10 S. marfa @Orpheus 03/20

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Eine TV-Show greift das extremste mögliche Resultat der momentanen CoronaKrise vorweg: „The Masked Singer“ könnte bald schon Realität auf Deutschlands und anderer Länder Bühnen werden - sofern dann überhaupt wieder jemand live vor Publikum spielen darf. Aber brauchen wir das dann überhaupt noch? Man kann doch wunderbar alles und jeden streamen. Da wird das Netz zum Maskenball ...

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COVID-19 Foto: Christopher Dombres on www.flickr.com https://www.flickr.com/photos/christopherdombres/7500217822


Der Virus mit Namen MP3, der der Musikindustrie durch das plötzlich so einfache Kopieren und Teilen von Musik gehörig an die Gesundheit ging, sollte die Wertigkeit von Musik beim Kunden massiv schwächen. In Zeiten von Corona tun das Kulturinstitutionen im großen Stil selber. Sie zeigen, was in ihnen steckt. Kostenlos und für jedermann. Sie schwächen damit durch ein eindeutiges Überangebot an alltäglich verfügbaren Opern- und Konzertstreams - zumindest temporär - das, was für ihren Erfolg so entscheidend ist: Die Einzigartigkeit des Live-Erlebnisses im eigenen Haus. Wir haben aus der Geschichte offenbar nichts gelernt. Eine kritische Betrachtung.


Klassik in Zeiten von Corona

Da sitzen wir nun. Daheim. Eingeschlossen in unsere uns sonst so heilige eigene Privatsphäre, die uns nie so eng, so erdrückend vorkam. Niemand weiß, wie lange das noch so weiter geht. Niemand weiß, wie die „Zeit danach“ in einer post-coronialen Welt überhaupt aussehen soll – und niemand weiß, wann sie wieder öffnen, die Türen zu unseren Kultureinrichtungen, Theatern, Opern- und Konzerthäusern. Was wir allerdings schon wissen, wenn wir uns trotz der in vielen Bereichen der digitalen Infrastruktur hierzulande recht ärmlichen Rahmenbedingungen in die weiten der digitalen Parallelwelten aufmachen? Dass Igor Levit daheim ohne Schuhe und nur in Socken Klavier spielt. Dass eine gute Tonübertragung und einwandfreie Bildqualität in Zeiten von Corona keine Rolle mehr spielen – nicht einmal mehr in Live-Schaltungen bei Anne Will. Dass Theater und Opernhäuser einen nahezu unendlichen Schatz an zuvor bestens versteckt gehaltenen Inszenierungsaufnahmen besitzen. Und dass der Mensch sich in Zeiten der durch eine wie auch immer gearteten Krise hervorgerufenen Isolation offenbar nach nichts mehr sehnt als nach Kultur.

Von Alexander Busche Fotos: Gauthier Delecroix https://www.flickr.com/photos/gauthierdelecroix

Singen hilft gegen Angst. Klingt esoterisch, ist aber wissenschaftlich bewiesen. Wenn wir singen, wird der Teil des Gehirns ausgeschaltet, der für Angstgefühle zuständig ist. In der perversesten Art der praxisnahen Umsetzung dieser Erkenntnis in unserem Alltag werden Soldaten singend in den Kampf geschickt. Wir kämpfen auch gerade. Gegen die Angst eines nicht sichtbaren und für viele nicht einmal spürbaren Gegners, der unsere Gesellschaft lähmt und durchdringt. Die Menschen singen. Sie singen gegen den Virus an. Sie singen auf Balkonen in den Straßen, in der Küche, im Bad, in ihrem Schlafzimmer – und streamen all das ungefiltert und ununterbrochen in jede noch so hintere Ecke virtueller Welten der unendlichen Weiten des Internets. Plötzlich scheint alles vergessen, was ihnen zuvor hoch und heilig war. Völlig irrelevant, wie sehr sie in prä-coronialen Zeiten ihre eigene Privatsphäre, ihren Datenschutz, den Einblick in ihre eigenen vier Wände gegen jedwede Form der Öffentlichkeit verteidigt haben. Jetzt singen sie. Und besiegen damit womöglich auch die Angst vor der Missachtung des Datenschutzes durch Drittparteien.


