Bond´s bunte Welt

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Bond‘s bunte Welt


Enten in Oldenburg


editorial

Willkommen bei BOND´S BUNTE WELT.

Vor einigen Wochen habe ich überlegt, einen Blog zu starten. Die Welt ist einfach so unglaublich reich an komplexen, verwo­ benen, faszinierenden und berichtenswerten Zusammenhängen. Ich wollte gern mehr wissen, z.B. über das wundersame Leben des Aals. Oder zur Frage, ob sich Tauben aus Berlin mit Tauben aus Venedig verständigen können. Oder zu den vielen Wellen, Neutrinos und Sonstigem, das unbemerkt durch unseren Körper rauscht. Oder dazu, wie unser Sehen funktioniert und was es mit diesen Spiegelneuronen auf sich hat, die uns im Kino mitfiebern lassen. Und warum Frauen leichter frieren als Männer. Das und vieles mehr wollte ich herausfinden und darüber schreiben. Dann brainstormte ich in guter Marketing-Manier zur Zielgruppe: Familie, Freunde, ­ Bekannte (na klar), aber auch mein Netzwerk, also viele liebe Menschen aus Agenturen und Redaktionen, ehemalige Kollegen und Chefs etc. sollten Leser sein. Damit erschien mir die Idee des Blog hinfällig; irgendwie zu klein, zu schnelllebig, nicht haptisch genug, und zudem leben wir alle doch schon genug in und mit den digitalen Medien, oder? Die Geschichten und Bilder brauchten ein Magazin als Rahmen! Tja, und das Ergebnis halten Sie / hältst Du gerade in der Hand – planmäßig zum Start in die gemütliche Adventszeit, denn um Weihnachten hat ja eh keener Zeit zum entspannten Schmökern und im Januar geht´s zum Skilaufen oder gleich zurück in die Tretmühle. Es war ****** viel Arbeit, Herausgeber, Redaktion und Bildredaktion in einer ­ Person zu sein, aber auch mächtig interessant. Ein gutes Projekt und ich hoffe, dass ich Ihre / Deine Adventssonntage, Flugstunden, Zugfahrten, Mittagspausen damit ein wenig bereichern kann. Feedback is welcome: marcus.bond@ bond-pr.de (oder persönlich). Ein herzliches Dankeschön an Christiane, Daniel, Georg, Hendrik, Stephan, Gunter Dueck und Helmut Kaplan für ihr Mitwirken und ihre Beiträge! 1.000 Dank auch an ­ Michaela und Yvonne für den tollen gestalterischen Rahmen und an Kristina und Nadja für das Korrekturlesen und die wertvollen Tipps. Sowie an meine Mutter, meinen Vater (the real James Bond), Norbert, Yvonne und alle Freunde & Förderer, ohne die nichts so wäre, wie es ist.

Na dann viel Spaß und eine gute Zeit!

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INHALT 03

Inhalt

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Editorial

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Inhaltsverzeichnis

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Gestatten, Aal! – Über ein bekanntes, unbekanntes Wunderwesen

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Leben zwischen Berlin und Beijing – Wie tickt die neue, alte Weltmacht?

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Qashqai & Co. – Zur Etymologie kommerzieller Namen

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I love BIER

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Am Meer

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Die Macht des ersten Eindrucks

39

Kokovorismus – Auf den Spuren von August Engelhardt

42

Fotos und Statements zu fleischloser Ernährung

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ORGAN2/ASLSP – Das längste Konzert der Welt

55

Tschernobyl heute

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3 Stunden in Benidorm

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Kolumne: Nichts ist mehr wahr – dank TV-Gladiatoren-Polar-Talk

73

Frauen, esst mehr Baked Beans!

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Langeweile an der Weihnachtstafel?

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Spendentipp

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Impressum


04 Gestatten, Aal!

Anguilla anguilla


Gestatten, Aal! 05

Gestatten, Aal! – über ein bekanntes, unbekanntes Wunderwesen von Marcus Bond

Der Aal ist klar unterbewertet! So kurz sein Name, so karg das allgemeine Wissen über das Tier. Viele kennen ihn als Räucherfisch. Einige wissen dann noch (aus der Grass´schen Blechtrommel – da werden Aale mit einem Pferdekopfkadaver gefangen), dass er Aasfresser ist. Doch weit gefehlt: Der Aal besitzt einen der besten Riecher auf unserem Planeten und isst nur Frisches. Er ist zudem Meister der Navigation, durchschwimmt zielsicher ganze Ozeane und scheut selbst den Landweg nicht! Er kann bis zu 18 Monate fasten und vollzieht mehrere Metamorphosen. Ein ziemlich beeindruckendes Tier, das ähnlich wie Panda und Eisbär jedoch zu den bedrohten Arten zählt. Schon Aristoteles rätselte Der Lebenszyklus des Europäischen Aals gab den Menschen über Jahrhunderte Rätsel auf. Den Stein der Aal-Forschung brachte Aristoteles vor rund 2.400 Jahren ins Rollen. Obwohl für seine Logik berühmt, brachte er dazu nur nebulöse Vermutungen hervor, wie: „Aale entstehen spontan im Schlamm“ oder „Aale werden von Erdwürmern geboren“. Er konnte seine Behauptungen nicht beweisen; widerlegen konnte sie aber auch niemand. Später dann, im Mittelalter, wurden Aale den Schlangen zugeordnet. Manch einer sagte, Aale und Schlangen würden sich zumindest paaren. Die Wissenschaft tappte im Dunkeln. Nie wurde auch nur ein Hinweis auf Ei- und Samenzellen oder Aallarven gefunden. Selbst in einer berühmten Aalfischerei im italienischen Comacchio, die über Jahrzehnte Millionen der schlänglichen Tiere gefangen und ausgenommen hatte, fand man keine Indizien zur Fortpflanzung. Doch irgendwie und irgendwo mussten diese Tiere doch entstehen … Forschungen von Freud und Carlsberg klären auf Erst Sigmund Freud brachte Licht in diese Blackbox. Er startete seine Karriere nicht mit der Psychoanalyse, sondern als forschender Tiermediziner. Sein erstes Forschungsobjekt waren die Fortpflanzungsorgane des Aals. 1876 stieß er auf „weißliche Gewebeschleifen“ in der Körperhöhle des Aals und beschrieb diese in seiner ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung treffend als Aalhoden. Wenige Jahre später trug die dänische Carlsberg Brauerei zur weiteren Erforschung bei. Warum eine Brauerei Fische erforscht? Amors Pfeil war schuld daran. ­

Die Erbin des Brauerei-Imperiums bandelte nämlich mit einem jungen, adretten Meeresforscher namens Johannes Schmidt an. Dieser überzeugte seine Verlobte und dann die Herren aus der Brauerei-Direktion, dass die Erforschung von Kabeljau und Hering im innersten Interesse jedes patriotischen Dänen liegen müsse. Ein florierendes Unternehmen wie Carlsberg sei verpflichte­t, seinen Beitrag zur nationalen Vormachtstellung auf hoher See zu leisten (der Schwede würde schließlich nicht schlafen und auch im Maritimen gehe es um nationales Prestige). Das zog. 1904 segelte Schmidt mit einem gut ausgerüsteten Forschungsschiff über den Atlantik. Kurs: Weit raus zu den Färöer-Inseln. Und wer landete da als Beifang in den Schmidt´schen Netzen? „Anguilla anguilla“ (der Europäische Aal). Große Verwunderung an Bord. Wie nur kommen Jungaale bzw. Aallarven in dieses entfernte Gewässer? War es denn möglich, dass die Aale, die in dänischen Bächen lebten, auf hoher See mitten im Atlantik laichten? Schmidt nahm Fährte auf. Immer weiter Richtung Amerika folgte er den Aallarven, wie sie klein und kleiner wurden, bis in die Sargassosee, einem Gebiet östlich von Florida und südlich der Bermuda-Inseln. Hier, 5.000 Kilometer fernab der Heimat, müsse das Laichgebiet des in europäischen Flüssen lebenden Aals liegen, so seine Vermutung. 1923 schrieb Schmidt in sein Tagebuch: „Eine Larvenwanderung von solcher Entfernung und Dauer [...] ist im Tierreich einzigartig. Es ist kein anderer Fall bekannt, bei dem ein Fisch ein Viertel des Erdumfanges zurücklegen muss, um sein Leben zu beginnen und zu vollenden.“ Schmidt sollte mit seiner These Recht behalten.


06 GeStatten, aal!

Einmal Sargassosee, Europa und zurück bitte Stellen Sie sich vor, man setzt Sie in Italien in ein Motorboot, ohne Navigationsinstrumente, und Ihre Aufgabe besteht darin, nach Afrika zu schippern. Mit viel Glück schaffen Sie das. Nun wird es schwieriger, denn die Aufgabe lautet „von den Bermudas an die französische Küste“. Die meisten würden hierbei versagen. Nicht so die Aallarve, denn für das millimeterkleine, nahezu durchsichtige Tier beginnt mit ebendieser Aufgabe sein Leben. Sie kennt den Weg. Woher? Gute Frage! Die Larven benötigen etwa drei Jahre, um an die europäischen Küsten zu gelangen. Während man früher annahm, dass sie sich dabei rein passiv vom Golfstrom treiben lassen, weiß man heute, dass die Larven aktiv navigieren. Kurz vor Europa angekommen, zeigen Larven eine negative Phototaxis, d.h. sie ziehen aktiv von Lichtquellen weg. Ansonsten würden sie vom Golfstrom zu nah an die Küsten getrieben werden, noch bevor sie eine Anpassung an das Brackwasser vollzogen haben. Weshalb sie überhaupt diese biologisch fragwürdige Reise quer durch den Ozean unternehmen, ist unbekannt.

