Punkten sie sich von den Teilnehmern, Organisatoren und Moderatoren bei einer Begegnung unterscheiden, um eben diese zu bereichern. Das nächste deutsch-russische Jugendcamp ist für August 2015 in Hamburg geplant, hier werden bis zu 300 Teilnehmer erwartet.

Vorstand 2014/15: Eszter Tóth lebt (oder ist auf dem Weg) zwischen Pécs, Budapest, Griesheim, Hamburg und Berlin. In Ungarn engagiert sie sich im Bereich baukultureller Bildung. Mit ihrem Verein kultúrAktív schreibt sie Bücher für Kinder über Städte, macht Projekte zu Architektur und Stadtentwicklung und verbreitet Konzepte und Methoden der Stadtvermittlung. In Hamburg promoviert sie an der HafenCity Universität über die spielerischen Formen der Kinderbeteiligung in der Stadtplanung. In Berlin unterstützt sie seit 2010 die Vorstandsarbeit bei MitOst. Zur Ruhe kommt sie in Griesheim bei ihrem Mann Martin, den sie auf dem Internationalen MitOst-Festival in Perm kennengelernt hat. Vorstand 2014/15: Rozalina Laskova kommt aus Bulgarien und lebt in Sofia. Sie studierte Jura in Berlin und in Sofia, und arbeitete für unterschiedliche bulgarische und deutsche Ministerien u.a. in den Bereichen Verwaltungsmodernisierung und Good Governance. Rozalina ist als freiberufliche Kulturmanagerin und als Beraterin zu Themen wie Kultur- und Kreativindustrien, EU-Finanzierung, Social Entrepreneurship und kulturelle Bildung tätig. Ihren Weg zu MitOst fand sie als Alumna des Carl Friedrich Goerdeler-Kolleg. 2013 wurde sie MitOstMitglied. Als 2. Vorstandsvorsitzende möchte sich Rozalina mit der Organisationsentwicklung und der strategischen Ausrichtung des Vereins beschäftigen. Zudem möchte sie zu der weiteren Integration der relativ neuen Alumnigruppe des Carl Friedrich Goerdeler-Kolleg beitragen. MitOst-Magazin

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Regionalgruppen Über das Jahr verteilt gibt es viele Möglichkeiten, andere Mitglieder zu treffen – beim Internationalen MitOst-Festival, auf Planungskonferenzen, in Arbeitsgemeinschaften oder Projekten. Doch was passiert in der übrigen Zeit? Direkten Anschluss im eigenen Umfeld bieten Regionalgruppen, die regelmäßige Treffs und Aktionen organisieren. In Hamburg, Leipzig, Stuttgart und Tbilisi, Georgien haben aktive MitOstlerinnen und MitOstler bereits Ortsgruppen oder Regionalvereine gegründet. Falls ihr in einer dieser Städte wohnt – meldet euch und macht mit! Es gibt auch die Möglichkeit eine neue Regionalgruppe aufzubauen.

BoschAlumniForum VI Zum sechsten Mal lädt MitOst in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung zum BoschAlumniForum ein. Im Mittelpunkt des jährlichen Forums steht der persönliche und berufliche Austausch. In diesem Jahr freuen wir uns auf spannende Diskussionen rund um das Thema „Soziale Innovationen: Erfolgsfaktoren ausloten“. Unter welchen Bedingungen entstehen soziale Innovationen? Wie entwickeln und verbreiten sie sich? Und welche Rolle spielen dabei gemeinnützige Organisationen und Wirtschaft, öffentliche Verwaltung und Politik, Stiftungen und andere Akteure? Alumni bringen ihre Expertise und die Erfahrungen ein und tauschen sich mit Vertretern aus Praxis und Wissenschaft aus.

MitOst-Camp 2015 Einmal jährlich lädt MitOst seine Mitglieder ein, im Rahmen einer zweitätigen Veranstaltung intensiv an der Vereinsentwicklung zu arbeiten, über aktuelle Herausforderungen zu diskutieren und nach innovativen Lösungen zu suchen. Alle Mitglieder sind herzlich eingeladen, am 29. und 30. Mai in Berlin gemeinsam die Zukunft von MitOst mitzugestalten. Mehr Informationen zu MitOst-Camp sind unter mitost.org zu finden.

