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Grenzfieber. Vorarlberg, das Land der Schmuggler? Sigi Schwärzler berichtet aus früheren

GRENZFIEBER Früher verleidete es den Zöllnern, wenn sie nie Schmuggler sahen. Heute verleidet es den Schmugglern, wenn sie nie Zöllner sehen. Teil eins einer Serie. LAND DER SCHMUGGLER UND SCHWÄRZ(L)ER

Von Sigi Schwärzler

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Überall, wo Grenzen bestehen, gibt es Menschen, die versuchen, diese Grenzen unter Einsatz verschiedenster Vorgehensweisen und mit allen denkbaren Mitteln zu überwinden. Sei es mit oder ohne Pass, mit oder ohne Waren. Grenzen haben vielfach eine geradezu magische Bedeutung und üben eine eigenartige Faszination aus. Sie zu überwinden wird nicht nur für gewerbsmäßige Schmuggler zu Erfolg und Erlebnis. Bis heute ist es nicht gelungen, jederzeit wirksame Maßnahmen zu treffen, die verhindern, dass Grenzen überschritten werden können. Der Schmuggler bricht aus geltender Ordnung und dem Schutz seines Zuhauses aus, und sein aktiv eingeschlagener Weg über die Grenze macht ihn nicht nur zum Objekt der Erzählung, sondern lässt erst eine Erzählung entstehen. Soziale Hierarchien werden in den Schmugglergeschichten auf den Kopf gestellt, der „kleine Mann“ kann mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Staatsmacht übertölpeln und die unnahbare Autorität einer Staatsgrenze relativieren.

Insbesondere im Montafon und im Walgau erhielt die Grenze durch den für die angrenzenden Täler zentralen Wirtschaftszweig des Saumverkehrs eine Bedeutung, die noch heute, 160 Jahre nach Erliegen desselben, an den für die hochalpine Region ungewöhnlich gut befestigten Wegen erkennbar ist. Angesichts wirtschaftlicher Not, Warenknappheit, aber auch leicht zu erzielender Gewinne wurden weniger gut kontrollierbare Abschnitte der gebirgigen Grenze zu Schauplätzen des informellen Handels und Warenaustauschs. Für zahlreiche Menschen stellte das Schmuggeln – insbesondere im 19. Jahrhundert – einen wichtigen Zuerwerb dar. Die schnellstmögliche Verbindung zwischen dem schweizerischen Prättigau und dem Montafon erforderte bis vor wenigen Jahrzehnten noch einen achtstündigen Tagesmarsch entlang der kürzesten Verbindung über eines der Joche an der Grenze. Eine derartige Überquerung wurde seinerzeit nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen in Kauf genommen, sondern ebenso, um Familienbeziehungen oder Bekanntschaften, die sich aus längeren Arbeitsaufenthalten im Nachbartal ergeben hatten, über die Berge hinweg zu pflegen.

Nur die Freiheit ist grenzenlos

Die Grenze zur Schweiz ist somit sowohl durch trennende als auch durch verbindende Gegebenheiten gekennzeichnet. Wo die staatliche Obrigkeit bemüht war, Grenzüberschreitungen und Warenverkehr zu kontrollieren, wo die Grenze zum Schauplatz und Reibungspunkt unterschiedlicher Ideologien wurde, entstand eine Trennlinie zwischen Menschen, die eine derartige Grenze von sich aus nicht wahrgenommen hätten. Die Grenze zwischen der Schweiz und Österreich bildete nur sehr bedingt ein Hindernis für die traditionelle Verbindung und den Austausch zwischen den Tälern, sie illegalisierte diese Tätigkeit höchstens. Erst die Schaffung einer Grenze ermöglichte, dass sich gewisse Arten von Gewerben entwickelten. Dazu zählte nicht nur das oft in diesem Zusammenhang genannte Schmuggeln von Tabak, Butter, Fleisch und Kaffee, sondern ebenso das Schmuggeln von Menschen – das Geschäft mit den aus Not und vor Verfolgung Flüchtenden. Ökonomische, verwandtschaftliche und soziale Beziehungen wurden weiterhin gepflegt und aufrechterhalten. Der Austausch von bestimmten Gütern erfolgte nunmehr jedoch auf illegale Art und Weise und machte das Schmuggeln zu einem lukrativen Geschäft in grenznahen Regionen. Montafoner k.k. Finanzer in voller Ausrüstung

