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Aktiv immun

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Move it or lose it Die komplexe Welt unserer Muskulatur

HABEN SIE’S GEWUSST?

Der Muskelkater ist die häufigste Muskelverletzung: Feine (Ein-)Risse von Muskelfasern und dadurch entstehende Blutergüsse in der Muskulatur, aber auch eine verstärkte Laktatansammlung (Milchsäureansammlung) können zu Schmerzen in der Muskulatur führen – insbesondere aufgrund von unzureichendem Aufwärmen oder Überbeanspruchung.

Besonders wichtig: Bringen Sie Ihren Körper vor dem Training unbedingt auf Betriebstemperatur und dehnen Sie regelmäßig, um den Muskelapparat geschmeidig und flexibel zu erhalten! Rund 650 Muskeln arbeiten im Körper eines Menschen jede Sekunde, Minute, Stunde in einem höchst komplexen Konglomerat aus koordinativen Höchstleistungen zusammen. Wie komplex die Abläufe sind, welche Auswirkungen Stillstand haben kann und was unseren Muskelapparat neben effektivem T raining stärkt, erklärt Dr. Peter B. Barth, Allgemeinmediziner und Mayr-Arzt im Gesundheitszentrum Park Igls.

STARKE FACTS RUND UM UNSERE MUSKULATUR

Die Großen: Der Gluteus maximus (unser Gesäßmuskel) ist einer der größten Muskeln unseres Körpers, der Musculus sartorius im Oberschenkel einer der längsten. Der flächenmäßig größte Muskel sitzt allerdings im Oberkörper: Der Musculus latissimus dorsi (großer Rückenmuskel) zieht sich vom Becken bis zum Oberarm – beim Training wird er leider gerne etwas stiefmütterlich behandelt. Dabei übernimmt er nicht nur eine wichtige Funktion in der Entlastung unseres Stützapparates, er bewirkt auch einen wunderschönen Rücken.

Der kleinste Muskel im menschlichen Körper, aber mit großer Wirkung, ist der Musculus stapedius. Dieser Innenohr-Muskel führt direkt zum Steigbügel-Knöchelchen. Treffen sehr hohe bzw. zu hohe Schallfrequenzen auf den Stapedius, zieht sich dieser reflexartig zusammen, die Knöchelchenkette im Innenohr versteift sich und »verschließt« das Innenohr, wodurch es vor den hohen Tönen geschützt wird.

Einer der schnellsten Muskeln liegt rund um unser Auge – der Musculus orbicularis oculi ist für den blitzartigen Lidschluss und damit den Schutz des Auges verantwortlich.

»Schon vor hundert Jahren – etwa zu der Zeit, als F. X. Mayr seine revolutionäre Mayr-Medizin entwickelte, aber auch schon früher – hörten Ärzte mit dem Stethoskop die Darmgeräusche ab«, erklärt Dr. Barth. Warum? »Weil die Darmgeräusche etwas über die Tätigkeit des Verdauungsapparates aussagen. Aber vor allem: weil bei andauernder absoluter Stille eine höchst gefährliche Darmlähmung eingetreten ist. In der Folge dieses muskulären Stillstands werden die Gefäße abgeklemmt und der Darm stirbt im schlimmsten Fall ab.« Der Darm muss ständig in Bewegung sein; dieses muskuläre Dauerfeuer, das einem bestimmten zirkadianen – also tageszeitabhängigen – Rhythmus folgt, nennt man Peristaltik. Neben der Tagesrhythmik und der zeitlichen Abfolge der Nahrungsaufnahme sowie Flüssigkeitszufuhr beeinflussen auch psychoemotionale Vorgänge das Ausmaß der Darmbewegung. OHNE DARMBEWEGUNG KEIN LEBEN! Die Peristaltik ist so gesehen eine der wichtigsten Bewegungen im Körper. Sehr wohl kann die Bewe gung jedoch zurückgehen, etwa wenn der Verdauungsapparat entlastet wird – »wie es beim Mayr’schen Prinzip der Schonung während einer Kur angestrebt wird«, erklärt Dr. Barth. Der Darm mit sei ner Bewegung ist nur ein kleiner Teil der Muskelarbeit, die unser Körper tagtäglich verrichtet. »Der Mensch besteht aus rund 650 Muskeln – wobei diese Zahl natürlich nur eine Schätzung ist und noch dazu von Mensch zu Mensch variieren kann«, erklärt Dr. Barth. Glauben Sie nicht? »Fast jeder kennt jemanden, der mit den Ohren wackeln kann, oder kann es sogar selbst. Andere Menschen wiederum können das nicht – nicht aus Unvermögen, diese Muskeln anzusteuern, sondern ganz einfach, weil sie sie nicht haben! Die Ohrenmuskeln haben sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte beim Menschen zurückgebildet, weil sie nicht mehr notwendig waren – beim Hund beispielsweise sind sie aber nach wie vor gut ausgebildet.«

