Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer

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Januar 2015 Schutzgebühr CHF 8.– | € 6.50

200 Jahre Basler Mission

«Mission beginnt, lange bevor Menschen irgendetwas tun. Mission ist, wenn Gott durch Menschen berührt: dich durch mich und mich durch dich. Mission ist, wenn Gott an Menschen handelt: an dir mit mir und an mir mit dir. In Christus verbunden rund um die Erde, von Basel aus in alle Welt und zurück: weiter so, Mission 21!»

Konrad Specker, Chef Institutionelle Partnerschaften der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA

Gerechtigkeit und den Frieden

«Ich gratuliere der Basler Mission zu ihrem 200. Geburtstag. Die langjährige Arbeit hat sich im Verlauf der Jahrhunderte von der Mission zur Entwicklungszusammenarbeit stetig weiterentwickelt. In einer Welt voller sozialer, ethnischer und religiöser Konflikte ist es enorm wichtig, dass in Bildung investiert wird. Deshalb gratuliere ich der Basler Mission auch dazu, dass sie multireligiöse Schulen und Projekte der Frauenund Friedensförderung betreibt und begleitet.» Guy Morin, Regierungspräsident Basel-Stadt

«Die Basler Mission spielt(e) in unsrer Familie generationenübergreifend eine Rolle: Meine Mutter verteilte im Dorf ‹Missionsblättli›, und unsere älteste Tochter war 2002 Teilnehmerin an einem von Mission 21 mitorganisierten Workcamp im Nordosten Nigerias. Es gibt eine Ökumene der Vertikale – über die Generationen hinweg – und eine Ökumene der Horizontalen – als weltweite Dimension. Für mich verkörpert die Basler Mission auf überzeugende Weise beides. Auf dass es noch lange so bleibe!» Wilfried Bührer, Präsident der Deutschschweizer Kirchenkonferenz

Gottfried Wilhelm Locher, Ratspräsident des Schweiz. Evangelischen Kirchenbundes SEK

«Voller Freude gratuliere ich der Basler Mission: 200 Jahre lang hat sie einen treuen Dienst am Leben spendenden Evangelium von Jesus Christus geleistet. Sie hat sich für das Leben, die eingesetzt, welche Eckpunkte des Reichs Gottes auf Erden sind. Das Engagement der Basler Mission zeigt, dass Gott sie weiterhin gebraucht, um seiner Schöpfung Liebe und Gnade zu zeigen.» Olav Fykse Tveit, Generalsekretär Ökumenischer Rat der Kirchen ÖRK

«Die Basler Mission 21 hat es verstanden, die frühere ‹Missionsarbeit› in eine zeitgemässe in der Entwicklungszusammenarbeit tätige Organisation zu führen. Gerade im Erhalt ihrer Grundwerte und in deren Umsetzung in den aktuellen Kontext ist sie uns ein grosses Vorbild. Und dies weit über die Missionstätigkeit hinaus. Zu ihrem 200-jährigen Jubiläum gratulieren wir der Basler Mission 21 herzlich und freuen uns auf die weitere sehr angenehme Zusammenarbeit.» Teres Steiger-Graf, Geschäftsleiterin Bethlehem Mission Immensee BMI/COMUNDO

«Mit Mission 21 sind wir seit 200 Jahren in eine internationale Kirchengemeinschaft eingebunden – ja, wir sind mit ihr sogar sichtbar eine weltweite Kirche. Das stärkt uns. Ich bin Mission 21 und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Partnerkirchen dafür sehr dankbar. Möge Gott ihre Arbeit weiterhin segnen.»

«Zum Jubiläum einer 200-jährigen, bewegten und wechselvollen Geschichte gratuliere ich von ganzem Herzen. Für die Zukunft wünsche ich Mission 21 viele visionäre Ideen, die Kraft zur Gestaltung und Erneuerung sowie den unverrückbaren Glauben, dass wir es mit vereinten Kräften schaffen werden, Entscheidendes zu einer besseren Welt, einem Leben in Würde für alle beizutragen.» Ueli Locher, Direktor Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz HEKS

«Männer und Frauen, die im Auftrag der Basler Mission in die Welt hinaus zogen, haben viel bewegt. Aber nicht nur in Kamerun oder Kalimantan, sondern auch zu Hause, sei es durch ihre Berichte im Basler ‹Evangelischen Heidenboten› oder dann als Heimkehrende. Sie haben das Bild, das wir von Menschen des Südens und ihrer Kulturen haben, massgeblich geprägt und – zum Glück – auch wieder in Frage gestellt.» Beat Dietschy, Zentralsekretär Brot für alle BFA

«Das Schweizerische Tropeninstitut gratuliert der Mission 21 von Herzen zu ihrem grossen Jubiläum. Wir freuen uns, dass wir seit der Gründung unseres Instituts vor 70 Jahren mit der Mission 21 auf vielen Ebenen partnerschaftlich verbunden sind und dadurch schon viele Projekte in Basel und in den Einsatzländern gemeinsam realisieren konnten – miteinander lernen wir, um einen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Wir freuen uns auf noch viele gemeinsame Jahre fruchtbarer und wirksamer Zusammenarbeit.» Marcel Tanner, Direktor Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut Swiss TPH

Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer – Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission

«Die Basler Mission ist mehr als die Geschichte einer Mission. Sie ist die Geschichte eines unternehmerischen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Akteurs. Auch heute ist die Mission 21 mehr als eine moderne engagierte Mission. Ihre interreligiöse Friedensarbeit und ihr Einsatz für ein offenes Christentum sind von grosser gesellschaftlicher Bedeutung. Ebenso soll die Zukunft von Mission 21 mehr sein als die einer weltoffenen Mission. Die künftige entwicklungspolitische Relevanz von Mission 21 liegt im Beitrag, den sie an die Förderung von integrativen und aufbauenden gesellschaftlichen Prozessen leisten kann.»

Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission

Lukas Kundert, Kirchenratspräsident Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt

Projekt Prescraft

www.mission-21.org/jubilaeum

Die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt ist beim Jubiläum der Basler Mission die offizielle Gastgeberin für die Gäste aus Übersee. Zudem unterstützt sie die Veranstaltungen in Basel sowie dieses Magazin mit einem namhaften Beitrag.

Unterwegs in eine andere Welt, ein anderes Leben Missionare als Reisende

Förderung des traditionellen Kunsthandwerks in Kamerun


Der Sankofa ist das Symbol des 200-Jahre-Jubiläums der Basler Mission. Der Vogel, der seinen Hals nach hinten dreht, um ein Ei aus seinem Gefieder zu nehmen, steht in der Kultur des ghanaischen Akan-Volkes für das Lernen aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft. San heisst zurückkehren; ko bedeutet hingehen und fa steht für sehen, suchen, nehmen. Der Sankofa-Vogel wird mit einem Sprichwort verbunden, das übersetzt bedeutet: «Es ist nicht falsch, zurückzukehren und etwas zu holen, was du vergessen hast».

Unser Einsatz geht weiter. Engagieren Sie sich mit uns für eine friedlichere und gerechtere Welt. www.mission-21.org/onlinespenden Spendenkonto PC 40-726233-2


Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Ich freue mich, Ihnen dieses Magazin in die Hand zu legen. Es ist prall gefüllt mit Geschichten aus 200 Jahren Basler Mission, die anschaulich zeigen, um was es bei unserer Mission geht – jenseits aller Klischees und Vorurteile. Die Basler Missionare im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stammten vorwiegend aus Bauern- und Handwerkerfamilien und konnten dadurch so anpacken, dass es «Hand und Fuss» hatte. In Basel erhielten sie eine fundierte Ausbildung, in der Theologie eine zentrale Rolle spielte. Man sagt deshalb, die Missionare seien «mit der Schaufel in der einen und dem Evangelium in der anderen Hand» in die Welt hinausgegangen. In Übersee gründeten sie nicht nur Christengemeinden, sondern bauten auch Schulen und Spitäler, verbesserten die Landwirtschaft im Kleinen und experimentierten mit Pflanzen, durch die Einheimische auf dem Weltmarkt Gewinn erzielen konn-

ten. Diese Mischung aus Theorie und Praxis, aus Glaube und Tatfreudigkeit machte sie zu innovativen Pionierinnen und Pionieren. Schon in Basel wurden die Missionarinnen und Missionare auf die unbekannte Gegend, Landschaft und Sprache vorbereitet. Sie übten sich in Kartografie, lernten Sprachen und wurden mit einer Kamera ausgestattet, um ihre Begegnungen in Bildern festzuhalten. So können wir heute noch durch ihre Augen sehen, was es einmal hiess, als Weltenbummlerin und Weltenbummler in eine unbekannte Welt hinauszugehen. Die Begegnung mit dem Neuen vor Ort faszinierte, sodass Missionare zu Sammlern, Fotografinnen und Forschenden wurden – zu Kulturentdeckerinnen und Kulturentdeckern. Weltweite Gemeinschaft zwischen Fremden entsteht nur dann, wenn man bereit ist, gewohnte Vorstellungen aufzugeben und sich auf Neues einzulassen. Die Arbeit im Weltsüden war und ist ein Balanceakt: Als Utopistinnen und Utopisten wollten die Basler Missionare Gutes tun, eckten aber auch an oder lösten sogar Konflikte aus. Sie schafften langfristig bereichernde Ver-

bindungen zwischen Kulturen, Religionen und Kontinenten. Wie Menschen im Dienst der Basler Mission und von Mission 21 zu Brückenbauerinnen und Brückenbauern geworden sind, zeigen viele Artikel in diesem Heft. Dieses Magazin erzählt nicht nur von der Vergangenheit. Die Geschichten aus der Gegenwart zeigen, dass die Mission eine «lernende Organisation» geblieben ist. Es ist und war oft der beharrliche Einsatz einzelner Menschen, der Veränderung bewirkt, wie die Geschichten vieler Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger zeigen. Die Aufgabe besteht für uns nach wie vor: Wir wollen im Namen Gottes die Arbeit für eine lebenswerte Welt für alle wahrnehmen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Schmökern und Entdecken der «unverschämt hoffnungsvollen» Geschichten.

Claudia Bandixen Direktorin Mission 21

Grusswort «200 Jahre unverschämt viel Hoffnung» Die Basler Mission hatte in ihrer 200-jährigen Geschichte in der Tat «unverschämt viel Hoffnung»: Sie begann die Arbeit ohne finanzielle Rücklagen und hielt durch, obwohl bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unzählige gesunde, begabte und tüchtige Missionare an Tropenkrankheiten starben und in den beiden Weltkriegen Basler Missionare interniert oder aus ihren Einsatzgebieten in Afrika oder Asien ausgewiesen wurden. Was gab den Verantwortlichen die Kraft dazu? Im 19. Jahrhundert waren sie bewegt vom Sklavenelend und menschenverachtender Kolonialpolitik, so wie wir im 21. Jahrhundert durch Kriegszerstörungen und Hungersnöte betroffen oder durch Schreckensszenarien einer ökologischen Katastrophe verängstigt sind und uns zu humanitärer Hilfe aufgerufen fühlen. Wer aus Betroffenheit und Angst handelt, antwortet auf ihn bedrohende

oder bedrängende Zustände. Er handelt allerdings nicht frei, hoffnungsvoll und zukunftsorientiert, sondern reagiert nur. Die Basler Mission jedoch war darüber hinaus von einer überzeitlichen Hoffnung beseelt, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschliesst. Ihre Hoffnung war die des Paulus, des ersten grossen christlichen Missionars im 1. Jahrhundert. Seine Hoffnung gründete im Glauben an Gottes einmalige Selbsthingabe in Jesus Christus und befähigte ihn und später die Basler Missionare, Gottes Liebe auch unter grössten Gefahren und mit Todesbereitschaft weiterzugeben. Diese Hoffnung will alle Menschen in die Liebe hineinziehen. Als Fundament missionarischen Handelns ruft sie zur Gemeinschaft und in eine Räume und Zeiten übergreifende Bewegung. Als Missionswerk, das seit 200 Jahren mit Kirchen und Organisationen in Afrika, Asien, Europa

und Lateinamerika unterwegs ist, konnte und kann die Basler Mission früher allein und heute als Trägerverein von Mission 21 diese Hoffnung zeichenhaft abbilden und ihr durch zukunftsorientierte Arbeit in vier Kontinenten Ausdruck verleihen.

Pfr. Karl F. Appl Präsident des Vorstandes der Basler Mission

Dr. Christine Christ-von Wedel Ehrenpräsidentin des Vorstandes von Mission 21


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Inhalt PIONIERE Der Missionscurry: Ein legendäres Fair-Trade-Produkt Seite 36

WELTENBUMMLER «Die Sehnsucht nach dem nie gesehenen Bräutigam» Seite 50

ANFÄNGE UND UMBRÜCHE Eine «Pflanzschule von Heidenboten» Seite 11

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ANFÄNGE UND UMBRÜCHE Eine Bewegung wird zur Institution

24 PIONIERE Aus dem Glauben Gutes bewirken

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«Eine gute Revolution aus dem Geist des Evangeliums»: Die Gründung der Basler Mission

25 Eine kamerunische Erfolgsgeschichte: Prescraft fördert traditionelles Kunsthandwerk

11

Eine «Pflanzschule von Heidenboten»: Das Missionsseminar

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Die Basler Mission ist auch … : Eine internationale Gesellschaft

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Hoffen gegen Widerstände: Erste Arbeitsfelder

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Als die Missionsstationen verwaisten: Der Erste Weltkrieg

22

Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2015

28

«Nirgendwo leuchten die Sterne so schön»: Der erste Basler Missionsarzt auf Borneo

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Kakaoboom an der Goldküste

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Der Missionscurry: Ein legendäres Fair-Trade-Produkt aus Indien

38 WELTENBUMMLER Unterwegs in ein anderes Leben 40

Missionare als Reisende

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Martin Blum: Weltenbummler, Freiwilliger, Peruaner, Konservator

50

«Die Sehnsucht nach dem nie gesehenen Bräutigam»: Auf den Spuren der Missionsbräute

VERANSTALTUNGEN Festwoche 8. bis 12. Juni 2015 Seite 23


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UTOPISTEN «Wie die Maserung in einem Stück Holz» Seite 86

BRÜCKENBAUER «Ohne Vertrauen gibt es keinen Frieden» Seite 68

KULTURENTDECKER Ahnentafeln, Opiumpfeifen und Buddha-Figuren Seite 64

HOFFNUNGSTRÄGER Das Evangelium des Alphabets Seite 92

54 KULTURENTDECKER Neugier und Forscherdrang

82 UTOPISTEN Wenn grosse Ideen scheitern

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Fotografen: Frühe Werber für die Mission

84

Mission in Zeiten des Kolonialismus

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Kartografen: Auf der Suche nach dem afrikanischen Schwabenland

86

«Wie die Maserung in einem Stück Holz»: Die Basler Mission in Ghana

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Sprachforscher: Der «Sprachgesang» der Goldküste

64

Sammler: Ahnentafeln, Opiumpfeifen und Buddha-Figuren

90 HOFFNUNGSTRÄGER Gemeinsam Grosses erreichen 92

Das Evangelium des Alphabets: Bildungsarbeit in Peru

66 BRÜCKENBAUER Über Grenzen hinweg

94

«Meine neuen Pflichten füllen meine Zeit reich- lich aus!»: Zwei Tage im Leben von Luise Z.

68

«Ohne Vertrauen gibt es keinen Frieden»

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«Das Handwerk ist unser Dogma»: Vom Missionseinsatz zum Möbellabel

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«So klein und gering die Sache scheint, so ist sie eben doch gross und wichtig.»: Die Halbbatzenkollekte

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Befreiende Theologien in Lateinamerika

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Neues wächst im dürren Land: Theologische Ausbildung

78

Frau Wang und die alte Mädchenschule in China

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«Das stärkende Licht»: Was bedeutet «Mission» heute?

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Von A wie Alter bis Z wie Zähne

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Chronologie: 200 Jahre Basler Mission

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Karikatur, Impressum


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Anf채nge und Umbr체che

Eine Bewegung wird zur Institution


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Das 19. Jahrhundert war die Zeit der Aufklärung, der Napoleonischen Kriege und auch der «Erweckungsbewegung». Dazu gehörten Christinnen und Christen, die an das Kommen eines guten Gottesreiches glaubten. In diesem sollten Friede und Gerechtigkeit für alle herrschen. Um sich dafür einzusetzen, gründeten einige von ihnen die Basler Missionsgesellschaft. Der Start war von Visionen getragen; die ersten Schritte erwiesen sich als holprig und schwer; der Erste Weltkrieg schliesslich hätte fast ihr Ende bedeutet.

Missionshaus im 19. Jahrhundert an der heutigen Missionsstrasse ABM QQ-30.022.0001


6 Anfänge und Umbrüche

«Eine gute Revolution aus dem Geist des Evangeliums» Die Gründung der Basler Mission Nicht nur ein paar Frömmler, sondern eine ganze Glaubensbewegung führte zur Gründung der Basler Mission. Der Autor lässt die Zeit um 1815 lebendig werden, indem er sich in den ersten Präsidenten der Basler Missionsgesellschaft, Nikolaus von Brunn, hineinversetzt. Von Peter Felber

«Plumm…»

Mit einem dumpfen Schlag fällt die Tür des Pfarrhauses am Martinskirchplatz ins Schloss. Laut genug, um Pfarrer Nikolaus von Brunn aus seinen Gedanken zu reissen. An diesem Morgen ist er ganz darin versunken. Dieser Montag Ende September ist ein herrlicher Herbsttag, der Basel mit einem strahlend blauen Himmel beschenkt. Die kühle Morgenluft trägt den unverwechselbaren Geruch vom Rhein herüber – ein Hauch von Tang und frischer Feuchtigkeit. Dieser Duft ist den Menschen in Basel von Kindheit an vertraut. Sie verbinden ihn mit dem Strom, der entlang der Grenze von

Blick auf die Martinskirche Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 5-54-1

Frankreich und Deutschland fliesst und die Stadt am Rheinknie mit dem Meer und der weiten Welt verbindet. Seit fünf Jahren wirkt von Brunn als Pfarrer an der Martinskirche. Durchaus nicht erfolglos: seine Gottesdienste, Bibelstunden und Missionsvorträge sind gut besucht. Die Menschen hören in diesen Zeiten gerne von fernen Ländern. Afrika, Indien oder China sind keine märchenhaften Gegenden mehr. Die Welt wächst jetzt rasant zusammen, neue Verkehrswege lassen exotische Regionen in erreichbare Nähe rücken. Geburtstage Der 25. September 1815 ist ein besonderer Tag. Nicht nur, weil Nikolaus von Brunn heute 49 wird. Sieben mal sieben Jahre alt ist er! Im Alten Testament nennt man das 50. Jahr ein Halljahr – ein Jahr, in dem alle Menschen frei kommen, die in Sklaverei leben, in dem Schulden erlassen und in dem ungleiche und prekäre Besitzverhältnisse umverteilt werden. «Braucht unsere Zeit nicht auch ein Halljahr?», geht es von Brunn durch den Kopf. Doch seine Gedanken springen weiter: «Wichtiger als mein Geburtstag ist aber mein Tauftag.» Diese Einsicht hat er aus einem Buch Johann Friedrich Oberlins gewonnen. Der fast eine Generation ältere Pfarrer lebt im Steintal hinter Strassburg. Er feiert mit den Gläubigen sogenannte Tauferinnerungen, jedes Jahr am Tauftag, quasi als zweite Geburt, als «Neugeborenwerden in Christus». In dieser Erinnerung liegt für ihn die Kraft, die eigenen Gaben stets als Geschenk Gottes zu verstehen. Nikolaus von Brunn bewundert Oberlin, denn dieser hat als Pfarrer in einem verarmten Bauerndorf in den Vogesen ein grosses Werk vollbracht: Er hat nicht nur ermutigend gepredigt und Menschen in der Seelsorge


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Kraft zugesprochen, er hat auch neue Gemüsesorten eingeführt, die Kartoffel verbreitet und so geholfen, den Hunger zu verringern. Die Eltern von Konfirmanden sollten für ihre Kinder einen Steinobstbaum pflanzen, sodass um das Dorf nun ein grosser Obstgarten blüht. Die gesunden Früchte tragen zu einer ausgewogenen Ernährung und verbesserten Gesundheit bei. Oberlin steht zudem für mehr Bildung ein. Er hat im Tal die Volksschule eingeführt, in der modernste Schulmethoden angewandt werden. Verbindung mit Württemberg Während diese Gedanken durch seinen Kopf ziehen, überquert Nikolaus von Brunn den kleinen Platz zwischen Pfarrhaus und Kirche. Er stösst die Türe auf, die zum Turm führt. Dort will er die Wachstube hoch oben erklimmen und seine Gedanken sammeln. Dann will er mit Freunden eine grosse Vision in die Tat umsetzen: Sie wollen in Basel ein Missionsinstitut gründen. Nun schweift sein Blick über die Dächer der Stadt. Sie ist umgeben von einer lückenlosen Mauer. Hinter ihr sieht er am Horizont die Vogesen, davor liegt die Festung Hüningen. Ihnen gegenüber sieht er den Schwarzwald, hinter dem das Königreich Württemberg liegt. Mit Württemberg weiss er sich heute besonders verbunden. «Dort leben viele Menschen, die wie ich denken, glauben und auch handeln wollen», ist er überzeugt. Nikolaus von Brunn fühlt sich ebenso wie seine Glaubensgeschwister, als hätte ihn jemand aus dem Schlaf geweckt. Der Sturz des Teufels Napoleon hat ihnen Hoffnung gemacht, dass die Macht des Bösen bald ganz gebunden, besiegt sein wird. Dass das Reich Gottes unmittelbar bevorsteht. «Jetzt wird das Evangelium sich durchsetzen und die Welt gestalten wie noch nie!» Davon sind sie überzeugt. In Württemberg glauben einige, die Wiederkunft Christi stehe unmittelbar bevor. Wenn sie nur die Zeichen der Zeit erkennen und das Evangelium Jesu in der ganzen Welt verkünden. «Reich Gottes», das bedeutet, dass Unrecht verschwindet, Elend und Gewalt besiegt und Krankheiten geheilt werden, dass Unfreiheit und Sklaverei aufgehoben und Hunger gestillt wird, dass Macht nicht mehr das Instrument weniger Gieriger ist. Vor fünf Jahren hatte von Brunn dies als Pfarrer in Liestal in einer religiösen Erweckung am eigenen Leib erfahren. Ihn und viele andere hatten bewegende Gefühlsströme durchfahren, und plötzlich hatte er eine Gewissheit: «Gott lebt, er wird diese Welt zum Guten richten und seine grossen Versprechen der Bibel erfüllen.» Er hatte mit einfachen Bauern aus Württemberg gesprochen, die vom Glauben tief ergriffen waren. Zwar gab es Unterschiede zwischen seiner und ihrer Vorstellung des Gottesreiches, dennoch war er ihnen verbunden.

Erstes Missionshaus am Albangraben, 1816–1820 ABM QS-30.018.0002

Nach der Saat kommt die Erntezeit Heute will er nun mit Freunden ein grosses Werk beginnen. «Eine gute Revolution aus dem Geist des Evangeliums!», freut er sich. Nikolaus von Brunn ist auf dem nächsten Zwischenboden des Turms angekommen. Er sieht jetzt durchs Fenster zum Pfarrhaus hinüber. Heute Nachmittag werden sie dort ein Missionsinstitut ins Leben rufen, um jährlich etwa 20 Missionare auszubilden. «Diese sollen in alle Welt geschickt werden und dort den Samen des Evangeliums in fremde Erde einpflanzen», denkt von Brunn, als er auf das Land blickt, das vor der Stadt liegt. Jetzt, Ende September, ist Erntezeit. «Nun können die Bauern nach viel harter Arbeit die Früchte auf den Feldern einsammeln», geht es ihm durch den Kopf. «Dies geht aber nur, wenn sie lange vorher gesät und angepflanzt haben. So werden auch die Missionare überall auf der Welt Gemeinden einpflanzen, in denen Christinnen und Christen in allen Erdteilen die Werte des Evangeliums leben und es so zu sichtbarem Leuchten bringen werden.» Höhepunkt einer langen Geschichte Er blickt über die Innenstadt. Dort auf dem Marktplatz hatte vor 62 Jahren alles begonnen. Damals versammelten sich in Basel kleine Gruppen von

Erika Hebeisen Leidenschaftlich fromm. Die pietistische Bewegung in Basel 1750-1830 (2005)


8 Anfänge und Umbrüche

Wichtige Persönlichkeiten aus der Gründungszeit

Pfarrer Nikolaus von Brunn, erster Präsident der Basler Mission

Pfarrer Johann Friedrich Oberlin

Christian Friedrich Spittler, ehemaliger Sekretär der Deutschen Christentumsgesellschaft

Pfarrer Christian Gottlieb Blumhardt, erster Inspektor der Basler Mission

Pfarrer Dr. Carl Friedrich Adolf Steinkopf

Pfarrer Simon Emmanuel La Roche

Benedict La Roche, Gründer der Bank La Roche in Basel

Juliane von Krüdener, charismatische Unterstützerin der Basler Mission

ABM QS-30.021.0127

ABM QS-30.021.0005

Peter Ochs, Politiker, Jurist, Historiker und Schriftsteller ABM QS-30.021.0129

ABM QS-30.016.0020

ABM QS-30.008.0041

ABM QS-30.022.0027

ABM QS-30.021.0091

ABM QS-30.001.0028.01

Wikipedia


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Christen, sogenannte Pietisten. Diese erwarteten von der Kirche mehr als rituelle Gottesdienste und Predigten über abstrakte Gotteswahrheiten. Nein: Der Glaube sollte Wirkung zeigen. Aus Freude an Gottes Liebe zu den Menschen wollten sie die Welt verändern. Das Christentum war keine Moral-Erziehungsanstalt, welche die Bevölkerung in die vermeintlich gottgegebene Ständegesellschaft einzufügen hatte. Dieser Ansatz gefiel der Obrigkeit nicht – sie empfand ihn als aufrührerisch. 1753 stand deshalb einer dieser Pietisten drei Tage lang am Pranger. Zwölf seiner Freunde kamen und demonstrierten für die Freiheit des Glaubens. Sie wurden verhört, einige eingesperrt, doch nach und nach wieder freigelassen. «Für Christen wie mich haben diese Radikalen den Weg gebahnt!», denkt Nikolaus von Brunn, «denn auch für mich ist ein Christentum wertlos, das nicht die Welt zu verbessern sucht.» Von Brunn geht es dabei um handfeste, materielle Veränderungen im Hier und Jetzt. Johann Oberlin im Elsass hatte ein Reformprogramm entwickelt, das auf der Grundlage des Evangeliums an einer menschenfreundlichen Zivilisation arbeiten wollte. Basel in Not und Bedrängnis Unterdessen ist von Brunn in der Turmstube angelangt. Er schaut durch ein Fenster gegen Westen, sieht das Spalentor. Da wird ihm bewusst, wie viel hier innert kurzer Zeit passiert ist: 1813 waren die Alliierten gegen Napoleon durch Basel marschiert. Die Stadt wurde ausgezehrt, Flecktyphus brach aus. Die Einheimischen waren aber auch fasziniert von den fremden Soldaten im Heer des Habsburger Kaisers: wilde Kerle aus dem Kaukasus. Die Präsenz der Armeen zog den Beschuss durch die Franzosen aus der Festung Hüningen nach sich. Direkt in die Stadt schlugen ihre Artilleriegeschosse, die General Barbanègre abfeuern liess. Danach kämpften eine halbe Million Soldaten in der Völkerschlacht von Leipzig gegeneinander. Hunderttausend starben, Tausende überlebten zwar ihre Verletzung, waren aber meist für den Rest ihres Lebens verstümmelt. Alles schien mit Napoleons Verbannung auf Elba im vergangenen Jahr ein Ende zu haben. Doch der war im Mai 1815 wieder nach Paris zurückgekehrt. Barbanègre in Hüningen wurde wieder aktiv und nahm Basel im Mai 1815 erneut unter Beschuss. Erst Befreiung, dann Entwicklung In eben diesem Mai war Nikolaus von Brunn mit seinem Freund Christian Friedrich Spittler in der Stadt unterwegs gewesen. Sie kannten sich von der Deutschen Christentumsgesellschaft, in der Spittler lange Sekretär gewesen war. Deren Netzwerk erstreckte sich über ganz Europa. Es vereinigte Leute, die ebenso wie die Aufklärer einen gesellschaftlichen Wandel und eine moder-

ne Welt wollten, jedoch ohne ihre Religion, ihren Glauben aufzugeben. Im Gegenteil: Der Christenglaube war für sie die aktive Quelle einer Gesellschaftsveränderung, die allen Menschen Gutes bringen sollte. Und zwar überall auf der Welt. Von Brunn hielt im Lokal der Gesellschaft, im Fälkli, Vorträge über die Notwendigkeit der Mission. Spittler drängte schon lange auf die Gründung eines Missionsinstitutes. Vor mehreren Jahren war Christian Blumhardt in Basel gewesen, auch er ein Mitarbeiter der Christentumsgesellschaft und von der Idee einer Missionsanstalt begeistert. Er hatte in vielen Schriften für die Mission geworben und über die englischen Missionsgesellschaften berichtet. Er tat dies dank seiner engen Beziehung zu einem dritten Mitarbeiter der Christentumsgesellschaft, Pfarrer Dr. Carl Friedrich Adolf Steinkopf. Dieser wirkte jetzt als Pfarrer in London und versorgte sie mit Informationen über die dortige Missionsarbeit. Der Württemberger Blumhardt war nach einigen Jahren Pfarrtätigkeit in Basel nach Deutschland zurückgekehrt. Doch er blieb stets im Austausch mit Spittler und Steinkopf. Von Brunn denkt an diese drei beeindruckenden Freunde und die Pläne, die sie zu viert immer wieder diskutierten. Gottes Werk und des Menschen Beitrag Ganz ohne Spannungen verliefen ihre Diskussionen aber nicht. Spittler war ein Mann mit grossem Gottvertrauen. Er verabscheute allzu viel Organisation und meinte, wenn man nur erstmal loslegte, würde Gott ein solches Werk schon segnen. Doch Blumhardt hatte ihm geschrieben: «Von Gott kann man immerhin erwarten, dass er durch den ermutigenden Verlauf einer Sache zeigt, ob sie seinen Segen hat.» Er wollte nämlich das Missionsinstitut erst gründen, wenn seine Finanzierung gesichert war. Spittler und andere von der Christentumsgesellschaft hofften, er würde sich als Inspektor des neuen Werkes nach Basel berufen lassen. «Um mich darauf einlassen zu können», schrieb Blumhardt, «benötige ich eine gesicherte Existenz.» Genauso wichtig war ihm auch, dass das Werk nicht von ihnen als Einzelpersonen abhing. Christian Friedrich Spittler hatte ihm erwidert: «Mir genügt Christus als Präsident! Sonst erstickt das Werk rasch in Sitzungen und unfruchtbaren Debatten.» Doch Blumhardt war überzeugt, es brauche ein Netzwerk mehrerer Personen. Er bestand auf der Gründung eines Komitees hinter dem Missionsinstitut. Die Deutsche Christentumsgesellschaft lehnte Spittlers Antrag zwar ab, das Missionsinstitut zu gründen. Sie gab den Männern aber freie Hand, die Gründung als Privatpersonen voranzutreiben. Unentwegte glauben an Grosses Rasch fanden sie weitere Gründungswillige: Pfarrer Simon Emmanuel La Roche aus Binningen, der später an die Basler Peterskirche kam. Sein

Michael Kannenberg Verschleierte Uhrtafeln. Endzeiterwartungen im württembergischen Pietismus zwischen 1818 und 1848 (2007)

Jan Carsten Schnurr Weltreiche und Wahrheitszeugen. Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815-1848 (2011)


10 Anfänge und Umbrüche

Bruder Benedict La Roche, der später in Indien umkommen sollte, sowie der Mathematiker Professor Friedrich Lachenal. Dann waren da noch Lukas Wenk, Gemeindehelfer in Basel und später Pfarrer in Riehen, sowie der deutsche Enthusiast Johann Georg Kellner, ein ehemaliger Oberpostmeister. Von Brunn hatte eine führende Rolle in der Gruppe. Am 18. Juli, an einem dieser glühend heissen Hochsommertage, hatte Spittler beim «hochwohllöblichen Deputat» der Regierung, Peter Ochs, vorgesprochen. Es war ein höfliches Gespräch, sie redeten kurz über die Pläne für das Missionsinstitut. Ochs machte darauf aufmerksam, dass die Mittel gesichert sein müssten und das Institut und seine Zöglinge der Stadt keine Kosten verursachen dürften. Aber er schien bereits entschlossen, die Erlaubnis zu erteilen. Spittler war überrascht, war Ochs doch ein Aufklärer, der kritisch über Religion dachte. Nur wenige Tage später lag die Erlaubnis der Regierung dann schriftlich vor. Die «Festung Ochs», wie Spittler ihn mit einer Anspielung auf die Festung Hüningen nannte, war kein Hindernis gewesen. Zentrales Missionsinstitut für den Kontinent Das Institut orientierte sich an der bisher einzigen Ausbildungsstätte für Missionare auf dem Kontinent: In Berlin hatte der inzwischen hochbetagte und mit der Deutschen Christentumsgesellschaft verbundene Pastor Johann Jänicke seit Jahren ein Missionsinstitut betrieben und die ausgebildeten Missionare über englische Missionsgesellschaften in die Welt ausreisen lassen. Auch die Basler Zöglinge sollten zunächst über befreundete Gesellschaften in Holland oder England ausgesandt werden. Später einmal, wenn Gott es gelingen liess, könnte vielleicht ein eigenes Missionsfeld in Afrika oder Asien aufgebaut werden. Aber das waren ferne Gedanken und Visionen. Ein Evangelium, das Mauern sprengt Von Brunn blickt jetzt von der Turmstube über die Stadtmauern hinaus. Dort, hinter dem sich klar abzeichnenden markanten Hut des Spalentors, sieht er nach Frankreich, von dessen Atlantikküste Schiffe nach Übersee, in den Orient und nach Afrika fahren. «Ganz schön eng ist die Stadt Basel in ihrer Stadtmauer», denkt er. Mission funktioniere aber nur, wenn man die Weite suche – räumlich und im Geist. «Die Mission will beides beleben», so von Brunn, «nicht nur den Raum ausserhalb, sondern auch den innerhalb der Stadtmauer.» Letzte Woche hatte ihn ein Basler gefragt, weshalb sie den Glauben in Weltgegenden tragen wollten, in denen die Menschen doch schon eine andere Religion hätten, «weshalb arbeitet ihr nicht hier vor Ort an der Entwicklung und am Fortschritt der Zivilisation?» Eine Antwort darauf war ihm gestern gekommen. Er blickt nun hinunter zum

Pfarrhaus. Dort, in seiner Studierstube, liegt das Manuskript für seinen Katechismus. Zur Vaterunser-Bitte «Dein Reich komme» hatte er gerade gestern geschrieben: «Dein Wille geschehe. Wie kommt es dazu? Wenn das Evangelium immer weiter unter den Völkern verbreitet wird, die noch nichts davon wissen, und es bei denen, welche es schon einigermassen kennengelernt haben, immer heller scheint. Wie kann dies geschehen? – Wenn der Herr viele Boten aussendet.» «Mission hat nichts mit Abkehr von Welt und Leben zu tun», geht ihm durch den Kopf. Das Vorbild Jesu zeigt, wie er sich um Menschen kümmerte, die vom Leben ausgeschlossen und von der Gesellschaft an den Rand gedrängt waren. Ein spürbares Gottesreich Befreite und erlöste Menschen machen durch christliche Gemeinden das Reich Gottes zum Gestaltungsprinzip der Welt. Genau dies hatte sein alter Freund, der Pfarrer Carl Friedrich Steinkopf, einmal im Gespräch wunderbar auf den Punkt gebracht: «Die Kirche soll sich der Verkündigung des Evangeliums des Friedens widmen, sodass dieses Evangelium und seine Werte überall eingepflanzt werden.» So kann sie zur «Verbreitung einer wohltätigen Zivilisation beitragen», so Steinkopf. Eine Zivilisation, die allen Menschen Wohl und Heil bringt, in der Gerechtigkeit herrscht. Frieden und Lebensfülle für alle. Diese Vision inspirierte die Glaubensbrüder. Nikolaus von Brunn verlässt jetzt die Turmstube, er geht die Treppe hinunter und zurück über den Martinskirchplatz ins Pfarrhaus. Bald werden seine Freunde zur Gründungssitzung kommen. Sein Geburtstag wird zum Gründungstag, er wird Präsident des Komitees. Bald schlägt also die Stunde null des Basler Missionsinstitutes. Beim Gehen über den Kirchplatz erinnert er sich, wie gestern die Sonntagsglocken der Kirchen in Basel geläutet hatten. Die Klänge der Glocken hatten leise begonnen, waren immer lauter geworden, dann miteinander verschmolzen, und schliesslich überall in der Stadt zu hören gewesen, um die Menschen zu den Gottesdiensten zu rufen. «Gebe Gott», betet von Brunn, «dass auch die heutige Gründungsstunde der Basler Mission wie ein erster Glockenschlag ist, der noch lange, lange weiterhallt.»

Peter Felber leitet die Kommunikationsabteilung bei Mission 21. Er ist Pfarrer und hat sich als Jubiläumsbeauftragter in die Geschichte der Basler Mission eingearbeitet. Er war erstaunt, dass «damals modern denkende Menschen am Werk waren», die einen Fortschritt der Welt mithilfe des Glaubens verwirklichen wollten. Einige von ihnen hätte er gerne persönlich kennengelernt, so auch Nikolaus von Brunn.


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Eine «Pflanzschule von Heidenboten» Das Basler Missionsseminar Unterricht bei Herrn Stricker ABM QS-30.036.0111

Im Basler Missionshaus begann für rund 3500 «Zöglinge» ein Leben im Dienst der Mission. Obwohl die mehrjährige Ausbildung alles andere als einfach war, gab es stets mehr Bewerber als Plätze. Vor allem unter einem der Leiter herrschte ein strenges Regiment. Von Detlef Lienau

«Wir

haben uns vereinigt, eine Missionsanstalt in unserer Stadt zu errichten, welche den einfach grossen Zweck hat, durch einen regelmässigen Kursus (…) Zöglinge zu bilden, welche (…) als Verbreiter einer wohltätigen Zivilisation und als Verkündiger des Evangeliums des Friedens nach verschiedenen Gegenden der heidnischen Welt versendet werden können.» Das Schreiben, mit dem die Gründer der Basler Mission den ersten Inspektor Christian Gottlieb Blumhardt berufen, schildert ein visionäres Vorhaben: Aus den Ideen einer Handvoll Männer soll sich ein weltweites Engagement entwickeln, dessen Herz im Missionsseminar schlägt.

Die Ausbildungsstätte: das Missionshaus Bereits wenige Monate nach der Gründung der Basler Mission erwirbt die Missionsleitung 1816 das Haus «Zum Panthier». Pfarrer Nikolaus von Brunn nennt es im Einweihungsgebet vor den ersten sieben Zöglingen eine «Pflanzschule von Heidenboten». Die ausgebildeten Missionare sollen in den Dienst niederländischer und englischer Missionsgesellschaften vermittelt werden. Schnell wächst die Zahl der Studierenden und man muss in ein grösseres Haus in der Leonhardstrasse umziehen, bis 1860 der grosse Wurf gelingt: Die Mission baut vor den Stadttoren in der heutigen Missionsstrasse eine imposante neue Anlage. Eine grosszügige Schenkung von


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Christoph Merian-Burckhardt ermöglicht dies der noch jungen Mission. Die Lage vor der gerade abgebrochenen Stadtmauer signalisiert Weltoffenheit und Modernität, zugleich will die Mission sich vor den Störungen durch das weltliche Treiben der Stadt schützen. Auf dem Gelände wird hinter dem Missionshaus ein Kinderhaus gebaut, zudem gibt es Anlagen für die landwirtschaftlich-handwerkliche Ausbildung. Das Haus bietet Platz für 96 Zöglinge, die in drei Etagen für jeweils zwei Jahrgänge untergebracht werden. Hinzu kommen Wohnungen für den Inspektor, den Vorsteher, den Verwalter, die Hausmutter und Helferinnen sowie im Erdgeschoss Versammlungssäle, Museum, Büro, Lager und Buchladen. Am 4. Juli 1860 wird das Haus mit 2000 Gästen feierlich eingeweiht. Obwohl, so die Befürchtung, das «räsonierlustige Basler Publikum» sich daran stossen könnte, die Mission «wolle hoch hinaus», wurde hier eine unverschämte Hoffnung sichtbar. Die Bewerber: «unbescholten und sittlich» Fast 150 Jahre, bis 1955, werden in Basel Missionare ausgebildet. Immer gibt es mehr Anwärter als Ausbildungsplätze. Voraussetzung ist, dass die Bewerber ledig sind, möglichst zwischen 20 und 25 Jahren alt, «in physischem Bestzustand», sittlich und polizeilich unbescholten – und bereit, sich dem Komitee, also der Missionsleitung, unterzuordnen. «Die Zöglinge ihrerseits stellen sich der Gesellschaft für immer zur unbedingten Verfügung, ohne dass diese sich in irgend einer Weise rechtlich verbindlich macht, sie auszusenden, im Dienst zu behalten, zu besolden oder zu unterstützen», ordnet die Aufnahmeordnung an. Und natürlich müssen die Bewerber fromm sein: «Wer andere bekehren will, muss selber gründlich bekehrt und sich seiner göttlichen Berufung durch reifliches Nachdenken, längere Selbstprüfung nach Gottes Wort unter dem Gebet und Beratung sachverständiger und ihn genau kennender Männer im Glauben gewiss geworden sein.» Zu fromm darf es aber auch nicht sein, wie Emanuel Grunauer aus Basel merkt, der «aus brennender Liebe zu den armen unwissenden Heiden» Missionar werden und «um des Bekenntnisses zum Namen Jesu willen als Märtyrer sterben» will – und abgelehnt wird. Die meisten Seminaristen entstammen handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen. 70 Prozent von ihnen kommen aus Deutschland, nur 20 aus der Schweiz. Allein die Hälfte stammt aus Württemberg. Der Lehrplan: zwischen Bibel und Amboss Bodenständig und glaubensstark – so wünschen sich viele Württemberger Pietisten die Ausbildung. Aber die englische Church Missionary Society, die die ausgebildeten Missionare anfangs übernimmt, bemängelt deren fehlende

Brüder im Lesezimmer, ABM QS-30.036.0117

… bei der Gartenarbeit, ABM QS-30.0360116

Weltgewandtheit, woraufhin die Basler Mission kontert, dass «aber dafür unsere Missionare willens sind, sich ins afrikanische Todesland senden zu lassen». Die Leitung probiert eine Zweiteilung der Ausbildung in eine «Realabteilung» für die unzivilisierte (Afrika) und eine philologische Abteilung für die zivilisierte Heidenwelt (Asien). Letztlich findet sie einen Mittelweg, bei dem die Zöglinge in fünf bis sechs Jahren praktische und theoretische Kenntnisse erwerben. Im Mittelpunkt steht das Bibelstudium mit Hebräisch und Griechisch, dazu Predigtlehre und Pädagogik. Vieles bereitet auf den Alltag der Missionare vor, etwa moderne Sprachen, naturkundliche Fächer wie Rechnen, Geografie, Kartenzeichnen, Medizin – samt Vorkenntnissen der Chirurgie – und Botanik, dazu noch Singen und Sport.


