MFG - Das Magazin / Ausgabe 76

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MFG Ausgabe 03/21

CORONA

POSITIV Wie Corona unser Leben dank kreativer Köpfe auch teils positiv beeinflusst.

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20.08.19 09:36


JOHANNES REICHL

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MACHIAVELLI TRIFFT LESSING IM VAZ

in Hauch von Hesses „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ wehte durch die Hallen des VAZ St. Pölten, als sich Ende Februar der Gemeinderat ebendort coronasicher konstituierte. Am treffendsten brachte die Aufbruchsstimmung vielleicht Grün-Mandatarin Christina Engel-Unterberger – immerhin eine von gleich elf Rookies im 42-köpfigen Gremium – zum Ausdruck: „Ich muss schon sagen, es ist etwas Besonderes das erste Mal hier an diesem Pult für eine Wortmeldung zu stehen. Demokratie auf diese Art und Weise zu erleben und die Möglichkeit zu haben unser Zusammenleben in St. Pölten mitzugestalten, erlebe ich als etwas sehr Kostbares.“ Viel war sodann im weiteren Verlauf der Sitzung von Zusammenarbeit die Rede. Der Bürgermeister etwa formulierte rhetorische Feelgood-Perlen wie „Natürlich ist der große Vorsatz, dass man die parteipolitische Brille das eine oder andere Mal beiseite legt“ und er plädierte für Kooperation über parteipolitische Grenzen hinweg. „Politik braucht auch Kompromisse. Das Angebot zur Zusammenarbeit steht meinerseits – an alle!“ Nur eine Stunde später – in der Zwischenzeit war es merklich kühler in der Halle geworden, so dass sich einige Mandatare sprichwörtlich ein bisschen wärmer anziehen mussten – mimte die SPÖ aber den Partycrasher und holte die Opposition auf den harten Boden der Realpolitik zurück. So wurde die Zahl der Ausschuss-Mitglieder von bislang zehn auf neun reduziert. Ein kleiner Schritt für die mit einer absoluten Mehrheit ausgestattete SPÖ, ein großer für die Grünen, die dadurch aus all diesen Gremien als stimmberechtigter Partner fallen bevor sie überhaupt drinnen waren und den Ausschusssitzungen nur mehr – so sieht es das NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz vor – als „Zuhörer“ beiwohnen dürfen. Alles freilich innerhalb der legistisch-demokratisch abgesteckten Grenzpflöcke und aus Sicht der SPÖ nachvollziehbar – man sichert sich mit einem Verhältnis von 6 (SPÖ): 3 (Opposition) Stimmen jeweils eine Zweidrittelmehrheit.

NEOS Neo-Mandatar Niko Formanek, der nicht – wie es manche vielleicht erwartet hatten – als kleinste Fraktion den Kontrollausschuss angeboten bekommen hatte (der Vorsitz dafür ging an die FPÖ), brachte sodann auch wenig überraschend Machiavelli ins Spiel: „Ich verstehe, warum das so gemacht wurde und wie es gemacht wurde. Es ergibt total Sinn – aus politischer Sicht, aus machtpolitischer Sicht, aus taktischer Sicht, aus machiavellistischer Sicht.“ Dann freilich modulierte er Lessings „Kein Mensch muss müssen“ auf St. Pöltnerische Lokalebene. „Gleichzeitig muss man aber nicht alles, was demokratiepolitisch und rechtlich möglich ist, immer tun. Nicht alles was rechtlich möglich ist, ist auch moralisch und ethisch richtig. Und es wäre vielleicht ein Signal an die Opposition gewesen, das anders zu machen.“ „Hättiwari“ ist freilich – mitunter leider – keine Kategorie in der Politik, und so entbehrte auch dieser Premierengemeinderat nicht den üblichen Sticheleien zwischen den Parteien, wenn etwa die ÖVP von einer rot-blauen Verlierer-Koalition sprach, die FPÖ ihrerseits neue mathematische Axiome aufstellte und das Wahlplus der ÖVP in ein eigentliches Minus uminterpretierte, oder die SPÖ davor warnte, keinen alten Wein in neue Schläuche zu gießen, aber offensichtlich selbst selbigen aus der letzten Legislaturperiode noch nicht gänzlich vertilgt hatte. Vielleicht hilft es den Mandataren in Zukunft ja, wenn sie sich ein Wort im frisch abgelegten Gelöbnis als Gemeinderat im Laufe der kommenden fünf Jahre immer wieder ins Gedächtnis rufen: „Ich gelobe … meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Landeshauptstadt St. Pölten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.“ Als gelerntem Bürger schießt einem da natürlich sofort „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ durch den Kopf, aber wir wollen in dieser feierlichen Stunde dem Zweckoptimisten den Vortritt lassen: „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“

Offenlegung nach §25 Medien-Gesetz: Medieninhaber (Verleger): NXP Veranstaltungsbetriebs GmbH, MFG - Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten. Unternehmensgegenstand: Freizeitwirtschaft, Tourismus und Veranstaltungen. Herausgeber/GF: Bernard und René Voak, in Kooperation mit dem Kulturverein MFG. Grundlegende Blattlinie: Das fast unabhängige Magazin zur Förderung der Urbankultur in Niederösterreich. Redaktionsanschrift: MFG – Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten; Telefon: 02742/71400-330, Fax: 02742/71400-305; Internet: www.dasmfg.at, Email: office@dasmfg.at Chefredakteur: Johannes Reichl Chefredakteur-Stv.: Michael Müllner Chefin vom Dienst: Anne-Sophie Müllner Redaktionsteam: Thomas Fröhlich, Sascha Harold, Johannes Mayerhofer, Michael Müllner, Andreas Reichebner, Thomas Schöpf, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kolumnisten: Thomas Fröhlich, Michael Müllner, Tina Reichl, Roul Starka, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kritiker: Helmuth Fahrngruber, Thomas Fröhlich, David Meixner, Michael Müllner, Clemens Schumacher, Manuel Pernsteiner, Michael Reibnagel, Christoph Schipp, Robert Stefan, Thomas Winkelmüller Karikatur: Andreas Reichebner Bildredaktion: Elias Kaltenberger, Matthias Köstler Cover: stock.adobe.com Art Director & Layout: a.Kito Korrektur: Anne-Sophie Müllner Hersteller: Walstead NP Druck GmbH Herstellungs- und Verlagsort: St. Pölten Verlagspostamt: 3100 St. Pölten, P.b.b. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2. Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Für den Inhalt bezahlter Beiträge ist der Medieninhaber nicht verantwortlich.


CORONA POSITIV – Seite 8

DAS KIKULA IS DO – Seite 20

BIO-LANDWIRTSCHAFT – Seite 36

WIE WÄRE ES MIT PRANDTAUER? – Seite 46

KNOCHENARBEIT – Seite 52

FC STURM 19 – Seite 64

3 Editorial 6 In was für einer Stadt leben wir

30 Not that kind of Doctor 32 Volkshilfepräsident Ewald Sacher 36 Bio-Landwirtschaft

URBAN

7 Shortcut Urban 8 Corona positiv 12 Der Wachtelkönig wundert sich 14 Götterdämmerung 20 Das KiKuLa is do 24 Gemeinderat Team 2021 26 Pflegeheim Kirchstetten 29 Von Gläubigen & Gläubigern

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60 Studienguide 2021

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64 FC Sturm 19 – Eine (proletarische) St. Pöltner Legende

SZENE

66 Kritiken 67 Veranstaltungen 68 Außensicht 70 Karikatur

42 Shortcut Kultur 44 Freunde der Kultur St. Pölten 46 Wie wäre es mit Prandtauer? 50 Shortcut Szene 52 Knochenarbeit

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21. MAI 2021

#WIRKOMMENWIEDER Do 11.03.21 um 20.00 YELLOW - THE SORROWS OF BELGIUM II : REX – Regie Luk Perceval – Eine Koproduktion von

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Mo 29.03.21 ab 14.00 FAMILIENZIRKUS Schnitzeljagd für die ganze Familie zum Stream „Die dumme Augustine“

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Di 30.03.21 ab 14.00

Fr 19.03.21 ab 19.30 STEILWAND

Regie Jana Vetten

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… in der St. Pölten Horst Eckert anlässlich seines 90. Geburtstages am 11. März quasi hochleben lässt. Eckert sagt Ihnen nichts – okay, dahinter verbirgt sich niemand Geringerer als Kinderbuchautor JANOSCH! In St. Pölten feiert am 1. November im VAZ St. Pölten „Oh, wie schön ist Panama! Das Musical zum Kinofilm“ Premiere. Möglich macht‘s Irina Probost, die manch mittleren Semestern noch als Moderatorin der KultKinderserie „Am dam des“ in Erinnerung sein wird. Nach 25 Jahren in Deutschland ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt, und wohnt quasi gleich ums Eck – in Mank. In Deutschland machte sie als Filmproduzentin Karriere und zeichnet u. a. für drei Janosch-Kinofilme verantwortlich, darunter auch „Oh, wie schön ist Panama“ (genau – der wo Til Schweiger, Anke Engelke & Co. die Synchronstimmen leihen). Das Musical wird ein Hochkaräter, wie Probost verspricht: „Ein Musiktheater zum Mitmachen für Groß und Klein mit großartigen Überraschungen.“ Wie z. B. der Cou le Kuh Band, in der gar der Schlagzeuger der Spider Murphy Gang mitwirkt, „oder der Handpuppe Schnuddel, Janosch‘s Lieblingsfigur!“ Die hat übrigens Puppenmacher Stefan Gaugusch, der schon Rolf Rüdiger und Kasperl & Co. Leben einhauchte, kreiert. Kurzum, es wird ein Riesenspaß mit Tiger und Bär. Oh wie schön ist Panama – in St. Pölten! 6

…  in der das „Haus der Zukunft“ im Weselyhaus in der Hessstraße keine Zukunft hat und klammheimlich sanft entschlafen ist. Im Wahljahr 2016 wurde es noch mit Pauken und Trompeten als eine Art innerstädtisches Pendant bzw. Erweiterung des „Hauses der Geschichte“ im Kulturbezirk präsentiert. Ein hipper Lehr-, Lern- und Begegnungsraum samt zeitgemäßer Bibliothek und Science-Center sollte mitten in der City entstehen, ja sogar ein Planetarium war geplant. Nun, aus dem Sternderlschauen ist nix geworden, alle bisherigen Konzepte wurden verworfen. „Es gab damals schon viele andere Optionen neben dem Projekt mit Schwerpunkt Medien- und Wissensvermittlung“, erklärt Christoph Schwarz, Leiter der Magistratsabteilung Zukunftsentwicklung, Wirtschaft und Marketing. Und derzeit wieder andere: Denn rund um das markante 60erJahre-Bauwerk wird gerade das Leinerareal als „Rossmarktviertel“ entwickelt. Außerdem haben sich durch das Kulturhauptstadtjahr neue Perspektiven für Martin Bosch, seit zehn Jahren Eigentümer des Weselyhauses, aufgetan, der in Gesprächen mit den Machern des Kulturschwerpunkts 2024 steht: „Bis zum Sommer wird eine Entscheidung fallen“, bestätigt diesbezüglich Projektleiter Jakob Redl. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Zukunft für den Bau mit großer Vergangenheit.

… in der der Domplatz auch nach der Wahl ein heißes Eisen bleibt. So kursierte etwa zuletzt ein Rendering des neugestalteten Platzes, von dem man sich (freilich ohne Details zu kennen) im ersten Moment fragte: „Und dafür wird seit Jahren geplant – da hätte man den Platz gleich lassen können wie er ist?!“ Zugleich scheint auch die Tiefgarage unter dem Bischofsgarten als Parkplatzersatz noch nicht vollends in trockenen Tüchern zu sein, wenn die Diözese etwa von einer „möglichen Realisierung der Tiefgarage im Bischofsgarten“ spricht. Zwar verweist man auf die bereits erfolgte Grundsatzeinigung mit der Stadt, ebenso heißt es aber im Hinblick auf die Durchführungsplanung, „es gilt, die wirtschaftliche Notwendigkeit, den genauen Bauumfang, unterschiedliche Durchführungsvarianten und sämtliche damit verbundene Kosten präzise abzuwägen.“ Auch die Archäologie bereitet einmal mehr Kopfzerbrechen: „In einem ersten Schritt müsste die, ebenfalls kostenintensive, archäologische Voruntersuchung durchgeführt werden.“ Kurzum: Es gibt noch viele Konjunktive und Fragezeichen. Und so bittet man „um Geduld, bis gemeinsam mit der Stadt St. Pölten konkrete Informationen dazu veröffentlicht werden können.“ Egal ob die Tiefgarage kommt oder nicht, spannend wäre auch die Idee einer prinzipiellen Öffnung des Bischofgartens.

FOTOS STOCK.ADOBE.COM, KDH-FILM

IN WAS FÜR EINER STADT LEBEN WIR EIGENTLICH ...


LEINER VERLÄNGERT

KOLUMNE MICHAEL MÜLLNER

ZIELGERADE

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rst zwei Monate alt, hat der Gestaltungsbeirat in St. Pölten schon seine ersten Spuren hinterlassen. Denn das neue Gremium, das laut Stadtplaner Jens De Buck ein Auge auf eine „zeitgemäße Architektur im Stadtbild“ wirft und damit eine „ansprechende Stadtentwicklung und qualitätsvollen Städtebau“ garantieren soll, hat „Nein“ gesagt: Zu den ersten Plänen für das Leiner-Stadtquartier mit Hotel, Kongresssaal, Wohnungen und Handelsfläche zwischen Rossmarkt und Rathausplatz

nämlich. Damit sorgen die Gestaltungsbeiräte für große Freude. Zwar nicht bei der Signa-Gruppe, die das Großprojekt plant, aber doch bei Innenstadtbewohnern und Schnäppchenjägern. Durch die Verzögerung beim Baustart wird das Möbelhaus nämlich jetzt erst Ende März schließen und geht quasi in die Verlängerung. Erstere kommen jetzt noch zu Waren, die es nach dem Leiner-Aus in der City nicht mehr gibt. Und Zweitere können weiter den Rausverkauf im Traditionsmöbelhaus stürmen.

C L U S TE R

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s war Gesprächsthema Nummer 1 bei der Covid-Teststraße Anfang März im VAZ St. Pölten. Im St. Pöltner Rathaus hat sich ein Cluster gebildet. Die Stadtverwaltung stellte daraufhin das Rathaus auf „Notbetrieb“ um. Im Rathaus waren Stand 1. März sechs Fälle bekannt. „Wir gehen deshalb auf Nummer sicher und haben umgehend flächendeckende Tests durchgeführt“, so Bürgermeister Matthias Stadler. Und Magistratsdirektor Thomas Dewina weiter: „Das Wichtigste ist, dass eine mögliche Ansteckungskette innerhalb der Belegschaft radikal unterbrochen wird, dies funktioniert nur bei geringstem Personaleinsatz und bei Freite-

stung der anwesenden Bediensteten.“ Die Bevölkerung wird aufgerufen, digital in Kontakt mit dem Amt zu treten (Onlineformulare, rathaus@stpoelten.gv.at) bzw. nur in notwendigen Fällen nach Terminvereinbarung unter 02742/333-0 ins Rathaus zu kommen.

Die Zielgerade der Corona-Pandemie scheint zwar dank Impfungen erreicht. Wie lange sie noch ist und wer durch das heftiger werdende Rempeln und Stoßen auf der Strecke bleibt, ist jedoch offen. Zwei Tipps, bis wir durch das Ziel gehen. Beobachten wir die Egoismen unserer Zeit. „Mit den Öffnungen im März wird es nix“, seufzt die Dorfwirtin frustriert, während sie an der Schank mit ihren wartenden Gästen plaudert, die sich das Sonntagsschnitzerl abholen. Statt der vorgeschriebenen FFP2-Maske trägt sie ihren Mundnasenschutz – unterm Kinn. Seuchenbekämpfung ist super, aber sobald man selbst beitragen muss, wird es zach. Lassen wir uns weiter am Schmäh führen. „Das Eintrittstesten beim Friseur hat super funktioniert“, sagt die Regierungsspitze. Haben die keine Freunde, die ihnen sagen was abgeht? Oder glauben die wirklich, wir kaufen ihnen das ab? Wenn man lieber den Weltmeister-Komplex fördert, anstatt seine Fehler zu kultivieren, dann darf man sich nicht wundern, wenn ein Teil der Bevölkerung auch nach einem Jahr Pandemie noch immer ernsthaft die dumme Frage stellt: „Wieso soll ich als gesunder Mensch testen gehen?“ Unterdessen leistet sich St. Pölten 42 Gemeinderäte, die realpolitisch eher unnötig sind, da der Erfolg der Stadt an der Gestaltungskraft des Bürgermeisters und seines umsetzungsstarken Rathausapparats liegt. Beweis? Offenbar hat dem Wählerwillen eine ausgestreckte Hand zu genügen, ein Platz im Ausschuss ist zu viel verlangt. Andere Meinungen? Ein demokratiepolitisches Dessert. Nice to have, aber heute leider aus.

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CORONA POSITIV V

or einem Jahr hat es all diese wunderbaren Dinge, diese erfreulichen Entwicklungen noch nicht gegeben. Oder hätten Sie im März 2020 jemandem Aug‘ in Aug‘ zugeprostet, der 3.000 Kilometer entfernt seine Weinflasche entkorkt hat? Hätten Sie mit viel Vorfreude am Valentinstag vom Wirt Ihres Vertrauens eingepackte Schmankerl geholt? Wären Sie im Sommer 2019 fasziniert vor einer Filmleinwand gesessen, im Auto? Hätten Sie im Jogginganzug die Theateraufführung von Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ beklatscht?

Nicht auszudenken wär‘ das gewesen Seit Jänner 2020 verändert die Pandemie unser gewohntes Leben 8

Die Pandemie verändert unser Leben nachhaltig — durch all die Ideen, Projekte, Angebote, die kreative Köpfe auf der „Bright side of Corona“ verwirklichen. – nachhaltig, sagen Zukunftsforscher. Zum Beispiel die Mobilität. Im Corona-Lockdown waren wir ja nahezu bewegungslos. Für viele offenbarte sich zum ersten Mal, welche Bedeutung Bewegung, Mobilität und auch digitale Mobilität haben. „Diese Erfahrungen werden auch unser Mobilitätsverständnis nach Corona prägen“, sagt Stefan Carsten vom Zukunftsinstitut.

Digitale Mobilität braucht technologische Innovationen und digitale Tools. Diese haben in der Krisensituation ihre Stärken gezeigt. „Sie haben Menschen nicht voneinander distanziert, sondern im Gegenteil: Sie helfen uns, einander auch über die Distanz nah sein zu können – und auch unseren Konsum zu organisieren“, erklärt Janine Seitz in der Trendstudie des Zukunftsinstituts: „Die Welt nach Corona. Business, Märkte, Lebenswelten – was sich ändern wird“. Die neue Solidarität, die sich während der Pandemie entwickelte, wird den Handel und den Konsum der Zukunft prägen, sagt Seitz voraus: „Nähe und Vertrauen – Qualitäten, die sich nicht erkaufen lassen – bilden den Nährboden für ein acht-


TEXT: BEATE STEINER | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, BEATE STEINER, RENÉ VOAK

sameres, sozialeres Konsum- und Genussverhalten auch nach der Krise.“ Das zeigt sich auch in unserer Region. Kleine, inhabergeführte Läden und Dienstleister konnten über digitale Tools schnell eine neue Nähe zu ihren Stammkunden herstellen, präsentierten ihre Ware auf Instagram, vereinbarten Termine über Facebook oder WhatsApp. „Dabei zeigt sich: Oft geht es nur um eine häufig unterschätzte Funktion des Handelns – das Plaudern als soziale Interaktion. Nach der Corona-Krise wird Technologie noch stärker als Hebel für menschliche Begegnungen verstanden werden“, so Seitz. Wie in anderen Kommunen wurden in St. Pölten Lieferketten optimiert, wird Click & Collect künftig Zeit beim Einkaufen sparen und Fahrradkurier Andy Grubner weiterhin für schnelle und umweltfreundliche Lieferung sorgen. Sicher werden viele es weiterhin bequem finden, dass sie Speisen vom bevorzugten Lokal und regionale Lebensmittel online bestellen können und geliefert bekommen. Und was spricht künftig gegen Call & Collect, also Private Shopping beim lokalen Modeshop oder Delikatessenhändler? Diese neuen und zusätzlichen Serviceangebote bei Handel und Dienstleistungen sind eine Funktionsanreicherung, und die braucht der stationäre Handel in Zukunft, sagt Romina Jenei von RegioplanConsulting. „Es geht darum, den Kunden, die ja nicht mehr kommen müssen, ausreichend Gründe zu geben, dennoch kommen zu wollen.“ Dazu gehört: Frequenzen schaffen, zum Beispiel mit diversen Dienstleistungen oder Events im Shop, Internet und Social Media mit Click & Collect kombinieren oder Communities schaffen für soziale Interaktion, die Aufenthaltsqualität mit Gastronomie, Kultur und Entertainment integriert, „all das eben, was es im Internet alleine nicht gibt.“ Kreativität lässt Kultur überleben Kultur-Menschen und Veranstalter haben sich in den Corona-Monaten

WELTREISE MIT ONLINE-WEINVERKOSTUNGEN Weinakademiker Martin Cerny gibt mit Begeisterung sein Weinwissen weiter. Das kann er derzeit weder bei Weinreisen noch bei Weinverkostungen in der MiniMall in der Wiener Straße. Also veranstaltet der Weinakademiker Online-Weinverkostungen und nimmt dabei die Teilnehmer via Zoom-Konferenz mit ins Traisental, ins Burgund, nach Sizilien, in die Steiermark aber auch nach Südafrika. Der Genuss kommt freilich analog zu den Weinfreunden – manchmal mit passenden Speisen von Vegankoch Gernot Kulhanek: Cerny verteilt und verschickt vorab sechs Proben zum Verkosten – bis nach England und Jersey. „Ich werde auch nach dem Lockdown Online-Verkostungen anbieten – zusätzlich zu Verkostungen in der MiniMall“, verspricht der Weinhändler. www.weinernten.at

zahlreiche außergewöhnliche Formate einfallen lassen für ihr nach Musik, Theater, Kino lechzendes Publikum. Das AutoKunstKino im Sommer ist so entstanden. „Wir brachten die Renaissance einer Kultur-Urform, die nicht nur vor Charme und positiven Vorstellungen strotzt, sondern zugleich dank der Sicherheitsvorkehrungen einen uneingeschränkten und damit aktuell idealen Kulturgenuss, ja ein echtes Erlebnis, schafft“, schwärmt VAZ Manager René Voak vom erfolgreichen Pausenfüller, der gekommen ist, um möglicherweise zu bleiben – sprich eine Fortsetzung finden soll. Im Lockdown gab’s und gibt’s dann ausschließlich digitalisiertes Konzert- und Theatervergnügen, und auch die Programmpräsentation zum Beispiel für Thalheim Classics macht per Video Lust auf mehr. Kultur-Schmankerl als Stream am Bildschirm im Wohnzimmer sind ja was Feines, obwohl ein „Live-Format schon live sein sollte“, wie Bühneim-Hof-Intendantin Daniela Wandl pointiert formuliert. „Die Digitalisierung wird auf jeden Fall das Thea-

ter in künstlerischer und ästhetischer Hinsicht nachhaltig beeinflussen“, ist Landestheater-Intendantin Marie Rötzer überzeugt. Beispiele gefällig? In Folge möchte ich Ihnen einige bemerkenswerte Initiativen vorstellen, die exemplarisch für die Kreativität unserer Händler, Gastronomen, Künstler stehen mögen – unter dem Motto: Gekommen, um zu bleiben. HANDEL & GASTRONOMIE Eingerexte Köstlichkeiten Die meisten heimischen Gastronomen lassen ihre Küche trotz Schließzeit nicht kalt und kochen aus, liefern und lassen die Speisen abholen. Einige haben das System weiterentwickelt und ihre beliebtesten Speisen in Einmachgläser gefüllt. So können die Gäste Suppen, Eintöpfe, Currys, Ragouts und vieles mehr unabhängig von der Uhrzeit im Wirtshaus erwerben und zuhause aufwärmen. Gläser gibt’s von Georg Loichtls Wurzelwerk, vom Café Schubert, von Parzer & Reibenwein. MFG 03 21

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Bschoadpackerl für den Osterhasen Katja Rendl und Thomas Schweiger sind begeisterte Gastgeber. Weil die beiden den Rendlkeller derzeit nicht aufsperren dürfen, haben sie sich etwas Besonderes einfallen lassen. Sie kochen nicht aus wie ihre Gastro-Kollegen, sondern gestalten Geschenkpackerl, derzeit für Ostern. In die Bschoadpackerl aus dem Rendlkeller gewickelt sind regionale und originelle Schmankerl, wie Eierlikör mit Vogelbeerbrand, feiner Senf, Hirschwürstel, Schokolade. Es gibt auch ein Packerl für Hund & Herrl oder solche zum Selberbefüllen. „Nach der Bestellung nehmen wir sofort Kontakt mit dem Osterhasen auf“, grinst Katja Rendl, die schon mit ihren Weihnachtspackerln als Ersatz für abgesagte Weihnachtsfeiern viel Erfolg hatte und weiter-

macht: „Ich hab‘ schon zahlreiche Bestellungen für kommende Weihnachten.“ www.rendlkeller.at KUNST & KULTUR Auslagen als Galerie Zu den beliebten Vernissagen kann die Galerie Maringer im Zentrum der Stadt derzeit leider noch nicht einladen, bedauert Karl Heinz Maringer. Der Galerist hat sich daher eine neue Art der Präsentation einfallen lassen: In den Schaufenstern am Herrenplatz und in der Herrengasse sind immer wieder neue Schätze aus dem Lager der Galerie ausgestellt. Dazu ist auch eine Broschüre erschienen.

Mit Autos zu Leinwand und Bühne 50 Acts mit 128 beteiligten Künstlern begeisterten vergangenen Juli und August beim AutoKunstKino vorm VAZ – ein beachtliches Kulturprogramm im Corona-Sommer. Trotz Corona bestach die Landeshauptstadt mit einem reichhaltigen Kulturprogramm. „Es war alleine psychologisch wichtig, nachdem sich die Veranstaltungsbranche insgesamt mit monatelangem Stillstand und damit Totalausfall konfrontiert sah“, erklärt VAZ-Chef René Voak. Insgesamt 18.000 Besucher und 6.000 Autos zeugen von einem großen Erfolg – mit dem Auto vor die Leinwand werden die Besucher daher in adaptierter Form wohl auch heuer fahren können.

www.galerie-maringer.at www.vaz.at

SINNES-ZENTRUM LOCKT MIT VIDEOS

„Gemeinsam sind wir stärker“ dachten sich die drei Delikatessen-Händler in der Wiener Straße und kreierten das „Sinnes-Zentrum“. Der Griechenlandshop mit Familie Purer, „Der Südtiroler“ Sebastian Watschinger und Gerhard Scholler vomFass haben sich zusammengetan und machen online Lust auf „Genuss hoch drei“, weil Ausschenken und Verkosten derzeit nicht erlaubt sind. In Videos werden die Fusionsteller gezeigt, zum Beispiel mit Schüttelbrot und zartem Rinderschinken aus Südtirol, garniert mit duftendem Trüffelöl und würzigem Senfkaviar „vomFass“ sowie cremigem Ziegencamembert aus Südtirol mit delikater Olivenpaste aus Griechenland, woher auch der passende Rotwein kommt. www.griechenlandshop.at, www.dersuedtiroler.at, www.vomfass.at

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Streams statt Live-Auftritte Unter #wirkommenwieder zeigt das Landestheater NÖ Streams erfolgreicher Produktionen der vergangenen Saison – „Die Aufzeichnung von Elfriede Jelineks „Der Königsweg“ wurde sogar in Südamerika und in Ägypten gestreamt“, berichtet Theater-Intendantin Marie Rötzer. Aber auch Videos von Proben und digitale Stadtspaziergänge sind auf der Homepage des Theaters zu finden. Das Festspielhaus ist mit einem Kulturvermittlungsprogramm sowie mit Circus- und Tanzproduktionen online. Der Frei:Raum als Gebäude schläft zwar, „das Team ist aber produktiv wie eh und je“, erklärt Martin Rotheneder, der künstlerische Leiter der Jugendkulturbühne. Mit musik.stp, der neuen Dachmarke für die kreative St. Pöltner Musikszene, werden Künstler vor den digitalen Vorhang auf Facebook, Instagram, YouTube und Spotify geholt, in Live-Sessions, Interviews, Playlists und auch Neuvorstellungen. www.landestheater.net, www.festspielhaus.at, www.freiraum-stp.com


CORONA POSITIV

KINDERKULTUR ONLINE Auch junge Musik- und Theaterfreunde dürfen sich über coronagerechte Kulturangebote freuen. Das Landestheater streamt Kinder-Vorstellungen und gab sogar ein digitales Programmheft heraus. Kinderliedermacher Bernhard Fibich konnte nicht im VAZ auftreten und begeistert seine jungen Fans mit seinen Online-Konzerten (Die nächsten sind am 14. März und 3. April, Link auf www.vaz.at). Dafür hat er ein eigenes Konzept entwickelt, in dem er die Kinder und Eltern zuhause direkt anspricht und einbezieht. „Das war kein ‚Ersatz‘ für Konzerte vor Ort, sondern eine völlig neue und lustige Erfahrung“, so der Kinderliedermacher, der bereits durch die AutoKunstKino-Konzerte auf ungewöhnliche Situationen vorbereitet war. Ob es in Nachcorona-Zeiten weiter Online-Konzerte geben wird? „Ich vermute, es wird einen Nachholeffekt geben, und alle werden glücklich sein, Kultur-Events wieder live und tatsächlich in einem Theater oder Konzertsaal zu erleben“, meint Bernhard Fibich, dessen nächster Live-Auftritt im VAZ am 24. April geplant ist. Aber: „Ich werde nach Corona sicher fallweise Online-Konzerte weiter anbieten – wenn das Wetter schlecht ist und Open-Air-Konzerte ins Wasser fallen oder Konzerte aus anderen Gründen abgesagt werden müssen. Da gibt es nun eine Alternative und ich muss meine Gäste nicht enttäuschen.“ www.kinderlieder.at

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N A C H D E R WA H L I S T V O R D E R WA H L

DER WACHTELKÖNIG WUNDERT SICH Die Wahlen sind geschlagen, der Gemeinderat hat sich neu konstituiert. Was geblieben ist, sind freilich eine Reihe von Themen, die bereits während des Wahlkampfes für Diskussionen sorgten – wie etwa die S 34.