Vorstand 2014/15: Anja Kretzer ist in der Nähe von Würzburg geboren und aufgewachsen. Sie studierte Russisch und Französisch auf Lehramt in Konstanz am Bodensee, in Lyon und in Moskau. Nach Stationen als Kulturmanagerin in Klaipėda in Litauen und später als Projektleiterin beim Deutsch-Russischen Forum e.V. ist sie nun als freiberufliche Projekt- und Fördermittelmanagerin tätig. Sie organisiert Konferenzen, begleitet Studienreisen und schreibt Projektanträge. Anja lebt und arbeitet in Berlin. Im vergangenen Vereinsjahr freute Anja sich, in ihrem zweiten Jahr als Schatzmeisterin die Konsolidierung des Vereinsbudgets begleiten zu dürfen. Sie widmet sich außerdem den Themen Advocacy, Fördermitgliedschaften und unternehmerisches Denken bei MitOst. Vorstand 2014/15: Elena Bobrovskaya lebt in der sibirischen Stadt Krasnoyarsk. Seit 2009 ist sie MitOst-Mitglied. Als Vorsitzende der russischen NGO Interra arbeitet Elena in den Bereichen non-formale bürgerschaftliche Bildung und internationaler Jugendaustausch. Mit ihrem Team führt sie auch das Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs „Von der Idee zur Aktion“ durch. Als Vorstandsmitglied widmete sich Elena vor allem den Themen Institutionelle Mitgliedschaft und Vernetzung von NGOs sowie weiteren strategischen Entwicklungen im Bereich Bürgerschaftliche Bildung. Wenn Elena nicht für MitOst oder Interra unterwegs ist, verbringt sie ihre Zeit mit Familienausflügen und Flamenco tanzen. 44

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Ehrenamt bei MitOst – Projektarbeit MitOst unterstützt das ehrenamtliche Engagement seiner Mitglieder in den Bereichen Kulturaustausch, Völkerverständigung und Zivilgesellschaft. Mitgliederprojekte sind das Herz von MitOst, füllen das Vereinsleben mit Inhalten und vernetzen die Mitglieder. Die Projekte werden im Rahmen von drei Formaten – Sprach- und Kulturprojekte, Kleinstprojekte und KlickOst – aus den Mitgliedsbeiträgen finanziert. Darüber hinaus schreibt MitOst den Wettbewerb kultur-imdialog.eu+ in Kooperation mit der Schering Stiftung aus. Im Vereinsjahr 2013/14 zwölf Mitgliederprojekte gefördert. Der fünfköpfige Projektbeirat des Vereins berät die Mitglieder bei ihren Projektvorhaben, prüft die Projektanträge und vergibt die Fördermittel. In diesem Jahr begleiten Mechthild Schmidt, Natalia Pavlenko, Ulrike Würz und Christopher Schumann alle MitOstler, die ihre Ideen lebendig werden lassen wollen. Sprach- und Kulturprojekte

MitOst fördert damit Vorhaben, die den Kulturaustausch und das zivilgesellschaftliche Engagement stärken. Kleinstprojekte

Gute Projekte müssen nicht teuer sein. Mit diesem Format könnt ihr eure Ideen schnell und unkompliziert umsetzen. Anträge können jederzeit eingereicht werden. KlickOst

ist unser Projektformat, bei dem die MitOst-Mitglieder per Mausklick entscheiden können, welche Aktion gefördert werden soll. KlickOst wird ein- bis zweimal im Jahr ausgeschrieben. kultur-im-dialog.eu+

fördert eines oder mehrere größere Kulturprojekte, die sich mit individuellen Erfahrungen und nationalen Transformationsprozessen in Europa und seinen Nachbarregionen auseinandersetzen. Ausschreibungen und Informationen zu den Fördermöglichkeiten sind auf mitost.org zu finden.