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… auf einer Velotour (ca. 1929), ABM QS-30.036.014

Immer wieder klagen die Zöglinge, sie seien «mit Lektionen überladen», bis 1895 wegen vieler Nervenkrankheiten der Lehrplan abgespeckt werden muss. Tatsächlich lässt der Stundenplan keinen Freiraum. Morgens um fünf Uhr beginnen Vorbereitungsstunden und «Beobachtung dessen, was zur Sinnlichkeit gehört», womit vermutlich die Körperhygiene gemeint ist. Um sieben Uhr folgen Morgensegen und Frühstück, von acht bis zwölf Uhr Unterrichtsstunden, dann Mittagessen und «mechanische Beschäftigungen» – wohl die landwirtschaftlich-handwerkliche Ausbildung – ohne Pause gefolgt von Lehr- und Supplementstunden, Repetition, mechanischen Arbeiten und – endlich – Erholung. Die «Schwabenkaserne»: Askese und Autorität Die Zöglinge treffen im Missionshaus auf eine Leitung mit selbstbewusstem Anspruch: «Wer den Willen Gottes wissen will, höre auf die Committee», so Inspektor Hoffmann 1853. Der Alltag ist streng, die Zöglinge sollen abgehärtet werden. Noch im 20. Jahrhundert gibt es Schlafsäle mit je 40 Seegrasmatratzen. Der Schüler Elias Schrenk berichtet 1854, die Zöglinge müssten sich am Brunnen im Hof waschen und Mehlsuppe wechsle sich mit Wassersuppe mit Zwiebeln

Aus Motivationsschreiben von Bewerbern 1816-1818 Will «aus brennender Liebe zu den armen unwissenden Heiden» Missionar werden und «um des Bekenntnisses zum Namen Jesu willen als Märtyrer sterben.» Emanuel Grunauer, * 1794 in Basel, Gymnasiallehrer

«Sagen Sie, meine Theuren! Stimmen Sie nicht mit meinem Urteil überein, dass man Blut weinen sollte beim Anblick der grossen Menschenscharen, die nahe am Rand der Hölle wandeln, denen von keiner Busse, keiner Bekehrung nichts gesagt wird, die dahin leben und sterben, ohne Gott, ihren Erlöser einmal kennen zu können.» John Abtner aus Aarau Gibt als höchstes Ziel an, «Seelen zu retten». Johann Martin Mattkes, * 1799 in Sulz am Neckar


14 Anfänge und Umbrüche

… beim Baden (1935). ABM QS-30.036.0097

ab. Als er von einem landwirtschaftlichen Grundstück mit dem Mistwagen durch die Stadt zum Missionsgarten fahren muss, zieht er sich den Spott der Bewohner zu. Kein Wunder, dass das Missionsseminar im Volksmund als «Schwabenkaserne» bespöttelt wird. Dennoch steht für den ersten Inspektor Blumhardt die Hausordnung unter dem «Gesetz der Freiwilligkeit und der Liebe», wie er schreibt: «Unsere Missionsschule als Pflanzschule des Heiligen Geistes, soll nicht der Herrschaft des eisernen gesetzlichen Zwanges, sondern dem Reich der göttlichen Freiheit angehören, in ihr soll nicht Moses, sondern Christus, nicht das Gesetz, sondern das Evangelium regieren.» Einen anderen Ton schlägt der dritte Inspektor Joseph Friedrich Josenhans an. Er «erzieht, und zwar mit wuchtiger Hand, scharfem, tiefem Blick und schonungslos», berichtet ein Zögling. «Mehr gefürchtet als geliebt», wird er «kleiner Bismarck» genannt. Umfasste die erste Hausordnung von 1818 nur 12 Seiten, wuchs die zweite, von Josenhans 1860 verfasste, auf 40 Seiten an. Sie legt minutiös die Tagesordnung und eine Vielzahl an Ämtern fest, vom Vorturner bis zum Lampenputzer, vom Schuhaufseher bis zum Unterbibliothekar. Alles hat verfasste Ordnungen, nur das Komitee nicht: «Gedruckte Statuten haben wir nicht, nicht einmal geschriebene, (…) wir leben vom Vertrauen und von der Liebe unserer Freunde.» Josenhans fordert Disziplin «zur Erziehung einer zuverlässigen, wohldisziplinierten Streiterschar für den Missionskrieg». Wöchentlich hat jeder sein Tagebuch abzugeben. Dies ermöglicht Anteilnahme wie auch «brüderliche Zurechtweisung».

Das 20. Jahrhundert: Schwesternhaus und Dekolonialisierung Das Missionsseminar ist allein Männern vorbehalten. Für Frauen eröffnet die Basler Mission 1911 das Schwesternhaus, das Räume für die Vorbereitungskurse und den Heimaturlaub von Frauen bietet. Anders als bei den Männern wird für den Eintritt Berufskompetenz als Lehrerin oder Diakonissin vorausgesetzt. Gelehrt wird in den zehnmonatigen Kursen nur das einsatzspezifische Wissen, also Bibelkunde, Glaubenslehre, Missionsgeschichte, Englisch und Singen. Der Erste Weltkrieg unterbricht den Betrieb des Missionsseminars – von 121 Schülern sind 111 militärpflichtig. Bereits nach einem Jahr beginnt das Haus sich langsam wieder zu füllen. Wegen ihrer starken Verwurzelung in Deutschland ist der Basler Mission jedoch der Zugang zu allen Missionsgebieten bis auf China versperrt. Macht da eine Ausbildung noch Sinn? Zudem fehlt das Geld für die Aussendung. Nach dem Zweiten Weltkrieg muss sich die Basler Mission einer neuen Herausforderung stellen: Immer mehr Partnerkirchen werden selbstständig. Sie bauen eigene Ausbildungsstätten auf und brauchen keine Missionare mehr, sondern wissenschaftlich qualifizierte Dozierende der Theologie und weitere Berufstätige. Darum wird das Basler Seminar 1955 aufgelöst. Das Missionshaus im 21. Jahrhundert Die heutigen ökumenischen Mitarbeitenden sind Fachkräfte, die vor ihrem Einsatz nur noch einen kurzen Aussendungskurs absolvieren. An die Stelle der Ausbildung von Missionaren ist ein breites Bildungsangebot getreten, das Hauptund Ehrenamtlichen Wissen um die weltweite Dimension von Kirche vermittelt.

Dr. Detlef Lienau ist theologischer Studienleiter bei Mission 21. Er ist beeindruckt von der visionären Tatkraft, die sich im Missionsseminar entfaltete.


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Die Basler Mission ist auch … Eine internationale Missionsgesellschaft Von wegen zentrales «Mutterhaus» in Basel: Man muss gar nicht bis zur Unabhängigkeit der Partnerkirchen vordringen, um Basel als Teil eines grossen Netzwerks zu entdecken. Bereits seit ihren Anfängen war die Basler Mission räumlich breit abgestützt, durch Missionsvereine in der ganzen Schweiz und darüber hinaus. Von Peter Felber und Claudia Wirthlin

… eine Zürcher Mission Im November 1819, vier Jahre nach der Gründung der Basler Mission, machen vier Zürcher auf ihrem Heimweg Rast auf dem nebligen Bözberg. Sie kommen gerade aus Basel, wo sie an einer Bibelfeier und einer Sitzung des Komitees der Basler Mission teilgenommen haben. Ihre Namen verraten, dass es sich um bedeutende Persönlichkeiten der Zwingli-Stadt handelt: Gessner-Lavater, Breitlinger, Hirzel, Usteri-Gessner. Kirchenmänner aus den wichtigen Kirchen der Limmatstadt, ein Amtmann sowie ein Kaufmann. Sie schwören, nun auf dem Bözberg, auch in Zürich eine Mis-

Die Sammlerinnen und vereinzelten Sammler der Halbbatzenkollekte gingen mit Kollekteblatt, Sammelbüchse und Sammelbüchlein auf ihre Touren. Foto: Michael Schlickenrieder/ Mission 21

sionsgesellschaft zur Unterstützung des Basler Instituts zu gründen. Das muss im Geheimen geschehen. Denn in Zürich herrscht ein allgemeines Verbot für Versammlungen. Die Obrigkeit sieht es nicht gerne, wenn Christen aus dem Trott der Amtskirche ausscheren. Sie hat Angst vor diesen initiativen Christen, die etwas Neues anstossen und dem christlichen Glauben soziale Wirkung verleihen wollen. Deshalb gründen die Zürcher ihre Missionsgesellschaft im Stillen: «Bei einer Pfeife Tabak wurden Korrespondenzen mit und aus dem Missionshaus, auch die neusten Missionshefte vorgelesen».


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Später wird die Arbeit öffentlich und zieht mehr Personen in ihren Bann. Vierteljährlich gibt es nun Missionsvorträge. In den 1830er-Jahren entstehen Unterstützerkreise in Winterthur und auf dem Land. 1844 feiert die Zürcher Missionsgesellschaft bereits ihr 25-jähriges Jubiläum. Die Mission wird nun in Zürich Angelegenheit der Kirche. Von der Gründung 1819 bis im November 1844 werden fast 140 000 Gulden, etwa 330 000 Franken, nach Basel geschickt. … eine Berner Mission Der Kanton Bern gehört ebenfalls zu den frühen Unterstützern der Basler Mission. Obwohl auch hier die Obrigkeit des 19. Jahrhunderts nur der Staatskirche ver- und den Pietisten und «Schwärmern» misstraut. Die Regenten haben Angst, dass diese Bewegungen Aufruhr stiften und die Staatsmacht bedrohen könnten. Die Erweckungskreise, die hinter der Basler Mission stehen, sind im damaligen Bern nicht unumstritten. Die Pfarrer Jeremias Lorsa (oder L’Orsat), Antoine Jean-Louis Galland und Auguste Schaffter regen bereits 1817 an, einen Missionshilfsverein zu gründen. Sie wollen die Ausbildung eines Missionszöglings am Basler Missionsinstitut finanzieren. Doch dies misslingt zuerst. In Gemeinden ist dies zur damaligen Zeit eine häufige Unterstützungsform: Man übernimmt die Garantie für einen Zögling, später dann für einen Missionar auf dem Feld. Dieses Modell ist erfolgreich: Das Missionsinstitut in Basel erhält 1819 von überall her – aus Deutschland und der Schweiz – die Zusage zur Unterstützung von 36 Zöglingen, obwohl erst 19 in Ausbildung sind. 1818 entsteht in Bern gemäss einem Schreiben an den Basler Inspektor eine «Missionsgesellschaft dortiger junger Frauenzimmer», woraufhin Basel sich «Winke über ihre fernere Einrichtung als Verein» erbittet. Julie Hebler, eine Exponentin der Berner Erweckungsbewegung, steht in regem Kontakt mit Inspektor Christian Gottlieb Blumhardt. Sie ist mit dem begnadeten Erweckungsprediger Galland und Professor Stapfer tätig. Ein neuer Hilfsverein wächst auf 40 Mitglieder und spendet 1820 bereits 430 Franken nach Basel. Diese Summe entspricht dem Viertel des Jahreseinkommens eines damaligen Stadtberner Pfarrers. 1819 wird im Dezember der offizielle «Berner Missionsverein» gegründet, der die Basler Mission unterstützt. Allerdings will der Verein keinen fixen Jahresbeitrag beschliessen, da «den hiesigen Armen nichts abgehen soll». Trotzdem kommen hohe Summen zusammen, 1822 bereits 1600 Franken. Es entsteht auch ein Hilfsverein französisch sprechender Frauen und Männer, zu monatlichen Missionsstunden im Salzmagazin versammeln sich 100 Personen aus einfachen Schichten. 1828 übernimmt eine neue Generation von Erweckten die Führung in Bern und gründet

ein erneuertes Missionskomitee. Es sind dies Inselpfarrer Karl Howald, Emanuel Bernhard von Goumoens (später Regierungsstatthalter von Thun), Franz Karl von Tavel (später Schultheiss von Bern), Karl von Rodt und Karl Stettler. Diese Personen spielen dann bei der Gründung der «Evangelischen Gesellschaft» im Jahr 1831 eine tragende Rolle. Innert 10 Jahren entstehen 20 Hilfsvereine, unter anderem in Steffisburg, Roggwil, Stettlen, Schlosswyl, Herzogenbuchsee, Radelfingen, Meiringen und Lederberg im Berner Jura. 1845 berichtet Pfarrer Wyss aus Bümpliz am Jahresfest in Basel, dass es im Kanton vorwärts gegangen sei mit der Mission, es gebe öffentliche Versammlungen mit kirchlichem Charakter. Daran nähmen auch Leute teil, «die den Geruch des Pietismus scheuen». Damit war die Mission in der allgemeinen Kirche angekommen. … eine Schaffhauser und eine St. Galler Mission In Schaffhausen ist der Lehrer Alexander Beck ein Pionier der Missionsbewegung. 1819 gründet er einen Missionsverein. Der Eintritt des Schaffhausers Johann Jakob Lang ins Missionsinstitut und sein Wirken im Kaukasus festigen die Beziehung zur Basler Mission. Schaffhausen wird rasch ein treu unterstützender Kanton, auch durch die Halbbatzenkollekte. Auf einem Faltprospekt der 1870er-Jahre sehen wir eine treue Sammlerin aus Schaffhausen. In St. Gallen gründen Frauen 1820 einen Missionsverein und spenden 300 Franken; im Jahr darauf entsteht ein Männer-Missionsverein. Treibende Kraft ist der Pfarrer Heim. Dieses Unterstützungsnetz wächst. An den Missionsfesten der 1840er-Jahre sind viele Berichte aus dem Kanton St. Gallen zu hören. Auch Missionsfestwochen werden nun in der Stadt und auf dem Land öffentlich gefeiert. … eine Bündner, eine Thurgauer, eine Aargauer und eine Baselbieter Mission Bereits 1816 wird ein Bündner Unterstützungsverein nach Basel gemeldet. 1845 nimmt eine Bündner Delegation an der Missionsfestwoche in Basel teil. Antistes Kind aus Chur berichtet, wie die Zahl der Missionsfreunde wächst, da und dort monatlich Missionsstunden stattfinden. Im vorderen Prättigau gebe es ein jährliches Missionsfest. Aus 1846 lesen wir im Archiv folgenden Protokolleintrag von der Bündner Festdelegation: «Dank für die Missionskarte. Sie ist in Graubünden in vielen Schulen das einzige Mittel, Geografie beizubringen.» Die Missionskarte war eine einfache Weltkarte in Schwarz-Weiss, auf der die Ausbreitungsgebiete der Weltreligionen und die Missionsgebiete zu sehen waren. Die Delegation aus dem Kanton Thurgau berichtet 1843 am Missionsfest in Basel, es sei noch wenig Interesse an der Mission vorhanden. Doch bereits 1846 gab es auch dort einen Missionsver-

Das Jubiläum der Basler Mission wird massgeblich durch Beiträge und Kollekten der Schweizer Kantonalkirchen mitgetragen.


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ein. 1848 versorgt dieser in einer grossen Werbeaktion – damals «Kolportage» genannt – 4000 Haushalte mit Nachrichten der Mission. Nach der Gründung der systematischen Halbbatzenkollekte durch die Basler Mission gehört auch der Kanton Thurgau zu den treuen Unterstützern der Mission. Der Aargau und das Baselland sind so nahe an Basel, dass die Unterstützung von dort sehr rasch in Gang kommt. So findet 1819 ein Missionsfest im Waldenburgertal statt, an dem die Schulkinder von Reigoldswil und Waldenburg singen und Geld sammeln. Zu diesem Zeitpunkt ist Basel noch nicht in zwei Halbkantone geteilt. Aber auch nach 1833 bleibt Baselland eng mit der Basler Mission verbunden; sehr viele Missionare sind Baselbieter, viele Missionsvereine sammeln treu. Ebenso

verhält es sich mit dem Kanton Aargau. Um 1860 gewinnt der aus Indien zurückgekehrte Basler Pioniermissionar Samuel Hebich die Schlossherrin von Wildegg, Julie von Effinger, für die Basler Mission. So wird Schloss Wildegg ein Zentrum der Missionsbeziehungen mit dem Aargau. … eine deutsche und eine französische Mission Von Anfang an entstehen rund um Stuttgart, dann überall in Württemberg, aber auch in Baden und im Elsass bis über Strassburg hinaus Unterstützungskreise. Auch viele Missionsgesellschaften im Rheinland, in Norddeutschland und in anderen Gegenden sind im Lauf des 19. Jahrhunderts aus Unterstützungsvereinen der Basler Mission entstanden.

Die Weltkarte der Mission von 1845. Die schwarz dargestellten Gebiete stellen die Missionsfelder dar, in Grau die Gebiete des Islams. ABM KARVAR-31.025


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Hoffen gegen Widerstände Die ersten Arbeitsfelder der Basler Mission Der Weg zur ersten «erfolgreichen» Missionsstation war lang und steinig: Viele Missionare liessen ihr Leben, die ersten Versuche schlugen fehl. Von Hanns Walter Huppenbauer

An der Küste Liberias ABM QD-30.044.0015

Von der Schule zur Gesellschaft Anfangs bildet die Basler Mission nur junge Männer aus, die dann als Missionare über andere Gesellschaften ausgesandt werden. Kontakte mit Missionskreisen in England bringen einen neuen Anstoss: Die Basler sollten aus ihrem Institut eine Gesellschaft mit eigenem Arbeitsgebiet machen, Südrussland würde sich dafür bestens eignen. Mit den dortigen deutschen Gemeinden und der armenischen Kirche könnte eine Basis für die Mission unter den tatarischen Muslimen und in Persien aufgebaut werden. Ende 1820 wird dies beschlossen. 1821 werden die beiden ersten «eigenen» Missionare, August Dittrich und Felician von Zaremba, ausgesandt. Mission im Kaukasus Höchst interessant ist der Auftrag, der den Missionaren für dieses erste Arbeitsgebiet per Instruktion mitgegeben wird: Sie sollen die armenischen Christen im Namen des Herrn freundlich grüssen, die Geschichte dieser Kirche im Abendland bekannt machen, das weite Land für eine pas-

sende Missionsstation erkunden, Schulen für die Tataren einrichten, Traktate drucken und so die Verkündigung unter den heidnischen Völkern mithilfe der armenischen und anderer dort lebender Christen vorbereiten. In Petersburg holen die Missionare die nötigen Bewilligungen ein und reisen dann – inzwischen zu fünft – 3000 Kilometer weit nach Astrachan am Kaspischen Meer. Dort lernen sie, unterstützt von der schottischen Mission, Russisch, Armenisch, Türkisch und Persisch. Sie erkunden das Land bis hin zur türkischen und persischen Grenze. Noch in Petersburg jedoch war Gottlieb Curfess gestorben, und während der Erkundungsreisen in Grusien auch Heinrich Benz. Die beiden Schweizer Jakob Lang und Rudolf Hohenacker gehen nach Karass als Gehilfen der schottischen Mission; Dittrich und von Zaremba gründen in Schuschi, auch Susa genannt, im Karabach, nahe der damaligen persischen Grenze, die erste Niederlassung der Basler Mission. Mission nach «Apostels Weise» Mitten in den Aufbau dieser Arbeit gibt Basel neue Weisungen, die alles auf den Kopf zu stellen drohen. Das Basler Komitee ist ungeduldig geworden und will Missionserfolge sehen. Nun sollen die Missionare Mission «nach Apostels Weise» betreiben, das heisst, als einfache Wanderprediger das Evangelium verkünden. Keine Station, keine Bücher, keine Traktate, «Zeugen Christi sollt ihr sein, nicht Schriftsteller und auch nicht Schulmeister!» schreibt die Basler Missionsleitung. Das schafft Verwirrung, steht die Weisung doch im Gegensatz zur bisherigen Instruktion. Die Brüder wehren sich, schliesslich habe Gott ihre bisherige Arbeit gesegnet. Sie setzen sich durch und führen ihre Arbeit zehn Jahre lang fort wie bisher, mit Schuschi und Karass als wichtigsten Stationen. Dann ist Ende! Denn der neue russische Zar verfügt 1835, dass die «Deutschen» in Russland keine Missionsarbeit mehr machen dürfen. Die Betreuung der deutschen Gemeinden bleibt jedoch erhalten. Das Missionsprojekt ist gescheitert, am russischen Nationalstolz, wie es offiziell heisst. Vielleicht aber brachten die Basler den armenischen Christen auch nicht die nötige Offenheit entgegen, sodass ihre Arbeit als Angriff gegen das Leben der Kirche empfunden wurde. Tagebücher und Berichte zeugen von einer gewissen Ablehnung jeder Frömmigkeit, die nicht ihrer eigenen entsprach.


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Liberia «Wollte Gott, wir wären in Afrika, aber unser Missionsfeld ist in Russland», schreibt Christian Gottlieb Blumhardt, der erste Inspektor, einem Freund. Mission in Afrika ist für ihn das einzige Mittel zur Unterbindung des Sklavenhandels. Weil in Russland keine Fortschritte zu sehen sind, beschliesst das Komitee im April 1823, ein Missionsunternehmen in Afrika zu planen. Umgesetzt wird der Beschluss aber erst, als die dänische Kolonie an der «Sklavenküste» Prediger für die dortige Christengemeinde sucht. 1826 werden Christian Handt, Gottlieb Hegele und Jakob Sessing für Liberia bestimmt. Ein Streit unter ihnen stellt alles infrage. Dann verunfallt Hegele bei der Ausreise, Handt bleibt krank in Sierra Leone hängen. Nur Sessing erreicht 1827 Liberia. Im folgenden Jahr treffen Hegele und Handt mit Hieronymos Wolff ein. Tropische und andere Krankheiten bedrängen sie. Beim Aufbau einer Arbeit unter den Bassa im Buschgebiet erkrankt Hegele und muss heimreisen, Wolff stirbt, Handt arbeitet an anderem Ort unter eigener Regie weiter, löst sich aber nicht ganz von der Basler Mission. Die 1830 nachgerückten Brüder sterben nach kurzer Zeit. Zurück bleiben Sessing mit seiner Frau Tabita und Georg Kissling. Sklavenhändler hetzen im Innern die Häuptlinge gegen die Missionare auf, sodass diese sich resigniert nach Sierra Leone absetzen. Sie werden daraufhin von der Basler Mission entlassen. Damit ist dieses Projekt am Ende. Gescheitert am Unwillen der dortigen Christengemeinde, aber auch daran, dass die Missionsleitung den Missionaren trotz der kaum möglichen Kommunikation zwischen hier und dort keinen Spielraum für eigene Verantwortung lässt. Goldküste (Ghana) Am Projekt «Sklavenküste», wie die gesamte Küste von Ghana, Togo, Benin und Nigeria damals genannt wird, ist auch der dänische König interessiert. Ferdinand Salbach, Gottlieb Schmid, Gottlieb Holzwarth und Philipp Henke werden dafür bestimmt. Sie sollen an den «arg geschundenen Afrikanern wieder gut machen, was Menschen, die sich Christen nennen, an ihnen gesündigt haben». Auch hier gibt es Streit unter den Brüdern: Henke, jeder Schwärmerei abhold, wird von den anderen drei des Unglaubens bezichtigt. Sie versöhnen sich, können ausreisen und kommen kurz vor Weihnachten 1829 in Osu, dem dänischen Teil von Accra, an. Sie wirken als Prediger für die dänischen Kolonisten und deren afrikanische Frauen und Kinder, erteilen ihnen Unterricht und kümmern sich um afrikanische Kinder der Umgebung. Das Klima und Krankheiten erschweren die Arbeit. In der Regenzeit 1829 sterben Holzwarth, Schmid und Salbach, eben bereit, unter der Bevölkerung östlich von

Osu zu arbeiten. Erst 1830 erreicht diese Nachricht Basel! Henke, allein zurückgeblieben, wird Seelsorger in dänischem Dienst für die Kolonie. Im Herbst 1831 stirbt auch er, an einer Lungenkrankheit. Als die drei nächsten Brüder sich der Guineaküste nähern, erfahren sie von einem entgegenkommenden Schiff, der «Prediger in Accra sei gestorben». Sie müssen also wieder ganz von vorne anfangen. Allerdings: ohne Glück! Zwei von ihnen werden, kaum im Land, vom Tod dahingerafft. Zurück bleibt Andreas Riis. Auch er wird krank, kommt aber, dank einheimischer Medizin, durch und lässt sich in Akropong nieder. Wie er 1839, gesundheitlich angeschlagen, nach Basel zurückkehrt, kann er keinerlei Erfolg melden. Auch im zweiten Anlauf scheint dieses Projekt zu scheitern, diesmal als Folge der Tropenkrankheiten; aber auch, weil sich die Missionsbrüder voller Ungeduld als Missionare bewähren wollen und so Opfer des Klimas werden. Die Zuversicht von Riis jedoch, dass dieses Arbeitsgebiet nicht aufgegeben werden dürfe, überzeugt die Missionsleitung. Und so wird die Goldküste, das spätere Ghana, das erste dauerhafte Missionsland der Basler Mission. Fazit des Autors Die Basler Mission hatte jede Menge Rückschläge zu erdulden, bevor sie das erste erfolgreiche Missionsgebiet aufbauen konnte. Die Gründe für die Fehlschläge sind jedoch nicht nur in den äusseren widrigen Umständen zu suchen. Sie lagen auch im Inneren der Missionsgesellschaft: Mit genügend Glauben, so dachten die Herren des Komitees, werde sich alles Weitere fügen. Möglicherweise war auch die hierarchische Struktur der Gesellschaft ein Hindernis. Gegenüber Konflikten waren sie oftmals hilflos und taten sich schwer, abweichende Haltungen zu akzeptieren.

Hanns Walter Huppenbauer wurde in eine Missionsfamilie geboren, absolvierte eine landwirtschaftliche Lehre und ein Theologiestudium. Er arbeitete als Gemeindepfarrer sowie als Dozent am Trinity College Ghana. Seit seiner Pensionierung beschäftigt er sich wissenschaftlich mit der Geschichte der Basler Mission.

Die ersten Goldküstenmissionare und Inspektor Praetorius ABM QS-30.022.0143


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Als die Missionsstationen verwaisten Die Basler Mission und der Erste Weltkrieg Der Erste Weltkrieg ist der tiefste Einschnitt in der 200-jährigen Geschichte der Basler Mission. In vielerlei Hinsicht hatte diese vor Ausbruch des Krieges ihren Zenit erreicht. Der Erste Weltkrieg bedeutete beinahe ihr jähes Ende. Denn der Krieg wütete nicht nur in Europa, sondern auch auf den Missionsfeldern, beispielsweise in Kamerun. Von Guy Thomas

1914,

als der Erste Weltkrieg ausbrach, stand die Basler Mission im 99. Jahr ihres Bestehens. Seit ihrer Gründung hatte sie ihre Arbeit in den sechs Missionsgebieten Goldküste/Ghana (1828), Indien (1834), China (1847) Kamerun (1886), Nordborneo und Togo (1913) aufgenommen. Sie unterhielt auf diesen Missionsfeldern insgesamt 73 Haupt- und 816 Aussenstationen. 450 europäische Mitarbeitende wirkten als Missionare, Ärzte, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Handwerker oder Kaufleute für die Basler Mission oder die Basler Missionshandelsgesellschaft. Gut zwei Drittel der europäischen Mitarbeitenden kamen aus Deutschland. Hinzu kamen knapp 2100 einheimische Angestellte. Die Basler Mission führte in ihrer Statistik von 1914 insgesamt 72 101 getaufte Gemeindemitglieder auf. Sie unterhielt vor dem Krieg insgesamt 865 Schulen, an welchen knapp 57 000 Schüler unterrichtet wurden. Der Krieg erreicht Kamerun Im September 1914 erreichten englische Kriegsschiffe die kame-

runische Hafenstadt Douala. Am 25. September stellten sie ein Ultimatum für die Übergabe der Stadt. Darauf folgte eine zweitägige Bombardierung durch Schiffsartillerie. Kurz darauf landeten die alliierten Truppen. Laut Berichten mehrerer Missionare wurde Douala danach tagelang geplündert, auch die Missionsgebäude. Missionar Philipp Jakob Gottlob Hecklinger, 1870 in Reutlingen (Baden-Württemberg) geboren, arbeitete von 1895 bis 1914 als Missionar für die Basler Mission in Kamerun. In seinem Internierungsbericht hielt er fest: «Sonntag [27. September 1914] Präzis 6 Uhr beginnt die Kanonade wieder. Wir sind in Gefahr, von feindlichen schwarzen Truppen im Rücken angegriffen zu werden. – Der Kommandant von Douala, Oberleutnant R., gibt mir auf telephonischem Wege um 9¾ Uhr den Auftrag, die weisse Flagge auf dem Turm der Bonebela-Kirche innerhalb 5 Minuten zu hissen. Die schwarz-weiss-rote Flagge wird eingezogen. Unbeschreiblich wehmütiges Gefühl. Nun ist die weisse Flagge ausgehängt, die gleichzeitig auch auf den feindlichen Schiffen

zu sehen ist. Die Kanonade hat aufgehört. Was nun?» Alliierte Eroberung Die Eroberung Kameruns durch die Alliierten dauerte bis 1916. Auf den vom Krieg noch unberührten Stationen führten die Missionare ihre Arbeit zunächst fort. Sie waren anfänglich überzeugt, ihre Arbeit auch unter alliierter Kontrolle fortsetzen zu können. Nach Eintreffen der alliierten Truppen auf Missionsstationen der Basler Mission wurden in der Regel alle Angestellten nach Douala abgeführt. Deutsche Missionstätige gelangten nach England in Kriegsgefangenschaft. Schweizer Staatsangehörige wurden dagegen freigelassen, mussten aber das Land verlassen. Die Missionsstationen verwaisten. Als die Stadt Douala unter englischer und französischer Herrschaft stand, schrieb Hecklinger: «Am Tage nach der Übergabe von Douala, am 28. September 1914, nahmen die Engländer alle Deutschen gefangen, Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden der Deutschen auf eine raffinierte Weise habhaft, indem sie ihnen durch


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Regelmässig berichtete er in Briefen über die aktuelle Entwicklung in Kamerun. Neben Erfolgen, wie 693 Taufen im Jahr 1916, beschreibt er einen starken Zerfall des christlichen Lebens in den Gemeinden. Die Polygamie habe wieder zugenommen, und in einigen Gebieten, zum Beispiel Fumban, sei es gar zu Christenverfolgungen gekommen. Den Grund dafür sah Rohde vor allem in der Abwesenheit der Missionare, Lehrer und Priester. Ende Juli 1917 erhielt er unerwartet den Befehl, Kamerun zu verlassen. Damit verliess der letzte Basler Missionar Kamerun.

Eine «Deutsche Schutztruppe in Kamerun», wie militärische Einheiten in den deutschen Kolonien in Afrika bezeichnet wurden. ABM E-30.02.033

schwarzes Militär sagen liessen, sie brauchten nur ihren Namen im Regierungskrankenhaus anzugeben, dann dürften sie wieder nach Hause gehen. Im Regierungskrankenhaus war das englische Kriegsbüro eingerichtet.» Hecklinger gelang die Rückkehr; er wirkte in Baden-Württemberg als Pfarrer, bis er 1931 starb. Der letzte Missionar Mitte 1916 hatten alle europäischen Mitarbeiter der Basler Mission Kamerun verlassen. Einzig Missionar Reinhold Rohde durfte als australischer Bürger in Kamerun bleiben.

Missionar Philipp Jakob Gottlob Hecklinger mit seiner Frau Martha Hecklinger-Pfleiderer und ihrer Tochter Ruth Johanna, 1906/1907 ABM E-30.03.030

Kamerunische Kräfte übernehmen Schon vor dem Krieg hatten führende kamerunische Mitarbeiter eine wichtige Rolle in der Arbeit der Basler Mission gespielt. Wichtige Persönlichkeiten waren etwa die ordinierten Pfarrer Modi Din, Johannes Litumbe Ekese, Joseph Kuo und Joseph Ekolo sowie die Lehrer Andreas Etia und David Esombe. Unter ihrer Federführung wurde die Missionsarbeit fortgesetzt. So übernahmen kamerunische Führungspersonen – vorübergehend – die Verantwortung. Darüber hinaus funktionierte die Zusammenarbeit mit der Pariser Evangelischen Missionsgesellschaft vor Ort gut. Als 1919 im Vertrag von Versailles klar wurde, dass die Basler Mission in absehbarer Zeit nicht würde nach Kamerun zurückkehren können, übertrug sie dieser einen Teil ihres Missionsfeldes in Kamerun. Der Erste Weltkrieg und die Heimat Der Alltag der Missionsgemeinde in Basel wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges durch mehrere Faktoren beeinträchtigt: Neben den deutschen Seminaristen wurden auch die meisten Schweizer, welche die Missionsschule besuchten, in die Armee einberufen. Einige Missionare kehrten während der ersten Kriegshandlungen in ihre Heimat zurück. Somit konnten sie auch ihre Kinder wieder zu sich nehmen, die seit der Ausreise der Eltern im

Kinderhaus der Mission untergebracht waren. Rasch leerten sich das Missionsseminar sowie die Kinderhäuser in Basel und das Missionshaus wurde vorübergehend geschlossen. Von 120 in Basel in Ausbildung befindlichen Brüdern wurden bei Kriegsbeginn 96 zum Militärdienst eingezogen. Alle Missionare, Ärzte, Lehrer und Angestellte eingeschlossen, waren Ende 1914 175 Missionsangehörige im Militärdienst. 157 nahmen als Teil des deutschen Heers direkt am Krieg teil. Weitere Missionsangehörige wurden später nachrekrutiert. Einigen stand die Möglichkeit offen, stellvertretenden Kirchendienst zu leisten. Infolge des grossen Interesses beschloss das Komitee der Basler Mission im März 1915, die Zeitschrift «Der Evangelische Heidenbote» nun nicht mehr monatlich und 16 Seiten stark, sondern alle 14 Tage 8 Seiten stark herauszubringen. Eine rasche Berichterstattung sollte die grosse Nachfrage befriedigen. Diese Neuerung hatte für die Dauer des Krieges Bestand. Die breite Bevölkerung konnte nicht mehr die gewohnte Spendenbereitschaft zeigen. Da die Basler Mission jedoch auf regelmässige Spenden angewiesen war, richtete der Kanton Baselland einen Missionssonntag ein, an dem Geld speziell für die Mission gesammelt wurde. Erst gegen Mitte der 1920erJahre konnte die Basler Mission ihre Arbeit auch auf den Missionsfeldern wieder vollumfänglich aufnehmen. Einige Missionskirchen hatten sich zwischenzeitlich verselbstständigt, so in Ghana und Hongkong. Andere hatten während der Kriegserfahrung den Gang in Richtung Selbstständigkeit erprobt. Die Weichen waren gestellt für den Beginn einer neuen Zeit in der Geschichte der Basler Mission: einer Ära erhöhter Partizipation in den Partnerländern und selbstkritischer Reflexion in Missionskreisen. Dr. Guy Thomas ist promovierter Historiker und leitet das Archiv der Basler Mission / Mission 21.


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Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2015 Musical

«Das Grab des weissen Mannes» 29. März bis 12. April 2015* im Oekolampad am Allschwilerplatz in Basel Liesel aus Gelterkinden, Baselland, sitzt fassungslos im ersten Licht auf der Lichtung der Mission in Akropong, während um sie herum der Urwald erwacht. Lydia, das Dienstmädchen, beruhigt sie und eine Freundschaft nimmt ihren Lauf, die beider Leben verändern wird. Maddie kommt aus Jamaika in das Land ihrer Grosseltern zurück und muss sich der Vergangenheit ihrer Familie stellen. Andreas und Ruth, das Missionarsehepaar, finden im fremden Land nur bedingt zueinander, und der Missionar Jacobus und seine Schwester Agathe meinen, im rechten Glauben Afrika erlösen zu müssen. Erwartungen, religiöse Grundsätze, Bedürfnisse und Verdrängtes kommen in Konflikt mit dem Alltag einer Missionsstation und Plantage, verloren im Dschungel, hoch in

den Bergen, welche in allen das Beste und das Dunkelste zutage fördert. Nur durch echte Menschlichkeit kann das alles doch noch ins rechte Lot kommen, möchte man meinen. Dazu braucht es allerdings unverschämt viel Hoffnung. Wir werden sehen, ob das reichen wird … Das Musical «Das Grab des weissen Mannes» beschreibt die Gefühls- und Erlebniswelten von Menschen zweier Kontinente. Die Auseinandersetzung mit der fremdländischen Kultur und der eigenen kulturellen Herkunft bewegt das Kabinett der Figuren. Die grossartige Arbeit der Missionare, ihrer Frauen sowie der einheimischen Assistenten und Mitarbeiterinnen begleitet das Publikum durch die Handlung.

Eintritt: CHF 49.– mit Vergünstigungen für Studierende und Schüler sowie Gruppenrabatten. Kontakt und Informationen Basler Mission Pia Müller Tel. +41 61 260 22 53 pia.mueller@baselmission.org *Bei grossem Erfolg Wiederaufnahme im November 2015. www.baselmission.org/musical

Ausstellung

«Mission possible? Die Sammlung der Basler Mission – Spiegel kultureller Begegnungen» 22. Mai 2015 bis 4. Oktober 2015 im Museum der Kulturen Basel

Anlässlich des 200-Jahre-Jubiläums der Basler Mission zeigt das Museum der Kulturen Basel (MKB) die Ausstellung «Mission possible? Die Sammlung der Basler Mission – Spiegel kultureller Begegnungen». Missionare, Missionsärzte, -lehrer und -kaufleute haben aus allen Erdteilen, in denen sie tätig waren, ethnografische Objekte zusammengetragen, um «ein möglichst getreues Bild des Zustandes, vor allem des religiösen Zustandes der Völker» zu zeigen. Die Gegenstände sollten den Seminaristen der Basler Mission als Anschauungsmaterial dienen und ihnen die kulturellen und religiösen Welten näherbringen, in die sie bald aufbrechen würden. Die ethnografische Sammeltätigkeit der Missionare glich einer religiösen Vermessung der Welt. Dieser Fundus mit über 12 000 Objekten wurde 1981 als Dauerleihgabe dem Museum der Kulturen Basel übergeben. Die Ausstellung «Mission possible?» thematisiert den Auftrag, den die Missionare umzusetzen hatten: Wie wurden die Seminaristen auf ihre Missionstätigkeit vorbereitet? Was er-

wartete sie vor Ort, wie stellte sich der kulturelle Kontakt und Austausch dar? Wie gestaltete sich die Missionsarbeit, welche Probleme waren zu bewältigen? Was für Wechselbeziehungen entstanden? Wie wirkten diese sich auf die Organisation der Basler Mission und auf Basel aus? In der Ausstellung werden die Missionsgebiete Ghana, Indien, China, Kamerun und Indonesien exemplarisch herausgegriffen, um die unterschiedlichen Herausforderungen, Herangehensweisen, Erfolge und Misserfolge der Missionstätigkeit zu zeigen. In einem Ausblick wird die Frage nach heutiger Mission und Missionierung gestellt. Kontakt und Informationen Museum der Kulturen Münsterplatz 20, 4001 Basel Di–So: 10–17 Uhr, Mo: geschlossen Jeden ersten Mittwoch im Monat: 10–20 Uhr

www.mkb.ch


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Wir möchten Sie ganz herzlich einladen, mit uns zu feiern. Bitte merken sie sich folgende Veranstaltungstermine vor:

Festwoche 8. bis 12. Juni 2015, Missionshaus Basel Zwischen dem 8. und 12. Juni lädt Mission 21 gemeinsam mit ihren Partnern aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu thematischen Abendveranstaltungen ins Missionshaus in Basel ein.

Jubiläumsfest 14. Juni 2015, ab 10 Uhr, Münster und Münsterplatz, Basel 10 Uhr: Festgottesdienst im Münster Basel. Anschliessend feiern wir auf dem Münsterplatz ein internationales Fest mit dem Thema «Gemeinsam mit der Welt» mit Live-Musik, Kulinarischem aus aller Welt und einem familienfreundlichen Programm. Detaillierte Informationen zur Festwoche und zum Jubiläumsfest finden Sie unter www.mission-21.org/jubilaeum.

Symposium

«Basler Mission 1815–2015: Zwischen­bilanz ihrer Geschichte – Schritte in die Zukunft» 24. bis 26. September 2015 im Hotel Bildungszentrum 21, Missionsstrasse 21 in Basel Internationale Fachleute interpretieren die reiche Geschichte der Mission. Zugleich geht es um aktuelle Fragen weltweiter Kirche, um Interkulturalität und Fremdbegegnung, Pfingstbewegung und Migrationskirchen. Das Symposium setzt drei Schwerpunkte:

Buchpublikation

«Basler Mission. Menschen, Geschichte, Perspektiven 1815–2015» Ab Sommer 2015 erhältlich 20 Autoren aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa beschreiben die fesselnde und wechselvolle Geschichte der Basler Mission. Diese Geschichte ist geprägt durch hoch engagierte Menschen und ihre teilweise erstaunlichen Biografien. Da werden beispielsweise einfache Bauern und Handwerkersöhne zu unerschrockenen Verkündern Jesu Christi oder auch zu bedeutenden Sprachforschern und Geografen. Zunächst überzeugt von der Überlegenheit europäisch christlicher Zivilisation setzten sie nach einigen Jahren auf dem Missionsfeld alles daran, die Basler Leitung vom Eigenwert der Gesellschaftsformen in Übersee zu überzeugen. Doch die Leitung in Basel setzte oft ganz andere Prioritäten. Sie bestand noch lange aus einem kleinen Kreis von Basler Pietisten, die mit frommer Energie und Strenge das Werk durch Höhen und Tiefen führten. Nur langsam setzten sich internationale Perspektiven durch, bis endlich Mission 21 die Leitung in die Hand von gleichberechtigten Kontinentalversammlungen und Trägervereinen legte. In den ehemaligen Missionsgebieten etablierten sich zusehends junge, selbstständig gewordene Missionskirchen mit mitreissenden neuen Gottesdienst- und Frömmigkeitsformen, die Christentum und traditionelle Spiritualität überzeugend verbinden und deren neue Lieder heute auch in Europa angestimmt werden. Durch diese

Polyzentrische Zugänge zur Missions­ geschichte Mission hat sich in grosser regionaler und kultureller Vielfalt entwickelt. Wie stellt sich ihre Geschichte aus asiatischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Perspektive dar? Inwiefern wurde Mission als Verdrängung der eigenen Kultur erfahren, inwiefern hat sie die Ausprägung einer eigenen Identität unterstützt? Transformation der Mission Die Missionsbewegung wird analysiert als früher Global Player, der gesellschaftliche Reflexion anregte und ein internationales Netzwerk aufbaute, das bis heute besteht. Welche Motive waren bei den unterschiedlichen Akteuren leitend und welche Wirkungen lassen sich nachweisen? Wie wurde Mission in den jeweiligen Kontaktzonen wahrgenommen und welche transkulturelle Dynamik setzte sie frei?

Emanzipationsprozesse änderte sich auch die Arbeit der Mission entscheidend. Heute steht die kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte sowie der Austausch unterschiedlicher Kulturen im Vordergrund: Da bringen Christen aus Asien, Afrika und Lateinamerika ihre Erfahrungen in Europa ein und prägen die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, dem wachsenden weltweiten Handel und den fremden Kulturen. Informationen Herausgebende: Christine Christvon Wedel/Thomas K. Kuhn 2015, ca. 216 Seiten, 130 Abbildungen, gebunden. CHF 28.– / € (D) 23,50 / € (A) 24,50

Missionsgeschichte als Potenzial für die Zukunft der Kirche Aus den einst Missionierten haben sich selbstständige und vitale Kirchen entwickelt, die selbst missionarisch aktiv sind. Der globale religiös-kulturelle Wandel verändert die Rahmenbedingungen von Mission. Wird Mission als Wesensmerkmal der Kirche neu entdeckt und was bedeutet die Umkehrung der Missionsbewegung in Richtung Westen? Wie können die Erkenntnisse der Missionsgeschichte gebraucht werden? Teilnahme: CHF 140.– zzgl. Mahlzeiten Anmeldung erforderlich. Kontakt und Informationen Mission 21 Magdalena Zimmermann Tel. +41 61 260 22 59 magdalena.zimmermann@mission-21.org www.mission-21.org/symposium


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Pioniere

Florence Ngwa schneidet die jungen Seitenblätter eines Fiederblattes der Raphiapalme, um Tischmatten zu weben. Foto: Mission 21

Aus dem Glauben Gutes bewirken Missionsgeschichten sind oft auch «Pioniergeschichten»: Sie erzählen von Menschen, die neue Wege gehen, um anderen Gutes zu tun. Wie der Arzt, der auf Borneo ein Spital und eine Siedlung für Leprakranke gründete. Die Missionarin, die ein feines Currygewürz komponierte und Frauen mit der Herstellung einen Verdienst ermöglichte. Oder auch ein Pfarrer und Handwerker, der ein grosses und bis heute erfolgreiches Unternehmen für traditionelle Handwerkskunst in Kamerun gründete.