KOMPLEXITÄT, DIE BEWEGT Interessant sei aber gar nicht so sehr die absolute Zahl der Muskeln in unserem Körper, sondern vielmehr diverse Relationen. »Allein 50 der 650 Muskeln befinden sich im Gesicht und sind für unsere Mimik verantwortlich, drücken somit alle unsere emotionalen Befindlichkeiten aus. Umso einschneidender sind deshalb beispielsweise Erkrankungen mit einer Facialis-Lähmung – wenn die Mimik plötzlich zum Erliegen kommt, die Mundwinkel nicht mehr amüsiert nach oben wandern, sondern regungslos nach unten hängen, der Speichel aus dem Mundwinkel rinnt etc.« Der Muskel bildet das letzte Glied in einer Kette von höchst komplexen koordinativen Abläufen, die im Gehirn ihren Ausgang nehmen. »Der Auslöser für Störungen und Krankheiten kann im Prinzip an jedem Punkt dieser hochkomplexen Kaskade sitzen. Grund für eine Facialis-Lähmung kann zum Beispiel eine Gürtelrose sein: Klassisch äußert sich der Befall mit den Varicella-Zoster-Viren im Brustkorbund Rückenbereich, die Virusinfektion kann sich jedoch auch im Bereich der Gesichtsnerven manifestieren und dort schwerwiegende Lähmungserscheinungen hervorrufen.«

Dementsprechend findet nicht nur die FacialisLähmung ihren Ausdruck in der Bewegungslosigkeit – viele Erkrankungen gehen mit einer Muskellähmung einher. Etwa bei Morbus Parkinson führt der gestörte Dopamin-Stoffwechsel zu drei wesentlichen Symptomen: zu einer verzögerten

Muskelreaktion und erhöhten Spannung der Muskulatur, dem Rigor, zum bekannten Zittern, dem Tremor, und zur Akinese, einer veränderten bzw. verzögerten Bewegungsentwicklung. Auch bei der Multiplen Sklerose, einer neurologischen Erkrankung, wird die Muskulatur beeinträchtigt.

ALLES (R)EINE NERVENSACHE »Ob ein Muskel funktioniert oder nicht, hängt letztendlich von einer ganzen Reihe hochkomplexer Aktionsabläufe ab. Wir fassen einen Gedanken – quasi die Antizipation der Bewegungsabfolge im Gehirn, was bei Profisportlern extra trainiert wird, um eine schnellere Reaktion in der Bewegung zu erreichen. Dann folgt eine Kaskade an hierarchisch geordneten Kommunikationsleistungen in den verschiedenen Gehirnregionen: Großhirnrinde, Basalganglien, Hirnstamm, Kleinhirn (dort wird die Bewegungsabfolge koordiniert), Rückenmark. Vom Rückenmark aus wird der Nervenreiz mittels Neurotransmitter über die Pyramidenbahnen in die Peripherie geschickt, bis das Nervensignal an der Muskelendplatte ankommt und eine Kontraktion auslöst.« Das einfachste Beispiel einer Muskelkontraktion ist der unwillkürliche Reflex. Mittels Reflextestung kann deshalb ein Problem innerhalb der Kaskade festgestellt werden. Umgekehrt kann aber auch in Richtung »Entspannung« der Muskulatur eingewirkt werden: Ein muskelrelaxierendes Medikament etwa blockt den Transmitter, der den Nervenreiz zur Muskelendplatte transportiert, was die Kontraktion verhindert. »Wie komplex dieses neuro-muskuläre Kunstwerk ist, wird etwa bei einem Pianisten ersichtlich, dessen Finger sich perfekt koordiniert und in unglaublicher Geschwindigkeit über die Tasten bewegen.«