Vorstand 2014/15: Sergei Shalamov kommt aus Perm in Russland. Dort arbeitet er im Moment als Ingenieur für Flugzeugtechnik. Sergei war Kollegiat des russischen Kooperationsprogramms des Theodor-Heuss-Kollegs „Engagement täglich“ und ist seit 2011 ein Alumnus des Programms und Mitglied bei MitOst. Zuletzt engagierte er sich als Alumnivertreter für GAKD. Als Mitglied des Vorstands möchte Sergei die Alumniarbeit mitbetreuen und MitOst für die Alumni erreichbarer und attraktiver machen; vor allem für nichtdeutsche Muttersprachler. Vorstand 2014/15: Marta Gawinek-Dagargulia stammt aus Warschau in Polen und pendelt mit ihrer Familie zwischen Polen und Georgien. Sie ist seit 2006 Mitglied bei MitOst. Als Alumna des Theodor-Heuss-Kollegs arbeitet sie als Mentorin und Trainerin für das Programm. Marta implementiert im Rahmen von Actors of Urban Change das Projekt „OPEN HOUSE – meeting place for Zugdidi“ in Zugdidi. Seit 2007 arbeitet Marta in Georgien und Polen in den Bereichen Postkonflikt-Friedenskonsoldierung, Stadtentwicklung und Chancengleichheit. Marta möchte sich im Vereinsjahr dafür einsetzen, dass die Mitglieder aktiv in die Vereinsentwicklung eingebunden werden. Für sie ist es wichtig, dass die Diversität der Vereinsmitglieder im Bezug auf Sprachen, kultureller und nationaler Hintergründe auch im Vorstand und der Entwicklung des Vereins repräsentiert sind. MitOst-Magazin

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Federation of Urban Imagination Bei dieser transeuropäischen Städtewanderung setzen Künstler, Architekten, Stadtplaner, Geografen und Gärtner aus Slowenien, Ungarn, Serbien und Deutschland in Budapest, Leipzig und Novi Sad gemeinsam auf interdisziplinäre Methoden. Sie schaffen im Stadtraum Orte für Aktivität und Begegnung. Mit einem solchen kultursensiblen, partizipativen Ansatz stößt das Projekt transnationale Lernprozesse an. Wo? Budapest/Ungarn, Leipzig/Deutschland, Novi Sad/Serbien Wann? Juni bis Oktober 2014 Projektleitung: Anke Schilling Kategorie: kultur-im-dialog.moe Fördersumme: 9.000 Euro

Kunstraum „Euphoria“ Ein alter „Aktivistenraum“ bot Raum für alternative Kunst. „Euphoria“ förderte die freie Kommunikation und das gemeinsame Schaffen von Produkten der modernen Kunst durch Amateure und professionelle Künstler. Unter dem Motto: „Globale Welt: Einigkeit und Vielfalt“ fand ein zweiwöchiges Programm mit Märkten, Workshops, Ausstellungen und Konzerten statt und lud zur Partizipation ein. Wo? Berezniki, Russland Wann? Februar 2014 Projektleitung: Evgenia Bukharinova Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 1.700 Euro

Расскажи мне сказку – Erzähl mir ein Märchen In Sibirien leben viele verschiedene Völker: Armenier, Aserbaidschaner, Tadschiken, Kasachen, Georgier oder Chinesen. All diese Menschen bringen eine unglaublich reiche Kultur mit. Wie macht man nun die Sibirier mit der Kultur der anderen Völker bekannt? Das Projektteam sammelte Märchen der migrierten Völker und Minderheiten in Sibirien. Die Sibirier lernen diese Märchen auf Märchenexpeditionen kennen. Eine Märchensammlung wird gestaltet und gedruckt. Wo? Novosibirsk, Omsk, Tomsk, Krasnoyarsk, Russland Wann? Februar bis November 2014 Projektleitung: Elena Shadrina Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 1.100 Euro

Projektbeirat 2014/15: Mechthild Schmidt kommt aus Deutschland und lebt derzeit in Berlin. Bis Ende 2014 koordnierte sie in Belgrad das Zoran Djindjic Stipendienprogramm. Sie sorgt innerhalb des Projektbeirats für die transparente Kommunikation. Mechthild ist seit 2008 MitOst Mitglied und war als Lektorin über das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung von 2007 bis 2009 in Novi Pazar in Serbien.

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BelTour – Belarus InvestiGATED Die Eishockey-WM 2014 steht vor den belarussischen Pforten! Zeit sich im Vorfeld der WM mit Stadt, Land und Leuten in und um Minsk zu beschäftigen. Wir lernen es kennen, das Land der „Kartoffel“, das Land mit dem weltbekannten Traktor „Беларус“, das Land, verschrien als die letzte Diktatur Europas. Ein Projekt zwischen touristischer Tauglichkeitsanalyse und verbreiteten Mythen über ein Land mitten in Europa. Wo? Minsk, Belarus Wann? März 2014 Projektleitung: Alexander Wolf Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 1.900 Euro