M

it dem im Februar beendeten Naturschutz- und Landesstraßenverfahren kommt der lange geplante Bau der S 34 einen weiteren Schritt näher. Doch ist der politische Wille für das Projekt überhaupt noch da? Fast dreißig Jahre ist es her, dass der St. Pöltner Gemeinderat erstmals eine definitive Willenserklärung zum Bau der S 34 abgegeben hat. Seitdem ist viel passiert, auch das MFG hat den Prozess über die letzten Jahre intensiv begleitet. Die neuesten Entwicklungen zum Bau des Großprojektes: Am 16. Jänner wurde über die Beschwerden gegen die positive Umweltverträglichkeitsprüfung am Bundesverwaltungsgerichtshof verhandelt und im Februar fand das Naturschutz- und Landesstraßenverfahren des Landes im VAZ statt. Dort brachten die Gegner des Projektes noch einmal ihre Bedenken zum Ausdruck – unter anderem mit den erheblichen Umweltauswirkungen des Straßenbaus begründet. Der Wachtelkönig war prominenter Zeuge der Verhandlung: „Die von Straßen ausgehende massive Verlärmung insbesondere im nieder- und tieffrequenten Bereich führt dazu, dass das Wachtelkönig-Männchen den Ruf in der Nähe von dauerhaftem Straßenlärm nicht mehr absetzen kann“, ließ Dietmar Schmidradler, Obmann des Vereins Verkehrswende.at, etwa per Presseaussendung wissen.

VOGEL DES ANSTOSSES.

Alles auf Schiene Für den Projektleiter der ASFINAG, Leopold Lechner, bleibt dagegen nach dem abgeschlossenen Verfahren alles beim Alten: „Es gab keine neuen Erkenntnisse, die lange Diskussion und die Argumente um den Wachtelkönig wurden von unseren Ornithologen als unzutreffend bewertet. Wir konnten aus unserer Sicht alle vorgebrachten Punkte entkräften.“ Die Entscheidungen zu beiden Verhandlungen werden mit April-Mai dieses Jahres erwartet – wobei der Bescheid des Landes noch einmal beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden könnte. Geht es nach den Plänen der ASFINAG, dann kann – positive Bescheide vorausgesetzt – im Herbst 2023 mit dem Bau des ersten Abschnittes begonnen werden. „Die nächsten Schritte wären Gespräche

mit den Grundeigentümern, Bauvorbereitungen und die Errichtung der ökologischen Ausgleichsmaßnahmen“, so Lechner. Mit Jahresende werde man klarer sehen, so der Projektleiter. Doch passt ein Projekt wie die S 34 in die aktuelle Verkehrsstrategie von Bund und Land und ist angesichts zu erfüllender Klimaziele noch zeitgemäß? Beim Land hält man jedenfalls an dem Projekt fest und betont die Vorteile: „Die Umsetzung der S 34 hat für die Landeshauptstadt mehrere Vorteile: Sie erhöht die Verkehrssicherheit im untergeordneten Straßennetz in den Siedlungsgebieten, verbessert die Erreichbarkeit der

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Wird der Wachtelkönig durch den Bau der S 34 gefährdet? Darüber diskutierten Gegner und Befürworter des Projekts.


TEXT: SASCHA HAROLD | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM

geplanten Betriebsgebiete im Süden der Stadt sowie des Traisen- und Gölsentals und sie erhöht die Lebensqualität entlang der Stadtdurchfahrten durch weniger Verkehr, insbesondere auf der B 20“, so der zuständige Landesrat Ludwig Schleritzko. Auch das Argument, dass das Geld besser im Ausbau des öffentlichen Verkehrs angelegt wäre, lässt er nicht gelten: „Wir beteiligen uns nicht am Ausspielen von Straßen- und Schienenbau. Fakt ist: Beides ist notwendig, um die Bedürfnisse unserer Gesellschaft abzudecken.“ Politische Befürworter Im St. Pöltner Gemeinderat ist die Stimmungslage gemischter. SPÖ und FPÖ, die ÖVP mit Abstrichen, stehen dem geplanten Projekt S 34 prinzipiell positiv gegenüber, bei NEOS und den Grünen ist man skeptisch bis ablehnend. FPÖ-Stadtrat Klaus Otzelberger argumentiert etwa, dass eine Entlastung des Verkehrs durch die Stadt dringend notwendig sei: „Staus und eine hohe Feinstaubbelastung sind in St. Pölten alltäglich. Es hätte bessere Varianten gegeben, die Experten haben sich jedoch für diese Variante entschieden. Für St. Pölten ist die Hauptsache, dass der Schwerverkehr aus der Stadt verschwindet.“ Für Vizebürgermeister Matthias Adl, ÖVP, steht ebenfalls fest, dass es eine zusätzliche NordSüd-Verbindung brauche, auch, um dem steigenden Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Er wagt einen Blick in die Zukunft: „Auch E-Autos oder gar autonome Fahrzeuge werden Straßen benötigen. Ob ein Autobahnkreuz dieser Dimension notwendig ist oder es hier flächenschonendere Lösungen gibt, sollte aber geprüft werden.“ Bürgermeister Matthias Stadler, SPÖ, weist in seiner Stellungnahme auf das Verkehrskonzept der Stadt St. Pölten hin: „Auch wenn viele der vor allem gemäß Generalverkehrskonzept der Stadt St. Pölten ca. 35.000 Einpendler in die Stadt den zunehmend attraktiven öffentlichen Verkehr nutzen, ist die Zunahme im motorisierten Individualverkehr mit Einschränkungen der Lebensqualität für St. Pöltner Bürgerinnen und Bürger insbesondere entlang dieser Einfahrtsachsen verbunden.“ Die S 34 stelle deshalb, so Stadler weiter, einen wichtigen Baustein im Sinne des Generalverkehrskonzepts der Stadt dar. Politische Gegner NEOS-Gemeinderat Niko Formanek ist dagegen skeptisch. „Die S 34 wird am Ende ein Verkehrsprojekt sein, das nach seiner Umsetzung schon wieder veraltet und einer modernen Verkehrsplanung nicht mehr gerecht sein wird“, urteilt er. Er plädiert dafür, sich zu überlegen, wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte und entsprechende Konzepte dafür zu entwickeln. Bei der grünen Stadträtin Christina Engel-Unterberger herrscht Ärger über das Projekt vor, ihr Fazit ist eindeutig: „In Zeiten einer Klimakrise ist der Bau der S 34 unverantwortlich. Unsere Vision ist, dass Bund, Land und Stadt dieses Vorhaben mit vereinten Kräften stoppen und das Geld, das

für den Bau der S 34 reserviert war (budgetiert ca. 208 Millionen Euro, Anm.), in Folge in den Ausbau klimaschonender Mobilität investiert wird.“ Trotz politischer Differenzen und Bedenken gegen das Projekt, kommt die Umsetzung der Straße näher. Ob der geplante Baubeginn mit Herbst 2023 gehalten werden kann, wird sich zeigen. Spannend ist jedenfalls die Reaktion aus dem, ebenfalls von den Grünen geführten, Umweltministerium. Dort will man die aktuellen Verhandlungen rund um die S 34 zwar nicht im Detail bewerten, lässt aber Folgendes wissen: „Das Bauprogramm der ASFINAG wird derzeit durch die ExpertInnen des Klimaschutzministeriums (BMK) und der ASFINAG gemeinsam evaluiert. Auch auf Landesebene wird es Gespräche geben. Diesem Evaluierungsprozess soll nicht vorgegriffen werden. Die Bauvorhaben werden gerade evaluiert und geprüft.“ Ein klares Commitment sieht jedenfalls anders aus.

Das Bauprogramm der ASFINAG wird derzeit durch das Klimaschutzministerium und die ASFINAG gemeinsam evaluiert. KLIMASCHUTZMINISTERIUM

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N A C H D E R WA H L I S T V O R D E R WA H L

GÖTTERDÄMMER Ein Blick auf die Homepage von Dr. Robert Artmann bringt Gewissheit. Der letzte Kassenarzt für Kinder- und Jugendheilkunde in St. Pölten has left the building. „Ab Jänner 2021 ist die Ordination wegen Pensionierung geschlossen“, so sein digitaler Abschiedsgruß, vielsagender Nachsatz: „Eine Nachfolge wurde noch nicht gefunden.“ Womit wir schon mitten drin im (Kinder)Arzt-Dilemma sind.

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atsächlich – und die bevorstehende Pensionierungswelle bei Allgemeinmedizinern, vulgo Hausärzten unseres Vertrauens, lässt ein ähnliches Szenario befürchten – wird es immer schwieriger in bestimmten Disziplinen Kassenärzte zu finden. Im Fall der Kinderärzte etwa sind in St. Pölten „vier Stellen derzeit ausgeschrieben“, wie der Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich Dr. Christoph Reisner bestätigt. „Es gibt allerdings noch drei Wahlärztinnen und -ärzte. Auch im Bezirk St. Pölten Land überwiegen Kinder-Wahlärzte, eine Kassenärztin ordiniert in Böheimkirchen.“ Kurzum – es gibt zwar noch eine Versorgung, die kostet aber extra. Ein Zustand, den viele für untragbar halten und als Manifestation einer bereits raumgreifenden Zwei-Klassen-Medizin betrachten.

Wer ist zuständig? St. Pölten treibt dieses Thema politisch schon seit geraumer Zeit um, auch im Wahlkampf war es eines der heißumfehdetsten, schwirrten Vorwürfe Richtung absolutregierender SPÖ von wegen zu wenig Engagement, Situation verschlafen & Co.

durch den Raum. Allein – der Einfluss der Kommunen auf ärztliche Stellenbesetzungen ist, abgesehen von monetären und infrastrukturellen Anreizen, praktisch gegen Null gehend. „Die Besetzung von Kassenstellen wird in den quartalsweisen Stellenplangesprächen zwischen Ärztekammer für Niederösterreich und ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse, Anm.) im eigenen Verantwortungsbereich bestimmt. Es gibt bei diesem Prozess de jure keine zugedachte Rolle für das Ministerium, die Länder und Gemeinden“, erläutert diesbezüglich die niederösterreichische Landesrätin für Gesundheit, Ulrike KönigsbergerLudwig. Eine Kompetenzverteilung, die auch Ärztekammerpräsident Dr. Reisner bestätigt, der zugleich aber – womit man auf die relevantere Makroebene kommt – darauf hinweist, dass für die Gesundheitsversorgung an sich „das jeweilige Bundesland“ verantwortlich ist, wie auch ÖGK Generaldirektor Bernhard Wurzer klarstellt, dass „um das System zu verbessern, alle Beteiligten – Länder, Ärztekammer und Sozialversicherung – zusammenarbeiten müssen.“ Denn der Kassenärztemangel in be-

Gescheitert ist es am Desinteresse der Ärzte. MATTHIAS STADLER , BÜRGERMEISTER 14

stimmten Disziplinen ist weniger dem System der Stellenausschreibung an sich geschuldet, sondern schlicht der mangelnden Attraktivität des Berufsbildes. „Häufig findet sich nur noch ein einziger Bewerber für eine Kassenstelle, vor allem in den Bereichen Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde und Psychiatrie“, verweist Dr. Reisner auf das mangelnde Interesse und fügt hinzu „dass wir seit vielen Jahren vor einem Ärztemangel warnen und darauf aufmerksam machen.“ Von einem solchen möchte ÖGK Generaldirektor Bernhard Wurzer


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, FRANZ WEINGARTNER, RAIMO RUDI RUMPLER, ÖGK

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freilich nichts wissen. „Wir haben keinen Ärztemangel, wir haben ein Verteilungsproblem. 98 Prozent der Kassenplanstellen sind besetzt, daran sieht man, dass die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung für die Österreichische Gesundheitskasse oberste Priorität hat!“ Freilich räumt auch er ein: „Was wir in Vergangenheit gesehen haben: Bestimmte Stellen sind nicht mehr attraktiv.“ Kassenarzt – ein unattraktiver Beruf? Fragt sich natürlich „warum?“ und was zu dieser Situation, die ja nicht

KINDERARZT HAS LEFT THE BUIDLING. Dr. Robert Artmann war der letzte Kassenarzt für Kinderund Jugendheilkunde in St. Pölten. Eine Nachfolge konnte noch nicht gefunden werden.

plötzlich vom Himmel gefallen ist, überhaupt geführt hat? An den Verdienstmöglichkeiten (allein) – etwa im Vergleich zum Wahlarzt – scheint es jedenfalls nicht zu liegen. „Ein niedergelassener Allgemeinmediziner verdient im Schnitt 140.000 Euro brutto im Jahr. Das hat eine Studie des Dachverbands der Sozialversicherungsträger ergeben“, rechnet ÖGK Generaldirektor Bernhard Wurzer vor. Und auch Dr. Reisner relativiert. „Die Tätigkeit als Wahlarzt ist nicht unbedingt lukrativer bzw. eine Kassenstelle nicht zwingend niedriger dotiert. Nicht das Geld ist

entscheidend, sondern die Arbeitsbedingungen, die sich deutlich unterscheiden.“ Inwiefern? „Kassenärzte müssen weit mehr bürokratische Hürden bewältigen. Sie müssen beispielsweise Bewilligungen für einen Patienten von einem Chefarzt der Krankenkasse einholen, der diesen Patienten nie gesehen hat. Weiters gibt es in Kassenordinationen so genannte limitierte Leistungen. Das sind ärztliche Leistungen, die der Arzt zwar erbringt, allerdings nicht in voller Höhe bezahlt bekommt. Dazu kommt ein höherer Zeitdruck in der Behandlung, da der Faktor Zeit in einer Kassenordination nicht im erforderlichen Ausmaß honoriert wird.“ Mit Geld hat das also schon auch alles irgendwie zu tun, vor allem aber mit dem Wert der Arbeit bzw. im Umkehrschluss der mangelnden Bewertung bestimmter Leistungen. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass der Kassenärztemangel nicht alle Disziplinen gleichermaßen betrifft, sondern vor allem jene, wo die Verdienstmöglichkeiten im Vergleich geringer ausfallen. Als Laie könnte man es vielleicht so interpretieren: Der Kassenarzt muss auf Basis seines Versorgungsauftrages mehr unter „schlechteren“ und nervenaufreibenderen Rahmenbedingungen leisten als etwa ein Wahlarzt, der zudem – wie Landesrätin Königsberger-Ludwig ausführt – „die Möglichkeit hat, sein Tätigkeitsfeld relativ frei zu wählen und auch seine MFG 03 21

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Tarife selbst zu gestalten.“ ÖGK Generaldirektor Bernhard Wurzer denkt daher, auch weil die Wahlarztdichte „kaum Auswirkungen auf die Versorgungswirksamkeit hat, da viele Medizinerinnen und Mediziner eine Wahlarztpraxis zusätzlich zu ihrer Spitalstätigkeit betreiben“, laut darüber nach, auch bei den Wahlärzten an bestimmten Schrauben zu drehen, um eine gewisse Balance zu erreichen. „Wir müssen die Wahlärzte aber auch stärker in die Pflicht nehmen. Sie unterliegen keinen Regeln, wie Mindestöffnungszeiten für ihre Ordinationen.“ Wie auch immer. Hauptkiller für die Berufswahl zum Kassenarzt, darin sind sich jedenfalls alle einig, sind vor allem überbordende Bürokratie, Stress und zu wenig Zeit für die Patienten. Eine nicht zu verachtende Rolle spielt zudem der allgemeine gesellschaftliche Wandel. So ist heute – ein key-word, das alle in den Mund nehmen – die work-life-balance bei der Berufswahl relevanter denn je. ÖGK Generaldirektor Wurzer ortet zudem ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und dem Aufteilen der auch unternehmerischen Herausforderungen auf mehrere Schultern. „Die aktuelle Generation von Ärztinnen und Ärzten hat eine andere Erwartungshaltung an den Beruf, sie wollen geregelte Arbeitszeiten und im Team arbeiten, nicht mehr alleine eine Ordination führen. Der Arzt als Einzelkämpfer ist nicht mehr zeitge-

mäß.“ Selbst die Veränderung der Geschlechterrollen spielt in diese Thematik direkt hinein, wie Ärztekammerpräsident Dr. Reisner ausführt. „Die Ärzteschaft war früher zu 75 Prozent männlich und nur zu 25 Prozent weiblich. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert, derzeit ist die Verteilung 2/3 Frauen und 1/3 Männer. Die früher sehr häufig vorgekommene Rollenverteilung ‚Ordination als Familienbetrieb‘ mit dem Mann, der Arzt war, und der Frau, die als Ordinationsassistentin mitgearbeitet hat, gibt es nicht mehr.“ Lösungen in Sicht? Wie es aussieht, hat man im österreichischen Gesundheitswesen den gesellschaftlichen Wandel also schlicht verschlafen oder zumindest unterschätzt, was nicht minder – was noch mehr wundert – für den nun akut werdenden Pensionsschub gilt. „Ich habe bereits 2007, als ich zum ersten Mal als Präsident der Ärztekammer gewählt wurde, darauf hingewiesen, dass dieses Problem auf uns zukommen wird. Wir kennen das Alter unserer Mitglieder und wissen, wann sie in Pension gehen. Wenn weniger Jungärzte ausgebildet werden bzw. in Österreich als Ärzte zu arbeiten beginnen als in Pension gehen, kann man sich einfach ausrechnen, dass es zu einem Ärztemangel kommt“, meint diesbezüglich Dr. Reisner und kommt damit auf ein weiteres Problemfeld zu sprechen: die Ausbildung. „Aktuell werden vielfach jene ausgewählt, die sich nach dem Studium eher wissenschaftlich orientieren. Deshalb müsste auf die soziale Kompetenz mehr Augenmerk im Verfahren gelegt werden“, meint diesbezüglich auch Landesrätin Königsberger-Ludwig, und Dr. Reisner formuliert es noch drastischer.

„Die restriktiven Zugangsbeschränkungen zum Studium sind nicht gerade förderlich, um die ärztliche Versorgung langfristig sicherzustellen. Mit dem aktuellen Aufnahmetest werden nicht jene Medizinstudenten ausgewählt, die später am Land eine Kassenordination als Hausarzt bzw. Hausärztin betreiben wollen. Wir fordern einen besseren Zugang zum Medizinstudium und eine Abschaffung des derzeitigen Aufnahmetests sowie mehr Anstrengungen seitens der Politik, die fertigen Medizinstudenten im Land zu behalten. Im Bereich der Allgemeinmedizin wurde beispielsweise vor kurzem der Turnus, also die Ausbildung im Spital, verlängert. Dies trägt mit Sicherheit nicht dazu bei!“ Die Gesamtsituation ist also, wie es weiland der verstorbene Bundeskanzler Fred Sinowatz formulierte, kompliziert, nicht zuletzt, weil auch viele Köche involviert sind. „Es braucht deshalb einen gesamtheitlichen Blick, der bei den Aufnahmetests beginnt, sich über die gesamte Studienzeit zieht und bis hin zu den Praktikumsstellen in den Krankenhäusern reicht, wo gerade auch jene Fächer besondere Aufmerksamkeit brauchen, die Mangelfächer sind“, fordert Landesrätin Königsberger-Ludwig, die zudem überzeugt ist, „dass es gemeinsame Gespräche seitens des Ministeriums mit allen Stakeholdern des Gesundheitsbereichs braucht. Das Ergebnis dieser Beratungen muss ein klares Konzept für die bestmögliche Versorgung im niedergelassenen Bereich sein.“ Ist das noch nicht passiert – fragt man sich da als Laie ungläubig? Immerhin sind wir schon mittendrin in der Krise statt nur dabei. ÖGK Generaldirektor Bernhard Wurzer

Es gibt bei diesem Prozess de jure keine zugedachte Rolle für das Ministerium, die Länder und Gemeinden. ULRIKE KÖNIGSBERGER-LUDWIG, GESUNDHEITSLANDESRÄTIN 16


GÖTTERDÄMMERUNG

Der Arzt als Einzelkämpfer ist nicht mehr zeitgemäß. BERNHARD WURZER, ÖGK

verweist jedenfalls auf zahlreiche Maßnahmen, die man bereits auf den Weg gebracht hat. „Wir haben flexible Ordinationsmodelle geschaffen, die der Lebenswirklichkeit der Medizinerinnen und Mediziner besser entsprechen. Hierzu zählen weniger belastende Bereitschaftsdienstregelungen, neue Zusammenarbeitsformen wie unterschiedliche Gruppenpraxenmodelle, Anstellung bei Vertragsärztinnen und -ärzten. Auch der Ausbau der Primärversorgung wird von der ÖGK vorangetrieben. Außerdem forcieren wir Kooperations- und Verschränkungsmodelle zwischen Krankenhausambulanzen und dem niedergelassenen Bereich. Auch die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle: Der Ausbau ressourcenschonender technischer Unterstützung, wie beispielsweise Telemedizin, e-Rezept und andere E-Health-Lösungen, wird von uns vorangetrieben. Und wir fördern auch Lehrpraxen, damit junge Medizinerinnen und Mediziner die Mög-

lichkeit erhalten, den Beruf besser kennenzulernen.“ Flankierende Maßnahmen hat auch das Land gesetzt. Landesrätin Königsberger-Ludwig verweist diesbezüglich etwa auf die Einführung der „Landarztgarantie“ (bleibt eine Kassenstelle zwölf Monate unbesetzt, sollen Ärzte der Landeskliniken die Versorgung mitübernehmen, Anm.), die Finanzierung des Ärztedienstes 141 für die Abend- und Nachtstunden, die Gesundheitsberatung 1450, den Ausbau von e-health Anwendungen oder Anschub-Finanzierungen für die Etablierung von Primärversorgungseinrichtungen.“ Im Hinblick auf letztere plädiert die Landesrätin überhaupt dafür „ein ähnliches Modell mit gleichen Fördermöglichkeiten wie bei den Primärversorgungszentren auch im Bereich der KinderärztInnen zu schaffen.“ Unterstützt werden vom Land NÖ zudem potentielle Medizinstudenten, und auch Stipendien für Medizin-

studenten könnte sich Königsberger-Ludwig vorstellen, wenn sich diese im Gegenzug dazu verpflichten „dem Land NÖ nach erfolgter Ausbildung für eine bestimmte Zeit zur Verfügung zu stehen. Eine win-winSituation für beide Seiten!“ Ob all das – vor allem kurzfristig – ausreicht, darf bezweifelt werden, und auch Ärztekammerpräsident Dr. Reisner dämpft allzu hohe Erwartungen auf eine rasche Lösung. „Wenn es einfach wäre, die Situation zu ändern, wäre dies bereits geschehen, allerdings ist die Sachlage äußerst vielschichtig, die zu dieser prekären Situation geführt hat.“ Money makes the world go around? Die Kommunen (in St. Pölten sind aktuell vier Kinderarzt-Kassenstellen und zwei für Allgemeinmedizin unbesetzt, in ganz Niederösterreich sind es 35 für Allgemeinmedizin und 25 für Fachärzte) versuchen derweil Ärzte im Rahmen ihrer Möglichkeiten mittels Mietzuschüssen, gratis Räumlichkeiten, Infrastruktur und ähnlichem anzulocken. Historisch betrachtet ist das übrigens kein Novum, wie Ärztekammerpräsident Dr. Reisner erinnert: „Diese Situation hatten wir bereits in den 70er-Jahren. Auch damals gab es einen Ärztemangel und jede Gemeinde wollte mit besonderen Angeboten Ärzte dazu bewegen, ihre Ordinationen in diesen Gemeinden zu eröffnen. Auf eine ähnliche Situation steuern wir derzeit zu. Es ist leicht nachzuvollziehen und verständlich, dass wenn ein Arzt die Alternative hat, Haus und Ordination kostenlos nutzen zu können oder dafür die Kosten in voller Höhe tragen zu müssen, er sich eher an dem kostengünstigeren Standort niederlassen wird.“ Deshalb weist die Ärztekammer bei der monatlichen Stellen-Ausschreibung auch mittlerweile explizit etwaige benefits seitens der Kommunen aus. Dass die Gemeinden, die per Gesetz für die medizinische Versorgung nicht zuständig sind, damit in gewisser Weise Aufgaben und Kosten MFG 03 21

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anderer Institutionen übernehmen, sieht ÖGK Generaldirektor Wurzer pragmatisch. „Es ist im Interesse der Gemeinden, die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Das wertet auch ihren Standort auf. Daher bemühen sie sich, Bewerber und Bewerberinnen etwa bei der Suche nach Räumlichkeiten zu unterstützen. Es sollte aber keine Wettbewerbsverzerrung wie bei Betriebsgebieten stattfinden.“ Letzteres ist freilich ein frommer Wunsch, denn selbstverständlich werden jene Kommunen, die sozusagen am meisten bieten, eher „Erfolg“ haben. Städte wie St. Pölten sind diesbezüglich gegenüber kleineren Kommunen klar im Vorteil – nicht nur im Hinblick auf die finanzielle Kraft, sondern auch im Hinblick auf Standortvorteile wie Bildung, Kultur, Infrastruktur & Co. Doch selbst dies – und da-

ran sieht man, dass der Hund tiefer begraben liegt – reicht aktuell nicht aus wie man am Beispiel der verwaisten Kinderarzt-Stellen sieht. Ob ein stadtinternes Zerfleischen daher, wie es während des Wahlkampfes, als man der regierenden SPÖ Versäumnisse vorgeworfen hat, wirklich zielführend ist und irgendetwas an der Situation per se ändert, darf bezweifelt werden. Der Bürgermeister weist sodenn darauf hin, dass man bereits zahlreiche Register gezogen hat – bislang freilich ohne Erfolg. „Uns fehlen als Stadt die Möglichkeiten. Wir haben bereits unsere Forderung bei den zuständigen Stellen deponiert, und sogar Lösungen zum Thema Räumlichkeiten – gemeinsam mit der AK – vorgelegt. Gescheitert ist es am Desinteresse der Ärzte – vor allem wegen der schlechten Honorare der Kasse und dem hohen Ver-

Wenn es einfach wäre, die Situation zu ändern, wäre dies bereits geschehen. DR. REISNER, ÄRZTEKAMMERPRÄSIDENT FÜR NÖ 18

waltungsaufwand, wie uns mitgeteilt wurde.“ Eine Lösung, so ist Stadler überzeugt, könnten daher wohl nur bessere Tarife, mehr Ausbildungsplätze und prinzipiell bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für Kassenärzte bringen, andernfalls befürchtet er eine weitere Verschärfung der Situation. „Wenn es jetzt schon die Landeshauptstädte trifft, wie soll es dann erst in den kleineren Gemeinden weitergehen?“ Grünen-Stadträtin Christina Engel-Unterberger ortet ein generelles Systemversagen, das bereits mitten in die Zweiklassenmedizin geführt hat: „Jene, die es sich leisten können – und wollen – haben dieses Problem nicht. Das sind die Folgen einer Liberalisierung des Gesundheitswesens, einer unzureichenden Steuerung und mangelnder Kontrolle geltender Richtlinien.“ Nur ein kooperatives Vorgehen aller Gambler könne die Problemlage langfristig lösen, „diese Akut-Situation verlangt aber nach sofortigem Handeln, deshalb muss die Stadt jetzt auch selbst Mittel in die Hand nehmen, um diese unsägliche Situation zu beenden.“ Daran führt auch in den Augen von NEOS-Gemeinderat Niko Formanek kein Weg vorbei, selbst auf die Gefahr hin, dass möglicherweise Aufgaben (und die damit verbundenen Kosten) anderer auf die Kommunen abgewälzt werden. „Mag sein, aber die Gesundheitsversorgung für Kinder ist eine existentielle Frage und auch für die Entwicklung einer Stadt von fundamentaler Wichtigkeit. Und nach der Pensionierung des letzten Kassenarztes in der Stadt kann man eben nicht darauf warten, bis sich Bund, Land, Kassen und alle weiteren Auswüchse der österreichischen Realverfassung bei ihrem kompetenzpolitischen Hahnenkampf einig werden. Die einzige Alternative ist das Problem selbst anzupacken und zu lösen. Auch wenn man dann vielleicht auf ein paar Prestige-, Marketing- und PR/Promotionprojekte verzichten muss, um ein Grundbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger zu finanzieren.“ FPÖ-Stadtrat Klaus Otzelber-


GÖTTERDÄMMERUNG

Warum sollte man Förderungen für Produktionsbetriebe erlauben, aber solche für die Gesundheitsversorgung in Zweifel ziehen?

