Spruchverfahren aktuell Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 1/2016 vom 15. November 2016
ISSN 2195-7274
Inhaltsübersicht Fachbeitrag: Prof. Dr. Leonhard Knoll, IDW-definierte Vertretbarkeit und die inhaltliche Entkernung des Spruchverfahrens, S. 2
Laufende Spruchverfahren: ERGO Versicherungsgruppe Aktiengesellschaft, S. 23 Deutsche Immobilien Holding AG, S. 24 COMPUTEC MEDIA AG, S. 24
Abgeschlossene Spruchverfahren buch.de Internetstores AG, S. 25
Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: Verteiler@SpruchZ.de Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.
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Fachbeitrag
IDW-definierte Vertretbarkeit und die inhaltliche Entkernung des Spruchverfahrens Prof. Dr. Leonhard Knoll Gliederung
1.
Einführung
2.
(Almost) Anything Goes 2.1 Wertbandbreiten: Arten und Konsequenzen
3.3 Weitere entschädigungskürzende Festlegungen 3.4 Die Diskussion um rückwirkende Anwendungen 4. Was nun?
2.2 Parameterbandbreiten bei barwertigen Verfahren 3. IDW/FAUB-Rules Go Always and Everywhere
4.1 Plausibilität der einzelnen Größen 4.2 Durchschnittsbildungen 4.3 Jenseits der Bewertungstechnik
3.1 Methoden und Restriktionen 4.4 Der Punkt im Intervall 3.2 Zweckadäquanz im Zwielicht 5. Resümee 3.2.1 Typisierung, Gleichbehandlung und volle Entschädigung
Anhang: Exemplarische OLG-Äußerungen
3.2.2 Zweckadäquater Kapitalmarkt?
1. Einführung Dass der Minderheitenschutz sowohl an sich als auch im internationalen Vergleich nicht zu den Stärken des deutschen Aktienrechts zählt, ist wahrlich keine neue Erkenntnis.1 Einen der wenigen Lichtblicke stellt(e) insoweit das heute sogenannte „Spruchverfahren“ dar, das Minderheitsaktionären eine Möglichkeit bietet, die Angemessenheit gebotener Kompensationen für ihnen im Rahmen von Strukturmaßnahmen aufgezwungener Rechtsverluste gerichtlich überprüfen zu lassen.2 Ziel ist die Sicherstellung einer „vollen Entschädigung“ der Minderheit, die seit mehr als einem halben Jahrhundert auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Nachdruck © Prof. Dr. Leonhard Knoll 1 Vgl. für einen kurzen Überblick m.w.N. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=11032. 2 Vgl. zur Geschichte dieses Verfahrenstyps bspw. Simon, Einführung, in Simon (Hrsg.), SpruchG, Rn. 16 ff.
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adressiert wird.3 Hinsichtlich der Bedeutung dieses Instruments lassen sich zwei wesentliche Ergebnisse konstatieren:4
Der Anteil der Nachbesserungen zunächst gewährter Kompensationen ist angesichts der bei Strukturmaßnahmen obligatorischen Prüfungen im Vorfeld des jeweiligen Hauptversammlungsbeschlusses erschreckend hoch.
Indessen geht dieser Anteil seit ungefähr einem Jahrzehnt spürbar zurück.
In der Zusammenschau könnte man nun zunächst erwarten, dass der mit Blick auf die Funktion der primär eingeschalteten Wirtschaftsprüfer skandalöse Befund sich zusehends verbessert und immer mehr an halbwegs „normale“ Verhältnisse annähert. Diese positive Interpretation von mehr prozeduraler Hygiene mag sogar partiell zutreffen. Allerdings kann dieser Aspekt die Veränderungen in den letzten zehn Jahren allenfalls zu einem sehr bescheidenen Anteil erklären. Aus der Gruppe der vermutlich verantwortlichen Faktoren ragt sicher eine Tendenz in der Rechtsprechung der als zweite und damit regelmäßig letzte Instanz fungierenden Oberlandesgerichte heraus, die auf den ersten Blick noch vergleichsweise harmlos anmutet: Da sich Unternehmenswerte sinnvollerweise auf zukünftige ökonomische Perspektiven beziehen und die Zukunft an sich unsicher ist, kann es keinen einzig richtigen deterministischen Wert geben, sondern nur eine Wertbandbreite.5 Da dem so ist, steht es auch nicht an, Änderungen vorzunehmen, solange der originär ermittelte Wert einer Kompensation auf vertretbaren Annahmen beruht, die sachgerecht kombiniert wurden, und eine Änderungen diesen Wert nur geringfügig erhöhen würden.6 Die Vertretbarkeit als solche wird dabei grosso modo durch die Anerkennung in Wissenschaft und Praxis belegt. Ist diese Aussage an sich schon von gravierender Bedeutung, erwächst ihr im Zusammenspiel mit einer grundlegenden Akzeptanz der Vorgaben des IDW und seiner insofern relevanten Gremien unversehens eine weitere Wirkung zu: Da das IDW mit seinen Vorgaben die „Spielregeln“ für Wirtschaftsprüfer im Allgemeinen – verantwortlich für einen erheblichen Teil der Bewertungspraxis – 3
Die Forderung einer vollen Entschädigung geht in der Rechtsprechung des Bundeverfassungsgerichts auf das berühmte Feldmühle-Urteil, vgl. NJW 1962, 1667, zurück. 4 Die Menge empirischer Untersuchungen zu Spruch- bzw. früher Spruchstellenverfahren hat im Zeitverlauf einen beachtlichen Umfang erreicht, wie die folgenden Beispiele zeigen: Beyerle, ZGR 1977, 650661, und Beyerle, BB 1978, 784, Hoffmann-Becking, ZGR 1990, 498, Dörfler/Gahler/Unterstraßer/Wirichs, BB 1994, 156-162, Wenger/Hecker, ifo Studien 1995, S. 51, Wenger/Hecker/Knoesel, in: Gahlen/Hesse/Ramser (Hrsg.), Finanzmärkte, 1997, S. 93, Meilicke, AG 1999, 103, Rodloff, DB 1999, 1149; Hecker, Regulierung von Unternehmensübernahmen und Konzernrecht, 2000, S. 474 ff., Wenger/Kaserer/Hecker, ZBB 2001, 333, Meilicke/Heidel, DB 2003, 2267, Freitag in FS Richter II, Baden-Baden 2006, S. 139-169, Schüler/Lampenius, BFuP 2007, 232, Bayer/Stange, AG-Report 2008, R303-R304, Hachmeister/Kühnle/Lampenius, WPg 2009, 12341246, Fast/Hofmann/Knoll, ZSteu 2010, 21-24, Ahlers/Grimm, AG-Report 2010, R128-R131, Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519-530, dies., WPg 2011, 829-839, Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762-774, Ruthardt/Hachmeister, WM 2014, 725-733, Henselmann/Munkert/Winkler/Schrenker, WPg 2013, 1093-1097 (Teil 1), 1153-1161 (Teil 2), 1206-1212 (Teil 3), Hachmeister/Ruthardt, WPg 2014, 894901, Hachmeister/Ruthardt/Mager, CF 2014, 102-107, dies, DB 2014, 1209, dies., ZfbF 2015, 206-234. Bei vielen dieser Arbeiten finden sich auch Befunde zu den beiden folgenden allgemeinen Ergebnissen, hinsichtlich des zweiten naturgemäß nur bei den jüngeren Studien. 5 Wie sagte doch Mark Twain so schön: “Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.“ 6 Reduzierungen spielen aufgrund des Verbots einer reformatio in peius ohnehin keine Rolle. Nachweise zu alledem folgen im Zuge der weiteren Erörterung.
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bestimmt und de facto nur diese Personengruppe als Prüfer der Kompensation bei Strukturmaßnahmen in Frage kommt,7 kann es die Vertretbarkeit aus eigener Anschauung bzw. ex nihilo schaffen und damit die Kompensation für den Entzug von Eigentumsrechten bestimmen.8 Einem privatrechtlichen Verein ohne jede demokratische Legitimation werden im Ergebnis Rechtssetzungsbefugnisse zugestanden, die sich jeder Kontrolle entziehen,9 womit er gleichsam zur 4. Staatsgewalt aufsteigt – ein überaus kommentierungsbedürftiges Phänomen, zumal bereits das Entstehungsverfahren von IDW-Standards „nicht den Mindestanforderungen an die Publizität privat gesetzter Regelungen entspricht, die sich als einziges übergreifendes Anforderungsmerkmal aus bisher bekannten Inkorporationsmechanismen im Unternehmensrecht deduzieren lassen“,10 und auch aus dem Vergleich mit Präjudizien keine Bindungswirkung für IDW-Standards zu konstruieren ist,11 weshalb sich unter zusätzlicher Berücksichtigung der faktischen Rolle von IDW und Wirtschaftsprüfern resümieren lässt: „Insbesondere lässt sich weder aus der Stellung des Wirtschaftsprüfers als Vollzugsmechanismus noch aus der funktionalen Vergleichbarkeit der Standards mit Präjudizien eine normative Geltung von IDW-Standards ableiten.“ 12 Auch deshalb wird nachfolgend die soeben skizzierte Entwicklung etwas ausführlicher nachvollzogen und in ihren logischen Strukturen sowie faktischen Konsequenzen genauer analysiert, wobei den beiden Bereichen der Wertbandbreite und der Unterwerfung unter IDW-Vorgaben jeweils ein eigenes Kapitel13 gewidmet ist, obwohl sie sich gemäß den obigen Ausführungen zu einer gewaltigen Synthese verbunden haben. Kapitel 4 zeigt Alternativen gegenüber dem Status quo auf, deren Prinzip eine größere Emanzipation gegenüber Pseudo-Normen darstellt, die hinsichtlich Inhalt und Zustandekommen aus verschiedenen Gründen fragwürdig erscheinen. Ein kurzes Resümee findet der Leser in Kapitel 5. Nur höchst vorsorglich sei an dieser Stelle erwähnt, dass bei alledem natürlich keine pauschale Kritik von Personen oder Personengruppen intendiert ist. Der gebotene und an dieser Stelle ausdrücklich bekundete Respekt vor dem Individuum und seinem Sachverstand kann indessen kein Grund sein, einen durchaus als bedrückend zu empfindenden Machtzuwachs von Institutionen und die damit verbundenen Konsequenzen für zumindest einen Teil des Zivilrechts ausführlich zu thematisieren.