Kulturinstitutionen gehen hierzulande anders mit der Situation um. Sie bekämpfen die Angst vor der Vergessenheit im Bewusstsein ihres Publikums nicht damit, dass sie selbst singen, sondern dass sie singen – oder spielen – lassen, und zwar in einer nicht mehr zu überblickenden Anzahl an Live-Streams eigener Aufführungsaufzeichnungen aus dem Archiv oder eigens für diesen Zweck hergestellter Inhalte ihrer Mitarbeiter. Einmal ganz abgesehen davon, dass ein Musiker per se nicht unbedingt auch ein guter Schauspieler oder – die Spitze der Selbstüberschätzung – gar ein Comedian ist, gibt es bei all diesen an sich so fantastischen Angeboten ein gravierendes Problem: Sie sind allesamt kostenlos und somit leider in den seltensten Fällen nachhaltig. Jede Krise birgt auch immer mindestens eine Chance in sich. Aus Krisen gehen nicht selten völlig neue Phänomene hervor. Das sind Tatsachen. Doch auch diese Krise zeigt, dass es nur wenig Auserwählte gibt, die vor allem im Bereich der Klassik daraus ein Geschäftsmodell machen. Versetzen wir uns kurz noch einmal zurück in das Ende der 90er-Jahre. Damals etablierte sich ein neues Dateiformat, das es allen und jedem auf einfachste Weise ermöglichte, Musik zu kopieren, zu teilen und über Raubkopien im Internet zu verbreiten.


Es kam zur Durchseuchung der Gesellschaft mit immer und überall jederzeit verfügbarer Musik – ohne Gebühr. mit oder


In den Augen der Musikindustrie eine Art Virus – ein Virus mit dem Namen MP3, der die Musikindustrie zu Boden zwang. Niemand war mehr bereit, Geld für Musik zu bezahlen. Apple rettete mit der Erfindung des iPods und später des iPhones zu Beginn des neuen Jahrtausends zwar zunächst die Lage, weil es nun plötzlich jedem möglich war, seinen Rechner und somit seine Musikdateien auf dem Handy mit sich herumzutragen – und zumindest die berühmten 99 Cent pro Track-Download zu zahlen. Aber dann geschah es: Auftritt Spotify! „Shut down“ für die sich gerade erst wieder erholende Musikbranche. Die Wertigkeit von Einzeltracks und somit die Wertschätzung der sich in einem jeden Musikstück verbergenden Arbeitsleistung eines Musikers durch das Individuum wurde kurzerhand gegen komplett kostenfreien Zugang oder einen monatlichen Pauschalbetrag zur Befreiung von lästiger Werbung eingetauscht. Oder anders gesagt: Es kam zur Durchseuchung der Gesellschaft mit immer und überall jederzeit verfügbarer Musik – mit oder ohne Gebühr.

Fortan wurde der Markt und somit das Schicksal der Musiker*innen dem Kunden in seiner neu definierten Funktion als ein für mündig erklärter Selbstentscheider ausgeliefert. Der Musikkonsum schoss schlagartig in die Höhe. Die Einnahmen der Musiker*innen taten dies nicht – vor allem nicht in der Klassik. Spätestens an dieser Stelle hätte es ausgeklügelter Modelle bedurft, um Spotify und seinen Mitstreitern am Markt Kontra zu bieten. Eine TaskForce-Gruppe der Major Labels zur Entwicklung eines eigenen Streaming-Dienstes wäre sinnvoll, wenn nicht unabdingbar für den heutigen Erfolg der KlassikLabels gewesen. Die künstliche Verknappung – und mit ihr die Schaffung von Exklusivität und Nachfrage – wäre auch heute


sicher noch eine gangbare Variante gegenüber der kompletten Preisgabe jeglicher jemals eingespielter Musik auf StreamingPlattformen. Kinofilme kommen dem Namen nach auch zunächst nur im Kino heraus, bevor sie der Allgemeinheit auf selten kostenlosen StreamingPlattformen preisgegeben werden. Warum sollte das mit einem Klassik-Album nicht funktionieren? Dazu fehlt es aus unerfindlichen Gründen in der Klassik an dem einen, so elementar Wichtigen: Am nötigen und angemessenen Selbstwertgefühl. Wir schaffen mit dem, was wir in der Kultur tun, nicht nur Werte, sondern damit auch Wert. Das Resultat unseres Schaffens kann man sich nicht ins Regal stellen, aber es ist im Grunde unbezahlbar, denn es ist sinnstiftend. Nicht umsonst – oder leider in den meisten Fällen eben doch – besinnen sich die Menschen gerade in Krisen auf die Bedeutung von Kultur, musizieren zusammen auch auf

Alles auf Anfang? Oder alles zurück auf die Situation vor der Krise? Eigentlich egal. Denn gekostet hat es ja eh niemanden etwas. Mal wieder nicht. Leider …

die Ferne in Videokonferenzen oder in zusammengeschnittenen Videos – und feiern mit der offen dargelegten Freude am Musizieren das Leben und sich selbst. Je mehr der Mensch sich aber im eigenen Musizieren in den Mittelpunkt der erzwungenen Isolation rückt, umso mehr ringen die geschlossenen Kulturinstitutionen um die Aufmerksamkeit ihres Publikums und zeigen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, auf ihrer Homepage oder in ihrem YouTube-Channel. Natürlich kostenlos – und offenbar ganz ohne Plan. Wenige Beispiele werden sicherlich mit größtem Vergnügen und einem nachhaltig aufgebauten Online-Kundenstamm aus dieser Krise hervorgehen. Dazu zählen beispielsweise Angebote wie die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker oder der Musical-Streaming-Anbieter Broadway HD, die als ohnehin existente Bezahl-Angebote zur Quarantäne-Zeit der Krise für alle kostenlos zugänglich sind oder mit freien Probewochen und -angeboten zahlende Kunden heranziehen. Alle anderen werden leider feststellen müssen, dass ein Großteil der Menschheit – sofern sie das kostenlose Kulturangebot überhaupt wahrgenommen haben – auch nach der Krise nicht zu ihnen kommen. Oder es aus dem Grund wieder tun, weil sie es vorher auch getan haben.