KOLUMNE BEATE STEINER

MATTHIAS ADL, ÖVP

benen Ärzte der Satz „Geld allein macht auch nicht glücklich“ gelten. Die Stadt muss klarerweise (und in Wahrheit alternativlos) im Rahmen ihrer Möglichkeiten dagegenhalten und wohl über manch selbst definierte (monetäre) Schmerzgrenze gehen. Eine prinzipielle Lösung des Systems und der Rahmenbedingungen können aber nur die dafür zuständigen Institutionen bewerkstelligen – und diese dürfte in einer kompletten Neuinterpretation des Berufsbildes liegen. Wenn man freilich weiß, wie träge der österreichische Gesundheitstanker reagiert, auf dem sich gleich mehrere Steuermänner am Ruder wähnen, die leider – ein Grundproblem – nicht immer in dieselbe Richtung lenken, darf man an einer raschen „Rettung“ zweifeln. Zumal die See noch rauer wird. Bereits 2018 rechnete die Österreichische Ärztekammer vor, dass 55% der Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag und 60% bei den Fachärzten in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen werden. Dem Eisberg kann man also wohl kaum mehr ausweichen, ja die Indizien – siehe die St. Pöltner Misere – sprechen eher dafür, dass man ihn bereits gerammt hat. Jetzt stellt sich nur mehr die Frage, ob man ein Untergehen der kassenmedizinischen Versorgung langfristig verhindern kann, oder ob nicht – zumindest vorübergehend – die ersten Rettungsboote zu Wasser gelassen werden müssen. Nur gibt es genug davon, und dürfen alle einsteigen? Oder besteht nicht eher die Gefahr, dass am Ende des Tages die einkommensschwachen Passagiere, die sich Wahlarzt und private Krankenversicherung nicht leisten können, baden gehen werden?

SENIOREN-CHALLENGE

FOTO STOCK.ADOBE.COM

ger ist ebenfalls überzeugt, dass die Stadt in den sauren Apfel beißen muss. „Leider wurden die Verträge für Kassenärzte jahrelang nicht attraktiver gestaltet und so haben wir nun sehr viele Privatärzte aber wenig Kassenärzte. Die Stadt St. Pölten ist nun gefordert Räumlichkeiten der Stadt zur Verfügung zu stellen, um wieder mehr Kassenärzte anzulocken.“ Für die ÖVP ist dieses aktive städtische Werben um Kassenärzte dabei gar keine so große Besonderheit, weshalb man für einen diesbezüglichen Perspektivenwechsel plädiert. „Standort-Marketing ist Aufgabe jeder Gemeinde, egal ob es um Unternehmensansiedelung geht oder um Ärztinnen und Ärzte. Warum sollte man Förderungen für Produktionsbetriebe erlauben, aber solche für die Gesundheitsversorgung in Zweifel ziehen? Es stimmt, dass hier in der Vergangenheit Fehler in der Ausbildung passiert sind und weniger Kinderärzte nachgekommen sind. Aber die Alternative kann nicht sein, 15 Jahre auf einen Schwung an Absolventinnen und Absolventen zu warten. Das heißt, wir brauchen beides: Auf Bundesebene eine Anpassung der Mediziner-Ausbildung, wie es von Land und Stadt schon gefordert wurde, und attraktive Rahmenbedingungen sowie aktives Standortmarketing in der Stadt. Keiner darf sich im Glauben daran verlieren, dass man durch Gemeinderatsbeschlüsse und Inserate in Regionalmedien potentielle Interessenten findet. Die Verantwortlichen im Rathaus müssen aktiv auf die Suche gehen und dürfen ihre Verantwortung nicht abschieben.“ Ob dies freilich ausreicht, darf bezweifelt werden. Tatsächlich dürfte in diesem Kontext für die umwor-

Wer auf die Idee kommt, dass 100.000 vor 1940 Geborene ein Wettdrücken am Computer veranstalten müssen, um eine von 10.000 Impfungen zu gewinnen, der kann nicht wirklich im Leben stehen und mitkriegen, wie’s im real life der über 80-Jährigen zugeht. Oder es ist ihm wurscht, dass die Impfwilligen an der womöglich lebensrettenden Aufgabe scheitern. Auch wenn viele Senioren stolz am Laptop Zeitung lesen, die Fotos der Ur-Enkerl anschauen oder mit den Enkerln Video-telefonieren – so flink wie bei Jüngeren flitzen die Finger halt doch nicht mehr über die Tastatur. Eine Online-Anmeldung unter Zeitdruck ist für diese Generation eine unwürdige Challenge. Noch dazu, wenn die Wahrscheinlichkeit erfolglos zu sein, sehr, sehr hoch ist. Warum, bitte, hat nicht einfach die Stadtgemeinde ein Brieferl an die Impfwilligen ausgeschickt mit dem vorgesehenen Impftermin? Das hat ja beim Testen auch geklappt. Oder, andere Lösung: Warum hat nicht einfach die ÖGK, die ja alle Unterlagen ihrer Versicherten auf Knopfdruck parat hat, schriftlich eingeladen zu einem Impftermin und damit den Senioren das Knopferldrücken erspart? Ich will nicht glauben, dass die Organisatoren die Aufgabe an sich gerissen haben: „Wir wissen, wie’s geht!“. Obwohl das folgende „Es geht nicht besser, es gibt keine andere Möglichkeit“ mich das glatt glauben lassen könnte … Und nein, ich bin nicht frustriert. Ich hab‘ einen Impftermin für meine 92-jährige Mutter ergattert. Der Aufwand: 6 Laptops, 4-Man-Power und jeweils 1 Stunde Arbeitszeit.

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N A C H D E R WA H L I S T V O R D E R WA H L

DAS KIKULA IS DO KiKuLa hat nichts mit Hustenzuckerl wie Ricola zu tun, es ist auch keine Abwandlung vom Goggola, sondern dahinter verbirgt sich das KinderKunstLabor … wobei auch dieser Name, wie man nicht müde wird zu betonen, nur ein „Arbeitstitel“ ist (wohl v. a. deshalb, weil eine Einrichtung gleichen Namens bereits existiert).

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TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, GABRIELE MOSER, RENÉ VOAK

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as KiKuLa ist jedenfalls eines, ja eigentlich DAS Prestigeprojekt der zur Landeskulturhauptstadt eingeschmolzenen Europäischen-KulturhauptstadtBewerbung 2024, wobei sich die Diskussion bislang weniger ums Inhaltliche drehte, sondern vor allem um den geplanten Standort im Altoona-Park. Wer nämlich geglaubt hat, dass mit der geschlagenen Gemeinderatswahl die Diskussion rund um das Areal vom Tisch ist, wurde rasch eines Besseren belehrt. So mischten sich im Zuge einer Demonstration gegen die S 34 vor dem VAZ St. Pölten am 10. Februar auch Plakate der Plattform Pro St. Pölten mit Slogans wie „Rettet den Altoona-Park“. Sprecher Friedl Nesslinger lässt denn auch unmissverständlich wissen, „dass wir uns, sobald es Corona und die Witterung zulassen, wieder bemerkbar machen werden.“ Die Plattform sei dabei – wie Nesslinger betont – „nicht gegen das KinderKunstLabor an sich“, sehr wohl aber gegen den Standort, weil man nicht nur um den Altbaumbestand fürchtet, sondern dass die Umsetzung „einen der letzten Grünräume in Zentrumsnähe zerstört“, ist Nesslinger überzeugt. Den Verantwortlichen werfen die Aktivisten mangelnde Transparenz vor. „Es gibt im Grunde genommen keine Information, was dort wirklich genau umgesetzt werden soll. Es gibt keine Pläne und es wird nichts transportiert.“ Das möchte man seitens der NÖ Kulturlandeshauptstadt St. Pölten GmbH freilich nicht im Raum stehen lassen. So hätte der Bürgermeister die Plattform bereits zweimal zum Thema empfangen, außerdem gab es ein Treffen von Plattform-Vertretern mit dem damaligen Geschäftsführer des Büro St. Pölten 2024 Albrecht Großberger sowie Landes-Kulturchef Hermann Diko-

PROTEST. Im Zuge einer Demonstration gegen die S 34 mischten sich auch Plakate der Plattform Pro St. Pölten, die gegen den Standort Altoona-Park mobil macht.

witsch. „Das Büro St. Pölten 2024 stand immer für die Beantwortung aller Fragen zur Verfügung und hat dies auch immer wieder kommuniziert. Die Kritikerinnen und Kritiker zogen es allerdings vor, ihre recht dezidierten Meinungen – die sie auch immer wieder änderten – nur medial zu kommunizieren. Einmal war es ein Unding, in so einer Krise so viel Geld in einen Schulversuch zu stecken, dann war wieder das Projekt richtig, aber nur der Standort falsch, für die Bewohnerinnen und Bewohner des angrenzenden Betreuten Wohnens ist der Altoona-Park der einzige, grüne Erholungsort – für Kinder ist ein Aufenthalt in dieser ‚Verkehrshölle‘ nicht zumutbar, etc.“ Intransparente Standortwahl? Dass die Kommunikation rund um die Standortwahl nicht optimal gelaufen ist, findet aber auch die grüne Stadträtin Christina Engel-Unterberger. „Kunst und Kultur Raum zu

Es gibt im Grunde genommen keine Information, was dort wirklich genau umgesetzt werden soll. FRIEDL NESSLINGER, BÜRGERPLATTFORM PRO ST. PÖLTEN

geben halten wir für sehr wichtig, der Prozess zur Standortwahl für das KiKuLa war jedoch alles andere als eine Glanzleistung. Gründe, die zur negativen Bewertung der 24 alternativen Standorte geführt haben, wurden nicht diskutiert“. Eine Ansicht, die NEOS-Gemeinderat Niko Formanek teilt. „Die Art und Weise wie man zu dieser Entscheidung gekommen ist, aufgrund welcher Argumente, Fakten und Varianten wurde nicht nachvollziehbar veröffentlicht und kommuniziert. Es ist also bis heute nicht nachvollziehbar, weder für mich noch für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, welcher Standort der ‚richtige‘ wäre und warum. Und so darf Bauplanung und -umsetzung nicht funktionieren.“ Dem widerspricht Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ), der auf ein klares Verfahren verweist, im Zuge dessen eben der Altoona-Park als der bestmögliche im Hinblick auf die Anforderungen eruiert wurde. Als solche wurden immer wieder die Nähe zum Bahnhof, eine gute öffentliche Anbindung, Innenstadt-Nähe, die Nachbarschaft zu anderen Kulturinstitutionen, genügend Flächen auch für Outdoor-Aktivitäten sowie eine Brückenfunktion zwischen InMFG 03 21

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nenstadt und Regierungsviertel angeführt. „Weder die Landeshauptfrau noch ich haben uns den Standort aus den Fingern gesogen. Stadt und Land haben insgesamt 25 Standorte für das ‚KinderKunstLabor‘ geprüft. Auf Basis dieser Bewertung hat sich die Nutzung und damit verbundene Aufwertung des Altoona-Parks am Schulring als bestgeeigneter Standort herausgestellt.“ ÖVP-Vizebürgermeister Matthias Adl ist davon nicht überzeugt und kritisiert, „dass die Verantwortungsträger der SPÖ hier ohne Not, aber sehenden Auges einen Kampf zwischen innerstädtischem Grünraum und einem Kinder-Projekt entfacht haben. Ein Kampf, der die Sicht auf den großen Nutzen dieses Projekts verstellt und der Entwicklung des Projekts ohne Frage geschadet hat.“ Dabei steht der Nutzen des Pro-

Der Prozess zur Standortwahl für das KiKuLa war alles andere als eine Glanzleistung. CHRISTINA ENGEL-UNTERBERGER, DIE GRÜNEN

jekts für alle Parteien außer Streit. Sämtliche Mandatare befürworten die Kunst- und Kultur­ einrichtung. Selbst die FPÖ ist von ihrer noch während des Wahlkampfes geäußerten Forderung, das Projekt zurückzustellen und das Geld stattdessen in die Bekämpfung der Corona-Pandemie-Folgen zu stecken, abgerückt und meint pragmatisch: „Es ist genug Platz und der derzeitige Park wird so aufgewertet. Eine Investition von Bund und Land in Millionenhöhe in St. Pölten dürfen wir als Stadt nicht ablehnen“, so Stadtrat Klaus Otzelberger. Generalplaner ante portas Licht ins Dunkel, wie dieses Geld nun genau investiert wird, bringt Anfang März (leider erst nach unserem Redaktionsschluss, Anm.), wenn der Generalplaner, der Ende Jänner von einer Expertenjury aus 43 teilnehmenden Bewerbern auserkoren wurde, der Öffentlichkeit präsen wird. Und wenn die konkreten Pläne einmal am Tisch liegen, mag vielleicht auch manch Bedenken ausgeräumt werden. Die Ausschreibung war jedenfalls – was durchaus als Indiz zu werten ist, dass die Anliegen, Sorgen und Inputs der Bürger Eingang gefunden haben – an

Weder die Landeshauptfrau noch ich haben uns den Standort aus den Fingern gesogen. BGM MATTHIAS STADLER, SPÖ

zahlreiche Vorgaben geknüpft. So wurde der ursprüngliche Wettbewerb zum Neubau „um die Aufwertung der restlichen Grünfläche ‚Altoona-Park‘ erweitert“, was so viel heißt, dass die Neugestaltung des gesamten Parks integraler Bestandteil des Projektes geworden ist und nunmehr auch Freiraumplaner und Landschaftsarchitekten Hand anlegen. Der „Fußabdruck“ des KiKuLa wurde auf maximal 1.000 m² festgegelegt, das heißt im Umkehrschluss, dass fast 85% des rund 6.000 m² Areals als Park erhalten bleiben. Das Gebäude selbst soll „eine räumliche Abgrenzung zur Straße bieten und so den Straßenlärm dämpfen/abhalten“. Eine ökologische Bauweise nach modernsten Erkenntnissen ist ebenso Bedingung wie die Erhaltung der 92 Jahre alten Linde im Süden des Grundstückes sowie des 52 Jahre alten Mammutbaums im Norden. So betrachtet könnte am Ende des Tages trotz, vor allem aber aufgrund des öffentlichen Diskurses eine winwin-Situation eintreten, die ohne Proteste vielleicht so nicht zustande gekommen wäre: Es entsteht hoffentlich eine hochkarätige, überregional wirkende Kulturinstitution, die auch den Städtetourismus fördert, UND ein attraktiver „neuer“ Altoona-Park, der diesen Namen auch verdient und zu einem neuen Verweilort für alle Bürger wird. Bürgerplattform, Bürger und Parteien werden das Projekt und die getätigten Zusagen jedenfalls, wie bereits angekündigt, mit Argusaugen beobachten. Dem Endergebnis kann dies nur zuträglich sein.

KINDERBEIRÄTE. In die Planungen des KiKuLa werden sog. Kinderbeiräte eingebunden, wie etwa jene der Sportmittelschule St. Pölten. 22


DAS KIKULA IS DO

HÄNGEN BLEI BEN In Sachen KiKuLa-Altoona-Park sei mir ein persönlicher Kommentar erlaubt, weil ich nur einen Steinwurf davon entfernt aufgewachsen bin und viele Jahre „in the hood“ gelebt habe. Wenn wir als „Wohnungskinder“ zum Spielen ins Grüne gegangen sind, dann war unser Ziel nie der sogenannte Altoona-Park (ich kann mich nicht einmal erinnern, dass die Grünfläche damals überhaupt einen Namen hatte, was schon einiges über ihre kollektive Wahrnehmung aussagt), sondern wir sind bestenfalls durchgelaufen – entweder zum zirka 300 Meter weiter entfernten Hammerpark oder gleich zum Robinsonspielplatz. Gut 30 Jahre später, dann schon stolzer Papa eines Juniors, lauteten die Frischluft-Varianten entweder Hammerpark oder Traisen. (Letztere war in der Zwischenzeit durch den Regierungsviertelbau leichter zugänglich als zu meiner Kindheit, als noch Rennbahn, Verkehrskindergarten und Scherbergärten den direkten Zugang behinderten.) Den Altoona-Park hatte ich nicht einmal am Radar, er lag unter der Wahrnehmungsgrenze. Warum? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich – so meine heutige Mutmaßung – weil es genug attraktive Alternativen in direkter Umgebung gab und weil der „Park“ schlichtweg eben keiner war, wo man gerne Zeit verbringt. Das hätte man natürlich ändern können – alleine, es ist nie passiert, weil es offensichtlich auch niemand abgegangen ist. Erst die Diskussion rund um das KiKuLa hat die bislang verwaiste Grünfläche in den Fokus, ja für viele Bürger überhaupt erst ins Bewusstsein gerückt. Zum ersten Mal wird darüber nachgedacht, wie dieses gut 6.000 Quadratmeter große Areal sinnvoll genutzt werden kann. Und das ist gut so. Das ist eine Chance! Noch eine Geschichte möchte ich erzählen. Ich war im Jahre Schnee im Vorstand des Fördervereins Kulturbezirk engagiert – heute Freunde der Kultur St. Pölten. Als ich 2006 begann, war eines unserer vordringlichsten Anliegen eine bessere Anbindung zwischen Innenstadt und Regierungsviertel – Sie sehen, dieses leidige Thema begleitet uns schon lange. Im Grunde

genommen seit Beginn des Regierungsviertel-Baus, als man schlicht die Straßenführung versemmelte und einen regelrechten Graben zwischen Altund „Neustadt“ riss. Das entbehrte damals übrigens keiner gewissen Ironie, weil es das gestörte Verhältnis zwischen Stadt und Land „wunderbar“ zum Ausdruck brachte. Dieser Graben wurde in Folge – allen salbungsvollen und scheinheiligen Beteuerungen zum Trotz – sogar noch vertieft, indem laufend weitere Bauten genau in die Achse zwischen den beiden Stadtteilen hineingepflanzt wurden. Heute spiegelt der Riss sphärisch zum Glück nicht mehr die Realität wider, es geht ums Gemeinsame, ums Verbindende zwischen Stadt und Land – und deshalb hat dieser Aspekt tatsächlich im Hinblick auf die Standortwahl eine besondere Bedeutung. Und auch wenn ich meine Zweifel hege, ob übers KiKuLa rein architektonisch tatsächlich eine solche Achse ex-post geschaffen werden kann, so lasse ich mich – und ich sage das ohne Ironie, sondern hoffnungsfroh – gerne vom Gegenteil überzeugen. Das ist eine Chance! Zugleich ist es ein Lackmustest für die vielbeschworene Partizipation, unter deren Banner ja die gesamte Kulturhauptstadtbewerbung segelte. Ich weiß nicht, ob das KiKuLa tatsächlich direkter Ausfluss des Partizipationsprozesses war – irgendjemand wird schon gesagt haben, es fehlt etwas für Kinder – oder ob nicht schon ein Konzept in der Schublade schlummerte. Tut auch gar nichts zur Sache und wäre beileibe nichts Verwerfliches – besser gute Sachen aus der Schublade holen als sie dort verschimmeln lassen. Der Punkt ist ein anderer: Wenn man den Partizipationsprozess ernst nimmt und sich darauf einlässt, dann muss man ihn auch bis zum Ende durchziehen – selbst wenn einem nicht nur ungeteilte Jubelstürme, sondern bisweilen auch Kritik und Widerstand entgegenschlagen. Dann heißt es kein Schnoferl ziehen, sondern reden, aufklären, in-

formieren, mitunter streiten, „prozessieren“ – die Sache verhandeln. Bürgerbeteiligung bringt Schwarmintelligenz, viele Inputs, Erweiterung des Blickwinkels – sie heißt aber nicht Ersatz für politische Entscheidungen oder dass jeder am Ende des Tages alles bekommt, was er sich wünscht. Das mag für manche unbefriedigend sein, ist aber Part of the Game. Im Idealfall wird aber aufgrund der Breite des Prozesses ein Ergebnis erzielt, mit dem die meisten (gut) leben können – im Übrigen auch jene, denen die Sache vordergründig wurscht ist und die sich auf ihre politischen Repräsentanten verlassen. Die müssen nämlich letztlich entscheiden – und sie tun gut daran, die im Zuge des Prozesses herausgearbeiteten Aspekte in ihre Überlegungen miteinfließen zu lassen (andernfalls wäre die Einbindung nichts weiter als eine Frotzelei und alibimäßige Beschäftigungstherapie). Dies ist im Falle des KiKuLa, wie mir scheint, gelungen. So wurde in der Ausschreibung etwa eine maximale Grundfläche des Gebäudes ebenso vorgeschrieben wie der Erhalt möglichst vieler Bäume oder der explizite Auftrag, gleich den gesamten Altoona-Park mitzugestalten. Das Grundprojekt ist damit – und das dürfen sich alle Beteiligten, die leisen wie die lauten, auf ihre Fahnen heften – besser und breiter geworden. Man hat, um ein bisschen Türkis-Grün-Sprech zu strapazieren, „Das Beste aus beiden Welten“ zusammengeführt – Kultur UND Natur. Der Altoona-Park, das ist meine ganz persönliche Meinung, ist dafür ein idealer Standort. Er gewährleistet nicht nur die Umsetzung einer (hoffentlich) einzigartigen Kultureinrichtung genau an der Schnittstelle zwischen City und Kulturbezirk, sondern er gibt den St. Pöltnern gleichsam einen Park zurück, den sie – so paradox es klingen mag – vorher gar nicht vermisst haben, den sie aber in Hinkunft nicht mehr missen wollen. Ein Park, wo man nicht mehr achtlos durchläuft so wie ich anno dazumal, sondern wo man hängenbleibt.

MFG 03 21

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EIN TEAM. EINE STADT. Der 42 Frau/Mann Kader für die nächsten fünf Jahre steht. Der Teamchef (das Volk) hat die Mannschaft auf harte Zeiten eingeschworen. „Ihr müsst rackern, beißen, fighten für St. Pölten. Aber nicht gegeneinander, sondern miteinander! Ein Team! Eine Stadt!“

Seit 2003 St. Pölten

Seit 2001 09.02.1966

MATTHIAS STADLER

Seit 2006 Viehofen

Seit 2019

Seit 2009

Harland

GABRIELE VAVRA

St. Pölten

Seit 2007 15.06.1961

RENATE GAMSJÄGER

St. Pölten

HEINZ HAUPTMANN

St. Pölten

CAROLA FELSENSTEIN

CLAUDIA GUTLEDERER

Pottenbrunn

Seit 2000 08.04.1968

WALTER HOBIGER

St. Pölten

DIETMAR FENZ

Neuviehofen

ALI FIRAT

JÜRGEN KREMSNER

Radlberg

02.01.1958

INGRID HEIHS

Stattersdorf

01.08.1968

MIRSADA ZUPANI

Seit 2021 20.03.1989

St. Pölten

06.11.1970

SABINE DOHR

Seit 2011 12.04.1973

St. Pölten

Seit 2012 26.04.1961

Seit 2011 08.03.1965

Seit 2011 24.01.1972

Spratzern

Seit 2001 11.11.1961

Seit 2019 10.06.1961

HANS-JOACHIM HAIDERER

St. Pölten

Wagram

Seit 2008 23.06.1963

Seit 2021 03.04.1985

MAX WALLNER

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HARALD LUDWIG

Seit 2007 05.11.1962

BIRGIT BECKER

St. Pölten

Seit 1997 10.05.1977

Seit 2018 03.01.1964

EWALD BUSCHENREITER

St.Georgen

St. Pölten

Seit 2016 28.03.1966

WERNER EDELBACHER

St. Pölten

15.10.1988

MARKUS HIPPMANN


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: PARTEIEN/ZVG

TEAM2021 ST. PÖLTEN

BÜRGERMEISTER VIZEBÜRGERMEISTER STADTRAT GEMEINDERAT Seit 2014 Wagram

Seit 2021 07.09.1963

HARALD STÖCKL

Seit 2019 Nadelbach

Seit 2019 13.07.1977

MICHAEL PIEBER

Seit 2011 St. Pölten

Seit 2016

GREGOR UNFRIED

St. Pölten

SUSANNE BINDER-NOVAK

Seit 2021

Pottenbrunn

BERNHARD WIEHALM

IRENE HÖFNER

St. Pölten

Seit 2005 07.03.1991

MICHAEL KÖGL

Nadelbach

JOSEF BRADER

Weitern

ROMY WINDL

CHRISTINA ENGEL-UNTERBERGER

St. Pölten

MATTHIAS ADL

St. Georgen

KLAUS OTZELBERGER

PAUL PURGINA

Ratzersdorf

15.02.1985

MARKUS KREMPL-SPÖRK

Ratzersdorf

31.08.1984

STEFAN KEIBLINGER

Seit 2016 07.11.1978

Seit 2021 26.11.1990

Stattersdorf

Seit 2019 16.05.1972

MARION GABLER-SÖLLNER

Wagram

06.12.1978

YELIZ ZWINZ

Seit 2011 28.09.1966

Seit 2006 11.05.1987

Seit 2021 02.05.1982

Wasserburg

Seit 2021 09.06.1962

Seit 2021 02.08.1969

Seit 2021 04.10.1968

Waitzendorf

Seit 2011 22.07.1973

Seit 2016 10.09.1991

FLORIAN KRUMBÖCK

St. Pölten

Seit 2020 29.07.1990

Seit 2021 27.09.1975

MARIO BURGER

St. Pölten

St. Pölten

St. Pölten

Radlberg

01.04.1967

MARTIN ANTAUER

Seit 2021 20.07.1958

WALTER HEIMERL-LESNIK

St. Pölten

12.09.1965

NIKO FORMANEK

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WIR WERDEN NICHT FÜR UNSERE SÜNDEN BESTRAFT, SONDERN DURCH SIE.