7
Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, Wiesbaden 2014, S. 24, und Matschke in FS Nadvornik, Wien 2016, S. 101, 116, verweisen in diesem Zusammenhang mit Recht auf § 327c AktG i.V.m. § 319 HGB. 8 Dass zumindest Teile der Wissenschaft im Bedarfsfall schnell den Interessen des IDW zu folgen bereit sind, zeigt bspw. der bis heute unvergessene Fall Stehle eindrucksvoll, vgl. manager magazin, 5/2005, S. 146. 9 Knoll/Wenger/Tartler, ZSteu 2011, 47, 48. Dies gilt auch mittelbar hinsichtlich der Fachaufsicht der Abschlussprüferaufsichtskommission (APAK) über die Wirtschaftsprüferkammer. Eine aktuelle rechtwissenschaftliche Dissertation hält hierzu fest: „Faktisch findet aber eine Letztkontrolle der IDWStandards durch die APAK nicht statt.“ Schülke, IDW-Standards und Unternehmensrecht, Berlin 2014, S. 48, m.w.N. 10 Ebd., S. 178. 11 Vgl. ebd. S., 233. 12 Ebd., S. 336. 13 Kapitel bezeichnen nachfolgend Abschnitte der ersten Gliederungsebene.
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2. (Almost) Anything Goes Der erste und zugleich vielleicht sogar heftigste Einschlag in Sachen Vertretbarkeit, der sich logisch auf die in Kapitel 1 beschriebene Argumentationskette zurückführen lässt, betraf die Ermittlung der zu diskontierenden Überschüsse. Dort wurde nicht nur eine Vertretbarkeit per se unterstellt, sondern sogar der Leitung des Bewertungsobjekts und damit Angestellten der abfindungsverpflichteten Hauptaktionärin die primäre Setzung der Rechnungsgrößen zugestanden. Die erste obergerichtliche Stellungnahme zu diesem Thema stammt, soweit ersichtlich, vom OLG Stuttgart: „Anders verhält es sich mit den in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und den darauf aufbauenden Prognosen über die künftige Entwicklung der Unternehmen und ihrer Erträge. Sie sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere - ebenfalls nur vertretbare - Annahmen des Gerichts ersetzt werden.“14 Seither folgten immer mehr Oberlandesgerichte dieser Sicht,15 obwohl dieses Verfahren aus mehreren Gründen abzulehnen ist.16 Selbst wenn nahe liegende Interessen hier zu keiner – wohlwollend formuliert – „Verzerrung“ führen sollten, wird man regelmäßig von anderen Verzerrungen ausgehen müssen, bspw. dadurch, dass solche Planungen in der Praxis auf den Modal- und nicht, wie für die Unternehmensbewertung zu fordern, den Erwartungswert ausgerichtet sind.17 Mit dieser Einstellung war die Wurzel eines allgemeinen Laissez-faire gelegt, denn wenn man Ansätze von Agenten der Hauptaktionärin nur einer Plausibilitäts- und allenfalls Konsistenzkontrolle unterwirft, warum sollte man dann bei Setzungen von bekundeter Maßen neutralen Wirtschaftsprüfern18 strengere Maßstäbe anlegen? So verwundert es nicht, dass ein schleichender Erosionsprozess hinsichtlich der klarer Weise zu fordernden Überprüfungskriterien einer „Vertretbarkeit“ in Gang kam, der aktuell in einem verfahrensleitenden Beschluss seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat:
14
Abrufbar unter https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OLG+Stuttgart&Datum=08.03.2006&Akten zeichen=20+W+5%2F05 = ZIP 2006, 764. Hervorhebungen im Original. 15 Vgl. von OLG Karlsruhe, BeckRS 2008, 18939; OLG München, BeckRS 2009, 21658 bis hin zu OLG Düsseldorf, AG 2016, 329, m.w.N. 16 Vgl. Knoll, DStR 2010, 615, 616 f., Ruthardt/Hachmeister, DB 2013, 2665, 2670 ff. 17 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016, S. 51. 18 „Hinzu kommt das verinnerlichte und in der Öffentlichkeit auch herausgestellte Rollenverständnis der Wirtschaftsprüfer, sich als unabhängig und unbefangen sowie interessenneutral zu verstehen.“, Matschke in FS Nadvornik, Wien 2016, S. 101, 116. Auch die nachfolgend aus verschiedenen Perspektiven beschriebene Konsequenz daraus hat Matschke klar adressiert: „Mag der `objektivierte Unternehmenswert´ möglicherweise idealiter parteienunabhängig sein, was bislang freilich unbewiesen ist, so ist er realiter vor allem gutachterabhängig. Konzeptionell angelegt ist er jedoch darauf, daß auf seiner Basis und eines daraus abgeleiteten quotalen Anteilswertes dem Abzufindenden die verfassungsrechtliche gebotene `volle´ Entschädigung eher vorenthalten bleibt.“ BFuP 2013, 14, 46.
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„Weil es aber diesen einen, mathematisch exakt ermittelten Unternehmenswert nicht gibt, kann dieser nur als Wertspanne verstanden werden (h.M., vgl. OLG Karlsruhe ZIP 2013, 1469; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514; BayObLG AG 2006, 21,42). Die Feststellung der Unangemessenheit der angebotenen Barabfindung setzt deshalb die Feststellung voraus, dass der angebotene Abfindungsbetrag die Untergrenze des noch als angemessen zu bezeichnenden Bereiches unterschreitet. Nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart (vgl. ua. ZIP 2012, 133), der sich der Senat anschließt, kann eine solche Feststellung regelmäßig nicht getroffen werden, wenn und soweit das von dem (gerichtlich bestellten) sachverständigen Prüfer akzeptierte Bewertungsgutachten auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Praxis gebräuchlichen Methoden beruht und diese fachgerecht und methodensauber umsetzt (…) Die Bestellung eines (weiteren) Sachverständigen im Spruchverfahren kann vor diesem Hintergrund regelmäßig allein dazu dienen, die vom Bewertungsgutachter gewählten (und vom Prüfer akzeptierten) Bewertungsmethoden auf ihre Gebräuchlichkeit, Anerkennung und methodengerechte Umsetzung zu prüfen. Wenn und soweit die vom Bewertungsgutachter gewählten Bewertungen auf anerkannten, gebräuchlichen und methodengerecht angewendeten Ansätzen beruhen und ihnen zutreffende tatsächliche Annahmen zugrunde gelegt sind, ist das vom Bewertungsgutachten gefundene Ergebnis jedenfalls nicht unvertretbar. Denn die angebotene Kompensation liegt dann nicht außerhalb der Bandbreite der noch als angemessen zu bezeichnenden Werte (…) Erst, wenn – ggfs. aufgrund der Beratung eines im Spruchverfahren hinzugezogenen (weiteren) Sachverständigen – die Feststellung getroffen werden kann, dass das Bewertungsgutachten unter einem fachlichen Mangel leidet, etwa weil ihm eine nicht anerkannte oder nicht gebräuchliche Methodik zugrunde gelegt wurde oder weil unzutreffende tatsächliche Annahmen getroffen worden sind, und wenn dieser Mangel sich in nicht nur unerheblicher Weise zum Nachteil der Anteilseigner ausgewirkt hat, ist im Spruchverfahren eine Korrektur des Barabfindungsangebots angezeigt. (…) Denn die Unangemessenheit des Unternehmenswertes kann nicht schon dadurch belegt werden, dass ein anderer Bewertungsgutachter aufgrund anderer, ebenfalls nur vertretbarer Methoden und Annahmen zu einer abweichenden Einschätzung des Unternehmenswerts gelangt.“19 Diese Passagen beinhalten eigentlich alles, was aus den Wurzeln von unsicherheitsbedingter Mehrwertigkeit und dem Primat der unternehmenseigenen Planung entsprungen ist und verweisen auf Etappenziele durch zwischenzeitliche Entscheidungen. Sie sind ein Paradebeispiel dafür, wie man durch Kondensation verschiedener Ebenen und Perspektiven eine Problematik beliebig denaturieren und ein Ergebnis damit begründen kann, dessen Auswirkungen weit über den jeweiligen Fall hinausreichen können.
19
OLG Zweibrücken, Hinweis- und Beweisbeschluss vom 6.9.2016, Az. 9 W 3/14, S. 9-11 (nicht veröffentlicht).
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2.1 Wertbandbreiten: Arten und Konsequenzen Um sich dies klar zu machen, darf man nicht beim ersten Blick aus Kapitel 1 stehenbleiben. Denn so plausibilitätserheischend die Sichtweise einer Wertbandbreite auch sein mag, ist zunächst einmal zu klären, was genau damit gemeint ist: Betrifft sie den letztlich gesuchten Wert als Output eines Bewertungsverfahrens oder/und betrifft sie Inputwerte? Rührt sie von unterschiedlichen Bewertungsmethoden oder von unterschiedlichen Parameterevaluierungen, die im Rahmen einer Methode eingesetzt werden? Wie kann man die Wertbandbreite belastbar begrenzen bzw. mathematisch feste Intervallränder bestimmen oder gilt frei nach Paul Feyerabend „anything goes“?20 Ohne den Bandbreitenprotagonisten zu nahe zu treten, darf man wohl davon ausgehen, dass es ihnen letztlich um das Ergebnis des Bewertungsprozesses oder die „Output-Bandbreite“ geht. Diese Output-Bandbreite kann einerseits natürlich durch eine Input-Bandbreite für in die jeweilige Bewertungsmethode eingehende Parameterwerte bedingt sein (man denke nur an die noch anzusprechenden Komponenten des Diskontierungszinsfußes), anderseits aber auch durch die Verwendung unterschiedlicher Bewertungsmethoden. Wenn es nun für die Bewertung in Spruchverfahren eine grundsätzliche Methodenoffenheit gibt,21 wird auch die Antwort auf die dritte Frage klar: Jede weitere (mehr oder weniger) anerkannte Methode führt jedenfalls nicht zu einer Einengung, sondern tendenziell zu einer Ausweitung der vielbeschworenen Wertbandbreite und eine mangelnde Festlegung des Anerkennungskatalogs zu eigentlich unbestimmbaren Intervallrändern, die ihrerseits zumindest ein „almost anything goes“ implizieren, wobei „almost“ nur durch den Usus einer praktischen Beschränkung auf aktuell gängige Verfahren und die fehlende persönliche Haftung von Eigentümern einer Kapitalgesellschaft bedingt ist. Nun werden Entschädigungen aber in genauen Beträgen und nicht in Bandbreiten ausbezahlt. Mit dem soeben festgehaltenen Befund wird uno actu die ohnehin bei der Adressierung von Bandbreiten virulente Anschlussfrage noch dramatisch verschärft, wer nach welchen Maßstäben bestimmen darf, welcher Wert denn aus dem zulässigen Intervall für die jeweilige Entschädigung heranzuziehen ist. Bevor dieser Frage aus einer praxisgeleiteten Perspektive weiter nachgegangen wird, soll indessen die ebenfalls aus praktischer Sicht wichtigste Bandbreitenfrage noch etwas vertieft werden.