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Prescraft: Eine kamerunische Erfolgsgeschichte Ein Projekt zur Förderung des traditionellen Kunsthandwerks Prescraft ist heute ein erfolgreiches Fair-TradeUnternehmen und weit über die kamerunischen Grenzen hinaus bekannt. Begründet hat es der Schweizer Handwerker und Pfarrer Hans Knöpfli Von Michael Schlickenrieder

In

den 1950er- und 1960er-Jahren waren die Missionare in Kamerun mit der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit konfrontiert, besonders die Schulvorsteher bemerkten den Trend. Zu ihnen gehörte auch der Pfarrer Hans Knöpfli, der 1956 für die Basler Mission nach Kamerun ausreiste. Als Knöpfli in Bafut im Kameruner Grasland arbeitete, belagerten am Ende jedes Schuljahres zahlreiche Schulentlassene die Missionsstation. «Da konnte ich nicht einfach mit diesen Jungen beten: ‹Gib uns heute unser tägliches Brot›, ohne mich gleichzeitig für Verdienstmöglichkeiten einzusetzen», meint er. Für Knöpfli gehören Mission und Entwicklungsarbeit zusammen. Die Tat bekräftige das Wort und das Wort erkläre die Tat. So kam er auf die Idee, im Kameruner Grasland Werkstätten für traditionelles Kunsthandwerk aufzubauen. Hilfe zur Selbsthilfe Doch bei der Basler Mission stiess er vorerst auf Skepsis. Selbst die Presbyterianische Kirche in Kamerun (PCC) wollte zunächst nichts davon wissen: «Wir wollen technische Hilfe und nicht zurück in die Zeit unserer Väter!» Knöpfli

hielt jedoch an seiner Vision fest. «Ich wollte mich für ein selbstständiges Leben der Kamerunerinnen und Kameruner engagieren. Sie sollten aufhören, bloss der westlichen Plastikkultur zu huldigen, und wieder ihre eigene Kultur wertschätzen», so Knöpfli. Entwicklung könne nur von innen geschehen. 1961 begann er deswegen, in Bafut seine Idee im Kleinen zu verwirklichen. In seiner Freizeit brachte der Schreiner Knöpfli – zusammen mit dem handwerklich vielseitig begabten Godlove Neba – Jugendlichen im Schatten der Bäume bei, Raphiabast zu Tischmatten und Taschen zu verweben. Zehn Jahre kämpfte er für die Institutionalisierung seines

Hans Knöpfli vor dem Eingang des von ihm gegründeten Handwerkszentrums in Bali-Nyonga. Foto: zVg/Hans Knöpfli


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Hans Knöpfli Grasland – eine afrikanische Kultur (2008) Dieser grossformatige Bildband mit rund 700 Fotos ist eine Würdigung der Menschen im Grasland Kameruns und ihrer Kultur. Weitere Informationen: www.kamerun.ch Eric Kimeb arbeitet bei Prespot in Bamessing. Foto: Mission 21

Projekts weiter, bis 1970 die Kirchenleitung der PCC einlenkte: Das Presbyterian Handicraft Center, heute Prescraft, wurde mit Ausbildungs- und Produktionszentren in Bali-Nyonga und Bafut gegründet. 1983 eröffnete Knöpfli in Bamessing eine Töpferei, die Prespot heisst und zum Unternehmen gehört. Kunsthandwerk und Landwirtschaft Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter machen bei Prescraft den grössten Teil der Mitarbeitenden aus. Indem sie ihrer handwerklichen Tätigkeit zuhause nachgehen, können sie weiterhin ihre Äcker bewirtschaften. Das traditionelle Handwerk beschert ihnen ein zusätzliches Einkommen. Prescraft bezahlt sie pro hergestellten Gegenstand. 40 Prozent des Umsatzes erzielt das Unternehmen durch den Export der Produkte nach Europa und Nordamerika. Diese Handelsbeziehungen erfüllen Fair-Trade-Kriterien und garantieren den Handwerkenden einen gerechten Lohn sowie gute Arbeitsbedingungen. Jenet Njah, die erste bei Prespot ausgebildete Töpferin, blickt zufrieden zurück: «Es geht mir und

meinen Kindern gut. Das alles habe ich der Arbeit in der Töpferei zu verdanken», sagt sie. Das war nicht immer so. Früher gelang es ihr mehr schlecht als recht, für sich und ihre Kinder zu sorgen. Tradition trifft Moderne Um lokalen Kunden und Touristen die kunsthandwerklichen Gegenstände zu präsentieren, richtete Bruno Vetterli einst einen Prescraft-Shop in Bamenda ein. Der gelernte Landwirt und Sozialarbeiter leitete von 1973 bis 1976 im Auftrag der Basler Mission das Handwerksprojekt. Dieser Shop besteht heute noch und wurde inzwischen durch ein Café erweitert, was den Verkauf der Produkte stark angekurbelt hat.

Die Produzentinnen und Produzenten von Prescraft betreiben zwar traditionelles Kunsthandwerk. «Für den Zugang zum westlichen Markt müssen sich die Mitarbeitenden aber laufend mit neuen Techniken und Designs vertraut machen. Und genau deshalb hat Prescraft die ökumenische Mitarbeiterin von Mission 21, Rita Käslin, angestellt. Ihre Arbeit ist wichtig», ist Knöpfli überzeugt.

Michael Schlickenrieder hat einen Master in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften und arbeitet im Team Öffentlichkeitsarbeit von Mission 21.

Wie alles begann: die Basler Mission in Kamerun Basler Missionare nahmen 1886 ihre Arbeit in der Presbyterianischen Kirche in Kamerun (PCC) auf. Zwei Jahre zuvor war Kamerun zur deutschen Kolonie geworden. Der deutsche Staat erteilte der Basler Mission den Missionsauftrag, weil sie langjährige Erfahrungen in der Missionsarbeit in Ghana vorweisen konnte und viele süddeutsche Missionare für sie arbeiteten. Die PCC erlangte 1957, noch vor der Unabhängigkeitserklärung Kameruns, ihre Selbstständigkeit. Seither sind die meisten ihrer Arbeitsbereiche selbsttragend geworden. Heute ist die PCC die grösste protestantische Denomination im englischsprachigen Westafrika. Sie zählt zurzeit rund eine Million Mitglieder. Die Partnerkirche von Mission 21 treibt den Fortschritt der kamerunischen Gesellschaft entscheidend voran, besonders im Bildungs- und Gesundheitswesen.


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« Prescraft ist eine Chance für viele!» Interview mit Rita Käslin Von Martina Seger-Bertschi

Rita Käslin im Gespräch mit einem Kunsthandwerker von Prescraft

2010 reiste die Modedesignerin Rita Käslin im Auftrag von Mission 21 nach Kamerun aus, um Prescraft zu unterstützen. Sie berichtet, was sie zu dem Einsatz motivierte und was es heute bedeutet, als ökumenische Mitarbeiterin tätig zu sein. Rita Käslin, seit 2010 arbeiten und leben Sie in Afrika. Warum eigentlich? Ich liebe diesen Kontinent, seine Menschen und seine Kulturen. Seit meiner Zeit als Botschaftssekretärin von 1990 bis 1992 hatte ich den Wunsch, wieder nach Afrika zurückzukehren. Allerdings in einem anderen Kontext, denn in Simbabwe lebte ich in der ziemlich abgeschotteten und künstlichen Welt der Botschaftsangestellten. Wie sieht Ihre Welt heute aus? Bei meiner Stelle bei Prescraft arbeite ich eng mit Kamerunerinnen und Kamerunern zusammen, das entspricht mir sehr. So bekomme ich vieles vom normalen Alltag der einheimischen Bevölkerung mit. Ihr Leben ist hart, von heute auf morgen kann sich alles ändern. Sie haben fast keine Möglichkeiten, finanzielle Reserven aufzubauen, weil es so viel Unplanbares gibt: Trifft die Familie zum Beispiel ein gesundheitlicher Schlag, wird das wenige Zusammengesparte gerade wieder aufgebraucht. In dieser Hinsicht bin ich privilegiert, weil ich meinen Lohn aus der Schweiz erhalte, versichert bin und ich mir bei gesundheitlichen Problemen auch ein etwas besseres Spital leisten könnte oder sogar eine Behandlung in der Schweiz.

Kannten Sie Prescraft bereits vor Ihrer Anstellung? Nein, gar nicht. Auch Kamerun nicht, nur einmal war ich kurz in einem anderen Land Westafrikas. Nachdem ich meine Stelle als Botschaftssekretärin aufgegeben hatte, absolvierte ich verschiedene Ausbildungen: Den Vorkurs an der Schule für Gestaltung, Textilkauffrau und Modedesignerin. Auf meine jetzige Stelle bin ich im Internet gestossen – per Zufall. Ich kann nicht einmal mehr sagen, auf welchem Portal ich sie gesehen hatte, aber als ich das Inserat las, wusste ich, dass ich genau auf diese Stelle gewartet hatte. Und ist es Ihre Traumstelle geblieben? Auf jeden Fall. Mir gefallen die Herausforderungen, auch die kulturellen. So musste ich zum Beispiel lernen, dass es in Kamerun eine andere Gestik gibt als diejenige, die ich gewohnt bin. Oder manchmal ist es schwierig, weil ich die verschiedenen Sprachen – in Kamerun existieren circa 230 – meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verstehe. Aber ich sage immer, wenn Menschen aus zwei verschiedenen Kulturen zusammenarbeiten und beide Seiten offen sind, ist es ein wunderbares Miteinander und zusätzlich können beide voneinander profitieren. Das heisst? Ich bin ein kritischer Mensch und ich glaube, dass ich es vor meiner Zeit in Kamerun noch viel mehr war. Die Kameruner aber sind das viel weniger und so habe ich inzwischen gelernt, sparsamer mit Kritik an den Menschen umzugehen. Auch wage ich zu behaupten, dass die kamerunische Gelassenheit ein wenig auf mich abgefärbt hat, und das tut mir gut. Andererseits versuche ich, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erklären, wieso es wichtig ist, dass Tischsets, die wir nach Europa oder in die USA exportieren wollen, alle dieselben Masse haben. Prescraft hat Kunden in Übersee? Ja, wir exportieren einen Teil unserer Produkte nach Europa und in die USA. Ich bin vor allem eingestellt worden, um die internationalen Kunden zu betreuen oder zurückzugewinnen. Drei Monate vor meinem Abflug nach Kamerun im Jahr 2010

bin ich mit diesem Auftrag in die USA gereist – mit Erfolg: Der Umsatz ist gestiegen und zwei unserer amerikanischen Kunden bestellen seit ihrem Besuch bei uns noch mehr. Sie waren begeistert von Prescraft, wie ich es natürlich auch bin. Was begeistert Sie an Prescraft? Dass es eine Riesenchance ist für ganz viele Leute: Wir haben etwa 40 Festangestellte, über 110 Produzentinnen und Produzenten in den verschiedenen Zentren und etwa 250 Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter. Zudem gibt es bei uns Ausbildungsplätze. Prescraft bietet sehr vielen Menschen die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und gleichzeitig fördert es die traditionelle Handwerkskunst. Dadurch erhält diese einen höheren Status. Auch die Einheimischen schätzen diese schöne Alternative zur billigen, importierten Plastikware oder auch zu maschinell hergestellten Holzprodukten. Den Unterschied zu handgeschnitzten Produkten sieht man einfach. Bei diesen ist nämlich eine Seele dahinter, ganz eindeutig. Martina Seger-Bertschi studiert Journalismus und Organisationskommunikation. Menschen und andere Kulturen haben sie schon immer interessiert. Rita Käslin lernte sie 2013 im Rahmen eines Praktikums bei Mission 21 kennen.

Kalebasse: Kunsthandwerk und Sensibilisierung Als Hans Knöpfli 1973 vorübergehend in der Schweiz weilte, schlug er dem Missionskomitee vor: «In Kamerun läuft das Geschäft. Nun brauchen wir in der Schweiz einen Absatzmarkt für die Handwerksgegenstände.» Sein Antrag wurde bewilligt. Am 8. August 1974 eröffnete er das Zentrallager für kunsthandwerkliche Gegenstände aus Übersee, das mittlerweile Kalebasse heisst. Heute ist die Kalebasse ein Arbeitsbereich von Mission 21 und sensibilisiert für Projekte zur Einkommensförderung in Afrika und Asien. Aus Kamerun und Indonesien wird traditionelles Kunsthandwerk verkauft, aus Indien der legendäre Missionscurry, den benachteiligte Frauen zubereiten. «Unsere kunsthandwerklichen Artikel veranschaulichen, was Mission konkret bedeutet und wie wichtig fairer Handel ist», so Heidi Zingg Knöpfli, Verantwortliche der Kalebasse.


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«Nirgendwo leuchten die Sterne so schön» Die Geschichte des ersten Basler Missionsarztes auf Borneo, Mattheus Vischer (1896-1943), und seiner Familie Mattheus Vischer war der erste Arzt, der im Auftrag der Basler Mission nach Indonesien ausreiste. Gemeinsam mit seiner Frau, der Krankenschwester Betsy, baute er ein Spital auf. 1943 fand ihr Einsatz ein jähes Ende: Die japanischen Besatzer töteten das Missionsehepaar. Ihre Tochter Marianne Dubach-Vischer erinnert sich noch heute gut an ihre Kindheit zwischen Basel und Borneo. Und daran, wie sie ihre Eltern verlor. Von Dorina Waldmeyer

Marianne

Marianne Dubach-Vischer im Missionsgarten in Basel. Foto: Mission 21/ Michael Schlickenrieder

Dubach ist eine warmherzige, 88jährige Dame, die mit leuchtenden Augen von ihrer Kindheit erzählt. 1927 sandte die Basler Mission erstmals einen Missionsarzt mit seiner Familie aus. Für vorerst sechs Jahre verpflichtete sich die Familie Dr. Mattheus Vischer für die Mission, ihre Tochter Marianne war kaum ein Jahr alt. Für ihre Eltern war die Mission eine Berufung, der sie aus tiefster Überzeugung folgten. Mattheus Vischer hatte sich schon lange gewünscht, Missionsarzt zu werden, berichtet Marianne Dubach. Schon von klein auf hatte er in seiner Familie vieles aus entlegenen Teilen der Welt gehört. Sowohl sein Onkel, der Missionsarzt in Armenien war, als auch sein Grossonkel und sein Vetter, die als Ethnologen die Südseeinseln bereisten, brachten spannende Geschichten mit nach Hause. Anders als viele andere Missionare, erzählt Marianne Dubach, habe ihr Vater sich nicht auf Lebenszeit der Mission verpflichten wollen. Er beabsichtigte, später nach Basel zurückzukehren, um eine Arztpraxis zu eröffnen. Für seine Frau Betsy war es selbstverständlich, ihren Mann in die Ferne zu begleiten. Zudem konnte sie als gelernte Kranken- und Operationsschwester im geplanten Spital ihre Kenntnisse einbringen. Aufbau des Spitals in Kuala Kapuas Bevor Mattheus Vischer seine Arbeit aufnehmen konnte, musste er ein niederländisches Ärzteexamen ablegen und den Bau des Spitals sowie des Missionshauses für die Familie organisieren. Bis dahin hatte es noch keine medizinische Grundversorgung im Dayak-Gebiet gegeben. Mattheus Vischer begann deshalb alsbald möglich, Hebam-

men und Krankenpfleger vor Ort auszubilden, die in ihren Gemeinden den Pflegedienst übernehmen sollten. Insbesondere in der Anfangszeit mussten Vischers zahlreiche Hürden überwinden: Zwar hatten sie zuvor Malaiisch und Niederländisch gelernt, doch die indigene Bevölkerung selbst sprach in erster Linie «Dayakisch». Dazu gehören verschiedene Sprachen der indigenen DayakStämme. Die Dayak waren Anhänger des Animismus. Sie glaubten an die Beseeltheit und Kraft der Natur und vertrauten auf die Zauberkünste von Schamanen. Da es bis zur Ankunft Mattheus Vischers keine wissenschaftlich ausgebildeten Ärzte in dem Gebiet gab, musste der Schulmediziner zunächst das Vertrauen der Menschen gewinnen. Es gab viele Patienten mit Lepra, Malaria oder Tuberkulose. Die Dayak betrachteten diese Krankheiten als Fluch, weshalb sie die Kranken aus der Dorfgemeinschaft verstiessen. Solche Patienten nahmen Mattheus und Betsy Vischer nun im Spital auf. Sie richteten zudem eine Leprastation ein, in der die Kranken in kleinen Häuschen lebten. So entstand ein kleines Dorf am Ufer des Kapuas. Eine Gemeinschaft, in der die Aussätzigen sich selbst versorgen, sich gegenseitig unterstützen und mit einem Boot zum Spital kommen konnten. Neben medizinischer Betreuung erhielten sie dort auch Medikamente und Lebensmittel für die Gemeinschaft. Einschränkungen und Herausforderungen Marianne Dubach erinnert sich noch an einige skurrile Erlebnisse im Spital. So wurde einmal


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Herr und Frau Dr. Vischer mit Schwester M. Hoersch, 1931 ABM B-30.65.122

Spital in Kuala Kapuas, 1943 ABM B-30.68.084

Dr. Vischer in der Poliklinik in Kwala [sic!] Kapuas, 1929 ABM B-30.65.119

Marianne Dubach-Vischer als junges M채dchen mit ihrem Bruder Alfred, 1932 ABM QS-30.023.0148


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Vor dem Spital in Kuala Kapuas ABM QS-30.023.0145

ein verwundeter Mann auf einer Bahre ins Haus getragen, der von einem Orang Utan angefallen worden war. Ihm folgte, auf einer zweiten Bahre liegend, der Kopf des riesigen Tieres, den sie schaudernd betrachtete. In der Rückschau sei das Leben in Kuala Kapuas für die junge Marianne aber eher eintönig gewesen, denn ausser dem Regenwald und dem grossen gelblichen Fluss, an dessen Ufern das Spital und das Haus der Familie standen, habe es dort nicht viel gegeben. Auch den Eltern Vischer bereitete die Abgeschiedenheit des Ortes so manche Schwierigkeit. Vor allem die Kommunikation mit Basel war mühsam. Die Post brauchte im Schnitt drei bis vier Wochen, weshalb die Antwort, auf die sie acht Wochen lang gewartet hatten, dann oftmals hinfällig war. Nur sehr dringliche Anliegen wurden per teures Telegramm geschickt. So brauchte es fast ein Jahr, bis Mattheus Vischer ein Motorboot genehmigt wurde, das er brauchte, um in die sechs Stunden entfernte Stadt Banjarmasin oder in abgelegene Dörfer zu fahren. Durch das Salzwasser, das in den Kapuas geschwemmt wurde, war das Wasser zum Trinken ungeeignet. Da es nicht möglich war, in dem sumpfigen Gebiet Brunnen zu bauen, mussten für Spital und Wohnhaus Zisternen gebaut werden. Während der Regenzeit wurde darin Wasser gesammelt, das auch für die Trockenzeit genügen musste. Als sie und ihre Geschwister später nach Basel kamen, so beschreibt Marianne Dubach, konnten sie es kaum glauben, als sie sahen, dass unaufhörlich Wasser aus der Leitung kam. Sehnsucht nach den Eltern 1934 reiste die inzwischen sechsköpfige Familie von Borneo nach Basel. Anders als bei ihrer Ausreise beschlossen, wurde es aber nur ein Heimaturlaub. Die Eltern Vischer wollten mit ihrer jüngsten Tochter erneut in das Land der Dayak reisen. Die drei älteren Kinder blieben bei ihrer

Tante und Grossmutter in der Schweiz, um dort die Schule zu besuchen. Für sie als Kinder war es hart, ohne ihre Eltern aufzuwachsen. Dennoch konnten sie verstehen, dass diese ihre Mission in Kuala Kapuas fortsetzen mussten, erzählt Marianne Dubach heute. Zu schade wäre es gewesen, das neu aufgebaute Spital sich selbst zu überlassen. Geplant war die endgültige Rückkehr nach Basel für das Jahr 1939. Als ihre Eltern im Spätsommer 1935 wieder nach Südborneo in Niederländisch-Indien, wie der Teil der Insel damals hiess, zurückkehrten, hatte die damals neunjährige Marianne das Gefühl, dass es ein Abschied für immer sei. Mit ihrem Gefühl sollte sie Recht behalten. Das Schwierigste für sie und ihre Geschwister sei das Tuscheln der anderen gewesen. «Alle sprachen über die ‹armen Kinder›, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen. Aber keiner sprach mit uns», sagt Dubach. Doch die Eltern seien immer für sie da gewesen, auch wenn Rückantworten mindestens zwei Monate dauerten. Beschwert hat sie sich bei den Eltern aber nie. Ihr einziger Wunsch war, ihre Eltern wieder bei sich zu haben. Die Mutter Betsy schrieb voller Sehnsucht nach ihren Kindern: «Wenn auch die Arbeit noch so befriedigend ist und wenn man wirklich auch noch so vielen Leuten helfen kann, so bleibt eben doch eine gewisse Leere, wenn man an seine Kinder denkt, die man nicht selbst erziehen darf.» Der Zweite Weltkrieg Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden alle deutschen Missionare, die im niederländischen Teil Borneos tätig waren, in ein Internierungslager gebracht. Ihre Frauen und Kinder sollten über Japan nach Europa gebracht werden. Die Kriegsereignisse wurden auch auf Borneo aufmerksam durch Zeitung, Radio und die Post aus Basel verfolgt, auch wenn der Inhalt der Briefe immer strenger zensiert wurde. Damals ging die Basler

Marianne Dubach-Vischer Mit Boot und Stethoskop. Das Ehepaar Dr. med. M. und B. Vischer-Mylius in Borneo von 1928 bis 1943 (1998) und Zwischen Basel und Borneo. Als Kind eines Missionsarztes (2011)


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Missionsleitung von der Annahme aus, in Borneo sei es sicherer als in der umzingelten Schweiz. Das Datum für die Rückkehr der Eltern Vischer wurde mit verschiedenen Begründungen immer weiter nach hinten verschoben. Alles Drängen ihrerseits war nutzlos. Derweil wurden die Kinder Vischer und ihre Verwandten in Basel immer ungeduldiger. So sehr wünschten sich Marianne und ihre Geschwister nun, dass die Eltern endlich wieder bei ihnen wären. Dem Schweizer Ehepaar Vischer blieb vorläufig nichts anderes übrig, als ihre Arbeit fortzusetzen. Neben seinem grossen Einsatz im Spital und in den umliegenden Dörfern musste Mattheus Vischer auf Wunsch der Leitung in Basel ab 1940 auch die Stelle des Präses der Basler Mission in Banjarmasin übernehmen. Zwei Jahre später wurde die Leitung der Kirche den Dayak übergegeben. Todesnachricht aus Borneo Im Frühjahr 1942 fielen die Japaner in Borneo ein und der Briefkontakt riss gänzlich ab. Die japanischen Besatzer waren erbarmungslos. Das Ehepaar Vischer und weitere Missionare wurden im Mai 1943 verhaftet, da man sie der Spionage und Zusammenarbeit mit dem Feind beschuldigte. Nach ihrer Verurteilung zum Tod wurden sie am 20.12.1943 mit knapp 300 Personen in Banjarmasin hingerichtet. Unter den Ermordeten waren auch der Kassier der Mission und der Schulverwalter, also weitere Führungspersonen der Basler Mission in Banjarmasin. Erst im Jahr 1945 erreichte der Brief mit der Todesnachricht die Familie in Basel. Während die Verwandten und Bekannten tief bestürzt waren, erinnert sich Marianne Dubach, dass weder sie noch ihre Geschwister damals weinten. «Wir fühlten schon länger, dass die Eltern tot sind.» Sie war sehr traurig darüber, dass sie ihre Eltern nicht mehr richtig kennenlernen konnte. Und doch habe das «Wissen, dass sie ihrer Aufgabe treu geblieben waren», auch eine Art Dankbarkeit ausgelöst. Über 70 Jahre ist all das nun her. Doch viele Erinnerungen sind bei der alten Dame noch wach. Dazu gehört jene an den wunderschönen Sternenhimmel in Borneo. «Die Sterne leuchten nirgendwo anders so schön», sagt die 88-jährige Marianne Dubach mit einem Lächeln auf den Lippen. Für sie war der Sternenhimmel später in der Schweiz immer ein kleiner Trost. «Du hast nichts mit den Eltern gemeinsam, das dich Tag für Tag mit ihnen verbindet», dachte sie als Mädchen, «ausser den Sternen.»

Dorina Waldmeyer studierte an der Universität Bonn Regionalwissenschaften Südostasien und lebte mehrere Monate in Borneo. 2013 erschien ihr Buch zur Menschenrechtslage in West-Papua.

Die Basler Mission auf Borneo Erst Jahre nach der Unabhängigkeit der Republik Indonesien bekam die Basler Mission das Spital wieder zurück. Unter der späteren Leitung der Evangelischen Kalimantan Kirche (Gereja Kalimantan Evangelis/GKE) entsandte die Basler Mission weiterhin Schwestern an das Spital. Die frühe Arbeit der Basler Mission ist dort noch präsent. Zu Ehren der ersten Ärzte und speziell Dr. Mattheus Vischers ist die Geschichte des Missionsspitals auf der Website des heutigen Krankenhauses nachzulesen. Mission 21 und Borneo heute: Förderung des traditionellen Kunsthandwerks Noch heute ist Mission 21 in Borneo tätig, allerdings mit anderen Schwerpunkten. Durch den Landraub im Zuge der massiven Expansion der Plantagenwirtschaft benötigen die indigenen Dorfgemeinschaften neue Möglichkeiten, um ihre Lebengrundlagen sichern zu können. Ein Projekt von Mission 21 hat die Stärkung der wirtschaftlichen Position von Frauen zum Ziel, indem diese traditionelle Kunsthandwerksarbeiten produzieren und vermarkten. Das Programm umfasst etwa 300 Frauen in 30 Dörfern. Neben der Vermittlung von neuen Techniken, Mustern und Produkten werden die Frauen auch in Geschäftspraktiken geschult. Das Projekt wird finanziell und personell unterstützt. Das Programm trägt dazu bei, das traditionelle Handwerk der Dayak zu erhalten, welches im Laufe der Jahre mehr und mehr verschwindet, da viele Kinder diese Fertigkeiten nicht mehr erlernen. Früher wurden geflochtene Matten als Mitgift in die Ehe gebracht. Alle weiblichen Familienmitglieder halfen dabei der Verlobten, ihre Aussteuer zu flechten. Dabei werden aufwendige Muster mit den verschiedensten Bedeutungen hergestellt. Ein beliebtes Material zum Flechten ist Rattan. Die Frauen schlagen dafür Lianen in den Wäldern. Dies bedeutet körperliche Anstrengung, denn die Lianen müssen zuerst von den Bäumen gezogen werden. Zugeschnitten und von ihrer Haut befreit, wird eine Liane in feine Streifen gehobelt. Dann wird das Rattan mit Blättern eines bestimmtes Baumes und eisenhaltiger Erde tagelang gekocht und so eingefärbt. Die Muster, die beim Flechten entstehen, erzählen traditionelle Geschichten der Dayak.

Mission 21 unterstützt Flechterinnen in Borneo. Foto: Mission 21


32 Pioniere

Kakaoernte in Ghana ABM QD-34.001.0017

Kakaoboom an der Goldküste Erste «Fair Trade»-Versuche der Basler Mission in Westafrika Die Schweiz besass nie Kolonien. Und dennoch wird sie weltweit mit einer «Kolonialware» in Verbindung gebracht: der Schokolade. Die Geschichte, wie der Kakao in die Schweiz kam, ist eng mit der Basler Mission und ihrer Handelsgesellschaft verbunden. In ihrem Anspruch, «christlichen» Handel zu betreiben, war die Basler Missionshandelsgesellschaft eine Vorläuferin des heutigen «Fair Trade». Von Andrea Franc


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Am

20. Januar 1893 verschiffte Martin Binnhammer, ein Kaufmann der Basler Missionshandelsgesellschaft in der britischen Kolonie Goldküste, zwei Säcke Kakao. Die Gesellschaft war 1859 in Basel als Aktiengesellschaft gegründet worden. Seither hatten Missionare mit kaufmännischer Ausbildung Alltagsgegenstände wie Papier, Nägel oder Bibeln importiert und in kleinen Läden an der Goldküste verkauft. Als Bezahlung hatten sie Palmöl oder Kautschuk entgegengenommen und nach Europa verschifft. Diese zwei Säcke waren nun die erste Kakaolieferung aus dem späteren Ghana. Darauf folgte ein beispielloser Kakaoboom, der aus dem westafrikanischen Land bereits 1911 den grössten Kakaoproduzenten der Welt machen sollte. Tetteh Quarshie – ein Bauer als Volksheld Der Kakao stammte aber nicht etwa aus Plantagen der Kolonialherren, sondern war von Kleinbauern im hügeligen Hinterland angepflanzt worden. Ein Wanderarbeiter aus dem Volk der Ga, Tetteh Quarshie, hatte auf der Insel Fernando Po vor Senegal, die damals unter spanischer Herrschaft war, auf einer Kakaoplantage gearbeitet. Als er 1879 zurück in die Heimat ging, schmuggelte er einige Setzlinge mit und pflanzte sie auf seiner Farm in Mampong in den AkwapimHügeln an. Von diesen Kakaopflanzen verkaufte er weitere Setzlinge. Es sprach sich herum, dass

mit Kakao gutes Geld zu verdienen sei. So zogen zahlreiche Bauern in die waldige Gegend der Akwapim-Hügel und weiter in die Region Akim Abuakwa, wo sie sich von den lokalen Häuptlingen Land kauften und Kakao anpflanzten. Lange hatten die ghanaischen Herrscher und Händler mit dem Verkauf von Sklaven an die europäischen Seeleute Geld verdient. 1807 verboten die Briten den transatlantischen Sklavenhandel und die Missionen hielten es für ihre Aufgabe, in Westafrika eine christliche Alternative zum Sklavenhandel aufzuzeigen. Damit taten die Basler Geschäftsleute, die im Komitee der Basler Mission und deren Industriekommission sassen und das Konzept der Mission festlegten, auch Busse. Über Tochterfirmen, Handelsgeschäfte und Beteiligungen war auch das Basler Bürgertum in den transatlantischen Sklavenhandel involviert gewesen. Der Versuchsgarten der Basler Mission Allerdings hat bereits vor Tetteh Quarshie jemand mit Kakaosetzlingen auf ghanaischem Boden experimentiert, nämlich die Basler Missionare Johannes Haas, Johann Jakob Lang und Henri Marchand. Ihre Pflanzen wurden jedoch von Schädlingen befallen oder gestohlen, sodass sie die Kakaozucht nach den gescheiterten Versuchen in den Jahren 1858 bis 1863 nicht weiter verfolgten. Die Basler Mission unterhielt in Aburi einen Versuchsgarten, in dem die Missionare, oft

Andrea Franc Wie die Schweiz zur Schokolade kam. Der Kakaohandel der Basler Handelsgesellschaft mit der Kolonie Goldküste (1893-1960) (2008)

Kakaotransport in Fässern, Ghana zwischen 1896 und 1905 ABM QU-30.003.0046


34 Pioniere

gut ausgebildete Landwirte, mit Nutzpflanzen experimentierten. Es war das eigentliche Missionsoder heute würde man sagen Entwicklungskonzept der Basler Mission, in ihren Missionsfeldern nachhaltige Produktionsformen einzuführen. Die lokale Bevölkerung sollte «christliche» Landwirtschaft oder «christliches» Handwerk ausüben und damit auf dem lokalen Markt oder dem Weltmarkt ein Einkommen erzielen. Tetteh Quarshie war in einer Werkstätte der Basler Mission in Christiansborg zum Schmied ausgebildet worden. Danach verlieren sich aber die Spuren zwischen ihm und der Basler Mission.

Die Basler Missionshandelsgesellschaft Als Mitglied des Missionskomitees und Präsident der Industriekommission gründete Karl Sarasin (1815-1886) eine Aktiengesellschaft. Eine ganze Reihe Basler Bürger kaufte bei der Gründung 1859 Aktien der Basler Missionshandelsgesellschaft (MHG). In den Statuten wurde festgehalten, dass höchstens Dividenden von sechs Prozent ausbezahlt würden und aller Gewinn darüber hinaus an die Basler Mission gehen sollte. Die Rechtsform der Aktiengesellschaft war noch bis Ende des 19. Jahrhunderts höchst ungewöhnlich und wurde eigentlich für kulturelle oder wohltätige Zwecke benutzt. Dank der Aktie wurde der Spender jedoch zum Miteigentümer des Unternehmens. So hat Sarasin mit der Ausgabe von Aktien nicht nur die herkömmlichen frommen Spender der Basler Mission eingebunden, sondern auch risikofreudige Geschäftsleute mit ins Boot geholt, die darauf spekulierten, dass in Westafrika eines Tages ertragreiche Baumwoll-, Kaffee- und Kakaoplantagen nach amerikanischem Vorbild entstehen würden. Tatsächlich sollten zwar nicht die ersten Aktionäre, aber doch deren Nachkommen vom Aktienkauf profitieren. Nach der Jahrhundertwende erlebte die Kolonie Goldküste einen Kakaoboom. Die Basler Missionshandelsgesellschaft, die bereits mehrere Jahrzehnte vor Ort gewesen und bei den Einheimischen verankert war, erzielte plötzlich rasant Gewinne. Nach dem Ersten Weltkrieg musste sich die Handelsgesellschaft unter britischem Druck von der Mission trennen. Dank den Gewinnen aus dem Kakaohandel wurde die neu entstandene Basler Handelsgesellschaft zu einer der bedeutendsten Handelsgesellschaften der Schweiz im 20. Jahrhundert.

Nonnenweg 21, ehemaliger Sitz der Basler Missions-Handlungs-Gesellschaft, wie sie damals noch hiess, Basel 1912. ABM QU-30.050.0001

Nach der Unabhängigkeit Ghanas von England 1957 wurde Tetteh Quarshie zum Volkshelden erkoren. Er habe den Kakao nach Ghana gebracht und damit den Wohlstand des Landes begründet. Seine Plantage in Mampong wurde zum Museum umfunktioniert, ein Spital und öffentliche Plätze wurde nach ihm benannt und die in Ghana produzierte Schokolade wurde «Tetteh Quarshie Bar» genannt. Auch die Basler Handelsgesellschaft, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in Ghana Kaufhäuser betrieb, versuchte, sich die Legendenbildung um Tetteh Quarshie zunutze zu machen und liess in Ghana Broschüren verteilen, welche die Verbindung zwischen Tetteh Quarshie, der Einführung des Kakaos in Ghana und der Basler Mission positiv hervorhoben. Die historische Verbundenheit der Basler Mission mit Ghana wurde nun zu Werbezwecken benutzt. Den Handel und die Geldgeschäfte hatten die calvinistisch geprägten Hugenotten im 17. Jahrhundert in Basel eingeführt und zum Blühen gebracht. Ende des 18. Jahrhunderts wurden aus den Nachkommen der Hugenotten fromme Pietisten. Damit wandte sich die Basler Gesellschaft wieder Luthers Ideal des Bauern und Handwerkers zu; Handel und Geldgeschäfte waren lediglich Mittel zum Zweck: Aus dem heidnischen Afrikaner, der skrupellosen europäischen Händlern Sklaven und Gold verkaufte, sollte ein bescheidener christlicher Bauer werden. Den Handel und die Finanzierung der Agrarrohstoffe aus Afrika sollte eine von der Mission beaufsichtigte Firma in Basel übernehmen. Dies war das Konzept der Basler Bürger von christlichem Handel. Kartell gegen afrikanische Geschäftsleute Die frommen Basler Firmenpatrons hatten jedoch übersehen, dass die einheimische Elite an der Küste Westafrikas über lange Erfahrung im Welthandel verfügte. Die Basler Mission hatte in ihrem «Fair Trade»-Konzept keine afrikanischen Geschäftsleute und Financiers vorgesehen. Doch die Basler Handelsbrüder an der Goldküste berichteten zunehmend von einheimischen Zwischenhändlern und Häuptlingen, die versuchten, grosse Mengen an Kakao selbst nach Europa zu verkaufen. Die Zwischenhändler, die den Bauern den Kakao abkauften, waren den sogenannten Handlungsbrüdern ein Dorn im Auge, was sie zu der Aussage verleitete: «Diese Native Agents sind einmal die schlimmsten Konkurrenten, die mit schneidigen Waffen angegriffen werden müssen.» Bereits 1901 trafen sie deshalb mit anderen europäischen Firmen vor Ort Absprachen. Aus diesen informellen Absprachen wurde in den 1930er-Jahren ein straff organisiertes Kartell der europäischen Handelsfirmen, darunter auch der Basler Handelsgesellschaft, die sich 1917 juristisch von der Mission gelöst hatte.


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Ghana – auch ein Schokoladenland

Brandungsboote werden mit Kakao beladen, Ghana 1935 ABM QD-30.012.0008

Unsere Jubiläumsschokolade Exklusiv für das Jubiläumsjahr der Basler Mission wurde eine festliche Schweizer Schokolade mit Kakaobohnen aus Ghana hergestellt.

Die Missionare kritisierten zwar das Kartell, doch wirklich eingesetzt hat sich niemand für die afrikanischen Kaufleute. Schliesslich sah das pietistische Missionskonzept einzig Bauern und Handwerker als Zielgruppe und Partner vor. Die einheimischen Kaufleute in der Kolonie Goldküste wurden sowohl von den grossen europäischen Handelsgesellschaften wie auch der Kolonialregierung ausgebremst. Im Zweiten Weltkrieg, als die europäischen Regierungen ihre Wirtschaft staatlich planten, setzte die britische Kolonialregierung die Kartellfirmen ein, um die ghanaische Kakaoproduktion nach Europa zu verschiffen. So wurde die Basler Handelsgesellschaft von der britischen Regierung zum offiziellen Einkäufer für die Schweiz bestimmt. Sie konnte während der Kriegsjahre Kakao an die Schweizer Schokoladenindustrie liefern, die ansonsten ihre Schokoladenproduktion hätte einstellen müssen. Die Basler Kaufleute, die 1859 ihr Geld in Aktien der Basler Missionshandelsgesellschaft investierten, haben somit bewirkt, dass ein Jahrhundert später ghanaische Bauern der Schweizer Schokoladeindustrie zu Hilfe kommen würden.

In Zentralamerika pflanzen Bauern seit Jahrtausenden Kakao für den Eigenbedarf an. Die an wertvollen Nährstoffen reiche Kakaobohne wird mit Mahlsteinen zu Pulver verarbeitet und als Getränk zubereitet. In Afrika war der Kakao hingegen bis Mitte des 19. Jahrhunderts unbekannt. Europäische Händler und Missionare brachten Kakaosetzlinge aus Amerika und experimentierten damit auf afrikanischem Boden. In den Speiseplan der Bauern wurde der Kakao bis heute nicht aufgenommen. Nur die Kinder mögen es, aus den frisch aufgeschlagenen Schoten die noch weissen Bohnen herauszuklauben und die süsse rosa Pulpe darumherum zu lutschen. Für die Ghanaer, die über etwas mehr Geld verfügen, gibt es aber eine ghanaische Schokolade. Bereits in den 1940er-Jahren entstanden an der Goldküste industrielle Verarbeitungsanlagen. Daraus ist in den 1960er-Jahren, als Ghanas erster Präsident Kwame Nkrumah die Volkswirtschaft modernisieren wollte, die staatliche Cocoa Processing Company (CPC) geworden, die auch verschiedene Schokoladeprodukte unter der eigenen Marke «Golden Tree» herstellte. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die CPC privatisiert, an der ghanaischen Börse kotiert und verkauft erfolgreich mehrere Schokoladeprodukte innerhalb Afrikas und nach China. Nebst Pralinen, Instantpulver und Brotaufstrich gehört auch der Schokoladeriegel «Tetteh Quarshie Bar» dazu.

Dr. Andrea Franc studierte in Basel und Genf Geschichte, Volkswirtschaft, Schweizer Geschichte sowie Wirtschaftsgeschichte. Sie promovierte über den Kakaohandel der Basler Handelsgesellschaft mit der Kolonie Goldküste (s. Buchtipp). Derzeit forscht sie im Rahmen eines Postdoc-Projekts zur Haltung der DrittWelt-Bewegung gegenüber dem Neoprotektionismus der 1970er-Jahre und der Entstehung des «Fair Trade» in dieser Zeit.


36 Pioniere

Hanna Frey (links) in den 1930er-Jahren mit jungen Frauen auf der Missionsstation Cannanore ABM QC-30.023.0006

Der Missionscurry – Ein legendäres Fair-Trade-Produkt Im Jahr 2015 heisst es nicht nur 200 Jahre Basler Mission. Auch eine Gewürzmischung feiert ihr Jubiläum: 1955 importierte die Basler Mission den Missionscurry aus Indien erstmals nach den Kriterien des fairen Handels in die Schweiz. Von Michael Schlickenrieder


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Schon

Miss Nancy, die langjährige Hüterin des Rezepts, mit den Zutaten für den Missionscurry Foto: zVg/Jennifer Jenkins

lange bevor die Weltküche den Speiseplan von Herrn und Frau Schweizer eroberte, sei der würzige Mix aus Basel «so etwas wie die Einstiegsdroge» in die Welt der exotischen Gewürze gewesen, meinte einst die Radio- und Fernsehmoderatorin Mona Vetsch. Für das SRF machte sie eine Reportage über die Herkunft des Missionscurrys. Er ist das älteste gerecht gehandelte Produkt der Kalebasse von Mission 21 und verleiht so manchem Menü das gewisse Etwas. Die Erfindung einer Missionarin Das Rezept für den Missionscurry stammt von der Schweizer Lehrerin Hanna Frey, die 1928 im Auftrag der Basler Mission nach Südwestindien ausreiste. 25 Jahre später gründete sie im heutigen Kannur das Zentrum «Bethania» zum Schutz und zur Bildung benachteiligter Frauen und Mädchen. Und suchte für die Frauen eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. So entstand die raffinierte Gewürzmischung mit indisch-schweizerischen Wurzeln.

1963 kehrte Hanna Frey in die Schweiz zurück. Die Inderin Nancy Gladis Nelliaden leitete fortan und während rund 40 Jahren die Curry-Produktionsstätte. Als junge Frau hatte «Miss Nancy», wie sie genannt wurde, selbst im «Bethania» Zuflucht gefunden. Erst kurz vor ihrem Tod hielt sie das Rezept schriftlich fest und bewahrte es in einem Tresor auf. Heute sind alle 23 natürlichen Zutaten fein säuberlich auf der Packung aufgeführt. Von Hand gemacht Noch immer bereiten die Frauen den Curry nach diesem Rezept zu. Einige Zutaten werden im hauseigenen Garten biologisch angebaut. Getrocknet von der Sonne werden die Gewürze geröstet und von Hand gemahlen oder mit Mörser und Stössel zerstampft. So bleibt das ganze Aroma erhalten. Mit dem Verkauf des Missionscurrys wird das Zentrum «Bethania» unterstützt. Mittlerweile gehört es zur protestantischen Church of South India, die partnerschaftliche Beziehungen mit Missionen und Kirchen in der Schweiz und Deutschland unterhält. Michael Schlickenrieder hat einen Master in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften und arbeitet im Team Öffentlichkeitsarbeit von Mission 21.

Kabeljau mit indischem Flair «Ich habe den Missionscurry immer schon gekauft, weil meine Mutter den auch schon gekauft hatte, immer am Missionsbazar. Ich bin sozusagen mit dem Missionscurry aufgewachsen. Andere Currys probierte ich auch, aber der Unterschied ist einfach frappant.»

Zutaten für vier Personen 4 Rückenfilets vom Kabeljau 4 EL Missionscurry (scharf) 1 EL Meersalz 5 dl Kokosnuss-Crème 1 Mango gewürfelt 1 grosse Zwiebel 25 g gesottene Butter 100 g Kokosraspeln 1 EL Zucker 1 Fleischbrühwürfel

Zwiebel grob hacken und in der Butter andünsten. Mit Zucker überstreuen, leicht karamellisieren. Kabeljau-Rückenfilets in einem Gemisch aus Curry, Salz und Kokosraspeln gut wenden. Auf den Zwiebeln in der Butter kurz auf beiden Seiten dünsten lassen. Mit der Kokosnuss-Crème ablöschen. Bouillonwürfel beigeben. Etwa 5 Minuten ziehen lassen. Die Crème sollte leicht köcheln. Vom Feuer nehmen. Die MangoWürfel in die Crème geben. Mit indischem Trockenreis servieren. Guten Appetit! -minu

Der Basler -minu ist Kolumnist und leidenschaftlicher Koch. Foto: Mission 21/Michael Schlickenrieder


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Weltenbummler

«Reisefertig!» Fotografie aus China, Datum unbekannt ABM QS-30.104.0022

Unterwegs in ein anderes Leben So unterschiedlich die Erfahrungen der Missionare waren, hatten sie doch eines gemeinsam: Sie alle machten sich auf den Weg und traten eine lange Reise in eine ungewisse Zukunft an. Die historische Bilderstrecke zeigt eindrücklich, welche Rolle das Reisen einnahm. Das Porträt von Martin Blum erzählt, wie aus einem Schweizer Weltenbummler ein Brücken bauender Peruaner wurde. Und der Text über die Missionsbräute beleuchtet die Motivation vieler junger Frauen, die im 19. Jahrhundert alles hinter sich liessen. Ihr Ziel war ein fernes, unbekanntes Land – und die Ehe mit einem bis dahin fremden Mann.


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«An Bord des Dampfers E. Woermann», zwischen 1895 und 1914 ABM E-30.42.014

Die Fotografie zeigt das Hinterdeck der Eleonore Woermann, aufgenommen von einem Mitarbeiter der Barmer, der späteren Rheinischen Mission. Darauf zu sehen ist die Vielfalt der Ladung inklusive einer Ziegenherde sowie die Nutzung des Decks durch Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Eleonore Woermann war 1902 für den Passagier-, Fracht- und Postdienst nach Westafrika und Namibia gebaut worden und war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich auf dem Weg nach Kamerun. Das Schiff wurde 1915 im Zuge des Ersten Weltkriegs versenkt.


