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Fokus Rheintaler Wirtschaftsforum
Wirtschaftlichen Integration bei politischer Unabhängigkeit «Probleme lösen – Wohlstand schaffen»: Die Referenten des 26. Rheintaler Wirtschaftsforum vom 17. Januar hatten unterschiedliche Rezepte für die Erreichung dieser – widersprüchlichen? – Ziele.
«Wie viele Male wurden Sie schon gefragt ‚Wie geht es Ihnen?’», fragte die St.Galler Gesundheitsministerin Heidi Hanselmann zum Auftakt des Wirtschaftsforums – und fast alle 800 Teilnehmer streckten die Hände in die Höhe. Es sei zwar eine Floskel, die man aber ernst nehmen müsse. Die Regierungspräsidentin forderte die anwesenden Wirtschaftsführer auf, nicht nur der physischen, sondern auch der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter Sorge zu tragen. «Die Demokratie verändern» Für Isolde Charim, die stille, kleine, aber im Denken grosse Wiener Philosophin, sind es vor allem die Populisten, die ihr Sorge bereiten und die sie ausgeschlossen haben möchte. Im Weiteren betrachtete sie den Unterschied von Gesellschaft und Gemeinschaft und forderte: Es brauche nicht noch mehr Gemeinschaft, sondern das Gegenteil, es brauche ein neues Konzept von Gesellschaft, ein Konzept der Nicht-Ähnlichen. Wenn es uns, so Charim, auch in Zukunft gut gehen soll, «dann müssen wir, wir alle, unsere Grundlage – nämlich die demokratische Gesellschaft – erhalten». Um sie zu erhalten, so die Wienerin zum Schluss, müsse man die Demokratie aber verändern. Veränderungen gemacht und durchgezogen hat in den letzten Monaten Jan Jenisch im LafargeHolcim Konzern. Die Zementbranche ist einer der grössten CO2-Verursacher, und diesem Problem rückt der führende Konzern mit verschiedenen Massnahmen zu Leibe: Modernisierung bestehender Zementwerke, Einsatz alternativer Brennstoffe, Wärmerückgewinnung oder Kohlenstoffbindung und -speicherung. In Zahlen zeigt Jenisch auf, dass LafargeHolcim hier schon weit, weiter als der Durchschnitt der Branche und damit führend bei der CO2-Reduktion sei. Dank der Kooperation mit verschiedenen Institutionen werde man diesen Weg auch weitergehen. «Vieles noch im Argen» Einen fulminanten und von Ideen, Massnahmen und Gedanken nur so sprühenden Auftritt hatte Severin Schwan, CEO von Roche. Nach einer Darstellung der Gruppe, der Industrie in der Schweiz und dem Geschäftsmodell der Branche widmete sich Schwan der Chance der Digitalisierung, die seiner Ansicht nach in der Schweiz noch nicht wahrgenommen wird. Erst wenn man LEADER | Jan. / Feb. 2020
anonymisierte Patientendaten habe, könne man personalisierte Medizin machen, die zu einer individualisierten Behandlung führe. Die Herausforderung der Schweiz bestehe darin, dass man die Spitäler sensibilisieren müsse, zusammenzuarbeiten und diese ihre Patientendaten in anonymisierter Form zur Verfügung stellen müssten. Hier aber liege noch vieles im Argen. In der digitalen Transformation im medizinischen Bereich sei die Schweiz im Hintertreffen gegenüber USA und China und müsse aufholen. Auch der Zugang zu höchst qualifizierten Wissenschaftlern müsse gesichert werden und der ETH, diesem Leuchtturm der Grundlagenforschung in der Welt, müsse genügend Mittel auch in Zukunft zur Verfügung gestellt werden. Lieber viel mehr als nur gleichviel oder mehr, rief Schwan dem anwesenden Bundesrat und dem Publikum zu. Die Bedeutung der EU für die Schweiz Dieser Bundesrat, Aussenminister Ignazio Cassis, zeigte im Folgenden vor allem die Vision der Schweiz bis ins Jahr 2028 auf – und dies auf kluge Art und Weise, die ihm viel Zuspruch einbrachte. Seine Vision der grösstmöglichen wirtschaftlichen Integration und grösstmöglicher politischer Unabhängigkeit der Schweiz in der Welt wolle der Bundesrat mittels möglichst vieler Handelsabkommen und einer engen Zusammenarbeit mit dem wichtigsten Partner, der EU, erreichen. Ein Wirtschaftstag mit der EU, so Cassis, sei vergleichbar mit einem Wirtschaftsjahr mit Südafrika und zeigt damit die Bedeutung der EU für die Schweiz auf. Das Rahmenabkommen habe in drei von vier Bereichen eine gute Akzeptanz und sichere die Eigenständigkeit der Schweiz. Beim Schiedsgericht sei man noch daran, die Streitigkeiten zu lösen. Im weiteren Ausblick zeigte Cassis auf, dass es viele persönliche Kontakte seien, die man im Innern und im Äusseren wahrnehmen müsse, um die Rolle der Schweiz verständlich zu machen.
Text: Julia Frischknecht Bilder: Wifo