USE IT OR LOSE IT Manche Muskeln können wir nicht willentlich beeinflussen, den Großteil allerdings schon, und das müssen wir sogar, denn: »Muskeln, die wir nicht bewegen, verkümmern«, warnt Dr. Barth. Besonders schnell ersichtlich wird diese Atrophie des Muskelquerschnitts zum Beispiel, wenn über einen längeren Zeitraum ein Gips getragen werden muss. Aber nicht nur nach Verletzungen oder krankheitsbedingt verlieren wir an Muskulatur, »ab dem dreißigsten Lebensjahr verringert sich unsere Muskelmasse pro Jahr um ein Prozent, wenn wir nicht regelmäßig Sport betreiben! Das bedeutet, dass wir als extremer ›Couch Potato‹ mit 65 Jahren 35 % weniger Muskelmasse haben als noch mit dreißig Jahren.« Damit büßen wir jedoch nicht nur an Fitness und Beweglichkeit ein, sondern versagen auch unserem Bewegungs- und Stützapparat die

STARKES HERZ – DER AUSDAUERLÄUFER UNTER DEN MUSKELN

Eine Sonderstellung unter den Muskeln hat der Herzmuskel. Er folgt als Hohlmuskel dem biologischen Prinzip von Anspannung und Entspannung. Das Herz kann seine Tätigkeit nur auf Dauer ausüben, weil es zu einer bedarfsgerechten Abfolge von Systole (Anspannung) und Diastole (Relaxation) kommt. Während der Entspannungsphase (Diastole) »schläft« das Herz. Pro Jahr pumpt unser Herz mehr als 2,5 Mio. Liter Blut durch unseren Körper. Das Herz einer Frau wiegt im Durchschnitt 280 g, das Herz eines Mannes 310 g. Im Laufe eines durchschnittlichen Lebens kommt das Herz auf ca. drei Millionen Kontraktionen.

Ein wichtiger Bestandteil des Muskelapparates sind die FASZIEN. Dieses Bindegewebe umhüllt sämtliche Muskeln in unserem Körper und gibt dem Muskel seine Form. Faszien können verkleben, für eine reibungslose Funktion muss ihre Struktur jedoch gleitfähig bleiben. Da sich das Fasziengewebe durch den gesamten Körper zieht, können Schmerzpunkte weit weg von ihrem Auslöser auftreten.

notwendige Unterstützung. »Im Gegenzug können wir mit regelmäßigem Training die Atrophie stark verzögern und bis ins hohe Alter fit bleiben.«

Neben der regelmäßigen Bewegung können wir unsere Muskeln zudem mit einer ausgewogenen Ernährung unterstützen. »Grundsätzlich benötigen wir für den Aufbau unserer Muskulatur hochwertiges Eiweiß bzw. Protein, das wir beispielsweise in Fleisch finden. Eiweiß kann man natürlich auch in pflanzlicher Form zu sich nehmen, schneller – und besonders im Kindes- und Jugendalter leichter – verwertbar ist allerdings tierisches Eiweiß. Auch Frauen mit latentem Eisenmangel sollten nicht gänzlich auf hochwertiges tierisches Eiweiß verzichten.« Als Richtwert gelte: 0,5 g bis 1 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag, bei intensivem Training auch mehr. Zudem brauchen wir für den Muskelenergiestoffwechsel Kohlenhydrate sowie Mineralstoffe – Kalzium, Natrium, Kalium, Magnesium – und Vitamin D.

FAZIT: Bewegung, Bewegung, Bewegung – in Kombination mit vitaler Mischkost, die unsere Muskulatur und unsere Knochen mit den notwendigen Nähr stoffen versorgt. Denn ein Faktum ist unumstößlich: Der Mensch ist für Bewegung gemacht – vom Knochen bis zur Muskelfaser. Ohne Bewegung – kein Leben.