Art Bridges Teo, David, Josephine, Niklas, Jean-Félix und Jérémie, sechs Fotografen aus Georgien, Deutschland und Frankreich, steigen im Juli in Nantes in ein Auto und fahren damit durch Europa. Sie sind auf der Suche nach Geschichten über Identität, Grenzen und Konflikte in Europa. Die Geschichten ihrer Reise und die Bilder zeigen sie in ihren Heimatstädten – Tbilisi, Saarbrücken und Nantes. Auf dem Blog artbridgeseurope.wordpress.com dokumentieren sie ihre Erlebnisse. Wo? Nantes, France – Tbilisi, Georgien Wann? Juni bis September 2014 Projektleitung: Teona Dalakishvili Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 960 Euro

Verkörpert Auf der Kunstexpedition „Verkörpert“ besuchte das Projektteam gemeinsam mit einer Künstlergruppe ukrainische, ungarische, deutsche, rumänische und slowakische Dörfer Transkarpartiens. Sie untersuchten die traditionelle Kultur vor Ort. Von der Expedition brachten sie Bilder von Ornamenten, gemalt auf die Körper der Dorfbewohner, mit. Die Expeditionsbilder werden als Postkarten gedruckt. Ein ArtBook wird gestaltet und Ausstellungen organisiert. Wo? Transkarpatien, Ukraine Wann? Mai bis August 2014 Projektleitung: Yulia Lashchuk Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 1.750 Euro

Projektbeirat 2014/15: Natalia Pavlenko lebt in Krasnoyarsk in Sibirien. 2010 nahm sie am russischen Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs „Von der Idee zur Aktion“ teil und arbeitet jetzt als Koordinatorin des Programms. Seit 2012 ist Natalia Mitglied bei MitOst. Zwei Jahre lang arbeitete sie an der Pädagogischen Universität im Bereich Methodik und sechs Jahre für eine Produktionsfirma als Produzentin von Videos. Jetzt arbeitet Natalia für die russische NGO Interra und organisiert Projekte des internationalen Jugendaustauschs.

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Perspektivy Junge Menschen aus Deutschland und der Ukraine waren zu dem internationalen Fotoworkshop „Perspektivy“ in Kiew eingeladen. Sie machten Fotos zum Thema „Zivilgesellschaft und ziviler Ungehorsam“. Für das Projekt konnten in Kiew sogar spontan zwei ukrainische Fotografen gewonnen werden. Im Anschluss wurden die Werke in einer Ausstellung in Berlin präsentiert und zeigten die Perspektiven junger Erwachsenen zum Thema „Ziviler Ungehorsam in Osteuropa“. Wo? Kiew, Ukraine, Berlin, Deutschland Wann? August bis November 2014 Projektleitung: Sylwia Plonka Kategorie: Sprache und Kultur Fördersumme: 900 Euro

Munro Leipzig Während der Debatte über Einwanderer und Asylbewerber schärfte das Projekt „Munro Leipzig – Mein Leipzig“ den Blick für eine ganz andere Perspektive auf die Stadt. Junge Roma zeigten mit Fotos und Video-Clips ihren Blick auf ihre Heimat Leipzig, was ihnen besonders wichtig ist und was sie als Bürger Leipzigs ausmacht. Im April wurden die Bilder anlässlich des Internationalen Tags der Roma im Leipziger Rathaus ausgestellt. Wo? Leipzig, Deutschland Wann? März bis April 2014 Projektleitung: Petra Cagalj Sejdi Kategorie: Kleinstprojekte Fördersumme: 250 Euro

Leipziger MitOst-Salon Der Leipziger MitOst-Salon ist eine Initiative von MitOst-Mitgliedern, die sich im Vorfeld des 11. Internationalen MitOst-Festivals zusammengefunden haben. In drei Salons in der ersten Jahreshälfte wurden nicht nur drei unterschiedliche Regionen in den Fokus gerückt, sondern auch unterschiedliche multimediale Formate genutzt. Wo? Leipzig, Deutschland Wann? April bis Juni 2014 Projektleitung: Elisa Satjukow Kategorie: Kleinstprojekte Fördersumme: 330 Euro

Projektbeirat 2014/15: Ulrike Würz kommt aus Deutschland, lebt und arbeitet zurzeit in Warschau. Sie ist seit 2005 Mitglied und kennt den Verein aus ziemlich vielen Perspektiven: als Alumnivertreterin, als Mitkoordinatorin des BoschAlumniForums, als Moderatorin der MitOst-Planungskonferenzen, als Organisatorin von Festival-Workshops, und als Vorstand. Zu MitOst gekommen ist Ulrike als Lektorin der Robert Bosch Stiftung. Beruflich hat sie mit Sprache und dem Lernen von Sprachen zu tun. Die Mitgliederprojekte sind für sie der wichtigste Bereich im Vereinsleben, in dem alle MitOstler ihre Ideen einbringen und auch verwirklichen können. Nur so wird MitOst zu dem bunten und vielfältigen Verein, der er ist.

