Megawelle 07/2011

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DER FÄCHER EIN ATTRAKTIVES NICHT SPANISCHES ACCESSOIRE

NUR Wie und woraus entsteht ein Fächer?

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s ist nicht zu übersehen: Der Fächer, das modische Attribut vergangener Jahrhunderte, ist wieder en vogue. Nicht nur in warmen südlichen Gefilden, auch in Mitteleuropa ist der „abanico“ im Konzert, Theater, in der Bar immer mehr ein Beiwerk, mit dem man als edles Handspielzeug kokettieren und flirten kann. Man kann ihn auf-. Oder zuklappen, an die Lippen legen, das Gesicht verdecken und dazu mit Augen und Körpergesten sprechen. Der eigentliche Zweck – Kühlung durch Wedeln zu erreichen oder Schutz vor der Sonne – steht als Gebraucheffekt eher an zweiter Stelle. Fächer, wie man sie heute kennt, tauchten in Europa erstmals im 16 Jhd. auf. Natürlich gab es in der Antike Vorläufer. Spanien wurde zum Kultland dieses Modeartikels und seiner verschlüsselten Kommunikation: der „Fächersprache“. Heute noch hat dieses europäische Land die grösste Produktion an Fächern, und 95% davon kommt allein aus Valencia. 1802 wurde dort die königliche AbanicoFabrik eröffnet. Zünfte entstanden, der Fächermacher und der Maler von Blattflächen waren anerkannte Berufe. Noch heute gibt es

viele künstlerische A t e l i e r s und natürlich auch preiswerte Produktionen für den seit den 60er Jahren des 20. Jhd. boomenden Tourismus. Der beim Flamencotanz raffiniert als Stilmittel eingesetzte Fächer, in einer Show erlebt, verleitet natürlich Schmuckstück selbst besitzen zu wollen. Gefächelt wurde seit es Menschen gibt. Kühlung suchten auch schon die in Höhlen wohnenden Urbewohner. Sie benutzten dazu Blätter, Federn und Rindenstücke. Bei den Ägyptern gibt es die ersten Belege: Im Grab von Tut-ench-amun fand man vergoldete Federwedel aus der Zeit um 1350 Jahre v. Chr. Die Gottkönige liessen sich von Sklaven Frischluft zufächeln und Insekten vertreiben. Es gab bereits Deckenfächer aus Palmblättern, den heutigen Ventilatoren in der Wirkung ähnlich. Der Fächer war ein Symbol majestätischer Würde und wurde von den „puncas“ bei Prozessionen besonders prunkvoll zur Schau getragen. Aus Malereien wissen wir, dass sich frühe Hochkulturen in Korea, China, Indien, Griechenland mit Fächern kühlten. Für die Frauen wurden prachtvolle Fächer zum persönlichen Attribut. In Japan fand im 6. Jhd. ebenfalls Grabbeigaben von edlen Exemplaren aus Fasanenfedern. Ab dem 12. Jhd. gilt der Fächer dort als unerlässliches typisches Beiwerk zum Kimono. Doch es waren die Chinesen, die bei der Fächerkultur zeitlich allen anderen Völkern voraus waren. Über die Handelswege gelangte der „flambellum“, wie er von den Römern genannt wurde, mit Gewürzen und Porzellan nach Europa. Besonders mit Portugal und Spanien entwickelte sich ein reger Handel. Die Hochblüte des Fächers war im 17. und 18. Jhd. Die Einfuhr aus dem Orient konnte den Bedarf nicht decken, und so entstanden in Europa eigene Manufakturen für kunstvolle Objekte, die man heute noch im Pariser und Londoner Fächermuseum bestaunen kann.

Form, Grösse und Material war in den verschiedenen Epochen unterschiedlich, auch Kuriositäten gab es. Zum Fächer gehören die Stäbe, das Blatt und der Stift, der alles zusammenhält. Man unterscheidet im Rokoko den Brisé-Fächer (zuerst beim Entfalten nur ein Drittel gross, danach halbkreisförmig) und den Faltfächer mit einer Länge von 25 bis 30 cm. Stäbe aus Holz, Perlmutt, Schildpatt, in Japan Bambus, gaben den Halt. Anfangs waren sie sehr filigran durchbrochen. Das Blatt, das sich beim Öffnen entfaltet wurde an den zierlichsten Stellen angeleimt. Dadurch entstand Luft zwischen den Stäben. Im geschlossenen Zustand ergaben sich am festen Endblatt oft raffinierte Figuren. Pergament, Papier, Spitze, Seide, Stoff und sogar feinstes Leder aus Schwanenhaut wurden für das wirkungsvolle Blatt als Material verwendet, mit Bändern in der Mitte und am Ende zusammengehalten. Mit Strass oder Edelsteinen wurde der Stift geschmückt. Ein Bügel in U-Form schloss sich an, den man mit Troddeln verzierte und der zum Anhängen an die Chatelaine (Kettengürtel für allerhand Krimskrams) gedacht war. Künstler konnten ihre Phantasie bei der Bemalung des Blattes voll entfalten. Üblich waren allegorische Motive, Landschaften, Naturmotive, biblische Darstellungen, auch effektvoll beidseitig bemalt. Die Fächermaler waren in ihrer Kreativität hochgeschätzt, lag doch in Ihren Händen die grösste Wirkung. Lange Zeit waren Motive des Malers J. A. Watteau beliebt. Im Empire entstanden zierliche, fein durchbrochene Modelle, mit schillernden Pailletten bestickt. In sogenannte „Trickfächer“ wurden Kuriositäten eingebaut wie Fernrohre, Thermometer, Fenster aus Glas und Schildpatt, oder spezielle amüsante Mechanismen, die sich meist in den Deckstäben der Fächer befanden. „Mandarinenfächer“ wurden aus Fernost importiert, in der damaligen Chinoiserie-Mode mit anderen Materialen, Pinselmalereien, Landschafts- Tier- und Blumenmotiven. Bei grossen Festen waren ab 1860 Straussen-, Paradiesvogel- und Pfauenfedern im Fächer ein Statussymbol, und sorgten ideal für frischen Wind in den stickigen Spiegelsälen. Mit dem Fächer sprechen Die Fächersprache hat als „lenguaje de abanico“ im 17. Jh. Im spanischen Andalusien ihren Ursprung. Es