Vor der Küste Europas wandeln sich die Aallarven zu ca. 7 cm langen Glasaalen, die dann in Richtung der Flussmündungen ziehen. Hier lauern viele Gefahren: Schicksal 1: Das Tier wird als Glasaal gefangen und in Aalfarmen (meist in den Niederlanden) gemästet. Der Aal landet dann nach zwei bis drei Jahren zumeist geräuchert auf dem Teller. Allein in Europa werden jährlich etwa 25 Millionen kg Aal gegessen, was gegen den Verzehr der Japaner (100 Millionen kg) eher bescheiden ist. Japaner stehen auf gegrillten Aal (kabayaki). Sie glauben, Frauen bekommen durch häufigen Genuss von Aalfleisch schöne Haut. Und sie sprechen ihm vor allem im Sommer Red Bull´sche Fähigkeiten zu; denn Aal konsumieren verleiht Energie. Die Fische werden fast ausschließlich in speziellen Aal-Restaurants verspeist. Schlachten, Ausnehmen und Zubereiten der Tiere erfordert Fachkenntnisse, denn ihr Blut enthält ein Nervengift, das erst durch Kochen oder Räuchern seine Wirkung verliert.

Schicksal 2: Er wird als Glasaal gefangen und als Delikatesse verspeist. Die Preise für ein Kilo – das entspricht ca. 3.000 bis 4.000 Fischen – liegen bei 600 bis 1.000 Euro. Sie können sich vorstellen, wie konsequent Fischer in Spanien, Portugal, Frankreich und anderswo auf Glasaalfang gehen. So, als würde da Gold im Wasser herumschwimmen. Die gefangenen Glasaale landen dann vor allem in Asien (hauptsächlich in China) auf den Tellern reicher Menschen. Die wenigen Glasaale, die es bis in die Flüsse schaffen, wandeln sich in pigmentierte Süßwasserfische, den ca. 10 cm langen Steigaalen. Aber auch das Steigaal-Leben ist kein Zuckerschlecken. Er muss sich über Flussbebauungen, wie Dämme und Betonwälle, hochkämpfen, ist übler Wasserverschmutzung ausgesetzt und findet immer weniger Lebensräume, wie etwa urige FlussAltarme. Die Tiere brauchen ruhige, warme Gewässer mit schlammigen Böden und Würmern oder Insektenlarven als Nahrung. Diese Lebensräume wurden über die Jahrzehnte vom Menschen okkupiert, zugeschüttet und in Gewerbegebiete, Siedlungen, Fußballplätze und Sonstiges umfunktioniert. Heute findet man Aale vor allem in Seen und Tümpeln. Diese erreichen sie häufig auch über den Landweg (!). Aale gehören zu den wenigen Fischen, die auch über die Haut atmen können. Sie schlängeln sich vornehmlich nachts über feuchte Felder und Wiesen, um in stehende Gewässer mit den für sie optimalen Lebensbedingungen zu kommen. Dort wandeln sie sich zu Gelbaalen um und verlassen bis zur Geschlechtsreife (12 bis 15 Jahre bei den Weibchen; die Jungs sind in 6 bis 9 Jahren so weit) nicht mehr ihr Gebiet. In dieser Zeit drohen nur Angler und – viel schlimmer – der aus Asien eingeschleppte Schwimmblasenwurm (Gefahr Nr. 3). Er zerstört die Schwimmblase des Aals, was seinen späteren Rückweg in die Sargassosee unmöglich macht. Gelbaale sind sehr lichtscheu und verbringen den Tag in selbstgegrabenen Schlammhöhlen, aus denen oft nur der Kopf herausschaut. Sie ernähren sich vorwiegend von frischen Larven und nicht von Aas. Es ist zwar richtig, dass früher Viehköpfe zum Fischfang genutzt wurden. Der lichtscheue Aal hat sich darin jedoch tagsüber nur versteckt. Fischer wissen, dass Aale bestenfalls frisch getötete Köder fressen, niemals aber verweste. Gelbaale sind sehr ortsgebunden. Eine Studie fand heraus, dass sich Aale in einem Bach innerhalb eines Jahres nur wenige Meter vor- und zurückbewegten. In einer anderen Untersuchung wurden sie in ein 200 km entferntes Gewässer gebracht. Sie waren noch nach einem Monat in der Lage, ihr Heimgewässer wiederzufinden. Dabei zeigte es sich als relativ unerheblich,


GeStatten, aal! 07

ob der Rückweg über Wasser oder teilweise über Land (!) erfolgen muss. Den Aal drängt es zurück Wenn die Geschlechtsreife naht, machen sich die Tiere auf den langen Rückweg gen Bahamas. Selbst bei Aalen in Gefangenschaft ist dieses unbändige Heimweh zu beobachten. Sie versuchen sich dann mit aller Gewalt durch die Filteranlagen von Aquarien zu quetschen oder schwimmen full speed gegen ihr Glasverlies an. Das endet oft mit dem Tod. Die freilebenden Aale werden zwischen Oktober und November, bei mildem Wetter auch noch im Dezember, unruhig und ziehen los. Vor allem bei richtig schlechtem Herbstwetter, wenn es stürmt und regnet, scheint sich die Reiselust der Aale zu erhöhen. Dann geht´s zurück über Land in kleine Bäche, Flüsse und große Ströme wie Rhein, Weser, Ems, Elbe und Oder. Hier lauert Gefahr Nummer 4: In den letzten Jahrzehnten wurden an den Flüssen Mitteleuropas etliche Wasserkraftwerke gebaut. Für viele Fische sind die Rotoren der Turbinen kein Problem; für den bis zu 1,40 Meter langen Gelbaal sehr wohl. Er wird in diesen „nachhaltigen“ Stromgewinnungsanlagen häufig zerhackt oder zumindest verletzt. Während der letzten Phase in den Binnengewässern und auf dem Weg zurück zum Meer verändern sich die Körpermerkmale der Tiere: Ihre ursprüngliche Färbung wechselt von grün-braun zu silbrig-grau, der After zieht sich ein und die Augen vergrößern sich – der Gelbaal wird zum Blankaal und damit wieder zum Salzwasserfisch. Dieser Umwandlungsprozess dauert rund vier Wochen. In dieser Zeit wird die Nahrungsaufnahme immer weiter eingeschränkt und schließlich ganz eingestellt. Der Verdauungstrakt bildet sich komplett zurück. Stattdessen entwickeln sich die Geschlechtsorgane, die später die gesamte Leibeshöhle einnehmen. Das Umfärben ist vermutlich eine Anpassung an die Gegebenheiten des offenen Meeres – dort ist ein silbrig-glänzender Unterbauch weniger auffällig und weniger gefährlich als ein gelber. Auch die vergrößerten Augen der Tiere könnten eine weitere Anpassung an die Gegebenheiten des Meeres sein. Haben Sie schon einmal gefastet? Nur ein oder zwei Wochen nicht essen und die Körperreserven anzapfen ist anstrengend. Der Aal fastet 12 bis 18 Monate. So lange dauert sein Rückweg in die Sargassosee. Eine Zeit vollständig ohne Nahrung. Die Energie für den „Umbau“ vom Gelb- zum Blankaal und für die lange Schwimmstrecke zum Laichort entnehmen die Aale ausschließlich ihren Fettreserven, die sie sich im Laufe der Jahre angefressen haben. Aale gehören zu den so genannten „Fettfi-

schen“, denn ihre Körpermasse kann bis zu 30 Prozent aus Fett bestehen, deshalb sind sie auch besonders schmackhaft (Fett ist ein wichtiger Geschmacksträger). „Zu Hause“ angekommen, laichen sie vermutlich in Tiefen von 500 bis 2.000 Metern (Genaues ist nicht bekannt; der Liebesakt wurde nie beobachtet) und sterben dann entkräftet. Aale schwimmen tagsüber in kühlen Gewässern zwischen 200 und 1.000 Metern Tiefe (vermutlich weil sie dort vor räuberischen Vögeln geschützt sind) und nachts in wärmeren Oberflächenbereichen. Dabei legen sie auf den ersten etwa 1.300 Kilometern nur 5 bis 25 Kilometer pro Tag zurück. Würden sie diese Geschwindigkeit konstant beibehalten, würden sie es nicht bis an ihr Ziel schaffen, sondern vorher verhungern. Sie scheinen zu wissen, dass ihnen ab Kilometer 1.300 für die Reststrecke eine starke Strömung als Turbo zu Hilfe kommt. Schon faszinierend, dass der Aal ohne jegliche Erfahrungswerte mit seiner ihm gegebenen Energie, ohne Nahrungsaufnahme, eine solch lange Zeit exakt haushalten kann und nicht zu schnell oder zu langsam schwimmt. Beeindruckend ist auch die Navigationspräzision, mit der er den Ozean durchquert. Wie macht er das, so ganz ohne Navi? Liegt es am guten Riecher? Supernasen der Natur Zum Teil. Der Aal ist in der Lage, einzelne Geruchs- oder Geschmacksmoleküle wahrzunehmen. Er hat ein unvorstellbar feines Unterscheidungsvermögen für Geruchsstoffe – eines der besten auf diesem Planeten. Mit seinen röhrenartig ausgebildeten Nasenlöchern kann er eine Geruchsspur in allen drei Dimensionen wahrnehmen und verfolgen. Er kann also riechend „sehen“ – und das über Kilometer. Versuche haben ergeben, dass er wenige Tropfen eines Duftstoffes (1 cm3) noch in einer Wassermenge wahrnehmen kann, die 58-mal derjenigen des Bodensees (!) entspricht.


