TEXT: JOHANNES REICHL, MICHAEL MÜLLNER | Fotos: Torbz/Franz pfluegl/OLLY/PS DESIGN (alle fotolia.com), ZVG
Aktuell berappt man für das Geschäft vierteljährlich (!) rund eine Million Euro an Zinsen, die derzeit bei 18% liegen. Der Marktwert liegt per dato bei läppischen 86 Millionen Euro (schoss zwischendurch sogar schon durch die 100 Millionen Euro-Decke) – und wir sprechen hier von minus! Ins Plus, so zweifeln selbst die größten Optimisten, wird das Geschäft wohl nie drehen – was es im Übrigen von Beginn an nicht tat. Der Stadtvertreter wird zwischendurch aufkären, dass „selbst wenn der Kurs steigt, wir trotzdem mehr zahlen müssten, um auszusteigen. Das ist das Paradoxon“. Der im Prozess gefallene Begriff „toxisches Geschäft“ trifft es besser. Angesichts der Tatsache, dass diese Franken-Euro-Wette – und um nichts anderes handelt es sich – laut Vertrag noch gut 20 Jahre läuft, eine schwere finanzielle Hypothek für St. Pölten, auch eine politische. Freilich, so der Rechtsstandpunkt der Stadt: Das Geschäft hätte gar nicht erst abgeschlossen werden dürfen, weil man seitens der RLB nicht ausreichend informiert worden sei über die wahre Zusammensetzung dahinter. Da klaffen ein paar Kennzahlen weidlich auseinander: Während die Stadt von einem Nominale von 23,9 Millionen Euro ausging (Basis hierfür stellte ein Krankenhauskredit in selbiger Höhe dar, weil das ganze Geschäft ja unter der Rubrik „Schuldenbewirtschaftung“ läuft), ist plötzlich von bis zu 400 Millionen Euro die Rede. Auch von den 67 Einzeloptionen, aus denen sich der jeweilige Wert errechnet, hat die Stadt laut eigener Aussage nichts gewusst. Ja, man unterstellt, dass das auch auf den Bankvertreter selbst zutrifft, der das Produkt verkaufte. Dieser wird folgendermaßen zitiert: „Ich bin nicht der Meinung, dass hinter dieser Formel Optionen stehen. Es hat mir auch von unserer Treasury Abteilung niemand gesagt, dass hinter dieser Formel eigentlich Optionen stehen sollen.“ Kleiner Schönheitsfehler: Das Zitat stammt aus einem Parallelprozess, weshalb der RLB Vertreter kurzzeitig zum Rumpelstilzchen mutiert: „Das ist ungeheurlich!“
Der Bürgermeister wird im Rahmen seiner Befragung am Nachmittag jedenfalls mantraartig einflechten: „Wenn bekannt gewesen wäre, welche Konstruktion hinter dem Geschäft steckt, hätten wir es nie abgeschlossen – ja gar nicht abschließen dürfen!“ Aus diesem Grund zweifelt man die Rechtswirksamkeit per se an, hätte ein solches Geschäft doch von der Gemeindebehörde genehmigt werden müssen – was nicht geschah. Auch die Aussage „da wurde uns ein Risiko untergejubelt“, lässt Stadler mehrmals fallen. Die geklagte RLB hingegen will im juristischen Sinne von einer etwaigen Unterlassung oder Fehlinformation nichts wissen. Selbst die Existenz von 67 Einzeloptionen wird bestritten, wenngleich man einräumt, dass sich das Ding nur berechnen lässt, wenn man es wie 67 Einzeloptionen behandelt. Jedenfalls sei alles rechtens abgelaufen. Gong! Die erste Runde ist eröffnet, Schauplatz: Verhandlungssaal 19.11. Der Herr Rat und die Men-In-Black Der kleine, aber moderne Verhandlungssaal im 19. Stock hat gerade einmal die Größe eines halben Klassenzimmers. An der Stirnseite, leicht erhöht, „thront“ der Richter unter einem modernen Staatsadler in Metall. Zur Linken und Rechten sind die Reihen der Rechtsvertreter, dazwischen – quasi in der „Mangel“ – der Stuhl der Zeugen (im Übrigen als einziger ohne Polsterung). Eine breite Fensterfront gewährt einen beeindruckenden Blick auf Wien und wird während Prozesslängen die willkommene Abwechslung bieten, sich ganz dem Spiel „Suche die Sehenswürdigkeiten“ hinzugeben. Wobei richtig fad wird es eigentlich nie, was vor allem dem Richter – von den Anwälten schlicht „Herr Rat“ tituliert – zu danken ist. In einer „gschmeidigen“ Mischung aus Zynismus, Selbstverliebtheit und Theatralik sorgt er dafür, dass der Humor in diesem Trauerstück nicht zu kurz kommt. Seine prinzipielle Hassliebe gegenüber dem Treiben im Verhandlungssaal
„Schwebend unwirksam“ aus der Anklageschrift Die Klage der Stadt St. Pölten gegen die RLB baut auf mehreren Argumentationslinien auf und reicht von der fehlenden Genehmigung durch die Gemeindeaufsichtsbehörde über den Vorwurf der bewussten Irreführung bis hin zum Tatbestand des Wuchers. Ein kleines „Best Of“.
„Unwirksamkeit des Swap-Geschäftes wegen Fehlens der Genehmigung durch die Gemeindeaufsichtsbehörde. [...] Genehmigungspflichtige Rechtsgeschäfte der Stadt St. Pölten werden Dritten gegenüber erst mit der aufsichtsbehördlichen Genehmigung rechtswirksam. Mangels Genehmigung entsteht keine Leistungspflicht und haftet die Stadt St. Pölten auch nicht für Schäden infolge Versagung der Genehmigung. [...] Zivilrechtlich sind sie bis zum Vorliegen einer Genehmigung schwebend unwirksam. Die schwebende Unwirksamkeit endet, wenn feststeht, dass eine Genehmigung nicht mehr erzielt werden kann. Das ist gegenständlich der Fall: Das Geschäft war und ist nicht genehmigungsfähig, wie sich aus §76 Abs. 5 NÖ STROG ergibt: Es bestand insbesondere die Gefahr einer dauerhaften Schmälerung des Vermögens und einer übermäßigen Verschuldung. Damit steht fest, dass das Swap-Geschäft wegen fehlender aufsichtsbehördlicher Genehmigung endgültig rechtsunwirksam ist.“ „Unwirksamkeit wegen Wuchers“. Die RLB habe u. a. „[...] die Unerfahrenheit mit exotischen Währungswettgeschäften sowie das bestehende besondere Vertrauensverhältnis zur beklagten Partei ausgenutzt“ Der Tatbestand sei „mangels hinreichender Treasury-Erfahrung/mangels finanzmathematischer Expertise“ gegeben. „Anfechtung des Swap-Geschäftes wegen laesion enormis“ [Verkürzung über die Hälfte, Anm.]“ und wegen „List und Irrtum“ So seien folgende Punkte verschwiegen worden: „Eigentliche Struktur der Zinsbildungsformel; Negativer Marktwert; Besonderheiten des Swap-Geschäftes; Interessenskonflikt der RLB; Einräumung von Kreditlinien und Margepflicht.“ Missachtung der „Wohlverhaltensregeln“, also „Gebot vollständiger und richtiger Information; Handeln im besten Sinne des Kunden; Verbot Geschäfte zu empfehlen, die den Interessen des Kunden nicht gerecht werden.“ Daher fordert die Stadt „Rückerstattung“: „Unwirksamkeit, aber auch die berechtigte Anfechtung des Geschäfts wegen List, Irrtums und laesio enormis des Geschäftes führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung.“
MFG 06.13
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