A

Seit Jahren sorgt der Skandal um ehemalige Pflegekräfte des Pflegeheims Clementinum in Kirchstetten für Diskussionen – insbesondere in der Pflegebranche. Die vier Angeklagten wurden nun nicht rechtskräftig verurteilt. Doch es bleiben Fragen. 26

ls zwei Mitarbeiterinnen des Wohnbereichs „St. Anna“ im Oktober 2016 der Heimleitung über vermeintliche Übergriffe ihrer Kollegen auf wehrlose, demente Heimbewohner berichteten, war ihre größte Sorge, „dass uns keiner glauben würde.“ Doch sie hatten ein Ass im Ärmel: den Verlauf eines WhatsApp-Chats. Darin präsentiert sich, neben einem unfassbar unprofessionellen Umgangston auch eine menschenverachtende Gedankenwelt, in der unbeliebte Kollegen und zahlreiche Bewohner des Pflegeheims ihrer Würde beraubt wurden. Liebevolle Pflege wurde als „Gulli-GulliPflege“ verhöhnt, die in St. Anna nichts verloren habe. Hingegen gehöre dementen Bewohnern der „Teufel ausgetrieben“. An anderer Stelle hieß es: „Das Beste wäre eine Massenvergewaltigung, dann wären sie alle gebrochen.“ Es gab auch Tipps, wohin man Bewohner schlägt, ohne dass verräterische blaue Flecken entstehen. Einer in Afrika urlaubenden Kollegin wurde empfohlen, sie solle dort schon mal „an den Negern üben.“ An denen sehe man das nicht. Anhand dieser Chatverläufe fiel es der Heimleitung nicht schwer, die vier Beschuldigten zu entlassen. Es folgten jahrelange Ermittlungen. Obduktionen ergaben keinen Nachweis, dass Bewohner durch falsche Medikamentengabe zu Tode kamen. Zur langen Dauer des Ermittlungsverfahrens trugen auch Beschwerden der Verteidigung bei, als diese die Oberinstanzen anrief. Letztlich zog sich auch das Strafverfahren am Landesgericht St. Pölten über Monate. Im Februar 2021 sprach der Richtersenat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern


TEXT: MICHAEL MÜLLNER | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, MICHAEL MÜLLNER

aus dem Volk, alle vier Angeklagten in den allermeisten Anklagepunkten schuldig. Neben Körperverletzung und Quälen wehrloser Personen erachtete es das Gericht als erwiesen, dass Bewohner auch sexuell missbraucht wurden, etwa durch das Einreiben des Genitalbereichs mit Franzbranntwein oder durch Eindringen in den Anal- und Vaginalbereich beim Eincremen mit Mandelöl – freilich ohne pflegerische oder medizinische Veranlassung. Die Auflistung der Übergriffe an den über zehn Bewohnerinnen und Bewohnern liest sich wie ein überzeichnetes Drehbuch eines sadistischen Horrorheims, in dem sich fiktive Charaktere im perversen Wettstreit zu immer neuen „Höchstleistungen“ anstacheln. Zwangsläufig fragt man sich, wann endlich jemand den Stopp-Knopf drückt und die Akteure auf die Ebene der Normalität zurückholt. Darin liegt der unglaubliche Wert dieses langen, über die allermeisten Strecken öffentlich geführten Strafverfahrens. Die Geschichten der Beteiligten wurden öffentlich, nicht nur der Angeklagten, auch der Zeugen. Mittelbar wurde so auch die Geschichte der Opfer erzählt, über jene Omas und Opas, die am Ende ihres Lebens mit Pflegestufe 5 oder höher im Heim angekommen waren. Wo sie sich – an Demenz erkrankt – nicht mehr ausreichend artikulieren konnten, wo in der Regel kaum Besuch kam, dem es gegolten hätte, eine heile Welt vorzuspielen. An einem Ort, wo du als Mensch im Nachthemd darauf angewiesen bist, dass die Pflegekraft ihre „Arbeit“ an dir so menschlich und mitfühlend wie möglich ausführt. Absolut ausgeliefert. Bis zum Schluss behaupteten die Angeklagten ihre Unschuld. Den von ihnen rasch gelöschten WhatsAppChat konnte ein Sachverständiger rekonstruieren. Das Geschriebene ließ sich also nicht leugnen, es blieb so ziemlich das Einzige, was sie zugaben. Wenngleich sie darin keinen Beweis für ihre Schuld sahen. „Was in diesem Chat geschrieben

wurde, hat sich in der Realität nicht ereignet. Es gibt keine objektiven Beweise!“, rief der Verteidiger in seinem Schlussplädoyer den Richtern zu. Alles nur „Psychohygiene“, wie die Angeklagten meinten. Man habe diese „derbe“ Ausdrucksweise, diese „Fantasie“ gebraucht, um den Druck des stressigen Berufs am Ende des Tages rauszulassen. Doch im echten Leben sei man zu den Bewohnern immer korrekt gewesen. Nicht mal ein böses Wort sei gefallen, geschweige denn etwas von diesen schrecklichen Vorwürfen wirklich verübt worden, so die Angeklagten. Die Strategie der Verteidigung war von Anfang an klar. Die vier teilten sich einen Rechtsanwalt, eine Schick-

Wo du als Mensch im Nachthemd darauf angewiesen bist, dass die Pflegekraft ihre „Arbeit“ an dir so menschlich wie möglich ausführt. Absolut ausgeliefert. salsgemeinschaft bis zuletzt. Ein reumütiges Geständnis, zumindest in Teilen, hätte alles über den Haufen geworfen, bauten die vier doch bis zu ihrem „letzten Wort“ im Verfahren konsequent an ihrer Erzählung, dass hier in Wahrheit sie die Opfer seien: Ihre Existenzen durch das jahrelange Verfahren und die falschen Vorwürfe vernichtet. „Wir sind alle krank, sind in Behandlung und brauchen Medikamente. Es gab Suizidversuche“, klagte eine Angeklagte in ihrem Schlusswort an. Und: „Ja, wir haben Scheiße geschrieben. Aber nichts davon haben wir gemacht.“ Das Gericht glaubt ihnen nicht. Die Vorsitzende begründet das Urteil detailreich. Eine Vielzahl von Zeugen hätte die Zustände in St. Anna

im Wesentlichen sehr übereinstimmend beschrieben. Die Angeklagten seien eine Clique gewesen, der Hauptangeklagte ihr Rädelsführer – und wohl auch der heimliche Chef im ganzen Haus. Effiziente Kontrollen gab es nicht, darum war es nötig, dass couragierte Kolleginnen die Missstände zu Tage brachten. Gerade jene zwei Zeuginnen, die mit umfassenden Beobachtungen den Skandal ins Rollen brachten, seien entgegen den Vorwürfen der Verteidigung sehr wohl glaubwürdig. Auch nach Jahren gäbe es keinen Anhaltspunkt für eine Verschwörung. „Wer hätte ein Motiv für falsche Anschuldigungen?“, fragte die Richterin. Damit bringt sie die Grundfrage in diesem Verfahren auf den Punkt. Wenn die unmittelbaren Opfer nicht mehr aussagen können, weil sie dement oder tot sind, wie weit glaubt man dann den Kollegen, die erst nach einer Zeit des Wegschauens aufstanden und dem Spuk ein Ende setzten? Welches Motiv hätten sie, derart monströse Vorwürfe zu erfinden? Um unliebsame Kollegen weg zu mobben, hätte ein Auszug des WhatsApp-Chats wohl schon gereicht. Warum sich also mit falschen Anschuldigungen der Gefahr massiver rechtlicher Konsequenzen aussetzen? Die Angeklagten fanden darauf keine Erklärung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Angeklagten behaupten Verfahrensmängel. Die Staatsanwaltschaft meldete Strafberufung an, das Urteil ist ihr zu mild. Die Freiheitsstrafen zwischen zwölf und 18 Monaten wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zwei der vier Angeklagten erhielten zudem unbedingte Geldstrafen. Diese richten sich nach Tagessätzen sowie dem Vermögen und Einkommen der Verurteilten, konkret ergeben sich somit 1.440 bzw. 2.160 Euro. Strafen, die in Anbetracht der Taten, wie ein Bagatell wirken und zumindest an der generalpräventiven Wirkung zweifeln lassen. Freilich, die Angeklagten waren unbescholten und hatten einen ordentlichen Lebenswandel, dennoch erfolgte der MFG 03 21

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NICHT RECHTSKRÄFTIG Am 17. Februar 2021 sprach das Landesgericht St. Pölten nach mehrstündiger Beratung ein Urteil im Prozess um den Skandal im Pflegeheim Clementinum in Kirchstetten. • Angeklagter 1: 18 Monate bedingt (3 Jahre Probezeit). 360 Tagessätze zu 6 Euro = 2.160 Euro unbedingte Geldstrafe. • Angeklagte 2: 16 Monate bedingt (3 Jahre Probezeit). 360 Tagessätze zu 4 Euro = 1.440 Euro unbedingte Geldstrafe. • Angeklagte 3: 12 Monate bedingt (3 Jahre Probezeit). Keine Geldstrafe. • Angeklagte 4: 12 Monate bedingt (3 Jahre Probezeit). Keine Geldstrafe.

Schuldspruch aufgrund einer Vielzahl an Tathandlungen, es gab eine große Zahl an Opfern. Bei einem Strafrahmen von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe wurde auch das bei Erstverurteilungen häufige „untere Strafdrittel“ nicht ausgeschöpft. Doch abseits der Frage, welche Strafe für derartige Taten angemessen wäre, bleibt auch bei einer etwaigen Rechtskraft des Urteils noch einiges zu klären. Die Entlassenen führen etwa mit dem früheren Arbeitsgeber Prozesse am Arbeitsgericht. Zudem drohen ihnen weitere Zivilklagen, insbesondere vom früheren Arbeitgeber. Denn im Clementinum wurden massive Anstrengungen unternommen, um Arbeitsbedingungen und die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern. Supervision und Teamentwicklung seien nun fixer Bestandteil des Arbeitsalltags, die veraltete Pflegedoku-

mentation wurde von Papier auf digital umgestellt. Auch ein anonymes Meldesystem bei Kritik ist implementiert. Zudem wurde viel Geld investiert, um den betroffenen Wohnbereich wieder zu einem lebens- und arbeitswerten Ort zu machen, wie unabhängige Prüfer im Prozess berichteten, die nach den Vorfällen die Einrichtung begleiteten und bald nach der Entlassung der Angeklagten eine deutliche Verbesserung der Gesamtsituation der Bewohner bemerkten. Schadenersatzforderungen dahingehend hält sich das „Haus der Barmherzigkeit“, der Träger des Heimes, offen und wartet das Berufungsverfahren ab, sie schweben also wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der nicht rechtskräftig Verurteilten. Auf konkrete Fragen, wie es zu den Missständen kommen konnte und insbesondere, wieso die Führungsebenen vor Ort im Haus

nicht in der Lage waren, die Probleme zu erkennen, will die Einrichtung jedoch auch weiterhin nicht eingehen – unter Hinweis auf das noch offene Berufungsverfahren. Auch hier zeigt sich, dass dieses Strafverfahren Fragen aufwarf, die nicht im Schwurgerichtssaal zu beantworten waren. Die Staatsanwältin führte in ihrem Schlussplädoyer etwa an, dass die Gründe für die Übergriffe wohl tiefer liegen, etwa in einem Führungsproblem des Hauses, dass aber auch schwierige Arbeitssituationen oder Personalmangel höchstens Teil einer Erklärung sein könnten, jedoch nicht die Taten entschuldigen würden. Die richtigen Lehren aus dem Kirchstetten-Prozess müssen somit wohl auch in den zahlreichen Einrichtungen da draußen gezogen werden, wo Menschen täglich arbeiten, aber auch, wo sie für ihren späteren Job ausgebildet werden.

Das beste wäre eine Massenvergewaltigung. Dann wären sie alle gebrochen. 28


TEXT & FOTO: MICHAEL MÜLLNER

VON GLÄUBIGEN & GLÄUBIGERN Die rund 3.000 Personen zählende Religionsgemeinschaft der Aleviten prägt St. Pölten seit Jahrzehnten. Nun steht ihr religiöses Zentrum vor der Zwangsversteigerung. Und es brodelt die Frage, wie hältst du’s mit dem Islam?

S

eit den späten 80er Jahren sind die St. Pöltner Aleviten vereinsmäßig organisiert. In den Jahren 2001 bis 2003 errichteten sie in Ratzersdorf auf knapp 11.000 Quadratmetern ihr „Alevitisches Kulturzentrum“: Neben dem Gebetstempel wurde auch ein Veranstaltungssaal für 600 Personen errichtet. Das Zentrum war der Stolz der rund 300 Familien umfassenden Community. Am 10. März 2021 soll nun, auf Betreiben der den Bau finanzierenden Bank, am Landesgericht St. Pölten zwangsversteigert werden. Geringstes Gebot: 940.000 Euro. Die Bank hat Pfandrechte in der Höhe von 1.800.544,32 Euro im Grundbuch stehen. Dem Vernehmen nach sollte der Baukredit eigentlich bis Herbst 2022 zurückbezahlt sein, doch seit 2007 gäbe es Probleme und aktuell sollen noch rund 1,6 Millionen Euro an Schulden offen sein. Wirtschaftlich scheint das Projekt gescheitert. Doch auch abseits weltlicher Zahlenreihen ist Unruhe ausgebrochen. Bundesgesetze regeln, ob der Staat eine Gruppe zuerst als „Bekenntnisgemeinschaft“ und später als „Religionsgesellschaft“ anerkennt – und diese somit Privilegien, etwa Schutzrechte, genießt. Hier vollzog sich in den letzten Jahren eine Spaltung. Die „Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI)“ genießt zwar als Religionsgesellschaft seit einigen Jahren die höchste Anerkennung durch den Staat und zählt nach eigenen Angaben rund 27.000 Zugehörige, jedoch sieht sie sich in

der Tradition des Islam und ordnete sich deshalb auch dem Islamgesetz unter – durchaus auch mit dem Ziel, dass „der Islam“ in der österreichischen Gesellschaft vielfältiger wahrgenommen wird. Für einen großen Teil der Aleviten, jener der sich unter dem Dachverband der „Föderation“ zusammenfand, ist dies aus religionswissenschaftlicher Sicht falsch – man sieht den alevitischen Glauben als zu „eigenständig“, als dass man eine Zuordnung zum Islam akzeptieren könnte. Dieser Bruch geht auch durch die St. Pöltner Aleviten. Die Führung, so kritisieren manche, soll ohne breite Einbindung der Gläubigen beschlossen haben, sich der Islam-nahen ALEVI anzuschließen. Nach den Wirren der Corona-Krise möchten diese Abgespaltenen am Pottenbrunner Kirchenplatz möglichst bald einen Neubeginn ihrer Gemeinschaft feiern. Der Dachverband kämpft unterdessen weiter um

gesetzliche Anerkennung als „eigenständige“ Bekenntnisgemeinschaft, was vom Kultusamt bisher abgelehnt wurde. Sinngemäß: Es kann nur einen geben. Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde angerufen. Riza Sari von der ALEVI-Gruppe sieht den Grund der aktuellen Probleme in St. Pölten weder in theologischen Spaltungsdiskussionen noch in ausbleibenden Einnahmen durch die Corona-bedingt ausgefallenen Hochzeitsfeiern. Vielmehr spricht er von jahrelanger Misswirtschaft, die damit begann, dass nicht klar getrennt wurde zwischen den Rollen religiöser Vereinsmitglieder und den kaufmännischen Agenden der Gesellschaft, die das Zentrum betrieb: „Aber wir können es nicht zulassen, dass unser Glaubenshaus versteigert wird. Wir arbeiten an einer Lösung in letzter Minute.“ Vor Kurzem traten 35 GmbH-Gesellschafter ihre Anteile an einen Religionsverein ab. Einem neuen, zahlungskräftigen Mehrheitseigentümer könnte so der Weg zur Übernahme geebnet werden. Die St. Pöltner Funktionäre bevorzugen offiziell zu schweigen.

TRIVIAL BIS RELIGIÖS. Das Zentrum bietet Küche, Kantine, Besprechungsraum und Parkplätze. Aber auch einen Leichenwaschraum. MFG 03 21

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W

er sich durch die beiden wissenschaftlichen Abschlussarbeiten – Diplomund Doktorarbeit – der ehemaligen Arbeitsministerin Christine Aschbacher liest, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Stefan Weber, der Sachverständige für Plagiatsprüfung, der den Fall ins Rollen brachte, hält auf seiner Website fest: „Die Arbeit ist eine einzige wissenschaftliche Katastrophe und daher besser dem Bereich der Nicht-Wissenschaft zuzuordnen. Selten habe ich so eine Fundgrube von allem, was man nicht machen soll, gesehen.“ Neben der Universität Bratislava rückte die FH Wr. Neustadt in den Fokus, an der Aschbacher ihre Diplomarbeit im Jahr 2006 eingereicht und dafür die Note „Sehr Gut“ bekommen hatte. Die Fachhochschule hat inzwischen eine externe Prüfung durch die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) veranlasst. Der Fall wirft unter anderem die Frage auf, ob es nur um einen Einzelfall geht oder ein systemisches Problem besteht. Werden akademische Titel in (Nieder-)

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NOT THAT KIND OF DOCTOR Österreich ist ein Land, das noch immer viel Wert auf Titel legt. Dass es mit den Leistungen hinter diesen manchmal nicht weit her ist, bewies zuletzt der Fall Aschbacher. Österreich zu leichtfertig vergeben und haben Fachhochschulen mit ihrem, im Gegensatz zu Universitäten, stärkeren Praxisbezug besondere Defizite? Diesen Punkt verneint Marina Höllbacher, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Forschung des Amtes der NÖ Landesregierung, entschieden: „Es wäre sicherlich nicht richtig, aufgrund eines einzelnen zu prüfenden Vorwurfs die Bildungseinrichtung ‚Fachhochschule‘ als solche in Frage zu stellen – ebenso wenig, wie bei vorangegangenen Plagiatsvorwürfen bei Universitätsabschlüssen.“ Wissenschaftliches

Arbeiten, so Höllbacher weiter, sei Teil der Studiencurricula, unabhängig, ob man von einer Universität oder einer Fachhochschule spreche. Plagiate sind jedenfalls kein Phänomen, das auf Fachhochschulen beschränkt ist, auch an Universitäten werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Titel unehrlich erworben worden sind – sei es durch Plagiate oder etwa durch Ghostwriting. An die ÖAWI wurden von 2009 bis 2019 insgesamt 166 Verdachtsfälle herangetragen, von denen sich allerdings nicht alle bestätigten. Das Problem betrifft demnach nur eine Minderheit von Studienabschlüssen.


TEXT: SASCHA HAROLD | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, CAROLA BERGER

Den Fall, dass wir jemanden in letzter Konsequenz ausschließen mussten, gab es noch nicht. ALOIS FROTSCHNIG, FH ST. PÖLTEN

Notwendigkeit für Konsequenzen aus dem Fall Aschbacher sieht Höll­ bacher für Niederösterreich nicht: „Wie man an den Erfolgen der Fachhochschulen und der Forschungseinrichtungen in Niederösterreich sieht, befindet man sich auf einem hervorragenden Weg, der konsequent weitergeführt werden soll.“ Software hilft An der Fachhochschule St. Pölten nimmt man das Thema jedenfalls ernst. Verschiedene Mechanismen sorgen dafür, dass Plagiate möglichst nicht passieren. Bereits seit 2009 kommt eine Software zum Einsatz, die Betreuer bei ihrer Arbeit unterstützen soll. Alois Frotschnig, Leiter des FH-Kollegiums an der FH St. Pölten, erklärt den Ablauf: „Eine Software überprüft alle Abgaben automatisch auf Plagiate, die Betreuer bekommen dann ein Protokoll, das sie manuell bearbeiten.“ Wird ein Plagiat entdeckt, dann werde zunächst mit dem betroffenen Studierenden Kontakt aufgenommen. „Zunächst soll festgestellt werden, ob ein Plagiat bewusst gemacht wurde oder nicht. Liegt ein absichtlicher Betrugsfall vor, kommt das zur Studiengangsleitung und anschließend zur Studiengangs-Kommission. Bei Plagiatsverdacht im Rahmen des Erstellens wird die Arbeit dann zurückgewiesen.“ Werde eine Arbeit absichtlich gefälscht, so Frotschnig, könne es außerdem zum Ausschluss kommen. Die meisten Fälle seien aber keine Absicht, sondern Fehler, die bei Überarbeitungen oder Neueinreichungen ausgebessert würden. „Den Fall, dass wir jemanden in letzter Konsequenz ausschließen mussten, gab es noch nicht“, so Frotschnig. Anwendungsorientiert Einen Unterschied zwischen Fachhochschule und Universität sieht

ein falscher Zugang, so Braun: „Studenten wollen wissen, wie viele Interviews sie führen müssen und was von der Hochschule verlangt wird, sie orientieren sich zu wenig an dem, was von der Forschung vorgegeben wird.“ Um dem entgegen zu wirken, werden im Unterricht konkrete Studienergebnisse und die dahinterstehenden Methoden und Hypothesen diskutiert.

auch er in diesem Bereich nicht. An beiden Einrichtungen werde wissenschaftlich gearbeitet. Während sich Unis eher mit Grundlagenforschung beschäftigen, wird an Fachhochschulen eher anwendungsorientiert geforscht, auch das Promotionsrecht haben letztere nicht. Die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens werden aber an beiden unterrichtet. Diese Basics bekommen Studenten bereits am Beginn ihres Studiums vermittelt. Alexander Braun ist Professor am Institut für Gesundheitsmanagement an der FH Krems, davor hat er bereits an der Donau-Universität, ebenfalls in Krems, unterrichtet. Die Wichtigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens zu vermitteln, sei nicht immer ganz einfach, meint er, habe aber in der FH Landschaft trotzdem seine Wichtigkeit und werde auch in die Lehre stark integriert. Er skizziert das am Beispiel des Bachelorstudiums: „Es geht in den ersten Semestern darum zu erklären, dass Praxisorientierung vor allem bedeutet, Forschungsergebnisse in einem konkreten Praxisumfeld anzuwenden. Eine manchmal vorhandene Abneigung gegen Theorie und Methoden soll so abtrainiert werden.“ Gerade am Anfang eines Studiums herrsche oft

Akademische Würde Auf das Thema Plagiate angesprochen bestätigt Braun, dass es hier keine Unterschiede zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen gibt. Wenn es um Abschlussarbeiten geht, stellt er gewisse Ansprüche, die erfüllt werden müssen. Studenten müssten etwa in der Lage sein, erklärt er auf sein Studiengebiet bezogen, Hypothesen zu bilden und statistische Verfahren anzuwenden. „Man muss verstehen, dass wissenschaftliches Arbeiten einen Rahmen vorgibt und Ergebnisse nachvollziehbar sein müssen. Die Methoden ergeben sich dabei aus den forschungsgeleiteten Problemanalysen. Das muss ein Absolvent können. Was vielen schwerfällt, ist die Problemstellung und das eigene Forschungsinteresse zu definieren und einzugrenzen“, resümiert er. Welche Konsequenzen der Fall Aschbacher letztlich hat, wird sich weisen. Im Rahmen einer neuen Universitäts-Gesetz Novelle wurden im Februar erste Reaktionen sichtbar, unter anderem wurden die Regeln für das sogenannte Ghostwriting verschärft. Mindestens genauso wichtig wird es sein, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass akademische Titel nicht bloße Zierde, sondern Nachweis besonderer Leistungen sind. Wer sie zu Unrecht trägt, betrügt auch all jene, die sie sich mit harter Arbeit verdient haben. MFG 03 21

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„KINDERARMUT IST EIN UNTRAGBARER ZUSTAND!“ EWALD SACHER

Mit welchen Problemen kommen die Leute aktuell zu Ihnen? Viele Menschen sind völlig unverschuldet in finanzielle Bedrängnis oder Not geraten und wenden sich daher an Sozialorganisationen wie die unsere! Nahezu täglich langen Unterstützungs- und Hilfsansuchen bei uns ein, Hilferufe – von der nicht bezahlten Stromrechnung über offene Mietrückstände bis hin zu nicht leistbaren Ausgaben für die Kinder in der Schule, im Gesundheitsbereich oder im Zuhause, wo es an Kindermöbeln oder Bekleidung mangelt. Das heißt Kinder sind die größten Leidtragenden der Krise? Besonders armutsgefährdet sind vor allem Kinder alleinerziehender Mütter oder Väter. Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit stürzen die Betroffenen Frauen oder Männer unvorbereitet in kaum lösbare Probleme. Viele wenden sich oft aus Scham über ihre Situation nicht oder viel zu spät um Unterstützung an helfende Stellen, die Situation verschlimmert sich dadurch weiter. Armutsgefährdete Kinder leiden dabei gleich mehrfach: Bei

SOZIAL. Seit 2019 ist Ewald Sacher Präsident der Volkshilfe Österreich. 32

Sozialhilfeeinrichtungen stehen aktuell mehr im Brennpunkt denn je – die Zahl der Hilfebedürftigen steigt rapide an. Wir sprachen mit Volkshilfe Österreich Präsident Ewald Sacher über die aktuelle „Klientel“, steigende Kinderarmut, die anstehende Pflegereform sowie Maßnahmen zur Corona-Folgen-Krisenbewältigung. den Bildungschancen – in der Schule scheitern sie dreimal so oft wie normal situierte Kinder. Bei der Gesundheit – armutsgefährdete Kinder sind dreimal so oft krank. Im sozialen Umfeld werden sie oft ausgegrenzt. Ihre psychische Situation ist viel öfter besorgniserregend und kritisch. Die Volkshilfe hat als mögliche Antwort die Idee einer KinderGrundsicherung ins Spiel gebracht. Was ist das? Seit Jahren entwickeln wir das Modell der Kindergrundsicherung. Dieses sieht eine für jedes Kind gleiche finanzielle monatliche Grundsicherung vor. Seit 2019 läuft der Pilotversuch an rund einem Dutzend Familien, der wissenschaftlich von SozialforscherInnen begleitet wird. Die sichtbaren Ergebnisse beweisen uns: Die Entwicklung der betroffenen Kinder in all den vorhin genannten Sektoren nimmt einen wesentlich besseren Verlauf als vor der von uns bereitgestellten Kindergrundsicherung. Unser Modell findet auch international Beachtung. Zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Corona-Folgen hat die Volkshilfe auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 auf 70% gefordert. Warum?

Was ein Rückfall des monatlichen Einkommens von 100% auf plötzlich die Hälfte bei den laufenden Ausgaben für das tägliche Leben bedeutet, kann sich jemand, der über einen gesicherten Arbeitsplatz verfügt, nicht vorstellen. Wie soll eine Familie oder ein alleinerziehender Elternteil, die bisher vielleicht 1.200 Euro netto zur Verfügung hatten, bei gleichbleibender Miete, gleichen Energiekosten, bei Ausgaben für die Kinder usw. plötzlich mit 700, 800 Euro leben können? Daher haben wir uns dieser Forderung der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer – und auch der Sozialdemokratie – voll inhaltlich angeschlossen. Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% wäre zudem ein wirksames Instrument zur Ankurbelung der eingebrochenen Wirtschaft: Dieser Personenkreis setzt ja das gesamte Einkommen wieder für den notwendigen Konsum ein – da kann nichts auf ein Sparbuch gelegt werden. Scharf kritisiert hat die Volkshilfe auch die „Sozialhilfe Neu“ sowie das Modell des Familienbonus. Ja, weil die Sozialhilfe Neu ein Rückschritt ist. Sie hat eine solide Basis sozialer Sicherheit in Österreich zerschlagen und viel an neuer Armut geschaffen. Unsere einfache Forde-


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER

Volkshilfe gilt aber der Grundsatz: Jedes Kind ist uns gleich viel wert! Viele blicken mit mulmigem Gefühl der langfristigen wirtschaftlichen Bewältigung der Krise entgegen und fragen sich: „Wer soll das alles bezahlen?“ Sind gesellschaftliche Verteilungskämpfe vorprogrammiert? Ich mache mir wirklich große Sorgen diesbezüglich. Die Mängel im ungerechten Steuersystem Österreichs und insgesamt Europas sind ein Nährboden für politische Auseinandersetzungen, die dann nicht mehr beherrschbar werden, zu Extremismus und Gewalt und – was die europäische Gemeinschaft betrifft – Nationalismus und EUExit-Entwicklungen führen können. Insbesondere dann, wenn einige Länder nach wie vor internationalen Großkonzernen Steuerschlupflöcher bieten. Eine gemeinsame Vorgangsweise in der EU, was die Besteuerung multinationaler Konzerne betrifft, ist daher unbedingt notwendig, ebenso die Besteuerung von Finanztransaktionen.

rung: Statt „Sozialhilfe“ fordert die Volkshilfe eine „Lebenssicherung“ als Basis für ein menschenwürdiges Leben. Diese soll den Aufwand für Wohnen, Energie, Lebensunterhalt, Bekleidung, Bildung, soziale Teilnahme abdecken und die Menschen nicht zu Bittstellern machen. Das Modell des Familienbonus wiede-

rum vergrößert die Schere zwischen Menschen mit gutem oder hohem Einkommen und jenen, die wenig verdienen, noch mehr. Der Steuerbonus stellt die Kinder von Besserverdienern besser als Kinder jener Eltern, die so wenig verdienen, dass sie gar keinen Steuerabsetzbetrag beanspruchen können. Für uns von der

Wie halten Sie’s – eine Gretchenfrage in diesem Kontext – mit Vermögenssteuern? Was wir in Österreich tun können, ist die Besteuerung „arbeitsloser“ Einkommen wie sie durch Großerbschaften gegeben sind. Bezüglich der Wiedereinführung der Vermögenssteuer muss ein transparenter Diskurs geführt und viel an Aufklärungsarbeit geleistet werden – zum Beispiel über eine vernünftige Wertgrenze, etwa ab der ersten Million an Vermögen, um nicht – wie wir es laufend erleben – populistischen Killerargumenten wie jenem von der Besteuerung der Eigentumswohnung oder des Einfamilienhauses oder des Ersparten Platz zu geben.