2.2 Parameterbandbreiten bei barwertigen Verfahren Unbeschadet der grundsätzlichen Methodenoffenheit hat sich auch wegen der Haltung des IDW22 in vielen Spruchverfahren zumindest für das betriebsnotwendige Vermögen die Diskontierung 20
Vgl. seine beiden Standardwerke Against Method, 4. Aufl. New York 2010, und Science in a Free Society, London 1978. 21 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Aktien- und Konzernrecht, in: Fleischer/Hüttemann (Hrsg.), Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2015, Rn. 11. Dabei ist wohlgemerkt noch nicht die Frage der Deinvestitionsalternative durch Verkauf an der Börse als Untergrenze von Abfindungen noch gar nicht adressiert, vgl. für einen Überblick Adolff, Börsenkurs und Unternehmensbewertung, in Fleischer/Hüttemann (Hrsg.), Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2015, Rn.17 ff. und 62 ff. Prinzipiell ergeben sich aus dem Grundsatz der bestmöglichen Verwertung sowohl aus Unternehmens- als auch aus Anteilseignerperspektive Wertuntergrenzen, die hinsichtlich des Postulat einer vollen Entschädigung zu berücksichtigen sind, vgl. bspw. Knoll in FS Meilicke, Baden-Baden 2010, S 321 ff. 22 Vgl. dazu Kapitel 3.
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zukünftiger Überschüsse als wichtigste Vorgehensweise etabliert.23 Entsprechend geht der Streit vor Gericht nicht zuletzt um die Evaluierung der Parameter, die in den Barwertkalkül eingehen, und dabei kommt es in praktisch jedem Verfahren zur Diskussion über die Komponenten des Diskontierungszinsfußes. Da seit langem (und erneut insbesondere nach der Propagierung durch das IDW) das CAPM bzw. das Tax CAPM als kapitalmarkttheoretisches Modell für die Bestimmung des Diskontierungszinsfußes verwendet wird, betrifft diese Diskussion den Basiszins, die Marktrisikoprämie und den Beta-Faktor. Ein weiterer Parameter, der in Bewertungsgutachten regelmäßig als Bestandteil des Diskontierungszinsfußes ausgewiesen wird, ist die Wachstumsrate in der ewigen Rente. Da diese aber nur einen finanzmathematisch äquivalent in den Nenner umgerechneter Bestandteil des Zählers des Diskontierungsquotienten repräsentiert,24 wird auf sie nachfolgend verzichtet und nur die Höhe des Ausgangsüberschusses pauschal berücksichtigt. Selbst wenn man die Betrachtung auf diese wenigen Größen innerhalb einer einzigen Bewertungsmethode beschränkt, resultiert bereits eine erhebliche Wertbandbreite, welche die Problematik der verfassungsrechtlich gebotenen „vollen Entschädigung“ noch schwerer beantworten lässt. Dazu bedenke man, dass Unternehmensbewertung bei Kapitalgesellschaften mangels eines festzulegenden „Todeszeitpunkts“ des Unternehmens regelmäßig eine ewige Rente beschreibt, die unter dieser Überschrift sogar wörtlich nach der sogenannten „Detailplanungsphase“ adressiert wird. Vereinfacht man diese Vorgehensweise auf ein „Ein-Phasen-Modell“25 und begnügt sich mit der einfachsten Form einer konstanten ewigen Rente in Höhe von Z (dadurch fällt die Wachstumsrate wie erwähnt weg), so lautet der Unternehmenswert UW:
mit: Z = konstanter Zahlungsüberschuss, BZ = (sicherer) Basiszins, Marktrisikoprämie.
= Beta-Faktor und MRP =
Unabhängig von der Frage, welcher Natur die einzelnen Parameter originär sind,26 geht der Streit um die Unschärfe bei ihrer empirischen Bestimmung. Da die „wahren“ Parameterwerte also gerade umstritten sind,27 sei nachfolgend davon ausgegangen, dass einem Spruchgericht (unter welcher Begründung auch immer) belastbar gerade noch für möglich gehaltene Mindest- bzw. Höchstwerte bekannt sind. Unter Erweiterung der bisherigen Terminologie um die Indizes „min“ bzw. „max“ ergibt sich dann für Unter- und Obergrenze des Unternehmenswerts
23
Vgl. BGH, AG 2016, 359, 361; sowie zur Dominanz des Ertragswerts bereits BGH, NJW 1999, 2101,
2103. 24
Vgl. Knoll, ZSteu 2007, 166,168. Rechnerisch findet ein solches Modell bspw. beim vereinfachten Ertragswertverfahren der §§ 199 bis 203 BewG Anwendung, vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016, S. 225 ff. 26 Z ist beispielsweise ein Erwartungswert einer stochastischen Variablen. 27 Beim Basiszins kann man noch am ehesten davon ausgehen, dass der „wahre“ oder „richtige“ Parameterwert zu ermitteln ist, vgl. zur Korrektur entsprechender Missverständnisse Kruschwitz/Löffler, Wertermittlungsforum 3/2014, 111, 113 f. 25
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bzw.
Nun seien exemplarisch die folgenden aktuellen oder/und für Spruchverfahren nicht gänzlich ungewöhnlichen Setzungen unterstellt:28 (lediglich Skalierungsfunktion),
,
und
Dann liegt der Unternehmenswert bzw. die zu gewährende Entschädigung im folgenden Intervall:
Der höchste innerhalb derselben Methode zu ermittelnde Wert liegt also mehr als vier Mal so hoch wie der niedrigste. Es bedarf folglich gar keiner Methodenoffenheit für ein „almost anything goes“! Umso mehr muss die bereits nachdrücklich gestellte Frage beantwortet werden, welcher Wert in welcher Form dann letztlich festzusetzen ist.
3. IDW/FAUB-Rules Go Always and Everywhere Die heute gängige Antwort der insoweit maßgeblichen Oberlandesgerichte auf diese Frage wurde bereits in Kapitel 1 skizziert: Mangels deterministischer Bestimmbarkeit wird Vertretbarkeit zum zentralen Kriterium für die Bestimmung der Entschädigung erhoben. Die Vertretbarkeit bestimmt sich nach der Akzeptanz in Wissenschaft und Praxis und die Praxis, insbesondere diejenige der für die Prüfung von Entschädigungen bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen zuständigen Wirtschaftsprüfer bestimmen die Regeln des IDW, insbesondere sein Standard IDW S 129 und die von seinem Fachausschuss Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaftslehre (FAUB) veröffentlichten Empfehlungen.30 Eberhard Stilz, ehemaliger Vorsitzender des OLG Stuttgart und dessen für Spruchverfahren zuständigen Zivilsenats, kondensierte die von ihm zumindest mitinitiierte Vertretbarkeitsprogrammatik in einem Festschriftbeitrag wie folgt: „Methoden, die in der Betriebswirtschaftslehre verbreitet sind und dem vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen Standard zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1) zugrunde liegen, wird das Gericht kaum je als unvertretbar verwerfen können.“ 31 Allgemein resümiert Fleischer den Status quo, zu dem im Anhang einige Zitate von Oberlandesgerichten in Spruchverfahren abgedruckt sind, schon deutlich kritischer:
28
Alle Werte der Einfachheit halber vor persönlichen Steuern. Bei MRP wird bewusst in Kauf genommen, dass die Intervallbreite der aktuell noch gültigen FAUB-Empfehlung, vgl. WPg 2012, 1125, überschritten wird. 29 Zuletzt WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff. 30 Diese werden im Mitgliederbereich der IDW-Homepage, in der WPg und/oder den FN-IDW veröffentlicht, vgl. bspw. Fn. 28. 31 Stilz in FS Mailänder, 423, 436.
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„Sowohl das BVerfG als auch die Zivilgerichte haben diesen Bewertungsstandard ausdrücklich anerkannt. Sein faktisches Methodenmonopol in Spruchverfahren beruht darauf, dass die Wirtschaftsprüfer ihn aufgrund ihrer Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 43 WPO fast ausnahmslos anwenden, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Auch wenn die Gerichte nicht müde werden zu betonen, dass es sich bei dem IDW-Standard nicht um eine bindende Rechtsnorm, sondern nur um eine Expertenauffassung aus dem Kreis der Wirtschaftsprüfer handle, entnehmen sie ihm doch häufig die streitentscheidende Aussage. Auf diese Weise hat der IDW-Standard hierzulande einen quasi-verbindlichen Charakter erlangt.“ 32 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Matschke: „Dennoch haben die Wirtschaftsprüfer durch den Standard IDW S 1 und dessen weitgehender Akzeptanz in der Unternehmenspraxis und in der Rechtsprechung bislang ein faktisches Deutungsmonopol für die angemessene Abfindung erlangt.“ 33 Emmerich geht in seiner Würdigung dieser Verhältnisse noch einen Schritt weiter: „Obwohl es sich beim IDW um einen bloßen privatrechtlichen Verein von Wirtschaftsprüfern handelt, werden dessen Vorgaben ebenso wie die Empfehlungen der genannten Fachausschüsse im Ergebnis von den Gerichten wie Gesetze gehandhabt, die nicht mehr weiter hinterfragt werden dürfen und können. Jeder kritische Einwand gegen diese Vorgaben, etwa hinsichtlich des Basiszinses oder der Marktrisikoprämie sowie des Wachstumsabschlags werden mit dem schlichten Argument zurückgewiesen, es handele sich dabei um die Meinung von Experten, die sich offenbar der gerichtlichen Kontrolle entziehen. Damit wird den Wirtschaftsprüfern und ihren Institutionen eine Macht zugespielt, die im Grunde jede gerichtliche Kontrolle der Unternehmensbewertung überflüssig macht. Denn wenn der IDW die Standards und die Fachausschüsse die Höhe der Zinssätze festlegen dürfen, genügt die zusätzliche Betonung des Stichtagsprinzips und der Maßgeblichkeit der Unternehmensplanungen für die Schätzung der zukünftigen Ertragsentwicklung, um jedes Gutachten, gleich wie es ausfällt, gegen jedwede Form der Kritik zu immunisieren, - so das (sic!) es niemanden verwundern sollte, dass eine gerichtliche Kontrolle der Unternehmensbewertung de facto heute kaum mehr stattfindet.“ 34 Selbst wenn man dies als durchaus harte Beurteilung der bisherigen Praxis ansehen wollte, wäre angesichts dieser Verhältnisse mit dem in Kapitel 2 zitierten Beschluss des OLG Zweibrücken endgültig die inhaltliche Entkernung des Spruchverfahrens vorprogrammiert. Anstatt die „volle Entschädigung“ selbst zu bestimmen, überließen die Spruchgerichte dies dem jeweiligen Erstprüfer, dessen Vorgehen allenfalls auf IDW-definierte Vertretbarkeit zu prüfen wäre – selbst von einem ohnehin nur in Ausnahmefällen im Verfahren zu bestellenden neuen Sachverständigen, der regelmäßig ebenfalls IDW-Mitglied und denselben berufsständischen Gepflogenheiten und Verpflichtungen unterworfen sein würde.