40 Weltenbummler

Missionare als Reisende Am Anfang stand der Abschied; die Reise selbst war ein langer, teils mühsamer Weg zu den Missionsfeldern in Afrika, Indien, China oder Indonesien; Reisen war auch eine «Zwischen-Zeit» – die Ausbildung war abgeschlossen, die Bewährung stand noch bevor; und Reisen war auch Teil der Aufgaben im Missionsfeld. Waren die Wege nicht ganz «reisegerecht», bedeutete das Unterwegssein auch ein Abenteuer. Von Anke Schürer-Ries

«Verabschiedung im Missionsgarten», Basel 1942 ABM QS-30.037.0023

Die Verabschiedung eines jeden Missionars war immer eine besondere Angelegenheit und der Anfang aller Aufträge für die Basler Mission. Dieses Bild ist mitten im Zweiten Weltkrieg entstanden – Traditionen und Werte standen auf dem Prüfstand. Es zeugt von der Beharrlichkeit der Basler Mission. Heute reisen keine Missionarinnen und Missionare mehr aus, sondern ökumenische Mitarbeitende. Doch die Tradition der Verabschiedung wird von Mission 21 weitergeführt und steht immer noch am Beginn einer besonderen Reise.

«Indische Reisegesellschaft auf dem Schiff und in Ceylon. M.K. Schäfer und Frau und Kind, Frl. Dr. Petitpierre und (unleserlich) … Br. F. Maurer und A. Ernst», vor 1929 ABM QS-30.023.0017

Aufbrechen ins Missionsfeld: Das bedeutete bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine lange Reise mit verschiedenen Transportmitteln über viele Etappen. Um beispielsweise nach Indien zu gelangen, mussten Missionare Europa durchqueren, die mehrwöchige Schiffsreise durch den Suezkanal sowie eine weitere mehrtägige Reise mit Zug oder Wagen bis zum Ziel auf sich nehmen. Die Tage und Wochen an Bord waren eine «Zwischen-Zeit»: Die Missionare und Missionarinnen waren nicht mehr in der Ausbildung, aber auch noch nicht im Missionsfeld. In vielen Dokumenten erzählen sie davon.


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«Ausschiffung von Passagieren und volle Boote», Ghana zwischen 1925 und 1935 ABM QD-30.012.0011

Die Landung von Mensch und Fracht von den Dampfern war bis in die 1950er-Jahre nur durch Ruderboote möglich. Alles Notwendige wurde mühsam be- und entladen. Für Missionarinnen und Mitarbeiter der Basler Mission war die Landung der erste Kontakt mit Afrika. Die Nutzung der einheimischen sogenannten Brandungsboote und die Erfahrung der Männer mit den Tücken des Meeres vor der Küste Ghanas waren eine sichere Einnahmequelle für die Bevölkerung.

«Im Hafen von Accra», Ghana zwischen 1884 und 1911 ABM D-30.01.007

Der natürliche Hafen von Accra war Ankunftsort für die ersten Missionare der Basler Mission in Afrika. Der Strand war dadurch der Ausgangspunkt der nächsten Etappe der langen Anreise und führte die Missionare, Ärzte und Kaufleute zunächst zu einer Hauptmissionsstation an der Küste oder in der Stadt und dann später meist zu einer der vielen Aussenstationen im Umland.


42 Weltenbummler

«Dans l’attente du premier train 1 oct. 1903», Kumasi/Ghana 1903 ABM QD-30.044.0078

Mit dieser Fotografie dokumentierte Missionar Fritz Ramseyer die Ankunft des ersten Zuges in Kumasi, Ghana, und damit einen historischen Tag für die damalige Goldküste. Der Bahnbau in Afrika war Teil des kolonialen Wettlaufs um den Kontinent geworden, bedeutete aber auch eine Öffnung. Für die Basler Mission war ab jetzt eine schnellere Verbindung zwischen den Missionsstationen möglich. Kumasi wurde 1870 das erste Mal als Missionsstation durch Missionar Fritz Ramseyer auserkoren, die Basler Mission konnte jedoch erst 1896 eine Missionsstation im Asante-Reich gründen.

«Eisenbahnstation Satara», Indien zwischen 1932 und 1933 ABM QC-34.045.0040

Das kolorierte Glaspositiv der Eisenbahnstation in Satara von Margrit Segesser ist Teil der dritten Lichtbildserie, die sie von ihren Reisen in Indien zusammengestellt hatte. Diese Serien wurden bei Vorträgen in den Gemeinden eingesetzt, um den Menschen die Arbeit der Basler Mission näherzubringen. Frau Segesser war 25 Jahre lang als Missionarin tätig und bereiste Indien mehrfach. Sie hat der Basler Mission ihre Sammlung historischer Bilder überlassen.


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«Brücke über einen Sumpf b. Bamedig (Frau Miss. Wunderli)», Kamerun zwischen 1926 und 1928 ABM E-30.82.031

Das Reisen in Afrika, in diesem Fall durch einen Sumpf im Umland von Bamedig, Kamerun, war abenteuerlich und oft auch beschwerlich. Eduard Wunderli hat seine Reisen in einer Fotosammlung dokumentiert und dabei die verschiedensten Wege und Umwege fotografiert. Er fand selten befestigte Strassen vor und war auf ortskundige Führer angewiesen. Dieser Weg über den Sumpf scheint regelmässig in Gebrauch gewesen zu sein, worauf das Seil am Wegrand hindeutet.

«Tragstuhl aus Bambus mit Palmblätterdach. Beförderungsmittel für Frauen und Kinder», China zwischen 1904 und 1920 ABM A-30.53.011

In China waren Tragstühle ein übliches Transportmittel. Sie können als die «Taxis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts» gesehen werden. Laut Beschriftung handelt es sich bei diesem Bild von Wilhelm Friedrich Maisch um ein Beförderungsmittel für Frauen und Kinder, wahrscheinlich aufgrund der Bauart und des zulässigen Gewichts auf dem geflochtenen Boden. Die Missionare waren meist zu Fuss oder auf dem Pferd unterwegs. Leider ist nicht überliefert, wer genau hier den Komfort der Tragestühle geniessen darf.

«Abfahrt der Missions-Geschwister von Palime 28. Dez. 1912», Palime/Nord-Togo ABM D-30.56.012

Missionar Otto Schimming ist mit dieser Fotografie ein spannendes Bild einer Abreise gelungen. Vorne sind wie üblich die Missionare in Tropenkleidung abgelichtet, mit Motorrad und Anhänger oder mit dem Fahrrad. Im Hintergrund sind ihre afrikanischen Begleiter, von denen einige modischer als die Missionare gekleidet sind. Damit positionieren sie sich – nicht nur gegenüber den Trägern in traditioneller Tracht.


44 Weltenbummler

«Reise ins Innere zwischen Kap. & Kahajan (Kanal). Rev. Lampmann mit Frau & Kinder (1925)», Kalimantan/ Kapuas 1925 ABM B-30.65.062

Wasser ist immer zentraler Bestandteil von Bildern einer Insel. Dies gilt ganz besonders für die Inseln, auf denen man mehrheitlich auf Wasserwegen unterwegs ist. Kalimantan ist eine solche Insel und die Missionare, Missionsärzte und Missionsangestellten waren für ihre Arbeit von Booten abhängig. Diese stellten die Verbindung zur Aussenwelt dar. Manche Boote waren Latrinenboote, andere Sargboote, wieder andere ersetzten Autos und Wagen oder Fahrräder.

«Skizze der Wege nach Buea. Mit einem Brief von J. Keller, datiert 18. Sept. 1901», Kamerun 1903 ABM E-31.02,04#17

«Der Weg ist das Ziel.» Das könnte man bei den vielen im Archiv zu findenden Berichten, Skizzen und Reisebildern der Missionare annehmen. Die Beschäftigung mit den Wegen zu den Siedlungen und Stationen und ihr Umfeld spiegeln sich in dieser Skizze sehr schön wider. Missionar Keller stellte hier die Entwicklung des Umfeldes von Buea und den Weg zwischen Victoria und Buea mit neuen Wegen, Plantagen und geografischen Hindernissen dar, höchstwahrscheinlich als zusätzliche Information bei der Korrespondenz mit dem damaligen Inspektor Würz. Der Zeichner bleibt uns unbekannt.


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«Reisezelt», Indien zwischen 1902 und 1914 ABM QC-30.012.0084

Zur Ausrüstung für sehr lange Reisen gehörte ein Zelt, sofern die Missionare mit einem Wagen unterwegs waren und diese schwere Ausrüstung mitnehmen konnten. So war es ihnen auch möglich, für mehrere Tage an einem Ort zu bleiben. Dadurch reduzierte sich die Reisegruppe auf wenige Träger, einen Koch und vielleicht einen Katechisten.

«En descendant de la montagne», Ghana zwischen 1888 und 1895 ABM QD-30.043.0064

Die Hängematte war im tropischen Afrika ein Dauerbegleiter, insbesondere wenn die Missionare und Missionarinnen durch Malaria und andere Krankheiten geschwächt reisen mussten. Dieses Bild von Frau Ramseyer, gemacht von ihrem Ehemann Friedrich, wurde auch mit dem Titel «Frau R. auf der Reise, am Abhange des Okwan-Berges» gekennzeichnet und zeigt auf, wie sehr diese Strapazen Teil des Alltags der Missionsarbeit waren und ihre Arbeit prägten.

«Abmarsch von Bombe nach Bali. Auf der Veranda Br. Epting und Frau Keller», Kamerun zwischen 1902 und 1906 ABM E-30.19.002

Mit einem Fussmarsch begannen oftmals die Evangelisationsreisen ins Umland und zu den Aussenstationen. Die Abreise der Reisegruppe war für die Missionsstation ein Ereignis, das man auch gerne fotografisch dokumentierte. Hier sehen wir einerseits die Abreise vor dem Missionshaus in Bombe, wir sehen aber auch, welchen Aufwand diese Reisen mit sich brachten: Mindestens 13 Träger mit allerlei Proviant und Material, wahrscheinlich ein Katechist sowie ein Koch waren die Begleiter der beiden Missionare Rudolf Leimbacher und Ferdinand Ernst. Fotograf: Otto Schkölziger


46 Weltenbummler

«Auf dem Flugplatz in Hongkong», Hongkong ABM A-30.86.039

Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm Inspektor Witschi eine Visitationsreise zu den Missionsgebieten und hat dabei auch die seit 1927 unabhängige, aber noch eng mit der Basler Mission verbundene Tsung Tsin Mission besucht. Eine grosse Delegation mit dem Schriftzug «Rev. Witschi we welcome you» ist eine deutliche Geste der Verbundenheit zwischen Hongkong und Basel, die bis heute besteht. Dieses Bild dokumentiert eine Flugreise zu einer Zeit, in der man noch direkt am Flugplatz auf die Passagiere warten konnte.

«Vor der Abreise in Hongkong», Hongkong 1951 ABM QQ-30.062.0077

1951 flog Dr. Johann Meister aus seinem Einsatz mit seiner Familie zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg reisten nur noch wenige mit dem Schiff. Auch die Flugreise bestand teilweise aus Etappen. Die Abreise aus einem Einsatz war und ist immer noch ein sehr bewegender Moment für die Gemeinde und die Missionare, da sie auch das Ende eines Lebensabschnitts bedeutet. Viele Missionare gingen über Jahrzehnte immer wieder in Einsätze.


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«Die Goldküste und westliche Sklavenküste sowie das südliche Asante-Reich in Westafrika», Westafrika 1873 (Lithografie-Anstalt von Menges, Stuttgart) ABM ATL-31.010.004

Der Atlas der Basler Mission aus dem Jahr 1873 ist ein Zeugnis der Geschichte der Basler Mission. Die kartografische Darstellung zeigt die Verflechtungen der verschiedenen Missionsgesellschaften, sie macht die Arbeit der ersten Missionare an der Goldküste durch die gekennzeichneten Stationen deutlich, führt aber auch die fehlgeschlagenen Stationen auf. Ebenso sind kritische Einschnitte eingetragen: So zum Beispiel sind Orte markiert, an denen die Missionare Ramseyer und Kühne ab 1870 gefangen genommen wurden.


48 Weltenbummler

Weltenbummler, Freiwilliger, Peruaner, Konservator Die vier Leben des Martin Blum Martin Blum hat die Geschichte der Basler Mission in Peru miterlebt und mitgeprägt. Aus dem einstigen Brückenbauer ist heute ein Peruaner mit Schweizer Pünktlichkeit geworden. Von Hildegard Willer

Martin Blum 1985 bei der Genossenschaft für Kunsthandwerk Kamaq Maki Foto: zVg/Martin Blum

1991

floh aus Peru, wer immer nur konnte: Wirtschaftskrise und Terrorismus beherrschten das Land, vor den westlichen Botschaften warteten lange Schlangen von Peruanern darauf, ein Visum für eines der begehrten europäischen Länder zu bekommen. 1991 war auch das Jahr, in dem der Zürcher Martin Blum auf der Einwanderungsbehörde in Lima vorstellig wurde und sagte: «Ich möchte Peruaner werden.» Der Weltenbummler Die Liebe zu Peru hat Martin Blum relativ spät und unverhofft, aber dafür umso heftiger ergriffen. 1982 kam der gelernte Textilkaufmann aus Zürich ins peruanische Huancayo, eine Kleinstadt auf 3500 Metern Höhe in den Zentralanden. Der damals 35-Jährige hatte bereits 10 Jahre Wanderleben in Südafrika, Argentinien und Brasilien hinter sich und war gerade dabei, sich als Berater für den fairen Handel in der Schweiz zu etablieren. Doch dann überzeugte ihn die Basler Mission davon, einige Jahre in Peru an seine Wanderjahre «dranzuhängen», um in dem Andenstädtchen die Genossenschaft für Kunsthandwerk Kamaq Maki mit aufzubauen.

Tal die Qualität der Web- und Strickprodukte zu verbessern und sie im damaligen Drittwelthandel Europas zu vermarkten. Martin Blum besuchte die zerstreut lebenden Kleinbauern und Nebenberufs-Kunsthandwerker und lernte eine sehr traditionelle, von vielfältigem Brauchtum geprägte Welt kennen. Er traf viele interessante Menschen, die ihn sehr offen aufnahmen. Einige sieht er bis heute zuweilen auf Kunsthandwerksmärkten wieder. In den sieben Jahren übernahm er die Patenschaft von vier Kindern. Das bedeutet in Peru eine lebenslange gegenseitige Bindung mit der ganzen Familie. «Es waren sicher die intensivsten Jahre meines Lebens und ich denke immer noch mit grosser Freude und Dankbarkeit daran zurück. Wenn ich heute ins Mantaro-Tal komme, dann ist es für mich ein richtiges Nach-HauseKommen», sagt Martin Blum 32 Jahre später, in seiner Wohnung über den Dächern von Lima. Mitten in der 8-Millionen-Stadt haben sich er und sein peruanischer Lebenspartner Leo ein Refugium voller Pflanzen und Kunstgegenstände eingerichtet. Vom siebten Stock geht der Blick auf den fast das ganze Jahr diesigen Himmel hinaus – und immer mehr auch auf neu gebaute Hochhäuser.

Der Freiwillige Als Freiwilliger, wie damals die Fachkräfte in der Entwicklungszusammenarbeit genannt wurden, wanderte er von Dorf zu Dorf, um im Mantaro-

Der Peruaner Bitterarm waren die Bauern und Handwerker damals. «Peru ist ein komplexes Land, entweder du liebst es, oder nicht. Etwas dazwischen


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gibt es nicht», ist Martin Blum überzeugt. Bei ihm war es die Liebe, obwohl das Unheil in den 1980er-Jahren immer mehr heraufzog. Die bewaffnete Terrorgruppe Leuchtender Pfad verbreitete Angst und Schrecken und wollte das Heil der klassenlosen Gesellschaft mit Gewalt auf einem langen Marsch vom Land in die Stadt tragen. Westliche Ausländer waren bevorzugtes Ziel des Leuchtenden Pfades, französische Entwicklungshelfer waren bereits ermordet worden. «Ende der 1980er-Jahre bekam ich fast jede Woche einen Anruf der Schweizer Botschaft, ob ich noch lebe.» Schliesslich kam der Anruf aus Basel: Er könne nicht mehr in Huancayo bleiben, das sei zu riskant. Gegen seinen Willen verliess Martin Blum zwar Huancayo, nicht aber Peru. Nach zwei weiteren Jahren im Dienst der Basler Mission in einer politisch ruhigeren Gegend im Norden des Landes spürte er, dass er sich entscheiden wollte. «Die Brückenfunktion eines entsandten Freiwilligen war nichts mehr für mich, ich wollte mit beiden Füssen in Peru leben.» Martin Blum zog in die Hauptstadt und wurde Peruaner. Zwölf Jahre lang arbeitete er als peruanischer Angestellter eines lutheranischen Hilfswerkes. Es waren ruhige Jahre, in denen Martin Blum auch innerlich in der Hauptstadt Lima ankam. Der Konservator Auch wenn er dem Pass nach Peruaner ist, so hat Martin Blum bestimmte schweizerische Eigenschaften nie abgelegt. Die Pünktlichkeit ist eine davon. Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit wartet der schmale Mann mit den schüt-

teren grauen Haaren und dem Bärtchen vor dem Eingang des Kunstmuseums in Lima. In der Hand einen dicken Band, seine kürzlich eingereichte Lizen-tiatsarbeit über die Konservierung vorspanischer Tongefässe. Mit 60 Jahren hat Martin Blum das Hilfswerk verlassen und noch ein Studium als Konservator für Stoffe und Keramik begonnen. «Ich wollte wieder zurück zu meinen Anfängen im Kunsthandwerk», so seine Motivation. Heute, mit fast 68 Jahren, führt Martin Blum stolz durch die Ausstellung der Ausgrabungsstücke des «Schlosses von Huarmey», das drei Stunden nördlich von Lima liegt. Der archäologische Fund ist in Fachkreisen eine Sensation und hat es bis aufs Titelblatt des National Geographic geschafft. Martin indirekt auch. Denn er hat mehrere der ausgestellten Keramikgefässe wiederhergestellt und konserviert. «Ich habe kein anderes Leben, als das, das ich in Peru führe», sagt der schweizerische Peruaner zufrieden, «hier hatte ich so viele Möglichkeiten und eine Freiheit, die ich in der Schweiz vielleicht nicht gehabt hätte».

«Pachamanka»: Gemeinsames Essen im Garten von Kamaq Maki, 1983 Foto: zVg/Martin Blum

Hildegard Willer ist Theologin, freie Journalistin und Koordinatorin für Mission 21 in Peru und Bolivien. Sie lebt in Lima, Peru.

Martin Blum heute: Peruaner mit Schweizer Wurzeln Foto: zVg/Hildegard Willer

Die peruanische Hauptstadt Lima zählt rund 8 Millionen Einwohner.


50 Weltenbummler

Elisabeth Oehler-Heimerdinger, China 1909 Foto: zVg/Privatbesitz Oehler, Erdmannshausen

«Die Sehnsucht nach dem nie gesehenen Bräutigam» Auf den Spuren der Missionsbräute des 19. Jahrhunderts Was brachte junge Frauen dazu, einen völlig unbekannten Mann zu heiraten, dem sie noch dazu Tausende von Kilometern nachreisen mussten? Die Autorin hat das «Phänomen Missionsbraut» ausführlich untersucht. Von Dagmar Konrad


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«Lieber

Bruder Eisfelder! Da Sie schon so lange warten mussten, sende ich Ihnen diesen Brief samt meiner Photographie durch die Vermittlung von Frau Roth. Obwohl wir uns noch nicht kennen, so darf ich Sie doch als meinen mir von Gott selbst zugeführten Bräutigam begrüssen.» Mit diesen Worten beginnt ein Brief, den die 26 Jahre alte Missionsbraut Elise Hauff aus Nufringen in Württemberg im Dezember 1884 an Friedrich Eisfelder in Südindien schickte. Er missionierte dort im Auftrag der Basler Mission. Viele Schweizer und auch württembergische junge Männer liessen sich hier zum Missionar ausbilden, um später in China, Indien und Afrika zu leben und die sogenannten Heiden zu bekehren. In den ersten beiden Jahren allerdings als Junggeselle, so schrieb es die Heiratsordnung der Mission vor. Während der siebenjährigen Ausbildungszeit war näherer Kontakt zu Frauen verboten. Dennoch hielt man inoffiziell sehr wohl die Augen offen. Die Missionare stellten ihre Heiratsanträge von Übersee aus, die dann an die betreffende Frau weitergeleitet wurden. Bisweilen sandten Missionare ganze Namenslisten möglicher Heiratskandidatinnen nach Basel, nach Präferenz durchnummeriert. Lehnte eine ab, konnte gleich die nächste ins Auge gefasst werden. Was uns heute befremdlich, ja frauenfeindlich erscheint, war von den Missionaren zunächst einmal pragmatisch gedacht, bedeutete es doch eine ungeheuere Zeitersparnis, wenn man an die langen Postwege der damaligen Zeit denkt. Die Männer suchten nur nach einer guten Hausfrau, so zumindest begründeten sie ihren Heiratswunsch in den offiziellen Gesuchen. Von Sexualität durfte natürlich keine Rede sein. Inoffiziell schickten sich aber Junggesellenfreunde, wenn der eine etwa Bräutigam wurde, Spottverse zu, die an heutige Polterabendschmähungen erinnern. «Elisabeth oh eile, mit Volldampf an mein Herz. Mit einem Kusse heile der Sehnsucht heissen Schmerz.» Diese Zeilen erhielt der Bräutigam Wilhelm Oehler in China von einem Jugendfreund. Hier zeigt sich die irdische Seite der Missionare, ansonsten wurde die Braut häufig als «Geschenk Gottes» bezeichnet und die Ehe als gottgewollt angesehen. Alle Frauen, die auf der Wunschliste der Missionare standen, wurden vom Komitee, dem Leitungsgremium der Basler Mission, überprüft. Sie wurden also schon im Vorfeld zur «gläsernen Braut». Meist stammten sie aus denselben pietistischen Kreisen wie die Männer. Diese Kreise bildeten ein überregionales, überfamiliäres und überseeisches Netzwerk, eine Art globale Glaubensfamilie. Viele der angefragten Frauen interpretierten den Heiratsantrag eines unbekannten Missionars als Ruf Gottes, der sie dazu aufforderte, zusammen mit ihrem Ehemann im

«Weinberg des Herrn» zu arbeiten. Profane Motive, wie zum Beispiel der Enge eines Dorfes entfliehen zu können, also eine Art Abenteuerlust, sind nur zwischen den Zeilen zu lesen. Die Motivation für die Zusage ist stets im religiösen Bereich zu finden. Brautzeit ohne Bräutigam Während die Missionare in freudiger Spannung auf die Braut warteten, sah die Situation für die Frauen anders aus. Sie hatten unzählige Vorbereitungen zu treffen und den Abschied von der Familie und Freundinnen vor sich, die sie vielleicht nie wiedersehen würden. Dazu kam die Aussicht auf eine zwei Monate dauernde Reise, an deren Ende sie ein fremder Mann, ein fremdes Land und ein neues, fremdes Leben erwarteten. Zudem mussten sie sich auf ein ungewohntes Klima einlassen, die zunächst unzugängliche Sprache erlernen und das Risiko von unbekannten Krankheiten in Kauf nehmen. Die Reise dauerte sehr lange. Mit der Postkutsche, später der Eisenbahn, mit dem Dampfschiff und schliesslich im jeweiligen Land mit dem Ochsenkarren, im Tragsessel oder auf schaukelnden Booten. Sie war für die Bräute eine Zeit voller widersprüchlicher Gefühle. Vorfreude und Hoffnung wechselten sich mit Angst und Zweifel ab. Mit der äusseren Reise, die Ungewohntes, Fremdes und auch Aufregendes bot, ging eine innere Reise einher. Denn die zwei Monate waren eine Zeit des Übergangs vom Leben in der alten Heimat als Tochter hin zum Leben in der neuen Heimat als Ehefrau. Auf dem Schiff hatte die Missionsbraut Zeit zum Nachdenken. Vor allem, wenn die Seekrankheit ausbrach, nahmen Ängste und Zweifel überhand. Christiane Burkhardt aus Möttlingen, die 1867 nach Afrika reiste, schrieb: «Denn das schlechte Wetter und das sonstige Übelsein wirkte doch in solcher Weise auf unsere Gemüter, dass wir uns erlaubten zu sagen: Oh wären wir doch daheim, wir gingen nimmer nimmer mit.» Die einzige Konstante, an die sich die Bräute halten konnten, war Gott. Er bildete für sie eine Art innere Zufluchtsstätte und Wegweiser. Die «göttliche Reisebegleitung» war sehr wichtig, denn «ihm zuliebe» hatten sie die Reise ja überhaupt unternommen.

Dagmar Konrad Missionsbräute. Pietistinnen des 19. Jahrhunderts in der Basler Mission (2013)

Missionsbräute waren junge Frauen, die im 19. Jahrhundert nach Übersee reisten, um dort einen Missionar zu heiraten, den sie lediglich dem Namen nach kannten. Meist stammten sie aus pietistisch geprägten Elternhäusern. Ihre auf den ersten Blick fremd anmutende Partnerwahl hat mit der Heiratsordnung der Basler Mission zu tun, die den Missionaren erst nach zweijährigem Aufenthalt im Missionsgebiet erlaubte, sich eine Braut zu suchen. Diese Regelung galt in revidierter Form bis 1914. Die erste Missionsbraut reiste 1846 nach Afrika.


52 Weltenbummler

Die Missionsbraut Lydia Bommer mit Missionsschülerinnen in Indien Foto: zVg/Privatbesitz Kicherer, Grossbottwar

Drei Hochzeitspaare mit Gästen vor dem Missionshaus in Hongkong, um 1910. Das Paar rechts ist Max Lohss mit seiner Braut. Hinter dem mittleren Paar stehen Wilhelm Oehler und seine Frau, Elisabeth Oehler-Heimerdinger. Foto: zVg/Privatbesitz Oehler, Erdmannshausen

Familie Farrer mit indischem Kindermädchen, Indien 1910 Foto: zVg/Privatbesitz Lempp, Neuffen

In der neuen Heimat Am Ende der Reise stand die erste Begegnung mit dem Bräutigam. Darüber erfährt man in Briefen nur wenig. Sprachlosigkeit macht sich breit, ob aus Freude oder Schock, sei dahingestellt. «Zwei Dinge hat eine Frau, die nach Afrika kommt, zuerst und richtig zu lernen: eine seltsame Sprache und krank zu sein.» Das sind die Worte einer Missionarsfrau in Afrika 1867. Was für die Frauen in Afrika Gültigkeit hatte, betraf gleichermassen diejenigen in Indien und China. Bis sie sich in der fremden Sprache verständigen konnten, waren sie ständig auf den Ehemann als Übersetzer angewiesen, der aber häufig auf wochenlangen Predigtreisen unterwegs war. In diesen Zeiten waren die Frauen auf sich gestellt. Besonders schwierig gestaltete sich das, wenn die Missionsstation ebenfalls einsam gelegen und kein Kontakt zu anderen Frauen möglich war. Die Missionarsfrau Luise Maisch aus Welzheim schreibt 1913 von ihrer sehr abseits gelegenen Missionsstation in China an die Eltern: «Nun ist er in Lenphin und kehrt erst nach vier- bis fünfwöchiger Abwesenheit zurück. Ich kann mich jetzt sehr gut in diese Trennungen finden, da Wilhelm, auch wenn er zu Hause ist, so wenig Zeit für das Familienleben hat, dass ich eigentlich kaum etwas vermisse, wenn er ganz weg ist.» Solche resignativen Töne finden sich bei den Männern nicht, da ihre Situation eine ganz andere war. Hier fällt das Ungleichgewicht der Geschlechter ganz besonders ins Auge. Theodor Ritter schreibt 1909 aus Indien: «Das Schönste bei meinen Reisen ist immer das Heimkommen, wenn da unter dem Hauseingang das liebe Weiblein steht und mich mit offenen Armen empfängt.» Nicht nur mit Sprachproblemen und Einsamkeit hatten viele zu kämpfen. So war etwa auch

der Vorsatz, einen europäischen Haushalt (dem chinesischen Koch wurde die Spätzlezubereitung beigebracht!) in den Tropen führen zu wollen, häufig zum Scheitern verurteilt. Zum einen lag das am Klima: Während der Regenzeit verschimmelte nahezu alles, von Wäsche bis hin zu Büchern. In Trockenperioden war alles von einer Staubschicht überzogen. Zum anderen kollidierten die recht ethnozentrischen Vorstellungen der Missionarsfrauen, die als «Pionierinnen für eine bessere Welt» ausgezogen waren, häufig mit denen des einheimischen Personals. Eine heute fast modern anmutende Klage betraf ein ganz anderes Thema: Die Doppelbelastung als Mutter und als Missionarin, die zu Konflikten führen konnte. Berufliche Selbstverwirklichung in der Missionsarbeit war für sie wichtig. In den Augen ihrer Ehemänner und auch der Basler Mission sollten sie jedoch in erster Linie nur die «Gehilfin» des Missionars sein und nicht selbst missionarisch tätig werden. In der Realität hatte die Missionarsfrau aber ein «Allroundtalent» auf der Missionsstation zu sein. Manche mussten als sogenannte Hausmutter einer Knaben- oder Mädchenanstalt vorstehen. Das bedeutete, die gesamte Organisation eines viele Personen umfassenden Haushaltes zu übernehmen: von der Kleidung der Zöglinge über die Nahrungsversorgung bis hin zum Nähunterricht auf der Veranda. Dies stellte eine Aufgabe dar, der sich manche nicht gewachsen fühlten. Die Anspruchshaltung von aussen, aber auch die eigene angestrebte Perfektion stürzte viele in ein Dilemma. Krankheit, Tod und Trennung Krankheit und Tod waren die täglichen Wegbegleiter. Die Fälle, in denen die Frauen nach wenigen Monaten starben, sind zahlreich. Vor


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allem an der afrikanischen Küste, die als «Grab des weissen Mannes» (und der weissen Frau) berüchtigt war. Die Tropenmedizin steckte noch in den Kinderschuhen und Ärzte gab es in den Missionsgebieten ohnehin zu wenige. Vor allem Schwangerschaften bargen ein grosses Risiko. Die häufige Einnahme von Chinin gegen Malaria konnte zu Fehlgeburten führen. Manchmal war das Paar bei der Geburt allein. Medizinische Hilfe kam teilweise zu spät, so dass die Todesrate bei Neugeborenen hoch war. Auch für die Mütter endete sie nicht selten tödlich. So wurde die bevorstehende Geburt immer als «schwere Stunde» umschrieben. Eine Schwangerschaft stellte meist kein freudiges Ereignis dar. Auch Tropenkrankheiten wie Gelbfieber, Schwarzwasserfieber, Malaria und einiges mehr konnten zum Tod führen. Friederike Genähr, Missionarsfrau in China, verliert im Jahr 1862, als sie mit ihrem vierten Kind im Kindbett liegt, in nur einer Nacht ihren Ehemann und ihre vier- und sechsjährigen Söhne, die an Cholera erkrankt waren. Den Tod eines Kindes hatten die meisten Paare zu verkraften, was viele von ihnen zusammenschweisste. Ebenso die Trennung von den Kindern, die im schulpflichtigen Alter zur Ausbildung nach Europa geschickt werden mussten. So sah es die Kinderverordnung der Basler Mission vor, nachdem die erste «Elterngeneration» in Übersee sich schweren Herzens dazu entschieden hatte, dass ihre Kinder in Europa erzogen werden sollten. Dies hinterliess häufig lebenslange seelische Narben bei den Kindern ebenso wie bei den Eltern. Die Kinder wuchsen entweder im Basler Kinderhaus auf oder wurden bei Verwandten in der Heimat untergebracht. Die Eltern sahen sie jahrelang nicht wieder. Eine Missionarsfrau beschrieb diese Trennung so: «Unvergesslicher

Abschied. Ein letztes Mal sie ans Herz drücken, uns wollte das Herz brechen.» Die Trennung von den Kindern war die letzte Konsequenz einer langen Reihe von Abschieden und Trennungen. Sie ist Beleg dafür, welche Stellung die «Arbeit im Weinberg des Herrn» einnahm. Der Weg, den die Missionsbräute zurückgelegt hatten, um an den «Ort ihrer Bestimmung» zu gelangen, wurde von den Kindern in umgekehrter Richtung vollzogen. Leben in Briefen Neben dem Leben vor Ort führten die Frauen immer auch ein «Leben in Briefen», vor allem in Briefen an die entfernten Kinder. Hier präsentieren sie sich nicht selten als starke, aber auch leidgeprüfte Frauen. Diese Briefe und Tagebücher zeichnen die Stationen des ungewöhnlichen Lebensweges einer Missionarsfrau nach: den Aufbruch in die Fremde zu wagen, das Erlernen einer neuen Sprache, einen viele Personen umfassenden Missionshaushalt zu führen, «nebenbei» eigene Kinder zu erziehen und eigenverantwortliche soziale Arbeit zu leisten. Häufig übernahmen sie darüber hinaus noch Schreibarbeiten für ihre Ehemänner, um ihnen den Rücken frei zu halten. Aus Briefen geht hervor, dass diese vielfältigen Aufgaben durchaus für viele bereichernd waren und zu einem «erfüllten Frauenleben in der Mission» beitrugen.

Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Dagmar Konrad promovierte über das Thema «Missionsbräute» und arbeitet heute an einem Forschungsprojekt zum Thema «Missionskinder». Das Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und ist am Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Basel angesiedelt.


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Kulturentdecker

Betreten eines Dorfes in Indien ABM QC-34.006.0004


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Neugier und Forscherdrang Nach der Ankunft am neuen Ort begegnete Missionarinnen und Missionaren eine unbekannte Gegend, Landschaft und Sprache. Das «Missionsfeld» war in vielerlei Hinsicht noch unerforscht, viele Sprachen nicht verschriftlicht, Gebiete unkartografiert. Die fremde Kultur war faszinierend, auch für die Missionsfreunde in Europa. Und so führte die Begegnung mit dem Neuen dazu, dass Missionare zu Sammlern, Fotografinnen und Forschenden wurden – zu Kulturentdeckern.


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Angestellte der Mission zwischen 1901 und 1905 ABM E-30.16.047

Frühe Werber für die Mission Wie die Fotografie die Mission ins Wohnzimmer brachte Die Erfindung der Fotografie eröffnete der Missionsarbeit grandiose Werbemöglichkeiten. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte der Fotoapparat zur Ausrüstung des Missionars. Die Abbildungen fremd­artiger Menschen und ihrer Lebensumgebung faszinierte viele – und weckte ihr Interesse an der Mission. Von Andrea Kittel


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Fotografie, Kalimantan zwischen 1935 und 1938 ABM QB-30.110.0087

Missionare

gehörten neben Händlern, Kolonialbeamten und Naturwissenschaftlern zu den Ersten, die ausserhalb Europas fotografische Aufnahmen machten. Seit ihrer Erfindung im Jahre 1839 hatte sich die Fotografie mit geradezu revolutionärer Geschwindigkeit verbreitet. Sie wurde zu einer der populärsten Entdeckungen des 19. Jahrhunderts. Die Basler Missionsgesellschaft erkannte sehr früh die Möglichkeiten, die die neue Technik bot. Als Pioniere drangen die Missionare in die entlegensten Gegenden vor und machten sich mit der jeweiligen Kultur vertraut. Zur Dokumentation war das Fotografieren ideal. Bereits 1854 wurde dem Missionar Christian Georg Richter eine Kamera nach Südindien geschickt. Weitere Sendungen an andere Missionare folgten. Eine Einführung in die Technik des Fotografierens gehörte fortan zur Ausbildung im Basler Missionshaus. Die Bilder sollten zunächst bei der völkerkundlichen Schulung der neuen Kandidaten verwendet werden. Bald jedoch entdeckte man ihre besondere Qualität für den Einsatz in der Werbung. Exotik in der Wohnstube Jeder Missionar war verpflichtet, regelmässig über die Ereignisse in seinem Wirkungskreis zu berichten. Dazu gehörten Informationen über Land, Volk, Religion, Sitte und Leben der verschiedenen «heidnischen Stämme», der Aufbau missionseigener Einrichtungen sowie Bekehrungsgeschichten. Diese Berichte wurden in den regelmässig erscheinenden Missionszeitschriften abgedruckt – mit dem Hauptziel, in der Heimat Missionsfreunde zu gewinnen, die die Sache ideell und finanziell unterstützen. Durch eine, wie es schien, wirklichkeitsnahe Illustrierung gewannen die Schilderungen aus den Missionsgebieten enorm an Attraktivität. Nie zuvor dagewesene Abbildungen von fremdartigen Menschen, exotischen Tieren und gigantischen Pflanzen

Fotografie einer Hochzeit, Kamerun zwischen 1930 und 1939 ABM QE-30.121.0206

gelangten über die Missionsliteratur selbst in die kleinsten Dörfer und konnten in den Wohnstuben bestaunt werden. Die Unterstützerkreise wuchsen. Die Missionare sorgten für Nachschub an Bildern. Qualität statt Quantität Waren die fotografischen Verfahren anfänglich beschwerlich und wenig tropentauglich, wurden sie im Laufe des 19. Jahrhunderts durch handlichere Apparate und vereinfachte Entwicklungstechniken abgelöst. Um passende Bilder für die Werbung zu gewinnen, gab die Missionsgesellschaft zunehmend genauere Instruktionen an die fotografierenden Missionare. Unter dem Titel «Wünschenswerte Bilder» wurde 1904 im Amtsblatt der Basler Mission eine entsprechende Anweisung abgedruckt: «Beim Photographieren sehe man mehr auf gute Qualität der Bilder als auf grosse Quantität. Man vermeide es, so viel auf eine Platte zu bringen, dass die Deutlichkeit der einzelnen Figuren darunter leidet. Interessante Einzelheiten, wie z. B. einen netten Kinderkopf (…) oder eine schöne Frucht, nehme man besonders auf.» Darauf folgt eine lange Liste mit ge-


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«Weber an der Arbeit». Da es erst nach 1880 gelang, fotomechanische Reproduktionen herzustellen, wurden die Fotografien zunächst in Holzstiche übertragen. ABM QD-30.014.0056

eigneten Motiven. Darunter: «Anfänge von Stationsgründungen», «Bilder mit kleinen Gruppen von Missionaren, Schülern und eingeborenen Arbeitern», «Reiseleben zu Wasser und zu Land», «aus der täglichen Beschäftigung der Eingeborenen», «geografisch interessante Punkte», «Götzenbilder und andere religiöse Gegenstände».

Landeskirchliches Museum Ludwigsburg (Hrsg.) Der ferne Nächste. Bilder der Mission – Mission der Bilder (1997)

Reiseprediger Zeitschriften waren nicht die einzigen Werbemittel der Basler Mission. Auch Reiseprediger begeisterten Menschen in den Kirchgemeinden für die Mission. Ursprünglich hatten sie die Aufgabe, die Organisation lokaler Kollektevereine zu begutachten und nebenbei den Spendeneifer der Leute etwas aufzufrischen. Lange Zeit hatte das Missionskomitee diese Tätigkeit als notwendiges Übel zur Geldbeschaffung betrachtet. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, unter Inspektor Theodor Oehler (1884–1915), setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Reiseprediger auch die Aufgabe hätten, der heimatlichen Gemeinde «den vom Missionsfeld zurückströmenden Segen zu vermitteln.» Denn äussere Mission diente immer auch der inneren Mission – der Bekehrung der Ungläubigen im eigenen Land. Der persönliche Missionsvortrag galt nunmehr als wichtiges Werbemittel. In den Worten des Missionssekretärs Friedrich Müller 1912: «Da spricht Person zu Person, d. h., da können Menschenseelen in ihrem tiefsten Inneren angefasst, Menschengeister aufs Nachdrücklichste beeinflusst werden.»

Missionskoffer als mobile Museen Freilich war es notwendig, die Vorträge so attraktiv wie möglich zu gestalten. Viele Reiseprediger hatten früher schon ihre Reden mit Souvenirs aus den Missionsgebieten aufgelockert, hatten Schlangenhäute auf dem Altar ausgebreitet und fremdartige Pflanzen dargeboten. Ab 1904 nahm die «Museums-Kommission» in Basel das Ganze in die Hand und bestückte verschiedene «Missionskoffer», die den Regionen China, Indien, Kamerun und Goldküste zugeordnet waren. Dieses «mobile Museum» kursierte in der Schweiz, in Württemberg, in Baden und im Elsass. Die Koffer enthielten exotisches Anschauungsmaterial aus der ethnografischen Sammlung des Basler Missionshauses sowie Arbeitsproben aus den Knabenund Mädchenanstalten der Mission, Erzeugnisse aus der Missionsindustrie, Naturalien, Rohstoffe und auch verschiedenes Bildmaterial. Eine besondere Attraktion waren stereoskopische Bilder, die beim Betrachten durch einen optischen Apparat räumliche Wirkung erhielten. Dafür mussten die Motive mit einer speziellen Kamera im Augenabstand aufgenommen werden – eine frühe 3-DTechnik. Beliebter noch als die stereoskopischen Bilder waren grosse, an eine Leinwand projizierte Bilder. 1909 war für die Öffentlichkeitsarbeit der Basler Mission eine eigene «Lichtbilder-Kommission» eingerichtet worden, die in den folgenden Jahren den Einsatz von Glasdiapositiven bei Missionsvorträgen steuerte. Allein im Jahr 1912 wurden für rund 3000 Schweizer Franken Glasdias hergestellt. Das Medium Lichtbild war zwar kostspielig – die Produktion verschlang mehr als die Hälfte des Budgets der Öffentlichkeitsarbeit – aber für die Werbung war es mittlerweile unersetzlich. Die Lichtbildvorführungen zielten nicht in erster Linie darauf ab, Informationen anschaulich zu belegen, sondern durch die Faszination des Mediums auch Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht im Einzugsfeld der Mission befanden, vielfach sogar kirchenfern waren. Das Medium Film fand in der Öffentlichkeitsarbeit der Basler Mission ab 1928 zwar ebenfalls Verwendung, konnte aber das Lichtbild nicht verdrängen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts hatten die Glasdiapositive als visuelles Vorführmedium Priorität.

Die Kulturwissenschaftlerin Andrea Kittel ist zuständig für Ausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Für das Jubiläum der Basler Mission kuratiert sie die Ausstellung «Unterwegs zu den anderen. 200 Jahre Basler Mission in Württemberg», die 2015 in Stuttgart zu sehen ist.


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Auf der Suche nach dem afrikanischen Schwabenland

«Gold-Küste Afrika», 1892 angefertigt von H. Dorsch ABM D-31.9#2

Historische Karten als Zeugen der Missionsgeschichte Im Archiv der Basler Mission liegen viele Schätze. Darunter auch einzigartige Landkarten und Skizzen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Um Informationen über künftige Missionsfelder zu erhalten, kaufte die Mission damals teure, weil seltene Landkarten. Viele Gebiete waren aber noch gar nicht topografisch erforscht. Also wurden Missionare zu Kartografen. Von Guy Thomas

Im

Karte der Goldküste, 1885 ABM 97292

19. Jahrhundert erstand die Basler Mission ihr Kartenmaterial in Grossbritannien und Deutschland, im 20. Jahrhundert auch in Frankreich und den Niederlanden. Die Karten dienten im Wesentlichen der Ausbildung angehender Missionare und ihrer Reiseplanung. Zu China und anderen süd- und ostasiatischen Grossregionen existierten bereits vor 1800 verlässliche Karten, welche sich mitunter auf Erkenntnisse des frühen Handelsaustausches («Seidenstrasse») sowie auf chinesische Kartografie stützten. Für die anderen nicht europäischen Missionsgebiete gab es bis ins 19. und teilweise 20. Jahrhundert lediglich sehr rudimentäre topografische Informationen. Die Missionare verliehen den elementaren Kartenwerken jeweils einen besonderen Charakter, indem sie zum Beispiel Informationen aus eigener Erfahrung vor Ort eintrugen. Häufig skizzierten sie Kartenblätter auch neu. Sie nutzten diese Fertigkeit immer wieder, um Kartenvorlagen ihrer Tätigkeitsgebiete zu erstellen. Einer der herausragenden Kartografen in den Reihen der Basler Mission war Heinrich Dorsch, der von 1906 bis 1908 im Auftrag des berühmten deutschen Kolonialkartografen Max Moisel eine Kamerunkarte von bemerkenswerter Qualität anfertigte. Die DorschKarte blieb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Referenzkarte des Landes und geniesst auch heute noch hohe Anerkennung in der Fachwelt.