Die Sozialhilfe NEU hat eine solide Basis sozialer Sicherheit in Österreich zerschlagen und viel an neuer Armut geschaffen. EWALD SACHER MFG 03 21

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„KINDERARMUT IST EIN UNTRAGBARER ZUSTAND!“

In einer weiteren „Akademisierung“ des Pflegeberufes sehe ich nicht unbedingt die Lösung. EWALD SACHER

Um Steuern für alle werden wir aber nicht umhinkommen, oder? Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass die Budgets der kommenden Jahre große Defizite aushalten – ein Sparen in der Krise oder die Erhöhung von Massensteuern wären das falsche Modell. Investitionen des Staates werden die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen müssen. Daher: Zahlen können das nicht die Arbeitnehmer, die Kleinunternehmer, die Kleinbauern usw., sondern das müssen vor allem jene großen Profiteure, die ich vorhin erwähnt habe: Internationale Multikonzerne und jene, die in der Krise zu Gewinnern gehört haben – die gibt es in großer Zahl. Kommen wir zu einem anderen Thema, das die Volkshilfe als einen der großen Dienstleister in diesem Bereich unmittelbar betrifft – die Pflege. Die gilt ja selbst quasi als Patient. Grundsätzlich existiert in Österreich ein gutes Pflegesystem, allerdings mit dem Mangel föderaler Zuständigkeiten und großen Unterschieden in den neun Bundesländern. Eine Harmonisierung der Rahmenvorgaben wäre dringend notwendig. Mit unserer Erfahrung und Expertise haben wir uns auch in die Pflegereformdiskussion eingebracht, die leider durch die Covid-Krise nicht recht vorangekommen ist. Wir hoffen aber, dass dieser Prozess bald wieder in Schwung kommt. 34

Eklatant ist vor allem die Tatsache, dass das Personalwachstum nicht mit dem steigenden Pflegebedarf Schritt hält. Weil die Einkommen zu gering sind? Natürlich hilft in erster Linie ein besseres Einkommen, den Beruf attraktiver zu machen. Aber nicht allein. Sehr viel liegt auch an der Milderung der Belastung, etwa durch die schrittweise Arbeitszeitverkürzung, für die sich die Volkshilfe bei den letzten Kollektivvertragsverhandlungen ein- und auch durchgesetzt hat. Das Image der Pflegeberufe wird zudem leider von mancher Seite abgewertet, wozu sich nicht zuletzt sogar der neue Arbeitsminister durch unglückliche Aussagen verleiten hat lassen. Die Leistung im Pflegeberuf muss also nicht nur besser honoriert, sondern vor allem auch gesellschaftlich besser anerkannt werden. Als eine große Pflege-Baustelle gilt die Ausbildung. Neue Ausbildungsangebote sind in jedem Fall zu forcieren. Bezüglich der Pflegelehre etwa bin ich aber wegen des geringen Alters der Jugendlichen, den damit verbundenen emotionalen Belastungen junger Menschen sowie folglich hohem Ausfall persönlich skeptisch. Ebenso sehe ich in einer weiteren „Akademisierung“ des Pflegeberufes nicht unbedingt die Lösung – es werden möglicherweise berufliche Aufstiegserwartungen geweckt, die in der Praxis nicht realisierbar sind. Wir brauchen dringend mehr PflegeassistentInnen, PflegefachassistentInnen und DiplomkrankenpflegerInnen. Die Qualitätssicherung muss damit einhergehen: Der Schlüssel ist also letztlich eine kompetente Fachausbildung UND eine laufende berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung. Infolge der Corona-Krise wird es vermehrt zu beruflichen Veränderungen kommen. Diese Chance

muss zugunsten der Pflegeberufe genutzt werden. Daher sind auch finanzielle Anreize bereits während der Ausbildung dringend angebracht. Werden wir uns als Bürger in Zukunft pflegeversichern müssen? Die Haltung der Volkshilfe dazu ist klar: Die Pflege muss weiterhin aus den öffentlichen Budgets erfolgen, das heißt also steuerfinanziert bleiben. Die Einführung einer Pflegeversicherung erscheint uns hingegen nicht als der richtige Weg, wie auch das nicht optimale deutsche Vorbild aufgezeigt hat. Klar Stellung bezogen hat die Volkshilfe zuletzt auch gegen die Abschiebung von in Österreich geborenen Kindern. Warum? Weil wir von der Volkshilfe die Menschen- und vor allem die Kinderrechte hochhalten. Daher wenden wir uns gegen die unmenschlichen Abschiebungen hier geborener und in Ausbildung befindlicher Jugendlicher. Zumal diese durch die in Österreich erworbene Ausbildung hier arbeiten und zur Sicherung unseres Sozialstaates beitragen würden, umso mehr, wenn sie in Berufen tätig sind, die bei uns dringend benötigt werden. Wenn ein Wohlstandsland wie Österreich mit über acht Millionen Einwohnern nicht ein paar hundert junge Menschen pro Jahr aufnehmen kann, die hier Ausbildung und Zukunftschancen suchen, so ist das eine Schande! Das gilt im Übrigen auch für die leidenden, traumatisierten Kinder in den Flüchtlingslagern in Griechenland und auf dem Balkan. Wir haben in allen Bundesländern leerstehende Flüchtlingsquartiere, für die der Bund aufgrund langfristiger Verträge noch jahrelang Mieten zahlen muss, in denen man diese Kinder bzw. Familien aufnehmen könnte.


Ihre WKNÖ-Bezirksstellen: Zählen Sie auf uns - auch in der Krise! Selbstständigkeit in Zeiten von COVID-19 ist herausfordernd. Das wissen wir, deshalb sind wir für Sie da! Sie erreichen uns von Montag bis Freitag von 7.30 bis 16 Uhr. Ob Gründungsberatung, Gewerbeanmeldung, Rechtsberatung, Unterstützungsmaßnahmen, Förderungen oder Weiterbildung: Wir bieten Ihnen unsere Serviceleistungen unter Einhaltung aller Corona-Sicherheitsmaßnahmen weiterhin in der Bezirksstelle an. Gerne beraten wir Sie auch digital oder telefonisch. Unsere Bezirksstellen finden Sie unter: wko.at/service/noe/bezirksstellen Kennen Sie schon unser Webinarangebot? Jetzt online weiterbilden auf wko.at/noe/webinare

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VERNETZUNG STATT EINZELKÄMPFERTUM? JA NATÜRLICH! Viele Wege führen in die Bio-Landwirtschaft. MFG sah sich die Situation ökologischer Landwirte in und um St. Pölten an, fragte nach deren Motivation und beleuchtet ihre Pläne, sich mit anderen „Mitstreitern“ zu vernetzen.

W

as landwirtschaftliche Arbeit nach biologischen Prinzipien betrifft, ist Alfred Schwendinger ein Veteran. „Ich bin in den 1980er-Jahren in die biologische Landwirtschaft eingestiegen. Das war eine Zeit der großen Hoffnungen auf dem Gebiet“, erklärt der 66-Jährige. Schwendinger hat nicht bloß einen Bio-Betrieb bei Maria Laach am Jauerling, im äußeren Westen des Kremser Bezirks. Er ist darüber hinaus auch Chef des „Evi“-Naturkostladens nahe der Kremser Innenstadt. Schwendinger betreibt Bio-Landwirtschaft mit einem Extra an Engagement, welches sich aus seiner Kenntnis und Wertschätzung der österreichischen Agrarlandschaft speist. „Wir können uns glücklich schätzen, in Österreich eine so vielfältige Landschaft zu haben.“ Die konventionelle Landwirtschaft treibt ihm jedoch Sorgenfalten auf die Stirn: „Sie ist ein Problem, weil sie Böden, normalerweise klasse CO2-Speicher, langfristig vernichtet.“ Monokulturen, fehlende Fruchtfolge, massiver Einsatz von Spritzmitteln und regelmäßiges Umgraben und Verdichten machen aus den besten Flächen unfruchtbares Ödland. „Bio ist seit etwa 20 Jahren in aller Munde“, so sieht es auch Schwendinger. Trotzdem ist er nach wie vor Teil einer professionellen Minderheit. Da die Erhebung der

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Biobetriebe durch die Statistik Austria nur alle zehn Jahre erfolgt und für 2020 erst im kommenden September abgeschlossen wird, sind die aktuellsten Zahlen von 2010. Der Statis­ tik zufolge arbeiteten damals nur 4,6 Prozent oder jeder 22. von insgesamt 3.919 Betrieben in St. Pölten Stadt und Land biologisch. Im Bezirk Krems waren es immerhin 6,6 Prozent oder jeder 15. von 3.447 Betrieben. Da die Zahl der Biobetriebe sich laut Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf NÖ-weit jährlich um 300 erhöht, kann auch für St. Pölten und Krems von einem großen Plus ausgegangen werden. 1980 waren es nur 17 BioBetriebe. Österreichweit halten BioBauern zehn Prozent Marktanteil. Laut AMA kaufte jeder heimische Haushalt 2020 für 190 Euro BioLebensmittel ein – 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Schwendinger will Einzelkämpfertum beenden Für Schwendinger ist diese Entwicklung einer von vielen Gründen zu sagen: „Das Einzelkämpfertum der Bio-Betriebe muss jetzt ein Ende haben.“ Diesem Appell ließ er nun auch Taten folgen und zwar in Form einer „Regionalwert Niederösterreich-Wien AG“, die nun kurz vor ihrer Gründung steht. „Davon gibt es in Deutschland schon einige. Die Grundidee ist, dass wir Betriebe, die

Wert auf biologische Lebensmittel legen, besser vernetzen und integrieren.“ Dabei geht es aber nicht nur um die Erzeuger. „Die Regionalwert AG soll Betriebe entlang der gesamten Wertschöpfungskette umfassen. Also vom Samen bis hin zum fertigen Gericht in einer Bio-Gaststätte oder einem Nahrungsmittel in einem Bio-Markt.“ Interessierte Bürger können Aktien erwerben, der Preis liegt bei 500 Euro pro Papier. Mit diesem Geld bietet die Regionalwert AG interessierten Unternehmen verschiedene Instrumente an, je nach Lage und Bedürfnis des Interessenten. Bei der sogenannten Beteiligungspartnerschaft geht es um Betriebe, die Finanzierungsbedarf haben. Die AG beteiligt sich mit ihrem Eigenkapital, wobei auch der gesamte Betrieb in die AG eingebracht werden kann. „Diese Variante ist etwa für neu gegründete Betriebe, solche, die gerade in der Wachstumsphase sind oder erhöhten Investitionsbedarf haben“, erläutert Schwendinger. Sollte ein Betrieb eine Beteiligung der AG nicht wollen, gibt es weiters die Möglichkeit einer Investitionspartnerschaft. „Hierbei beteiligen wir uns an Wirtschaftsgütern oder Gerätschaften und verpachten oder vermieten sie an Betriebe.“ Weiters seien Lizenzpartnerschaften für Betriebe vorgesehen, die zwar weder Investitions- noch Beteiligungsbe-


TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTOS: MICHAEL KIETREIBER, JOHANNES MAYERHOFER, BIOPLATZL MAIERHOFER, GABRIELE MOSER

vorliegen. „Sollte das nicht der Fall sein, muss die Umstellung aber innerhalb von maximal drei Jahren erfolgen“, so Schwendinger. Für Gastronomie- und Handelsbetriebe gilt lediglich die 80-Prozent-Regel.

QUERBEET. Michael Kietreiber kann schon längst von seinem Bio-Betrieb und der breiten Produktpalette leben.

darf haben, aber die Visionen der Regionalwert AG mittragen und von den Vorteilen der Gemeinschaft profitieren wollen. Der obligatorische „Vernetzungsbeitrag“ reicht je nach Umsatz des Betriebs von 300 bis zu 6.000 Euro im Jahr. Last but not least soll es auch noch Förderpartnerschaften geben, wo Betriebe gegen einen Förderbeitrag etwa das Förderer-Logo verwenden dürfen oder auch von der Regionalwert AG bei verschiedensten Gelegenheiten beworben werden. Die

Art der Partnerschaft kann übrigens flexibel geändert werden. „Wir wollen nicht für die Betriebe da sein, die schon biologisch arbeiten, sondern auch jenen helfen, die gerne diese Schwelle überwinden wollen, aber aus verschiedensten Gründen Hemmungen haben oder es nicht können.“ Dies spiegelt sich auch in den Kriterien für die jeweiligen Partner, die bis 2030 einen 80-prozentigen Anteil ihres Einkaufes an Betriebsmitteln vorweisen sollen. Weiters soll eine Bio-Zertifizierung

Kein „schneller Euro“, aber „grüne Rendite“ Wer sich nun dazu entscheidet, seine hart verdienten „Groschen“ in die Regionalwert Niederösterreich-Wien AG zu investieren, den erwartet natürlich keine dicke Finanzrendite. „Der Output für unsere Aktienhalter ist ein besseres, größeres und flächendeckenderes Angebot an Bio-Nahrungsmitteln.“ Die Regional-AG soll laut Schwendinger durch das Mitmachen von Vielen funktionieren. „Wir haben uns dazu entschlossen, eine Höchstgrenze einzuziehen. Niemand soll mehr als 20 Prozent Stimmrecht erhalten“, betont der 66-Jährige. So locker und flockig, wie die theoretische Idee sich liest, war der Gründungsprozess aber keineswegs. „Ich habe durch die ganze Sache vor allem im juristischen Bereich einiges dazugelernt“, scherzt Schwendinger. „Ein Problem war etwa die Definition des Begriffes ,Region‘. Da gab es bis 2015 ein Gesetz, das Vereinnahmungen von Regionen zu Vermarktungszwecken vorbeugen sollte. Dieses wurde zwar abgeschafft, aber solche Regionalbezeichnungen werden trotzdem nicht gerne gesehen.“ Die Wirtschaftskammern NÖ und Wien hätten schließlich den Namen „Regionalwert NiederösterreichWien AG“ als juristisch wasserfeste Variante vorgeschlagen. Letztlich soll es um die Region im 100 Kilometer umfassenden Umkreis um Krems gehen. Auch bei der Zusammenarbeit mit der zuständigen Bank spieße es sich hier und da aus formalen Gründen. „Ursprünglich wollte ich die AG mit einer Handvoll Gründern ins Leben rufen. Mittlerweile sind wir schon 50 Leute, wir haben das dann bei dieser Zahl gedeckelt.“ Fünf Lizenzpartnerschaften seien bereits unterschriftsreif, meint Schwendinger zufrieden. MFG 03 21

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Wie die deutschen Vorbilder fußt auch seine Regionalwert-AG auf dem Konzept der „Gemeinwohlökonomie“, das von Attac-ÖsterreichChef Christian Felber ins Leben gerufen wurde. Attac, eine globalisierungskritische Organisation, verfolgt damit eine Wirtschaftsidee, in der ein Höchstmaß an sozialen und ökologischen Arbeitsweisen nicht als Kosten- und damit Wettbewerbsnachteil wirken soll, sondern umgekehrt. „Messbar soll dies durch klare Kriterien einer Gemeinwohlbilanz werden“, erklärt Schwendinger. Unternehmen mit guter Bilanz sollten in Felbers Vorstellung steuerlich und finanziell bevorteilt werden. Dies ist noch Zukunftsmusik, allerdings folgen bereits hunderte Unternehmen dieser Idee, darunter auch die deutschen Vorbilder der Regionalwert NÖ-Wien AG. Vom DJ und Festival-Manager zum biologischen Kleinbauern Etwa 50 Kilometer ostwärts von Schwendingers Bio-Landwirtschaft, in Maria Jeutendorf bei Herzogenburg, inspiziert Michael Kietreiber eines der Beete seiner 3.000 m² umfassenden Fläche. „3.000 m² klingen

nach viel, es ist aber tatsächlich nur sehr wenig Platz.“ Über zu wenig Arbeit kann sich Kietreiber, der seinen Bio-Betrieb unter dem Motto „Grünzeug vom Feld“ führt, jedoch nicht beklagen. Vor etwas mehr als drei Jahren vollzog er einen radikalen beruflichen Richtungswechsel. „Zwölf Jahre war ich im Veranstaltungsmanagement tätig, zunächst nur Parties im Club Warehouse, später auch bei größeren Events wie dem Beatpatrol-Festival.“ Für den damals sehr party-freudigen Kietreiber war dies eine tolle, aber auch sehr stressige und lärmende Zeit. Schließlich setzte ein Persönlichkeitswandel bei ihm ein und brachte die Erkenntnis: „Ich möchte mich beruflich mehr um nachhaltige Dinge kümmern, in einem Beruf, der mir auch etwas mehr Ruhe und Eigenständigkeit bietet. So kam ich zur Bio-Landwirtschaft.“ Wie so oft kam auch hier die Sache auf relativ banale Weise ins Rollen: „Ich begann Youtube-Videos des kanadischen ‚Urban Farmers‘ Curtis Stone und des ,Market Gardening‘Vorreiters Jean-Martin Fortier anzusehen und war von deren Methoden begeistert. Später hab‘ ich mir

ALLES SELBST BEIGEBRACHT. Für Michael Kietreiber begann der Einstieg in die Landwirtschaft mit Youtube-Videos. 38

auch Bücher besorgt, um mich ins Thema einzulesen.“ Der 34-Jährige gibt sich bescheiden, deutet immer wieder an, noch kein voller Experte zu sein, immer wieder dazuzulernen. „Jedes Gemüse ist anders und bietet seine eigenen Herausforderungen. Und ob eine Ernte gelingt oder nicht – da sind viele Umweltfaktoren zu beachten“, erklärt er. Das „Grünzeug“ aus Kietreibers Sortiment geht mittlerweile querbeet durch die heimische Gemüselandschaft: Paprika, Paradeiser, Chili, Pfefferoni, Fisolen, Karotten, Gurken, Knoblauch und vieles mehr. „Ich arbeite auf Beeten mit Perma-Kulturen. Ein Eckpunkt meiner Arbeit ist, dass ich auf das Umgraben so weit wie möglich verzichte. Der Boden wird, bis auf die oberste Schicht – etwa 5 cm – so belassen, wie er ist und das Anpflanzen vieler verschiedener Arten auf kleinem Raum wirkt ebenfalls positiv.“ Mittlerweile hält er auch einige Hühner. Ein weiterer Vorteil, der Kietreiber den Umstieg zum BioBauern etwas leichter gemacht hat: „Ich benötigte relativ wenig Kapital. Bis auf meinen Einachstraktor arbeite ich mit manuellen, kleinen Gartengerätschaften. Rohstoffe brauche ich auch so gut wie keine und mit 20 Litern Treibstoff komme ich im Jahr etwa aus. Das ist gar nichts.“ Seit 2012 haben in Österreich 19.000 Landwirte ihre Höfe geschlossen. Das sind sieben pro Tag. Angesichts dessen zeigen Beispiele wie jene Kietreibers, dass Menschen sich trotz dieser tristen Lage für den Beruf des Bauern begeistern können, wenn die Bedingungen stimmen. Während die Landwirtschaft sogar akademisch professionalisiert wird, zählt Kietreiber zu den Quereinsteigern, die sich mit einfachsten Mitteln und durch viel Praxis selbst ausbilden und tatsächlich von ihrem agrarischen Schaffen leben können. Kietreiber ist wirtschaftlich stark genug, um sich aller Voraussicht nach noch dieses Jahr einen Angestellten in Vollzeit zur Hilfe zu holen. Was die Vermarktung angeht, will er von Einzelhandelsketten nichts wissen. „Nie würde ich einen Vertrag mit


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denen unterschreiben“, sagt er mit Nachdruck. „Zu vielen Kunden habe ich ein persönliches Verhältnis, weil die regelmäßig bei meinem Stand am St. Pöltner Domplatz auftauchen. Weiters biete ich auch Abholungen von Gemüsekisten hier in Maria Jeutendorf an und Kunden können Ernteanteile erwerben. Auf Facebook und Instagram liefere ich auch regelmäßige Postings über meine Arbeit.“ Neben Privatpersonen finden sich auch einige Gastro-Betriebe auf Kietreibers Abnehmerliste. Von „Einzelkämpfertum“ in der Bio-Landwirtschaft möchte er nicht sprechen. „Dazu ist die Masse an Leuten, die das betreiben schon zu groß und zu gut vernetzt.“ Konventionelle vereinnahmen die Labels „Bio“ und „Regional“ Obermamau, nordwestlich von St. Pölten. In dieser Ortschaft gibt es nicht viel. Was jedoch sofort ins Auge sticht, ist der Selbstbedienungsladen des Osthofes „Bioplatzl“ Maierhofer, der direkt an einer ehemaligen Bushaltestelle steht. „Das ist für mich ein günstiger Zufall, denn diese Haltestelle können unsere Kunden gleich als Parkplatz nutzen“, lächelt Rudolf Maierhofer, der Chef des Hofes. Er könne sich noch erinnern, wie das Bild des Bio-Bauern in den 80er- und 90erJahren war. „Ein Eigenbrötler, nicht gerade die adretteste Kleidung, vielleicht sogar etwas ungepflegt – das war so das gängige Bild“, erinnert er sich scherzhaft. „Und eine Zeit lang hatte ich selbst Vorurteile gegen die Bio-Wirtschaft“, gibt der 48-Jährige zu. Maierhofer kommt aus einem bäuerlichen Elternhaus, übernahm 2003 den Obstanbau und den Schweinebetrieb von seinen Eltern, ein konventionell geführter Hof. Ab diesem Zeitpunkt vollzog der NeoLandwirt den wirtschaftlichen und geistigen Schwenk zum Bio-Betrieb. Die Schweinehaltung stellte er ein, die Obstfläche wurde auf 18 Hektar erweitert und auf Bio-Betrieb mit aktuell acht Mitarbeitern umgestellt. Besonders bildhaft blieb

SCHWENK RICHTUNG BIO. Rudolf Maierhofer (im Bild links hinten) stellte den elterlichen Obstbetrieb auf Bio um.

Maierhofer in Erinnerung, als er beobachtete, wie Hühnern konventionell produzierte Nahrung gefüttert wurde und die Tiere diese Mahlzeit verweigerten. „Die Tiere haben das instinktiv in sich zu merken, dass ihnen diese Nahrung nicht gut tut. Wenn schon Tiere so was nicht anrühren, was passiert mit uns Menschen, die wir uns solche Produkte regelmäßig zuführen?“ Eine weitere Bestärkung der biologischen Wirtschaftsweise war die Geburt seiner ersten Tochter, der einige Jahre später die zweite folgte. „Kinder haben einen entscheidenden Einfluss, das merke ich auch bei den Kunden. Vielen Leuten ist die Qualität ihrer Nahrungsmittel so lange egal, bis ein Kind ins Leben kommt. Und wenn es um die Gesundheit der Kleinen geht, da denken viele Menschen dann um.“ Es gibt eine zweite Gruppe, bei denen Maierhofer immer wieder einen radikalen Schwenk zu höher-

wertiger und biologisch produzierter Nahrung beobachtet: krebskranke Menschen. „Im Unterbewusstsein weiß jeder, dass diese Lebensmittel besser sind. Ich wehre mich auch gegen die Einteilung in ,konventionell‘ und ,biologisch‘. Eigentlich sollte Bio als Maßstab gelten und das, was heute als konventionell bezeichnet wird, ist im Grunde chemisch-synthetische Landwirtschaft.“ Der Selbstbedienungsladen wirkt teilweise wie ein Aushängeschild und das Angebot des Hofes Maierhofer ist äußerst vielfältig. „Uns war schnell klar, dass wir nicht nur die rohe Ware anbieten können, sondern sehr stark auch in die Verarbeitung gehen müssen.“ Von Marmeladen über Chips, Ketchup, Chilisauce, Weine, Essig und Nusserzeugnissen reicht die Produktpalette. „Für die Verarbeitung haben wir natürlich Partner, das machen wir nicht alles selbst“, erklärt Maierhofer. Wie Kietreiber ist auch er am St. Pöltner Markt am Domplatz zugegen, ebenso wie am Markt in Melk, liefert unter anderem nach Wien und hat einen Zwischenhändler, wodurch auch die Einzelhandelsketten MFG 03 21

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KOLUMNE TINA REICHL

CORONA ABC

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DER VERNETZER. Bio-Landwirt Alfred Schwendinger ist Hauptinitiator der „Regionalwert Niederösterreich-Wien AG“.

FOTO STOCK.ADOBE.COM

Kleines Corona Vokabular für Coronaleugner, und solche, die es noch werden wollen: Angstschober: Verunglimpfung des Namens eines Politikers (gebräuchlich im Kindergarten: Maxi – Gagsi) Coronaleugner: Personen, die glauben, dass jeder einmal sterben muss und dass es die Corona-Pandemie nicht gibt. Oft im Zusammenhang mit „Ich bin echt kein Coronaleugner, aber …“ Demos: Orte, an denen Menschen oft ohne Maske und Abstand zusammenkommen, um sich und ihre Situation mit der von Sophie Scholl oder Anne Frank zu vergleichen. Sie­ he auch: Kirchliche Prozessionen, Faschingsumzüge,… Gekauft: Alle Personen, die aus eigener Erfahrung über die Zustände in den Krankenhäusern berichten. Infisziert: Das heißt infiziert! Lügenpresse: Alle Zeitungen, die etwas anderes schreiben als Coronaleugner auf Facebook! Mainstream-Berichterstattung: die Art und Weise wie seriöse Medien über den Coronavirus berichten. Querdenker: Definition von Christoph Waltz: „Wenn du das Tragen einer Maske als das Beschränken deiner Grundrechte empfindest, dann bist du nicht quer, sondern einfach nur deppert.“ Schulschließung: Zeitraum, in dem nur die Hälfte aller Schüler und nur im Notfall in die Schule gekommen sind. Übersterblichkeitsrate: An oder mit dem Virus gestorben? Eine Frage, die dem, den es betrifft, wahrscheinlich jetzt egal ist. Verschwörungstheoretiker: Ein Mensch, der glaubt, dass eine kleine elitäre Gruppe mit einem geheimen Plan die Welt regiert.

Hofer und Billa indirekt einen Anteil seiner Produkte beziehen. Was die beiden Hauptsäulen seines Anbaus – Äpfel und Birnen – angeht, hält er eine Eigenvermarktungsquote von 40 bis 50 Prozent. In den vergangenen Jahren beobachtete Maierhofer einen Trend, der ihn nachdenklich stimmt: „Ich denke, dass die Begriffe wie ,bio‘ und ,regional‘ oft zu Unrecht miteinander vermischt werden. Beziehungsweise sehe ich bei Kunden eine zunehmende Bedeutung des Begriffes ,regional‘. Dabei darf man nicht vergessen, dass es überall im Land etwa Schweinebetriebe gibt, die in meinen Augen nichts anderes als Fabriken sind. Ich würde dort nie etwas kaufen, auch wenn das ,regional‘ wäre.“ Maierhofer sieht Trittbrettfahrertum, wenn konventionelle Betriebe auf der „Regional“-Welle mitschwimmen wollen und Preise verlangen, die auf Niveau eines BioBetriebes liegen. Gerade wenn Läden „Regional und Bio“ anschreiben müsse das aber nicht heißen, dass jedes Produkt dort regional und (!) bio ist. Der Kunde muss also nicht nur im Supermarkt wachsam sein. Während man als Käufer im Supermarkt oft vor dem Dilemma steht, ein regionales aber konventionelles Produkt mit einem biologischen Produkt aus

fernen Ländern konsum-ethisch abzuwägen, hat Maierhofer eine klare Haltung: „Ich schaue zwar, dass ich beides so gut es geht unter einen Hut bekomme beim eigenen Einkauf. Aber wenn es hart auf hart kommt hat Bio bei mir Vorrang vor Regionalität. Seitdem ich mich mit den chemischen Stoffen auseinandergesetzt habe, ist das meine Einstellung.“ Österreich ist im innereuropäischen Vergleich „Bio-Vorreiter“, auch wenn die heimische Branche nach wie vor Minderheitenprogramm ist. Der Blick in den „grünsten“ Zweig der Landwirtschaft zeigt: Er lebt von der Vielfalt. Von „Veteranen der ersten Stunde“, über risiko- und lernfreudige Quereinsteiger und Bio-Umsteiger mit ausgeprägtem Gesundheitsbewusstsein kommen viele verschiedene Ansätze und Erfahrungen, wie biologisches Landwirtschaften betrieblich und kollektiv gedeihen kann. Angesichts des Trends zu immer größeren Höfen und der nach wie vor großteils flächengebundenen EU-Agrarförderpolitik, sieht der Blick in die Zukunft zwar nicht allzu rosig aus. Für Kietreiber ist aber klar: „In Zukunft kann es nicht so laufen, dass einige Große uns ernähren, sondern dass viele Kleine diese Aufgabe übernehmen.“


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FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, MANFRED DEIX/LANDESSAMMLUNGEN NÖ, JASMINA DZANIC

„I WER‘ NARRISCH!“

KOLUMNE THOMAS FRÖHLICH

SOUNDTRACK DES LEBENS Kennen Sie John Barry? Nun ja, wahrscheinlich nicht persönlich – aber wenn Sie auch nur einen Hauch an Interesse für Kino und Film hegen, ist Ihnen dieser Mann zumindest von seinen Klängen her bekannt. Er stattete nicht nur die Bond-Klassiker mit Sean Connery aus, sondern versorgte die komplette britische Film- und auch Serienindustrie der 1960ies von Underground bis Kommerz mit seinen musikalisch swingenden Einfällen. Er lieferte auch in den folgenden Jahren ins Ohr gehende, angenehm unprätentiöse Filmmusik ab. Der Schreiber dieser Zeilen entdeckte Barrys musikalischen Schatz in seiner Teenagerzeit; und bis heute gilt ihm dessen Schaffen gleichsam als Soundtrack seines Lebens: Da waren Verheißungen von Glamour, Abenteuer und weltoffener Weitgereistheit ebenso drin wie ein gerüttelt Maß an Melancholie (die auch jenen Filmen eine Tiefe verlieh, die diese vom Script her ursprünglich gar nicht aufzuweisen hatten). Nun ist das mit den Verheißungen so eine Sache. Auch Ihr Schreiber musste letztendlich eins akzeptieren: Nicht alles geht in Erfüllung – ein paar gute Konzerte, das eine oder andere klasse Filmfestival, mit Freunden heldenhaft durchzechte Nächte und einige Monate auf dem nepalesischen Hippietrail (und das um Jahre zu spät) müssen’s auch tun. Und irgendwann, nach ein paar Jahrzehnten Leben, erkennt man, dass besagte Melancholie nicht die Würze, sondern die eigentliche Verheißung war. Denn auch das von Louis Armstrong interpretierte „We have all the time in the world“ ist letztendlich ein Abschiedslied. Nur eben eins der schönsten.