32 33
34
Fleischer, AG 2014, 97, 100 (im Original m.w.N., Hervorhebung bereits dort). Matschke in FS Nadvornik, Wien 2016, S. 132. Emmerich, AG 2015, 627, 630.
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Dies wäre auch die vollständige Kulturrevolution gegenüber vormaligen Diskussionen, in denen die Rolle des Erstprüfers auch wegen der gängigen Praxis der sogenannten Parallelprüfung (weitgehend parallele Prozedur der Bewertung und Prüfung im Vorfeld einer Strukturmaßnahme) durchaus kritischer gesehen wurde. So befand Puzkajler mit Recht im Hinblick auf die durch das SpruchG 2003 irriger Weise gesteigerte Bedeutung des Erstgutachters auch im Spruchverfahren selbst: „Dann aber scheidet der „parallele“ Prüfer als neutraler Sachverständiger aus; man könnte sonst ehrlicherweise ebenso gut den allein vom Unternehmen beauftragten Erstgutachter zum gerichtlichen Sachverständigen bestimmen“. 35 Selbst bei einer zeitlich versetzten Prüfung ergibt sich angesichts der regelmäßig gleichen berufsständischen Verankerung wie beim Bewertungsagent der Hauptaktionärin selten Eingriffsbedarf für den Erstprüfer: „Sinn und Zweck der Abfindungsprüfung können mE daher durchaus in Frage gestellt werden, weil nicht zu erwarten ist, dass die Abfindungsprüfer zu anderen Ergebnissen als der Bewertungsgutachter kommen. (…) Auch die Abfindungsprüfer werden sich am Standard IDW S 1 orientieren, weil sie 1. ihrer Prüfung das Bewertungsgutachten als Referenz zugrunde legen und weil sie 2. durch die gerichtliche Bestellung nicht daran gehindert werden. Bewertungsgutachter und Abfindungsprüfer lassen sich daher von den gleichen Bewertungsgrundsätzen leiten. Deshalb verwundert es nicht, dass zwischen Bewertungs- und Abfindungsgutachten `Wertdifferenzen – jedenfalls in der Gutachterpraxis – selten auftreten´.“36 Noch wichtiger als individuelle Anreize erscheint indessen die Frage, wie und warum das IDW die Vertretbarkeitsspielräume, innerhalb derer die einzelnen Prüfer ihren Anreizen folgen dürfen, festgelegt hat. Zumindest einige Aspekte dieser Problematik sollen in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels aufgegriffen werden.
3.1 Methoden und Restriktionen Vergleichsweise zurückhaltend hat das IDW bislang auf Bemühungen von anderer Seite reagiert, zur klassischen Barwertermittlung angeblich alternativ anzuwendende Bewertungsmethoden zu akzeptieren.37 Dabei ergeben sich verschiedene Aspekte: a) Hinsichtlich des Börsenkurses als Untergrenze einer Abfindung wegen der Möglichkeit einer Deinvestition auf Anteilseignerseite gibt es seit der DAT/Altana-Rechtsprechung des BGH38 keinen erkennbaren Dissens.
35
Puzkajler, ZIP 2003, 518, 521. Matschke, FS Nadvornik, Wien 2016, S. 101, 116 f. (Hervorhebung im Original mit Verweis auf Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, Wiesbaden 2014). 37 Vgl. in diesem Zusammenhang. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. München 2016, S. 424 ff., zur strukturellen Verwandtschaft verschiedener Multiplikatorverfahren mit DCF-Kalkülen. 38 Vgl. BGH, ZIP 2001, 734. 36
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b) Davon ist sauber die Verwendung des Börsenkurses und anderer – regelmäßig vereinfachter – Ansätze als eigenständige Bewertungsverfahren zu unterscheiden. Beides wird vom IDW nur als Plausibilisierungsverfahren anerkannt.39 c) Bei anderweitig begründeten Ansätzen wie insbesondere dem Liquidationswert folgt das IDW tendenziell dem betriebswirtschaftlichen Mainstream.40 Bei aller bislang aufscheinenden Kritik kann dem IDW in diesem Bereich durchaus grundsätzlich gefolgt werden. Die Methodenoffenheit ist zudem allgemein ein problematischer Befund: Entweder sind die alternativen Methoden analytisch ineinander überführbar, dann spielen sie für das Ergebnis aber keine Rolle und können nur unter anderen Aspekten (z.B. Komplexität) sinnvoll diskutiert werden, oder sie führen zu (wesentlich) anderen Ergebnissen, dann spiegelt der Verzicht auf eine zumindest als vorrangig ausgewiesene Methode klar eine bislang unzureichende Problemlösung durch die Betriebswirtschaftslehre als insoweit zuständige Fachwissenschaft wider. Man darf darüber spekulieren, ob dieser Umstand nicht ein – wenngleich natürlich nachrangiger – Grund für ihre Betonung durch die von ökonomischen Kalkülen oft mehr als gequält wirkende Rechtsprechung darstellt. Umso abwegiger ist die Betonung der Methodenvielfalt durch die DVFA in ihrer die „Best Practice“- Empfehlungen zur Unternehmensbewertung.41 Ganz zu schweigen von der schon früher angesprochenen und noch später zu thematisierenden sowie von der DVFA letztlich unbeantworteten Frage, welcher von den mit verschiedenen Methoden ermittelten Unternehmenswerten denn, bitte, herangezogen werden soll (oder ggf. welche Kombination daraus), bleibt das Vorgehen gerade auch bei Anerkennung des bereits eingangs adressierten Unsicherheitsproblems an sich ein fundamentaler Fehlgriff: „Hiermit wird nur die Unsicherheit im Hinblick auf die Anwendung des `richtigen´ Verfahrens deutlich, aber keinesfalls die Unsicherheit der Zukunft sachgerecht abgebildet.“ 42 Entscheidende Probleme in diesem Bereich sind jedenfalls nicht dem IDW anzulasten.43
3.2 Zweckadäquanz im Zwielicht Anders sieht es schon bei der Frage aus, welche „Vielfalt“ die zumindest für IDW-Mitglieder verbindliche Normensetzung aus sich selbst heraus generiert. Diese auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Frage erweist sich bei genauerem Hinsehen als facettenreiches Problem. Da ist zuerst das in der Unternehmensbewertung hoch gehaltene Prinzip der Zweckadäquanz,44 das sich mindestens bis auf Schmalenbach zurückverfolgen lässt:
39
Vgl. Abschnitt 7.5 des IDW S 1 i.d.F. 2008 . Vgl. IDW S 1 i.d.F.2008, Rn. 5 sowie zu einer anlassbezogen differenzierenden Kritik Wagner, WPg 2016, 862, und Wagner WPg 2016, 1090. 41 DVFA Expert Group “Corporate Transaction and Valuation“, CF biz 2012, 43. 42 Brösel/Hautmann, FB 2007, 297. 40
43
Vgl. zu weiterer Kritik an den DVFA-Empfehlungen Olbrich/Rapp, CF biz 2012, 233 ff. Prominente Lehrbücher im deutschsprachigen Raum unterstreichen diese Bedeutung: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016, beginnen ihr Buch mit dem 44
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„Jede Bewertung hängt ab vom verfolgten Rechnungszweck.“ 45 Es wird im Abschnitt 4.1 des IDW S 1 unter dem Titel „Maßgeblichkeit des Bewertungszwecks“ adressiert (Rn. 17): „In Abhängigkeit vom zu ermittelnden Unternehmenswert (objektivierter Unternehmenswert, subjektiver Entscheidungswert, Einigungswert) ergeben sich i.d.R. unterschiedliche Annahmen über die Prognose und Diskontierung der künftigen finanziellen Überschüsse, Art und Umfang einzubeziehender Synergien sowie zu persönlichen Verhältnissen der Anteilseigner bzw. deren anlassbezogener Typisierung. Daher setzt eine sachgerechte Unternehmensbewertung voraus, dass im Rahmen der Auftragserteilung festgelegt wird, in welcher Funktion der Wirtschaftsprüfer tätig wird, um daraus die dem jeweiligen Bewertungszweck entsprechenden Annahmen und Typisierungen herleiten zu können.“ Nun könnte man mit Verweis darauf, dass Unternehmensbewertungen bei Spruchverfahren prinzipiell derselbe Zweck zugrunde liegt, dieses Prinzip hinsichtlich der hier anzustellenden Überlegungen als irrelevant erachten. Damit würde man indessen vorschnell wichtige Aspekte ausblenden.
3.2.1 Typisierung, Gleichbehandlung und volle Entschädigung Die in der soeben zitierten Maßgeblichkeitsregelung zitierte „anlassbezogene Typisierung“ weist der Zweckadäquanz ein Attribut zu, das erst auf den zweiten Blick seinen Sinn offenbart: Bei Entschädigungen für Zwangseingriffe in die Rechte von Minderheitsgesellschaftern ist von unterschiedlichen persönlichen Verhältnissen der Betroffenen auszugehen. Gleichzeitig gilt bei Kapitalgesellschaften regelmäßig ein Gleichbehandlungsgrundsatz, der für Aktiengesellschaften sogar ausdrücklich in § 53a AktG festgelegt ist. Entsprechend wird mit der „anlassbezogenen Typisierung“ die Quadratur des Kreises versucht, indem ein virtueller Durchschnittsaktionär mit seinen unterstellten bewertungsrelevanten Eigenschaften, insbesondere den steuerlich motivierten Annahmen eines inländischen Privatanlegers mit langem Investmenthorizont und einem Anteil von weniger als einem Prozent am Grundkapital des Bewertungsobjekts, der Bewertung zugrunde gelegt wird. Ganz unabhängig von der Frage, ob damit tatsächlich so etwas wie ein Durchschnitt in dem Sinne erreicht wird, dass über alle abfindungsberechtigten Minderheitsaktionäre aggregiert im Durchschnitt der richtige Schadenersatz erfolgt, bleibt als Resultat unbestritten, dass es regelmäßig und gegebenenfalls auch sehr viele Minderheitsaktionäre geben wird, die eben keine volle Entschädigung erhalten. Matschke fordert deshalb grundsätzlich und auch im Rahmen einer von ihm entwickelten Modellierung, dass die maximale Preisuntergrenze für jeden betroffenen Anteil zu bestimmen und der Abfindung für alle abzufindenden Anteile zugrunde zu legen ist.46 Nur so sind volle Entschädigung und Gleichbehandlung in Einklang zu bringen. Dies führt natürlich dazu, dass von vielen Minderheitsgesellschaftern ein nennenswerter Mehrbetrag eingestrichen wird, was die Zweckadäquanzprinzip und Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl, Wiesbaden 2013, S. 801 f., weisen ihm sogar den Rang des obersten Grundsatzes zu. 45 Schmalenbach, Kostenrechnung und Preispolitik, 8. Aufl. 1963, S. 141. 46 Matschke, BFuP 2013, 14, 41.