60 Kulturentdecker

Karte des s端dwestlichen Teils von Kamerun (enthaltend das Basler Missionsgebiet) von H. Dorsch, 1908 ABM 96106


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Sammlung, Bearbeitung und Nutzung kartografischer Daten: Beispiele aus Westafrika Berichte von früheren Missionaren, die nach der Ausbildung im Basler Missionsseminar in die anglikanische Church Missionary Society (CMS) aufgenommen wurden, enthielten gelegentlich Kartenskizzen, so auch ein Bericht von Jakob Friedrich Sessing aus Liberia im Jahr 1827. Sessing wurde nach viereinhalbjähriger Ausbildung in Basel 1827 nach Monrovia, Liberia, entsandt und später nach Sierra Leone versetzt, bevor er sich 1831 der CMS anschloss und 1836 nach Jamaika übersiedelte. Derartige Skizzen des westafrikanischen Küstenverlaufs halfen bei der Orientierung und Lokalisierung geeigneter Gebiete für ein fortdauerndes missionarisches Engagement. In den Rängen früh ausgebildeter Basler Missionare verdient namentlich Jakob Friedrich Schön Erwähnung für seine Beteiligung an der grossen Niger-Expedition von 1841. Schöns Hauptaufgabe war, die Kartierung des westafrikanischen Binnenlandes mit reger linguistischer Forschung zu verbinden, um geeignete einheimische Sprachen für die umfassende Evangelisierungsarbeit zu erkunden. Nicht zuletzt hat er damit einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Anerkennung der grossen regionalen, kulturellen und sprachlichen Vielfalt Westafrikas – und Afrikas schlechthin – geleistet. Den eingehenden kartografischen Aufnahmen und linguistischen Studien lagen weiträumige Erkundungen nach geeigneten Niederlassungen und Überlebensstrategien europäischer Missionare zu Grunde. Im Jahr 1838 unternahm Andreas Riis, ein Pionier der Basler Mission an der Goldküste (Ghana), zwei Expeditionsreisen in die Volta- und Akwamu-Region im Binnenland, auf der Suche nach neuen Standorten für Missionsstationen. Suche nach geeigneten Orten Die Reisen von Riis waren nicht primär wissenschaftlicher Natur. Vielmehr bestand seine Absicht darin, auf der Suche nach geeigneten Standorten für Missionsstationen das Umland besser kennenzulernen – Standorten, die dem Vorbild ländlicher Gebiete in Südwestdeutschland, der Schweiz oder seinem Herkunftsland Dänemark entsprechen würden. Ein solcher Standort war zum Beispiel Akropong im Hinterland Accras, wo Riis bis 1845 wirkte. Er erntete die Früchte seiner Arbeit zwar nicht, weil er 1854 im Alter von 50 Jahren starb, aber sein Name nimmt nebst denjenigen von Strömberg, Locher und Hornberger eine prominente Stellung auf einer Karte mit der Überschrift «Die Goldküste und westliche Sklavenküste sowie das südliche Asante-Reich in West Afrika», veröffentlicht von der Basler Mission im Jahr 1873, ein (siehe Seite 47).

Die nachfolgende Generation von Missionskartografen gab 1885 eine sehr detaillierte Karte der Goldküste heraus, kompiliert von Paul Steiner, Fritz Ramseyer, Adolf Mohr et al. Wenn auch der Name von Riis auf der späteren Karte nicht vermerkt ist, so weist ein Vergleich zwischen den beiden Karten deutliche Spuren der früheren Reisen von Riis auf. Eine dritte Karte, so scheint es, wurde als Vorlage für die gedruckte Fassung von 1885 von Paul Steiner erstellt, aber sie ist vergleichsweise ungenau. Und eine weitere Karte lässt den Beobachter zunächst etwas ratlos: Die sorgfältig gemalte Darstellung der Goldküste vermittelt eine gute Übersicht über das Missionsfeld der Basler Mission, ohne zunächst jedoch zu verraten, wo, wann und von wem sie angefertigt worden war. Auf ihrer Rückseite befindet sich aber eine Klebeetikette mit der Aufschrift «Heinrich Dorsch» und dem Jahr 1892. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte Dorsch allerdings noch nie afrikanischen Boden betreten. Stattdessen befand er sich noch in der Ausbildung im Missionsseminar in Basel. So können wir davon ausgehen, dass Dorsch, einem ausgebildeten Tiefbauzeichner, die Reproduktion der oben erwähnten Karte von 1885 als Aufgabe im Geografieunterricht am Missionsseminar erteilt worden war. Dies zeigt den Zusammenhang zwischen Sammlung und Bearbeitung kartografischer Information auf den Missionsfeldern und ihrer Verwendung in Basel. Es mag durchaus sein, dass Dorsch davon ausgegangen war, er sei für die Goldküste bestimmt. Dies war indes nicht der Fall, wurde er doch 1896 nach Kamerun ausgesandt.

Dr. Guy Thomas ist promovierter Afrikanist, Leiter Archiv und Bibliothek bei Mission 21 und Lehrbeauftragter im Fach Geschichte an der Universität Basel. Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Fachartikels «Missionskartografie und Weltbilder im Wandel», zu beziehen im Archiv der Basler Mission.

Onlinezugriff auf historische Bilder, Landkarten, Skizzen und Pläne In den vergangenen Jahrzehnten fand eine umfassende Digitalisierung historischer Bilder und Landkarten statt. Unter www.bmpix.org stellt das Archiv der Basler Mission 30 000 Bildquellen aus dem 19. und 20. Jahrhundert zur Verfügung. Im Jahr 2007 begann zudem ein Projekt zur Erfassung, Konservierung und interaktiven Nutzung von rund 7000 Landkarten, Skizzen und Plänen. Die Materialien wurden nach international gültigen Metadatenstandards erfasst. Die Website www.bmarchives.org wurde Ende 2012 lanciert. Eine besonders attraktive Funktion auf der Website ist das sogenannte Georeferencer Tool, das ermöglicht, einzelnen Kartenwerken und -skizzen ihre Koordinaten zuzuordnen. Die Website bietet einen innovativen Zugang zur Kolonial- und Missionsgeschichte sowie etwa zur raum- und wissenschaftsgeschichtlichen Forschung. Die Sammlung ist deshalb von global relevantem Stellenwert.


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Der «Sprachgesang» der Goldküste Wie ein Basler Missionar die westafrikanische Sprachwissenschaft begründete Johann Gottlieb Christaller machte als erster auf die Bedeutung der Töne in der Twi-Sprache aufmerksam. Damit schrieb der Missionar Sprachwissenschaftsgeschichte. Von Anke Schürer-Ries

Als

Johann Gottlieb Christaller ABM QS-30.006.0256.01

Johann Gottlieb Christaller am 25. Januar 1852 seinen Fuss erstmals auf den Sand der Goldküste setzte – so erzählte es der spätere schwarze Pfarrer Theophil Opoku – habe er diesen gefragt: «Wufi he?», «Wo bist du her?» Opoku, der den neu ankommenden Missionar gemeinsam mit Missionar Dieterle abholte, war erstaunt, dass ein Neuling ihn in seiner Sprache anredete und antwortete: «Mifi Akropong», «Ich bin von Akropong». «Eben da gehe ich hin», «ehoara na mereko», erwiderte Christaller. Bereits ihren ersten Missionaren legte die Basler Mission nahe, die einheimische Sprache so gut als möglich zu lernen. Dass Christaller diesen dringenden Ratschlag ernst nahm, zeigt der kurze Wortwechsel direkt bei Ankunft an der Goldküste, so überliefert in Christallers «Erinnerungen aus seinem Leben». Sprachkenntnisse waren unerlässlich, damit die Missionare verständlich unterrichten, predigen und mittelfristig ein Schulwesen für die bis dahin meist schriftlosen Völker einrichten konnten. Vor Christaller hatten bereits die Basler Missionare Andreas Riis und Johannes Zimmermann als Sprachforscher an der Goldküste gearbeitet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts schrieben sie Grammatiken, Fibeln und Bibelübersetzungen. Riis in der Sprache Twi, Zimmermann in Ga. Um die systematische Sprachforschung weiter zu entwickeln, schickte die Basler Mission daraufhin den besten Philologen des Missionshauses nach Westafrika: Johann Gottlieb Christaller, ein Schüler von Riis. Gemeinsam mit zwei Gehilfen, Jonathan, dessen Nachname nicht überliefert ist, und David Asante, lernte er die Feinheiten der Sprache verstehen und schrieb Erzählungen und Märchen, die Geschichte des Akan-Volkes und Sprichwörter auf. Er erweiterte die Sammlung von Twi-Sprichwörtern des Missionars Riis auf 3600 und gab 1875 eine weitere Grammatik sowie 1881 ein Wörterbuch heraus.

Der Sprachgesang Zwar war er nicht der erste Basler Missionar, der sich mit den einheimischen Sprachen auseinandersetzte, doch als Erster machte Christaller auf die Bedeutung ihrer Töne aufmerksam. Es war eine schwere Aufgabe für Europäer, die Tonlagen der meist einsilbigen Worte sowie die Veränderungen, die der Satzbau in der Tonhöhe bewirkte, zu erkennen. Dieses Prinzip mehrerer westafrikanischer Sprachen nannte er den «Sprachgesang». Er schrieb dazu in den «Erinnerungen aus seinem Leben», andere Europäer hätten die Erforschung desselben für «unmöglich» gehalten und deshalb als «hoffnungslos» aufgegeben. Christaller jedoch bewies mit Fleiss und Ausdauer und wohl auch dank einem besonderen Gehör und Talent, dass diese Unterschiede durchaus zu verschriftlichen sind. Im Detail beschrieben entdeckte er die Euphonie, das heisst die Verdünnung der Selbstlaute mit Rücksicht auf folgende helle Töne. Für die Verschriftlichung seiner Entdeckung nutzte er das von Professor Karl Richard Lepsius erfundene und nach ihm benannte Lepsius-Alphabet, eine Umschrift für fremde Sprachen und Schriften. Christallers Grammatiken zeigen seine Fähigkeit, die Regelmässigkeiten ebenso wie die grosse Bandbreite und Sprachkomplexität westafrikanischer Sprachen zu erkennen. Durch seine Arbeit gab er den Völkern der damaligen Goldküste eine Schriftsprache. Bibel und Gesangbuch Missionar Christaller bemerkte schnell, dass die Texte der Bibel nicht ohne Weiteres in die jeweilige afrikanische Sprache übersetzt werden konnten – vielmehr musste er sie in den jeweiligen kulturellen Kontext hinein übertragen. Wörter wie Sakrament, Theokratie oder kosmisch übersetzte er mit passenden Umschreibungen in der jeweiligen Sprache. Damit folgte er Luthers Tradition, keine Fremdwörter zu benutzen. «Es freute mei-


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Papa nni asas so Gutes ist nicht auf der Erde Enti na momma Darum lasset uns Yemfa soro kwan non o gehen auf des Himmels Weg; Enna yebenya dann werden wir bekommen Nkwa wo ho Leben daselbst.

Wörterbuch von J. G. Christaller, 1918 ABM D-30.64.154

nen Sprachgehilfen David Asante», schrieb Christaller über seine Übersetzungsarbeit, «wie seine Sprache im Ausdruck gewann». Seine Fähigkeit, die verschiedenen Tonhöhen zu erkennen, zu deuten und zu verschriftlichen, nutzte der sprachwissenschaftliche Missionar auch dazu, Liedtexte zu übersetzen. Diese an die europäischen Melodien anzupassen, war eine Herausforderung. Er meisterte sie, indem er viele Nächte mit der «Liederpoesie», wie er es nannte, zubrachte. Seine Interpretationen bilden bis heute einen Grundstein des weltweiten mehrsprachigen Kirchengesangbuchs. Und den Liedern verhalf er in den Missionsgebieten teilweise zu grösserer Bekanntheit, als sie in ihren Herkunftsländern hatten. Zum Beispiel «Himmelan, nur Himmelan» von Johann Gottfried Schöner.

Später Ruhm Die akademische Sprachwissenschaft blieb Christaller ihre Anerkennung lange schuldig. Insbesondere die deutsche tat sich schwer, einen Missionar ohne akademischen Abschluss für seine hervorragende Arbeit zu würdigen. Die vorgeschlagene Verleihung des Doktortitels an der Universität Tübingen verhinderte der Sanskrit-Forscher Professor Rudolph Roth, weil Johann Gottlieb Christaller den dafür notwendigen akademischen Grad «Maturum» nicht besass. Das Institut de France verlieh ihm zweimal den Volney-Preis. Jedoch erhielt er diesen nur an zweiter Stelle nach einem Hauptpreisträger, da die Sprachen der Westküste Afrikas zu dem Zeitpunkt von weniger als einer halben Million Menschen gesprochen wurden. Heute gilt Johann Gottlieb Christaller als der Begründer der linguistischen Sprachwissenschaft Westafrikas. Sein Sprachgefühl schlug sich in den Wörterbüchern in Akan, Twi, Ga, Kru und vielen anderen Sprachen des Kontinents nieder. Seine Wertschätzung der Sprachtraditionen Afrikas spiegelt sich einerseits in der Sammlung von Sprichwörtern in Twi wider, andererseits auch in seinen Bemühungen, eine einheitliche Schreibweise für Namen und Sprachen Westafrikas einzuführen. Mit seiner methodologischen Gründlichkeit und seinem Talent hat er einen bedeutenden Grundstein für die spätere Forschung gelegt.

Anke Schürer-Ries ist nicht mit dem Sprachforscher Riis verwandt, interessiert sich aber für die Sprachforschung in Afrika. Sie hat einen Master in African Studies und ist die Kuratorin der historischen Fotografien und historischen Landkarten im Archiv der Basler Mission.


64 Kulturentdecker

Ahnentafeln, Opiumpfeifen und Buddha-Figuren Die ethnografische Objektsammlung der Basler Mission

Opiumpfeife aus China

Fast 13 000 kulturhistorische Objekte im Museum der Kulturen Basel gehen auf die Sammlung der Basler Mission zurück. Diese war keineswegs geplant – sie ergab sich aus dem Interesse der Missionare. Von Alina Martimyanova

Als

die ersten Basler Missionare in ferne Länder zogen, waren diese für sie völlig fremd. Was sie dort vorfanden, war für sie neu, spannend, nie gesehen. Und so kam es, dass einige von ihnen begannen, für die Kultur typische Gegenstände zu sammeln und nach Basel zu bringen. Besonders fasziniert war davon Christian Gottlob Barth. Der deutsche Pfarrer war selbst nie ausserhalb Europas, bat aber Missionare, Handlungsreisende und Wissenschaftler, ihm Souvenirs mitzubringen. Kurz vor seinem Tod schenkte er 1860 seine ganze ethnografische Sammlung dem neu gebauten Missionshaus in Basel. Seine Sammlung umfasste rund 650 Objekte unter anderem aus China, Indien, Japan, Ägypten und verschiedenen afrikanischen Ländern. Für die Basler Mission war dies ein guter Grundstock für das hauseigene Museum. Bereits 1862 erschien der erste Sammlungskatalog. Die dritte Ausgabe aus dem Jahr 1888 zeigt, dass die Sammlung dazu dienen sollte «den Missionsfreunden ein möglichst getreues Bild des Zustandes, vor allem des religiösen Zustandes, der Völker, mit denen die Mission zu thun hat, zu geben und dadurch ihre Teilnahme an der Mission lebendig erhalten zu helfen». Dahinter stand vermutlich die ganz pragmatische Hoffnung, finanzielle Sponsoren zu gewinnen und der Arbeit der Mission zu mehr Ansehen zu verhelfen. Die Sammlung diente aber auch als Unterrichtsmaterial für die Seminaristen, um sie auf den Auslandseinsatz vorzubereiten. Später entwarf die Basler Mission thematische Missionsausstellungen, um das Wissen über die aussereuropäische Welt der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen.

Chinesische Sammlung aus dem Basler Missionsmuseum, um 1920

ABM QS-30.102.0006


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Ahnentempel und mehr aus China Besonders interessant ist die chinesische Sammlung der Basler Mission, die viele ihrer Objekte dem Missionar Otto Schultze verdankt. 1857 in Wiesbaden geboren, machte er später eine Ausbildung zum Gärtner und trat 1875 in die Mission ein. 1881 ging er nach China, wo er fast 39 Jahre blieb und vor allem bei verschiedenen Bauarbeiten der Missionsstation beteiligt war. Sein Interesse an der chinesischen Kultur zeigt sich in vielen Rapporten und Artikeln, die er über die chinesische Religion, Medizin, über den Ahnenkult oder Buddhismus schrieb. Am zweiten «Internationalen Kongress über allgemeine Religionsgeschichte» in Basel hielt er einen Vortrag über «Die Bedeutung der Magie im Leben der Chinesen». Unter den von ihm gesammelten Gegenständen finden sich Buddha-Figuren, ein Ahnenaltar und eine Drachenbildplatte aus DaliMarmor, einem chinesischen Marmor, der poliert besondere Maserungen zeigt. Beweise missionarischen Erfolgs Der chinesische Teil der Missionssammlung lässt sich in drei Kategorien einordnen. In der ersten finden sich Objekte mit Bezug zur Religion und zu Bräuchen, vor allem Figurinen aus Holz, Metall oder Porzellan, aber auch Altarteile, Ahnentafeln und Ähnliches. Da die lokale Bevölkerung solche Objekte nach ihrer Taufe abgab, wurden sie als materielle Beweise für die missionarischen Erfolge in die Schweiz gebracht. Die zweite grosse Gruppe von Objekten besteht aus Alltagsgegenständen, inklusive Keramiken, Essstäbchen, Opiumpfeifen oder Fächer. Sie erlauben es uns, das chinesische Leben im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis in das kleinste Detail zu rekonstruieren. Bildrollen, Malereien und Holzschnitte bilden die dritte grosse Objektgruppe und präsentieren verschiede Darstellungen aus der chinesischen Religion und Kultur. Eine riesige Anzahl von Textilien, darunter Kleider, Mützen und Schuhe, kann in eine separate Kategorie eingeordnet werden. Ein besonderer Teil der Sammlung besteht aus gedruckten Medien mit christlichen Themen, darunter Bücher und Plakate, die von Missionaren oder chinesischen Christen entworfen wurden. Chinesische Kultur hautnah Die erste öffentliche Ausstellung des Missionsmuseums eröffnete 1908. Sie zog so viele interessierte Besucherinnen und Besucher an, dass sie bald in eine Reiseausstellung umgewandelt wurde, die in über 40 Städten in der Schweiz und im Ausland gezeigt wurde. Diese Ausstellungen gaben Einblick in das Leben und die Bräuche der Missionsgebiete. Spezielle Räumlichkeiten wurden inszeniert, um das Leben in der fremden Kultur so anschaulich wie möglich darzustellen. So gab es im Ausstellungsbereich über Ostasien das Modell des chinesischen Ahnentempels zu

Dr. Christian Gottlob Barth

Otto Schultze und Sophie Schultze-Michel

ABM QS-30.008.0014

ABM QS-30.003.0707.01

bestaunen, das im Auftrag der Mission in China angefertigt wurde und mit Ahnentafeln und -porträts, Ehrenschirmen, Bildrollen und Schriften mit Glück verheissenden Aussagen geschmückt wurde. Zwei weitere Räume waren «das Gelehrtenzimmer» und «das Zimmer einer chinesischen Adligen». Beide wurden so lebensgetreu wie möglich gestaltet, sogar mit lebensgrossen Figuren ausgestattet. Weiter waren Installationen zu sehen, die das chinesische Kunsthandwerk, Textilien und Kleider, die Landwirtschaft, Literatur und christliche Ausbildung sowie die einheimische christliche Kunst aus China präsentierten. Die Sammlung heute 1981 übergab die Basler Mission ihre gesamte ethnografische Sammlung aus Platz- und Arbeitskraftmangel dem Museum für Völkerkunde, dem heutigen Museum der Kulturen in Basel. Sie umfasst knapp 13 000 Objekte. Der Grossteil der ostasiatischen Gegenstände wurde noch nicht gründlich erforscht. Für Forscher der materiellen Kultur stellen sie wertvolles Material dar, das viele miteinander verflochtene Geschichten erzählt. Geschichten des chinesischen Lebens im 19. und frühen 20. Jahrhundert und Geschichten von sorgfältiger und harter Arbeit der Mission, die viel Wissen über verschiedene Kulturen verbreitete. Die Objekte erzählen aber auch persönliche Geschichten einzelner Missionare, die mit vielen Chinesinnen und Chinesen in Kontakt kamen und, ohne es geplant zu haben, aufgrund ihres Interesses auch zu Forschern und Sammlern wurden. Alina Martimyanova studiert Kunstgeschichte Ostasiens und Sinologie an der Universität Zürich und arbeitet im Rahmen des Forschungsprojektes Zaigai Hihô Hidden Treasures Outside East Asia an der Objektsammlung der Basler Mission.

Stoffschuhe aus China MKB IId 9165a, b


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Brückenbauer

Sie schaffen Verbindungen zwischen Arm und Reich, Ost und West, zwischen Christen und Muslimen: Dieses Kapitel widmet sich Brückenbauern. Menschen, die an der Möglichkeit des Friedens zwischen den Religionen und Kulturen festhalten. Solchen, die sich gegen herrschende Systeme stellen und an einem menschenwürdigen Leben für alle arbeiten. Und auch denjenigen, die durch Begegnungen und Freundschaften produktive Ideen bekommen und umsetzen.


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Über Grenzen hinweg

Thomas Wüthrich von INCH Furniture bespricht die Herstellung des Beistelltischs «Loro» an der Holzfachschule PIKA in Indonesien. Foto: zVg/INCH


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«Ohne Vertrauen gibt es keinen Frieden» Interreligiöse Friedensarbeit in Indonesien Schlagzeilen machen in der Regel diejenigen, die im Namen der Religion verfolgen, zerstören und töten. Es gibt aber auch Menschen, die leidenschaftlich für den Frieden kämpfen. Mission 21 arbeitet mit einigen von ihnen zusammen. Zum Beispiel in Indonesien und Nigeria. Von Sara Winter Sayilir

«Als

mein ältester Bruder meine Mutter um Erlaubnis bat, eine muslimische Frau zu heiraten und zum Islam zu konvertieren, gab sie ihm ihren Segen», erzählt Dr. Darius Dubut, Christ und Mitbegründer des Dialogzentrums der Staatlichen Islamischen Universität in Yogyakarta (UIN). Seine heute 98-jährige Mutter stellte damals nur eine einzige Bedingung: «Vergiss nicht, dass deine Brüder Christen sind.» Nicht alle Indonesierinnen und Indonesier sind so tolerant und angstfrei wie die Mutter von Darius Dubut. Frisch sind noch die Erinnerungen an die massiven Gewaltausbrüche zwischen Christen und Muslimen nach dem Sturz des Diktators Haji Mohamed Suharto 1998. Damals schlugen landesweite Proteste gegen steigende Lebenshaltungskosten in interethnische und -religiöse Gewalt um. Seitdem ist das Land mit der weltweit grössten muslimischen Bevölkerung nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen. Die eigentlichen Ursachen der Zusammenstösse und Übergriffe sind nur selten genuin religiöser Natur: Meist spielen im Hintergrund politische Machtkämpfe eine Rolle, es stecken soziale Konflikte zwischen Arm und Reich oder Alteingesessenen und Zugewanderten dahinter. Um der Gewaltspirale ein Ende zu setzen, engagiert sich der 65-jährige Pfarrer Dubut seit mehr als 30 Jahren in der interreligiösen Friedensarbeit. Unterstützt wird er dabei von Mission 21, dem evangelischen Missionswerk Basel. «Religion ist zur omnipräsenten Rechtfertigung für Gewalt gegen andere geworden», erklärt Pfarrer Dubut dieses Phänomen. Er wollte das friedliche Vorbild seiner eigenen Familie nutzen, um anderen zu zeigen, dass verschiedene Glaubenssysteme sich nicht feindlich gegenüberstehen müssen. «Wir sollten die Unterschiede gemeinsam feiern, so wie meine Familie sowohl an

Weihnachten als auch zum Ende des Ramadans zusammenkommt», beschreibt er seine Vision. 85 Prozent der rund 240 Millionen Indonesierinnen und Indonesier bekennen sich zum Islam, etwa 9 Prozent sind Christen, gefolgt von Hinduisten und Buddhisten. Viele hängen auch einem animistischen Glauben an, die jedoch wegen der staatlichen Pflicht zum Bekenntnis zu einer der fünf Weltreligionen nicht gesondert erfasst werden. Dem Setara-Institut für Demokratie und Frieden – einer NGO mit Sitz in Jakarta – zufolge kam es allein 2013 zu 292 Übergriffen auf religiöse Minderheiten. Zentrum der Auseinandersetzungen ist dabei Java, doch auch in Nordsumatra und Sulawesi sowie anderen Provinzen gab es Feindseligkeiten. Fast ausnahmslos geht die Gewalt von sunnitischen Radikalen aus, die Opfer sind nebst Christen auch Anhänger muslimischer Minderheiten wie der Ahmadiyya, der Schia oder von Sufi-Orden. Torpediert von aussen und innen Deshalb geht es bei seiner Arbeit am Dialogzentrum der UIN, das von Mission 21 unterstützt wird, in erster Linie um Vertrauensaufbau. In interreligiösen Workshops kommen christliche und muslimische Jugendliche und junge Erwachsene zusammen, um zu lernen, wie sie sich im Alltag für ein friedliches und tolerantes Miteinander einsetzen können. «Die Basis allen interreligiösen Dialogs ist Freundschaft», ist Dubut überzeugt. Deshalb sei ein grosser Teil der Workshops dem Aufbau persönlicher Beziehungen gewidmet. Die Teilnehmenden werden in religiös gemischten Unterkünften einquartiert, gegenseitig zeigen sie sich ihre religiösen Rituale und Gepflogenheiten. In Kleingruppen diskutieren sie, was sie als grösste Bedrohung des Friedens in ihrer Gemeinschaft erleben. Und nach den Workshops


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Arbeitsrunde bei LK3 mit Darius Dubut (links), dem Mitbegründer des Dialogzentrums der Staatlichen Islamischen Universität in Yogyakarta Foto: Mission 21/Heiner Heine

Religion in Freiheit und Würde Seit ihrer Gründung engagiert sich Mission 21 für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher sozialer, religiöser oder ethnischer Herkunft. Mehr als 100 Kirchgemeinden unterstützen dieses Engagement im Rahmen von «Religion in Freiheit und Würde». Die vielfältigen Projekte in mehreren Ländern in Afrika und Asien arbeiten in den Bereichen interreligiöser Zusammenarbeit, Zugang zu Ressourcen, Advocacy, Trauma- und Versöhnungsarbeit sowie Opferund Aufbauhilfe. Angesichts sich vertiefender Gräben zwischen verschiedenen Gruppen plant Mission 21, ihr Engagement in diesem Bereich weiter auszubauen.

bleiben sie über interreligiöse Foren verbunden und setzen gemeinsame Aktivitäten um. Leider seien viele religiöse Würdenträger nicht allzu stark am interreligiösen Frieden interessiert, bedauert Dubut: «Viele von ihnen sind zufrieden mit dem Status quo.» Verstärkt würde die negative Haltung durch äussere Einflüsse. Dubut ärgert sich über die vielen «transnationalen religiösen Bewegungen» wie evangelikale Kirchen aus den USA, die radikale Ideen unter den Christen verbreiteten. Seiner Meinung nach handeln sie genauso unverantwortlich wie die radikalen islamistischen Bewegungen aus dem Nahen Osten, die mit ihrer Ideologie zu mehr Unfrieden und Feindschaft beitragen. Doch auch lokale Institutionen wie das staatliche Religionsministerium Indonesiens betrachteten die Bemühungen um interreligiösen Dialog mit Misstrauen, meint Dubut. Der Staat nehme seine Aufgabe, die Religionsfreiheit zu schützen, nur unzulänglich wahr.


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Pfarrer Dubut bringt seine Kenntnisse in zahlreichen weiteren Initiativen und Netzwerken zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Glaubensgemeinschaften ein, die ebenfalls von Mission 21 unterstützt werden. So arbeitet er beispielsweise mit dem Islamischen Institut (LK3) zusammen, einer islamischen Partnerorganisation von Mission 21. LK3-Leiterin Rafiqah ist sehr froh über die Zusammenarbeit mit anderen Religionen, auch wenn diese nicht immer einfach sei. «Die Medien spielen eine grosse Rolle. Sie verbreiten gezielt falsche Informationen über unsere interreligiösen Initiativen», ärgert sich die 35-Jährige. Werte statt Symbole Gemeinsam mit der Evangelischen KalimantanKirche (GKE) setzt sich LK3 in Kalimantan für die Einhaltung der Gesetze und die Ausübung der demokratischen Rechte ein. Das LK3 hat mittlerweile ein starkes interreligiöses Netzwerk aufgebaut, mit Bildungsarbeit in Koranschulen, Kursen, Jugendcamps und einer wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit, die von vielen Menschen und Institutionen gehört und gelesen wird. «Wir sollten weniger auf Symbole achten als auf Werte. Islam zum Beispiel steht für Toleranz und Ehrlichkeit. Diese Werte finden wir auch in anderen Religionen», beschreibt Rafiqah ihre Idee vom interreligiösen Miteinander. Und so pflanzt sie gemeinsam mit Angehörigen verschiedener Glaubensgemeinschaften Bäume, veranstaltet HIV/Aids-Präventionskampagnen oder fördert Frauen dabei, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. «Es ist nicht immer einfach, die jungen Leute davon zu überzeugen, bei uns mitzuarbeiten. Viele sind sehr geldorientiert oder einfach zu faul», erzählt sie. Dass ihre Arbeit Erfolg hat, zeigt sich unter anderem an der Haltung der Provinzregierung: So wurden in Südkalimantan die restriktiven Verbote während des islamischen Fastenmonats Ramadan wieder etwas gelockert.

eigenen und mit anderen Religionen. Es sei seine moralische Verpflichtung, seine ganz persönliche Berufung, erzählt er. In Yogyakarta organisiert die theologische Fakultät der Christlichen Universität «Duta Wacana» (UKDW) jedes Jahr ein einwöchiges Intensivseminar zum Islam. Angehende oder bereits ordinierte Pfarrpersonen bearbeiten hier zusammen mit muslimischen Dozierenden und Studierenden ein aktuelles, gesellschaftliches Thema aus islamischer Perspektive. Drei Tage verbringen sie währenddessen in islamischen Internaten. Oftmals ein prägendes Erlebnis, ist es doch meist das erste Mal, dass sie so nah am muslimischen Leben dran sind.

Mobilisierung über Social Media Die im mehrheitlich muslimischen Westjava tätige Christliche Pasundan-Kirche (GKP) ist auch über soziale Medien vernetzt. Rasch können so junge zugewandte Muslime mobilisiert werden, wenn wieder einmal eine Kirche von der Schliessung bedroht ist oder Christinnen sich gegen das Verbot einer Veranstaltung der schiitischen Minderheit wehren. Nach dem Motto «Nur gemeinsam sind wir stark» möchte die GKP ihr interreligiöses Engagement mit der jungen muslimischen Bevölkerung in Zukunft noch verstärken. Programmkoordinator ist GKP-Kirchenpräsident Supriatno im Auftrag von Mission 21. Seit den religiösen Unruhen von 1999 engagiert er sich für den Frieden. Mittels Gesprächen mit geistlichen Autoritäten anderer Glaubensgemeinschaften bemüht er sich um Verständigung innerhalb der

Süd-Süd-Austausch Eine besondere Erfahrung in der interreligiösen Friedensarbeit machten die indonesischen Partner von Mission 21 im Rahmen eines ungewöhnlichen Begegnungsprojekts: Organisiert vom evangelischen Missionswerk Basel reisten vier christliche und muslimische Friedensaktivistinnen und -aktivisten aus Nigeria für zwei Wochen nach Indonesien, um fern der Heimat Erfahrungen für die interreligiöse Friedensarbeit zu sammeln. Anders als in Indonesien existiert im 170-Millionen-Land Nigeria keine klare religiöse Mehrheit: Jeweils etwa 45 Prozent der Bevölkerung ordnen sich dem Islam beziehungsweise dem Christentum zu, 10 Prozent gehören traditionalen afrikanischen Religionen an. Vereinfacht gesagt, sind im Norden die Muslime, im Süden die Christen in

Nigerianische Friedensaktivistinnen und Friedenaktivisten kamen nach Indonesien, um Erfahrungen für die interreligiöse Friedensarbeit zu sammeln. Foto: Mission 21/Karin Praxmarer


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Teilnehmerinnen des Süd-Süd-Austauschs Foto: Mission 21/Karin Praxmarer

der Mehrheit – während die Städte durch Landflucht und Migration religiös durchmischt sind. Obwohl die internationalen Schlagzeilen von den Gräueltaten der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram dominiert werden, sind auch in Nigeria die Konflikte nicht auf religionsbezogene Faktoren zu reduzieren. Neben der konkreten Bedrohung durch Boko Haram im Nordosten sind es unter anderem die massive Armut – etwa 100 Millionen Menschen leben in Nigeria von weniger als einem Dollar pro Tag – sowie massive Migrationsbewegungen von Norden nach Süden, die zu Spannungen und Gewaltausbrüchen wie Mitte 2014 in Jos führen. An vielen Orten im Land ist die Sicherheitslage desolat, die Gewalt hat im Jahr 2013 über 400 Menschenleben gefordert. Viele ehemals gemischte Wohnviertel in den Städten sind inzwischen segregiert. Die Angst vor den jeweils anderen ist gross. Umso grösser das Erstaunen, als die nigerianische Delegation in Indonesiens Hauptstadt Jakarta die zweitgrösste Moschee der Welt betreten durfte. «Sie haben uns ihr Allerheiligstes

gezeigt», staunten die Gäste, «so etwas wäre in Nigeria niemals möglich.» «Im Gespräch mit unseren nigerianischen Freunden ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig unsere Arbeit ist», sagt Darius Dubut. Religiöser Radikalismus sei eine immer grössere Bedrohung, weshalb auch die Bemühungen, Freundschaft und Vertrauen zwischen den Religionen aufzubauen, immer wichtiger würden. Vieles könne man voneinander lernen. Der Kampf für ein friedliches Miteinander in Würde und Freiheit ende nicht an der Staatsgrenze, sondern müsse gemeinsam vorangebracht werden, so Dubut.

Sara Winter Sayilir hat Turkologie, Islamwissenschaft und Politik studiert und lebt als freie Journalistin in Basel. Bei Mission 21 arbeitete sie ein halbes Jahr in der Öffentlichkeitsarbeit.


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Thomas Wüthrich und Yves Raschle, die Gründer von INCH Furniture, am Basler Rheinhafen Foto: Mission 21/Claude Giger

Sitzbank «Jawa»

«Das Handwerk ist unser Dogma» PEP! – ein Freiwilligenprogramm, das lange nachwirkt Das Basler Label INCH Furniture von Yves Raschle und Thomas Wüthrich produziert Möbel, die nachhaltig sind – und international gefragt. Die erfolgreiche Geschichte begann mit einem Einsatz für die Basler Mission in Indonesien. Von Anna Wegelin

Der

Westquai im Basler Rheinhafen hat eine spezielle Aura. Jedes Mal, wenn ich in dieses geschäftige Niemandsland beim Dreiländereck zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich komme, packt mich das Reisefieber: Containerschiffe, die vor Anker liegen, bevor sie wieder den Fluss hinunter nach Rotterdam fahren; Güterbahnwagen, die von Männern in leuchtend oranger Arbeitskluft hin und her rangiert werden; Firmen, deren Existenz vom Wasser abhängt – von der Personenschifffahrt bis zum Logistikkonzern.

Stuhl «Satu»

Von Hand entworfen In einem ehemaligen Lagerhaus an der Westquaistrasse Nummer 62 entwerfen Yves Raschle und Thomas Wüthrich, die Macher des Labels INCH Furniture, ihre Möbel: Stühle, Tische oder Büchergestelle aus Teakholz und Stahl. Sie sind schlicht und harmonisch im Design und heissen zum Beispiel Jawa, Sanga oder Loro. Über 20 Pro-

dukte haben die beiden seit ihrer Firmengründung im Herbst 2004 entworfen – nicht etwa am Computer wie üblich in der Branche, sondern von Hand in ihrer Werkstatt am Westquai, wo sich auch das Büro und Lager befinden. «Wir verstehen uns als Designer und Produzenten», sagt Raschle. «Das Handwerk ist unser Dogma.» Bei industriell hergestellten Massenmöbeln zähle die Funktionalität, bei Designermöbeln gehe es primär um die Form und allenfalls noch den Brand, erklärt er: «Wir hingegen begreifen Design als ganzheitlichen Produktionsprozess.» Und weiter: «Möbel haben ein langes Leben, vom Material bis zum fertigen Produkt. Uns interessiert, welchen Sinn die Arbeit macht und welche Spuren sie hinterlässt.» Gelegt wurden die Spuren, die zur Firmengründung führten, während eines sechsmonatigen Arbeitsaufenthalts mit der Basler Mission in Indonesien. «Wolkenkino» in Mandomai Raschle und Wüthrich lernten sich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel kennen. Nach ihrer Ausbildung in Produktdesign suchte Wüthrich einen Zivildiensteinsatz, während Raschle die Abenteuerlust packte. Er wollte ein weiteres Mal mit dem PEP!-Weiterbildungsprogramm (Professionals Exposure Program) von Mission 21 ausreisen, mit dem er zuvor in Kamerun im «Prescraft»-Produktionszentrum zur


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in Semarang an der Nordküste von Java. «So hat alles begonnen», erzählt Raschle. «Wir haben uns während diesem Zivildiensteinsatz in Kalimantan in Land, Leute und Kultur verliebt und dabei viel über globale Zusammenhänge gelernt», ergänzt sein Geschäftspartner. Als die beiden im Sommer 2004 von ihrem Einsatz mit der Mission in die Schweiz zurückkehren, gründen sie ihr Label INCH Furniture. IN für Indonesien und CH für Schweiz ist Programm für ihre interkulturelle Geschäftsbeziehung: Der Wertschöpfungskreislauf beginnt mit ihren regelmässigen Besuchen bei PIKA. Er schliesst sich am Basler Westquai, wenn ein Container auf der Rampe von INCH Furniture abgeladen wird. Die beiden Schweizer entwerfen, entwickeln und planen die Möbel, das Team von PIKA baut sie. «Wir erhalten nicht hochwertiges Möbelhandwerk von unseren indonesischen Partnern, weil wir ihnen Top-Businesspläne mitbringen», fasst Raschle zusammen. Es seien vielmehr der Wissenstransfer und eine intensive gegenseitige Beziehung auf Augenhöhe, die in qualitativ hochstehendes, solides Handwerk münde.

Förderung der einheimischen Handwerkskunst gearbeitet hatte, ein Projekt zur Sicherung der Lebensgrundlagen (vgl. Seite 25). Die beiden lasen ein Stelleninserat, das ihnen auf den Leib geschrieben war: Die Basler Mission suchte zwei Produktdesigner auf Zeit für die Holzfachschule Mandomai in Indonesien. Die Aufgaben: Gemeinsam mit den Studierenden neue Produkte entwickeln und zur einheimischen Handwerkskunst der Dayak-Urbevölkerung recherchieren. «Wir wussten sogleich, das sind wir», sagt Wüthrich. Ihr erstes Reiseziel war die Stadt Yogyakarta auf Java. Einen Monat lang gingen sie in den Indonesischunterricht, sechs Stunden pro Tag an sechs Tagen die Woche. «Und abends fragten wir gegenseitig Wörtli ab», so Raschle. Hart sei der Sprachkurs gewesen, aber auch vital für ihren Einsatz in Mandomai, das in Zentral-Kalimantan auf der Insel Borneo liegt: Ausser dem Leiter der Holzfachschule verstanden nur wenige Englisch. Wie war der erste Eindruck von ihrem Zuhause auf Zeit? «Ein Haus auf Stelzen am Fluss – und von der Terrasse aus Wolkenkino und ein Blick ins Flache, soweit das Auge reicht», so Wüthrich.

Beistelltisch «Tuju»

Interkulturelle Geschäftsbeziehung Zurück nach Yogyakarta: In einer Pause vom Vokabel-Pauken besuchten Raschle und Wüthrich die Holzfachschule mit Schreinereibetrieb PIKA

«Kahl geschlagene Insel» Die Zeit mit der Mission in Mandomai werden die zwei nicht so schnell vergessen. Wüthrich: «Du betrittst Wohnungen, in denen alle am Boden sitzen und fragst dich als erstes: Wieso will ich überhaupt einen Stuhl machen?» Wichtig sei für sie auch die direkte Erfahrung mit der Kehrseite der globalisierten Wirtschaft gewesen: «Ich dachte, wir gehen auf eine Urwaldinsel. Wir begegneten einer kahl geschlagenen Insel.» «Dort in Wirklichkeit anzutreffen, worüber man hier liest, war eine intensive Erfahrung», meint auch Raschle. Zu erleben, wie der primäre, ursprüngliche Regenwald zerstört wird, ist mit ein Grund, weshalb INCH Furniture Tropenholz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung benutzt. Das Teak stammt von Kulturwäldern auf Java, die eigens für ihre spätere Verwendung angelegt wurden. Nicht ohne die Mission Der Weg vom Zivildiensteinsatz in Kalimantan zum erfolgreichen Möbellabel in der Schweiz war weit. Die Verbindung zu Mission 21 bleibt eng. «Die Basler Mission hat uns viel Vertrauen entgegengebracht, dafür sind wir ihr sehr dankbar», sagt Thomas Wüthrich. Und Yves Raschle meint: «Ohne diesen Einsatz wäre INCH Furniture nie entstanden.»

Anna Wegelin, bis Ende 2014 Leiterin Öffentlichkeitsarbeit und Medienbeauftragte bei Mission 21, ist Kommunikationsfachfrau und Kulturjournalistin. An der Geschichte von INCH Furniture gefällt ihr der überraschende Weg vom Missionseinsatz zum Möbellabel.


74 Brückenbauer

Befreiende Theologien Die Arbeit der Basler Mission in Lateinamerika Seit Jahrzehnten kämpfen Menschen in Lateinamerika für Selbstbestimmung und Menschenwürde, gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Bedeutend war dabei ab den 1960er-Jahren die «Theologie der Befreiung». Von Dorothee Adrian

«1974

stand Lateinamerika in Flammen und Aufruhr. Despotische Militärdiktaturen, oft mit Unterstützung der USA, waren an der Macht. Christen und Christinnen, christliche Gruppen und Institutionen, die sich für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit engagierten, wurden als Kommunisten verfolgt. Menschenrechtsverletzungen und das ‹Verschwinden› von Verfolgten waren an der Tagesordnung. Besonders sozial engagierte evangelische Kreise und indigene Organisationen mussten einen hohen Blutzoll bezahlen. Die ‹Theologie der Befreiung› versuchte, in dieser Situation Antworten zu finden.»

Eine Slumsiedlung in Lima, Peru, in den 1980er-Jahren Foto: Mission 21/Andreas Stämpfli


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In diesem Kontext begann die Zusammenarbeit der Basler Mission mit lateinamerikanischen Partnerkirchen, so beschrieben im Jahresbericht 1994 der Basler Mission. Die späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre waren geprägt durch das Gedenken der «quinientos años», der 500 Jahre seit der Eroberung Lateinamerikas. Diese unheilvolle, tragische und grausame Geschichte von Unterdrückung, Ausbeutung und Ermordung grosser Teile der indigenen Bevölkerung hat bis heute ihre Spuren hinterlassen. «Die Identifizierung des Christentums mit der Kultur des Westens, als ihrer einzig gültigen Ausdrucksform, muss als koloniales Relikt überwunden werden», schreiben das katholische Missionswerk «missio» und die KEM (Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen in der Schweiz) in ihrer gemeinsamen Broschüre für das Jahr 1992 in Gedenken an die Eroberung Lateinamerikas, «Mission – 500 Jahre danach». Eine «epochale Wende» im Missionsverständnis sei nötig: hin zu einer Mission, die befreit. Befreiende Theologie Die importierte westliche Theologie hatte immer wieder verkündet, die indigene Kultur passe nicht zum christlichen Glauben. Es war oftmals eine Theologie der Mächtigen, gestützt durch die Römische Kirche. Seit den 1960er-Jahren war eine eigene, lateinamerikanische Theologie immer lauter und deutlicher hörbar geworden. Eine «Theologie von unten», eine Theologie der Armen: die «Befreiungstheologie». Peter Gessler, Lateinamerikareferent der Basler Mission von 1988 bis 1993, schreibt in einem Reisebericht: «Die Basis sind die Unterdrückten, die Bauern, die Arbeiter, die Benachteiligten, die Armen. Wie teilst du dein Leben mit den Armen? Das ist die entscheidende Frage.» Die Theologie der Befreiung drücke «ein neues christliches Selbstverständnis aus, das aus der lokalen Situation heraus wächst, aus den Gemeinden und Gruppen, die an der Basis des Volkes entstanden sind. (…) Sie gewinnen die Diakonie zurück als praktische Solidarität, Engagement für die Menschenrechte, politische Verantwortung». Mit den Augen der Benachteiligten lernten viele Christinnen und Christen weltweit, das Evangelium neu zu lesen, und drückten dies durch den Satz aus: «Die Armen evangelisieren uns.» Diese fanden zu einem neuen Selbstbewusstsein, indem sie einen Jesus entdeckten, der auf ihrer Seite stand. «Wir selbst schreiben heute das Neueste Testament, mit unserem Leben», sagten sie. Der damalige Präsident des Lateinamerikanischen Kirchenbundes (CLAI), der methodistische Bischof Federico Pagura, schrieb Ende der 1980er-Jahre den Tango «Tenemos Esperanza». Im Kontext von 500 Jahren Unterdrückung und Widerstand beschreibt er darin die Menschwerdung Gottes als Hoffnung

für die Unterdrückten: «Gegen den Ehrgeiz der Geschäftemacher hat er gekämpft und gegen jede Lüge; den Frauen und Kindern eigenen Wert gegeben, aber diejenigen abgewiesen, die stolz und hart sind.» Der melancholische Tango drückt auch die Sehnsucht nach dem Reich Gottes aus, in dem den Entrechteten Recht zugesprochen wird. Er wird bis heute in Lateinamerika viel und gerne gesungen.