08 Gestatten, Aal!

Apropos guter Riecher: Welches Tier kann noch besonders gut riechen? Ja, richtig, der Hund. Aber auch Schmetterlinge gehören zu den „Top-Supernasen“. Schmetterling-Männchen können einzelne Duftmoleküle wahrnehmen und das Mischungsverhältnis verschiedener Duftstoffe exakt bestimmen. Paarungswillige Männchen können schnuckelige Schmetterlingsdamen auf einen Kilometer und mehr erriechen. Der deutsche Name „Schmetterling“, 1501 erstmals belegt, hat übrigens nichts mit Schmettern zu tun. Er kommt vom slawischen Wort „Schmetten“ (das heißt Schmand/Rahm). Schmetterlinge riechen, wenn Rahm geschlagen wird. Die englische Bezeichnung „butterfly“ weist in dieselbe Richtung: Die Tiere werden vom Duft des Butterschlagens angelockt.

Tierischer Magnetsinn Kann also der Aal seinen langen Weg durch Ozean und Flüsse erriechen? Die Antwort ist „jein“. Er kann sehr wohl den Weg vom Ozean in die Flüsse per Geruchssinn bestimmen. Riechend den Weg durch einen ganzen Ozean zu finden, ist aber aufgrund der Entfernung, der Strömung und der enormen Wassermenge nicht einmal für den Aal möglich. Das wurde in Versuchen bestätigt: Versuchsaalen wurden die Riechgruben künstlich verstopft, und sie haben dennoch unbeirrt ihr Ziel gefunden. Alles spricht dafür, dass sich Aale am Magnetfeld der Erde orientieren. Auch Vögel, die gezielt über Tausende Kilometer zwischen den Kontinenten, über Meere, Wüsten und Gebirge fliegen, orientieren sich anscheinend am geomagnetischen Feld. Ebenso Tauben, Hamster, Mäuse, Hühner, Pferde, Kühe und etwa 50 weitere Tierarten. Ein Indiz für die Funktion des Bio-GPS haben Wissenschaftler erst dieses Jahr gefunden: das in Zellen eingelagerte Eisenoxid-Mineral Magnetit. In diesen Zellen wird die Information über das Magnetfeld in einen Nervenreiz umgewandelt, der wiederum dem Tier die Richtung weist. Außerdem wurde eine Gruppe von Eiweißen, die so genannten cryptochromen Proteine, als Basis des Magnetsinns ausgemacht. Sie reagieren auf Magnetfelder mit chemischen Reaktionen – und übersetzen auf diese Weise die unsichtbaren magnetischen Informationen in optische Reize. So können beispielsweise Rotkehlchen diese Felder nicht nur wahrnehmen, sondern sie tatsächlich sehen. Aber auch hier sind noch nicht alle Rätsel gelöst.

Bedrohte Tierart Aale gibt es seit etwa 50 Millionen Jahren. Heute ist der Aal eine bedrohte Tierart. Ob Amerikanischer, Europäischer oder Japanischer Aal: Überall gehen die Bestände zurück. Lachs und Forelle kann man reproduzieren und züchten. Beim Aal ist das nicht möglich. Er ist eines der wenigen Tiere, die sich nur in ihrer natürlichen Umgebung fortpflanzen. Die EU-Fischereiminister haben mittlerweile reagiert und ein europaweites Rettungsprogramm für den Aal beschlossen. Internationale Handelskontrollen sollen den Europäischen Aal vor dem Aussterben schützen. Bis 2013 sollen zudem über mehrere Zwischenschritte 60 Prozent der gefangenen jungen Glasaale zur Erholung der Bestände in europäischen Gewässern ausgesetzt werden. Wie gut oder schlecht das Programm funktioniert, wird sich zeigen. Die Chancen für den Aal stehen nicht sonderlich gut. Die Nachfrage wird eher steigen: Schaut man sich die groteske Walfangpolitik der Japaner an, ist nicht damit zu rechnen, dass sie ihren Aalhunger mindern. Man hätte auch Schwierigkeiten, Amerikaner dazu zu bewegen, weniger Auto zu fahren (nur weil sich die Erde so ein bisschen erwärmt). Ungehemmter Fischkonsum ist in Japan wie individuelle Mobilität in den USA eine Art Grundrecht (wobei ein Leben lang Fisch essen s­ icher gesünder ist, als stets mit dem Auto zu fahren, aber darum geht es hier ja nicht). Und der Aal-Appetit der 1,3 Milliarden ­Chinesen wird mit zunehmendem Wohlstand eher wachsen.


Gestatten, Aal! 09

Das Angebot zu beschränken wird schwierig: Die südeuropäischen Staaten haben wohl noch auf Jahre hinaus drängendere Probleme, als dass sie ihren Fischern mit zunehmenden Fangkontrollen für Glasaale zu Leibe rücken. Und selbst ein paar tausend Euro Strafe können nicht abschrecken, schaut man sich die Gewinnmagen an.

Und last but not least: Es fehlen die mahnenden Stimmen in Medien und Gesellschaft. Wer wird sich schon aktiv für einen schlangenähnlichen, aasfressenden Fisch ohne weitere Qualitäten (so die weitläufige Meinung) einsetzen, wenn doch auch der niedliche Panda, der Tiger und der Eisbär vom Aussterben bedroht sind?

Die Gefahr durch Flusskraftwerke wird eher steigen, denn der Ausbau regenerativer Energiequellen steht in ganz Europa auf der Agenda.

Bleibt zu hoffen, dass die EU-Fischereiminister einen guten Job machen und gegen die globale Aal-Lobby eine Chance haben.

Saragossasee Florida Cuba


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Leben zwischen Berlin und Beijing 11

Leben zwischen Berlin und Beijing – wie tickt die neue, alte Weltmacht?

von Daniel Simon

Daniel Simon ist einer, der in viele, aber eigentlich in keine Schublade passt. Erst Karriere als Musiker, dann Gründung der Werbeschmiede PLANTAGE BERLIN und seit 2007 Chef der Markenagentur GREENKERN mit Büros in Berlin und Beijing. Mit seiner Mannschaft unterstützt er VW und andere Konzerne bei der Transformation ihrer Marken, in Deutschland, China, weltweit. Exklusiv für „Bond´s bunte Welt“ erklärt er, warum wir mit Meinungen zu China vorsichtig sein sollten. Diesen Sommer traf sich Fußball-Europa in Polen und der Ukra­­ine wieder zur EURO. Und vor den bundesdeutschen Fernsehern versammelten sich wie bei allen Großereignissen die 20 Millionen ehrenamtlichen Bundestrainer, die alle vorher schon wussten, dass Gomez zu absolut nichts zu gebrauchen ist. EURO? China? Die Parallele? Es sind vor allem jene Menschen, die noch nie einen Fuß in das Riesenreich gesetzt haben, welche sich aber offenbar bestens mit China auskennen. Da wird über Milchkaffees im Prenzlauer Berg die Menschenrechtsfrage diskutiert, ob Ai Weiwei nicht doch ein wenig überschätzt wird und wie Apple unter solchen Bedingungen bei Foxconn produzieren lassen kann. Die Bemerkung bekommt übrigens eine besondere Würze, wenn dann ein iPhone neben dem Milchkaffee liegt. Und nicht zu vergessen ... „Free Tibet!!!“ All dies sind zweifelsohne wichtige Fragen, die unter keinen Umständen trivialisiert werden sollten. Aber es sind Fragen, die eben auch komplex sind und nicht nach einfachen Antworten verlangen. Natürlich ist es nicht gutzuheißen, wie mit Liu Xiaobo umgegangen wurde und wird. Oder mit Ai Weiwei.

Und die Idee, einen alten Herrn mit Brille (Dalai Lama), dessen bevorzugtes Bekleidungsstück ein Bettlaken ist, als die Reinkarnation Satans zu stigmatisieren, ist schon aus PR-Gründen alles andere als em­­pfehlenswert. Aber bevor man sich ein Urteil bildet, empfiehlt sich ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher. Das macht vieles nicht besser, aber man beginnt zu begreifen. Man begreift, dass der Umgang mit der eigenen Meinung in China, die Herausbildung und die Äußerung derselben, kulturell keine Wurzeln haben in diesem Land. Das Instrument der eigenen Meinung hat keine Tradition. Wir in Mitteleuropa haben uns dieses Instrument er­kämpft, und wir alle wissen, dass das nicht immer gut gegangen ist. Also, Geschichtsbücher:

Chinas Beitrag zur Weltwirtschaft (BIP) be­trug bis zur industriellen Revolution, von kleinen Schwankungen abgesehen, immer um die 35 Prozent. Dann ging‘s bergab.


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Zwei Opium-Kriege gegen England, diverse Kriege gegen Japan, allesamt verloren und von schweren Demütigungen begleitet, die bis heute Narbengewebe im chinesischen Bewusstsein hinterlassen haben. Eine weitere Niederlage gegen den Westen während des Boxeraufstandes, dann der Bürgerkrieg, den Mao schließlich für sich gewann, woraufhin er die Volksrepublik ausrief, der „Große Sprung nach vorn“, der für 45 Millionen Chinesen ein Sprung in den Hungertod bedeutete und schließlich die Kulturrevolution – all diese Ereignisse haben Seele und Selbstverständnis der Chinesen entscheidend geprägt.