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Die unbekannte Stimme – Memoiren einer Russisch-Dolmetscherin der Nürnberger Prozesse Wurden Memoiren von Dolmetschern der Nürnberger Prozesse veröffentlicht, so blieb der sowjetische Blickwinkel dabei weitestgehend vernachlässigt. Erst 2013 wurden die Memoiren der Russisch-Dolmetscherin Tatjana Stupnikova ins Deutsche übersetzt und hierzulande zugänglich gemacht. Dazu fand ein Vortrag mit Lesung in Berlin statt. Wo? Berlin, Deutschland Wann? August 2014 Projektleitung: Vivi Bentin Kategorie: Kleinstprojekt Fördersumme: 300 Euro

Professions Wie viele junge Menschen träumen heute noch davon Bäcker, Krankenschwester oder Tischler zu werden? Diese Berufe sind wenig populär unter jungen Erwachsenen, doch sehr wichtig für die Gesellschaft. Das Fotoprojekt setzte diese Berufsfelder in Szene. Junge Erwachsene nahmen erst an Fotoseminaren teil, um dann die Menschen bei ihrer Arbeit mit der Kamera zu begleiten. Mehr Informationen dazu gibt es auf dem Projekt-Blog aducation-crimea.blogspot.de. Wo? Simferopol, Ukraine Wann? März bis April 2014 Projektleitung: Anastasia Zhuravlova Kategorie: KlickOst Fördersumme: 435 Euro

Empower Yourself, Learn Your Rights! Gemeinsam starteten junge Erwachsene aus Bergkarabach, eine Region zwischen Armenien und Aserbaidschan, eine Kampagne, um auf Menschenrechte aufmerksam zu machen. In Workshops und mit Flashmobs zeigten sie, dass die universell geltenden Menschenrechte nur Bestand haben können, wenn diese auch tagtäglich eingefordert werden. Wo? Stepanakert/Nagorno-Karabakh, Armenien Wann? April bis Juni 2014 Projektleitung: Anush Ghavalyan Kategorie: KlickOst Fördersumme: 350 Euro

Projektbeirat 2014/15: Christopher Schumann ist in Bielefeld aufgewachsen, lebt und arbeitet in Berlin. Er ist Mitgründer der Agentur greenstorming. Greenstorming hilft Organisationen bei der Vorbereitung und Durchführung von Workshops oder Konferenzen, mit dem Anliegen ressourcenbewusst zu planen und einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Zu MitOst ist er als Alumnus aus dem Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung gekommen. Als Lektor war er 2000 bis 2001 in Ventspils in Lettland tätig. Den Verein kennt er nicht nur aus der Mitgliederperspektive. Christopher war auch drei Jahre lang im Vorstand bei MitOst.