Die Militärs demonstrierten immer wieder ihre Macht, wie hier im peruanischen Ayachucho bei einer Militärparade am Nationalfeiertag, 18. Juli 1976. Foto: Mission 21/Hugo Zumbühl

Aufbrüche unterstützen Die Basler Mission begann 1974, mit lateinamerikanischen Kirchen und Organisationen zusammenzuarbeiten, um diese zu stärken. Sie lancierte keine eigenen Projekte, gründete keine Organisationen, sah sich immer als Partnerin. Mehr als einmal heisst es in damaligen Jahresberichten: «Mir scheint, dass wir hier in Europa viel mehr von den Geschwistern in Lateinamerika lernen können als umgekehrt.» Die Basler Mission unterstützte den Aufbruch vieler Kirchen zu mehr Selbstständigkeit und die Bestrebungen nach ökumenischer Zusammenarbeit, die sich nicht immer einfach gestaltete. Sie ermutigte zu befreiender und andiner Theologie. Bis heute befürwortet Mission 21 eine solche Theologie, die die kulturelle Identität mit einbezieht und dadurch fördert. Sie investiert seit den Anfängen in die Ausbildung von künftigen Kirchenleitenden, in Projekte zur Förderung des Kunsthandwerks und Einkommens sowie in landwirtschaftliche Projekte. All diese Bereiche hängen eng zusammen, sind kleine Schritte hin zu einem «Leben in Fülle für alle». Dieser Ausdruck aus dem Johannesevangelium ist vielen Menschen in Lateinamerika sehr wichtig geworden, sagt Peter Gessler. Existenziell, politisch, kämpferisch Zu den Dingen, die europäische Christinnen und Christen von denen Lateinamerikas lernen konnten und können, gehört die politische Dimension


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des Glaubens: «In Westeuropa können Christen ziemlich unpolitisch leben», schreibt Peter Gessler 1985, «denn in der Politik geht es bloss um bessere oder schlechtere Verwaltung in einem gut funktionierenden Staat. In Lateinamerika geht es in der Politik um Leben oder Tod, um eine grundlegende Option für die Armen oder für die Reichen.» Den zwingenden Zusammenhang zwischen lebenspraktischen Fragen und dem christlichen Glauben machte Milton Schwantes bei seinem Besuch in Basel zum Missionsfest 1992 deutlich. Der brasilianische Befreiungstheologe war auf Einladung Gesslers gekommen und sagte damals: «Nur wenn das Evangelium an die Wurzeln geht, dann kommen wir an die Probleme des Lebens heran.» Wenn jemand existenziell bedroht sei, weil er oder sie kein Land mehr besitze, dann sei dies ein Problem für die Gemeinde, so Schwantes weiter. In Peter Gesslers Worten: «Christliche Gemeinschaft muss eine

Jenny Alfaro brachte 1991 mit ihrem Bild den Kampf der «madres del vaso de leche» zum Ausdruck. Frauen kämpfen gegenüber einem Polizisten dafür, dass das Milchpulver bei ihnen ankommt, statt in korrupten Kanälen zu versickern. Bild: Geschenk von Jenny Alfaro an Peter Gessler, zVg

Materialität haben, eine Lebenswirklichkeit: Sie gründet darauf, dass Menschen ihr Leben teilen.» Dieses Leben-Teilen äussert sich tausendfach in Bewegungen, Projekten und umgesetzten Ideen. In einem Slum von Lima schlossen sich beispielsweise Mütter zusammen, die täglich Milch für die Kinder kochten und verteilten. Das Milchpulver kam von ausländischen Hilfsorganisationen und wäre sonst sehr wahrscheinlich in korrupten Kanälen versickert. Seit über 30 Jahren gibt es nun die von kirchlichen Gruppen unterstützten «madres del vaso de leche», die «Mütter des Glas Milch», die sich bis heute für eine gesunde Ernährung der Kinder in den Slums einsetzen. Heutige Theologien Was ist heute, rund 40 Jahre nach ihren Anfängen, aus der «Theologie der Befreiung» geworden? Ihre Themen haben sich aufgefächert,


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Die Basler Mission unterstützt ökumenische Aufbrüche in Lateinamerika. So auch die Gründung des Kirchenbundes CLAI, zu der junge Menschen 1982 auf der Strasse singen. Foto: Mission 21/Peter Jesse

sodass man von den Theologien der Befreiung sprechen müsse, sagt Silvia Regina de Lima Silva. Die brasilianische Theologieprofessorin leitet das Ökumenische Forschungsinstitut DEI in Costa Rica und ist Mitglied der Missionssynode – dem Parlament – von Mission 21. Um die anfangs sehr wissenschaftliche Befreiungstheologie auf die lebenspraktische Ebene zu bringen, entwickelten sich auf dem ganzen Kontinent Gruppen für gemeinsame Bibellektüre, die «lectura popular de la biblia». Diese Methode hat auch Hansueli Meier angewandt. Der Pfarrer ist bei Mission 21 Programmverantwortlicher für Chile sowie lateinamerikaweite Projekte und arbeitete drei Jahre in Bolivien als Studienleiter. «Bei der ‹lectura popular de la biblia› geht es nicht nur darum, Zuspruch in der Bibel zu finden, sondern auch darum, den Anspruch an das eigene Leben herauszulesen», berichtet er. Die Lektüre geht zunächst von der eigenen Realität aus, betrachtet dann den Kontext des Textes, um schliesslich zum konkreten Handeln zu kommen. Die Gesellschaft verändern «Wenn wir in Bezug auf unsere lateinamerikanischen Partner von Theologie sprechen, handelt es sich um eine Theologie, die in der Gesellschaft Veränderungen bewirken soll», sagt Hansueli Meier. Es sei nie eine «Theologie zum Selbstzweck». Oft gehe es darum, dass soziale Unterschiede verringert werden; dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wertgeschätzt werden; dass sie in mehr Gerechtigkeit zusammenleben und ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen können. In diesem Sinne arbeiten auch die heutigen Partnerorganisationen von

Mission 21 – sowohl theologische Ausbildungsstätten als auch sozial engagierte Nichtregierungsorganisationen – in der Tradition der Befreiungstheologie. Die Frage, wovon oder wozu jemand befreit werde, sei heute jedoch weniger eindeutig als damals, so Hansueli Meier. Die Welt ist mit der Globalisierung komplexer geworden, und somit auch die Probleme, mit denen Menschen konfrontiert sind. Deshalb, betont Silvia Regina de Lima Silva, müsse Theologie immer vom Leben ausgehen und nicht umgekehrt. Die Ausbeutung der Natur, die Folgen der Privatisierungen, die Kluft zwischen Arm und Reich, die Diskussionen um Familienmodelle und sexuelle Identitäten: All das seien Themen für die Theologie. Gerade erst forderten bolivianische und peruanische Theologinnen bei einem gemeinsamen Kongress in La Paz eine «Theologie der Küche»: Der christliche Glaube sei nichts Vergeistigtes, sondern durchdringe jeden einzelnen Tag.

Dorothee Adrian studierte Romanistik, Kulturwissenschaften und Soziologie in Münster/Westfalen und Granada/Spanien, hat seit 1999 bei verschiedenen Radiosendern gearbeitet sowie für diverse Publikationen geschrieben und ist heute Redaktorin bei Mission 21.


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Frau Wang und die alte Mädchenschule Das Erbe der China-Missionare 1847 kamen die ersten Basler Missionare nach China. Sie predigten nicht nur das Evangelium, sondern erforschten auch die regionale Hakka-Sprache, bauten Schulen und Spitäler. Das Erbe der Basler Mission in Hongkong und China ist bis heute sichtbar. Darüber berichtet Tobias Brandner, Theologe und ökumenischer Mitarbeiter von Mission 21 in China und Hongkong. Von Tobias Brandner

Primarschule Kayin: gemeinsames Singspiel, anlässlich des 60-Jahre-Jubiläums der Hakka-Kirche 1936

Shenzhen

ist eine Stadt ganz im Süden Chinas, direkt an die Grenze zu Hongkong gebaut. Vor 35 Jahren war Shenzhen noch ein kleines Dorf, das von Ackerbau und Fischerei lebte. Keines der Häuser hatte mehr als vier Stockwerke. Heute ist Shenzhen eine Stadt mit 10 Millionen oder mehr Einwohnern – niemand weiss das so genau – mit unzähligen Wolkenkratzern. Autobahnen, U-Bahn und Hochgeschwindigkeitszüge führen durch diese junge Grossstadt. Shenzhen verdankt

ABM A-30.85.105

ihr enormes Wachstum der ökonomischen Erneuerung Deng Xiaopings, dem politischen Führer Chinas nach der Herrschaft Maos, der dort eine Sonderwirtschaftszone einrichtete, um ausländische Investitionen anzulocken. Alles an Shenzhen ist neu. Doch halt, da, mittendrin steht ein altes Haus, vielleicht eines der ältesten Häuser dieser Stadt. Es ist die ehemalige Mädchenschule der Ortschaft Longheu, die heute einen Stadtteil Shenzhens bildet. Die Schule Fromm und Rein, wie man den wohltönenden


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chinesischen Schulnamen übersetzen könnte, wurde vor 125 Jahren von der Basler Mission gegründet. Nur noch das Gebäude steht, denn die Schule ist gewachsen und in grössere Räumlichkeiten weitergezogen. Eine chinesische Beamtin schützt ein Basler Denkmal Dass die alte Schule nicht dem Abbruchwahn des modernen Chinas zum Opfer gefallen ist, ist einer aufmerksamen und interessierten Beamtin des städtischen Kulturdepartements zu verdanken: Wang Yan Xia fand Gefallen an dieser Schule, begann, Recherchen über ihre Geschichte anzustellen und reiste dafür sogar ins Archiv der Basler Mission, von wo sie fasziniert und begeistert zurückkehrte. Nicht nur konnte sie ihre Vorgesetzten davon überzeugen, die für eine aufwendige Renovation notwendigen Gelder freizugeben. Inspiriert von dem, was sie über die frühen Missionare hörte und las, hat sie auch begonnen, sich mit der Geschichte der christlichen Mission in China zu beschäftigen. Bildungsarbeit seit 1847 – auch für Mädchen Von den frühesten Anfängen an, als die ersten Missionare der Basler Mission 1847 in Hongkong ihre Arbeit unter den Hakka-sprachigen Chinesen aufnahmen, gehörte Bildung zu den Grundpfeilern des missionarischen Wirkens. Bildung, das wussten diese Missionare, wurde in der chinesischen Gesellschaft hoch geschätzt, denn nur gute Bildung ermöglichte gesellschaftlichen Aufstieg und möglicherweise sogar die Aufnahme in den Beamtendienst. Doch die Basler Missionare wollten mehr als das: Auch Mädchen sollten in den Genuss von Bildung gelangen. Zwar waren die Beweggründe noch durchaus traditionell: Mädchen sollten eine speziell auf sie zugeschnittene Bildung erhalten, die aus ihnen gute Ehefrauen und Mütter christlicher Familien formte, die fähig sind, die Bibel zu lesen und ihren Kindern die biblischen Geschichten zu erzählen. Dennoch war der Schritt unüblich, denn in der chinesischen Gesellschaft erschien Bildung für Mädchen als Verschwendung, da diese gemäss chinesischem Familienverständnis in eine andere Familie einheiraten und der eigenen Familie weder Nachwuchs noch Geld oder Arbeit einbringen würden. So gaben die von den Missionaren gegründeten Mädchenschulen Generationen von jungen Frauen die Möglichkeit, durch Bildung über den Rahmen eng definierter Rollen hinauszuwachsen, ja sich von Fremdbestimmung zu emanzipieren und intellektuelle und damit auch gesellschaftliche Befähigung zu erwerben. Hakka-Sprachforschung Doch die frühen Basler Missionare standen vor einem Problem: Die Leute, an die sie sich wandten, sprachen Hakka, eine eigene chinesische

Sprache, die von anderen chinesischen Sprachen etwa so weit entfernt ist, wie verschiedene romanische Sprachen voneinander. So begannen sie kurzerhand, selbst Schul- und Sprachbücher zu schreiben, um die Kinder der Hakka zu unterrichten. Die Hakka-Wörterbücher der Basler Missionare haben eine Grundlage gelegt für die Erhaltung und Kodifizierung der Hakka-Sprache. Heute propagiert der Einparteienstaat die Einsprachigkeit. Nur das Putunghua (wörtlich ‹die Normalsprache›), ursprünglich die Sprache des Nordens und zentraler Landesteile, soll unterrichtet werden. Die Einheit des Landes soll nicht durch Vielsprachigkeit gefährdet werden. Demgegenüber bildet die sorgfältige Pflege einer Regionalsprache, die nur von Menschen in einem bergigen Randgebiet des grossen chinesischen Reiches gesprochen wird, eine kleine Insel der Dissidenz im Zwang der Einsprachigkeit. Auch heutige Sprachwissenschaftler – meist aus Übersee – die an der Erhaltung der Hakka-Sprache arbeiten, stützen ihre linguistische Arbeit noch auf die von den Basler Missionaren gelegten Grundlagen. Missionare Walter und Fischle in Hongkong ABM A-30.83.077


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Hakka-Frauen, Provinz Guangdong, zwischen 1921 und 1928 ABM QA-30.006.0026

Die Basler Mission in China Die Basler Mission (BM) gehört zu den frühesten Missionswerken, die in China aktiv waren. Die protestantische Missionsbewegung in China begann im Jahr 1807 mit Robert Morrison. 30 Jahre später wirkte immer noch nur eine kleine Gruppe von Missionaren in China. Einer davon war Karl Gützlaff aus Deutschland. Er überzeugte die Leitung der BM, Missionare nach China zu schicken. So kamen 1847 Rudolf Lechler aus Süddeutschland und Theodor Hamberg aus Schweden. Sie konzentrierten sich auf

die Evangeliumsverkündigung unter den Hakka. Die Hakka gehören ethnisch zu den Han-Chinesen, doch bilden sie eine eigene sprachliche und kulturelle Gruppe innerhalb des riesigen chinesischen Reiches, die sich, von Zentralchina kommend, meist in den hügeligen Berggebieten Südchinas ansiedelten. Hart und zäh arbeitend, lebten sie oft in Spannung mit der ursprünglichen Lokalbevölkerung. Die aus der Arbeit der Basler Mission hervorgegangene TsungTsin-Kirche (Tsung Tsin Mission TTM), was übersetzt «die Kirche der Anbetung des wahren Gottes» heisst, wurde 1924 selbstständig. Bis 1949, als unter dem Druck der kommunistischen Regierung die kirchliche Tätigkeit fast eingestellt wurde, gründeten die BM/TTM 167 Gemeinden, 158 davon in China. Die meisten die-

ser Gemeinden existieren auch heute noch, allerdings nicht mehr unter dem Namen TsungTsin-Kirche, sondern als Gemeinden der post-denominationellen christlichen Kirche in China. Viele Gemeindemitglieder erinnern sich der Ursprünge ihrer Kirche in der Arbeit der BM. Im von China administrativ separaten Hongkong existiert die Tradition der Tsung-Tsin-Kirche weiter. Sie ist auf unterdessen 26 Gemeinden gewachsen. Neben Gemeinden gründeten die Missionare aus Basel zwei Spitäler, mehrere Schulen und ein theologisches Seminar. Die Spitäler und die Schulen in China wurden verstaatlicht; Das theologische Seminar schloss sich mit anderen theologischen Seminaren zusammen zur heutigen Divinity School of Chung Chi College, die einen Teil der Chinese University of Hong Kong bildet.


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Widerstand gegen westliches Christentum In den ersten Jahrzehnten war die von der Basler Mission unter den Hakka gegründete Kirche eine der erfolgreich wachsenden Kirchen, doch insgesamt wuchsen die Kirchen der westlichen Missionswerke nur sehr langsam. Zum einen gab es politische Widerstände gegen die Verbreitung dieses fremden Glaubens, denn der Kaiser sah sich selbst als religiöses Oberhaupt aller Chinesen; zum anderen fanden viele Chinesen, dass christlicher Glaube ein westlicher Glaube war, der die Menschen der chinesischen Kultur entfremde. Es herrschte die weit verbreitete Haltung, dass «jeder Christ ein Han-Chinese weniger» war, denn nicht nur christlicher Glaube kam aus dem Westen, sondern ebenso koloniale Angriffe auf China. Das wurde erst anders, als 1949, nach dem Sieg der kommunistischen Revolution und der kriegerischen Auseinandersetzung Chinas mit den USA während des Koreakrieges, alle westlichen Missionare des Landes verwiesen wurden. Während 30 Jahren konnten chinesische Christinnen und Christen ihren Glauben nur im Verborgenen praktizieren. Neuentdeckung eines asiatischen Christentums Doch was zunächst als Bestrafung und Unterdrückung des Christentums erschien, entpuppte sich als der Anfang eines enormen Wachstums: Jahrzehnte des radikalen Kommunismus, das Chaos

der Kulturrevolution der 1960er- und 1970er-Jahre und der wirtschaftliche Wandel Chinas seit den 1980er-Jahren liess viele Menschen entwurzelt und desillusioniert zurück. Die hehren Werte des frühen Kommunismus wurden ebenso schnell aufgegeben, wie sie nur wenige Jahrzehnte zuvor zur alleinigen und zwingenden Wahrheit für alle eingeführt worden waren. Viele Menschen begannen, in der kommunistischen Partei nur noch ein inhaltsloses Instrument des Machterhalts zu sehen. Und die gezielte Ruhigstellung der Bevölkerung durch masslosen Konsum erschien immer mehr Menschen hohl. Das sind einige der Gründe, weshalb Menschen in China heute nach alternativen Werten und Sinnorientierungen suchen. Im Christentum entdecken sie eine eigenartige Mischung von (monotheistischer) Klarheit, solidarischem Sinn und uneigennütziger Leidensbereitschaft sowie moralischer Relevanz, die eine Alternative bietet zu Konsumrausch und Entsolidarisierung. Und sie stellen fest, dass das Christentum ja eine asiatische Religion ist, zwar aus Vorderasien, aber mit einer zweitausendjährigen Geschichte in Asien und mit einer fast 1400-jährigen Geschichte in China. Während die kommunistische Regierung zwar immer leiser, aber doch noch hie und da in offiziellem politischem Jargon die Geschichte der protestantischen Mission in China als aggressive Kolonisierung kritisiert, entdecken viele junge Intellektuelle, dass die frühen Missionare Idealisten waren, denen es vielleicht teils an Kritik gegenüber den kolonialen Mächten mangelte, die jedoch an demselben Projekt der gesellschaftlichen und spirituellen Transformation arbeiteten, dessen auch das gegenwärtige China noch bedarf. Spiritueller Werdegang im modernen China Frau Wang, die aufmerksame Beamtin aus Shenzhen, wollte verstehen, was die Basler Missionare damals motivierte. Was hatte diese merkwürdigen Menschen dazu getrieben, ihre Heimat aufzugeben und fern davon in fremden Ländern Schulen und Spitäler zu bauen? Deshalb hat sie schliesslich zur Bibel gegriffen und begonnen, darin zu lesen. Was sie dort las, hat sie so angesprochen, dass sie heute jeden Sonntag in eine zwei Stunden entfernte Kirche fährt, um in der Predigt mehr über den christlichen Glauben zu lernen. Damit ist Frau Wang ein typisches Beispiel eines spirituellen Werdegangs im modernen China. Denn oftmals führt eine einzige kleine, oft zufällige Begegnung mit dem Christentum dazu, dass Menschen beginnen, sich mit diesem zu befassen und sich in grosser Ernsthaftigkeit mit ihm auseinanderzusetzen.

Die ehemalige Mädchenschule der Ortschaft Longheu, die heute einen Stadtteil Shenzhens bildet, wurde vor 125 Jahren von der Basler Mission gegründet. Foto: zVg/Tobias Brandner

Tobias Brandner ist promovierter Theologe und arbeitet seit 18 Jahren als Gefängnisseelsorger und Universitätsdozent in Hongkong.


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Utopisten

Wenn grosse Ideen scheitern «Gut gemeint und schlecht gemacht» heisst es plakativ in einem christlichen Lied. Und so ging es auch einigen Protagonisten der Missionsgeschichte: Sie wollten das Gute und trugen dadurch auch zu Konflikten bei. Hinter den christlichen Siedlungen im Missionsgebiet stand die Idee, eine Subkultur inmitten einer gänzlich anders strukturierten Gesellschaft zu ermöglichen. Doch die Parallelstruktur brachte Probleme mit sich. Auch im Kolonialismus stand die Mission im Spannungsfeld zwischen Ablehnung und Arrangement.


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Lastenträger mit ungewöhnlicher «Ware»: Johanna und Paul Ziegler. ABM QQ-30.022.0020


84 Utopisten

Mission in Zeiten des Kolonialismus Ein Kommentar zu den Kolonialismusvorwürfen gegen die Mission Als die Basler Mission in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach ihre Stationen aufbaute, tat sie dies in Gebieten, die unter Kolonialregierungen standen. Sie musste sich also zum damaligen Kolonialismus positionieren. In einigen Fällen prangerte sie diesen an – in anderen arrangierte sie sich mit ihm. Dies wurde ihr später von Kritikern vorgeworfen. Doch Geschichte muss unter ihren eigenen Rahmenbedingungen bewertet werden, findet der Autor. Von Peter Felber

Mary

Patricia Purtschert et al. Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien (2012)

Njikam wuchs im Norden Kameruns in der Nähe von Buea auf, im Dorf Muea. Sie erzählte bei einem Basel-Besuch in den 1980er-Jahren, wie ihre Eltern zum Glauben gekommen waren: Kurz vor 1900 kam der Basler Missionar Johannes Bizer in ihre Gegend. Dort predigte er über das Gleichnis Jesu vom verlorenen Schaf: Der gute Hirte sucht nach dem einen von 100 Schafen, bis er es unter grosser Freude findet. Im Himmel herrsche eine ebensolche Freude über alle, die sich von Gott finden lassen, heisst es im Lukasevangelium. Der Missionar weckte mit seiner Predigt Interesse an so einem Gott, und doch: Die Kameruner blieben eher reserviert. Sie erklärten ihm: «Gerne hätten wir einen Lehrer wie dich und wüssten mehr über diesen Jesus! Aber wir haben Angst davor, dass du dann wie Jesus unsere Schafe wegnimmst.» Europäer kommen, um zu nehmen Die Menschen im Norden Kameruns hatten gerade erst erlebt, wie deutsche «Christen» – die Kolonialherren – Kamerun 1884 zu ihrer Kolonie gemacht und das Volk der Bakweri von seinem fruchtbaren Boden vertrieben hatten, um ihn einer Plantagengesellschaft zu verpachten. Der Missionar vermochte die Zweifel zu zerstreuen und baute eine kleine Kirche. Von den Schilderungen des Unrechts bewegt, verteidigte er gemeinsam mit Missionarskollegen das Landrecht der Kamerunerinnen und Kameruner energisch. Mit dem Erfolg, dass viele ihre Land zurückbekamen. Damals, erzählt Mary Njikam, seien ihre Eltern Christen geworden. Sie selbst wurde Krankenschwester und Hebamme. Die Kirche in Muea wuchs kräftig.

Paul Jenkins, der damalige Archivar der Basler Mission, druckte diese mündliche Erzählung 1987 in seinem Buch «Mission und Kolonialismus. Die Basler Mission und die Landfrage in Kamerun» ab. Er beschreibt darin die Folgen der unscheinbaren Predigt über das verlorene Schaf: Menschen fassten Vertrauen zum Missionar, erzählten vom ihnen zugefügten Unrecht, woraufhin dieser sich für Gerechtigkeit einsetzte. Das bewegte viele, Christinnen und Christen zu werden. Die Proteste gegen kolonialistisches Verhalten zogen weitere Kreise, der Kampf wurde in Kamerun, aber auch in Berlin ausgetragen. 1907 wurde der deutsche Kolonialherr, Gouverneur Jesko von Puttkamer, abgesetzt. Ein Geschehen in seiner Zeit betrachten Eine schöne, positive Geschichte, die auch aus heutiger Sicht ehrenwert ist. Doch das Handeln der Missionen in verschiedenen kolonialbesetzten Gebieten war nicht immer so, wie wir es uns heute wünschen würden. Ein Beispiel: Der Kritiker der Missionsgeschichte Horst Gründer wirft der Basler Mission in seinem Buch «Christliche Mission und deutscher Imperialismus 1884–1914» vor, sie sei beim soeben erwähnten Kampf in Kamerun im deutschen Reichstag nicht konsequent mit der Opposition aufgetreten. Das Komitee der Basler Mission war tatsächlich gegen eine harte Konfrontation mit der Kolonialmacht gewesen. Es musste abwägen, was der Sache dienlicher war: ein plakativer «Show-Down», der in vielen Ländern das Ende der Missionstätigkeiten bedeutet hätte, oder ein einigermassen gutes Verhältnis mit den Kolonialbehörden. Aus einem zeitlosen Standpunkt heraus kann man der Mission viel-


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Der Kamerun-Missionar Johannes Bizer ABM QS-30.028.0017

leicht Feigheit vorwerfen. Doch im Kleinen konnte sie mehr erreichen als mit grossen Gesten, die eher zu einer heutigen Kampagnenorganisation passen. Zudem war die damalige Opposition politisch radikal links, und um 1900 war es schlicht undenkbar, dass eine Missionsgesellschaft und ihre Vertreter im Reichstag gemeinsame Sache mit den bekennenden Religionsfeinden machten. Wir dürfen unsere Vorfahren nicht an Optionen messen, die es unter den damaligen Rahmenbedingungen nicht gab. Wie viele Unsicherheiten gibt es doch auch heute im politischen Weltgeschehen! Darf man einen Krieg unterstützen, um Unterdrückte und Verfolgte zu befreien? Meistens ist doch erst im Nachhinein klar, welcher Weg der richtige gewesen wäre.

Jürgen Osterhammel resümiert in «Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts», dass «die ausserordentliche Expansion des Missionswesens […] ohne das epochale Gesamtklima europäischer Welteroberung nicht denkbar» gewesen sei. Und doch setzten die Missionare, die an das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit glaubten, dem damaligen Machtdenken etwas entgegen. «Missionare [stellten] doch immer die bestehenden sozialen Hierarchien in Frage», so Osterhammel: «Sie befreiten Sklaven, scharten marginale Elemente der einheimischen Gesellschaft um sich, werteten die Position von Frauen auf.» Und an anderer Stelle: «Weniges fürchteten die Regierungen […] mehr als die Ankunft von Missionaren. Missionare dachten anders als die Diplomaten oder Soldaten, mit denen man es sonst zu tun hatte. Ihre Logik war nicht die transkulturell bekannte Logik der Machtpolitik, sondern ein Programm zum Umsturz der bestehenden Verhältnisse.» Natürlich, auch damals begingen Menschen, und auch Christen und Missionierende, Fehler. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass sie von einer guten Vision getragen waren und im Kleinen unzählige Dinge bewirkt haben, die Leben stifteten. So wie es die Geschichte von Mary Njikam erzählt, deren Vorfahren dank der Basler Mission ihr Land zurückbekamen. Peter Felber ist Pfarrer und leitet die Kommunikationsabteilung bei Mission 21.

Die Missionare Dilger, Munz, Bizer, Richardson und Christaller vor der Kapelle in Bethel, Kamerun ABM 30.004.0013


86 Utopisten

«Wie die Maserung in einem Stück Holz» Die Spuren der Basler Mission in Ghana Das heutige Ghana war das erste Land, in dem die Basler Mission eine dauerhafte Missionsstation errichten konnte. Sie ermöglichte den traditionellen Gesellschaften den Schritt in die Moderne und erreichte Fortschritte, zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Landwirtschaft und Medizin. Doch den ersten Missionaren fehlte es an Kultursensibilität. Eine Einschätzung. Von Abraham Nana Opare Kwakye

1828

erreichten Basler Missionare zum ersten Mal die sogenannte Goldküste in Westafrika, das heutige Ghana. Innerhalb der ersten zwölf Jahre tauften sie niemanden; vielmehr starben acht von ihnen in ihrem Dienst. Wie der frühere Leiter des Archivs der Basler Mission, Paul Jenkins, in der «Kurzen Geschichte der Basler Mission» schreibt, ist die Geschichte der Mission an der Goldküste «eine von sturer Zielstrebigkeit auf der einen und von Tragödien auf der anderen Seite». Ein Wendepunkt für die Basler Mission war die Rekrutierung einiger Christen aus der Karibik. Es fiel den Einheimischen leichter, sich mit ihnen und ihrem Glauben zu identifizieren als mit den weissen Missionaren. Laut Überlieferung sagte der Chief von Akropong zu dem Missionar Andreas Riis: «Wenn ihr mir einen schwarzen Menschen zeigen könnt, der das Buch der Weissen (die Bibel) zu lesen versteht, werde ich euch auch folgen». Bis 1918, als die Missionare aus der britischen Kronkolonie ausgewiesen wurden, war die Basler Mission im Land sehr bedeutend. Noel Smith fasst in seinem Buch «The Presbyterian Church in Ghana,

1835–1960» die Errungenschaften der Basler Mission wie folgt zusammen: «Als die Missionare ausgewiesen wurden, war der Name ‹Basel› für die Einheimischen längst zu einem ‹kostbaren› Wort geworden; das galt für das Bildungswesen, die Landwirtschaft, die handwerkliche Ausbildung und die wirtschaftliche Entwicklung, den medizinischen Dienst und die soziale Fürsorge.» Christlicher Glaube und westliche Bildung Heutzutage ist Ghana zum Grossteil christlich geprägt. Dies ist wesentlich auf die Basler Mission zurückzuführen. Zusammen mit anderen europäischen Missionsgesellschaften, wie den Wesleyanischen Methodisten und der Bremer Mission, machten sie es sich zur Aufgabe, viele Afrikaner von ihren traditionellen afrikanischen Religionen zum Christentum zu bekehren. Die Basler Mission spielte auch eine grosse Rolle bei der Einführung westlicher Bildungsmodelle. Sie führte erst die Grundschulausbildung ein, dann eine Lehrerausbildung am theologischen Seminar. 1867 folgte, nach deutschem Vorbild, das Konzept der Mittelschule. Das durch


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die Missionare begründete Bildungssystem mit sechsjähriger Grundschule und vierjähriger Mittelschule wurde in Ghana bis in die 1980er-Jahre hinein weitergeführt.

David Asante, 1862 ABM QS-30.001.0387.01

Entwicklung der Volkssprachen Darüber hinaus hatte die Basler Mission bei der Entwicklung der lokalen Sprachen einen grossen Einfluss. Im Gegensatz zu den Methodisten beispielsweise hatte sie es sich zum Grundsatz gemacht, unter den verschiedenen ethnischen Gruppen in Ghana «volkssprachlich geprägte Gemeinden» zu gründen. Sie legte in den Schulen Wert darauf, dass die lokalen Sprachen gelernt wurden und übersetzte auch die Bibel dementsprechend, beispielsweise in die Sprache Ga. Die Missionare Johannes Zimmermann und August Steinhauser waren, zusammen mit einheimischen Experten wie Thomas Kwatei, Jakob Nikoi und Carl Reindorf, die herausragenden Linguisten dieser Sprache. Johann Gottlieb Christaller, Hans Nicolai Riis, der Neffe Andreas Riis’ und Adam Mader arbeiteten ebenfalls mit Einheimischen wie David Asante und Theophilus Opoku zusammen, um die Bibel ins Twi zu übersetzen. In dieser Hinsicht vertraten die Missionare eine Überzeugung, die auf Luther und alle anderen frühen Reformer und protestantischen Missionen zurückging: Die Muttersprache sei das einzig wirkungsvolle Medium, durch das die Lernenden Dinge erkennen und zum Glauben finden können. In ihren Volkssprachen zu sprechen und geschult zu werden, stärkte die Ghanaer in ihrer kulturellen Identität. Gleichermassen war dies ein wichtiger Schritt, um den christlichen Glauben an den kulturellen Kontext anpassen zu können. Auch für das afrikanische Christentum der postmissionarischen Ära ist dies wichtig. So folgert der afrikanische Theologe Kwame Bediako, dass nur die Gemeinden, die die christliche Tradition in ihrer eigenen Sprache lebensnah umsetzen können, sie auch erfolgreich für ihr afrikanisches Leben interpretieren werden. Landwirtschaft und Handel Auch der Einfluss der Basler Mission auf Landwirtschaft und Gewerbe war immens. Wie Paul Jenkins bemerkt, hat sich die Mission bemüht, unter den Bauern in Südghana eine christliche Dorfkultur aufzubauen. Sie führte eine Reihe Grundnahrungsmittel ein und war auch wegweisend für das Aufblühen der Kakaoindustrie, die noch heute neben Gold und Petroleum Ghanas dritthöchstes Exportgut darstellt. Die Handelsaktivitäten der Basler Mission haben zudem dazu geführt, dass das Landesinnere besser erschlossen wurde. Salems als neue christliche Gemeinschaften Gemäss ihrer pietistischen Überzeugungen haben die Basler Missionare sogenannte Salems,


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Katharina Deuber Spuren einer Mission. Ein Basler Missionar an der Goldküste (2010) Eine Filmreportage über die Frage, wie Basler Missionare Ghana bis heute prägen. Die DVD ist zu beziehen über www.katharinadeuber.ch Salem in Akropong. Ghana zwischen 1871 und 1881 ABM QD-30.014.0017

christliche Dorfgemeinschaften, in Ghana aufgebaut. Salems waren Wohnbereiche für die Christen, die zuvor in «heidnischer Dunkelheit» gelebt hatten, wie es die Missionare bezeichneten. Die Salems waren der «sichere Hafen» für die neu Bekehrten, die sich zeitweise von ihren nicht-christlichen Verwandten verfolgt fühlten. Hier kümmerte sich die Gemeinschaft um sie, hier waren die neuen Christen sicher vor der Autorität des örtlichen Chiefs, die nicht bis in die Salems hineinreichte. Neben den Missionaren gab es auch afrikanische Älteste, die den christlichen Gemeinden vorstanden. Sie tolerierten kein unangemessenes Verhalten. So wurden Gemeindemitglieder bei Nichteinhalten der Reinlichkeitsvorschriften, für Lärmbelästigung oder Alkoholismus bestraft. Die Leiter traten ausserdem als Streitschlichter auf, wenn sich Bewohner innerhalb der Gruppe stritten. Die Salems wurden zu einem strategischen Instrument der Mission, mit deren Hilfe die traditionellen lutherischen Auffassungen von Familie, Autorität und produktiver Arbeit auch an der Goldküste gedeihen konnten. Kritik an den Salems Die Praxis der Salems wurde immer wieder als störender Faktor für die ethnische Solidarität beschrieben. Sie wurden dafür kritisiert, Gläubige zu «erziehen», die grosse Identitätskämpfe mit sich auszutragen hatten. Schliesslich waren die neuen Christen vollkommen aus ihrer eigenen Kultur entwurzelt worden. Die Mission

versuchte, ihre Mitglieder zu Menschen einer neuen Kultur zu machen, die mit ihrer Weltanschauung übereinstimmten. Dies basierte auf der Annahme, dass alles Afrikanische «böse» und somit inakzeptabel war. Und so sollten die neuen Christinnen und Christen beispielsweise ihre afrikanischen Namen aufgeben und europäische tragen. Auch afrikanische Musik empfanden die Missionare als heidnisch. Sie durfte nicht einmal mit einem billigenden Lächeln bedacht werden. Als Ephraim Amu, ein Musiklehrer der Missionsschule in Akropong, in den 1930er-Jahren versuchte, seinen Studenten afrikanische Musik nahezubringen, wurde er entlassen. Afrikanische, sakrale Gesetze blieben auf die Welt der Heiden beschränkt und Gemeindemitglieder, denen Ämter als Chiefs zugestanden hätten, mussten diese entweder ablehnen oder sie wurden aus der Gemeinde ausgeschlossen. Auf der Synode der Presbyterianischen Kirche der Goldküste im Jahr 1941 kritisierte der König von Akyem Abuakwa Nana Sir Ofori Atta die Pioniere der Mission dafür, dass sie die tiefer liegenden Gründe vieler Bräuche und Angewohnheiten im Land seiner Meinung nach nicht verstanden. Dies würde die Einheit und den Zusammenhalt der Stämme zerstören. Umso mehr, als die neuen Christen auch räumlich abgesondert lebten. Für die neu Bekehrten, die aus ihrem traditionellen Heim und ihrer Kultur in eine neue Gemeinschaft zogen, wo sie das Alte verlernen und sich stattdessen neue Konzepte aneignen sollten,

Sonia Abun-Nasr Afrikaner und Missionar. Die Lebensgeschichte von David Asante (2003)


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Die Basler Mission in Ghana Von Guy Thomas Am 18. Dezember 1828 kommen die ersten vier Basler Missionare Johannes Henke, Gottlieb Holzwarth, Karl Salbach und Johannes Schmidt in Christiansborg, Goldküste/Ghana, an. Bis 1840 versterben acht Missionare und ihre Angehörigen. Der einzige Überlebende ist Andreas Riis. Von 1828 bis 1913 sterben insgesamt 138 Missionare und Missionarinnen an der Goldküste. Ab 1843 folgt der zweite Anlauf der Basler Mission an der Goldküste in Akropong unter der Leitung von Andreas Riis mit sechs Familien und zwei Junggesellen aus Jamaika sowie einem Mitarbeiter aus Antigua. Zwischen 1850 und 1870 gründen sie acht Missionsstationen: in Christiansborg, Abokobi, Aburi, Akropong, Kyebi, Odumase-Krobo, Anum und Ada. Die Fokussierung liegt auf der Sprachforschung und Übersetzungsarbeit in Twi und Ga. 1859 wird die Basler Missionshandelsgesellschaft gegründet. Diese ist beteiligt am Aufbau der Produktion und am Export von Kakao. 1869 gerät Missionar Fritz Ramseyer mit seiner Frau und Johannes Kühne, im Zuge ihrer Expansion in den Osten der Goldküste, für vier Jahre in Gefangenschaft unter den Asante. 1874: Die Briten richten an der Goldküste eine Kolonie ein. Die Basler Mission dehnt sich in das Asante-Gebiet aus. Zwischen 1878 und 1898 wächst die Zahl der Basler Missionsgemeinden von 31 auf 157, die der Missionsschulen von 10 auf 128. muss dies traumatisch gewesen sein. Die Autorität der traditionellen Führer wurde durch die Mission eingeschränkt. Da dies zudem von der britischen Kolonialmacht unterstützt wurde, empfanden sie es als einen Akt der Sabotage. In dieser Hinsicht hat die Mission die afrikanische Kultur sicherlich unterwandert. Zusammenfassung Die Basler Mission spielte an der Goldküste eine wichtige Rolle in der Entwicklung mehrerer traditioneller Gesellschaften hin zu modernen. Durch ihr Predigen und ihre Bildung, volkssprachliche Übersetzungen, wissenschaftliche Landwirtschaft, Industrie und Handel hat sie diesen Gemeinschaften den Schritt hin zur Moderne ermöglicht. Jon Miller formuliert es wie folgt: «Die Spuren, die die Basler Mission in der ghanaischen Kultur hinterlassen hat, sind so tief wie die Maserung in einem Stück Holz, die kein Sandpapier mehr abschleifen kann.» Trotzdem hat sie einige grosse afrikanische Werte, wie die ethnische Solidarität, auch untergraben.

Abraham Nana Opare Kwakye ist Pfarrer der Presbyterianischen Kirche in Ghana und Dozent an der University of Ghana in Legon. Er erforscht derzeit die Rolle von Afrikanerinnen und Afrikanern für die Entwicklung eines afrikanischen Christentums. Übersetzung ins Deutsche: Friederike Gralle

1878 hatten die Missionsgemeinden 3961 Mitglieder, 1959 waren es 182 215. Ab 1882 beginnt die Basler Mission mit ihrer medizinischen Tätigkeit. Die ersten Missionsärzte sind Ernst Mähly, Rudolf Fisch und Friedrich Hey. 1918 benennt sich die Basler Missionskirche an der Synode von Akropong um in «Presbyterian Church of Ghana» (PCG) und wird unabhängig. Bis 1950 erlangt sie stufenweise die volle Autonomie. Ab 1926: Rückkehr der Basler Missionare, inzwischen Mitarbeitende der PCG. 2004 führt die PCG 1907 Schulen, eine Universität, 37 Gesundheitseinrichtungen und sieben landwirtschaftliche Projekte. 2012 verzeichnet die PCG 739 548 Mitglieder.

Abraham Nana Opare Kwakye bei seiner Forschungsarbeit im Archiv der Basler Mission Foto: Mission 21/Dorothee Adrian


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Hoffnungstr채ger

Gemeinsam Grosses erreichen


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Peruanische Lehrpersonen besuchen kleinste Siedlungen und unterrichten bildungsferne Frauen. Rund 500 Ehrenamtliche gehen in der Schweiz und in Schwaben von Tür zu Tür, bringen Missionsnachrichten und sammeln für die weltweite Kirche. Es ist oft der beharrliche Einsatz vieler einzelner Menschen, der Veränderung bewirkt. Die hier vorgestellten Hoffnungsträger stehen für unzählige weitere Menschen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.

Schülerinnen des Bildungsprojekts Alfalit im Süden Perus Foto: Mission 21/Dorothee Adrian


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Das Evangelium des Alphabets

Durch Alfalit sei sie selbstbewusster geworden, berichtet Nila Condori Mamani.

Das Bildungsprogramm Alfalit in Peru

Foto: Mission 21/Dorothee Adrian

Bildung war von Beginn an ein Schwerpunkt in der Zusammenarbeit von Mission 21 mit lateinamerikanischen Partnerorganisationen. Das Ziel: Menschen darin zu unterstützen, ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen. Von Dorothee Adrian

Wenn

Dorothee Adrian Die Frauen und das Alphabet (2014) Ein 10-minütiger Film über die Arbeit von Alfalit im Süden Perus. Im Mittelpunkt stehen die Frauen, die trotz materieller Armut Würde und Schönheit ausstrahlen. www.mission-21.org/alfalit

eine Frau in einem Elendsviertel von Lima nicht lesen und schreiben kann und sich auch sonst nie beruflich entwickeln konnte, was ist für sie dann eine gute Nachricht?» fragt Aurora Luna, Leiterin von Alfalit («Alfabetización y literatura») in Peru. «Die gute Nachricht, und nichts anderes heisst ja ‹Evangelium›, ist, dass sie lesen und schreiben lernen kann. Dass sie Selbstvertrauen gewinnt, selbstständiger wird, ein eigenes Einkommen erwirtschaften kann», beantwortet sie ihre eigene Frage. Das Programm Alfalit wurde in den 1960erJahren von verschiedenen Kirchenleitenden gegründet und hat sich in 13 lateinamerikanischen Ländern etabliert. Am Anfang war es auf Alphabetisierung mit dem Ziel der Bibellektüre ausgerichtet, heute ist es ein breites Bildungsprogramm für benachteiligte Frauen. In Peru arbeitet Alfalit in Carabayllo, einem Slum von Lima,

und in der ländlichen Gegend der Südanden. Die Kursinhalte richten sich nach den Bedürfnissen der Frauen. In Carabayllo ist häusliche Gewalt ein grosses Thema. Viele Frauen sind vor allem zu Hause und haben für ihren Mann da zu sein. Je mehr sie lernen, umso eigenständiger und zufriedener werden sie jedoch. Für Delia zum Beispiel änderte sich vieles. Sie habe sich ständig beschwert, erzählt Aurora Luna, dass sie kein Wasser habe, dass ihr Treppen fehlten, sie über 50 und körperlich nicht mehr sehr fit sei, sodass ihr das Steigen der provisorisch selbst gebauten Stufen schwer falle. Da sie im Unterricht nicht nur lesen, schreiben und rechnen lernte, sondern auch ihre Möglichkeiten und Rechte als Bürgerin kennenlernte, stellte sie eines Tages einen Antrag bei der Gemeindeverwaltung für eine ordentliche Treppe. Und sie bekam sie. «Seit dem Tag ist Delia eine andere Person!», strahlt Aurora Luna. Sie hat nun


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Einmal in der Woche treffen sich die Frauen im Weiler Agua y Milagro zum Unterricht. Foto: Mission 21/Dorothee Adrian

ein Geländer, das ihr hilft, in ihre Wohnung zu gelangen. Als nächstes will sie in ihrer Gegend Bäume pflanzen: «Ich wünsche mir, dass es hier grün wird», sagt Delia. Sie hat sogar im Radio und Fernsehen davon erzählt. Aurora Luna: «Sie wurde wirklich eine andere Frau. Anstatt ständig zu klagen, nimmt sie nun Dinge in die Hand.»