Selbsthygiene ist, dass in manchen Landesteilen Schreibtische die einzigen Vierbeiner sind, die nicht verspeist werden, dass im Straßenverkehr ganz offenbar jeglicher Überlebenswille über Bord geworfen wird – all das hat seine Wurzeln in der jüngeren und älteren Geschichte Chinas. Man muss nicht mitspucken, man darf sich die Hände nach eigenem Gusto waschen, man wird auch keinen Hungertod sterben, wenn man Labrador von der persönlichen Speisekarte streicht. Man sollte nur tunlichst vermeiden, diese Gewohnheiten am eigenen Wertesystem zu messen. Denn dann kann (man in) China nur scheitern.

Aufgrund dieser vergangenen knapp 300 Jahre lautet die grundsätzliche Haltung Chinas heute: „Wir wissen, dass bei uns nicht alles glatt läuft. Aber quatsch uns bloß nicht rein!“

Auch im Berufsleben sind Anpassung, Flexibilität und Verständnis wichtige Begleiter. Wir als Beratungsunternehmen stehen häufig vor einem Spagat. Wir helfen internationalen Unternehmen, ihre Markenstrategien auf nationaler Ebene zu implementieren. Nicht selten kollidieren dabei der internationale Anspruch („Wir wollen, dass ihr das so macht“) mit der chinesischen Realität vor Ort („Das funktioniert so aber nicht“). Häufig sind wir daher auch als Vermittler gefragt. Wir müssen unseren chinesischen Kunden vor Ort den für sie relevanten Mehrwert herausarbeiten und erklären. Und manchmal den europäischen Konzernlenker überzeugen, dass das in China wirklich keinen Sinn macht. Mit einer Wir-zeigen-euch-

Chinas Regierung und Bevölkerung sind von den Jahren ab 1839 bis heute so stark geprägt, dass jegliche Einmischung von außen aufs Schärfste abgelehnt wird - und zwar unabhängig von Sachthemen. Es geht ums Prinzip.

Im Laufe der Jahre lernt man seine Lektionen im Umgang mit China. Manche sind schmerzhaft, viele unterhaltsam, aber alle sind lehrreich. Nein, halt! Ich korrigiere: Sie können lehrreich sein, sofern man denn willens ist, sein Kategorien- und Wertesystem zu hinterfragen. Wenn nicht, wird man sehr, sehr schnell an die eigenen Frustrationsgrenzen stoßen. Dass man sich gerne vor dem Toilettengang die Hände wäscht und nicht danach, dass Spucken in Begleitung infernalischer Rotzgeräusche alltäglicher und öffentlicher Bestandteil der

mal-wie-das-geht-Attitude kämen wir nicht weit, und genau diese Geisteshaltung war schon für so manchen Expat die Buchungsgarantie für den Heimflug. One Way. So sind beispielsweise viele Unternehmen und Marken auf der internationalen Ebene zurzeit mit Hochdruck (und Recht)


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bemüht, ihre externe Wahrnehmung im Hinblick auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Innovation zu schärfen. In China bekommen diese Themen zwar auch spürbar mehr Gewicht, aber die Bevölkerung sieht weder sich noch die Unternehmen, sondern vor allem die Regierung in der Verantwortung. Die Tatsache, dass Umweltschutz vor der eigenen Haustür beginnt, ist noch nicht im chinesischen Kollektivbewusstsein angekommen. Noch nicht. Die Regierung hat diese Verantwortung angenommen. In den großen Zentren prägen Elektroroller das Bild, die Zulassung von Neufahrzeugen wird streng reglementiert und das öffentliche Nahverkehrssystem mit Vehemenz ausgebaut. Die Produktion von Solarstrom vervielfacht sich jährlich, und Firmen mit besonders hohem Schadstoffausstoß werden kurzerhand von einem auf den anderen Tag geschlossen. Übrigens eine grundsätzliche Charakteristik des Einparteiensystems.

Wenn man etwas für richtig hält, wird nicht Jahre diskutiert, sondern gehandelt. Im Dezember 2010 wurde beschlossen, dass 2011 in Beijing „nur noch“ 240.000 Autos neu zugelassen werden dürfen. Klingt viel, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass es in 2010 knapp über eine Million Fahrzeuge waren. Allein in Beijing! Das hat natürlich auch für uns Marketingschaffende Implikationen. Strategien, Kampagnen und Projektpläne müssen zum einen recht agil angelegt sein. Es ändert sich einfach zu viel, zu schnell. Und zum anderen die moderne Mediennutzung berücksichtigen. Während in den unbedeutenderen Städten (sagen wir mal mit bis zu sieben Millionen Einwohnern) klassische Medien in der Kommunikation noch eine gewichtige Rolle spielen, ist der Konsument in den Wirtschaftsmetropolen fast nur noch über digitale Kanäle zu erreichen. Smartphones haben eine Präsenz, die selbst für europäische Verhältnisse nahezu obsessiv erscheint. Und hier kehren wir zur Ausgangssituation zurück. Über all den Milchkaffees übersieht man schnell, wie sehr sich China in den letzten 30 Jahren gewandelt hat. Es ist eine Generation herangewachsen, die Mao nur aus Büchern und Erzählungen kennt. (Ein bisschen wie die Kinder, die heute in Chemnitz ihr Abitur ablegen und die DDR nur aus Erzählungen kennen.) Diese Generation hat gelernt, mit Produktvielfalt umzugehen. Sie strebt nach Erfolg und ist enorm konsumhungrig. Internet und Mobiltelefon sind ständige Begleiter. Sie lernt, sich ihre Meinung zu bilden und zu vertreten, vornehmlich im digitalen Raum.

Wir reden über eine Generation, deren Eltern ein Fahrrad als die Krönung der Mobilitätsschöpfung begriffen und die nun Lamborghinis und Ferraris durch Beijings achtspurige Hauptstraßen fahren sehen oder gar selbst lenken. Diese Generation kennt ihre Geschichte, ihre Herkunft. Und hieraus ergibt sich ein hochgradig ambivalentes Verhältnis zwischen dem Streben nach Meinung, Freiheit, Luxus und Heimat sowie der „chinesischen Seele“. Deutlich wurde dieses Verhältnis im Streit um die unbewohnten Diaoyu-Inseln. Dazu postete ein Nutzer der Sina-WeiboPlattform (die chinesische Twitter-Variante) folgende Frage: „Wenn dein Kind auf der Diaoyu-Insel zur Welt gekommen wäre: Welche Staatsbürgerschaft würdest du für dein Kind wählen?“ Nach 9 Stunden wurde die Frage von der Zensur vom Netz genommen, aber die eingegangenen Antworten waren eindeutig. 40% Taiwan, 25% Hongkong, 20%, Japan. China stand am Ende der Liste mit 15% der Stimmen. Der User Wang Wei Bin fasste die Situation zusammen: „Seufz. Ich hab Taiwan gewählt. Ich liebe China. Aber ich glaube, China liebt mich nicht mehr“. China ist mitten dabei, 250 Jahre sozialer Evolution in 30 Jahren aufzuholen. Es ist ein bilateraler Lernprozess. Während China lernt, sich der westlichen Welt und seinen Werten zu öffnen und den lange gepflegten Sinozentrismus beginnt abzulegen, müssen wir, die westlichen Industrienationen, lernen, China zu verstehen, zu begreifen und nicht zu versuchen, es in unser etabliertes Wertesystem zu pressen und dann daran zu messen. Dies gilt für Individuen wie für Konzern- und Staatenlenker. China wird die Weltwirtschaft bis auf weiteres entscheidend prägen. Daran führt kein Weg vorbei. Skepsis und Angst, Hybris und Methodenkolonialismus sind schlechte Partner für uns und werden nicht zielführend sein. Ich bin der Frage „Und? Wie ist das so in China?“ in den letzten Jahren häufig genug begegnet. Eine Antwort habe ich bis heute nicht gefunden. China ist Leben im Schnelldurchlauf. Mal zuckersüß, mal frustrierend bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen. Bisweilen furchtbar laut und dröhnend, dann wieder leise, fast säuselnd. Überbordende Nächstenliebe und menschenverachtende Egozentrik gehen Hand in Hand.


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Und dann die Größe. Gesamt Europa, von Portugal bis an den Ural, vom Nordkap bis Malta, ist nur unwesentlich größer als China und die Population Europas ist mit 700 Millionen nur halb so groß. Zahlen, die an ihrer einschüchternden Strahlkraft bis heute nichts eingebüßt haben. China befindet sich weiterhin im Wandel. Die Arbeitsbedingungen werden auch in naher Zukunft nicht flächendeckend unseren Standards genügen. Der Energiehunger wird noch auf Jahre mit Kohle und Atomkraft gedeckt werden müssen. Markentreue wird sich erst dann einstellen, wenn die Märkte gesättigt sind. Aber wenn man eines in diesem Land lernt, dann, dass es keinen Status quo gibt, der auch morgen noch zwingend gelten muss. Dafür sorgen die Regierung mit Strukturprogrammen und die Bevölkerung mit einem unbändigen Entrepreneurgeist. Jetzt weiß ich, wie die Antwort lautet. „Und? Wie ist das so in China?“ Spannend … Sehr spannend.