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Расскажи мне сказку – Erzähl mir ein Märchen In Sibirien leben viele verschiedene Völker mit unterschiedlicher Herkunft. Sie stammen aus Armenien, Aserbaidschan, Tadschikistan, Kasachstan, Georgien und China. All diese Menschen bringen eine unglaublich reiche Kultur aus ihren Ländern und Kulturkreisen mit. Doch untereinander ist dieser Reichtum kaum bekannt. Zwischen den Volksgruppen findet wenig Austausch statt. Wie macht man nun die Sibirier mit der Kultur der anderen Völker bekannt? Mit einer Märchenexpedition! Von Elena Shadrina und Natalia Pavlenko. Die Projektidee wurde bei einer Reise durch Europa geboren. Wir trafen auf Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und lernten ihre Traditionen und die Werte ihrer Kulturen kennen. Dafür sind wir sehr weit gereist. Zurück in Sibirien wurde uns bewusst, dass direkt vor unserer Haustür Menschen mit ebenso vielfältigen kulturellen Hintergründen leben, denn unsere Heimat ist eine Vielvölkerregion. In Sibirien leben Armenier, Georgier, Kasachen, Kirgisen, Deutsche und viele, viele mehr. Sie alle bringen ihre Kultur und eigenen Traditionen mit. Und wir wissen darüber nur sehr wenig. Daraus entstehen oft Misstrauen und Ängste, die Klischees und stereotypes Denken schaffen. Nach unserer Reise wollten wir das ändern. „Erzähl mir ein Märchen“ das Projekt war geboren. Wir wollten Märchen sammeln von den verschiedenen Volksgruppen und aus den unterschiedlichen Kulturkreisen. Märchen erzählen uns Geschichten und Weisheiten. Sie sind generationenübergreifende Kulturschätze und auch heute noch bei Kindern und Erwachsenen beliebt. Wir begannen damit, unsere Freunde nach ihren Lieblingsmärchen zu fragen, die ihrer Meinung nach die Werte und Kultur ihrer Volksgruppe wiedergeben. Schließlich fragten wir auch uns völlig unbekannte Menschen unterschiedlicher Nationalitäten nach ihren Märchen. Die einen übersetzten für uns Texte aus ihrer Sprache und schickten sie uns, wieder wieder andere Geschichten nahmen wir beim Erzählen auf. So füllten wir unsere Märchensammlung nach und nach mit Geschichten. Diese Sammlung wollten wir dann gerne veröffentlichen. Uns kam die Idee, die Märchen für alle Interessierten vorzulesen, ganz wie früher. Wir hatten Glück, denn wir bekamen Unterstützung von professionellen Schauspielern, mit denen wir das Vorlesen übten. Ganz leicht war das nicht: Wir mussten viel wiederholen, Zungenbrecher aufsagen, unsere Rede „putzen“. Und was haben wir unsere Betonung geübt! Wir lernten das Lesen tatsächlich neu, ganz anders 50

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als in der Schule, denn ein gutes Märchen will auch gut vorgelesen werden. Die Märchen wurden gesammelt und die Stimmen wurden trainiert. Wir bereiteten uns auf unsere Märchenreise vor. Erster Halt: Novosibirsk. Wir suchten uns einen angenehmen Ort in einem Park, machten es uns auf einer Wiese bequem. Über unseren Köpfen befestigten wir an einem Baum ein Schilde: „Hier werden Märchen vorgelesen“. Wir luden die Leute ein, die gerade durch den Park spazierten oder in der Sonne lagen. Zuerst waren sie misstrauisch und zögerten, sie winkten ab und gingen mit besorgten Mienen schnell vorbei. Wir begannen trotzdem einfach mit dem Vorlesen. Und dann der erste Erfolg: Drei Zuhörer gesellten sich zu uns und lauschten den Märchen. Die einen waren neugierig durch unsere Anwesenheit geworden, die anderen folgten dem Hinweis unseres Schilds. Auf Zetteln waren die Titel der Märchen geschrieben und unsere Zuhörer konnten einen dieser Zettel auswählen. Bevor wir dann das Märchen vorlasen, erzählten wir von seinem Ursprung und seinem kulturellen Hintergrund. Das regte nach dem Vorlesen viele Diskussionen an, ob denn nun wirklich traditionelle Werte der jeweiligen Kultur und ihre Besonderheiten in den Märchen erwähnt wurden. So lasen wir nach und nach alle Märchen unserer Sammlung vor. Das Vorlesen war gar nicht so einfach. Immer wieder waren unsere Hälse trocken. Unsere Worte verloren sich im Lärm der Straße. Unsere Stimmen waren angestrengt. Und dabei mussten wir doch immer noch an die richtige Betonung denken, so wie wir es vorher so oft besprochen und geübt hatten. Wir hatten trotzdem viel Vergnügen, mit diesem, für uns neuen Format zu arbeiten. Wir waren mit unserer ersten öffentlichen Lesung dann doch zufrieden. Und wir hoffen, die Novosibirsker waren es auch.