Gustaf kämpferisch maskiert I 1. Akt I König Gustaf III. hält seine Morgenaudienz, als wäre es eine Theatervorstellung. Der androgyn maskierte Page Oskar überreicht dem König die Gästeliste eines bevorstehenden Maskenballs. Gustaf entdeckt darauf den Namen Amelias, der Frau seines besten Freundes René Anckarström, die er heimlich liebt. Eine Verschwörung gegen den König bahnt sich an. René warnt ihn, aber der König unterschätzt die Gefahr. Auch den Orakelspruch der geheimnisvoll maskierten Wahrsagerin Ulrika nimmt er nicht ernst: Er würde von dem, der ihm zuerst die Hand reichen wird, getötet. Es ist sein Freund René Anckarström, der ihn mit Handschlag begrüßt. Ein kämpferisch maskierter Gustaf verlacht das Orakel. I 2. Akt I Gustaf und eine elegant maskierte Amelia treffen sich um Mitternacht auf der Richtstätte. Er fordert sie auf, ihm ihre Liebe zu gestehen, als René unerwartet auftaucht, um den Freund erneut zu warnen. Er tauscht den Mantel mit dem König, damit dieser unerkannt fliehen kann, und verspricht, die verschleierte Unbekannte zurück zur Stadt zu geleiten. Die Verschwörer kommen und greifen den vermeintlichen König an. René gibt sich zu erkennen. Seine Frau Amelia wirft sich zwischen die Kämpfenden und lässt dabei ihren Schleier fallen. Als betrogener Ehemann verspottet, will sich René den Verschwörern anschließen.

Ulrika geheimnisvoll maskiert

I 3. Akt I Als Oskar, der Page des Königs, René die Einladung zum Maskenball bringt, beschließt dieser, den Ball für Gustaf zum Totentanz werden zu lassen, ohne zu wissen, dass sich der König bereits gegen die Liebe und für die Pflicht entschieden hat. Als er von Amelia Abschied nimmt, wird er vom verschwörerisch maskierten René erschossen.

René

verschwörerisch maskiert


Melodramma in drei Akten Musik I Giuseppe Verdi Libretto I Antonio Somma Literarische Vorlage I Eugène Scribe: „Gustave III. ou Le bal masqué“ Uraufführung I 17. Februar 1859 Teatro Apollo Roma Spieldauer I ca. 2 1/4 Stunden Ort und Zeit I Stockholm und Umgebung, 1792

Amelia

elegant maskiert

LOOKS like OPERA I NEONYT MBFW Berlin Januar 2020

Oskar androgyn maskiert

Hintergrundfoto: Blanca https://www.flickr.com/photos/blancalala/5791389947


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GUY FAWKES MASK - LEFT SIDE

LAST CALL

Foto Maske: Erma Mitchell, https://www.flickr.com/photos/185690930@N08/49114102977 Foto Bastelbogen: OperationPaperStorm, https://www.flickr.com/photos/thinkanonymous/5287506011

ihrem Einsatz im Film „V wie Vendetta“ (2005) zu einem bekannten Symbol für die Online-Hacktivisten-Gruppe „Anonymous“. Fortan kam die “Anonymous Mask“ bei vielerlei Protesten gegen Regierung und Establishment auf der ganzen Welt zum Einsatz. Da mit jedem Kauf einer Originalmaske Time Warner eine Lizenzgebühr bekam, entwarfen kreative Aktivisten Papiervorlagen wie diese hier zum Selberbasteln. Teile ausschneiden, an den weißen Klebeflächen zusammenkleben - fertig! Viel Spaß damit ...

GUY FAWKES MASK - RIGHT SIDE

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OPER‘n‘OUT_V

Die Guy Fawkes-Maske ist eine stilisierte Darstellung von Guy Fawkes, dem bekanntesten Mitglied des „Gunpowder Plot“. Die Verschwörung war ein Versuch, das „House of Lords“ in London am 5. November 1605 in die Luft zu jagen, um wieder ein katholisches Staatsoberhaupt einzusetzen. Die stilisierte Darstellung eines Gesichts mit einem Lächeln, roten Wangen, einem breiten Schnurrbart und einem dünnen vertikalen Spitzbart, die vom Illustrator David Lloyd entworfen wurde, entwickelte sich nach


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