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For Chinese leadership, it is not surprising that China is on the verge of becoming a superpower, but rather that they have not been for the last 300 years. Henry Kissinger


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Qashqai & Co. – zur Etymologie kommerzieller Namen von Marcus Bond

Immer neue Unternehmens-, Produkt-, Markennamen prasseln auf uns ein und buhlen um Aufmerksamkeit: Viele davon, wie adidas, IKEA, LEGO sind gelernt und fest verankert. Andere (Brauner Bär etc.) verschwinden oder werden wieder neu aktiviert: z. B. Polaroid und Creme 21. Namen sind elementare Orientierungspunkte in unserer Welt und machen MARKENing erst möglich. Gründer, Produktmanager und Markenspezialisten grübeln entsprechend lange über den passenden Namen für „ihr Baby“. Manche setzen dabei auf Naming-Agenturen – dann wird professionell und weltweit gegrübelt. Und was machen wir, die Zielgruppe? Wir akzeptieren die Namen einfach so, wie sie sind, und kümmern uns nicht weiter um Sinn oder Herkunft. Das ist okay, aber irgendwie doch schade. Hier ein bisschen etymologisches Smalltalk-Wissen. Eltern kennen das: Die Wahl eines passenden Namens fürs Kind ist kniffelig. Da werden Namensbücher gewälzt, die „Koogel“ wird befragt, der engste Freundeskreis interviewt. Ein Karl ist schließlich eine andere Persönlichkeit, als ein Knuth, Kalle, Konstantin oder ein Kevin. Die „Eltern“ von Unternehmen und Produkten haben es noch schwerer: Sie dürfen kein Namensbuch benutzen. Der Name muss unverwechselbar, einprägsam, markenrechtlich ungeschützt sein und sollte möglichst auch rund um den Globus funktionieren. Dabei gibt es verschiedene Kategorien: Gründernamen Vielen Unternehmern ist wichtig, dass ihr Name in der Firmierung verankert ist: Die Albrecht Brüder haben ihren Discount beispielsweise einfach ALDI genannt. Adolf „Adi“ Dassler nannte seine Sportschuhfirma – genau, adidas. Hans Riegel hat bei der Gründung seines Süßwarenimperiums noch seine Heimatstadt Bonn im Namen eingebracht (Haribo). Etwas weiter ging Ingvar Kamprad: Das EA in IKEA stammt vom elterlichen Bauernhof Elmtaryd im Dorf Agunnaryd. Und auch hinter Audi steckt der Name des Gründers, der „Horch“ hieß, was im Lateinischen (von hören = horch!) Audi heißt. Eine weitere, weitaus kleinere Kategorie sind zusammengesetzte Namen aus

„Gründer-Produkt“, wie Tchibo: Der Gründer hieß „Tchilling“; sein Produkt „Bohne“.

Kontextnamen Das Gros der kommerziellen Namen bezieht sich auf den Inhalt oder das Wesen des Unternehmens / Produkts: Alete – das lateinische „alete!“ heißt „wachset“ bzw. gedeihet“ ARAL – Der damalige Benzol-Verband hatte ein neues BenzolBenzin-Gemisch entwickelt und in einem Preisausschreiben einen Namen gesucht. Die Wahl fiel auf ARAL: Benzol gehört nämlich zur chemischen Gruppe der Aromaten und Benzin zu den Aliphaten. BiFi – Verniedlichungsform („-i“) des englischen Wortes für Rindfleisch: „beef “. BILLA – So heißt Österreichs größte Supermarktkette. Es steht ganz platt für Billiger Laden (unglaublich, aber wahr). Hanuta – die berühmte Haselnusstafel


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LEGO – Kombination aus dem dänischen „leg godt“, was „spiel gut“ bedeutet KiK – Kunde ist König Milka – Milch und Kakao Mitropa – Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft o.b. – ohne Binde Pepsi – geht auf das Enzym Pepsin in der Kolanuss zurück, mit dem eine darm- und gesundheitsfördernde Wirkung der Cola suggeriert werden sollte Persil – Inhaltsstoffe: Perborat und Silikat Plus – Prima leben und sparen REWE – Revisionsverband der Westkaufgenossenschaften SAP – Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung SPAR – Die holländische Handelskette (De SPAR) ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Einzelhändlern: Door eendrachtig Samenwerken Profiteren Allen Regelmatig (dt.: Durch einträchtiges Zusammenwirken profitieren alle gleichermaßen). VARTA – Vertrieb, Aufladung und Reparatur transportabler Akkumulatoren Vodafone – Voice, data over Cellphone (ph wurde zu f) Volvo – lateinisch für „ich rolle“

Kreativnamen Adobe – Fluss Adobe Creek, der hinter dem Haus der ­Begründer fließt

Amazon.com – nach dem Strom Amazonas benannt. Der Gründer Jeff Bezos sah das immense Potenzial der Verkaufsströme, die ein Online-Buchladen gegenüber einem stationären Geschäft bietet. Blackberry – Aus der Wiege eines Namensberaters: Er fand, dass die kleinen Tasten wie Obstkerne oder Beerenobst („berry“) aussehen; schwarze Beere = Blackberry. brand eins – Die Redaktion saß ehemals in der Hamburger „Brandstwiete 1“. Da der erste Wortbestandteil „brand“ zugleich auch „Marke“ bedeutet, entschied sich die Redaktion für eine verkürzte Form des Straßennamens: brand eins. Ebay – Hätte eigentlich EchoBay.com („es klang einfach gut“, so der Gründer) heißen sollen. Die Marke war jedoch von Goldminenbetreiber Echo Bay geschützt, so kam es zu der verkürzten Form ebay.com. Google – Die Gründer witzelten herum, wie viel Informationen ihre Suchmaschine wohl eines Tages bewältigen können würde und nannten sie Googol (eine 1 gefolgt von 100 Nullen). Aufgrund eines Rechtschreibfehlers wurde daraus dann der spätere Name Google Inc. H&M – In der fünfziger Jahren betrieb Erling Persson ein Geschäft für Frauenbekleidung namens „Hennes“ in Schweden. Hennes ist schwedisch für „Ihr“. 20 Jahre später expandierte er und erwarb das Lager eines Jagdausrüstungsladens namens Mauritz Widforss, inklusive der darin befindlichen Männerkleidung. „Hennes & Mauritz“ war geboren. Obi – französische Aussprache des Wortes „Hobby“ (das „h“ wird nicht ausgesprochen) Oracle – Ursprünglich ein CIA-Projekt: Die neue Datenbanksprache SQL sollte helfen, „auf alles eine Antwort zu finden“ (wie ein Orakel). Die Technologie wurde dann vom Projektteam in eine eigene Firma übernommen (Oracle). Qashqai (Auto von Nissan) – Nomadenstamm im Iran (die Kasch-Kai) Sharp – benannt nach dem ersten Produkt: einem Bleistift, der immer spitz ist


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smart – Swatch + Mercedes + Art Sony – Aus dem lateinischen Wort sonus (= Klang) und dem damaligen englischen Modewort Sonny (klein, jugendlich, modern); also Musik für den hippen Jugendlichen. tesa – Der Name ist ein Kunstwort, 1906 von der Leiterin der Schreibstube bei Beiersdorf, Elsa Tesmer, kreiert. Der Name wurde anfangs für eine Zahnpastatube verwendet. Das Geschäft schwächelte jedoch, und so wurde der einprägsame Name einfach für eine neuartige Tauchmasse zum Überhäuten von Wurstwaren verwendet. Auch die wollten die Kunden nicht. 1935 kam dann ein wenig beachteter, transparenter Klebefilm mit dem Namen „Beiersdorf-Kautschuk-Klebefilm“ in den Handel. Erst der praktische Abroller, das Renaming in tesa und viel gute Werbung brachten den Erfolg. Heute gibt es rund 6.500 verschiedene tesa-Produkte für Industriekunden und Endverbraucher.

Subaru – Das Unternehmen entstand aus einer Fusion von sechs Einzelunternehmen, analog zu den sechs Sternen, die man in Japan zu den Plejaden (Subaru) zählt.

Namenspatzer Wirtschaft und Märkte sind zwar globalisiert, die sprachlichen Unterschiede sind jedoch geblieben. Für Unternehmen wie beispielsweise Autohersteller heißt das, Marken- und Produktnamen zu finden, die in zig Sprachen funktionieren. In manchen Fällen kommen No-Gos erst zu Tage, wenn es zu spät ist: Mitsubishi hatte Probleme bei der Markteinführung des Geländewagens Pajero in spanischsprachigen Ländern. „Pajero“ ist ein Slangwort, mit dem Muttersprachler einen „Wichser” beschimpfen – kein idealer Produktname. Das Modell wird dort deshalb nun unter dem Namen Montero verkauft.

Yahoo! – In Gullivers Reisen gibt es ein menschenähnliches Wesen mit tierischem Verhalten. Die Unternehmensgründer bezeichneten sich scherzhaft so, also als Yahoos.

Auch Chevrolet scheiterte mit dem Nova im gleichen Sprachraum, denn „no va“ bedeutet „fährt nicht“. Dort heißt das Modell Chevrolet Chevy.

Die Asiaten

Ebenfalls links liegen gelassen wurde der Mazda Laputa („la puta“ ist spanisch für „Hure“).

Die Namensschöpfungen aus Asien sind speziell. Sie zeigen entweder nationale Identität …

Den Ford Pinto wollten die Männer in portugisischsprachigen Ländern partout nicht kaufen. „Pinto” steht für „kleiner Penis“.

Nikon – „Japanische Optik“

In Finnland heißt Fiat Uno so viel wie „Fiat Idiot“.

Nissan – „Japanische Industrie“

Der Vertriebschef von VW hat sich wohl gewundert, warum sich der bauähnliche VW Sharan überall deutlich besser verkauft, als Konkurrent Ford Galaxy, nur in England nicht. Dort ist Sharan (Betonung auf der ersten Silbe) ein landläufiger Mädchenname aus Arbeiterkreisen.

KIA – das chinesische „ki“ steht für aufsteigen, das „a“ für Asien. Frei übersetzt „Aufstieg aus Asien“ ... oder orientieren sich an der typischen Bildsprache: Hitachi – Sonnenaufgang Nintendo – besteht aus den drei japanischen Schrift-Zeichen (nin-ten-dō). Die beiden ersten bedeuten „Der Himmel segnet ehrliche Arbeit“ bzw. „In der Hand des Schicksals“; „dō“ ist eine allgemeine Nachsilbe für ein Geschäft.