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elch ikonischeren Spruch denn jenen Edi Fingers hätte man der neuen Ausstellung über „Das Jahrhundert des Sports“ im Haus der Geschichte schon voranstellen können? Die Schau bringt die Besucher dabei auf Tuchfühlung mit legendären Sport-Persönlichkeiten, spektakulären Siegen und krachenden Niederlagen, erzählt von technischen Entwicklungen, politischer Verein-

nahmung oder spürt dem gesellschaftlichen Stellenwert des Sports nach. Auch ein paar Gusto-Exponate sind zu bestaunen wie etwa Franz Klammers Olympiamedaille von 1976, ein Schwimm-Anzug von Markus Rogan oder ein Bahnrennrad von Max Bulla. Und weils so schön ist, können sich Besucher bei mehreren Stationen gleich selbst sportlich betätigen. Eröffnet wird am 13. März!

LEOP OLD

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igentlich, so gesteht Petra Wurstbauer, „hatte ich nie den Plan, ein Kinderbuch zu schreiben. Und jetzt das!“, verweist sie schmunzelnd auf die ersten Exemplare ihres Debüts „Leopold und der magische Feenstaub“, das sie aufgrund der großen Nachfrage schon nachdrucken lässt. Schuld daran war eine Hummel bei der Gartenarbeit, die in einer Rosenblüte feststeckte „… und plötzlich ist da eine Geschichte in meinem Kopf gewesen. Eine Geschichte, die mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.“ Die im wahrsten Sinne des Wortes zauberhafte Geschichte von Leopold und seinen Freunden nämlich, die gemeinsam den Wald retten und dabei manch „Wunder“ erleben. On top gibts noch einen Rätselteil

und zwei köstliche Lieblingsrezepte. Illustriert wurde das Buch von Marie Cameron Leimer. Erhältlich ist es in der Buchhandlung Schubert, Gutding, Evi, MyCC Kreativladen und im Mazzetti.


MFG ADVERTORIAL

FESTSPIELHAUS ST. PÖLTEN / BÜHNE IM HOF

AUS DER NORM Aus der Norm gefallen – so könnte man die Auftritte von Federspiel und Louis Cage’s Percussion im Mai bezeichnen, wobei dieses Verdikt als großes Lob zu verstehen ist – tatsächlich schaffen es die beiden Formationen nämlich auf wohltuende Weise, sich jeder klassischen „Einkastelung“ zu entziehen.

ES WIRD ALLES ... ... BESSER! Wir sind froher Hoffnung, dass wir einander bald wieder in den Arm nehmen können, gemeinsam lachen und Feste feiern werden! Voller Vorfreude blicken wir auch auf die Wiedereröffnung des Festspielhauses und das Zelebrieren von Live-Kultur-Gänsehaut-Momenten bei zahlreichen Bühnenhighlights.

TIPPS FÜR GROSSARTIGE BÜHNENMOMENTE IM FRÜHLING: PINA BAUSCH . GERMAINE ACOGNY & MALOU AIRAUDO: „Das Frühlingsopfer/common ground[s]“, Tanz-Weltpremiere am 28/05 CHILLY GONZALES Weltklasse Jazz am 02/06 © Roswitha Chesher

Nicht minder „abwegig“ geht es Louie’s Cage Percussion am 29. Mai in seiner, ja wie nennen wir das jetzt genau – Musik-Performance? Musikdrama? Soundgeschichte?… an. Das Percussion-Ensemble (das aber auch nicht mit Ukulele, Akkordeon & Co. geizt) nimmt in „Characters“ die Besucher mit auf die Reise eines jungen „Landeis“, das in der Großstadt die schrägsten Typen, und damit auch die vielfältigste Musik erlebt. Klassik, Jazz, Volksmusik, Rap … die Norm ist, dass es keine Norm zu geben scheint! Und diese neue „Normalität“ finden wir im Unterschied zu manch anderer herrlich erfrischend! www.buehneimhof.at

Infos: www.festspielhaus.at | Tickets: www.festspielhaus.at

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FOTOS MARIA FRODL, PHILINE HOFMANN

Federspiel – gerne als „gemischter Bläsersatz“ apostrophiert – bringen am 8. Mai etwa das Kunststück zustande, Einflüsse vom Fiakerlied über aztekische Melodien bis hin zu romantischen Volksliedern zu einem schier unglaublichen einzigartigen BrassSound zu vermantschen, der so richtig unter die Haut geht. Norwegische Trolle spielen da ebenso eine Rolle wie Tanzwesen aus Mexiko oder eine Abbiegung in die Bergwelt von Davos.


Die letzten Monate und auch die kommenden sind sehr herausfordernde Zeiten, die zeigen, wie sehr wir als Team zusammenhalten müssen, um schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen. Es liegt aber auch viel an uns zu erkennen, in welchen Bereichen wir unser Angebot für eine größer gewordene, virtuelle Museumscommunity anpassen. Matthias Pacher Museum Niederösterreich

Unsere Musikerinnen und Musiker können es kaum erwarten, wieder vor Publikum aufzutreten! Wir vermissen es schmerzlich und hoffen auf eine baldige Perspektive – für uns und alle anderen Kultureinrichtungen. Ein Konzert ist ein ganzheitliches Erlebnis: für den Geist, die Sinne und die Seele. Dieses unmittelbare Erleben ist durch nichts zu ersetzen! Frank Druschel Tonkünstler-Orchester NÖ

Ich könnte heulen, echt jetzt! Aber weil das halt auch nichts hilft: aufstehen, Krönchen richten, die Abstandsbären polieren und weitermachen! Ich glaube ja immer noch, dass Kultur gar nicht so gefährlich ist, wie angenommen – sie ist eher heilsam. Bis das Heilmittel wieder verabreicht werden darf, achten Sie auf sich und Ihre Lieben. Daniela Wandl Bühne im Hof

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LIEBE FREUND *INNEN! Ja, sie ist mühsam und sie zieht sich – die Pandemie, die auch unserem Kulturgenuss nach wie vor in hohem Maße einen Strich durch die Rechnung macht. Aber es gibt zumindest, wenn auch zögerlich, erste Lichtblicke! Seit Februar gibt es auch wieder leichte, sehr vorsichtige Öffnungsschritte. So haben endlich wieder unsere St. Pöltner Museen wie etwa das Museum Niederösterreich, das Stadtmuseum St. Pölten oder das NÖDOK ihre Pforten geöffnet. Nutzen Sie digitale Angebote wie zum Beispiel diverse LiveStreams. Diese können zwar das Live-Erlebnis nicht ersetzen, aber sie zeigen doch, welch unglaubliche Bandbreite und Qualität unseren Kultureinrichtungen innewohnt, sie können es den Statements entnehmen. Und irgendwann werden wir wieder gemeinsam Kultur genießen! In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch als Arzt einen Appell in eigener Sache hinzufügen: Gehen Sie zur Impfung, so rasch Sie drankommen können, es ist nicht von Belang welcher Impfstoff zur Verfügung ist! Jedenfalls sind Sie vor schwerem Verlauf geschützt! In diesem Sinne bis bald. Bleiben Sie gesund, Ihr Lothar Fiedler


FOTOS MARTINA SIEBENHANDL, FLORIAN SCHULTE, THOMAS SCHNABEL, NANCY HOROWITZ, KARL FUCHS, ALEXI PELIKANOS, VOLKER WEINHOLD, JOSEF VORLAUFER; BVS WÄHRING, ZVG

In Zeiten der Corona-Krise reicht eine virtuelle Abbildung der Ausstellungen nicht aus. Die Wahrnehmung von bildender Kunst in Museen, Galerien oder in öffentlichen Räumen ist ein spezielles Erlebnis. So wenig erfreulich die letzten Wochen waren, so schön ist es, dass mein Wunsch nach Öffnung nun doch in Erfüllung gegangen ist.

Die aktuelle Corona-Situation wird im Stadtmuseum ambivalent aufgenommen – zum einen freuen wir uns, dass wir wieder Besucher empfangen dürfen, zum anderen sehnen wir den Tag herbei, an dem wir auch wieder ein vollwertiges Programm mit Vorträgen, Vermittlungsarbeit, Veranstaltungen und Vernissagen anbieten können!

Leopold Kogler DOK Niederösterreich

Thomas Pulle Stadtmuseum St. Pölten

Seit Anfang November ist nun der Theatervorhang geschlossen. Wir blicken aber immer noch zuversichtlich nach vorne, freuen uns, dass wir proben dürfen und arbeiten intensiv am Spielplan für die nächste Spielzeit. Auch wenn die digitale Bühne kein Ersatz für das Theater-Live-Erlebnis ist, bleiben wir unter #wirkommen weiterhin mit Ihnen verbunden.

Bevor im Frühjahr 2022 die Renovierungsarbeiten beginnen und das Haus für zwei Jahre geschlossen wird, wollen wir Sie noch zu einigen würdigen, berührenden und herzerfreuenden Veranstaltungen begrüßen. Bis dahin möge uns die Impfstrategie Israels als Vorbild dienen! Martha Keil Institut für jüdische Geschichte Österreichs

Marie Rötzer & Olivia Khalil Landestheater Niederösterreich

Wir vermissen Sie, liebe FreundInnen des Festspielhauses, so wie wir auch unsere KünstlerInnen, unsere Communities und unsere KollegInnen vermissen. Trotzdem gehen bei uns täglich die Lichter an, das Festspielhaus leuchtet abends im Kulturbezirk und wir warten darauf, endlich wieder spielen zu dürfen. Brigitte Fürle Festspielhaus St. Pölten

Ich bin überzeugt, dass wir als Kunst- und Kulturmanager mit diesem „Virus“ leben und arbeiten müssen. Gerade wir im Kulturbetrieb können unter Beachtung der Punkte Umsetzung der Präventionskonzepte, Umsetzung eines personalisierten Contact-Tracings, der ReintestStrategie und Berücksichtigung der Impfstrategie wieder Kunst und Kultur anbieten. Paul Gessl NÖKU

MITGLIED WERDEN und die zahlreichen Vereinsvorteile (Exklusivveranstaltungen, Previews, Künstlertreffen, Exkursionen, Ermäßigungen uvm.) genießen. Anmeldung und Infos unter T +43 2742 90 80 90-941, F +43 2742 90 80 94, freunde@kultur-stp.at

INFORMATIONEN

www.freundederkultur-stp.at, Tel.: 0 2742 90 80 90-941

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MÄDCHEN FÜR ALLES

„WIE WÄRE ES MIT DEM PRANDTAUER?“ Er war bedeutender Klosterarchitekt und geschäftstüchtiger Unternehmer, sein Oeuvre war gewaltig, er wurde von seinen Auftraggebern geschätzt und arbeitete rund um die Uhr: Jakob Prandtauer prägte wie kein anderer auch das St. Pöltner Stadtbild. Die Kunsthistorikerin Huberta Weigl ist dem vielfältigen Künstler schon seit über 20 Jahren auf der Spur – nun hat sie eine umfangreiche Prandtauer-Monografie über ihn herausgebracht. gefährte, der „Paumeister“ Jakob Prandtauer. „Mir ist das Thema sehr schnell über den Kopf gewachsen“, so Weigl, denn schon nach den ersten Recherchen stand fest, das Werk des Barockarchitekten ist zu mächtig, um es in einer Arbeit in den Griff zu bekommen. „Prandtauer war ja so eine Art Mädchen für alles. Wenn es etwas zu bauen gab, umzugestalten oder auch zu reparieren, war er zur Stelle“, erzählt Weigl. Und so konzentrierte sie sich vorerst auf seine wichtigsten Klosterbauten, die Stifte Melk, Herzogenburg und St. Florian. Aber das übrige Werk ließ Weigl nicht mehr los und so forschte sie nebenbei immer weiter. „Frust und Lust“, wie sie selbst sagt, wechselten sich dabei ab, „weil das Werk verrückt groß ist.“

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or beinahe 25 Jahren galt es für Huberta Weigl, zu promovieren. „Wie wäre es mit dem Prandtauer?“, schlug ihr damaliger Professor am Wiener Institut für Kunstgeschichte, Hellmut Lorenz, vor. Und diese nonchalante Frage war der Startschuss zu ihrer langen Forschungsreise – dabei steter Weg-

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Umfangreiches Oeuvre Denn Prandtauer ließ es sich nicht nehmen, neben den bekannten Klosteranlagen auch Zehenthöfe, Schüttkästen, Pfarrhöfe, Schlösser, Palais und Bürgerhäuser zu errichten. Ebenso waren Weinkeller, Gartenpavillons, Lusthäuser, Kasernen, Brücken, ja selbst Skulpturen, Denkmäler und Gartenanlagen in seinem Portfolio. „Er arbeitete permanent

und verdiente auch recht gut.“ 1660 in Stanz in Tirol zur Welt gekommen, musste der kleine Jakob schon im Alter von neun Jahren das Sterben seines Vaters miterleben. Der Tod war in barocken Zeiten ein fortwährender Begleiter – dafür sorgten mangelnde Hygiene, fehlende medizinische Betreuung, viele Krankheiten und Seuchen. Prandtauer begann mit 17 Jahren eine Maurerlehre, die er 1680 abschloss. Später verlieren sich seine Spuren, ehe er 1692 ein Haus in St. Pölten, Klostergasse 15, erwarb. „Er ist auf Wanderschaft gegangen, kehrte aber in den Wintermonaten ziemlich sicher, entgegen den Erzählungen der Wissenschaft, wieder nach Tirol, zum Martinitag, auf den Hof zurück“, weiß die Kunsthistorikerin. Warum St. Pölten? Warum er in St. Pölten landete? Prandtauer arbeitete zuerst in Wien, beim Tiroler Baumeister Christian Alexander Oedtl, der auch für den Probst in St. Pölten, Christoph Müller, Aufträge erledigte. Dieser zerstritt sich gerade mit dem städtischen Baumeister und war auf der Suche nach einem geeigneten Mann, denn Arbeit, um die Macht und die Stellung der Kirche zu verdeutlichen, gab es damals nach den Türkenkriegen genug. Und da zeigten sich die besonderen Fähigkeiten Prandtauers. Er war nicht nur Planer, sondern führte diese auch selbst aus, arbeitete als gelernter Maurer, Polier und Baumeister ununterbrochen. „Der Probst wird ihm auch bei der Haussuche in St. Pölten geholfen haben, schließlich war das Gebäude Klostergasse 15 ja mitten im Kloster-


TEXT: ANDREAS REICHEBNER | FOTOS: STIFT MELK, MUSEUM AM DOM ST. PÖLTEN/TOBIAS SEEBACHER, ANDREAS REICHEBNER, ZVG

IDEALPROSPEKT. Dieses Bild im Bischofstrakt zeigt, wie das St. Pöltner Klosterviertel nach dem Umbau aussehen sollte. Es wurde nur ein Bruchteil davon realisiert. Links Wohngebäude des Viertels, wo auch Prandtauer lebte.

viertel des Augustiner-Chorherrenstiftes“, so Weigl über das Fußfassen Prandtauers in St. Pölten, der nun auch als hauseigener Baumeister des Stiftes fungierte. „Von da an geht es ganz schnell, er lässt sich den Mau­ rerbrief ausstellen, wird selbständiger Baumeister, heiratet die Kammerzofe von Schloss Thalheim, das erste Kind kommt und er wird von den Klöstern weitergereicht und empfohlen. Denn die Äbte und Pröbste waren vernetzt, da gab es so eine Art Empfehlungsmarketing“, erzählt Weigl, „auf Prandtauer konnte man sich eben verlassen.“ Er überwachte selbst seine Baustellen regelmäßig. Obwohl damals die 30 km lange Strecke zwischen St. Pölten und Melk eine Reisezeit von fünf bis sieben Stunden erforderte. „In jungen Jahren ist Prandtauer noch geritten, dann ist er auf Kutschen umgestiegen, die aber eher Fuhrwerken glichen“, so Weigl, die in ihrem Buch trotz hohen kunsthistorischen Anspruchs, den Baukünstler auch als Person in der damaligen Zeit verankert zeigt. „Es darf auch menscheln, ich freue mich, wenn ich sehe, dass Wissenschaft ihren Platz auch im Leben einnimmt. Mich interessiert auch, unter welchen Voraussetzungen die Menschen gelebt haben.“ Und so erfährt man in der Künstlermonografie, in der der Mensch Prandtauer richtig le-

bendig wird, auch, dass das Stift Melk den Wirt bezahlt hat, der ihn verköstigte, übernächtigen ließ und auch mit seinem Fuhrwerk wieder nach St. Pölten brachte. „St. Pölten war gut ausgewählt, ein extrem guter Standort. Denn von hier aus konnte er ausschwärmen, auch nach Wien, und natürlich nach Melk und dann in weiterer Folge nach Oberösterreich, wo er etwa am Stift St. Florian arbeitete.“ Pfarrhof in Haitzendorf Sein erstes archivalisch gesichertes Werk war die Umgestaltung des Pfarrhofes von Haitzendorf im Jahre 1694 – Auftraggeber das Stift Herzogenburg. Zwei Jahre später vollendete er im Auftrag des Augustiner-Chorherrenstiftes den Lesehof in Joching. „Für die Chorherren in St. Pölten errichtete er unter anderem den Turmhelm des Domes, das Schloss Ochsenburg und den Schwaighof.“ In St. Pölten gestaltete er aber auch viele Profanbauten und Bürgerhäuser, wie das Haus Fuhrmannsgasse 14, das Palais Wienerstraße 37 oder sein Wohnhaus selbst, „aber es ist gar nicht mehr so leicht, Prandtauer hier zu entdecken. Es stammt nicht alles, was ihm ursprünglich zugeschrieben wurde, auch von seiner Hand.“ So ist etwa die Prandtauerkirche nicht von ihm, er überwachte das Bauvorhaben

lediglich. Aber das mindert keineswegs die Bezeichnung „PrandtauerStadt St. Pölten“, denn er lebte hier mehr als 30 Jahre, prägte eindrucksvoll das Stadtbild, auch in Folge durch die Arbeiten seines Neffen Joseph Munggenast. Und schließlich entstammen seinem Atelier in der Klostergasse wunderbare Pläne für barocke Höhepunkte in Nieder- und Oberösterreich. „Die Äbte und Pröbste haben ja dauernd mitgeredet, als Baumeister war man nicht so der autonome Künstler“, so Weigl, aber Prandtauer war einer, „der sich auf Kundenwünsche eingelassen hat. Er war alles andere als kompliziert, bei Schwierigkeiten zur Stelle. Auch als Fischer von Erlach in Herzogenburg übernommen hatte, war er weiterhin regelmäßig auf Baustellenbesuch.“

AUTORIN HUBERTA WEIGL. www.schreibwerkstatt.co.at MFG 03 21

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„WIE WÄRE ES MIT DEM PRANDTAUER?“

KOLUMNE ROUL STARKA

FRÜHLING

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SCHMUCKSTÜCK. Für Huberta Weigl eines der schönsten Beispiele prandtauerscher Architektur in St. Pölten, das Bürgerhaus Fuhrmannsgasse 14.

FOTO STOCK.ADOBE.COM

Bevor wir alles wieder öffnen, müssen WIR uns wieder öffnen. Mit Abstand, Respekt und Demut gemeinsam atmen. Tonnen an Zynismus hab ich wütend und beleidigt in Dateien abgespeichert. Da wären schon laute Lacher dabei gewesen. Doch über allem schwebte ein: Wem nützt das? Es bleibt ein zartes Trotzdem, ein Hauch an Zuversicht, eine behutsam weitergetragene Seifenblase mit vielen Herzklebestellen, so verzweifelt zammpickt, Regenbogen an Wünschen, abgesetzt auf den ersten Blumen. Klar wäre gegen die Regierungspeinlichkeiten mit einem Sprachcaterpillar auffahren lustiger. Wir aber müssen die Samen der Geduld weiter ausstreuen. Jeden neuen Grashalm bestaunen, uns von ihm und seinen Gänseblümchen dazwischen neue Wege zeigen lassen. Auf keinen Fall aber dürfen wir Bittsteller werden, um überleben zu können. Das Weiterleben in der Krise steht uns zu, und ich kann nicht mit erholsamen Spaziergängen an der frischen Luft an der BillaKassa zahlen. Auch lassen sich Mieten und Stromrechnungen nicht mit Rilke-Gedichten begleichen. Wir setzen uns die Masken auf, gehen testen und lassen uns impfen. Okay. Du Regierung aber gibst jeder Menschin, die in Österreich lebt, die gleiche Summe Geld, um zu überleben. Wir nehmen ein Drittel Bundeskanzlergehalt, er selbst so wie alle anderen bekommen das Gleiche. Ohne wenn und aber, ohne Formulare. Das ist kein Kommunismus mit rundtanzenden Liedern, es ist Coronaismus. Mieten, Gas und Strom werden ab jetzt vom Staat bezahlt. Wir wollen nichts mehr hören und verstehen sollen. Wir wollen leben.

Gut verdient Das Benediktinerstift Melk gilt mit Recht als sein Haupt- und Lebenswerk. Zum eigenwilligen und zugleich großzügigen Abt Berthold Dietmayr stand er in einem vertrauensvollen Verhältnis. „Man schätzte sich, Prandtauer arbeitete ja in Melk von 1701 an ganze 25 Jahre für ein und denselben Abt“, weiß Weigl und gibt in ihrem Buch auch Einblick über Sonderzahlungen. „Als der Rohbau der Melker Stiftskirche fertig war, bekam er 1.500 Gulden, das war das Fünffache seines Jahreshonorars.“ Bedenkt man, dass ein Handwerker 80 Gulden im Jahr bekam, ein stolzes Sümmchen. „Als es um ein Modell für das Portal der Melker Stiftskirche ging, bekam er Vanille statt Geld. Für dieses Modell erhielt Prandtauer am 2. Februar 1714 insgesamt 50 Pfund bzw. 24,5 kg Kakao und 75 Stangen Vanille im Gesamtwert von 75 Gulden, was beachtlichen 25 Prozent seines Jahreshonorars entsprach.“ 1726 starb der vierfache Vater und Familienmensch Prandtauer, nachdem er sechs Jahre zuvor den Tod seiner Frau Maria Elisabeth und all seiner Geschwister erleben musste. Ja, das Leben im Barock war keines zum Honig lecken, das wird auch im Buch von Huberta Weigl erle(b)sbar. Ein „Reinmachen“ nennt Weigl ihre

umfangreiche Künstlermonografie. Mehr als 20 Jahre Abarbeiten an einer Künstlerpersönlichkeit, von der einstmals der Propst des Stiftes Dürnstein als „vülleicht führnemsten (vornehmsten) in gantz Oesterreich“ sprach. „Ein Hinweis auf den besonderen Ruf, den Prandtauer bereits zu Lebzeiten besaß“, so Weigl, die nun mit einer fröhlichen Erleichterung auf ihr gewaltiges Werk blickt.

HUBERTA WEIGL: JAKOB PRANDTAUER 1660–1726, BAUMEIS­ TER DES BAROCK Michael Imhof Verlag, zwei Bände, 923 Seiten, 885 Abbildungen, ISBN 978-3-86568-031-0, Preis: 128,00 Euro


Patricia Piccinini, The Bond, 2016. Courtesy of the artist

PATRICIA PICCININI Embracing the Future

27.03.–03.10.2021 MFG 03 21

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FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, SONNENPARK/ZVG, HOUSE OF RIDDIM

MEHR RAUM FÜR ALLE!

KOLUMNE THOMAS WINKELMÜLLER

SCHEISSZEIT Meine Nachbarin hat mir dieses Jahr bereits das zweite Mal vor die Tür geschissen. Sie glauben, Sie hätten sich gerade verlesen, ich habe meinen Augen nicht getraut. Früh morgens schleppe ich mich aus dem Haus und dann grüßt mich statt der Sonne die Scheiße. Bevor Sie jetzt den Kopf schütteln und sagen, diese Geschichte sei hier deplatziert: Sie ist es keineswegs. Dazu komme ich aber noch. Erst einmal zurück zum Flur. Was würden Sie machen? Die Hausverwaltung anrufen? Bei der Nachbarin klopfen? Sie hat ihre Toilette – wie in Altbauwohnungen nicht ungewöhnlich – am Gang vis à vis meiner Wohnung und den Kot zweifelsohne nach oder vor dem morgendlichen Klogang verloren. Eine braune Schleifspur führt vor ihre Tür. Ich habe mir jedenfalls Plastikhandschuhe übergezogen und einen Schwamm geschnappt. Weitere Details erspare ich Ihnen. Mein Problem: Ich kenne die Frau nicht. Am Gang grüße ich sie, worauf die Dame nur schnell wieder in ihre Wohnung huscht. Sie ist alt und verstört. Eine andere Nachbarin sagt uns, besagte Nachbarin sei vor einem halben Jahr sehr krank geworden, mehr wisse sie nicht. Besuche hätte die Frau schon lange nicht gehabt. Ich werde mich die Tage durch die Leitungen der Stadt Wien wählen und herausfinden, wie man der Frau helfen kann. Bei der Hausverwaltung schwärze ich sie nicht an. Wenn Sie auch zur Miete wohnen und eine ältere Nachbarin haben, läuten Sie einmal an ihre Tür und sehen nach ihr. Was ist der Geruch von Scheiße schon gegen den einer faulenden Leiche?

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o lautet das Generalmotto für die Renovierung der Vereinsgebäude im Sonnenpark. Eine erste Runde mit den Fördergebern von Stadt und Land hat bereits stattgefunden, die am Areal tätigen Vereine haben sich zum „Verein für Kunst, Kultur und Natur“ fusioniert, „ein Arbeitstitel“, wie Präsidentin Sabina Frei verrät. Getüftelt wird an der Renovierung bereits seit einigen Monaten in Zusammenarbeit mit der Lehrveranstaltung design.build der TU Wien. Im engen Austausch mit den Vereinsmit-

gliedern haben die Studierenden „dabei das Idealbild eines Kultur- und Naturzentrums entworfen, das für St. Pölten und die Region eine Bereicherung darstellen wird“, so Frei. Was man sich in etwa erwarten darf? „Der Umbau soll es ermöglichen, die bereits bestehende kulturelle Infrastruktur St. Pöltens um gemeinschaftlich nutzbare Räume wie Proberäume für Musik und Tanz, eine CommunityKüche, Ausstellungs- und Präsentationsräume sowie Werkstätten zu erweitern.“ Mehr Raum für alle eben!

