Festrede_Koehlmeier

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Festrede zur Verleihung des Dr.-ToniRuss-Preises 2006 an Dr. Elmar Kramer von Michael Köhlmeier 1 „Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.“ Dies, sehr verehrte Damen und Herren, ist eine Geschichte von Franz Kafka – sie trägt den Titel: „Wunsch, Indianer zu werden“. Ich möchte Ihnen von einer Gruppe von Menschen erzählen, die sich auf die Reise machte, um sich diesen Wunsch zu erfüllen. Einer war dabei, bei dem war man sich nicht gewiß, ob er die Reise überleben wird. Der konnte nicht mehr gehen, schon lange nicht mehr. Und er konnte nur mühsam sprechen. Wer ihn verstehen wollte, mußte gut trainiert sein. Trainiert im Umgang allein mit diesem Leben. Das sagt sich so leicht, aber es ist in keiner, in gar keiner Weise normal, darauf muss hingewiesen werden. Normal ist, dass bei allen anderen mehr oder weniger eingelöst werden kann, was an einem Menschen gelernt wird. Er aber, bei dem man nicht gewiß war, ob er die Reise überleben würde, war eine Welt für sich, und was man in dieser Welt an Erfahrungen sammelte, ließ sich zum größten Teil nur innerhalb dieser Welt, die nur einen Bewohner hatte, in Aktion und Reaktion, in Tat und Handlung umsetzen. Seine Muttersprache übrigens war Türkisch. Aber was heißt das schon, wenn sich die Wörter, die es aus dem Herzen auf die Zunge schaffen, partout nicht dem unterwerfen wollen, was dem Commonsense entspricht? Welche Sprache sprichst du? Meine eigene. Aber eine Sprache, die nur ein einziger Mensch auf dieser Welt spricht, darf die noch als Sprache bezeichnet werden, wo Sprache ja wenigstens zwei Menschen voraussetzt, einen, der spricht, und einen, der zuhört? Wer mit diesem Mann reden wollte, mußte seine Sprache erlernen. Wer ihm die Hand geben wollte, mußte seine Gestik erlernen. Und wer nichts anderes wollte, als mit ihm gemeinsam die gleiche Luft zu atmen, mußte bedenken, dass dieser Mann anders atmete als alle anderen Menschen in unserer Welt. Die Tänzerin ist eine junge Frau mit einem rätselhaften Gesicht. Der Fuchs, heißt es in einer Fabel von Archilochos, weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache. Das Lächeln, das in jedem Augenblick, auch in den schmerzhaftesten Momenten, ihr reines Gesicht verzaubert,


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