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Hauptaktionärin indessen leicht verhindern kann, indem sie auf die Strukturmaßnahme verzichtet. Nach bisherigen Erfahrungen ist freilich zu erwarten, dass in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle die von ihr eingestrichene Rente so hoch ist, dass eine entsprechende Zahlungsverpflichtung die Durchführung der Maßnahme nicht in Frage stellen würde. Das IDW erkauft jedenfalls mit seiner aktuellen Ausprägung der Zweckadäquanz bzw. Zweckmaßgeblichkeit die Gleichbehandlung um den Preis einer fehlenden vollen Entschädigung für alle von der jeweiligen Strukturmaßnahme betroffenen Aktionäre.47
3.2.2 Zweckadäquater Kapitalmarkt? Eine besondere Problematik entwickelt in diesem Zusammenhang die Bestimmung des Diskontierungszinsfußes, denn zumindest solange man das CAPM oder ähnliche Modellen verwendet, sollte ein halbwegs funktionierender Kapitalmarkt zu unterstellen sein, dessen Opportunitäten für alle Kapitalmarktteilnehmer näherungsweise gleich sind. Da die Zinskomponenten wie beschrieben bei Spruchverfahren regelmäßig eine erhebliche Rolle spielen, ist in diesem Absatz etwas genauer auf die diesbezügliche Zweckadäquanz bzw. -maßgeblichkeit einzugehen. Einem Beitrag über die vom IDW empfohlene und von Oberlandesgerichten akzeptierte Marktrisikoprämie lässt sich hierzu das Folgende entnehmen: „(…) als die Faktizitäten des Berufsstands durchaus nicht in Stein gemeißelt sind, sondern je nach Interessenlage des Auftraggebers mit virtuoser Flexibilität zurechtgebogen werden. Es erscheint geradezu frivol, wenn bei der rechtlichen Beurteilung der IDW-Vorgaben darüber hinweggesehen wird, dass sie nach den Bekundungen des Berufsstands dann gelten sollen, wenn im Auftrag eines Großaktionärs Zwangsabfindungen für Minderheitsaktionäre „ergutachtet“ werden; bei anderen und meist nicht im Lichte der Öffentlichkeit ausdiskutierten Bewertungsanlässen darf nämlich durchaus auch ganz anders gerechnet werden, wenn sich aus dem Bewertungszweck ein Interesse des Auftraggebers an einem möglichst hohen Unternehmenswert gibt. In solchen Fällen darf der Kalkulationszinsfuß samt Risikokomponente auch weit unter den IDW-Vorgaben liegen, deren Vertretbarkeit das OLG Stuttgart aus der normativen Kraft des Faktischen ableiten will. Sehr aufschlussreich ist, was der Marktführer der Branche zur Variabilität der Fakten bei der Festsetzung des Kalkulationszinsfußes mitzuteilen weiß: `Jede Unternehmensbewertung findet (…) in einer bestimmten Funktion, also zu einem bestimmten Zweck statt. Folglich können unterschiedliche Bewertungszwecke zu unterschiedlichen Werten ein und desselben Unternehmens führen. Die unterschiedlichen Funktionen haben auch Auswirkungen auf die Bemessung des zugrunde liegenden Kapitalisierungszinssatzes…. Ein Vergleich von unterschiedlichen Kapitalisierungszinssätzen in Gutachten, die möglicherweise zum gleichen Zeitpunkt erstellt worden sind, ohne Beachtung der Bewertungsfunktion des Gutachters, ist somit methodisch unzulässig.´
47
Vgl. dazu auch Matschke in FS Nadvornik, Wien 2016, S. 118 ff.
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So ist es eine Sache, wenn der Branchenführer `als neutraler Gutachter einen objektivierten Unternehmenswert (…) ermittelt´ und Minderheitsaktionären nach den Vorgaben des IDW die ihnen zustehende Abfindung vorrechnet. Für diesen Bewertungszweck erschien dem Branchenführer in einem öffentlich kommunizierten Gutachten ein Kalkulationszinsfuß von 8,25% angemessen. Eine ganz andere Sache ist es, wenn `auftragsgemäß der Bewertungsanlass nicht eine Wertermittlung, sondern die Findung eines (…) Preises wie unter fremden Dritten ist´. Unter dieser Voraussetzung durfte in einem nicht zur Veröffentlichung bestimmten, aber durch eine Indiskretion leider doch bekannt gewordenen Gutachten ein Kalkulationszinsfuß von 2,9% angesetzt werden - bei der Bewertung eines Unternehmens derselben Branche für einen nahezu übereinstimmendem Bewertungszeitpunkt. Um das Bild abzurunden, sei hier noch vermerkt, dass der mit 2,9% Kalkulationszinsfuß ergutachtete Wert noch um einen Zuschlag von 10% erhöht wurde, um zu dem Preis zu gelangen, der für den Fall einer Transaktion „unter fremden Dritten“ angemessen erschien. Angesichts der offenkundig gespaltenen Realität bliebe also selbst dann, wenn man sich – wie das OLG Stuttgart – auf die normative Kraft des Faktischen zurückziehen wollte, immer noch zu klären, ob in normativer Hinsicht alles vertretbar ist, was in der Praxis zusammengegutachtet wird oder ob der üblicherweise verheimlichte Teil der Realität vielleicht doch eher als die öffentlich kommunizierten Vorgabewerte geeignet ist, das Vertretbare und damit Normprägende zu definieren. Der Versuch, durch Gutachten Preise zu ermitteln, wie sie unter fremden Dritten bezahlt werden, dürfte jedenfalls einen engeren Bezug zur Realität der Unternehmenswerte haben als IDW-Vorgaben, die speziell für Bewertungsanlässe entwickelt worden sind, bei denen der Auftraggeber des Bewertungsgutachtens ein Interesse an einem möglichst niedrigen Ergebnis hat.“48 So weit, so schlecht. Indessen kommt es in der Realität aber mittlerweile weitaus häufiger vor, dass Wirtschaftsprüfer bei Bewertungen ein Interesse an (noch) höheren Diskontierungszinsen haben. Wie schon in der vorstehenden Konstellation findet man dazu freilich allenfalls zufällig zitierfähige Belege, denn in der Zusammenschau erschwert dies natürlich die Argumentation für die Verwendung hoher Diskontierungszinsen bei Abfindungsbewertungen. Umso dankbarer darf man einem Wirtschaftsprüfer für die folgende gerichtlich dokumentierte Aussage sein:49 „Gegenüber der an Wirtschaftsprüfern geäußerten Kritik der Erhöhung der Marktrisikoprämie bei niedrigem Basiszinssatz möchte ich auf zwei Aspekte hinweisen: der vormalige Vorsitzende der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung Dr. Berger rügte uns mit Blick auf die Auswirkungen in allen Jahresabschlüssen mit Blick auf das Erfordernis oder Nichterfordernis der Abschreibung auf Good Wills und Beteiligungen. Die Erosion des Basiszinssatzes führt letztlich dazu, dass Abschreibungen nicht mehr erforderlich sein sollen. Dies betrifft eine immense Zahl von Unternehmen. Angesichts dessen ist die Zahl der Spruchverfahren im Jahr, bei denen es zu Unternehmensbewertungen kommt vergleichsweise gering. Unser Ziel ist es nicht, die Minderheitsaktionäre zu ärgern.“
48
Knoll/Wenger/Tartler, ZSteu 2011, 47, 48. In der zitierten Quelle finden sich entsprechende Nachweise für die Zitate und Informationen zum beschriebenen Fall. 49 Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 10.10.2013 vor dem LG München I in Sachen Helfrich u.a. gegen Comarch AG, Az. 5 HK O 21386/12, S. 21, Orthographie und Interpunktion gemäß Original.
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Fasst man die Botschaft etwas flapsig zusammen, könnte man in etwa so formulieren: „Liebe Minderheitsaktionäre, nehmt Euch nicht so wichtig! Spruchverfahren sind für uns eine Randerscheinung. Bei Impairment Tests haben wir dagegen viel zu verlieren. Wenn uns dort hohe Marktrisikoprämien zur Verhinderung niedriger Diskontierungszinsen helfen, Ärger mit der DPR und gegebenenfalls spätere Haftpflichtfälle zu verhindern, werden wir das berücksichtigen. Dass wir dann bei Euren Strukturmaßnahmen nicht niedrigere Marktrisikoprämien ansetzen können, ist für Euch ärgerlich, aber für uns aus Konsistenzgründen kaum zu umgehen.“ Plötzlich ist also nicht die „gespaltene“, sondern die aus anderen Gründen einheitlich zurechtfrisierte Realität das Problem. Warum eigentlich? Könnte man das Problem mit den fehlenden Impairments nicht dadurch lösen, dass man die von den Mandanten gelieferten Planzahlen auf allzu großen Optimismus durchleuchtet, der zur Verhinderung von Abschreibungen sicher oft zu unterstellen ist, bevor man entsprechend zu große Zähler durch zu große Nenner kompensiert und diese zu großen Nenner dann auch in Fällen verwendet, in denen man regelmäßig nicht befürchten muss, dass zu optimistische Planzahlen gemeldet werden, sondern eher das Gegenteil?50 Ein Streit mit (großen) Mandanten über die Angemessenheit der Planungsrechnung macht freilich Ärger und kostet im Extremfall das Mandat, weshalb der Rückzug auf einen überhöhten Diskontierungszins die viel smartere Reaktion darstellt. Außerdem entspricht diese – sicherlich nicht zufällig – auch dem IDW S 1, der das Primat der unternehmenseigenen Planung an verschiedenen Stellen des IDW S1 in Form von Handlungsanweisungen durchscheinen lässt. Unversehens landet man damit wieder beim chronologischen Ausgangspunkt der Vertretbarkeitsdoktrin. Die zu Beginn von Kapitel 2 zitierte Wertung des OLG Stuttgart spiegelt die auch aus der damaligen Version des IDW S 1 herauszulesende Grundhaltung wider, vom Leitungsorgan des Bewertungsobjekts selbst gelieferte Planungsrechnungen nur bei offenkundigem Unsinn zu verwerfen. Auch insoweit war das IDW mit seinem Standard also rechtsprägend. In der Zusammenschau der beiden Grundbefunde ist schließlich festzuhalten: Niedrigere Diskontierungszinsen sind auch dann nicht zu erwarten, wenn die Entschädigungsprüfer tatsächlich keine Vorteile aus einer hauptaktionärsfreundlichen Haltung ziehen würden,51 denn in wichtigen Bereichen sind sie aus anderen Gründen an hohen Diskontierungszinsen interessiert und im Bedarfsfall finden sich immer Argumente, warum man „zweckadäquat“ nach unten abweicht.