Setzt man auf Zahlen oder wenige Buchstaben, kann nichts anbrennen, dachte sich Toyota. Denkste! Selbst Toyotas Sport­wagen „MR2“ war keine sichere Bank: In Frankreich heißt zwei „deux“ und mit dem MR davor und schnell ausgesprochen, wird aus „MR deux“ ein „merde“, was „Scheiße“ bedeutet.


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Stephan

Johannes

© Tom Tomcyk

© Katja Löchlelt


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I love BIER von Marcus Bond

Ganze 5.000 Sorten buhlen um unsere Gunst. Wir sollen nur das eine Wahre, die Königin unter ihnen – nur sie sollen wir schätzen, ehren, ihr treu sein und immer nur sie trinken. Sie nimmt uns dafür mit in verführerische Welten. Sie verspricht uns Spaß & Rock and Roll. Sie steht für Kultur und Identität. Sie ist preiswert. Sie ist ein aufregender Segeltörn. Aber hey, worum geht´s hier eigentlich? Doch nur um Bier! Und auch um Liebe?

Der Markt ist da. Und er ist groß: Wir Deutschen trinken jährlich konstant um die 100 Millionen Hektoliter (1 Hl = 100 Liter) Bier. Das ist eine ganze Menge. Den meisten Ausstoß hat die Brauerei – nein, nicht Krombacher. Und nein, auch nicht Bitburger. Nicht Becks und auch nicht Warsteiner – sondern Oettinger (die anderen folgen auf den Plätzen 2 bis 5). Die Wahlberliner Stephan und Johannes haben sich im AusstoßRanking bis auf den geschätzten Platz 4.826 hochgekämpft. „Waren des täglichen Bedarfs – WdtB GmbH“ heißt ihre Firma. Ihr Produkt: BIER. Was das Besondere daran ist, lesen wir auf ihrer Website: www.bierbier.org nach: „Wir möchten ein Zeichen gegen die visuelle Umweltverschmutzung setzen, der die Menschen im urbanen Lebensumfeld permanent ausgesetzt sind. Unsere Städte sind heute voll von Werbebotschaften. Da sich die meisten Massenprodukte anhand ihres Inhalts kaum noch unterscheiden, werden künstliche Markenwelten geschaffen, die die Produkte zu etwas Besonderem machen sollen. Unser Gegenvorschlag:

Wir verzichten auf all die abgegriffenen Super-Glitzer-Goldrand-Versprechungen und konzentrieren uns auf das Wesentliche, den Inhalt. Aus diesem Grund haben unsere Produkte weder einen Namen noch ein Logo. Die Gestaltung ist so schlicht wie irgend möglich. Sie versprechen nicht mehr, als sie auch halten können: Bier ist bei uns BIER, denn Geschmack braucht keinen Namen.“

Und so steht seit 2009 auf einem schneeweißen Etikett auf brauner Flasche vorn auch nur „BIER“. Und hinten schlicht „Aus Berlin, www.bierbier.org, 0,33 Liter, 5,3 % Alk“. sowie die Inhaltsstoffe: Wasser, Malz, Hopfen, Liebe. Ja, genau, Liebe ist auch drin im BIER. Weitere Waren des täglichen Bedarfs Menschen brauchen BIER. Und sie brauchen T-SHIRTs: Was als Werbeidee von Stephan startete, wurde bald ein neues Produkt. T-SHIRTs in Weiß oder Schwarz mit inversem Aufdruck MANN bzw. FRAU und der individuell einstellbaren Körpergröße darauf. Stephan sah, es war gut, und schenkte der Menschheit als Nächstes das FEUER: „Wir haben es so gebaut, dass der Flaschenöffner für unser BIER gleich integriert ist.“ An einem kalten Donnerstag im Februar 2010 verkündet bierbier.org die Geburt des nächsten Babys: Zum Einjährigen bekommt BIER ein Schwesterchen: Die Jungs erweitern ihr Sortiment um WEINSCHORLE (Inhaltsstoffe: Riesling, Wasser, Kohlensäure, Liebe). Ein neues Produkt zu etablieren, funktioniert üblicherweise über Werbung und Handel. Stephan lehnt Werbung ab und hat auch kein Geld für die übliche starke Handelsbezuschussung. Er zieht mit BIER und WEINSCHORLE an der Hand von Szene-Gastronom zu Szene-Gastronom und preist die Vorteile der Kleinen an. Das macht er mittlerweile allein; Johannes hat sich in festen Lohn und Brot zurückgezogen und ist nur noch sporadisch dabei. Statt auf teure Werbung setzt Stephan auf kostenloses Guerilla-Marketing.


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Mit den Aktionen gewinnt er immer neue Herzen und Trinker: • • • • • • •

Der Foto-Wettbewerb „Stell Dein BIER auf ein Tier“ lässt zwar Tierrechtler aufschreien; alle anderen aber finden es ziemlich witzig. BIER-Release-Partys locken Anwohner und Trendsetter in Szenekneipen. Street-Art à la BANSKY wirbt an Ampeln, Stromkästen, Häusern, U-Bahnhöfen für BIER. BIER-BOTSCHAFTER in anderen Städten werden aktiviert. WG-Partys werden gesponsert. Oster-Suchspiele veranstaltet. Eine original BIER-Weihnachtskrippe verlost.

2012 verkaufen bereits geschätzte 100 Kneipen, 10 Clubs und 300 Spätis die logofreien Getränke. Das Runde muss ins passende Eckige Im Juni 2012 bekommt BIER dann den lang ersehnten, eigenen KASTEN. Laut Hersteller ist er „übertrieben sexy“. Und Sexiness hat ihren Preis: Der KASTEN kostet Stephan im Einkauf 3,90 Euro. Als KASTEN-Pfand darf er nur die üblichen 1,50 Euro nehmen; seine geplanten 3,00 Euro macht der Handel nicht mit. Eigentlich kein Problem, Kästen werden ja zurückgegeben. Falsch! Denn es gibt bei Großstadt-Jugendlichen, den Abertausenden Jutebeutel-tragenden Kreativen und der Heerschar Spanier, die mittlerweile Berlin bevölkern, den Spleen, sich aus (möglichst angesagten oder ungewöhnlichen) Getränke-Kisten allerlei Möbel, Sitzgelegenheiten, Pflanzenkübel, Lampen, Fortbewegungsmittel und anderes zu bauen. Das ist billig, individuell, nachhaltig und cool. Der BIER-KASTEN steht hoch im Kurs. Da hilft nur Stephans APPELL an die Community: Bitte bringt den KASTEN brav zurück!

Liebesbrief vom Ordnungsamt 03. Juli 2012: Stephan versorgt mittlerweile Berlin, Magdeburg, Leipzig und vereinzelt auch München, Wien und Dresden. „Es ist krass viel zu tun, immer mehr Scheiß stapelt sich auf dem Schreibtisch“, so der Jungunternehmer. „Aber es läuft.“ Da kommt eines dieser offiziellen Schreiben. Diesmal vom Berliner Ordnungsamt. Ein Prüfer hatte BIER und WEINSCHORLE überprüft und moniert: • Die erforderliche Adresse des Herstellers fehle. „Aus Berlin“ reiche nicht als Angabe. • und: „Liebe ist keine Zutat im Sinne des § 5 der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung.“

Das Ordnungsamt verhängte 35,- Euro Bußgeld und ­leitete ein Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit ein; eine ernstzunehmende Angelegenheit. 18. Juli 2012: Stephan reagiert: Er veröffentlicht auf facebook.com/bierbier.org den Bescheid des Ordnungsamts und seinen Antwortbrief. Darin schreibt er: „Sehr geehrte … Da wir uns nun schon im 21. Jahrhundert befinden und laut statistischem Bundessamt in 77% aller deutschen Haushalte (Stand 2011) ein Internetanschluss verfügbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass es keine unzumutbare Härte darstellt, keine genaueren Angaben zu machen, da sich diese durch einfache Eingabe der Internetadresse ablesen lassen. […] Die Sinnhaftigkeit, mehr als nur eine Internetadresse angeben zu müssen, möchte ich hiermit also in Frage stellen. […]“ Und zur Liebe: „Sie weisen uns darauf hin, dass „Liebe“ keine Zutat im Sinne des §5 der LMKV ist. Dies ist korrekt. Bei unserer Liebe handelt es sich um eine Zutat, welche nicht materiell hinzugefügt wird. Vielmehr ist diese zwingend notwendig, um ein gutes Produkt herzustellen. Eigentlich sollten Sie dies viel strenger kontrollieren, jedoch mit der Maßgabe, dass es zwingend erforderlich ist, Produkte mit Liebe herzustellen und in den Verkehr zu bringen. Dies wurde leider in der Vergangenheit viel zu sehr vernachlässigt. Es sollte zukünftig also darüber nachgedacht werden, „Liebe“ als Zutat zwingend vorzuschreiben. So wie Sie allerdings das Produkt „BIER“ vom Geruch und Geschmack her beschrieben haben, ist es offensichtlich, dass Ihnen die Zutat „Liebe“ in diesem Produkt aufgefallen sein muss. […] Sollte es also nicht unser gemeinsames Ziel sein, andere Hersteller davon zu überzeugen, Liebe in ihre Produkte zu tun? Wenn Sie uns zwingen wollen, keine Liebe mehr in unsere Produkte zu stecken, wäre dies ein sehr bitterer Rückschlag für uns. Ich hoffe, Sie verstehen meinen Standpunkt. […] Zur Lektüre lege ich Ihnen die aktuelle Ausgabe des foodwatch-Mitgliedermagazins bei. In diesem können Sie ein paar schreckliche Beispiele finden, für Hersteller, die eigentlich auch statt viel Zucker und anderen ungesunden Zutaten, Liebe in ihre Produkte stecken sollen.“