MIT DER LIZENZ ZUM MUS IZIEREN

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un hat sie House Of Riddim Mastermind Sam Gilly also auch, die Lizenz zum … na gut, nicht gleich zum Töten, aber immerhin zum musikalischen Mitwirken in einem James Bond Film. So wird im neuen Streifen „Keine Zeit zu sterben“ der Song „Rastafari way“ von Teacha Dee zu hören sein, der nicht nur von House Of Riddim produziert wurde, sondern auch von den Mannen der Kombo rund um Sam himself, Manfred Scheer & Co. eingespielt wurde. Dabei hielt Sam das Angebot im ersten Moment für so unwahrscheinlich, „dass ich das Email gleich mal gelöscht habe … dachte das sei ein

Spam“, muss er noch heute lachen. Erst der Anruf von Sänger Teacha Dee ließ ihn das Teil wieder aus dem digitalen Mistkübel heraussuchen, und „da war auch schon der Vorvertrag, Skript etc. drinnen.“


FOTO: NDU/ZVG

STUDIERE DESIGN DIGITALER SYSTEME AN DER NDU! Die Anforderungen an Fachkräfte in der IT-Branche haben sich deutlich verändert: Wer digitale Systeme entwerfen will, muss ganzheitlich denken, um Projekte interdisziplinär umsetzen zu können. Für die Gestaltung solcher digitalen Systeme braucht es Expert*innen mit technischem Verständnis, gestalterischen Kompetenzen und wirtschaftlichem Grundverständnis. Wenn du den technologischen und gesellschaftlichen Wandel aus der Perspektive des Designs aktiv und verantwortungsbewusst mitgestalten willst, bist du an der New Design University (NDU) in St. Pölten richtig. Denn genau hier setzt das neue Bachelorstudium „Design digitaler Systeme – IOT“ an. Der Studiengang, der im Herbst 2021 startet, greift den aktuellen Trend der Digitalisierung auf, verbindet die gefragten Kernkompetenzen und bildet Expert*innen mit vernetztem interdisziplinären Denken sowie dem Blick für das große Ganze aus.

Die NDU geht neue Wege wie mit dem neuen BachelorStudium Design digitaler Systeme.

Studiengangsleiter Univ.- Prof. Dr. Florian Güldenpfennig hat in der Vergangenheit bereits diversen Gegenständen das „Sprechen gelehrt”: Von Spielzeugen über Webanwendungen bis hin zu digitalen Geräten im Reha-Bereich oder sanitäre Anlagen – im Zentrum stehen smarte, interaktive Produkte. Und immer sind dabei die Bedürfnisse der Nutzer*innen in den Mittelpunkt gestellt. Die NDU, Österreichs einzige Privatuniversität für Gestaltung, ist mit ihrem Lehrangebot am Puls der Zeit. Sie bietet 6 innovative Bachelorund 2 Master-Studiengänge sowie 7 Universitätslehrgänge in den Bereichen Design, Wirtschaft und Technik an. „Design, Handwerk & materielle Kultur“ bietet eine neuartige Verbindung von Produktdesign und handwerklichem Können, „Event Engineering“ verknüpft Eventtechnik und -management, und im interdisziplinären Bachelorstudiengang „Management by Design“ werden wirtschaftliche Kompetenzen mit neuen Problemlösungen und Ideenfindung verknüpft. Interessiert? Individuelle Beratungen unter Infoline +43 (0)2742 890 2418 oder per E-Mail an info@ndu.ac.at.

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KNOCHENAR Seit Beginn der Corona-Krise steigt die Zahl der Essstörungen unter jungen Menschen. Die Pandemie als Brennglas. Woran fehlt es in der Behandlung und wie entstehen Essstörung überhaupt?

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uf den ersten Blick sind Ella und Kassandra (Namen geändert, Anm.) zwei ganz normale junge Frauen aus zwei ganz unterschiedlichen Welten. Eine studiert, die andere arbeitet als Verkäuferin. Über den Weg gelaufen sind sich beide ziemlich sicher noch nicht. Ella wohnt mit ihrer Freundin zusammen in einem kleinen Dorf auf dem Land, Kassandra ist nach Wien gezogen, um näher an der Universität zu sein. Sie ist Scheidungskind, Ella nicht. Kassandra brennt für Politik und Aktivismus, diskutiert gern, während Ella lieber zuhause bleibt und Menschenmengen scheut, so gut sie kann. Beide unterschiedlich, aber keine von ihnen würde auf der Straße auffallen. Dann brechen sie beim Einkaufen plötzlich zusammen. Ella hatte sich von 48 auf 39 Kilo runtergemagert, Kassandra nach einer Fressattacke ein paar Tage nichts gegessen. Sie isst intervallartig übermäßig viel, Ella tendenziell viel zu wenig. Eine hat Anorexie, also Magersucht, die andere Essattacken, eine Binge-Eating-Störung. Bemerkt hat das bis heute niemand. Ganz gleich, ob man bei Haus­ ärzten und Diätologen, in den Kinder- und Jugendpsychiatrien oder in Zentren für Psychotherapie nachfragt, die Wahrnehmungen sind immer ähnliche: Seit der CoronaPandemie nehmen Schicksale wie die von Ella und Kassandra zu. Schon davor stieß die medizinische Infrastruktur für die Behandlung von Essstörungen vielerorts an ihre Grenzen. Jetzt platzt sie aus allen Nähten. In den Stationen müssen Ärzte tria52

gieren, Betroffene warten teilweise monatelang auf Therapieplätze in Ambulanzen. Ärzte beklagen mangelnde Flexibilität in den Behandlungsmethoden. Obendrauf fehlt es auf dem Gebiet der Essstörungen zum großen Teil an differenzierten nationalen Daten und Zahlen zur Gesundheitsplanung. Manche Essstörungen diagnostizieren die Hausärzte, andere Fallgeschichten beginnen erst mit der stationären Behandlung, wie z. B. auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landesklinikum Mauer. Vor allem niedergelassene Ärzte beklagen die knappen Kapazitäten, die ihnen für Essgestörte zur Verfügung stünden. „Ich bekomme einen fixen Betrag für zehn Minuten mit meinen PatientInnen, alles darüber wird nicht erstattet. Gerade bei Menschen mit Essstörung reicht das aber absolut nicht“, sagt ein Hausarzt aus St. Pölten, der lieber anonym bleiben möchte. Es fehle ihm und seinen Kollegen an Finanzierung, Zeit und manchmal auch am nötigen Knowhow, um mit komplexen psychischen Erkrankungen umzugehen. Deshalb verweisen sie diagnostizierte Jugendliche für gewöhnlich je nach Schweregrad der Erkrankung weiter. sowhat Zwischen einer stationären Behandlung im Krankenhaus und der Behandlung bei niedergelassenen Medizinern oder Therapeuten liegt „sowhat“ – das sind kassenfinanzierte Kompetenzzentren für Essstörungen in Wien, St. Pölten und Mödling, die breit angelegte Thera-


TEXT: THOMAS WINKELMÜLLER | FOTOS: STOCK.ADOBE.COM, MATTHIAS KÖSTLER, BUBU DUJMIC PHOTOGRAPHY, MATERN/MEDUNI WIEN, ZVG

BEIT

HUNGERN. Obwohl das gestörte Essverhalten nur Symptom ist, verfolgen Erkrankte ihre Ernährung mit regelrechter Obsession. „Im Hinterkopf klopft den ganzen Tag das Essen,“ sagt Ella.

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BERATUNG UND HILFE. Um die niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater mit Kassenvertrag zu entlasten, gibt es die Einrichtungen von „sowhat“ in St. Pölten, Wien und Mödling. pien für Menschen ab dem zehnten Lebensjahr anbieten. 350 PatientInnen behandeln sie aktuell. Je ein Drittel wegen Bulimie, Anorexie und Binge Eating Disorder. In der St. Pöltner Grenzgasse, genau zwischen Domplatz und Bahnhof, stellt sowhat zwei Psychotherapeuten an. Als der erste Lockdown beginnt und die Kassa ihr Okay gibt, halten sie ihre Sitzungen per Telefontherapie ab. Ein Ambulatorium, in dem neben Psychotherapie auch eine allgemeinmedizinische und psychiatrische Betreuung vor Ort angeboten werden kann, gibt es bis dato nur in Wien. PatientInnen aus Niederösterreich müssen für diese Kontrollen und Beratungen zum Ambulatorium neben dem Westbahnhof pendeln. Um den Jahreswechsel 2021 auf 2022 soll St. Pölten ein eigenes Ambulatorium bekommen. „Kurz vor Weihnachten letzten Jahres haben wir nach einer Bedarfserhebung den positiven Bescheid bekommen“, sagt Christof Argeny, der ärztliche Leiter von sowhat. Schön, schlank, sportlich Während in Wien Patienten mehrere Monate auf freie Kassenplätze 54

warten müssen, behandelt sowhat in St. Pölten aktuell nur 30 Jugendliche. Der große Ansturm bleibt aus. Hier hätte man noch Spielraum nach oben, sagt Argeny. Ob das am mangelnden Bedarf oder fehlender Bekanntheit liegt, weiß er selbst nicht. „Eigentlich wollten wir letztes Jahr zu Bezirksärzten, in die Schule und ins Krankenhaus gehen, aber da hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Anorektische Menschen erkennen ihre Erkrankung oft nicht als solche an und würden erst durch Druck der Angehörigen oder auf Anraten von Ärzten zu ihnen in Behandlung gehen. Deswegen sei die Bewerbung so wichtig. Kassandra und Ella hören im Interview das erste Mal von sowhat. Würden sie dort Hilfe in Anspruch nehmen und bei sowhat in Therapien gehen, könnten Argeny und sein Team die Auslöser der Erkrankung suchen. „Essstörungen haben immer eine Funktion, um mit seelischen Problemen zurechtzukommen. Zuerst müssen wir deshalb die ganze Biografie einer Person bearbeiten, um die Funktionen herauszufinden.“ Parallel arbeitet Argeny – mit Zustimmung der Patienten – auch

medikamentös an den Symptomen, also den Depressionen und mit einer Diätologin am Essverhalten der Klienten. Denn Argeny ist sich sicher: „Damit erzielen wir die besten Ergebnisse.“ Kassandra meint, dass sie das System hinter ihren Essattacken durchschaut habe. Binge-Anfälle werden bei ihr von ganz bestimmten Situationen ausgelöst. Stress mit ihrer Familie, starke Schmerzen, ausgelöst durch ihre chronische Nervenerkrankung. Am schlimmsten aber „triggern“ die Erwartungen der Gesellschaft an das vorherrschende Schönheitsideal: schön, schlank, sportlich. „Wenn ich den Druck nicht mehr ertrage, scheiß ich einfach auf alles.“ Bis zu 5.000 Kalorien stopfe sie in sich und ihre Probleme verschwinden für einen Tag. „Am Morgen danach ist meine Mood am Boden. Ich schäme mich, hab Bauchweh und Sodbrennen. Deswegen habe ich danach auch nie etwas gegessen.“ Obwohl das gestörte Essverhalten nur Symptom ist, verfolgen Erkrankte ihre Ernährung mit regelrechter Obsession. „Im Hinterkopf klopft den ganzen Tag das Essen“, sagt Ella.


KNOCHENARBEIT

Die Angst ums Essen Tania Schmoll, eine Frau um die Dreißig mit kurz geschnittenen Haaren, arbeitet als Ernährungscoach. Ihre Praxis liegt nur ein paar Gehminuten von sowhat entfernt an der Karl-Renner-Promenade. Von hier aus möchte sie die Therapie von Frauen wie Ella und Kassandra entweder ergänzen oder überhaupt erst lostreten. „Meine Klientinnen sind oft noch nicht in Psychotherapie und das ist natürlich eine Herausforderung für mich, weil ich weiß, dass die notwendig ist. Ich sehe mich deswegen als Zwischenschritt, weil ich die Klientinnen im Laufe meines Coachings auch dazu bringen möchte in Psychotherapie zu gehen.“ Die Diätologin und Ernährungswissenschaftlerin arbeitet „lösungsorientiert“ und befreit ihre Patient­ innen langsam von Ängsten rund um das Thema Ernährung. Sie erstellt eine sogenannte Blacklist der von den Klientinnen selbst verbotenen Lebensmitteln und versucht sie in den Alltag zu integrieren. Setzt gemeinsam Ziele, um Angewohnheiten einzustellen. Eine davon ist der tägliche Gang zur Waage. Dabei achten die Erkrankten auf jedes Gramm: Nehmen sie zu, ruiniert es ihren Tag. Das bestätigt Argeny. „Je mehr sie abnehmen, umso gefährlicher ist es somatisch und psychisch fühlen sie sich besser. Kaum nehmen sie ein

wenig zu, stürzen sie psychisch ab. Das können sie nicht tolerieren und verarbeiten.“ Deswegen zählen die Patienten oft gegessene und verbrannte Kalorien. Ella vergleicht in einer WhatsApp-Gruppe mit anderen anorektischen Mädchen sogar täglich ihr Gewicht und die Kalorienbilanz. „Man will da drinnen dann natürlich die Beste sein“, sagt sie. Solche Verhaltensmuster versucht Schmoll im Laufe der Therapie langsam einzustellen. Seit Beginn der Corona-Pandemie suchen immer mehr junge Frauen Hilfe bei ihr. „Wenn ich mit meinen Kolleginnen telefoniere, erzählen sie mir, dass Essstörungen auch bei ihnen sprunghaft zunehmen“, sagt Schmoll, „die Jugendlichen sitzen zuhause, probieren Challenges aus, bei denen sie 30 Tage keinen Zucker essen und dann schlittern sie langsam hinein.“ Seit ein paar Jahren ernähren sich außerdem immer mehr junge Menschen vegan. „Eine sehr nachhaltige und gleichzeitig sehr aufwendige Ernährung, hinter der Klientinnen meistens ihr gestörtes Essverhalten verstecken.“ Wer nur die Hälfte der Lebensmittel im Haus essen kann, dem dränge man sie auch nicht auf, sagt Argeny von sowhat. Am Beginn der Corona-Pandemie versuchte er noch, die Situation positiv zu sehen. Notlügen über das Essen wären vielleicht kurz schwieriger aufrechtzuerhalten gewesen, „jetzt gibt es aber keine Vorteile mehr. Für alleinlebende Patientinnen ist die Lage fatal.“ Da die von Anorexie betroffenen Patienten überwiegend jünger sind, wohnen sie oft noch bei ihren Familien. Je angespannter das Verhältnis zuhause zuvor war, umso schlimmer sei es seit Corona geworden. „Wenn sie bei Eltern wohnen, die die Essstörung mitausgelöst haben und ohnehin schon sehr kon-

trollierend waren, dann kann das schwerwiegende Folgen haben.“ Gerade jungen Menschen sind ihre Freundesgruppen weggebrochen. Ihnen fehlen reale Kontakte, die den Druck einer Essstörung ausgleichen können. Anstatt von Freundinnen Hilfe zu bekommen, scrollen und klicken laut Argeny viele Essgestörte nur noch durch ihre Social-MediaBubble. Den Bulimischen, die noch bei den Eltern wohnen, sei es gelungen die Zahl ihrer Essattacken zu verringern – aus Angst, erwischt zu werden. „Aber diese Anfälle haben ja einen Zweck. Das macht niemand aus Langeweile und so haben sich ihre Probleme eben mehr in Depressionen und Angstattacken geäußert.“ Bulimisches Verhalten ging zurück, andere psychische Probleme traten verstärkt auf. Haus 51 Damit einhergehend stieg auch die Zahl der Patienten an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Landesklinikum Mauer. In einem Meer aus dunkelgrün und backsteinfarbenen Jugendstil-Bauten steht das Haus 51 am Rand des Krankenhaus­ areals. 2017 zog das Team rund um ihren Leiter Karl Ableidinger, dem Leiter, in die heutige Kinder- und Jugendpsychiatrie, einem ebenerdigen Neubau in Grauweiß. Rund um die Station Sportplätze, ein Stück weit entfernt der Streichelzoo für die tiergestützte Therapie. Von gerade einmal 19 auf jetzt 30 vollstationäre und sechs tagesklinische Therapieplätze konnten sie in Mauer aufstocken. „Wir kommen aus einer Kargheit. Für uns ist das schon viel“, sagt Ableidinger, ein Mann, der sehr unaufgeregt spricht, während ihm intervallartig der Seitenscheitel ins Gesicht rutscht. Diesen Sommer musste Ableidin-

Für alleinlebende Patientinnen ist die Lage fatal. CHRISTOF ARGENY, ÄRZTLICHER LEITER VON „SOWHAT“ MFG 03 21

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ger erstmals die gesamte Station offenlassen, konnte nicht wie in den Vorjahren einige Gruppen sperren. „Wir waren mit der Anzahl der Patientinnen sehr gefordert. Ferien wirken eigentlich ein Stück weit entlastend, aber letzten Sommer passierte das Gegenteil“, sagt Ableidinger. Die Auslastung stieg so schnell an, dass sie Patienten vorzeitig nachhause triagieren mussten. Als Primar der Kinder- und Jugendpsychiatrie Mauer ist Ableidinger zuständig für alle psychisch Erkrankten unter 18, die von Waidhofen an der Ybbs bis ins nördlichste Waldviertel leben. Die Station in Mauer ist Spitze der Versorgungspyramide für Jugendliche mit Essstörungen aus diesen Regionen. Hierher kommen vor allem stark ausgeprägte Anorexien. Menschen, die unter Bulimie oder Binge Eating leiden, seltener. Um zu verstehen, wie Ableidinger Patienten hier behandelt, muss man verstehen, woher eine Anorexie kommt. Auf der einen Seite ist sie genetischer Natur. Ohne Veranlagung auch keine Magersucht. Laut Andreas Karwautz von der Medizinischen Universität Wien wisse man durch Zwillingsstudien heute, dass an der Entstehung der Magersucht zu etwa 60 Prozent Gene verantwortlich sind. Aber es

wird komplizierter. „Würde nur die Genetik verursachend sein, müsste sich die Bevölkerung genetisch verändert haben, um zu erklären, warum die Zahl der Anorexien steigt. Eine derartige Veränderung ist nicht anzunehmen“, sagt Ableidinger. Anorexie – Gene & Gesellschaft Die Anorexie sei eine Krankheit der „ersten“ Welt. Und eine bürgerliche noch dazu. „In Afrika zum Beispiel ist die Anorexie quasi nicht existent und in den USA sagen uns die Prävalenzzahlen, dass der schwarze Teil der Bevölkerung – und damit der sozial benachteiligte – nur ausgesprochen selten an Magersucht leidet.“ Früher nahm die Anorexie auch in Europa nur einen untergeordneten Stellenwert ein. In religiösen Kontexten kam sie vor, sonst kaum. Seit geraumer Zeit steigen die Fallzahlen langsam an und gleichzeitig sinkt das Einstiegsalter der Erkrankten. Anorexie ist zum Teil ein soziales Phänomen der Gesellschaft. „Dort, wo das Schönheitsideal eher eine üppige Frau ist, finden sie keine Anorexien. Dort wo Armut herrscht ist die überschlanke Frau kaum ein Schönheitsideal.“ In den Industrie­ ländern sei das anders. Staaten wie Israel und Frankreich

HAUS 51. Die Station in Mauer ist letzte Instanz für Essgestörte. Hierher kommen vor allem Kinder und Jugendliche mit stark ausgeprägten Anorexien. 56

beginnen an der Spitze des Eisbergs und schmelzen das Schönheitsideal von oben abwärts. Modelagenturen dürfen dort keine Frauen unterhalb eines bestimmten Body-Mass-Index (BMI) beschäftigen. „Damit präsentiert Frankreich als Modenation überschlanke Frauen nicht mehr als übermächtiges Vorbild.“ Spielen die genetische Veranlagung, der soziale Status und das Schönheitsideal der Gesellschaft falsch zusammen, begünstigt dieser fatale Cocktail eine Anorexie. Was genau die Krankheit auslöst, ist individuell, maßgeblich daran beteiligt sind meistens auch die Eltern. „Kinder entwickeln ihre Anorexie meist aus einer typischen Familienkonstellation.“ Ableidinger beschreibt die sehr emotionale, zu enge Bindung zu einer bemühten, übervorsichtigen Mutter, kombiniert mit einem abwesenden, wenig beziehungspräsenten Vater. Anorektischen Menschen fehle es an Autonomie, der Weg aus dem Nest laufe schief. Deswegen sollten Eltern den Kontakt von Jugendlichen zu ihrer Peergroup fördern und müssten lernen, wie sich die Autonomie ihres Kindes entwickeln kann. „Das ist die beste Prävention“, sagt Ableidinger. Sieht man die Anorexie wie er als Autonomieproblem, müsse man jede Überwachungsintervention problematisieren. Hin und wieder würden Patienten versuchen Essen auf der Station verschwinden zu lassen oder zu erbrechen. Deswegen bleiben sie nach den Mahlzeiten eine Zeit lang sitzen, das Pflegepersonal beaufsichtigt. „Problematisch ist anhaltende Essensverweigerung, dann kommt der Punkt, an dem ich eine Sonde setzen muss, um so zu ernähren – und das will ich eigentlich nicht. Da kämpft jemand um seine Autonomie und dann bekommt er eine Sonde gesetzt. Die maximale Untergrabung der Autonomie.“ Elterneinbindung Ohne Eltern können Ärzte eine Essstörung bei jungen Menschen kaum behandeln. Das sehen Ableidinger und Argeny gleich. Am Universitäts-


KNOCHENARBEIT

Die Frage ist doch, wie Kinderpsychiatrie geht? Die geht nicht ohne Bezugspersonen. KARL ABLEIDINGER, LEITER DER KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE IN MAUER

Kassakosten in Anspruch nehmen.“ Haben die Eltern keine Essstörung, werde deren Therapie von anderen Vertragspartnern erbracht.

klinikum in Wien forscht ein Team rund um Andreas Karwautz seit geraumer Zeit unter dem Projektnamen SUCCEAT und kam dabei zum Schluss, dass die Genesungschancen von Patienten steigen, wenn Angehörige miteingebunden werden. In der Praxis gelinge das allerdings viel zu selten. Christoph Argeny von sowhat wünscht sich mehr Einbindungsmöglichkeiten der Eltern in die Therapie. „Unser Problem ist, dass die Kasse beim Angebot für die Angehörigen strenge Vorgaben gibt. Deshalb müssen wir schauen, wie das sonst geht und bieten jetzt erstmal Informationsabende und Infogespräche mit den Angehörigen an.“ Die Diätologin ergänze die Kasse sowhat nur teilweise. Ableidinger fasst das Problem zusammen: „Die Frage ist doch, wie Kinderpsychiatrie geht? Die geht nicht ohne die Bezugspersonen. Die Arbeit mit denen dann nicht als therapeutische Leistung zu sehen, die übernommen wird, das ist das Grundproblem.“ Laut der Österreichischen Gesundheitskasse würden die Eltern bei sowhat eingebunden werden. „Mit den Eltern kann eine Befundbesprechung durchgeführt werden. Sind die Eltern selbst psychisch krank und ist die Essstörung der Kinder eine Folge der elterlichen Erkrankung, können die Eltern selbst Psychotherapie auf

Unterschiedliche Ansätze Argeny spricht weiter die unterschiedlichen Behandlungszeiträume, die in Wien und Niederösterreich gewährt werden, an. Während in Wien die Psychotherapie wöchentlich auf drei Jahre angelegt ist, genehmigt man Patienten in Niederösterreich nur alle 14 Tage die psychologische Betreuung, beschränkt auf zwei Jahren. „Eigentlich wurde angekündigt, dass das mit der Zusammenlegung mit dem besten Niveau nach oben vereinheitlicht wird, davon würden unsere Patienten seitdem aber nicht viel merken.“ Die Österreichische Gesundheitskasse begründet die Unterschiede damit, dass Behandlungen in den beiden Bundesländern auf Basis unterschiedlicher Verträge und Therapiekonzepte erfolgen. Grund dafür sei, dass sich die ländliche Prägung vor allem in den eingeschränkten Mobilitätsangeboten widerspiegelt. Da viele Patienten noch in die Schule gingen und Stabilität bräuchten, könne man ihnen die längeren Anfahrtswege in NÖ nicht zu oft zumuten, „weshalb man sich für ein anderes Therapiekonzept mit anderen Frequenzen entschieden hat.“ Bei Bedarf könne nach den zwei Jahren in Einzelfällen ein Verlängerungsantrag bewilligt werden. Aber davon sind Ella und Kassandra noch weit entfernt. Beide gehen nicht in Behandlung und sind Teil einer hohen Dunkelziffer. Wie viele Menschen in Österreich an Essstörungen leiden, weiß niemand ganz genau. Ein Drittel der Mädchen sei gefährdet eine Essstörung zu entwickeln. Jeder 16. Jugendliche zwischen elf und 18 Jahren leidet bereits

an einer. Das geht aus der MHATStudie „Mental Health in Austrian Teenagers“ hervor, die unter der Leitung von Andreas Karwautz und Gudrun Wagner an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni erhoben und 2017 veröffentlicht wurde. Zahlen zu Essstörungen in Österreich gab es zuvor keine. Alle Befragten erklären, dass dieser Datenmangel die Gesundheitsplanung und Prävention erheblich erschwert. Während eine Binge-Eating-Störung – also Heißhungerattacken, um mit Problemen zurechtzukommen – selten unmittelbar zum Tod führt, ist die Anorexie eine der gefährlichsten psychischen Störungen mit einer Sterberate von mehr als fünf Prozent pro gelebten zehn Jahren. Die Suizidalität bei der Erkrankung ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 57 Mal so hoch. Bei einer langfristigen Nichtbehandlung sterben rund 15 Prozent der Betroffenen. Wie auch Ella mangelt es ihnen oft an Selbsteinsicht und Motivation ihr Leben zu ändern. Deshalb werden viele Anorexien nur spät oder gar nicht entdeckt. Kassandra meint ihre Binge-Eating-Störung momentan selbst im Griff zu haben, Ella traut sich nicht ihr Umfeld mit der Anorexie zu belasten und sieht die Magersucht ohnehin als Teil von ihr. „Wenn ich Krebs hätte, dann würde ich den loswerden wollen. Aber bei meiner psychischen Krankheit ist das anders. In mir ist etwas, das mir sagt, dass die Krankheit zu mir gehört. Mein Traum­gewicht sind auch wieder die 39 Kilo.“ Aktuell geht Ella samt Kalorienlimit von 800 kcal am Tag den harten Weg des Hungerns. Mit sisyphusartigem Antrieb steuert sie auf ein Ziel zu, das sie nicht halten kann und ihr im schlimmsten Fall das Leben kosten wird. MFG 03 21

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INTERVIEW DR. PAUL PLENER

„WIR BRAUCHEN MEHR KASSENFINANZIERTE THERAPIEPLÄTZE.“

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er St. Pöltner Paul Plener leitet die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH Wien. Seit Beginn der Corona-Pandemie beklagen er und seine Kollegen die erschwerten Umstände in der Behandlung von jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ein Gespräch über Triagen, den Vergleich mit der Nachkriegsgeneration und fehlende Kassenplätze.

Im LKH Mauer spricht man schon von der Triage auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie haben diesen Begriff auch immer wieder – wie Sie sagen – bewusst gewählt. Wie ausgelastet sind Sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie? Wir sind in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich in aller Regel voll besetzt, weil das System generell nicht sehr gut ausgebaut ist. Aktuell sind wir auf hundert Prozent Auslastung und haben da drauf noch eine Überbelegung von derzeit zehn Prozent. Warum hält unsere medizinische Infrastruktur einer solchen Welle an psychischen Belastungen wie jetzt nicht stand? Wir haben in dem Fall keine Vorhaltekapazität wie in anderen Bereichen der Medizin. Grund dafür ist, dass österreichweit – Niederösterreich ist eines der Bundesländer, bei denen es noch am besten ist – die Bettenmessziffer überall unter den Anforderungen liegt, die vorgegeben wären. Die Bettenmessziffer ist ein Berechnungsschlüssel, der aussagt, wie viele Krankenhausbetten für welches Fach zur Verfügung stehen sollen. Der stammt aus dem „Österreichischen Strukturplan Gesundheit“, einem Plan dafür, wie sich die Republik ihre Krankenhäuser vorstellt. Wie kann das sein? Ich denke es liegt daran, dass wir als eigenständiges Fach sehr jung sind und der Ausbau eines eigenständigen Bereichs neben der Erwachsenenpsychiatrie noch nicht lange betrieben wird. Welche Erkrankungen und Störungen nehmen in Ihrer Wahrnehmung denn besonders zu? Wir sehen, dass vor allem Essstörungen und Depressionen zunehmen. Letztere vor allem mit einer zunehmenden Suizidalität, also dass Menschen nicht mehr dafür garantieren können, dass sie sich nicht das Leben nehmen. Das bestätigen internationale Studien. Studien in Österreich laufen gerade, die bald ausgewertet sein werden, dann wissen wir mehr. 58

In manchen Zeitungskommentaren wird immer wieder der Vergleich mit der Nachkriegszeit gezogen, um die aktuelle Situation und die damit einhergehende psychische Belastung zu einem Grad einzuordnen. Inwiefern erheben Sie da Einspruch? Ich finde, dass man da Äpfel mit Birnen vergleicht. Wir haben ganz andere Möglichkeiten und vor allem andere Ansprüche an das, was von Jugendlichen heute gefordert wird. Den Vergleich mit den 40er-Jahren zu ziehen, ist falsch. Nur weil es einer Generation schlecht gegangen ist, heißt das ja nicht, dass man nicht alles tun sollte, damit es einer anderen Generation nicht so schlecht gehen muss. Der Vergleich spricht natürlich für die Resilienz von Jugendlichen damals, aber man muss auch sagen, dass die Anforderungen in der Schule und in den Ausbildungen heute weit komplexer sind.