50
Vgl. hierzu und zum Folgenden Knoll/Wenger, Aufsichtsrat aktuell 2016, Heft 5, S. 19,22. Dies erscheint zudem nicht allen plausibel: „Die Abfindungsprüfer werden zwar gerichtlich bestellt, aber auch sie sind Sachwalter der Interessen des Hauptaktionärs.“, Matschke in FS Nadvornik, Wien 2016, S. 118. 51
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3.3 Weitere entschädigungskürzende Festlegungen Nicht nur der Diskontierungszins ist in den Vorgaben des IDW bzw. des FAUB entschädigungskürzend festgelegt. Matschke beschreibt in einer Übersicht insgesamt sieben Merkmale und hält danach resümierend fest: „Diese Merkmale … machen deutlich, dass diese Wertgröße konzeptionell darauf angelegt ist, einen möglichst geringen Unternehmenswert zu bestimmen, sodass sie dem Interesse des Hauptaktionärs dient, ein möglichst geringes Entgelt für die Aktien der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre leisten zu müssen.“ 52 Ohne auf die Details einzugehen, sei hier nur vermerkt, dass allein die beileibe nicht nur von Matschke vorgetragene Kritik die Bedeutung des IDW und seiner Gremien für die Vorgaben bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von Strukturmaßnahmen deutlich reduzieren sollte. Dass dies von der Rechtsprechung sehr eigenwillig interpretiert wird, zeigt der folgende Abschnitt.
3.4 Die Diskussion um rückwirkende Anwendungen In jüngster Vergangenheit hat die zu Beginn dieses Kapitels 3 geschilderte faktische, wenngleich nicht formale Unterwerfung der Spruchverfahrensrechtsprechung unter die Vorgaben des IDW und seiner Gremien zu einer besonders pikanten Situation geführt. Zwischen 2000 und 2008 gab es zunächst die Installierung des IDW-Bewertungsstandards unter dem Namen IDW S 1 und dann in den Jahren 2004/05 und 2007/08 zwei Novellierungen, die jeweils steuerlichen Einflüssen geschuldet waren. Dabei war die Novelle 2004/05 deshalb so prekär, weil sie eine veränderte Berücksichtigung der gleichen steuerlichen Vorgaben mit der Konsequenz vornahm, dass die Unternehmenswerte im Schnitt c.p. um über 20% sanken.53 In dieser Situation trat fast zwangsläufig die Frage auf, ob für Bewertungsstichtage vor dem Inkrafttreten der neuen Standardfassung diese rückwirkend anzuwenden sei. Nach mehreren divergierenden Voten von Oberlandesgerichten legte das OLG Düsseldorf schließlich im August 2014 diese Frage dem BGH zur Entscheidung vor. In seinem Beschluss vom 29.9.201554 hielt der BGH fest, dass es sich bei einem derartigen Standard nicht um eine Rechtsnorm handle und daher auch kein Rückwirkungsverbot greift. Im vorliegenden Fall sei daher der neue Standard anzuwenden, denn: „Der IDW S 1 2005 ist methodisch eine Verbesserung gegenüber dem IDW S 1 2000.“ 55 Dass die Begründung für diese zentrale Aussage nur aus drei Sätzen sowie sage und schreibe einer einzigen Literaturstimme bestand, fand selbst ein Kommentator bemerkenswert, der diese Überlegenheit schon zuvor als in Rechtsprechung und herrschender Lehre als anerkannt betrachtet hatte.56
52 53 54 55 56
Ebd, S. 121, m.w.N. Vgl. für einen umfassenden Überblick m.w.N. Knoll, ZBB 2007, 169. AG 2016, 135. Ebd. (Rn. 47). Vgl. Fleischer, AG 2016, 185,197.
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Nun geht es natürlich jedem Antragsteller in Spruchverfahren um eine bessere Erkenntnis hinsichtlich der originär ermittelten Entschädigung und die Möglichkeit einer solchen besseren Erkenntnis gibt einem Spruchverfahren erst überhaupt Sinn. Tatsächlich ist es aber bemerkenswert, dass das höchste deutsche Zivilgericht eine genuin betriebswirtschaftliche Frage auf einer derart dünnen Begründungsbasis entscheidet. Entsprechend darf heftig bezweifelt werden, dass der BGH die von ihm mit leichter Hand entschiedene Problematik tatsächlich verstanden hat. Ohne auf deren Kern ausführlich einzugehen, sei hier nur angedeutet, dass der IDW S 1 i.d.F. 2000 tatsächlich zwei sich weitgehend kompensierende Fehler im Hinblick auf die Wirkungen des damaligen Halbeinkünfteverfahrens aufweist, während es beim IDW S 1 i.d.F. 2005 nur ein Fehler ist, der dann aber c.p. entsprechend einseitig wertsenkend wirkt.57 Man erkennt dies, wenn man die Besteuerungsebenen sowohl der AG als auch der Aktionäre berücksichtigt. Als bei der Steuerreform 2007/08 ein gegenläufiger Effekt durch die umgekehrte Verlagerung der Steuerlast zwischen diesen beiden Ebenen drohte, vertraten Protagonisten des IDW plötzlich ebenfalls eine erweiterte Sicht der Besteuerungsfolgen: Höhere Unternehmenswerte durch die Abgeltungsteuer wurden vermieden, ohne dass man die niedrigeren durch das Halbeinkünfteverfahren in Frage stellte, geschweige denn die eigene Position hierzu korrigierte!58 Letztlich hat sich in diesem Fall die schlechteste aller Kombinationen ergeben: Der Standard ist keine Rechtsnorm und man folgt ihm sogar rückwirkend mit der Konsequenz einer systematischen Benachteiligung der abzufindenden Minderheit. Die Kombination aus IDW und Rechtsprechung erweist sich damit im Wirtschaftsrecht als gefährlicher als jeder bisherige Gesetzgeber.
4. Was nun? Zumindest Spruchrichter werden, wenn sie sich die Zeit genommen haben, die vorstehenden Zeilen zu lesen, unabhängig von etwaiger emotionaler Betroffenheit fragen, was aus alledem folgt. Die Zukunft ist, Mark Twain hin oder her, unsicher und Richter sind keine betriebswirtschaftlichen Sachverständigen. Sie brauchen also ökonomische Referenzwerte für ihre juristischen Entscheidungen und Spruchverfahren haben eine bewertungstechnische Komplexität erreicht, die schon jetzt das „iudex non calculat“ als Antithese der Realität erscheinen lässt. Tatsächlich ist das Ganze auch von einer Bauart, die freihändiges Vorgehen als extrem gefährlich erscheinen lässt. Dies lässt sich bereits anhand der extrem vereinfachten Bewertungsgleichung (1) aus Abschnitt 2.2 veranschaulichen. Alle Parameter, Z, BZ, β und MRP, sind hinsichtlich ihrer Bestimmung zufällige Variablen. Zwischen diesen Variablen können Abhängigkeiten bestehen, die ein freies Verändern der einzelnen Größen ohne Berücksichtigung der Wechselwirkung mit anderen jeweils verbietet.59 Selbst wenn man aber unterstellen wollte, dass alle Variablen voneinander unabhängig sind, erweist sich die Abschätzung von (1) als nicht trivial. Zunächst müsste man die Verteilung der Variablen kennen, was kaum der Fall sein dürfte. Geht man analog zum Prinzip des unzureichenden Grundes von einer Gleichverteilung zwischen oberer und unterer Intervallgrenze
57
Vgl. Knoll/Wenger/Wala, ÖBA 2007, 700 ff. Vgl. zu alledem Kaserer/Knoll in: elektr. FS Wagner, http://www.franz-w-wagner.de/inhalt/, 2009, Teil D, S. D 7. 59 Vgl. zu den Zusammenhängen zwischen den Größen im CAPM bspw. Kruschwitz, Investitionsrechnung, 14. Aufl. 2015, S. 369 ff. 58
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aus, wäre der Erwartungs- oder Mittelwert leicht durch die Hälfte der Summe aus Maximum und Minimum zu berechnen. Laien werden an dieser Stelle vielleicht auf die Idee kommen, einfach die so berechneten InputMittelwerte in (1) einzusetzen und damit UW zu bestimmen. Tatsächlich wäre dies ein fataler Fehler, weil der Erwartungswert eines Quotienten nicht gleich dem Quotienten der Erwartungswerte ist.60 Dies sieht man auch an dem Zahlenbeispiel aus Abschnitt 2.2. Dort war UWmin = 14,48 und UWmax = 59,59 bestimmt worden. Setzt man jetzt die Mittelwerte der jeweiligen Parameterintervalle in (1) ergibt sich UWParMW = 27,78, während der Erwartungswert von (1) tatsächlich wegen der grundsätzlich konvexen Struktur höher liegt. Da solche Strukturen häufig vorliegen, ergibt die Verwendung von Parametermittelwerten tendenziell zu geringe Unternehmenswerte. Das Achselzucken der betroffenen Richter nimmt durch solche Befunde natürlich nicht ab. Was soll man ihnen als Experten aus einer nicht bewertungstechnischen Provenienz also zurufen? Vermutlich wäre mit einer Berücksichtigung der folgenden drei Aspekte (Abschnitte 4.1 bis 4.3) schon viel erreicht, zumal Abschnitt 4.4 zeigen wird, dass auch die Vertretbarkeit das Unsicherheits- bzw. Bestimmbarkeitsproblem letztendlich nicht löst.