Aurora Luna, Leiterin Alfalit Peru: «Was ich habe, möchte ich weitergeben.» Foto: Mission 21/Dorothee Adrian

Neues Selbstbewusstsein Das Leben auf der Hochebene der südperuanischen Anden unterscheidet sich stark vom verarmten Grossstadtleben. Auch hier haben die meisten Menschen sehr wenig. Eine Lehmhütte, ganz wenig Land, vielleicht ein paar Tiere. Das Wort «Landwirtschaft» löst falsche Assoziationen aus. Treffender wäre zu sagen, die Kleinbäuerinnen führen ein sehr bescheidenes Selbstversorgerleben. Viele der Männer sind für kurze oder längere Zeit in den Minen. Die Frauen arbeiten seit Kindheit beim Anbau und bei der Tierpflege, zur Schule sind die wenigsten gegangen. Ihre Kinder gehen inzwischen zur Schule. Die erwachsenen Teilnehmerinnen von Alfalit besuchen einmal wöchentlich Kurse und lernen Grundlegendes: lesen und schreiben, zunächst in ihrer Muttersprache Quechua, dann in der Landessprache Spanisch. Die Themen sind immer nah am Leben dran: Anbaumethoden, Rezepte, Hygiene, Tierhaltung, Bürgerrechte. Immer noch fühlen sich viele Frauen aufgrund fehlender Bildung und ihrer benachteiligten gesellschaftlichen Stellung minderwertig. «Zu Alfalit zu gehen, ist in jedem Sinne gut für uns», erzählt die 37-jährige María Marlen y Cora Cora. Die Mutter von fünf Kindern wirkt zunächst schüchtern, hat aber eine sehr freundliche Ausstrahlung – wie

fast alle Frauen, die in die verschiedenen Lerngruppen in den Weilern gehen. «Wir verlieren hier unsere Angst!», sagt María Marlen, «wir trauen uns, mehr am Leben teilzunehmen.» Es sind bewegend schöne Geschichten von Befähigung, Mut, von neuen Möglichkeiten, die das Projekt den Frauen eröffnet. Dazu trägt auch der wertschätzende Umgang der beiden Mitarbeitenden bei, Bernabé Quispe und Dora Peña, die sich den Frauen so aufmerksam zuwenden. Dora Peña erstellt die Lehrmaterialien, Bernabé Quispe supervidiert das Projekt und schult die lokalen Lehrerinnen und Lehrer. Der Wert der Bildung «Ich wollte etwas zurückgeben», sagt Aurora Luna, Peru-Leiterin von Alfalit, zu ihrer Motivation. Als Tochter einer Analphabetin, die zeitlebens darunter litt, von ihrem Mann abhängig zu sein und beruflich weit hinter ihren Fähigkeiten zurückzubleiben, weiss Luna den Wert der Bildung zu schätzen. «Es ist fast so, als würde ich es ihr schulden», auch die Mutter war eine Kleinbäuerin im Süden Perus gewesen. «Ausserdem denke ich aufgrund meines Glaubens, dass meine Bildung wie ein Segen ist. Etwas anderes, Materielles, habe ich nicht. Aber das was ich habe, möchte ich weitergeben.»

Dorothee Adrian verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Spanien, studierte später Romanistik und hatte seither stets den Wunsch, nach Lateinamerika zu reisen. Im Herbst 2013 schliesslich konnte sie verschiedene Projekte von Mission 21 in Peru und Bolivien besuchen, darunter Alfalit, das sie sehr überzeugte.


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«Meine neuen Pflichten füllen meine Zeit reichlich aus!» Zwei Tage im Leben von Luise Z. Luise Zerweck war eine der wenigen Frauen, die um 1900 weder als Braut noch als Frau eines Missionars in die Mission gingen. In vielen Briefen an ihre Familie in Deutschland beschrieb sie ihr Leben an der Goldküste. Die Autorin erzählt anhand historischer Quellen zwei Tage von Luise Z. nach. Den ersten Tag erlebt die 22-jährige ledige Lehrerin, den zweiten, gut vier Jahre später, die Missionarsfrau und Mutter. Von Claudia Wirthlin Handschrift von Luise Z.

Abokobi, 29. Juli 1893 Luise tritt auf die Veranda und betrachtet die Berge am Horizont. Sie erinnern sie ans heimatliche Schwaben, das sie vor drei Monaten verlassen hat. Sie geniesst die Stille des frühen Morgens und lässt das bisher Erlebte Revue passieren. Es ist der letzte Ferientag, bevor die 72 Anstaltskinder erneut Leben in die Räume im Erdgeschoss bringen. Mit der Ruhe wird es dann vorbei sein, und sie wird Missionarsfrau Marie Zürcher nach Kräften beistehen müssen, denn zwei schwarze Hilfslehrerinnen werden nicht mehr da sein: Die eine ist unerwartet gestorben, die andere war mit ihrem Lohn nicht zufrieden. Für Luise wird es nicht einfach, denn noch immer spricht sie nur wenig Ga. In den Ferien hatte sie jeden Morgen um acht Uhr eine Ga-Stunde bei Teacher Bartimeo genommen und zusätzlich ein bis zwei Stunden Vokabeln gebüffelt. Sie kann nun ordentlich lesen und einiges verstehen, aber mit dem Sprechen geht es nur langsam vorwärts. Hier in Afrika ist grosse Geduld gefragt: nicht gerade Luises Stärke, das weiss sie. Beim Handarbeitsunterricht, den sie jeden Nachmittag von zwei bis vier Uhr erteilt, wird sie oft ungeduldig. Und doch freut sie sich aufs Unterrichten, umso mehr, als sie von zu Hause ein Paket mit Stoffresten und farbiger Wolle erwartet – sie hat explizit um kräftige Farben, um grün und gelb gebeten. Auch das Stärken und Bügeln der Wäsche, das heute Samstag noch ansteht, erfordert ihre Geduld. Sie macht das zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie geht zurück ins Zimmer und lässt zufrieden den Blick über die selbst genähten neuen Vorhän-


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ge an Bett und Waschtisch schweifen. Die Bücher stehen jetzt auf dem Brett an der langen Wand, die Muscheln – sie hat sie am letzten Abend beim Strandspaziergang in Christiansborg aufgelesen – sind auf dem Eckbrettchen rund ums Kaiserbild angeordnet und die Schulwandkarten stehen schön zusammengerollt neben dem Kasten. Das Familienbild hat sie gegenüber dem Bett aufgehängt, sodass ihr Blick beim Einschlafen auf ihre Lieben fällt. Begoro, 8. September 1897 Gegen Abend sinkt Luise erschöpft auf den Stuhl am Schreibtisch. Was für ein Tag! In der Nacht zuvor war sie mehrmals aufgestanden: Ihr eineinhalbjähriger Adolf leidet seit vorgestern an Fieber und Durchfall. Gott sei Dank ging das Fieber im Verlauf des heutigen Tages zurück. Gerade jetzt sieht er ganz vergnügt aus, wie er da am Boden hockt und zusammen mit Salome ein Bilderbuch anschaut. Wie froh ist Luise um Salome, eines von sieben einheimischen Mädchen im Missionshaushalt Rottmann-Zerweck. Sie stellt sich recht geschickt an bei der Kinderpflege, und Adolf liebt sie. Er plappert fröhlich Twi mit ihr, gemischt mit Deutsch. Die anderen Mädchen sind ihr noch keine grosse Hilfe, sie wird ihnen vieles beibringen müssen. Heute packte sie selbst tatkräftig mit an bei der Wäsche. Bei den sintflutartigen Regenfällen der letzten Wochen wird alles schnell schwarz und schmutzig, nichts trocknet. Luise und die Mädchen mussten der Feuchtigkeit mit dem Dampfbügeleisen zu Leibe rücken. Nun sind die Mädchen unten im Garten und zupfen das Unkraut zwischen dem Rettich aus. Luise will den ruhigen Moment zum Schreiben nutzen, obwohl sie dazu eigentlich zu müde ist. Doch zu lange schon hat sie nichts von sich hören lassen. Der Brief an Eltern und Geschwister in der Heimat soll unbedingt heute Abend weg, denn es dauert einen Monat, bis er in Europa ankommt. In Begoro, mitten im Urwald, gibt es kein Postamt. Alles wird per Träger und Boten von und zur Küste transportiert, so auch ihre 47 Kisten beim Umzug hierher vor einem halben Jahr. Dieses System funktioniert sehr zuverlässig, nur die englischen Zollbehörden in Christiansborg öffnen regelmässig alle Pakete. Seit ihre Eltern den Inhalt fein säuberlich auflisten, kann Luise aber genau kontrollieren: Es hat noch nie etwas gefehlt. Schon wieder schweift sie ab: Ihr Blick fällt auf das Paket mit den Kleidchen für ihre Kleinkinderschüler, welches sie gestern von Frau Zürcher erhielt. Die Kleider sind ein Geschenk des Berner Missionsvereins. Luise zählt sie nochmals sorgfältig nach. Für die ganze Schar von 40 Kindern wird es nicht reichen. Aber Dora wird ihr bald weitere Kleidchen schicken. Frauen in Korntal haben sie extra für sie genäht. Zudem hat Dora verschiedene Spielsachen für die Kleinen in Aus-

Porträt von Luise und Samuel

Kurzbiografie von Luise Zerweck Mit 22 Jahren tritt Missionarstochter Luise Zerweck mit viel Elan ihren Dienst als Lehrerin der Mädchenanstalt in Abokobi an. Bereits ihr Vater war für die Basler Mission an der damaligen Goldküste – heute Ghana – als Lehrer im Einsatz. Luise kam zwar dort zur Welt, wuchs aber in behüteten Verhältnissen in Deutschland auf. In Christiansborg bei Accra, lernt sie ihren zukünftigen Mann, Samuel Rottmann, kennen. Nach der Heirat im April 1895 lebt das Paar von 1895 bis 1899 auf der Station Begoro. Ihren Beruf als Lehrerin musste sie zwar aufgegeben, aber sie setzt sich – zusammen mit den anderen Missionarsfrauen – sehr engagiert für die Erziehung der einheimischen Hausmädchen und für die Kleinkinderschule ein. Hier muss sie nebst Ga eine zweite afrikanische Sprache erlernen: Twi. Von 1900 bis 1905 wird sie nach einem Heimaturlaub ihren Mann auf die Station Kyebi begleiten. 1905 kehren die Rottmanns zurück. Die Leitung der Basler Mission sieht von einer erneuten Aussendung Bruder Rottmanns ab – «aus Gesundheitsrücksichten der Frau Rottmann» – und setzt ihn als Missionsprediger in der Heimat ein. Ihre drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, werden alle in Ghana geboren.

sicht gestellt. Luise ist den guten Seelen in Bern und Korntal sehr dankbar, so muss sie selber an Weihnachten nur noch für die «Gutsle» sorgen, das wird eine schöne Bescherung geben! Ach herrje! Jetzt muss sie das Briefschreiben doch verschieben. Vor lauter Sinnieren ist es sieben Uhr geworden und höchste Zeit, Adolf ins Bett zu bringen. Sie wäscht ihn kalt ab und gibt ihm den Kakao-Schoppen ins Bett, bald schläft er ein. Gott sei Dank, denn gleich kommen Bruder Kurtz, ein unverheirateter Missionar, und die schwangere Missionarsfrau Mohr zum gewohnten Abendtee. Da wird zusammen geplaudert und gebetet. Und beim Zubettgehen betet Luise, dass Adolf bald gesund wird, und dass ihr Mann von der fast vierwöchigen Missionsreise ins Landesinnere heil zurückkehrt.

Marie-Luise Baumert (Hrsg.) … Eure dankbare Luise Briefe von Luise Zerweck aus Afrika, 1893/94 (2008) und

Claudia Wirthlin ist Historikerin und Bibliothekarin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Archiv und Bibliothek von Mission 21. Sie interessiert sich speziell für Frauen- und Gendergeschichte. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit zu Frauenbiografien hat sie mit grossem Interesse die zwei Bände mit Briefen von Luise Zerweck gelesen, welche deren Enkelin Marie-Luise Baumert veröffentlicht hat.

Meine Lieben alle! Briefe von Luise und Samuel Rottmann aus Afrika, 1895-1899 (2013)


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«So klein und gering die Sache scheint, so ist sie eben doch gross und wichtig.» Die Halbbatzenkollekte der Basler Mission

Wenn viele Menschen einen kleinen Beitrag leisten, entsteht in der Summe eine beachtliche finanzielle Unterstützung. Was heute unter dem Namen «Crowdfunding» für Projekte aller Art funktioniert, erfand bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ein Basler Geschäftsmann zugunsten der Mission. Von Daniel Allemann

Mit

Halbbatzen ABM

schweren Schritten stapfe ich durch den kniehohen Schnee, gleich habe ich es geschafft und es sind nur noch ein paar Meter bis zum alten Hof. Der raue Wind bläst mir entgegen, aber davon habe ich mich noch nie abhalten lassen – so ist es hier eben im Winter, auch wenn ich mit meinen 83 Jahren nicht mehr die Jüngste bin, und mir die Kälte mehr zusetzt als früher. Mit einer Hand ziehe ich den Schal schützend über mein Gesicht, in der anderen halte ich die Tasche mit den «Blättli», die ich noch bei jedem Wetter immer pünktlich und zuverlässig verteilt habe. Seit nunmehr 20 Jahren bin ich als Sammlerin für die Mission unterwegs, genauso wie meine Mutter und davor die Grossmutter. Die Botengänge sind nicht immer leicht, doch die Mühe ist es allemal wert, denn schliesslich habe ich eine wichtige Aufgabe, die ich sehr ernst nehme. Die Leute freuen sich immer, wenn wieder einmal jemand auf einen Schwatz vorbeikommt und schätzen den persönlichen Kontakt. Frau Gisler wartet schon in der Türe und empfängt

mich mit einem Lächeln. Nachdem der letzte Schnee von den Stiefeln abgeklopft ist, kann ich endlich in die warme Bauernstube eintreten. Seit 160 Jahren sind Sammlerinnen – und vereinzelt auch Sammler – im Dienst der Mission unterwegs. Wie die einleitende Geschichte zeigt, scheuen sie keine Mühe, die kleinen Spendenbeträge persönlich von ihren Geberinnen und Gebern einzusammeln, diese gewissenhaft im Sammlerbüchlein einzutragen und den Spendenden im Gegenzug das Kollekteblatt, das «Blättli», zu übergeben. Zwar ist diese Geschichte fiktiv, doch sie beruht auf vielen Erfahrungsberichten von und Interviews mit Sammlerinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Ein besonderer Verein Das Sammeln für die Basler Mission hat Tradition. Noch bevor das Missionshaus gebaut war, wurde im Januar 1855 die Halbbatzenkollekte für die Basler Mission vom bekannten Basler Fabrikbesitzer und Ratsherrn Karl Sarasin ins


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Leben gerufen. Als Komiteemitglied schaffte er es, seine Kollegen im Leitungsgremium der Basler Mission davon zu überzeugen, dass sie mit dem Kollekteverein – der heute Kollektenverein heisst – die Finanzen der Mission in der wirtschaftlich schwierigen Zeit der frühen 1850er-Jahre wieder auf Vordermann bringen könnten. Durch eine wöchentliche Spende von fünf Rappen – eben eines halben Batzens – sollten auch die «Unbemittelten» in die Mission eingebunden werden und die Möglichkeit haben, durch ihre ‹kleine› Gabe ein Teil der ‹grossen› Mission zu sein. Dass es bei der Halbbatzenkollekte aber nicht bloss um die Geldbeschaffung ging, zeigt sich schon am Wortlaut der ursprünglichen Vereinsordnung von 1855. Dort heisst es, die Halbbatzenkollekte «sey zugleich ein Verein gleichgesinnter Herzen, die sich gegenseitig stärken, kräftigen und verbinden durch Gebet und Fürbitte». Der Kollekteverein etablierte sich einerseits innert kürzester Zeit als FundraisingInstrument und wurde zu einer enorm wichtigen Finanzstütze. Damit konnte man die Weiterführung der Mission auf fernen Kontinenten sichern. Andererseits war die Halbbatzenkollekte aber

als Gebetsverein ebenso wichtig für die ‹innere Mission›, denn die Halbbatzenkollekte schaffte es durch ihren Vereinsgedanken, viele Menschen zu erreichen und neue Mitglieder für die Mission zu gewinnen. So konnte sich die Basler Mission in weiten Teilen der ländlichen schweizerischen und württembergischen Bevölkerung verankern. Die wichtigsten Mitglieder des Kollektevereins waren die Sammlerinnen, denn sie trugen entscheidend zum Gelingen der Halbbatzenkollekte bei. In den vielen lokalen Kollektevereinen bauten sie sich ein Netzwerk aus Geberinnen und Gebern auf und pflegten regelmässigen persönlichen Kontakt mit ihnen. Die Sammlerinnen sind dabei weit mehr als nur diejenigen, welche die Spende einziehen. Gerade für ältere Menschen – wie Frau Gisler aus unserer Geschichte – sind sie wichtige Bezugspersonen, mit denen sie die Neuigkeiten und Freuden, aber auch die Sorgen des Alltags austauschen können. Als mir Frau Gisler den Franken übergibt, meint sie, dass es diesmal schon schwierig gewesen sei, so viel zur Seite zu legen. Aber es sei ihr wichtig, regelmässig für die

Mission zu spenden und den Menschen mit ihrem Beitrag helfen zu können. Sie fragt, ob ich nicht noch einen Moment Zeit hätte und offeriert mir eine Tasse Kaffee. Es sei halt schon nicht mehr dasselbe, seit die Kinder nicht mehr im Dorf wohnen und seltener zu Hause sind, und das Knie schmerze häufig in der kalten Winterzeit. Ich höre ihr zu und muntere sie ein wenig auf, denn schliesslich ist sie froh, dass wieder einmal jemand vorbeikommt und sie ihre «Sörgeli» mit jemandem teilen kann. Fast hätte ich es vergessen und greife in meine Tasche, um das «Blättli» hervorzuholen. Sie freut sich immer darüber und ist stets an den Neuigkeiten aus Übersee interessiert, auch wenn sie nicht immer mit allem einverstanden ist, was drin steht. Ich nehme noch den letzten Schluck von meinem Kaffee, bedanke mich bei Frau Gisler und verabschiede mich «bis zum nächsten Mal!», sodass ich vor dem Einnachten noch meinen letzten Besuch des Tages machen kann. Diese Geschichte ist typisch für den Besuch einer Sammlerin im Dienste des Kollektevereins. Als Bäuerinnen oder Arbeiterinnen, meist aus einfachen Verhältnissen stammend, waren die Samm-

Die Halbbatzenkollekte (HBK) wurde am 1. Januar 1855 auf die Initiative von Karl Sarasin gegründet, der zugleich der erste Präsident der für die HBK verantwortlichen Kommission war. Obwohl es seit der Währungsreform von 1850 keine halben Batzen mehr gab, war im Gründungsjahr noch allen präsent, dass mit den halben Batzen fünf Rappen gemeint waren. Im Verhältnis zum wöchentlichen Arbeiterlohn von durchschnittlich 15-17 Franken war der halbe Batzen in den 1850ern gerade noch das, was für arme Menschen als Spendenbetrag im Rahmen des Möglichen lag. In der Zeit zwischen 1855 und 1905 kamen durchschnittlich 28 Prozent des Jahreseinkommens der Basler Mission aus der Halbbatzenkollekte. Somit wurde die HBK zu einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen. Durch die HBK steigerte sich aber auch der Bekanntheitsgrad der Basler Mission in der Schweiz und Deutschland. Die Mitarbeit des Einzelnen an der Mission war ein ebenso wichtiges Ziel wie die Geldbeschaffung.

Ratsherr Karl Sarasin, Erfinder der Halbbatzenkollekte ABM QU-30.054.0001

Der heutige Kollektenverein hat um die 480 aktive Mitglieder. Sie verteilen vier Mal im Jahr durchschnittlich 7150 Exemplare der «Nachrichten», total rund 28 600 Exemplare. Damit sammelt er jährlich etwa 150 000 Franken zugunsten der Arbeit von Mission 21.


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lerinnen besonders geeignet, um für die Mission zu werben und zu sammeln. Sie kamen aus dem gleichen sozialen Umfeld wie ihre Geberinnen und Geber und oftmals kannte man sich im Dorf seit früher Kindheit. Dies ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Kollektevereins, denn durch die persönlichen Beziehungen blieben der Halbbatzenkollekte viele Mitglieder sehr lange treu und es konnte gelegentlich sogar jemand für die Kollekte gewonnen werden, der «eigentlich nicht so ein Freund» der Mission war. Das Kollekteblatt Das Kollekteblatt, das allen Mitgliedern des Vereins überbracht wurde, war das wichtigste Medium der Halbbatzenkollekte. Darin wurde über die Mission in Übersee berichtet, zur Fürbitte ermuntert und den Spendenden für ihre Unterstützung der Mission gedankt. Das Kollekteblatt war aber nicht nur auf sie, sondern auch auf die Sammlerinnen selbst ausgerichtet. So wurden in einigen Ausga-

Das Sammlerbüchlein ABM

ben der 1860er-Jahre fiktive Briefe an die «liebe Martha» abgedruckt. Diese Briefe verdankten die «Liebe und Treue» der Sammlerinnen und zeigten ihnen die richtige Strategie für erfolgreiches Sammeln auf: «Gehst du aber mit Gebet an dein Vornehmen, so wird der Herr dir die Thüren und Herzen aufschliessen, dass man dich freundlich aufnimmt und dir willig den Beitrag reicht.» Als Bindeglied zwischen dem strategischen Gremium der Basler Mission und den Sammlerinnen fungierten praktisch von Beginn an die Reiseprediger. Meist von Übersee zurückgekehrte Missionare, waren sie für die Unterstützung und Kontrolle der Kollektevereine vor Ort zuständig. Sie waren regelrechte Promotoren für den Kollekteverein und gaben immer wieder den Anstoss, dass die Halbbatzenkollekte an neuen Orten Fuss fassen konnte. Als lokale Vertreter der Basler Mission kümmerten sie sich aber auch um das Wohlergehen der Sammlerinnen. Wie einer der frühen

Reiseprediger festhielt, waren die Besuche bei den Sammlerinnen «wenigstens ebenso wichtig» wie die Predigten. Um die zentrale Bedeutung der Sammlerinnen wusste auch die Leitung der Halbbatzenkollekte in Basel. Diese betonte stets, wie sehr sie die «treuen», «gewissenhaften» und «bescheidenen» Sammlerinnen schätzte. Trotzdem finden sich in den vielen Unterlagen und Protokollen des Kollektevereins aber praktisch keine konkreten Informationen zu den Sammlerinnen. Obwohl ihnen immer wieder der Dank für ihre wertvolle Arbeit ausgesprochen wurde, blieben sie gewissermassen unbekannte Wesen. Erst in den vergangenen Jahrzehnten haben die Sammlerinnen schliesslich durch Interviews und Porträts eine Stimme bekommen. Kleines bewirkt Grosses Die Halbbatzenkollekte ist für die Geschichte der Basler Mission von grosser Bedeutung und von einem zentralen Gedanken geprägt, der schon ein Jahr nach der Gründung der Basler Mission erstmals geäussert und schliesslich 1855 von Karl Sarasin umgesetzt wurde: Mit einem «halben Batzen wöchentlich» steht die Halbbatzenkollekte symbolisch dafür, dass viele kleine Beiträge in der Summe eine grosse Wirkung haben. Obwohl die Hochkonjunktur des Kollektevereins vorbei ist, gibt es noch heute Regionen, in denen die Tradition des Sammelns stark verankert ist. Dort wird das «Blättli», heute die «Nachrichten» von Mission 21, nach wie vor persönlich vorbeigebracht. Die Aufgabe werde zwar immer schwieriger, wie eine Sammlerin vor einigen Jahren betonte, aber dennoch werde sie weiterhin sammeln. Denn die Mission sei ihr eine Herzenssache.

Daniel Allemann studiert Geschichte und hat ein Praktikum im Archiv der Basler Mission absolviert.


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Neues wächst im dürren Land Religion und Entwicklung am Beispiel Nordnigeria

«Ist das nicht ein ungeheurer Luxus?» fragt so mancher Spender, wenn er hört, dass Mission 21 neben Projekten der ländlichen Entwicklung, der Gesundheits- und der Friedensarbeit in Afrika, Asien und Lateinamerika auch viele Einrichtungen der theologischen Ausbildung unterstützt. «Sollte man nicht erst einmal elementare Bedürfnisse der Menschen wie sauberes Trinkwasser, Nahrung und Gesundheit zu decken versuchen, bevor man sich mit Glaubensfragen beschäftigt?» Das wiederum wirft die Frage auf: In welchem Verhältnis stehen theologische Ausbildung und Projekte der «klassischen» Entwicklungszusammenarbeit? Beide sind nötig, damit Gutes wachsen kann. Das zeigt auch eine Studie aus Nigeria. Von Jochen Kirsch

«Früher

dauerte die Regenzeit von April bis in den November hinein. Jetzt fängt sie erst im Juni an und hört im September schon wieder auf», berichten die Menschen in Nordnigeria. «Alle Flüsse und Bäche sind in den letzten Jahren ausgetrocknet», erzählt auch Mayamu Musa Zira. Und Sarah Ibrahim beobachtet: «In meinem Dorf Gashala sind inzwischen alle Bäume verschwunden.» Den zunehmend spürbaren Klimawandel und die fortschreitende Umweltzerstörung in Nord-

Klimawandel in Gavva, Nordnigeria: Der Regen kommt regelmässig zu spät und zu spärlich. Der leichte Sandboden kann das Wasser nicht festhalten und der warme Wind tut ein Übriges, die Krume rasch wieder auszutrocknen. Foto: Mission 21/Jochen Kirsch

nigeria betrachtet die Bevölkerung, die vor allem von der Subsistenzlandwirtschaft lebt, als die wichtigste Herausforderung für die Entwicklung ihrer Region. Die Böden sind ausgelaugt und bringen immer weniger Ertrag. Stetig sinkt das Grundwasser ab, und immer mehr rückt die Wüste in ehemals fruchtbares Ackerland vor. Die Verknappung von Ressourcen wie Wasser, Feuerholz und Land sowie die daraus folgenden Wanderungsbewegungen führen zunehmend zu Konflikten in der Region. Das theologische Fernstudienprogramm der nigerianischen «Kirche der Geschwister», das von Mission 21 seit vielen Jahren unterstützt wird, hat zum Ziel, dass Christen sich auf der Basis ihres Glaubens kompetenter in ihrer Kirche und Gesellschaft engagieren. Im Rahmen dieses Programms der Erwachsenenbildung eignen sich jedes Jahr rund 2000 Studierende aus allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft auf unterschiedlichen Niveaus theologische Kenntnisse an und diskutieren diese miteinander. Die Kursthemen berühren hochaktuelle gesellschaftliche Themen wie etwa den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen, häusliche Gewalt, Führungsverständnis oder Umweltschutz. Doch was bringt so ein theologischer Ausbildungsgang? Gibt er über das Reden hinaus auch konkrete Impulse für das Leben und Zusammenleben der Menschen in der Region? Um die Wirksamkeit des Programms zu überprüfen, beauftragte Mission 21 im Jahr 2013 ein


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nigerianisches Expertenteam mit einer entsprechenden Studie. Am Beispiel des Kursmoduls zum Umweltschutz «Being Stewards of God’s Creation» untersuchte es, ob – und wenn ja, wie – sich diese Kursinhalte nun tatsächlich auf das Verhalten der Kursteilnehmenden und das ihres Umfelds auswirken. Dazu analysierten zwei Studien das Umweltbewusstsein und das entsprechende Umweltverhalten der Studierenden vor und nach dem Besuch des Kurses – mit eindrücklichen Ergebnissen. Passiv erdulden – oder aktiv mitgestalten? Die meisten Menschen in Nordnigeria sehen den Menschen als von Gott eingesetzten Herrscher über die Natur, derer er sich nach Belieben bedienen kann, ohne dafür sorgen zu müssen: «Gott hat uns mit so viel Ehre und Weisheit ausgestattet, dass wir sogar über Löwen und Elefanten herrschen.» Über Themen wie Umweltschutz und Klimawandel zeigten sich die Teilnehmenden in der Untersuchung vor Besuch des Kurses nur schlecht informiert. Viele stellten einen Zusammenhang her zwischen den Veränderungen der ökologischen Verhältnisse und dem Wandel des moralischen Klimas: «Wir können nicht mehr so viel ernten wie früher und müssen nun viel Geld für Dünger ausgeben. Auch die Menschen haben sich geändert: Sie kümmern sich nicht mehr so um einander und haben keinen Respekt mehr vor den Alten. Das alles gehört zum Klimawandel», gab ein Teilnehmer zu Protokoll. Die Veränderungen des Lebensraumes durch den Klimawandel wurden von vielen dann auch als Strafe Gottes für die moralischen Vergehen der Menschen betrachtet: «Unsere Sünden sorgen dafür, dass Gott die Erde verflucht und unfruchtbar macht.» «Wir ärgern Gott, wenn wir uns über den Regen beklagen. Darum hält er ihn lange zurück, und dann schüttet er alles an einem Tag über uns aus.» Diese unter Christen wie Muslimen Nordnigerias weit verbreitete Deutung des Klimawandels lässt es weder angemessen noch möglich erscheinen, dass Menschen etwas dagegen tun könnten. Für aktives Handeln und die Übernahme von Verantwortung ist in diesem Weltbild kein Platz. Bäume, Regenwasserspeicher und Mülleimer Die Teilnehmenden des theologischen Fernstudiengangs staunten daher nicht schlecht, als sie mit dem unmittelbaren Einfluss ihres eigenen alltäglichen menschlichen Verhaltens auf die fortschreitende Umweltzerstörung konfrontiert wurden. Sie beschäftigten sich mit den in Nordnigeria allgegenwärtigen Dieselgeneratoren, mit dem Abholzen von Bäumen zur Gewinnung von Feuerholz, dem übermässigen Einsatz von Dünger und Herbiziden oder dem fehlenden Abfallmanagement. So entdeckten sie eine ganze Reihe von Handlungsfeldern, in denen sie selbst Tag für Tag in positiver oder negativer Weise ihre natür-

Der theologische Fernstudiengang der Kirche der Geschwister in Nigeria

Arbeitsgruppe des TEE in Kala’a Foto: EMS/Riley Edwards-Raudonat

Bereits seit 40 Jahren bietet die «Kirche der Geschwister» in Nigeria (Church of the Brethren in Nigeria) mit grossem Erfolg ihr Fernstudienprogramm TEE (Theological Education by Extension) zur theologischen Aus- und Weiterbildung an. Ziel ist die theologische Qualifizierung interessierter Laien, die sich auf der Basis ihres Glaubens kompetenter in ihrer Kirche und in der nigerianischen Gesellschaft engagieren möchten. Die Form des Fernstudiengangs bietet insbesondere jenen Menschen die Möglichkeit, sich theologisch zu bilden, die es sich nicht leisten können, ihre Dörfer und Familien zu verlassen und über mehrere Jahre in ein College zu ziehen. Im Kontext Nordnigerias gilt dies insbesondere für Frauen. Entsprechend breit gefächert ist denn auch der Kreis der Teilnehmenden. Er reicht von einfachen Bäuerinnen und Bauern aus den Dörfern Nordnigerias bis hin zu Frauen und Männern in gesellschaftlichen Führungspositionen in Wirtschaft und staatlicher Verwaltung. In diesem Fernkurs studieren die Kursteilnehmenden nicht nur alleine zu Hause, sondern treffen sich auch in zweiwöchigen Abständen als lokale oder regionale Seminarklasse zum Austausch und zur Vertiefung des Gelernten. Die mehr als 200 Seminarklassen sind über ganz Nordnigeria verstreut. Bäuerinnen, Lehrer, Marktfrauen, öffentliche Angestellte und Wirtschaftsführer lesen zusammen das Kursbuch und lernen voneinander. Im Unterschied zum Studium an einem College dauert die Ausbildung im Rahmen eines solchen Fernkurses wesentlich länger und ist praxisorientierter. Die konkrete Lebenswirklichkeit der Teilnehmenden spielt in den Seminargesprächen eine zentrale Rolle. liche Umwelt nachhaltig prägen. «Als Maurer und Bauer war ich davon ausgegangen, dass es einfach nötig und ganz selbstverständlich war, Bäume zu fällen. Jetzt sehe ich das völlig anders», lautete das Fazit eines Teilnehmers. Das Wissen um die eigene Rolle im Klimawandel veränderte dann auch die theologische Weltsicht der Kursteilnehmenden. Umwelt und Klima wurden zu Bereichen, in denen sie ihre eigene Verantwortung wahrnehmen wollen: «Gott hat uns die Erde anvertraut, damit wir gut für sie sorgen.» Damit einher ging eine deutliche Ver-


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Baumsetzlinge werden gegossen

Globale digitale Bibliothek für Theologie und Ökumene Eine solide theologische Ausbildung und weltweit gleichberechtigter Zugang zu guter Studienliteratur ist heute nötiger denn je. Mission 21 unterstützt deshalb seit 2011 das frei zugängliche Portal Global Theological Library (GTL): www.globethics.net/ de/web/gtl/globetheolib

Foto: Mission 21/Jochen Kirsch

Energieeffizienter Kochherd auf dem TEE-Gelände in Mubi

Foto: Mission 21/Jan Gühne

änderung in ihren Werten und ihrem konkreten Verhalten: Die Teilnehmenden waren entschlossen, nicht nur selbst einen umweltverträglichen Lebensstil zu praktizieren, sondern auch ihr jeweiliges Lebens- und Arbeitsumfeld dazu anzuhalten: «Als Führungspersonen in unseren Gemeinschaften sind wir auch Vorbilder. Wir müssen unsere Leute aufklären und ihnen vorleben, dass es auch anders geht.» Studierende fingen an, um ihre Häuser herum und in ihren Dörfern Bäume zu pflanzen, Regenwasserspeicher zu installieren, Mülleimer aufzuhängen und energieeffiziente Kochherde zu bauen. Sie redeten in ihren Frauengruppen über Möglichkeiten, die Umwelt zu schützen und diskutierten mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf der Arbeit und in ihren sozialen Netzwerken über den Umgang mit dem Klimawandel. Das Thema Umweltschutz wurde nun auch zum Gegenstand des Unterrichts in Schulen, von Laienpredigten in den Kirchen und zu einem Fokus des interreligiösen Dialogs und der Zusammenarbeit mit Muslimen und Animisten. In einigen Dörfern entstanden gar Kleinunternehmen zur Verbreitung preiswerter und energieeffizienter Kochherde, die nicht nur mit Holz, sondern auch mit anderen Heizmaterialien wie Feldabfällen oder Tierkot befeuert werden können.

So wurden die Themen Umweltschutz und Klimawandel durch das entsprechende Modul der theologischen Ausbildung neu zu zentralen Aufgaben der Kirche. Und es zeigt sich, wie sehr diese durch ihr vielfältiges Sozialkapital in der Lage ist, über ihre eigenen Mitglieder hinaus in die Gesellschaft hineinzuwirken und nachhaltige Veränderungen zu bewirken im Umweltbewusstsein und -verhalten der Bevölkerung. Einmal mehr wird in dieser Fallstudie deutlich: Gerade weil die Partner von Mission 21 «ganzheitlich» leben und denken, ist es wichtig, dass sich theologische Ausbildung und «klassische» Entwicklungszusammenarbeit aufeinander beziehen und sich gegenseitig hinterfragen. Wo das geschieht, sind «geistliches» und «weltliches» Engagement – also das, was wir in unserem europäisch-säkularen Kontext eher versuchen auseinanderzuhalten – zwei Seiten der gleichen Medaille: Theologische Ausbildung und gesellschaftliches Engagement sind in diesem Sinne nicht zu trennen, sondern sollten sich ergänzen und befruchten. Denn gerade oder sogar erst in ihrem Zusammenspiel motivieren und qualifizieren sie unsere Partner, um als «agents of change» Verantwortung zu übernehmen für die Weiterentwicklung ihrer Gesellschaft.

Fazit der Studie Die Studie hat gezeigt, welch grosses Potenzial theologische Ausbildung birgt, wenn sie sich auf brennende gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen bezieht. Theologie verändert sich unter dem Einfluss von Sachinformationen. Und umgekehrt führt eine veränderte Theologie zu einer anderen Wahrnehmung der Wirklichkeit und der eigenen Rolle darin.

Jochen Kirsch ist Pfarrer und Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen bei Mission 21. Davor arbeitete er als Programmverantwortlicher für den Südsudan, für Nigeria und Kamerun. Der Zusammenhang von Religion und Entwicklung ist eines seiner Schwerpunktthemen. Kirsch ist immer wieder beeindruckt davon, mit welch grossem Engagement sich die afrikanischen Partner von Mission 21 aus ihrem Glauben heraus einsetzen für die nachhaltige Weiterentwicklung ihrer Gesellschaften in Gerechtigkeit und Freiheit.


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Aufmerksamkeit auf dem Weg Für mich bedeutet Mission eine Absicht, die sich in jedem Moment wieder neu ausdrückt. Sie gerät ins Wanken bei wechselnden Strukturen, droht manchmal durch starre Institutionen ertränkt zu werden, sie lebt und entwickelt sich in der Bewegung. Meine Mission hat also etwas mit meinem Weg zu tun. Einen Teil davon durfte ich mit weisen Frauen und Männern gemeinsam gehen. Von ihnen habe ich gelernt, dass das Wunder sich in freien, selbstlosen Beziehungen entwickelt. Im Beisammensein, im Teilen des alltäglichen Lebens. Die vielen Wohnortswechsel in meinem Leben haben mich schon früh gelehrt, was es bedeutet, sich wie ein «Huhn auf fremdem Hof» zu fühlen, wie wir sagen. Zum Glück habe ich immer Schlüsselpersonen gefunden, dank denen ich mich wie zuhause fühlen durfte. Geborgenheit und Solidarität habe ich in verschiedenen Glaubensgemeinschaften erfahren. Offene Häuser. Arbeitsgruppen, deren oberstes Ziel es ist, Konflikte zu lösen und gut miteinander zu leben. Dies motiviert mich, auf meinem Weg der Mission weiterzugehen. Paradoxerweise habe ich gerade durch das Erleben von Zurückweisung gelernt, was es bedeutet, anders zu sein und ausgeschlossen oder diskriminiert zu werden. Dadurch bin ich sehr wachsam geworden, und ich achte darauf, dass diese Verhaltensweisen nicht auch mich befallen. Josefina Hurtado Neira, Jahrgang 1957, ist Sozialanthropologin mit den Schwerpunkten soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Die Chilenin leitet die Stabsstelle Frauen und Gender bei Mission 21. Sie ist Mitbegründerin des Kollektivs «Con-spirando», sie koordinierte das Frauenprogramm in SEPADE (Servicio Evangélico para el Desarrollo, Partnerorganisation von Mission 21) und war Dozentin an verschiedenen Ausbildungsstätten.

Missionssynode 2014 in Basel Foto: Mission 21/Dorothee Adrian

«Das stärkende Licht» Was bedeutet «Mission» heute? «Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer» – unter diesem Titel beleuchten wir in diesem Magazin verschiedene Aspekte der Missionsgeschichte. Sie wurde von vielen engagierten Menschen geschrieben, die sich an verschiedenen Orten und mit ihren je eigenen Schwerpunkten für eine gerechtere Welt einsetzen. Was verbinden heutige Mitglieder des Netzwerks von Mission 21 mit den Ideen der Gründungsväter? Was bedeutet ein «hell scheinendes Evangelium», von dem Nikolaus von Brunn sprach, für sie? Was ist ihre Mission? Wofür stehen sie ein? Dorothee Adrian hat Statements gesammelt.


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«Ich bin Öko-Missionarin!»

Nähe statt Worte

Glaube, Umweltschutz und meine Liebe zu Asien: Die Arbeit im Ökologiezentrum der PROK in Korea verbindet drei wichtige Bereiche meines Lebens. Ich bin überzeugt, dass wir in christlicher Solidarität eine ökologisch und sozial gerechte Welt gestalten können. Glaube und Bewahrung der Schöpfung gehören für mich untrennbar zusammen. Öko-Missionarin? Ja, ich habe eine Mission. Und in gewisser Hinsicht habe ich es heute vielleicht auch nicht viel leichter als die Theologen, die vor 200 Jahren aus dem Westen nach Korea kamen: Mein Umweltbewusstsein ist vielen Menschen heute ebenso fremd, wie es damals das Christentum war. Müllvermeidung, Strom sparen, verantwortungsvoller Konsum – all das ist im Tigerstaat Korea nur schwer als zukunftsfähig zu vermitteln. Doch als Christinnen und Christen haben wir eine Verantwortung für die uns von Gott anvertraute Schöpfung. Durch Umwelterlebnisreisen, Studiengruppen und Bildungsprojekte sensibilisieren wir für die Schönheit der Natur und wecken Interesse für alternative Lebensformen. Mission bedeutet für mich vor allem, das Leben zu teilen und für die Menschen da zu sein. Bei meinem Einsatz bin ich aber oft auch selbst Lernende. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in Gruppen zum Beispiel ist beeindruckend. Man liest einander Wünsche quasi von den Augen ab. Dafür gibt es sogar einen Begriff: «Nunji» heisst so viel wie «gegenseitige Achtsamkeit».

Die Verkündigung des Evangeliums geschieht häufig ohne Worte. Die Begegnung mit Gefangenen lehrte mich, dass Menschen sich oftmals nicht nach Worten sehnen, sondern schlicht nach Präsenz und Nähe. Worte können deplatziert wirken, floskelhaft, sie werden dem begegneten Schmerz oft genug nicht gerecht. Worte können Distanz zum Gegenüber aufbauen. Bedingungslose Annahme des Gegenübers ist für Menschen in Gefangenschaft – ja nicht nur für diese, überhaupt für Menschen, die unter Schuldgefühlen leiden, von ihrer Familie getrennt sind oder Ausweglosigkeit empfinden – im einfachsten Sinn des Wortes «good news», gute Nachricht. Sie erleben das Evangelium als Kontrast, der die grauen Mauern und die farbliche Trostlosigkeit des Gefängnisses durchbricht: Insassen in braunen Tenues, Aufseher in grünen, und rundum nur grauer Beton, einige gelblich bemalte Wände und graues Gitter. Da kann sogar die Kleiderfarbe des Gefängnispfarrers zu einer erfreulichen Kontrasterfahrung werden.

Karina Schumacher, Jahrgang 1984, ist studierte Ökologin und arbeitet als Umweltschutzberaterin bei der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea (PROK), einer Partnerkirche von Mission 21.

Hoffnung teilen Welche Hoffnung mich trägt, finde ich schwer zu sagen. Konkrete Ausdrücke der Hoffnung haben in meinem Leben gewechselt. In den ersten Jahren war bei uns zu Hause immer von Mission, nie aber von Hoffnung die Rede. Später prägte mich eine unbestimmte Hoffnung auf die Wiederkunft Christi, ohne konkrete Angaben, aber eng verbunden mit der Vorstellung von Gottes Reich – hier unter uns. Meine Lehrtätigkeit in Ghana klärte dies in die Vorstellung der «realized eschatology», das heisst, da wo Christus ist, ist das Reich Gottes. Die Befreiungstheologie lehrte mich, im Widerstand gegen Unrecht und Not für die neue Welt zu arbeiten. Die Arbeit mit chinesischen Sozialarbeitern zeigte mir, wie Atheisten sich mit Gottes Herrschaft auseinandersetzen. Und indem ich mit ihnen lerne, teile ich mit ihnen Hoffnung. Hanns Walter Huppenbauer, promovierter Theologe, wurde 1930 in eine Missionsfamilie geboren. Er absolvierte zunächst eine landwirtschaftliche Lehre, war Gemeindepfarrer, Dozent am Trinity College Ghana, Zentralsekretär der KEM (Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen in der Schweiz) und Vorstandsmitglied der Südafrika-Mission. Seit seiner Pensionierung hat er zahlreiche Studien zur Geschichte der Basler Mission veröffentlicht.