KNOCHENARBEIT

Was können junge Menschen, die keine Vorgeschichte mit psychischen Erkrankungen haben, unternehmen, wenn Sie jetzt über die Zeit merken: Auch wenn die Schulen wieder offen sind, langsam kann ich einfach nicht mehr. Wenn man sich in einer depressiven Entwicklung wiederfindet und keinen Antrieb mehr hat, muss man dennoch versuchen wieder in die Aktivität zu kommen. In der Depressionstherapie ist es ganz wesentlich, dass wir verstehen, dass wir Dinge machen müssen, auch wenn es uns nicht leichtfällt. Wir brauchen unbedingt neue und positive Erlebnisse im Leben, um uns aus einer Negativspirale wieder zu befreien. Das heißt, dass wir, auch wenn wir keine Lust haben rauszugehen, uns in dem Fall immer wieder dazu bewusst drängen müssen, weil wir eben wissen, dass es uns guttut. Auch wenn der Anlauf schwierig ist. Unbedingt die sozialen Kontakte im Freien aufrechterhalten und so gut es geht die Tagesstruktur und Sport wiederaufnehmen. Was würden Sie sich angesichts der Situation am meisten wünschen? Für uns sind die bereits erfolgten Schulöffnungen sehr wichtig und wir hoffen stark, dass die Schulen offenbleiben können, auch wenn es neue Lockdowns geben wird. Darüber hinaus ist jede Krise ein Brennglas dafür, was

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schon davor nicht so toll gelaufen ist und das hat deutlich demaskiert, dass die Versorgungssituation nicht nur in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern auch in der Kinder- und Jugendpsychotherapie keine besonders gute ist. Deswegen sollte man über kassenfinanzierte Therapieplätze nachdenken für Kinder und Jugendliche. Vor allem weil die soziale Ungerechtigkeit dazu führt, dass gerade die, die es bräuchten, solche Leistungen nicht privat bezahlen können. Ich denke, wesentlich wäre auch ein Sportangebot im Freien – trotz Corona. Wie steht es denn um die kassenfinanzierten Angebote in Niederösterreich? Finanzierte Angebote haben wir vor allem im Bereich der Ambulatorien, was ja super ist, aber es ist immer noch zu wenig. Wichtig ist, dass man sich vor Augen hält, dass wir über längere Zeitspannen rechnen müssen. Klar kosten kassenfinanzierte Therapieplätze jetzt viel Geld, den wirklichen Effekt werden wir aber erst in 15 bis 20 Jahren haben. Das zahlt sich aus, wenn auch erst später.

Jede Krise ist ein Brennglas dafür, was schon davor nicht toll gelaufen ist. DR. PAUL PLENER

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FC STURM 19

EINE (PROLETARISCHE) ST. PÖLTNER LEGENDE Auch wenn es heutzutage unglaubwürdig klingt, ist die Geschichte des Fußballs eine bürgerliche. Nach Österreich kam der Fußball durch englische Landschaftsgärtner, die im Jahr 1894 den Verein „First Vienna“ gründeten.

S

eine Heimat fand er im noblen Döbling auf der Hohen Warte. In den folgenden Jahren wurde auch das Proletariat vom Fußballvirus infiziert. 1915 war es auch in St. Pölten soweit: Inmitten des Ersten Weltkriegs gründeten fußballbegeisterte Jugendliche, die in der Zehn-Häuser-Wohnhausanlage (Arbeiterwohnhaus der Glanzstoff AG, Anm.) wohnten, den Fußballverein Austria Neuviehofen. In den ersten Jahren stammten sämtliche Funktionäre und Spieler aus dem genannten Wohnbau. Im Jahr 1919 wurde der Fußballklub in ASV Sturm 19 umbenannt. Sturm 19 war der erste explizite Arbeiterfußballverein in St. Pölten und spielte bis 1932 in der Liga des VAFÖ-West (freie Vereinigung der Amateur-Fußballvereine Österreichs), dem proletarischen Gegenstück zum bürgerlichen ÖFB, wobei er viermal Meister wurde.

Gelebte Zeitgeschichte In den ersten Jahren verfügte Sturm 19 über keinen eigenen Platz und trug seine Spiele in Wagram aus. In den 1920er-Jahren wurde unter Bürgermeister Hubert Schnofl jenes Grundstück unweit der Zehn-Häuser angekauft, das bis zum letzten Tag des Vereinslebens Spiel- und Heimstätte von Sturm 19 war. In 64

STURM 19 LEGENDE. Franz „Bimbo“ Binder gilt als einer der besten Stürmer aller Zeiten – weltweit! Seine ersten Packeln zerriss er am Sturm-19-Platz. dieser Zeit verfügte der Verein neben Fußball auch über die Sektionen Schwerathletik, Handball und Blasmusik. Der ASV Sturm 19 war Bestandteil der beeindruckenden sozialdemokratisch geprägten Arbeiterkultur der Zwischenkriegszeit. Untrennbar sind diese Jahre mit dem Namen Franz „Bimbo“ Binder verbunden, dem legendären „Rapidler“, der aus

den Zehn-Häusern stammte und mit 15 Jahren seine Fußballerkarriere bei Sturm 19 begann. In der Chronik des Vereins spiegeln sich auch hundert Jahre österreichische Zeitgeschichte. So hatte Sturm 19 in den Jahren des Austrofaschismus mit massivem Spieler- und Zuschauerschwund zu kämpfen, da sich die Vereinsführung an das neue System anzudienen versuchte, um


TEXT: THOMAS LÖSCH | FOTOS: STADTARCHIV ST. PÖLTEN, PRIVATARCHIV BINDER

nicht wie unzählige andere Vereine und Organisationen der Arbeiterbewegung verboten zu werden. Die antifaschistisch eingestellten bisherigen Fans goutierten diese Annäherung nicht und beschimpften die Spieler, belegt durch einen zeitgenössischen Brief, als „Kerzlschlecker und „Betschwestern“. Der austrofaschistische Bürgermeister Raab unterstützte den Verein, um sich so bei der Arbeiterklasse beliebt zu machen. GRÜNDUNGSFEIER. Die erste Kampfmannschaft aus dem Jahr 1919.

Im Jahr 1939 fand auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber ein Freundschaftsspiel des nunmehrigen FC Sturm 19 mit Rapid Wien statt, wobei der nun schon international berühmte Binder im grün-weißen Dress auf seinen alten Sportplatz zurückkehrte. Mit solch inszenierten Veranstaltungen versuchte das NSRegime die Arbeiterschaft in St. Pölten an sich zu binden. Im Dritten Reich wurde Sturm 19 mit der Reichsbahnsportgemeinschaft (RSG) zusammengelegt. Während des Krieges wurden auf dem Sturm-19-Platz auch Spiele des LSV (Luftwaffensportverein) Markersdorf ausgetragen. Nach dem Kriegsende 1945 wurde der Verein unter dem alten Namen ASV Sturm 19 wiedergegründet. Der Verein verlor jedoch in den folgenden Jahren viele gute Spieler, da die unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe Voith und Glanzstoff eigene Werksvereine (BSV Voith, FC Glanzstoff) gründeten, die, auch aufgrund größerer finanzieller Mittel, eine starke

Konkurrenz darstellten. Durch die Gründung dieser Vereine versuchten die Kommunisten im Arbeiter-Sport Fuß zu fassen. Aufstieg und Fall Während der BSV Voith zum Ahnherrn des Erstligisten SKN wurde, fusionierte im Dezember 1989 der FC Glanzstoff mit Sturm 19, und der neue Verein spielte für einige Jahre unter dem Namen FC GlanzstoffSturm 19. Im Jahr 1995 wurde Frenkie Schinkels als Spielertrainer verpflichtet, und in der Saison 1996/97 wurde Sturm 19 zum dritten Mal Meister der 2. Landesliga, wodurch er in die höchste niederösterreichische Spielklasse aufstieg. Am 11. Juni 1998 wurde Sturm 19 nieder­ österreichischer Cupsieger. Im Jahr 2007 stieg Sturm 19 erneut in die 1. Landesliga auf. In der darauffolgenden Saison musste der Verein jedoch aus finanziellen Gründen (infolge dramatischen Einbruchs der Zuschauerzahlen) in die 2. Klasse Traisental zwangsabsteigen. Der letzte große Event des FC Sturm 19 fand am 12. Oktober 2013 statt, als im Rahmen eines Freundschaftsspiels gegen Rapid Wien die Umbenennung des Sportplatzes in „Franz-Bimbo-Binder-Sportanlage“ stattfand. Im September 2016 verlor Sturm 19 aus finanziellen Gründen seine Lizenz, und der Spielbetrieb wurde eingestellt. Mit dem Ende des Vereins verloren neben den Spielern der Kampfmannschaft auch viele Kinder und Jugendliche ihre Trainingsmöglichkeit. Zudem ging ein Integrationsanker im Viertel verloren. Da schon seit über hundert Jahren ein hoher Anteil der

ZEHN-HÄUSER. Der Gemeindebau galt als Arbeiter-Hochburg.

MEISTER. Sturm 19 gewann mehrere Titel, hier der Meister 1928.

STURM 19 – GESCHICHTE EINER LEGENDE Ausstellung im Stadtmuseum St. Pölten von 11. März bis 6. Juni. Eröffnung am 10. März 18 Uhr via Live-Stream (Anmeldung unter kultur@st-poelten.gv.at). Laufendes Begleitprogramm unter www.stadtmuseumstpoelten.at. Die ersten 50 Besucher der Ausstellung erhalten an der Museumskassa einen original Sturm-19-Kugelschreiber.

Bewohner des nahegelegenen Mühlwegs und der Herzogenburger Straße Immigranten sind, war der Sturm-19-Platz ein willkommener Treffpunkt der neu zugezogenen mit den alteingesessenen Bewohnern. Für viele Menschen war der FC Sturm 19 nicht nur ein Fußballverein, sondern der bestimmende Teil ihrer Lebenswelt. Mit dem Ende dieses Traditionsvereins starb ein Stück lebendiger St. Pöltner Geschichte. Umgestaltung zum Park Im September 2020 beschloss der Gemeinderat, dass der ehemalige Fußballplatz in einen Park umgewandelt werden soll. Zugleich rief man die Bevölkerung auf, Namensvorschläge einzubringen. Wenig überraschend fiel die Wahl schließlich auf „Sturm-19-Park“. So lebt die Erinnerung dieses für die Geschichte unserer Stadt so wichtigen Vereins zumindest im Namen fort. MFG 03 21

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ZUM HÖREN Manshee | mikeSnare | Thomas Fröhlich | Thomas Winkelmüller | Rob.STP | Dr. Ray B. (von links nach rechts)

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AS THE LOVE CONTINUES

CHANT ELECTRONIQUE VOL. 1

Mogwai machen keine Songs, Mogwai kreieren Landschaften. Die Band aus Glasgow demonstriert auf ihrem zehnten Album, dass sie ihren Sound längst gefunden und perfektioniert habt. Post-Rock, der Spannung aufbaut und mit Dramaturgien und Atmosphären effektvoll umgeht. Analoge und elektronische Sounds gehen auf „As The Love Continues“ in ihrem rauen Gewand eine stimmige Symbiose ein.

Oktober, Portugal: Sieben Musiker*innen aus zwei Kontinenten machen sich auf einer Farm in Porto daran, ihre Vision zu verwirklichen: Sie betten traditionelle Gesänge in eine neue, elektronische Einfassung. In einer von aller Lieblichkeit befreiten, auf Stimme und Rhythmus/Perkussion fokussierten Klangästhetik, gelingt ihre Auftaktübung in neun Songs (mit Wurzeln in Bosnien, Argentinien, Portugal und Kroatien), äußerst gut.

Wer bei Begriffen wie Folk oder gar Country kein Ganzkörpersausen bekommt, sollte sich unbedingt mit dem Oeuvre dieser Sängerin vertraut machen. Sparsamst arrangiert, von wunderbarer Melancholie durchzogene und charmant rumpelig dargebotene KlangPretiosen, die auch einer Emmylou Harris zur Ehre reichen täten. Kein Nashville-Ballermann, sondern „the real thing“. Herzerwärmend.

NO TOMORROW REWORK EP

ZIG ZAG IN CHINATOWN

UNORTHODOX MATT OX

ÇHÂÑT ÉLECTRÓNÏQÙE

CAMO & KROOKED FEAT. SOPHIE LINDINGER

GILLIAN WELCH

JOTU JEU

Den Genuss mancher EPs sehe ich als Herausforderung. Eine Auffassung, die von der ehrlichen, ungehemmten Liebe zu schlechter Musik rührt. Sound, so strunzdumm, dass er nicht nur meine Ohren beleidigt, sondern für Gänsehaut im Hirn sorgt. Dem 16-jährigen USAmerikaner Matt Ox ist mit „Unorthodox“ ein solches Projekt gelungen. Meine Song­ empfehlung: WOP. Damit kratzt Ox am Zenit des Unhörbaren und an meinem IQ.

Kurz vor Beginn des Lockdowns 2020 präsentierten Camo & Krooked mit Christian Kolonovits und einem 74-köpfigen Orchester ihr Best Of in zwei ausverkauften Vorstellungen im Wr. Konzerthaus. Nun erscheint eine Rework EP des Tracks „No Tomorrow“ featuring Sophie Lindinger and the mighty Mefjus mit einem Kolonovits Orchester Cut und einem Tom Finster Remix. Mehr quality geht nicht!

ZUM SCHAUEN

ZUM SPIELEN

ZUM LESEN

Manshee | M. Müllner

Christoph Schipp

H. Fahrngruber | M. Müllner

DER WEISSE TIGER

LITTLE NIGHTMARES 2

EINMAL NOCH SCHLAFEN ...

Balram wurde dazu erzogen, anderen Menschen zu dienen. Als er zum persönlichen Fahrer von Ashok und seiner Frau wird, sind diese von seiner unbeirrbaren Unterwürfigkeit irritiert, war ihr Leben in den USA schließlich anders. Ein großes Unglück setzt jedoch in Balram einen Denkprozess in Gang, dass dieses festgelegte System nicht die einzige Möglichkeit ist …

„Little Nightmares 2“ ist eine würdige Fortsetzung, die den sympathischen Vorgänger trotz vieler Parallelen in manchen Bereichen toppt. Dank der kontinuierlichen Einführung neuer Spielelemente verliert das etwa sechsstündige Abenteuer bis zum Ende nicht an Reiz. „Little Nightmares 2“ ist ein richtig gutes Rätselabenteuer in einem düsteren Ambiente.

... dann ist morgen. Manuel Rubey gewährt einen vergnüglichen Einblick in sein buntes Seelenleben, welches keineswegs frei von neurotischen Auswüchsen zu sein scheint. Alltagsphilosophisches, sympathische Belanglosigkeiten nebst tiefgründigen Gedankenverrenkungen und Schwänken aus dem Künstlerleben ergeben eine unterhaltsame und kurzweilige Lektüre.

RAMIN BAHRANI

SKY ROJO

TARSIER STUDIOS

HITMAN 3

Der St. Pöltner Vollblutmusiker Johannes Unterweger alias Jotu Jeu hat die Krise genutzt und ein neues Album – und außerdem noch eine EP mit dem klingenden Namen „Coronation Chronicles“ – veröffentlicht. Und das nicht nur als Soloprojekt, sondern gemeinsam mit seinen Mitmusikern Simon Thut und Ari Tiihonen. Darauf zu hören gibt es gewohnt schräge, aber gleichtzeitig auch poetische Lyrics in bluesig-rockigem Gewand.

MANUEL RUBEY

EINSPRUCH!

NETFLIX

IO INTERACTIVE

INGRID BRODNIG

Am 19. März startet die neue Serie der „Haus des Geldes“Macher. Netflix verspricht neben Action und Adrenalin auch viel schwarzen Humor. Drei Frauen fliehen vor den Handlangern ihres Zuhälters und erleben auf ihrer Suche nach Freiheit alle möglichen Gefahren. Mit der Reise wächst ihre Freundschaft. Sollen sie weiter fliehen oder sich den Gegnern stellen?

„Hitman 3“ ist der erfolgreiche Abschluss einer großartigen Trilogie. Der neue Ableger bietet mehr Entfaltungsmöglichkeiten, verbesserte Grafik, neue interessante Locations und geschliffene Story-Elemente – auch wenn die ganz großen Innovationen dabei ausbleiben. Fans von Stealth-Games kommen in „Hitman 3“ voll auf ihre Kosten.

Jeder hat sie. Freunde und Familienmitglieder, die mit ihren alternativen Fakten, Verschwörungstheorien und Falschmeldungen nerven und konstruktive Diskussionen verunmöglichen. Da liefert die Expertin für Digitales Abhilfe. Wie begegnet man rhetorischen Tricks und bringt ruhig seine Argumente? Und ab wann sind Diskussionen überhaupt sinnlos?

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FOTOS ZVG

MOGWAI


HIGHLIGHT VAZ St. Pölten

DIE FÄASCHTBÄNKLER

FOTO Severin Schweiger

24. APRIL Sie spielen auf den größten Festivals in Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien. Sie enterten mit ihrer letzten CD in all diesen Ländern die Charts. Sie sind begnadete Musiker, coole Hitschreiber und stimmungsvolle Entertainer. Und sie sind gleichzeitig bodenständig, hilfsbereit und die Jungs vom Dorf nebenan. Beliebt bei Jung und Alt spielen sie mit ihrer ungewöhnlich volksmusikanmutenden Instrumentierung einen unvergleichlichen Popsound, den sie in den letzten Jahren im Studio und auf hunderten Livebühnen entwickelt haben. Fäaschtbänkler-Hits im Fäaschtbänkler-Sound.

KLIMA & ICH

STADTGESCHICHTE UVM.

SCHÄTZE AUS 20 JAHREN

BEST OF SWING

BIS 29. AUGUST Der Klimawandel ist eine bereits spürbare Tatsache. Um die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, sind technologische und politische Maßnahmen sowie die Anpassung unseres Lebensstils notwendig. Die Ausstellung will informieren und inspirieren, im eigenen Wirkungsbereich zum Schutz des Klimas tätig zu werden.

LAUFEND Erstmals wurde ein geschlossener Rundgang zu den Themen Archäologie, Stadtgeschichte und Jugendstil geschaffen und die Geschichte St. Pöltens kann mit ihren wichtigsten Ereignissen, beginnend in der Urgeschichte, gezeigt werden. Die Highlights der bedeutenden Sammlungen des Hauses werden modern, aber repräsentativ dargeboten.

LAUFEND Das Karikaturmuseum Krems feiert 2021 bereits seinen 20. Geburtstag und zeigt in seiner Jubiläumsausstellung politische Zeichnungen von Gustav Peichl, Erich Sokol, Manfred Deix, Bruno Haberzettl, Michael Pammesberger und Thomas Wizany sowie ausgesuchte Bildgeschichten von Fritz Gareis, Ladislaus Kmoch, Rudi Klein, Horst Stein uvm.

18. APRIL Nicki Parrott verzaubert weltweit ihr Publikum als hinreißende Sängerin und virtuose Kontrabassistin. Auf einer gut gelaunten musikalischen Reise vom New Orleans Blues bis zur New Yorker Broadway-Musik wird die AustraloAmerikanerin von den österreichischen Jazzmeistern Martin Breinschmid (Vibraphon) und seinen Radio Kings begleitet.

| AUSSTELLUNG

KARIKATURMUSEM | AUSSTELLUNG

STADTSAAL

MUSEUM NÖ

| AUSSTELLUNG

STADTMUSUEM

GESANGSKAPELLE HERMANN

ANDREAS FERNER

23. APRIL Auf ihrem neuen Album „Alles Tango“ folgen die Hermänner dem wild brennenden Feuer in ihren Herzen. Nach Kultsongs wie „Knedl”, „Wegana” oder „Fesbuk” widmen sich die sechs Herren der Gesangskapelle nun den ganz großen Gefühlen – wie immer mit ihrem urösterreichischen Charme, pointierten Texten und wunderbarem Gesang.

30. APRIL Fern jeder „political correctness“ behandelt Österreichs lustigster Lehrer, Andreas Ferner, in seinem neuen Programm die großen AufregerThemen unserer Zeit, des Schulbetriebes und seines Lebens. Scharf wie Chilli sind die Pointen, ibizamäßig entlarvend der allgemeine Bildungsbefund, herzzerreißend komisch die Stories aus Schule und Leben.

BÜHNE IM HOF

| KONZERT

VAZ ST. PÖLTEN

| KABARETT

CHILLY GONZALES

THORSTEINN EINARSSON

2. JUNI Chilly Gonzales‘ Konzerte sind eine musikalische Lehrstunde zwischen Genie und Wahnsinn: Gekleidet in Pantoffeln und Bademantel schnappt der Pianist Klassiker des Pop und Rock am Kragen, schleift sie durch die Untiefen einer komplexen Welt der Klassik und zerlegt Pop-Meilensteine von Nirvana bis Britney Spears in die tonalen Einzelteile.

1. SEPTEMBER Der 24-jährige Isländer zählt zu den außergewöhnlichsten und markantesten Stimmen des Landes. Im Jahr 2020 ist er „untergetaucht“ und hat sich in seinem Studio „eingesperrt“, um während der Pandemie an neuer Musik zu arbeiten, die er nun im Zuge seiner ersten eigenen Headliner-Tour mit seiner Band präsentiert. Support: Nathan Trent.

FESTSPIELHAUS

| KONZERT

FREIRAUM

| KONZERT

| KONZERT

VAZ ST. PÖLTEN

KONZERTE | EVENTS | MESSEN | KONGRESSE

DO 22.04. SA 24.04. SA 24.04. FR 30.04. DO 20.05.

ANDY LEE LANG & ORCHESTRA BERNHARD FIBICH KINDERLIEDERMACHER DIE FÄASCHTBÄNKLER ANDREAS FERNER COMEDY HIRTEN

S0 10.10.

THOMMY TEN & AMÉLIE VAN TASS THE CHIPPENDALES INSIEME – ITALIENISCHE NACHT POXRUCKER SISTERS

FR 15.10.

EVERYBODY WANTS TO ROCK´N´SOUL

FR 15.10.

THORSTEN HAVENER LADY SUNSHINE & MISTER MOON STEFANIE WERGER

25./26./27.05. FR 08.10. SA 09.10.

SA 16.10. SA 30.10. MO 01.11. FR 19.11. DO 25.11. FR 26.11.

JANOSCH – OH, WIE SCHÖN IST PANAMA

DAME INA REGEN ALBERT HAMMOND

DAS MUSICAL ZUM KINOFILM

Tickets im VAZ St. Pölten, ticket@nxp.at, www.vaz.at, 02742/71 400 in allen Raiffeisenbanken, Geschäftsstellen von www.oeticket.com und unter www.noen.at/ticketshop VERANSTALTUNGSBETRIEBS GMBH

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FOTOS: LUIZA PUIU, SEBASTIAN REICH

AUSSENSICHT

DOMPLATZ DÉJÀ-VU – PARKEN ODER NICHT PARKEN? GEORG RENNER

Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

„Muss man ohne Not einen funktionierenden Platz umbauen?“

„Die ideale Lösung: Parkraum unter der Erde, Platz zum Leben darüber.“

Wer Stadtplanung im Vorhinein kritisiert, muss vorsichtig sein: Die Geschichte ist nicht gütig zu jenen, die dabei völlig danebenhauen. Schau nach bei der Wiener ÖVP, die dereinst in den 1960ern gegen die Errichtung der Donauinsel war, die inzwischen doch ganz gut angenommen wird. Trotzdem gehe ich auf volles Risiko, in fünf Jahren als fossiler Tattergreis dazustehen, wenn ich sage: Ich finde, der Domplatz könnte ruhig so bleiben, wie er ist. Mal Markt, immer wieder Veranstaltungsort, meistens Parkplatz: Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, Autos müssten um jeden Preis raus, ist das nicht die schlechteste Mischung in einer Innenstadt. St. Pölten hat schon jetzt eine der größten Fußgängerzonen diesseits der Traisen – mit dem Rathaus- und vielen kleineren Plätzen noch dazu mit einer Menge Platz für Veranstaltungen aller Art. Ich sehe eigentlich nicht, wofür es einen zweiten größeren permanent freien Platz braucht. Wenn es ein Park wäre, oder ein Spielplatz: klar. Aber eine neue Steinwüste, ich weiß nicht … dann doch lieber die jetzige Multifunktionsvariante. Klar ist: Parkplätze – idealerweise alle mit E-Ladestation – wird es auch auf dieser Seite der City brauchen, um sie gut erreichbar und v. a. für die ältere Generation zugänglich zu halten. Man kann den Platz natürlich schöner gestalten, pardon: überhaupt einmal gestalten – aber seinen Charakter dürfte er durchaus beibehalten. Natürlich kann man das Auto-Aufkommen in eine weitere Tiefgarage verbannen – unter dem Bischofsgarten, wie geplant. Aber man kann sich schon fragen, ob man das Geld nicht sinnvoller einsetzen könnte, als ohne Not einen grundsätzlich funktionierenden Platz umbauen zu wollen. (Eine Möglichkeit, an der sich sowohl Stadtgestalter als auch Finanzierer wirklich ausleben könnten, wäre z. B. die Anbindung zwischen Regierungsviertel und dem Rest der Stadt.) Andererseits: Das Leben wird auch auf einem autofreien Domplatz weitergehen. Und wer weiß, vielleicht wird es einst die Donauinsel von St. Pölten. 68

JAKOB WINTER

Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.

Stellen Sie sich kurz vor, der St. Pöltner Rathausplatz wäre keine Fußgängerzone mehr – sondern der bestgelegenste Parkplatz der Stadt. Fahrzeuglenker könnten direkt von ihrer Autotür ins Geschäft fallen: Einparken, aussteigen, einkaufen. Der Parkplatz im Zentrum hätte freilich ein paar unangenehme Nebeneffekte: Das Sommerfestival, der Christkindlmarkt und zig andere Events müssten sich einen anderen Standort suchen. Und auch die Gastgärten, die in den Sommermonaten inzwischen so gut gefüllt sind, dass man den Rathausplatz für eine italienische Piazza halten könnte, müssten weichen. Was heute unvorstellbar ist, war vor ein paar Jahrzehnten noch heftig umstritten: Ein autofreier Rathausplatz. Heute ist es umgekehrt. Keine Unternehmerin und kein Politiker käme je auf die Idee, den Rathausplatz für den motorisierten Verkehr freizugeben. Die Autos parken eine Etage tiefer, dort, wo sie dem urbanen Treiben keinen Raum streitig machen. Etwa 300 Meter weiter ist dieser Konflikt noch voll im Gange – Benziner konkurrieren am Domplatz mit Bummlern, Motoren und Marktstandler wechseln sich ab. Dabei hätte der autobefreite Domplatz viel Potenzial: Die Lage ist optimal, als weitaus größter Anrainer stört sich der Dom nicht daran, wenn draußen Konzerte oder Theatervorstellungen lärmen. Der Domplatz könnte den inzwischen gut gebuchten Rathausplatz etwas entlasten. Mehr Freiluftkonzerte, neue Gastgärten und zusätzliche Markttage könnten die Folge sein. Ein paar Grünflächen würden sich in der City auch gut machen. Weniger Parkplätze brächten allerdings neue Probleme: Dass alle Innenstadtbesucher künftig mit Rädern und Bussen anreisen – vorerst unrealistisch. Ein paar Ersatz-Stellplätze wird es wohl brauchen, um ausreichend Frequenz in der City zu garantieren. Die geplante Parkgarage unter dem Bischofsgarten wäre die ideale Lösung: Parkraum unter der Erde, Platz zum Leben darüber. Auch wenn die Vision vom autofreien Domplatz noch ein bisschen unvorstellbar ist – keine Sorge, das war beim Rathausplatz auch so.


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