4.1 Plausibilität der einzelnen Größen Die weitgehend unreflektierte Anerkennung von FAUB-Empfehlungen kann nicht Sinn einer neutralen Rechtsprechung sein. Gerade das Niedrigzinsumfeld führt dies drastisch vor Augen. Ist der methodische Zusammenbruch der Basiszinsbestimmung letztlich nur bei hinreichenden finanzmathematischen Grundkenntnissen nachvollziehbar,61 zeigt sich der Aberwitz der aktuell immer noch gültigen Marktrisikoprämienempfehlung schon bei Verwendung der beschriebener Maßen stark vereinfachten Bewertungsgleichung (1). Der Wert einer sicheren ewigen Rente in Höhe von Z ergibt sich als UWs = Z/BZ. Da das Marktportfolio qua constructione den Beta-Wert 1 aufweist, ist eine Rente aus dem Marktportfolio mit dem Erwartungswert Z also UWM =Z/(BZ+MRP) wert. Setzt man UWM ins Verhältnis zu UWs , so erhält man
als relativen Wert einer unsicheren Investition in einen breiten Marktindex zu einer Investition in eine vermeintlich sichere Anlage.62 Gleichzeitig erhält man uno actu den relativen Minderwert, der sich für zukünftige Zahlungen aus einer Indexanlage gegenüber einer sicheren Anlage ergibt:
60
Dieses aus der Jensenschen Ungleichung folgende Resultat hat für die Unternehmensbewertung in vieler Hinsicht große Bedeutung, was aber nur selten wahrgenommen wird, vgl. als Ausnahmen Kruschwitz/ Löffler, FB 2005, 419 ff., und Knoll/Kruschwitz/Löffler, BewP 1/2015, 114, 117. 61 Vgl. jüngst Knoll/Kruschwitz/Löffler, DB 2016, 2305. 62 Vgl. hierzu ausführlich Knoll DStR 2007, 1053, 1055 f., und Knoll, WiSt 2016, 248. In diesen Beiträgen wird auch die tendenziell effektverstärkende Einbeziehung des Wachstumsabschlags berücksichtigt, auf die vorliegend unter Vereinfachungsaspekten verzichtet wird. Die vermeintliche Sicherheit kehrt sich indessen in ihr Gegenteil um, wenn starke Inflationseffekte auftreten, die in der üblichen Nominalrechnung der Unternehmensbewertung nicht berücksichtigt werden!
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Belässt man BZ angesichts der aktuellen Verhältnisse und zum Vergleich mit den Setzungen in Abschnitt 2.2 bei 0,6% und wählt MRP = 6% als Element des aktuell noch gültigen Intervalls der FAUB-Empfehlung für Vorsteuerwerte63 von [5,5%; 7,0%], so erhält man als relativen Minderwert
Über neunzig Prozent des Werts einer Zahlungsreihe würden sich also durch Risikoaversion verflüchtigen. Dabei geht es, wohlgemerkt, hinsichtlich der risikobehafteten Anlage nicht um ein Hütchenspiel auf einem orientalischen Bazar oder der Teilnahme an einem illegalen Kettenbriefsystem, sondern um ein Investment in einen marktbreiten Index wie z.B. den CDAX. Dass ein solcher Index, gemessen an einem beliebigen Einstiegspunkt, einen solchen Rückgang erzielt hat, ist zumindest in langwährenden Friedenszeiten64 nicht dokumentiert, ganz abgesehen davon, dass Marktrisikoprämien wohl auch in der Lesart des IDW nicht „worst case“, sondern Durchschnittsbetrachtungen widerspiegeln sollten. Plausibilität ist also nicht nur auf der finalen Output-, sondern auch auf der Inputebene zu überprüfen.
4.2 Durchschnittsbildungen Nichtsdestoweniger sind Durchschnittsbildungen nicht nur an sich,65 sondern auch hinsichtlich der Zusammenschau von Input- und Output-Größen wichtig. Die Bemerkungen in den ersten Abschnitten dieses Kapitels 4 sollten den Blick dafür schärfen, dass angesichts zumeist konvexer Strukturen nicht nur IDW-konforme Inputintervalle in die outputwert-steigernde Richtung modifiziert werden sollten, sondern bei einer Affinität zu Mittelwerten der Output-Mittelwert über alle Intervallbreiten ermittelt werden sollte.
4.3 Jenseits der Bewertungstechnik Gerade wenn und weil Richter als gekorene Experten in juristischen Belangen hinsichtlich all der bewertungstechnischen, ökonomischen und ökonometrischen Aspekten eher skeptisch reagieren, liegt es nahe, dass sie nach Kriterien suchen, bei denen sie für sich komparative Vorteile in Anspruch nehmen können. Bei zwangsweisen Eingriffen in die Eigentumsposition von Minderheitsgesellschaftern durch „Private“ sollte man dann z.B. darüber nachdenken, ob es im Fall von Unschärfeintervallen aus Gerechtigkeitsüberlegungen akzeptabel erscheint, dass bezogen auf die letztlich zu ermittelnde Abfindung, Ausprägungen unterhalb eines durch Parametervariationen darstellbaren Mittelwerts überhaupt in Erwägung gezogen werden und damit der freiwillig 63
Vgl. FN 28. Im Zeitalter von Atomwaffen erscheint die Berücksichtigung zukünftiger Weltkriege als keine relevante Perspektive, da in diesem Fall die Abschätzung der Marktrisikoprämie für Zwecke der Unternehmensbewertung eher zynische als realistische Züge trägt. 65 Vgl. etwa Knoll in FS Mandl, Wien 2010, S. 325 ff., zur viel umstrittenen historischen Marktrisikoprämie. 64
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Handelnde (= Hauptaktionär) bevorzugt sowie der zwangsweise Duldende (= Minderheitsaktionär) benachteiligt wird. In Abschnitt 3.2 wurde skizziert, dass Matschke als Synthese der beiden rechtlich indizierten Forderungen nach voller Entschädigung und Gleichbehandlung eine Abfindung auf höchstmöglichem Niveau für geboten abgeleitet hat. Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, erscheint es aus juristischer Sicht überaus fragwürdig, Vertretbarkeiten zu akzeptieren, die jenseits von wie auch immer verbreiteten Meinungen systematisch zu unterwertigen Entschädigungen führen.
4.4 Der Punkt im Intervall Dass die Bewertungstechnik allein kein Selbstläufer ist und weder das IDW noch seine Mitglieder die finalen Problemlöser für Spruchverfahren sein können, zeigt schließlich auch der folgende Zusammenhang: Selbst und gerade wenn man Wertbandbreiten, Parameterintervalle oder Entschädigungskorridore an sich akzeptiert, bleibt letztlich die für alle betroffenen Minderheitsgesellschafter pro Anteil, d.h. zumeist pro Aktie, einheitliche Entschädigung festzulegen. Wo diese innerhalb der als „vertretbar“ erachteten Wertbandbreite liegt, muss am Ende ein Richtergremium festlegen, das sich dabei nicht hinter einer Vertretbarkeit verstecken kann, deren Definition es an Dritte delegiert hat. Jede Bewegung innerhalb des Intervalls bedeutet eine Umverteilung zwischen Minderheits- und Hauptgesellschafter und der Umstand, dass ein bestellter Wirtschaftsprüfer mit seinem Ergebnis innerhalb einer fremdbestimmten Wertbandbreite gelandet ist, kann ein zuständiges Gericht nicht von der Kontrollaufgabe entbinden, ob diese Punktlandung tatsächlich die nach Recht und Gesetz bestmögliche Entscheidung darstellt. Dass dies ein Problem ist, sei allen betroffenen Richtern zugestanden. Indessen ist es ihre Aufgabe, dieses Problem in seiner jeweiligen Ausprägung zu lösen und nicht davor mittels Delegation zu kapitulieren!
5. Resümee Bei allem Verständnis für die Neigung einiger Oberlandesgerichte, den Prüfungsumfang in Spruchverfahren drastisch zu begrenzen, würde die Umsetzung des in Kapitel 2 zitierten Hinweisund Beweisbeschlusses des OLG Zweibrücken zur mittelbar IDW-definierten Vertretbarkeit faktisch zur Entkernung des Spruchverfahrens führen. Es käme zur endgültigen Bestimmung von Korridoren für Entschädigungsgrößen durch eine dafür nicht legitimierte und öffentlich nicht kontrollierte Institution, deren Interessenlage – vorsichtig formuliert – offenkundig und nachweisbar fragwürdig ist. Ihre Mitglieder wären als Entschädigungsprüfer innerhalb dieser gerichtsseitig akzeptierten Vertretbarkeitskorridore die eigentlichen Herren des Spruchverfahrens. Der relevante Minderheitenschutz, ohnehin ein Stiefkind des deutschen Gesellschaftsrechts, würde im internationalen Vergleich endgültig in unterirdische Regionen abrutschen und die Reste einer viel beschworenen Aktienkultur würden sich endgültig in Luft auflösen. Sollte dies die Intention nicht nur des OLG Zweibrücken sein, sind die zitierten Spruchkörper auf dem richtigen Weg, wenn nicht, sollten sie eine rasante Wende vollziehen, bevor sich die letzten deutschen Kleinaktionäre von der Börse verabschiedet haben.66 66
Der Anteil inländischer Privathaushalte an börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland dümpelte 2005-2014 zwischen 10,05 und 13,8 vor sich hin, Aktien machten am Geldvermögen privater Investoren hierzulande zwischen 1991 und 2013 einen Anteil von knapp 5% bis knapp 15% aus, wobei am Ende
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Anhang: Exemplarische OLG-Äußerungen
OLG Stuttgart, 20 W 2/08, Ausfertigung des Beschlusses vom 18.12.2009, S. 61: „Dabei wird nicht verkannt, dass die Vorgaben des IDW S1 keinen Rechtsnormcharakter haben, da es sich beim IDW um eine private Institution ohne Rechtssetzungsbefugnisse handelt. Es kommt indessen nicht darauf an, ob die Empfehlungen des IDW für das Gericht verbindlich sind. Vielmehr ist umgekehrt zu fragen, ob eine Planung unvertretbar ist, die sich an diesen Empfehlungen orientiert. Diese Frage ist zu verneinen, da es sich bei den Empfehlungen des IDW - trotz aller dagegen im Allgemeinen oder in Einzelfragen vorgebrachten Kritik - um Standards handelt, die vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannt sind und bei Unternehmensbewertungen in der Praxis ganz überwiegend beachtet werden (vgl. Stilz in Festschrift Mailänder, 423, 436).“ KG, Beschluss vom 19.5.2011, Az. 2 W 154/08 (NZG 2011. 1302 im Leitsatz): „Bei der Unternehmensbewertung im Spruchverfahren genügt es, wenn das Gericht – erforderlichenfalls mit sachverständiger Unterstützung – zu der Überzeugung gelangt, dass eine bestimmte konkret vorgenommene Berechnung auf der Grundlage zutreffender Ausgangszahlen zu einem plausibel hergeleiteten Ergebnis führt.“ OLG Hamburg, Beschluss vom 1.11.2011, Az. 13 U 74/11, S. 11: „… Mittelwert der zum Stichtag geltenden Empfehlung des IdW, die bereits schlicht selbst wertbildend ist, da in aller Regel die beteiligten Wirtschaftsprüfer im Rahmen einer Unternehmensbewertung den hierzu gültigen Aussagen des IdW folgen werden.“ OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.7.2014, Az. 20 W 3/12, juris Rn. 82: „Entscheidend ist freilich, dass die Vereinbarungen des IDW – trotz aller dagegen im Allgemeinen und in Einzelfragen vorgebrachten Kritik – von dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannt sind und bei Unternehmensbewertungen in der Praxis ganz überwiegend beachtet … Sie leisten somit einen erheblichen Beitrag dazu, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Unternehmensbewertung im Rahmen der fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden zu sichern, was zugleich zur Kontinuität der Rechtsprechung führt, soweit diese Methoden zur Schätzung des Unternehmenswerts in Spruchverfahren herangezogen werden.“ OLG Hamburg, Beschluss vom 18.9.2015, Az. 13 W 44/14, S. 10: „Da in Deutschland auf diesem Gebiet nahezu ausschließlich Wirtschaftsprüfer tätig werden, die jedoch gehalten sind, im Rahmen ihrer Tätigkeit den Empfehlungen des IdW zu folgen (vgl. nur WPHandbuch Band I, 14. Aufl. 2012, A 20 – 26), die regelmäßig die jeweilige best practice des Berufsstands dokumentieren, liefern bezogen auf die MRP die Empfehlungen des FAUB den am besten geeigneten Ansatz.“ dieser Periode der Tiefstwert nur leicht übertroffen wurde; vgl. zu beidem Deutsche Bundesbank, Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt: allgemeine Tendenzen und Veränderungen in der Finanzkrise, Monatsbericht September 2014, S. 19-33, hier 24 bzw. 32. Beide Werte entsprechen eher dem Status eines Entwicklungslands als einer etablierten und prosperierenden Volkswirtschaft.
