Leseprobe zu Digitaler Journalismus

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Digitaler Journalismus

Wenn jemand eine spektakuläre Information über eine bekannte Person oder Institution verbreitet, ist es am besten, bei dieser Person oder Institution direkt nachzufragen, ob die Information zutrifft. Falls das alles nichts fruchtet, gilt: Lieber die Finger davon lassen und nicht darüber berichten. Es bringt nichts, eine unbestätigte Information mit dem Hinweis, dass sie eben noch nicht verifiziert werden konnte, weiter zu kolportieren. Zu groß ist die Gefahr, dass das Gros der Leser den Inhalt eben doch für bare Münze nimmt. Der journalistischen Glaubwürdigkeit erweist man damit einen Bärendienst. Was verrät der Code über Manipulationen? Fotos und Videos Fotos sind im Netz sehr beliebt. Das liegt daran, dass sie schneller zu erfassen sind als Text. Viele Nutzer messen Fotos eine Beweiskraft bei. Die Geschichte der Fotomanipulation ist aber so alt wie die Geschichte der Fotografie selbst, und gerade digitale Fotos lassen sich leicht manipulieren: Das geht bei optischen (Schönheits-)Korrekturen los (der Star lässt seine Falten „photo­ shoppen“). Schwerwiegender sind Fälle, bei denen Inhalte hinzugefügt (eine weitere Rakete) oder entfernt werden (missliebige Personen), um die Aussage des Fotos im gewünschten Sinne zu verändern. Häufig wird ein Motiv kaum oder gar nicht verändert, allerdings in einem vollkommen fremden Kontext verwendet, oft mit der Absicht, es für eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Für viel Aufsehen sorgte 2016 die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die das Bild eines kleinen weißen Jungen inmitten von farbigen Mädchen twitterte, garniert mit der Überschrift: „Deutschland 2030 – Woher kommst du denn?“ Damit implizierte Steinbach eine „Überfremdung“ Deutschlands. Dem damaligen NDR-Redakteur Fiete Stegers ließ das keine Ruhe: Er recherchierte wochenlang, um herauszufinden, wer der Urheber des Bildes war. Seine Hartnäckigkeit wurde am Ende belohnt: Er fand heraus, dass das Foto bei einem Besuch einer australischen Familie in einem indischen Kinderheim entstand. Das Foto „zeigt das Miteinander verschiedener Kulturen und von Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen“, sagte die Mutter des abgebildeten Jungen. Die Familie hatte also eine komplett andere Intention als Erika Steinbach (und viele andere Menschen, die das Bild ebenfalls in einem fremdenfeindlichen Kontext verwendet haben).


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