Nota bene

KNOCHENHARTES TRAINING Regelmäßige Bewegung stärkt nicht nur unseren Muskelapparat – auch unsere Knochen brauchen den Reiz. Die Osteoporose bzw. Osteopenie ist eine meist im Alter entstehende Substanzminderung (Rarefizierung) der Knochenspongiosa, also eine Ausdünnung der Knochenbälkchen und damit einhergehend eine Verringerung der Knochendichte. Daraus resultiert eine erhöhte Bruchanfälligkeit. Durch die Abnahme des Hormonspiegels sind Frauen in der Menopause besonders häufig betroffen. Osteoporose-Erkrankte sind zudem häufig erblich vorbelastet.

Fehlende Muskelbewegung begünstigt die Entstehung einer Osteoporose. Damit ein Knochen gesund bleibt, braucht er einen geSehnen, Bändern und Gelenken bildet die Skelettmuskulatur den Stütz- und Bewegungsapparat. wissen Reiz (Zug), sonst baut er ab. Regelmäßige Aktivität der Muskulatur und damit eine Belastung des Knochens ist somit eine essenzielle Voraussetzung für die Gesunderhaltung, die man zusätzlich durch die Versorgung mit Kalzium und Vitamin D3 über die Ernährung und das Sonnenlicht unterstützen kann.

WILL ICH ODER WILL ICH NICHT?

Nicht alle Muskeln lassen sich willentlich tur hingegen wird unwillkürlich gesteuert,

steuern!

Die Skelettmuskulatur oder auch quergestreifte Muskulatur ist am Skelett befestigt und für die aktive Bewegung zuständig. Diese Muskeln werden willkürlich, d. h. bewusst gesteuert, zum Beispiel Arm- oder Oberschenkelmuskeln. Die Skelettmuskulatur umfasst rund 400 Muskeln, das sind rund zwei Drittel der Gesamtmuskulatur

Die Organmuskulatur oder glatte Muskula(650 Muskeln). Gemeinsam mit Knochen,

das heißt, sie kann nicht bewusst beeinflusst werden – wie etwa die Peristaltik unseres Darms.

Eine Sonderstellung unter den Muskeln nimmt unser Herz ein (siehe Box Seite 23).

TRAININGSTIPPS FÜR EINE FITTE MUSKULATUR

Achten Sie besonders zu Beginn Ihres Trainings auf ein Ganzkörpertraining, bei dem alle großen Muskelgruppen gekräftigt werden.

Beine Bauch unterer Rücken / oberer Rücken Brust Schultern Arme – Armbeuger und Armstrecker

Ihr Start: 7 Übungen, die man mind. 2–3 Mal pro Woche machen sollte!

Im weiteren Verlauf kann man die Trainingsfrequenz und vor allem die Trainingsintensität steigern. Wichtig! Legen Sie zwischen den Trainings unbedingt einen Pausentag ein – z. B. für Ausdauertraining (laufen, schwimmen). Denn: Der Muskel baut sich ausschließlich in der Erholungsphase auf. Im Training kommt es – wie fast überall – auf das richtige Verhältnis von Be- und Entlastung an! Mit gesteigerter Trainingsfrequenz geht man vom Ganzkörpertraining (während einer Einheit) am besten auf ein Split-Training über. Das bedeutet: Man teilt das Training der einzelnen Groß-Muskelgruppen über die Woche auf.

FASZIENTRAINING Dehnen bzw. Stretching ist vor allem für die Faszien wichtig.

Trainieren kann man seine Faszien über das – mittlerweile bekannte – Rollen, aber auch Stretchingeinheiten sind sehr effektiv. Dazu wählt man am besten 3–4 Übungen aus und hält jede der Dehnpositionen für mind. 2 Minuten.

Auch Yoga ist ein ideales Faszientraining – speziell Yin-Yoga oder das eigens entwickelte Faszienyoga.

Dr. med. Peter B. Barth

Arzt für Allgemeinmedizin, Mayr-Arzt

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