Inspiriert und die Köpfe voller Gedanken, woran wir weiter arbeiten könnten, fuhren wir weiter nach Tomsk, die zweite Station auf unserer Expedition. Auch hier suchten wir uns eine Wiese im Stadtzentrum. Diesmal kündigten wir im Voraus unser Kommen und unsere Lesung in Tomsk an. Und so erwarteten uns schon interessierte Zuhörer. Wir fingen wieder an zu lesen. Passanten blieben stehen und setzten sich zu unserer Gruppe dazu. Einige Märchen besprachen wir länger, andere kürzer. In Tomsk redeten wir nicht nur über die Kulturen, sondern auch über die Besonderheiten in den unterschiedlich geprägten Küchen. Die Tomsker waren sehr interessierte Zuhörer und hatten Spaß am Diskutieren. Unsere Märchenzeit verging wie im Flug. Wir beschlossen, auf jeden Fall wieder einmal nach Tomsk zu reisen. Eine außergewöhnliche Station auf unserer Märchenexpedition war die serbische Stadt Novi Sad. Im Rahmen des Internationalen MitOst-Festivals lasen wir auch hier unsere Märchensammlung vor. Obwohl wir so weit von zu Hause weg waren, kam es hier zu spannenden Diskussionen. Unseren Zuhörern, mit ihren vielfältigen kulturellen Hintergründen, waren viele der Märchen bekannt. Sie erzählten uns ihre eigenen, abgewandelten Versionen der Geschichten und wie sie die Märchen interpretierten. Viele der Märchen und Erzählungen ähnelten sich trotz ihrer unterschiedlichen kulturellen Herkunft. Die Helden, ihr

Handeln, ihre Werte und Weltanschauung zogen sich wie ein roter Faden auf unserer Lesereise durch die Geschichten. Wir hoffen, dass die Menschen, denen wir begegneten, durch sie ein bisschen näher gerückt sind. Wir selbst haben uns Traditionen und Kulturen der Bevölkerungsgruppen in Sibirien durch die Märchen sehr viel näher gebracht. Unsere Märchenexpedition war sehr inspirierend und ziemlich unvorhersehbar. Die Märchensammlung gibt es nun auch in einem Sammelband mit Illustrationen. Damit sie nicht verloren gehen und weiter vorgelesen werden können. Das Projekt „Erzähl mir ein Märchen“ inspiriert uns zur Fortsetzung und auch zu neuen Ideen. Wir wünschen allen viel Freude beim Lesen und Entdecken alter Märchen.

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Impressum MitOst-Magazin #27 / Frühjahr 2015 Herausgeber: MitOst e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel, Ost- und Südosteuropa Verantwortlich: Eszter Tóth, Vorstandsvorsitzende MitOst e.V. Alt-Moabit 90, D-10559 Berlin Redaktion: Laura Werling Lektorat: Mary Dellenbaugh, Jana Sprakties Gestaltung: Maxim Neroda Auflage: 2000 St. Geschäftstelle MitOst e.V. Alt-Moabit 90 D-10559 Berlin Tel.: +49 (0)30 31 51 74 70 Fax: +49 (0)30 31 51 74 71 geschaeftsstelle@mitost.org www.mitost.org Bildnachweis: Cover: Constanze Flamme; Seite 2, 3: Siniša Trifunić; Seite 4 – 7: Siniša Trifunić, Uta Protzmann, Serge Kuznetsov; Seite 8: Denys Ovchar; Seite 11: Olga Diatel, Andrij Volgin; Seite 12 Siniša Trifunić; Seite 14: Tomislav Medak (Ne damo Varšavsku! :: Bandića na referendum :: Teodor Celakoski, CC BY 2.0); Seite 16, 17: Adam Synomonwicz (Deutsch-Polnischs Jugendwerk); Seite 18 Olga Zarko; Seite 22 – 25: David Mirvelashvili, Jérémie Lusseau, Jean-Félix Fayolle; Seite 27, 28: Vural Kamel, Jon Davis; Seite 30, 31: Novo Badeste; Seite 32: Mariya Angelova; Seite 33: Mariya Angelova, Iliev Dance Art Foundation; Seite 42, 43: MitOst Hamburg; Seite 45 Onur Tahmaz, Uta Protzmann; Seite 46 Federation of Urban Imagination Coverbild: Das Bild entstand beim Interim Meeting von TANDEM Shaml in Berlin. Es zeigt Dorte Riemenschneider und Ayham Abu Shaqra. Im Tandem realisierten sie das Projekt „Open Gates“. Dorte und Ayham organisierten Film-Workshops mit syrischen Flüchtlingen im Libanon. Zudem zeigten sie Kurzfilme syrischer Filmemacher in Berlin und Beirut. Interesse an der Förderung von GrassrootsProjekten? Bewirb dich als MitOst-Mitglied mit deiner eigenen Projektidee. Keine Zeit? Dann hilf mit deiner Spende Projekte zu fördern.


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