Es gab Zeiten, da galt Schmuggeln weithin als Kavaliersdelikt. Für andere hingegen war es ein Stück zum täglichen Überleben, insbesondere während der beiden Weltkriege. Die Zeiten waren hart, und viele Menschen lebten am Existenzminimum. So sahen denn einige, in guten Zeiten an sich ehrliche Leute, im Schmuggeln eine Möglichkeit, den chronisch schmalen Geldbeutel aufzubessern. Das Schmuggelhandwerk war für sie ein Nebenerwerb, ein Geschäft, nicht besser oder schlechter als ein anderes. Da dieses Geschäft nicht nur Findigkeit und List, sondern auch eine gute Portion Tapferkeit und beachtlichen Mut erforderte, bildeten die Schmuggler keine einheitliche, sondern eine eher gemischte Gemeinschaft, und manch einer gehörte dazu, dessen Name im Dorf einen guten Klang und Ansehen hatte. Obwohl es der Grenzwache immer wieder gelang, des einen oder anderen Schmugglers habhaft zu werden und einer Verurteilung und Strafe zuzuführen, urteilte die Bevölkerung gemeinhin kaum negativ über diese Zollvergehen. Man konnte sich damit arrangieren und leben. Dennoch, das „Schwärzen“ – wie man damals das Schmuggeln nannte – war eine per Gesetz verbotene Sache, und mancher, der sein Glück versuchte, hatte neben der Gewissensnot das Gespött der Nachbarn zu ertragen, wenn ihn die „Finanzer“ erwischten.

Gewaltsame Konflikte

Der Dienst als Grenzwächter war zu keiner Zeit ohne Risiko. Schon seit jeher waren sie mit gewaltsamen Vorkommnissen konfrontiert. Nicht zuletzt, als zu ihren Hauptaufgaben die „Entdeckung, Verhinderung und Unterdrückung des Schmuggels“ zählten. In Gebieten, in denen regelmäßiger Grenzverkehr eine lange Tradition hatte, begegneten die Einheimischen den Zöllnern überwiegend mit Misstrauen, und es ereigneten sich regelmäßig Auseinandersetzungen. Die Zeiten für einen legalen Warentransport über die Grenzen wurden daher amtlich festgelegt. Vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang durften keine Waren über die Zollgrenze verbracht werden. Wenig überraschend lag es im Interesse der Zollgesetzgeber, Bewegungen in der Nacht zu unterbinden. Denn Dunkelheit und Illegalität gingen oftmals Hand in Hand. „Die großen Bewegungen des Verkehrs geschehen in der Regel bei Tage. Nur gesetzwidrige Unternehmungen verkehren die Ordnung der Natur, meiden das Licht des Tages und hüllen sich in die Dunkelheit der Nacht.“ Wer in der Nacht angetroffen wurde und Waren mit sich führte, deklarierte sich gewissermaßen selbst als potentieller Gesetzesübertreter.

Ein Konflikt war gewissermaßen bereits in der Ausgangssituation angelegt: Schmuggel war strafbar, die Übertreter wurden verfolgt, der Schmuggler wollte sich und seine Ware vor dem Zugriff der Finanzwache retten und wehrte sich dagegen alleine oder mit Hilfe anderer. Für Männer und Frauen sozial benachteiligter Bevölkerungsteile konnte Schmuggel einen Beitrag zur existentiellen Absicherung leisten. Es waren vornehmlich Bewohner grenznaher Gebiete, die diese Möglichkeit ergreifen konnten, doch auch in grenzferneren Teilen des Landes konnten Abnehmer und Verteiler der Waren vom Schmuggel leben. Anfang des 20. Jahrhunderts und in der Zwischenkriegszeit wurden wiederholt Grenzund Zollbeamte „zur Nachtzeit meuchlings überfallen, beraubt, misshandelt und sogar gefährlich verletzt“, wie in zeitgenössischen Berichten zu lesen ist. Der Alltag eines Grenzbeamten war in dieser Zeit alles andere als einfach. Der Dienst war meist hart und entbehrungsreich, oft auch lebensgefährlich. Vor allem während der beiden Weltkriege waren die Grenzen ein gefährliches Pflaster, denn des Öfteren kam es zu teils heftigen Schießereien zwischen Grenzwächtern und bewaffneten Schmugglern.

An der Grenze in Tisis ereignete sich am 17. Juli 1919 eine tödliche Auseinandersetzung zwischen Probegendarmen und Schmugglern. Infolge zunehmender Schmuggelaktivitäten aus der Schweiz und Liechtenstein verstärkte das Bezirks-Gendarmeriekommando Feldkirch die Finanzwache in Tisis mit zwei Probegendarmen. Zur selben Zeit schleichen vier Oberländer Schmuggler, bepackt mit schweren Säcken, aus Schaanwald kommend, durch die finsteren Straßen der Ortschaft. Im Bereich des Schulhauses bemerken die Gendarmen dunkle Gestalten, die mit schnellen Schritten die Schatten der Nacht ausnützen. Angesichts dieser Beobachtung scheint ihnen rasches Handeln geboten. Die Turmuhr schlägt ein Uhr nachts, als Probegendarm Schuler auf die Schmuggler trifft. In weiterer Folge nehmen zwei der