Tobias Brandner, Jahrgang 1965, ist im aargauischen Auenstein aufgewachsen. Der promovierte Theologe ist im Auftrag von Mission 21 in Hongkong. Er unterrichtet dort Theologie an der Chinese University und arbeitet als Gefängnisseelsorger.


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Das Evangelium scheint hell

Der Beitrag des Evangeliums an der Hoffnung

Das hell scheinende Evangelium habe ich in den Anden oft erlebt. Als … … leuchtendes Licht: Frauen, die sich bisher nicht getraut haben, offen von ihren Erfahrungen zu sprechen und ihre Rechte einzufordern, treten ins Licht der Öffentlichkeit und erheben ihre Stimme. … klärendes Licht: Durch die gemeinsame politische und gesellschaftliche Analyse der Gegenwart werden wir frei, uns eine unabhängige Meinung zu bilden und in unserer Arbeit die richtigen Schwerpunkte zu setzen. … stärkendes Licht: Teilnehmerinnen an theologischen Frauenworkshops lassen sich von biblischen Frauen ermutigen. … fröhliches Licht: Wir feiern das Leben und die Gemeinschaft mit Cocablättern und Wasser, mit Brot und Wein, und tanzen rund um die brennende Kerze in der Mitte. … Licht, das Wachstum ermöglicht: Junge Erwachsene, Frauen und Männer erkennen, dass sie nicht perfekt sein müssen, sondern ein Leben lang wachsen können in Liebe und Widerstand, in Erkennen, Fühlen und Handeln. … kraftvolles Licht: In einer Gesellschaft, in der Gewalt immer noch allgegenwärtig ist, engagieren wir uns für den Frieden. … warmes Licht: Mit Gesprächen und Körperübungen heilen wir das, was in uns zerbrochen oder eingefroren ist, um lebendig und beziehungsfähig zu werden.

Das Evangelium ist ein Licht, das uns belebt und zur Mission motiviert. «Geht in die Welt und verkündigt die gute Nachricht!» heisst es in Markus 16. Für mich hat Mission viel mit Hoffnung zu tun. Sie geht vorwärts, löst sich ab, stärkt Netzwerke, sät Samen aus: Sie setzt in Bewegung. Sie steht für Dynamik und Schwung, sie verändert und ist auch manchmal unbequem. Das Evangelium zu leben, bedeutet, eine dienende Haltung einzunehmen, die Hindernisse überwindet, die sich für die Vielfalt unserer Völker und Kulturen öffnet und ermöglicht, dass diese ihre reichen Erfahrungen mit dem Heiligen teilen. «Geht in die Welt» können wir so verstehen, dass wir durch die verschiedenen Welten gehen. Durch die der Migrantinnen und Migranten, durch die Subkulturen der Verarmten. In diese Welten gehen und dort leben, um die gute Nachricht zu verkünden, die das alltägliche Leben verändert, das bedeutet für mich Mission. Die gute Nachricht begegnet mir in der Fähigkeit, zu teilen, die Erde und die Natur zu verteidigen, für die Rechte einzustehen, ich finde sie im Protest gegen Ungerechtigkeiten. Ausserdem im Begleiten schmerzlicher Situationen, im solidarischen Handeln, in der Sorge um das Leben der anderen. In Lateinamerika leben wir in einem Kontinent, der immer noch durch Leid und Ungerechtigkeiten geprägt ist. Sie fordern das Evangelium heraus. Das Leben, das Leben in Fülle, ein würdiges Leben für unsere Völker … das ist die Hoffnung, die wir gerufen sind, neu zu beleben. Silvia Regina de Lima Silva, 1962 geboren, leitet das Ökumenische Forschungsinstitut DEI in Costa Rica, Partner von Mission 21. Die gebürtige Brasilianierin ist Professorin für Religionswissenschaften an der Universidad Nacional von Costa Rica. Ihre Schwerpunkte sind Theologie der schwarzen Bevölkerung in Lateinamerika und feministische Theologie. Sie ist Mitglied der Missionssynode von Mission 21.

Regula Schmid, Jahrgang 1961, ist Primarlehrerin und reformierte Pfarrerin. Sie hat von Anfang 2012 bis Ende 2014 in den südlichen Anden Perus bei der Nichtregierungsorganisation ISAIAS gearbeitet, die sich in der Tradition der Befreiungstheologie für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Der Schwerpunkt von Regula Schmid war theologische Bildung und Stärkung von christlichen Basisgemeinden. Missionssynode

Foto: Mission 21/ Tobias Siebrecht


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Lebendige Mission im heutigen China Als ich Christ wurde, veränderten sich die Werte und der Fokus meines Lebens. Ich habe verstanden, was Vergebung und Liebe bedeuten. Wenn wir etwas Gutes kennenlernen, zum Beispiel ein gutes Restaurant, oder es Angebote in einem tollen Laden gibt, dann erzählen wir das unseren Freunden und Nachbarn so schnell wie möglich. Mit dem Glauben ist es ähnlich. Ich möchte anderen davon erzählen: Ich wünsche mir, dass sie durch mein tägliches Leben davon erfahren. Meine persönliche Mission ist es, anderen Gutes zu tun, zum Beispiel durch meine soziale Stiftung «Care and Love Foundation». Ausserdem führe ich Reisegruppen durch Festlandchina und Hongkong und erzähle ihnen von der Geschichte der Basler Mission. Mein Anliegen ist es, ihnen zu zeigen, dass Mission nichts Antiquiertes ist. Der Glaube hat hier Wurzeln geschlagen und blüht auf. Die lokale Bevölkerung hat die Arbeit der Basler Missionare noch in guter Erinnerung. Thomas Tsang, Jahrgang 1949, war 17 Jahre lang Generalsekretär der Tsung Tsin Mission Hong Kong (TTM), die aus der Missionsarbeit der Basler Mission hervorgegangen ist. Er leitet heute die Shatin-Tsung-Tsin-Schule und ist, neben vielen weiteren Posten und Engagements, Vorstandsmitglied der Bildungsabteilung der TTM. Die TTM unterhält Projekte wie das Beratungs- und Servicecenter für soziale Gerechtigkeit für Migrantinnen und Industriearbeiter, theologische Ausbildung im chinesischen Kontext und Gefängnisseelsorge.

In Bewegung sein zu den Menschen Mission bedeutet für mich: Einstehen für Menschen und für den Glauben an einen Gott, der alle liebt. Gerade auch die, die uns fern sind. Diese Art von Mission nimmt uns in die Pflicht und macht Gleichgültigkeit unmöglich. Als wir von der Verschleppung der mehr als 240 meist christlichen Mädchen aus Chibok in Nordnigeria durch Boko Haram hörten, ging ein Aufschrei durch die Welt. Viele wollten sich für ihre Befreiung einsetzen. Und heute? Wer erinnert sich noch an den Kummer der Eltern, der Mädchen selbst? Noch unaussprechlichere Gräuel verdrängten das traumatische Erleben aus der Öffentlichkeit. Wie können Muslime und Christen versöhnt und in guter Nachbarschaft leben? Mission sieht die Ungerechtigkeit und trauert mit den Betroffenen. Sie sucht Wege aus dem Fanatismus und dem Leid. Wer mit Blick auf Gottes Verheissung lebt, kann nicht anders. Und doch, wie oft fehlen im Alltag Mut und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft! Ich empfinde Mission als Bewegung, eine Bewegung im Aufbruch. Mission ist immer wieder die Bewegung der Menschen gewesen, die aufgebrochen sind. Biblische Bilder prägen diese Aufbrüche: Das Volk Israel wandert in der Wüste und ernährt sich vom Manna, das über Nacht verdirbt, wenn man es nicht braucht. Zu glauben, dass dieses Manna jeden Tag neu geschenkt wird und das Volk nicht hungern muss, dafür ist viel Vertrauen nötig. Aber letztlich bleibt dem Glaubenden nichts anderes übrig, denn jeder Vorrat, vor allem aber auch der «Glaubensvorrat», verdirbt, wenn man ihn nicht braucht und miteinander teilt. Claudia Bandixen, Jahrgang 1957, ist Direktorin von Mission 21. Zuvor war sie Präsidentin der Reformierten Landeskirche Aargau. In den 1990er-Jahren war Claudia Bandixen mit ihrer Familie im Auftrag der Basler Mission sechs Jahre in Chile, wo sie mit Frauenorganisationen und Slumkirchen zusammenarbeitete.

Sankofa: Zurückschauen und mitnehmen Ich wuchs in der Presbyterianischen Kirche Ghanas auf. Für jede Altersgruppe gibt es dort Angebote und immer hatten wir Ansprechpartner, die unsere Bedürfnisse kannten. Das war toll! Mission sehe ich sehr positiv. Die Basler Mission hat Menschen in Ghana Hoffnung gebracht! Es waren die Missionare, die Bildung nach Ghana brachten. Aber auch im sozialen und spirituellen Bereich trägt Mission bis heute zur Entwicklung bei. Mir gefällt das Symbol, das wir im Rahmen des Jubiläums nutzen: Der SankofaVogel schaut zurück, um das Gute der Vergangenheit mit in die Zukunft zu nehmen. Ich denke, das 200-Jahre-Jubiläum ist eine Gelegenheit, uns in Ruhe hinzusetzen und anzuschauen, was wir in der Vergangenheit Gutes getan haben. Und es dann in unserem heutigen Kontext umsetzen. Richard Offei, Jahrgang 1985, engagiert sich in der Arbeit für junge Erwachsene in der Presbyterianischen Kirche Ghanas. Er arbeitet als Buchhalter in der Bibelgesellschaft Ghana.


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Von A wie Alter bis Z wie Zähne Skurriles, Seltenes, Spannendes: eine Nachlese Von Dorothee Adrian, Isabel Schlerkmann und vielen fleissig Sammelnden

Eine Libelle wurde nach einem Missionar benannt, die Missionarsstellung gründet auf einem Missverständnis und eine Braut liess sich vor ihrer Ausreise alle Zähne ziehen. In unserer halbjährigen Redaktionsarbeit zu diesem Magazin stiessen wir auf vielerlei Bemerkenswertes. Unser «A bis Z» greift einiges, aber längst nicht alles davon auf.

A

E

Zum 175. Jubiläum der Basler Mission fanden wir einen schönen Slogan: «Schon so alt – und geht immer noch aus!»

In den ersten Jahrzehnten der Basler Mission fand diese auch deshalb viele Interessierte, weil sie über Exotisches berichten konnte. Vor allem die neuen Möglichkeiten der Fotografie (> S. 56) faszinierte viele. Über die Missionszeitschriften kamen fremde Welten und Kulturen ins schwäbische, schweizerische oder auch elsässische Wohnzimmer.

B

Der Autor der berühmten Zeichentrickfigur Biene Maja, Waldemar Bonsels, war vor seiner Karriere als Kinderbuchautor Missionar der Basler Mission in Indien.

C

Von durchschlagendem Erfolg war die 1855 begründete Halbbatzenkollekte (> S. 96). Viele Einzelpersonen spendeten einen kleinen Betrag. Die Basler Mission könnte somit als Erfinderin des heutigen Crowdfunding gelten.

Halbbatzen

D

Dem Missionar und Sprachforscher Ferdinand Kittel wurde im indischen Bangalore ein Denkmal gesetzt. Vor allem durch seine Erforschung der südindischen Sprache Kannada machte er sich verdient. Er ist längst nicht der einzige Missionar, an den ein Denkmal erinnert. Im ghanaischen Odumase zum Beispiel wurde zu Ehren des Missionars und – ebenfalls – Sprachforschers Johannes Zimmermann (> S. 62) die Johannes-Zimmermann-Kirche gebaut.

F

«Fromm und so hiess eine schule, die MissioChina gründeten.

rein» – Mädchennare in

G

Der Gwatt-Prozess markierte den Beginn der Umstrukturierung der Basler Mission hin zu einem internationalen Missionswerk. Namensgebend für den Prozess war die erste grosse Konsultation mit Delegierten aller vier Kontinente im Gwatt-Zentrum am Thunersee 1990. In den folgenden Jahren rangen die Partner in Afrika, Lateinamerika und Asien intensiv mit der Missionsleitung in Basel um angemessene Strukturen, die Mitbestimmung und «Partnerschaft auf Augenhöhe» ermöglichen sollten. Viele der im Rahmen des Gwatt-Prozesses festgehaltenen Empfehlungen sind auch in die Arbeit von Mission 21 eingeflossen. Internationale Delegierte haben in der Missionssynode Sitz und Stimme. Das Missionswerk versteht sich heute als internationale Lern- und Glaubensgemeinschaft. Partnerschaft auf Augenhöhe ist stets das Ziel und bleibende Aufgabe in der gemeinsamen Arbeit. Ausführlich beschrieben wird der Gwatt-Prozess in dem Buch des damaligen Afrikasekretärs Christoph Schnyder, «Macht teilen» (Lembeck-Verlag).


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Tisch «Sanga» von INCH

H

Der Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse (1877–1962) war Sohn und Enkel von Mitarbeitern der Basler Mission: Sein Grossvater Hermann Gundert war Missionar und Sprachforscher in Indien, sein Vater, ebenfalls

I

INCH steht für Indonesien und die Schweiz und ist Name eines erfolgreichen Möbellabels zweier Basler JungUnternehmer. Die Idee für die Gründung der Firma kam ihnen bei einem PEP!-Einsatz mit Mission 21 in Indonesien (> S. 72).

J

Hermann Hesse

Missionar, wurde 1881 ans Missionsseminar berufen. Der kleine Hermann war aufmüpfig und schlagfertig. Seine Eltern fühlten sich der Erziehung bald nicht mehr gewachsen, sodass er in das Knabenhaus im Missionsgarten ziehen musste und seine Eltern nur noch sonntags besuchen durfte. Die strikte Erziehung führte zunächst zu Gehorsam – doch später wandte Hermann Hesse sich von dem «strengen und harten Gesetz» des Glaubens ab und dem Buddhismus zu. Im Alter jedoch schrieb er in einem Brief gnädiger über sein pietistisches Elternhaus: «Dass Menschen ihr Leben als Lehen von Gott ansehen und es nicht in egoistischem Trieb, sondern als Dienst und Opfer vor Gott zu leben versuchen, dies grösste Erlebnis meiner Kindheit hat mein Leben stark beeinflusst. Das gelebte Christentum meiner Eltern und Grosseltern ist unter den Mächten, die mich erzogen und geformt haben, die stärkste gewesen. Ich bin doch der Missionarssohn geblieben, trotz aller Auflehnung.»

Sie sei eine Missionsbraut gewesen, heisst es immer wieder über Julie von Hausmann (1826-1901), Autorin des beliebten Kirchenliedes «So nimm denn meine Hände». Der Legende nach wurde sie an die Goldküste geschickt und habe bei ihrer Ankunft vom Tod ihres Bräutigams erfahren. Aus ihrem Schmerz heraus habe sie das Lied gedichtet, das bis heute u. a. bei Trauerfeiern gesungen wird. Nachforschungen im Archiv ergeben aber: von Hausmann ist nie ausserhalb Europas gewesen. Sie gehörte zum Netz der europäischen Erweckungsbewegung und nahm grossen Anteil an der Basler Missionsarbeit. Sie abonnierte das Missionsmagazin, las die Jahresberichte aufmerksam und schickte grosse Spenden. Julie von Hausmann hatte eine «Liedergabe», ihre Gedichte und Lieder schickte sie zum kostenlosen anonymen Abdruck nach Basel. Durch das Missionsmagazin wurden diese weltbekannt. Ihr Leben war von körperlicher Schwäche geprägt, oft plagte sie Migräne. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie: «Da der Herr mir irdischen Besitz und ein liebliches Äusseres versagt und mir Kränklichkeit als eine Mitgabe verliehen hat, musste ich die Freuden der Welt entbehren, und sie hatten auch keine Anziehungskraft für mich, denn ich war dadurch, dass ich mein inneres Leben und

K meine Liedergabe pflegen durfte, reichlich entschädigt.» Ihr Lied «So nimm denn meine Hände» wurde in mehrere Sprachen übersetzt und auf vielen Missionsfesten gesungen. Es stammt aus dem Jahr 1862, dem vorletzten Lebensjahr ihres Vaters. Vielleicht hatte sie ihn vor Augen, blind und hilflos tastend, als sie dichtete: Wenn ich auch gleich nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele, / auch durch die Nacht. / So nimm denn meine Hände / und führe mich / bis an mein selig Ende / und ewiglich.

Kinder spielen vor dem Kinderhaus der Mission. ABM QQ-30.125.0001

Gemäss der «Kinderordnung» der Basler Mission von 1853 sollten die Kinder von Missionarspaaren mit zirka sechs Jahren bzw. im schulpflichtigen Alter aus den Missionsgebieten nach Europa zurückkehren, um eine christliche Erziehung und gute Schulbildung zu erhalten und in einem erträglichen Klima aufzuwachsen. Zwischen 1821, als die Basler Mission ihre Missionstätigkeit aufnahm, und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden schätzungsweise 1000 bis 1200 Kinder entweder von ihren Eltern zurückgelassen oder aus den jeweiligen Einsatzländern nach Hause geschickt. Diese Kinder kamen zu Verwandten, zu Pflegeeltern oder ins Kinderhaus der Mission in Basel, das im Jahr 1860 eröffnet wurde. Die Trennung war schmerzlich und wurde oftmals als «Opfer für den Dienst» oder «für die Mission» gesehen.


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Eins der ganz wenigen Fotos der Pentaphlebia stahli Förster Foto: David Chelmick, Grossbritannien

L

Die kamerunische Libelle Pentaphlebia stahli Förster trägt den Namen eines Missionars. Das kam so: Einer der bedeutendsten deutschen Libellenforscher, der Lehrer Friedrich Förster (1865–1918), war mit dem Missionar Gottlieb Heinrich Stahl (1875–1954) bekannt. Der Missionar sammelte für den Forscher Insekten im kamerunischen Nyasoso. Darunter befand sich eine Vertreterin der Gattung Pentaphlebia. Zur Ehre des Sammlers wurde sie nach ihm benannt. Die P. stahli gehört zu den gefährdeten Libellenarten dieser Erde. Sie ist von weniger als zehn Fundorten in Kamerun und Nigeria bekannt und lebt in kühlen Bächen des Regenwaldes am Fuss der Berge. (Quelle: Text von Martin Schorr, International Dragonfly Fund)

Die «Missionarsstellung» gilt als lust- und freudlose, eher langweilige Stellung beim Geschlechtsverkehr. Ihren Namen bekam sie allerdings durch ein Missverständnis: Der Sexualforscher Alfred C. Kinsey (1894–1956) erforschte in den 1960er-Jahren die menschliche Sexualität und veröffentlichte diese im viel beachteten «Kinsey-Report». Was die Mediziner ventro-ventrale Kopulation nennen, taufte er «Missionarsstellung». Er meinte, die christlichen Missionare hätten diese als einzig zulässige durchsetzen wollen. Seine Quelle war ein Buch des Ethnologen Bronislaw Malinowski von 1929. Dieser hatte auf den Trobriand-Inseln in Melanesien in der Nähe Papua-Neuguineas die Sitten und Bräuche der einheimischen Völker erforscht. Dort erfuhr er von den Einheimischen, dass sie eine Stellung des Liebesspiels, die bei ihnen als langweilig galt, mit dem Namen «ibilimapu» («sie [die Frau] kann nicht mitmachen») bezeichneten – die ventro-ventrale Kopulation. Bis dahin kommen in Malinowskis Buch noch gar keine Missionare ins Spiel. Dann berichtet der Ethnologe, dass die Eingeborenen sich über die Missionare, die bei ihnen lebten, beklagen würden. Was sie störte, war die Sitte, sich als Liebespaare händchenhaltend in der Öffentlichkeit zu zeigen, die die jungen Einheimischen übernahmen. Bei den älteren Trobriandern galt sie jedoch als unanständig und wurde von ihnen als «misinari si bubunela» («Missionarsmode») bezeichnet. Also ein neumodischer Liebesbrauch, eingeführt von den Missionaren. Da verwechselte Kinsey beim raschen Lesen die beiden Dinge – er behauptete, die Eingeborenen hätten sich bei der Klage über die Missionarsmode auf die bekannte Liebesposition bezogen und verfestigte damit das Klischee, Missionare seien lustfeindliche Wesen.

N

Die Napoleonischen Kriege hatten auch Basel und das Dreiländereck in Angst und Schrecken versetzt. Jetzt war es an der Zeit für eine neue, menschenfreundliche Ära, waren sich die Christen der Erweckungsbewegung einig. (> S. 6)

Q

Die Tetteh Quarshie Bar ist keine Kneipe, sondern ein famoser Schokoladenriegel aus Ghana. Seinen Namen verdankt er Tetteh Quarshie, der als einer der ersten mit Kakaopflanzen in Ghana experimentierte und später zum Volkshelden stilisiert wurde. Vor ihm hatten sich bereits Basler Missionare am Kakaopflanzen versucht – erfolglos. Tetteh Quarshie war in einer Werkstatt der Basler Mission in Christiansborg zum Schmied ausgebildet worden. (> S. 32)

Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Grossen Sankt Bernhard Jacques-Louis David, 1800

O

Heutige «Missionare», die über Mission 21 ausgesandt werden, heissen ökumenische Mitarbeitende – im internen Sprachgebrauch auch OeMas – und sind im eigentlichen Sinne Fachkräfte, die in der Regel zunächst für drei Jahre in einer der Partnerkirchen oder -organisationen mitarbeiten. Zum Beispiel als Produktdesignerinnen, Ärzte, Ingenieurinnen oder Theologen.

P

Eine «Pflanzschule von Heidenboten» sollte das 1816 gegründete Missionsseminar sein (> S. 11). Die Originaldokumente von damals beinhalten viele für heutige Ohren sonderbar-merkwürdig klingende Formulierungen.

R

Die Vorstellung vom Reich Gottes war eine treibende Kraft für die ersten Missionare und die Gründer der Mission. Ein Reich, in dem Gerechtigkeit und Frieden für alle herrschen sollte. Die Vorstellungen vom Reich Gottes unterschieden sich: Hat es mit der Wiederkunft Christi zu tun? Wird es erst in der Ewigkeit zu finden sein? Oder hat es bereits begonnen? Bei aller Unterschiedlichkeit vereinte die Vision vom guten Gottesreich die Christinnen und Christen der Erweckungsbewegung und motivierte sie, die Gesellschaft und die Welt aktiv mitzugestalten. (> S. 6)


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Schülerinnen stricken Socken, 1915/1916. ABM E-30.28.048

U S

Die Europäer brachten nicht nur den christlichen Glauben mit, sondern auch viele Bräuche und kulturelle Elemente. Kultursensibilität war und ist dabei leider nicht immer selbstverständlich. So fragt sich Nana Opare Kwakye, Theologiedozent in Ghana, was lange schwarze Talare in einem so heissen Land verloren haben. Und wir fragen uns beim Betrachten dieses Bildes, wofür die jungen Afrikanerinnen Stricksocken brauchten?

T

Das Tagebuch ist nicht erst seit «Bridget Jones’ Diary» eine interessante Textgattung. In der Quellenforschung der Basler Mission spielen Tagebücher eine grosse Rolle. Jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung geben sie persönliche Einblicke in die Lebenswelten früherer Mitarbeitender der Mission. Diese erzählen darin von unzähligen Erfahrungen, von Hoffnung, Freude und Erfolgen, aber auch von Trennungen, Verlusten und Schmerz. Auch in dieses Magazin sind einige Tagebucheinträge eingeflossen.

Das Wort «unverschämt» löst verschiedene Assoziationen aus. Einigen missfällt, dass es im Motto des Jubiläums «200 Jahre unverschämt viel Hoffnung» auftaucht. Anderen gefällt, dass es das Gegenteil von «verschämt» ist. Laut Duden ist eine Bedeutung «das übliche Mass stark überschreitend». Wir könnten also auch sagen: krass, mega oder extrem viel Hoffnung!

V

Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien 1815 führte im Jahr darauf zu einem «Jahr ohne Sommer» mit starken Klimaveränderungen, die später zu verheerenden Hungersnöten führten. Bei vielen gläubigen Christen bewirkte dieses Erlebnis eine Weltuntergangsstimmung. Sie dachten: bald bricht das tausendjährige Reich Gottes an.

W

Eines der Leitmotive der Gründungsväter der Mission war, dass sie mithilfe des Evangeliums eine «wolthätige Civilisation» verbreiten wollten.

Y

Über die heutige Missionsarbeit wird nicht nur in Texten und Fotos berichtet, sondern auch in Bewegtbildern. Kurzfilme über verschiedene Projekte finden sich im YouTube-Kanal von Mission 21: youtube.com/mission21Basel

X

Trotz strengen Regiments gab es viele Bewerber für das Missionsseminar. Die Unterlagen früherer Bewerber und die Begründungen ihrer Ablehnung zeigen: Längst nicht jeder x-Beliebige wurde aufgenommen. (> S. 13)

Z

Aus Angst vor Zahnfäulnis und anderen Mundkrankheiten liess sich die 19-jährige Missionsbraut Martha vor ihrer Überfahrt an die Goldküste alle Zähne ziehen. Schliesslich gab es vor Ort keinen Zahnarzt. 1890 traf sie ihren künftigen Ehemann Balthasar Groh zum ersten Mal im Hafen von Christiansborg, drei Wochen später heirateten sie in Akropong. Die Braut war jedoch nicht zahnlos: Sie hatte sich in der Schweiz ein Gebiss einsetzen lassen.


110 Chronologie

1815–2015 200 Jahre Basler Mission

1815 1815

1832

1846

Am 25. September wird die Basler Mission gegründet. Erster Präsident wird Pfarrer Nikolaus von Brunn.

Zweiter Versuch an der Goldküste. Zwei von drei Missionaren sterben im Jahr ihrer Ankunft.

1816

1834

Ab 1846 wird die Bibel in die Hauptsprachen der Missionsfelder in Ghana, Indien und China übersetzt.

Am 26. August wird im Haus zum Panthier an der Rittergasse in Basel das Missionsinstitut gegründet.

Beginn einer eigenständigen Missionsarbeit in Indien mit Samuel Hebich, Johann Ch. Lehner und Christian L. Greiner.

Das erste Heft des Evangelischen Missionsmagazins erscheint unter dem Titel: Magazin für die neueste Geschichte der protestantischen Missions- und Bibelgesellschaften. Eine Zeitschrift für Freunde des Christentums und der Menschheit.

1820

1835 Die Mission im Kaukasus endet durch ein Dekret des Zaren auf Beschwerde der armenischorthodoxen Kirche hin.

1840

Das Missionsseminar bezieht grössere Räumlichkeiten an der Leonhardstrasse.

Acht von neun Missionaren an der Goldküste sind tot. Andreas Riis kehrt im Juni 1840 zwecks Berichterstattung nach Basel zurück.

1821

1841

Felician von Zaremba und August Heinrich Dittrich werden im Dienst der Basler Mission nach Russland geschickt. Die Basler Mission eröffnet in der Kaukasusregion ihr erstes Missionsfeld.

Inspektor Wilhelm Hoffmann gründet das Frauenmissionskomitee. An verschiedenen Orten entstehen Frauenvereine.

1824 Das Missionsinstitut wird in eine Missionsgesellschaft mit eigenem Missionsfeld umgewandelt.

1827 In Liberia versuchen Missionare, eine eigene Mission aufzubauen. Zwei Jahre später scheitern sie jedoch.

1828 Die Missionszeitschrift Der Evangelische Heidenbote erscheint zum ersten Mal. Ankunft der ersten vier Missionare der Basler Mission in Christiansborg bei Accra an der Goldküste, heute Ghana. Nur einer überlebt.

1842 Karoline S. Mook wird als erste unverheiratete Lehrerin nach Indien geschickt. Später folgen als ledige Lehrerinnen Wilhelmina Maurer (1857 an die Goldküste) und Marie von Rausch (1896 nach China).

1843

Die Missionsarbeit beginnt in China mit Rudolf Lechler und Theodor Hamberg. Sie arbeiten unter dem Volk der Hakka und betätigen sich als Sprachforscher.

1848

Basler Mission ein Grundstück. Karl Sarasin schenkt ein Landstück und Christoph Merian-Burckhardt Geld zum Bau einer Missionsanlage.

1859 Am 10. April wird als erstes Gebäude auf dem neuen Areal das Kinderhaus eingeweiht.

1860

Die Basler Mission gerät in eine finanzielle Krise aufgrund der Revolutionen von 1847 und 1848. Hauptsächlich britische Spenden aus Indien helfen der Missionsgesellschaft durch die Krise.

1850 Joseph Friedrich Josenhans aus Leonberg, Württemberg, wird Missionsinspektor (bis 1879). Er gibt der Basler Mission eine neue Struktur mit festen Regeln und Verordnungen.

1851 Das Komitee in Basel beauftragt Georg Plebst von Lauffen am Neckar mit der Einführung einer professionellen Druckereipresse in Indien.

Die «Basler Missions-HandlungsGesellschaft» wird gegründet.

1860

Das neue Missionshaus wird am 4. Juni feierlich eingeweiht. Es bietet Platz für 96 «Zöglinge».

1862

Am 26. September wird ein Zusatz in der Gemeindeordnung, der «Hausordnung» für christliche Gemeinden an der Goldküste festgesetzt: Dadurch wird ein radikaler Bruch mit der Sklaverei vollzogen.

1865 In Indien werden die Basel Mission Tile Works (Basler Missionsziegeleien) gegründet.

1866 Am 20. November wird in Mangalore (Indien) der erste einheimische Pfarrer, Daniel Furtado, ordiniert.

1855 1852

Gründung der Industriekommission.

1855

Gründung der Missionsvoranstalt mit zwei Klassen. Sie ist als Vorbereitung für das Missionsseminar gedacht.

Ratsherr und Komiteemitglied Karl Sarasin gründet die Halbbatzenkollekte.

Die Missionsindustrie in Indien wird eingeführt, um eine selbstständige Bewirtschaftung zu unterstützen.

Im Quartier Gundeldingen entsteht das erste Kinderhaus, auch «Missionskinderheimat» genannt.

1856

1857 Ausserhalb der Stadtmauern («vor dem Spalentor») kauft die

1869

Die Station Anum an der Goldküste wird während des Asantekriegs zerstört. Die Missionare Fritz Ramseyer und Johannes Kühne werden von den Asante gefangen genommen. Die Gefangenschaft dauert fünf Jahre.

1874 Die «Sklaven-Emanzipations-Kommission» überprüft den Freikauf von Sklaven mithilfe einer eigens dafür eingerichteten Spendenkasse.


111

1885

1925

Der erste Arzt, Dr. Rudolf Fisch, wird im Dienst der Basler Mission ausgesandt und beginnt seine Tätigkeit in Aburi, Ghana.

Am 15. November wird an der Maiengasse 64 das Schwesternhaus eingeweiht. Es ersetzt die Schwesternwohnungen an der Friedensgasse.

1886 1886

Die ersten vier Missionare der Basler Mission nehmen ihre Arbeit in Kamerun auf.

1926

1901

Durch die Ausweisung der Basler Mission aus Ghana entsteht die selbstständige Presbyterian Church of Ghana (PCG).

Am 25. Januar wird das Frauenmissionskomitee reaktiviert.

Erstmals erscheinen die Mitteilungen aus der Basler Frauenmission, deren Vorgänger Aus der Basler Frauenmission seit 1840 erschien.

1912 Am 1. Januar wird die erste chinesische Republik ausgerufen und die Missionsarbeit in China erfährt einen Aufschwung. Der 2000. Seminarist seit der Gründung der Basler Mission tritt ins Missionsseminar ein.

Die Missionare Georg E. Walter, Ernst W. Fischle und Gotthilf Ch. Kilpper werden in China entführt, die Stationen Moilim und Meihsien von roten Truppen besetzt.

1935

Die Kirche in Kalimantan erlangt ihre Unabhängigkeit und erstreckt sich über alle vier Provinzen.

1939

1952 Die Mission in Sabah/Malaysia (Nordkalimantan) nimmt ihren Anfang.

Die 125-jährige Geschichte der Basler Mission in Ghana wird an der Synode der Presbyterian Church gefeiert.

1957

Gründung der «Presbyterian Church in the Cameroons» (PCC).

1959

Aufbau des Missionsgebiets in Nordnigeria in Zusammenarbeit mit der «Kirche der Geschwister». Die Basler Mission arbeitet zunächst in Gavva und Ngoshie.

1966

Das Frauenmissionskomitee wird mit dem neuen Namen «Kommission für Frauenarbeit» Teil der Basler Mission.

Das Missionsseminar wird geschlossen, da mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 175 deutsche Missionsangehörige ins Militär einberufen worden sind. 157 treten in den Kriegsdienst ein.

1914-1918

1942

1972

Die Jahre des Krieges setzen der Basler Mission stark zu: Sie verliert fünf der sechs Missionsgebiete, 166 Missionare und 20 Schwestern müssen ihre Arbeit auf dem Missionsfeld beenden. Der Rückgang der Spenden und die Umtriebe durch den Krieg haben das grosse Werk «klein und arm gemacht».

Das Frachtschiff «Van Imhoff» wird durch ein japanisches Flugzeug versenkt. Unter den Toten sind auch Mitarbeitende der Basler Mission.

Das Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS) wird am 28. Januar gegründet.

1946

1917

1949

Missionare der Basler Mission, welche von der Theologie der Befreiung angezogen sind, reisen nach Südamerika und begründen die Zusammenarbeit.

Die Basler Mission trennt sich von der Basler Missionshandelsgesellschaft.

Die Tsung Tsin Mission Hongkong muss 1949 die Verbindung mit derjenigen auf dem chinesischen Festland abbrechen.

1975

1950

Gwatt-Prozess zur Restrukturierung der Missionsorganisation. Die Partner weltweit sollen vermehrt in Entscheidungsprozesse der Basler Mission einbezogen werden.

Die erste Synode der Dajakkirche wird 1946 in Banjarmasin, Südkalimantan, abgehalten.

1924 1924

Die Hakka-Chinesen, die durch die Arbeit von Rudolf Lechler und Theodor Hamberg eng mit der Basler Mission verbunden sind, gründen die Tsung Tsin Mission in Hongkong.

Das leitende Gremium der Basler Mission, das Komitee, wird in einen Vorstand und die Referentenkommission in eine Geschäftsleitung umgewandelt.

1999

Die Basler Mission tritt aus der KEM aus.

1953

Im Vorfeld des Krieges treten die deutschen Mitglieder der Missionsleitung zurück, um eine Konfiszierung des Missionseigentums in Übersee zu verhindern. 1954 konstituieren sich die deutschen Unterstützer des Werkes als «Basler Mission Deutscher Zweig».

1914

1995

2001 1966

Gründung der Heimatgemeindevertretung der Basler Mission.

1929

Alle europäischen Missionare müssen aus Hongkong zurückgeholt werden.

Im Sommer werden das Komitee und seine Präsidenten erstmals durch die offiziellen Vertreter der Heimatgemeinde gewählt.

1968 Die Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen (KEM) wird gegründet. Die Basler Mission ist grösstes Mitglied.

Die Basler Mission, die Schweizerische Ostasien-Mission (SOAM), die Südafrika-Mission, die Herrnhuter Mission (Moravian Church) und die Evangelische Mission im Kwango gründen Mission 21.

Zusammen mit der Gründung von Mission 21 öffnet das Hotel Bildungszentrum 21 im Missionshaus seine Türen.

2004

Im Januar findet in Basel die erste internationale Missionssynode von Mission 21 mit Delegierten aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa statt.

2007

Die SOAM löst sich von Mission 21 und ist wieder als selbstständiges Missionswerk tätig.

2009 Die erste interkontinentale Jugendkonferenz von Mission 21 findet in Tansania statt.

2011 Die Südafrika-Mission verlässt Mission 21.

1974

2013 In Nigeria und im Südsudan sind Partnerkirchen von Mission 21 von bürgerkriegsähnlichen Zuständen schwer betroffen. Medien nutzen die Expertise des Werkes rege.

2015

Die Basler Mission wird im christlichen Süden des Sudans tätig.

1990-1995

2001

2015

Die Basler Mission, der grösste Trägerverein von Mission 21, feiert ihr 200-jähriges Bestehen.

Team Archiv und Bibliothek, Mission 21


112 Karikatur

© Thomas Plaßmann

Impressum Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission Zeitschrift von Mission 21, Evangelisches Missionswerk Basel, Schweiz. Herausgeberin Mission 21. Auflage: 40 000 Exemplare Gesamtverantwortung Jubiläum: Peter Felber, Mission 21 Konzept und Projektleitung: Isabel Schlerkmann, Mission 21 Redaktionsleitung: Dorothee Adrian, Mission 21 Redaktion: Dorothee Adrian, Isabel Schlerkmann Bildredaktion: Anke Schürer-Ries, Mission 21; Michael Schlickenrieder, Mission 21

Redaktionsadresse und Verlag: «auftrag», Mission 21, Missionsstrasse 21, CH-4009 Basel Tel. +41 61 260 21 20 Fax + 41 61 260 22 68 auftrag@mission-21.org Das vorliegende Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission ist eine Sonderausgabe des «auftrags». Der «auftrag» erscheint Anfang März, Juni, September und Dezember. Den «auftrag» erhalten Gönnerinnen und Gönner von Mission 21.

Lektorat: Seraina Vetterli, Mission 21 Grafisches Konzept und Realisation: VischerVettiger Kommunikation und Design AG, Basel Druck: Gremper AG, Basel

Weitere Exemplare des Magazins: material@mission-21.org


Der Sankofa ist das Symbol des 200-Jahre-Jubiläums der Basler Mission. Der Vogel, der seinen Hals nach hinten dreht, um ein Ei aus seinem Gefieder zu nehmen, steht in der Kultur des ghanaischen Akan-Volkes für das Lernen aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft. San heisst zurückkehren; ko bedeutet hingehen und fa steht für sehen, suchen, nehmen. Der Sankofa-Vogel wird mit einem Sprichwort verbunden, das übersetzt bedeutet: «Es ist nicht falsch, zurückzukehren und etwas zu holen, was du vergessen hast».

Unser Einsatz geht weiter. Engagieren Sie sich mit uns für eine friedlichere und gerechtere Welt. www.mission-21.org/onlinespenden Spendenkonto PC 40-726233-2


Januar 2015 Schutzgebühr CHF 8.– | € 6.50

200 Jahre Basler Mission

«Mission beginnt, lange bevor Menschen irgendetwas tun. Mission ist, wenn Gott durch Menschen berührt: dich durch mich und mich durch dich. Mission ist, wenn Gott an Menschen handelt: an dir mit mir und an mir mit dir. In Christus verbunden rund um die Erde, von Basel aus in alle Welt und zurück: weiter so, Mission 21!»

Konrad Specker, Chef Institutionelle Partnerschaften der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA

Gerechtigkeit und den Frieden

«Ich gratuliere der Basler Mission zu ihrem 200. Geburtstag. Die langjährige Arbeit hat sich im Verlauf der Jahrhunderte von der Mission zur Entwicklungszusammenarbeit stetig weiterentwickelt. In einer Welt voller sozialer, ethnischer und religiöser Konflikte ist es enorm wichtig, dass in Bildung investiert wird. Deshalb gratuliere ich der Basler Mission auch dazu, dass sie multireligiöse Schulen und Projekte der Frauenund Friedensförderung betreibt und begleitet.» Guy Morin, Regierungspräsident Basel-Stadt

«Die Basler Mission spielt(e) in unsrer Familie generationenübergreifend eine Rolle: Meine Mutter verteilte im Dorf ‹Missionsblättli›, und unsere älteste Tochter war 2002 Teilnehmerin an einem von Mission 21 mitorganisierten Workcamp im Nordosten Nigerias. Es gibt eine Ökumene der Vertikale – über die Generationen hinweg – und eine Ökumene der Horizontalen – als weltweite Dimension. Für mich verkörpert die Basler Mission auf überzeugende Weise beides. Auf dass es noch lange so bleibe!» Wilfried Bührer, Präsident der Deutschschweizer Kirchenkonferenz

Gottfried Wilhelm Locher, Ratspräsident des Schweiz. Evangelischen Kirchenbundes SEK

«Voller Freude gratuliere ich der Basler Mission: 200 Jahre lang hat sie einen treuen Dienst am Leben spendenden Evangelium von Jesus Christus geleistet. Sie hat sich für das Leben, die eingesetzt, welche Eckpunkte des Reichs Gottes auf Erden sind. Das Engagement der Basler Mission zeigt, dass Gott sie weiterhin gebraucht, um seiner Schöpfung Liebe und Gnade zu zeigen.» Olav Fykse Tveit, Generalsekretär Ökumenischer Rat der Kirchen ÖRK

«Die Basler Mission 21 hat es verstanden, die frühere ‹Missionsarbeit› in eine zeitgemässe in der Entwicklungszusammenarbeit tätige Organisation zu führen. Gerade im Erhalt ihrer Grundwerte und in deren Umsetzung in den aktuellen Kontext ist sie uns ein grosses Vorbild. Und dies weit über die Missionstätigkeit hinaus. Zu ihrem 200-jährigen Jubiläum gratulieren wir der Basler Mission 21 herzlich und freuen uns auf die weitere sehr angenehme Zusammenarbeit.» Teres Steiger-Graf, Geschäftsleiterin Bethlehem Mission Immensee BMI/COMUNDO

«Mit Mission 21 sind wir seit 200 Jahren in eine internationale Kirchengemeinschaft eingebunden – ja, wir sind mit ihr sogar sichtbar eine weltweite Kirche. Das stärkt uns. Ich bin Mission 21 und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Partnerkirchen dafür sehr dankbar. Möge Gott ihre Arbeit weiterhin segnen.»

«Zum Jubiläum einer 200-jährigen, bewegten und wechselvollen Geschichte gratuliere ich von ganzem Herzen. Für die Zukunft wünsche ich Mission 21 viele visionäre Ideen, die Kraft zur Gestaltung und Erneuerung sowie den unverrückbaren Glauben, dass wir es mit vereinten Kräften schaffen werden, Entscheidendes zu einer besseren Welt, einem Leben in Würde für alle beizutragen.» Ueli Locher, Direktor Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz HEKS

«Männer und Frauen, die im Auftrag der Basler Mission in die Welt hinaus zogen, haben viel bewegt. Aber nicht nur in Kamerun oder Kalimantan, sondern auch zu Hause, sei es durch ihre Berichte im Basler ‹Evangelischen Heidenboten› oder dann als Heimkehrende. Sie haben das Bild, das wir von Menschen des Südens und ihrer Kulturen haben, massgeblich geprägt und – zum Glück – auch wieder in Frage gestellt.» Beat Dietschy, Zentralsekretär Brot für alle BFA

«Das Schweizerische Tropeninstitut gratuliert der Mission 21 von Herzen zu ihrem grossen Jubiläum. Wir freuen uns, dass wir seit der Gründung unseres Instituts vor 70 Jahren mit der Mission 21 auf vielen Ebenen partnerschaftlich verbunden sind und dadurch schon viele Projekte in Basel und in den Einsatzländern gemeinsam realisieren konnten – miteinander lernen wir, um einen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Wir freuen uns auf noch viele gemeinsame Jahre fruchtbarer und wirksamer Zusammenarbeit.» Marcel Tanner, Direktor Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut Swiss TPH

Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer – Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission

«Die Basler Mission ist mehr als die Geschichte einer Mission. Sie ist die Geschichte eines unternehmerischen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Akteurs. Auch heute ist die Mission 21 mehr als eine moderne engagierte Mission. Ihre interreligiöse Friedensarbeit und ihr Einsatz für ein offenes Christentum sind von grosser gesellschaftlicher Bedeutung. Ebenso soll die Zukunft von Mission 21 mehr sein als die einer weltoffenen Mission. Die künftige entwicklungspolitische Relevanz von Mission 21 liegt im Beitrag, den sie an die Förderung von integrativen und aufbauenden gesellschaftlichen Prozessen leisten kann.»

Pioniere, Weltenbummler, Brückenbauer Jubiläumsmagazin zu 200 Jahren Basler Mission

Lukas Kundert, Kirchenratspräsident Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt

Projekt Prescraft

www.mission-21.org/jubilaeum

Die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt ist beim Jubiläum der Basler Mission die offizielle Gastgeberin für die Gäste aus Übersee. Zudem unterstützt sie die Veranstaltungen in Basel sowie dieses Magazin mit einem namhaften Beitrag.

Unterwegs in eine andere Welt, ein anderes Leben Missionare als Reisende

Förderung des traditionellen Kunsthandwerks in Kamerun


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