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entstanden in dieser Zeit Fächerakademien und Kurse, um dieses Alphabet der geheimen Botschaften zu lernen. Sie verlangte schon Perfektion, damit der Mann des Herzens die Gesten seiner Liebsten richtig verstehen und deuten konnte. Alle Gefühlsregungen wie Liebe, Ablehnung, Hoffnung, Verzweiflung konnte diese elegante Sprache ausdrücken. Auch Zeitpunkt und Ort des Stelldicheins waren in der Grammatik dieser Sprache vorhanden. War es doch eine Zeit, da Mütter ihren Töchtern, Ehemänner ihren Frauen misstrauten. Eine offene Kommunikation wie heute war damals unmöglich. Schnell wurden die geheimen Codes in andere Länder übernommen. J.P. Duvelleroy, ein französischer Fächerfabrikant, übersetzte diese Sprache der Gefühle in mehrere Sprachen nach einem Anleitungsbuch für den Fächerflirt aus dem jahre 1757. Das wurde von Damen und Höflingen eifrig genutzt. Die französische Revolution verbot dann solchen „Tand der Bourgeoisie“. Damit verlor die Fächermode und ihre Sprache zeitweilig an Bedeutung. Symbolik der Fächersprache Sie besteht aus anmutigen und graziösen Gesten: Fächer weit geöffnet = „Warte auf mich“. Berührung der rechten oder linken Wange = bejahen oder verneinen einer Frage. Fächer in der Nähe des Herzens = „Du hast meine Liebe gewonnen“. Der halb geöffnete Fächer berührt die Lippen = „Du darfst mich küssen. Den Fächer hinter den Kopf gehalten = „Vergiss mich nicht“. Schnell bzw. langsam fächeln = verlobt oder verheiratet sein. Schnell und hörbar zusammenklappen = Stelldichein wird für unmöglich erklärt. Fächer langsam in der rechten Hand gedreht = die Liebe gehört einem Anderen. An die Spitze der Nase geführt = Warnung vor Lauschern. Schnell durch die linke Hand ziehen = Untreue wird beklagt. Fächer halb geöffnet = Bitte um Bedenkzeit. Der Fächer berührt das rechte Auge = „Wann kann ich dich wiedersehen?“ Zahl der Fächerfalten, über die der Finger fährt = Stunden für das Stelldichein. Die Augen werden hinter dem geöffneten Fächer fast versteckt = „Ich liebe Dich“. Ein kompliziertes, aber höchst romantisches Alphabet, hier mit nur einigen Beispielen. In Andalusien beherrscht man es noch heute, und es gehört als Stilmittel zum Flamenco.

für Männer, sie waren weniger bunt und kunstvoll, kleiner als die klassischen Damenfächer. Aber irgendeinen Gag hatten auch sie an ihrem Utensil, ein Erkennungszeichen, wie Tierzeichen oder Wappen. Wenn auch Fächer als naturgemässes Damenrequisit gelten, gab es ein geflügeltes Wort: „Eine Dame ohne Fächer gleicht einem Senor ohne Degen“. Den deutschen Modezar Karl Lagerfeld kann man sich bei seinen Auftritten nicht ohne einen kostbaren Fächer vorstellen. Im 20. Jhd. ging die raffinierte art zu kommunizieren mit aufkommender Freizügigkeit immer mehr verloren. In der Zeit der Belle Epoque“ und in den goldenen 20er Jahren des vorigen Jahrhundert blühte in rauschenden Festen noch einmal das Kokettieren mit überdimensionalen Straussen- und Pfauenwedeln auf. Künstler wie O. Kokoscha, malten für Alma Mahler Fächer mit expressionistischen

Motiven. Heute sind sie fast unbezahlbare Museumstücke von 3 – 7.000 Euro, wie auch andere kunstvolle Exemplare der vorausgegangenen Epochen. Lange Zeit war der Tanzstunden-, auch Autografenfächer genannt, gross in Mode als Erinnerungsstück mit romantischen Widmungen. Auch wenn der Fächer längst Konkurrenz durch Ventilatoren und Klimaanlagen der modernen Technik bekommen hat – der Fächer ist wieder im Kommen. Zum spanischen Idealbild gehört noch immer die Senora mit grossem Kamm (Peineta) als Kopfschutz und Schleier, der schwarzen Mantilla und als Schmuckstück natürlich ein Abanico. Seine erotische Ausstrahlung ist weiter lebendig. Wenn man ihn auch heute als Souvenir preiswert produziert, zur Dekoration und als Werbe- als Träger benutzt, das „ventulum facere“, das Fächeln, wird wie es nach seinem Ursprung heisst, werden wir im warmen Spanien immer gerne nutzen.

Adelgund Renelt

Fächer für Männer? Natürlich, denn sie mussten ja ebenso taktvoll wie geschickt auf die nonverbale Sprache ihrer Auserwählten reagieren können. In Spanien gab es eigene Fächer

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