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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.7.2012 – I-26 W 2/12, AG 2012, 797 (800): „Letztlich ist es daher angemessen, sich der damaligen Empfehlung des IDW, wonach die Marktrisikoprämie nach Steuern mit einem Wert zwischen 5 % und 6 % anzusetzen sei, anzuschließen. Die Empfehlung des IDW zur Bestimmung der Nachsteuerrisikoprämie stellt zwar keine Rechtsnorm dar, sei aber eine wenn auch nicht unbestrittene, so doch anerkannte Expertenauffassung. Sie wird in der Bewertungspraxis und in der Rechtsprechung beachtet.“ OLG Hamburg, Beschluss vom 30.6.2016, Az. 13 W 75/14, S. 19 f. „Damit aber, d.h. ohne eine eindeutige wissenschaftliche Entscheidung dieser Frage, gewinnt für den Ansatz der Marktrisikoprämie nach Auffassung des Senats die Bewertungspraxis entscheidende Bedeutung, da – sofern nicht schlicht auf die Marktkapitalisierung abgestellt werden kann – nur über sie jedenfalls in etwa verobjektivierte Aussagen zum Wert eines Unternehmens erlangt werden können. Die Praxis der Wirtschaftsprüfer aber folgt, wie dem Senat aus zahlreichen Spruchverfahren bekannt ist, so gut wie immer den Vorschlägen des FAUB des IdW, die auf diesem Wege tatsächlich prägend für die Ermittlung von Unternehmenswerten werden. Damit besteht auch hier kein Anlass, von der Wahl des Mittelwerts der vom IdW für den Bewertungsstichtag vorgeschlagenen Marktrisikoprämie durch die Sachverständigen abzuweichen.“
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Laufende Spruchverfahren
Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der ERGO Versicherungsgruppe Aktiengesellschaft: LG Düsseldorf hebt Barabfindung auf EUR 109,32 an (+ 11,87%) In dem seit 2010 vor dem Landgericht Düsseldorf laufenden Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der ERGO Versicherungsgruppe Aktiengesellschaft hat das Gericht die Barabfindung mit dem nunmehr zugestellten Beschluss vom 14. Oktober 2016 auf EUR 109,32 je ERGO-Aktie angehoben. Im Verhältnis zu dem von der Münchner Rück angebotenen Betrag in Höhe von EUR 97,72 entspricht dies einer Erhöhung um 11,87%. Das Gericht hat überwiegend Veränderungen am Kapitalisierungszinssatz vorgenommen, worauf es bereits in der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2015 hingewiesen hatte, vgl. http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/03/spruchverfahren-zum-squeeze-out-beider_31.html. Das LG Düsseldorf geht von einem unter Verwendung der Zinsstrukturkurve ermittelten stichtagsbezogenen Basiszinssatz in Höhe von 3,96% aus. Es sieht den unternehmenseigenen Betafaktor als maßgeblich an. Es sei nicht auf eine sog. Peer Group "auszuweichen". Soll der Ertragswert eines bestimmten Unternehmens errechnet werden, müssen auch möglichst alle Parameter eben dieses Unternehmens und nicht die von anderen für die Bewertung herangezogen werden. Das Gericht schätzt die Marktrisikoprämie auf 4,5% vor Steuern als "noch angemessen". Man sehe sich nicht in der Lage, den Empfehlungen des FAUB ohne Sachprüfung zu folgen (S. 27). Diese seien weder Rechtsnormen noch beruhten sie auf wissenschaftlich gesicherten Fundamentaldaten. Gegen den Beschluss des Landgerichts kann innerhalb von einem Monat ab Zustellung Beschwerde zum OLG Düsseldorf eingelegt werden.
LG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2016, Az. 33 O 72/10 AktE SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. u.a. ./. Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft 112 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Peter Dreier, 40213 Düsseldorf Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft: Rechtsanwälte Gleiss Lutz, 70173 Stuttgart
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Squeeze-out bei der Deutschen Immobilien Holding AG: Prüfer kommt auf eine angemessene Barabfindung in Höhe von EUR 4,30 In dem Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre (Squeeze-out) bei der Deutschen Immobilien Holding AG zugunsten der Zech Group GmbH hat das Landgericht Bremen bei dem Verhandlungstermin am 14. April 2016 den gerichtlich bestellten Prüfer, Herrn WP Prof. Dr. Schüppen von Graf Kanitz, Schüppen & Partner, einvernommen. Der Prüfer schätzt die angemessene Barabfindung nunmehr auf EUR 4,30. Dies liegt deutlich über dem vergleichsweise angehobenen, von der Antragsgegnerin angebotenen Barabfindungsbetrag in Höhe von EUR 2,75. Der Prüfer hat dies in einer vom Gericht angeforderten schriftlichen Stellungnahme umfangreich begründet. Er hat dabei das Ergebnis nicht lediglich (wie sonst üblich) "abnickt", sondern sich korrigiert (Annahme eines höheren Ausgangswerts) und hierbei auf die „psychologische Dynamik der Parallelprüfung“ verweist. _______________
Spruchverfahren COMPUTEC MEDIA AG: Negativer Ertragswert bei negativem Kapitalisierungszinssatz? In dem Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der COMPUTEC MEDIA AG, Fürth, wurden die von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen sachverständigen Prüfer nach zahlreichen Verlegungen durch das LG Nürnberg-Fürth nunmehr endlich am 27. Oktober 2016 angehört (nachdem zunächst die Auftragsgutachterin geladen worden war). Mit einer Nachbesserung ist allerdings trotz der guten finanziellen Lage und der Marktpositionierung der Gesellschaft nicht zu rechnen. Der Vorsitzende Richter gab - offenbar um zu verdeutlichen, wie großzügig das Angebot der Hauptaktionärin doch sei - den sachverständigen Prüfern eine Neuberechnung mit folgenden Parametern auf: Basiszinssatz i.H.v. 1,75%, Marktrisikoprämie i.H.v. 3%, Betafaktor 0,62 und Wachstumsabschlag in Höhe von 4%. "Merkwürdigerweise" ergab sich dann bei einem negativen Kapitalisierungszinssatz ein (negativer) Wert einer Computec-Aktie i.H.v. ./. EUR 17,11. Dies ist in der Tat "Unfug", was auch die sachverständigen Prüfer konzedierten. Für den Richter war das nichtsdestotrotz weiterhin ein Argument, weshalb der Ertragswert keine Rolle spielen könne. Richtig ist, dass bei einem Kapitalisierungszinssatz i.H.v. Null sich rechnerisch ein unendlicher Wert der Gesellschaft ergibt (was wenig Sinn macht). Ein negativer Zinssatz ist modellgemäß nicht möglich. LG Nürnberg-Fürth, Az. 1 HK O 8174/13 Vogel, E. u.a. ./. Marquard Media International AG 48 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hahn, 90431 Nürnberg Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Marquard Media International AG: Rechtsanwälte Beiten Burkhardt, 80339 München
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Abgeschlossene Spruchverfahren
Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der buch.de internetstores AG vergleichsweise beendet: Anhebung der Barabfindung auf EUR 9,- je buch.deAktie Das Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der buch.de internetstores AG konnte nach gerichtlicher Protokollierung am 26. Oktober 2016 und Zustimmung der beiden letzten noch ausstehenden Antragsteller vergleichsweise beendet werden. Der Vergleich sieht eine Anhebung des Barabfindungsbetrags von EUR 8,76 um EUR 0,24 auf nunmehr EUR 9,- vor. Der Erhöhungsbetrag wird nicht verzinst und ist innerhalb von sechs Monaten ab Bekanntmachung der Abwicklungshinweise geltend zu machen. LG Dortmund, Az. 20 O 106/14 AktE Kalbitzer u.a. ./. Thalia Holding GmbH 56 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Prof. Dr. Lutz Aderhold, 44141 Dortmund Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Thalia Holding GmbH: Rechtsanwälte Gibson Dunn, 60310 Frankfurt am Main (früher: Latham & Watkins, 60323 Frankfurt am Main)
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Impressum ______________________ Zeitschrift Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) 5. Jahrgang ISSN 2195-7274
Herausgeber: Interessengemeinschaft Spruchverfahren (IG Spruch), c/o Rechtsanwaltskanzlei ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald (bei München) Bestellungen bitte an die E-MailAdresse: Verteiler@SpruchZ.de
Redaktion/Mitarbeiter: Redaktion@SpruchZ.de RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG (presserechtlich verantwortlich), RA Dr. Peter Dreier, RA/StB Dr. Theo Schubert, M.C.L. Univ. Mich., Prof. Dr. Leonhard Knoll („Bemerkenswerte Befunde“)
c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald
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