Bond‘s bunte Welt sagt „Chapeau!“, aber kommt Stephan mit „frech“ auch gegen die kafkaeske Vorschriftswut deutscher Ordnungshüter weiter? Rückendeckung vom RBB Immer noch Juli 2012: Die Liebesgrüße vom Ordnungsamt verbreiten sich viral. Es wird auf Facebook heftig dazu gepostet, kommentiert, diskutiert. Vorschläge wie „eine Portion Humor“ solle bei einigen Produkten auch als Zutat deklariert werden, machen die Runde. Redakteure des TAGESSPIEGEL und des Berliner TV-Senders RBB hören davon und greifen das Thema auf. Eine verantwortliche Berliner Politikerin wird offiziell interviewt, ob sie die Liebe tatsächlich verbieten möchte. Die Berliner Lokalpolitik hat mit dem Flughafen-Desaster genug Negativpresse, und so lenkt die Frau ein und zeigt Herz in Sachen BIER und Liebe. Ende gut, alles gut? ­Bond‘s bunte Welt sprach mit Stephan. Ist die Sache mit dem Ordnungsamt geklärt? Na ja, laut Aussage im RBB ja. Darauf verlassen würde ich mich nicht. Aber ich freu mich schon drauf, falls sie es noch mal beanstanden. Besser und schöner kann man keine Aufmerksamkeit bekommen. Wird es BIER / WEINSCHORLE auch in Supermärkten, an Tankstellen etc. geben? Nein, dort wollen wir nicht stehen. Das entspricht nicht dem Konzept. Es gab zwar einige Anfragen, aber die haben wir abgelehnt oder lehnen wir weiterhin ab. Was stört dich an Marken? Marken täuschen. Man geht in den Supermarkt, steht vor dem

© Katja Löchlelt

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Regal und sieht überall nur Premium-Produkte, die besonders lecker, besonders gesund und von besonders hoher Qualität sind. Selbst auf der billigen, richtig üblen Antibiotika-Schweine-Salami im Netto steht „Premium Qualität“ drauf. Dann kommt der Salami-Konkurrent daher und schreibt auf seine noch schlechtere Wurst „Extra Premium Qualität vom Lande“ und pappt noch ein Gütesiegel drauf. Welche soll man da nehmen? Die miese oder die noch miesere? Billig Hack steht als „Viva Vital“ im Regal. Müsliriegel wie Corny mit dem „Besten aus dem Korn“ sind nicht besser als die üblichen Schokoriegel und voll von Zucker. Capri-Sonne genauso: Es ist kein „ausgewogenes, sportliches“ Getränk mit „gesunden Früchten“ und ein guter Durstlöscher für Kinder. Da stecken einfach nur viel Wasser, Zucker und Aromen drin. Die „leichte“ Yogurette enthält mehr Fett und Kalorien als zum Beispiel Milka-Vollmilchschokolade. Clausthaler ist nicht alkoholfrei, sondern hat 0,45 % Alkohol. Die Instant-Tees von Hipp für „Babys, Kleinund Schulkinder“ bestehen hauptsächlich aus Zuckergranulat und enthalten pro fertige 200-Milliliter-Tasse 7,6 Gramm Zucker, das sind umgerechnet rund zweieinhalb Stück Würfelzucker. Alles bei foodwatch nachzulesen.

Selbst auf der billigen, richtig üblen Antibiotika-Schweine-Salami im Netto steht „Premium Qualität“ drauf.


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Ich meine, geht´s noch? Die leeren Versprechen und der ganze Ersatz­schinken, Analogkäse, die vielen Farb- und Aromastoffe und bunten Ver­packungen – die machen nichts besser oder gesünder, sondern sie dienen einfach nur dazu, uns ungesundes Zeug zu verkaufen. Ich nenn das Betrug.

Du verzichtest auf Werbung, der Vertrieb läuft sehr direkt, indem du zu Gastronomen und Händlern gehst und sie ansprichst. Du setzt eher auf Guerilla-Marketing. Welche Aktionen liefen besonders gut? Die Weihnachtskrippe war super! Da gab es viel gute Resonanz. Auch die Streetart-Geschichten am Anfang und das WG-PartySponsoring haben erfreulich viel Aufmerksamkeit gebracht. Das Schöne daran, kein Geld zu haben, ist, dass man unglaublich kreativ sein muss, um einen Effekt zu erzielen, ohne das ohnehin schon sehr schmale Budget zu überreizen. Am Ende kommen dann meist sehr gute Ideen bei raus, auf die man nie gekommen wäre, hätte man genügend Geld gehabt. Weinachten steht vor der Tür. Wird es die Weihnachtskrippe wieder geben? Ich denke nicht. Aktionen wie diese zwei Mal zu machen, finde ich doof. Es gibt zwar Sachen, die machen wir fortlaufend oder jährlich, aber unsere Weihnachtsaktion ist jedes Jahr wieder eine Herausforderung. Und die Messlatte hängt jedes Jahr höher. Welches Team steht hinter den Waren des täglichen Bedarfs? An sich ist das Ganze eine One-Man-Show. Aber natürlich nicht so ganz: Mein Geschäfts- und Gründungspartner hat seit einiger Zeit eine Festanstellung und kann nicht mehr viel Zeit investieren. Ich habe einen Vertriebler in Teilzeit hinzugezogen, der auch Gesellschafter ist. Ansonsten gibt es natürlich ganz viele Leute ringsherum, die uns unterstützen, also unser Designer, die Brauerei natürlich, die Lagerboys, das Büro, die Buchhaltung, Speditionen etc. Ein neues Produkt hat ja auch meist Kinderkrankheiten. ­Welche gab es bei BIER / WEINSCHORLE? Wenn man einen minimalistischen Ansatz fährt und nicht

Waren des täglichen Bedarfs gibt es im ausgewählten Handel und auch im Internet zu bestellen: www.bierbier.org T-SHIRTs sind tolle Weihnachtsgeschenke. Es gibt sie hier: http://bierbier.spreadshirt.net/ Und wer Fan werden möchte: www.facebook.com/bierbier.org

auf Viel-Bunt-Schrill setzt, muss das Wenige besonders gut sein. Bei uns geht es vor allem um den Inhalt, und so war die Auswahl der passenden Brauerei und des Rieslings und selbst des Wassers schon mal extrem zeitaufwendig. Wir haben dann auch Blind-Bierverkostungen mit Bekannten gemacht, um das Knaller-BIER herauszufinden. Unseres ist ein untergäriges Export. Aber es gab und gibt immer wieder Probleme, an die man nie vorher gedacht hätte. Beispielsweise mit dem Etikett. Unseres sollte schlicht und weiß sein. Nun sind wir tatsächlich die Ersten, die fast komplett weiße Etiketten auf ihren Flaschen haben wollten. Auf der Suche nach dem heiligen Gral der Etikettenpapiere haben wir daher bei einer Abfüllung etwas Neues ausprobiert. Ein schickes Naturpapier mit geprägter Oberfläche. Das sah auf den Druckbögen noch ganz toll aus. Aufgeklebt schimmerten dann aber so komische Leimflecken durch. Nicht gut. Ein neues Papier musste her. Solche Geschichten gibt es viele. Man hat es sehr schwer, wenn man ein völlig anderes Konzept verfolgt als alle anderen. Es gibt eigentlich keinen, den ich wegen des Marketings oder anderen Dingen fragen kann. So was hat noch keiner gemacht. Alle haben zwar Ideen, meistens sind diese aber nicht mit unserer CI vereinbar. Gab es irgendwelche Reaktionen von anderen Getränkeherstellern auf BIER / WEINSCHORLE? Bionade hatte ja vor Jahren schon ein Übernahmeangebot von Coca-Cola. Bis dato sind wir noch klein und unbedeutend; für die meisten also uninteressant. Hast du neue Produkte in Planung? Einige Ideen, aber nix Konkretes. Vielen Dank und Prost! Prost!


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Die BIER und WEINSCHORLE Weihnachts Krippe 2011


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Komm! Wir fahren ans Meer.


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Spiegelneurone lassen uns mitf端hlen und lernen.


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Die Macht des ersten Eindrucks

Prof. Dr. Dieter Georg Herbst

Wie funktioniert unser Sehen? Was passiert im Gehirn, wenn wir Menschen das erste Mal begegnen? Diesen Fragen geht Prof. Dr. Dieter Georg Herbst nach: Autor von 16 Fachbüchern für Marketing / Werbung / PR, Professor an Universitäten im In- und Ausland, Kommunikationsberater von Unternehmen, Coach von PR-Profis, Bildwirkungs-Papst und „Professor des Jahres 2011“.

Kennen Sie das? Sie gehen an einem Menschen vorbei. Sie werfen nur einen kurzen Blick und sind augenblicklich interessiert. Ihre Augen gleiten über das Gesicht, die Kleidung, die Haltung der Person. Die Zeit eines Wimpernschlags reicht, und Sie spüren, wie Sie dieser Mensch anspricht. Gleiches gilt auch bei Fotos, beim Blättern durch ein Magazin beispielsweise. Aber wie ist es möglich, dass der eine Mensch oder das eine Porträt so schnell und stark auf uns wirkt und wir die breite Masse kaum wahrnehmen? Was geschieht da in uns? Fragen wir die Wissenschaft. Zunächst einmal: Über 80 Prozent der Informationen aus der Umwelt nehmen wir über die Augen auf. Menschen sind der wichtigste visuelle Reiz für uns. Wir orientieren uns an ihnen. Gelungene Beziehungen tun uns gut, sie fördern unsere körperliche und psychische Gesundheit und tragen zur Weiterentwicklung / Fortpflanzung bei. Gefährliche Begegnungen gilt es zu vermeiden. Wichtig also, dass uns jene schnell auffallen, die gut oder schlecht für uns sind. In unserem Gehirn gibt es deshalb eigene Areale genau für diesen Zweck. Eines ist zum Beispiel auf das Erkennen und Bewerten von Gesichtern spezialisiert. Das Unterbewusstsein sortiert vor Für die erste Reaktion reicht die Zeit eines Wimpernschlags aus:

Schon in 200 Millisekunden prüft unser Gehirn, ob wir einen Menschen angenehm oder unangenehm finden, ob wir das Bild meiden oder uns weiter damit beschäftigen. Diese Prüfung erledigt unser Unbewusstes. Es hat die Aufgabe, unsere Umwelt nach einfachen Mustern ständig daraufhin zu prüfen, ob es bedeutende Reize gibt. Ist der Reiz interessant oder uninteressant? Ist er bedrohlich oder sympathisch? Um dies möglichst schnell herauszufinden, blicken wir beim Menschen zuerst dorthin, wo wir die meisten Informationen finden: auf Augen und Mund. Aus der Mimik schließen wir auf die Stimmung der Person. Wir können an den 43 Gesichtsmuskeln sogar ablesen, ob ein Lächeln aufgesetzt oder spontan ist. Auf ein bedrohliches Gesicht reagieren wir schon nach nur 14 Millisekunden – zu kurz, um das Gesicht bewusst wahrzunehmen. Das gilt auch für Tiere: Bleckt ein Hund die Zähne, ziehen wir automatisch die Hand zurück und streicheln ihn nicht. Attraktivität können wir schon in 13 Millisekunden beurteilen. Bevor wir also jemanden bewusst erkennen, fühlen wir,


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ob wir ihn oder sie attraktiv finden oder nicht. ­ Wir entscheiden also unbewusst und „aus dem Bauch heraus“. Hat das Bild diese erste Prüfung bestanden, beginnt unser Gehirn damit, den Bildinhalt zu verarbeiten – dies geschieht nach 200 bis 500 Millisekunden. Wir orientieren uns grob, schauen erst einmal flüchtig hin, machen uns einen ersten Eindruck über besondere Merkmale, Kleidung etc. Nach etwa einer Sekunde können wir angeben, das Wichtigste an der Person oder auf dem Bild erkannt zu haben. Wir können entscheiden, ob wir uns noch stärker zu- oder abwenden. Das aufmerksame Beschäftigen steht also am Ende einer Reihe komplizierter Prozesse des unbewussten Erkennens, Deutens und Bewertens. Was uns bei einem Menschen aufmerksam werden lässt, hängt zum einen mit unserer Persönlichkeit und unseren Erfahrungen zusammen, zum anderen mit unserer momentanen Verfassung: Sind wir glücklich, wenden wir uns eher Bildern zu, auf denen der Mensch ebenfalls glücklich ist.

Die Fachbücher von Dieter Herbst zu ­Storytelling, Corporate Communications, Corporate Identity und Corporate Imagery vereinen aktuelles Forschungswissen und Tipps zur praktischen Umsetzung. Auf der Website www.dieter-georg-herbst.de gibt es interessante Artikel zu diesen Themen.

Das Gehirn sieht, nicht unsere Augen Doch wie sehen wir eigentlich? Es ist so selbstverständlich, sehen zu können, dass wir kaum darüber nachdenken. Gehen Sie davon aus, dass Sehen ähnlich wie bei einer Kamera funktioniert, die die Umwelt als vollständiges Abbild zum Gehirn liefert? Dann liegen Sie falsch. Im Groben funktioniert es so: Unsere Augen erfassen Schritt für Schritt unsere Umgebung. Unser Blick fixiert einen für die Informationsaufnahme wichtigen Punkt und springt dann ruckartig zum nächsten usw. Während der Fixation nehmen wir Information auf, bei den Augenbewegungen oder auch beim Blinzeln sind wir praktisch blind. Das geschieht etwa 100.000 Mal am Tag. Der Grund für dieses Fixieren – Springen – Fixieren (sog. Sakkaden) ist, dass unser Auge nur im Zentrum des Sehfelds scharf sieht, und zwar eine Fläche etwa so groß wie eine Euro-Münze. Jeweils 60 Grad links und rechts sehen wir unscharf. Wir merken dies nur nicht; das Gehirn tut seinen Dienst und gaukelt uns ein breites Sehfeld vor. Diese vielen Sehfetzen gelangen als physikalische Wellen zur Netzhaut im Auge. Sie ist die Dolmetscherin, die die Wellen aus der Außenwelt in elektrische Impulse übersetzt, die Sprache des Gehirns. Was in der Welt draußen vorgeht, erfährt das Gehirn nur durch elektrische Entladungen. Folgen wir dem Weg des Bildes weiter ins Gehirn: Die Nervenimpulse gelangen zunächst entlang dem Sehnerv zur primären Sehrinde. Sie verteilt Informationen auch über zwei getrennte Hauptpfade in höhere Hirnregionen zu mehr als 30 visuellen Arealen. Diese liegen in der linken und rechten Gehirn­ hälfte und sind spezialisiert: eines auf Farben, ein anderes auf

horizontale Linien, eines auf Entfernungen, wieder ein anderes auf Gesichter usw. In diesen Arealen wiederum gibt es weitere Spezialisierungen. Von den auf Gesichter spezialisierten Nervenzellen reagieren einige besonders gut auf die Frontalansicht von Gesichtern. Andere Zellen reagieren besonders auf die Profilansicht, bestimmte Gesichtsausdrücke oder einzelnen Gesichtselementen. Schon zwei Punkte und ein Strich reichen aus, damit diese Zellen reagieren. Das erklärt, wieso das Gesichterareal auch beim Anblick von Smileys aktiv ist, beim TUI-Logo und auch beim Anblick der Vorderansicht von Autos. Exkurs: Auch Autos haben Gesichter Eine Studie der Universität Wien bestätigt, dass Menschen zum großen Teil und in vielen Frontpartien von Autos ein Gesicht erkennen. Selbst in Äthiopien, in einem ländlichen Gebiet, das weitgehend frei von Autos und Werbung ist, kamen ähnliche Ergebnisse heraus. In beiden Kulturen werden die „Gesichter“ der Autos gar mit menschlichen Attributen verbunden. Autos mit weit auseinanderliegenden, schmalen Scheinwerfern und kleiner Windschutzscheibe gelten als „männlich“, „erwachsen“ ­­­ und „dominant“. Fahrzeuge mit rundlichen Frontlichtern und hoher, senkrecht stehender Windschutzscheibe werden überwiegend als „kindlich“ und „weiblich“ bewertet. ­


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Das Gesichterareal reagierte bei den Testpersonen in Österreich und Äthiopien sehr ähnlich. Ein Team von Spezialisten Wie kommt es aber, dass wir letztlich den Eindruck eines Bildes haben – obwohl Forscher davon ausgehen, dass an keiner Stelle des Gehirns ein vollständiges Bild entsteht? Sie vermuten derzeit, dass das Gehirn aus der gleichzeitigen Aktivität der verschiedenen visuellen Areale ein Bild ,,zusammenrechnet“ – fehlende Daten und blinde Flecken werden ergänzt.

Die Außenwelt gelangt also nicht als Abbild ins Gehirn – sie ist das Konstrukt des Gehirns. Was nun, wenn eines der Gehirnareale ausfällt? Dann erkennen wir beispielsweise keine Gesichter mehr, werden farbenblind, sehen doppelt, können Gegenstände zwar erkennen, aber nicht zuordnen, oder Entfernungen nicht richtig einschätzen. Das kann von Geburt an so sein oder auch durch einen Unfall bedingt. Es ist gut möglich, dass jeder einen etwas anderen Blick auf die Welt hat. Zumindest zwischen dem Sehen bei Männern und Frauen scheint es Unterschiede zu geben: So haben Wissenschaftler bei der Untersuchung der Gehirne rund 200 geschlechterspezifische Abweichungen festgestellt, von denen sich auch einige auf die Sehareale bezogen. Denken ist zu vermeiden Indes dürfen wir uns das Sehen nicht allein so vorstellen, dass wir die Informationen aufnehmen, die uns Menschen oder Bilder von Menschen liefern. Gleichzeitig bringen wir unser Wissen und unsere Erfahrungen ein. Im Laufe unseres Lebens speichern wir alle bedeutenden Erfahrungen mit Menschen ab, sowie die Gefühle, die wir dabei hatten. Mehr noch: Wir markieren diese Erinnerung mit einem Körpergefühl, „somatischen Markern“, wie sie der bekannte Hirnforscher Antonio Damasio genannt hat. Dies hat den Vorteil, dass wir uns im Laufe unseres Lebens zu Experten im Gesichterlesen entwickeln und unser Gegenüber aus der Erfahrung heraus viel besser einschätzen können. Wir erkennen auch den Arzt intuitiv am Kittel und den Geschäftsmann am Anzug.


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Ein Grund für die unbewusste Arbeit unseres Gehirns ist, dass Bewusstsein sehr viel Energie kostet. Unser Gehirn nimmt zwar nur etwa 2 Prozent unserer Körpermasse ein, verbraucht aber beim bewussten Denken bis zu 20 Prozent Körperenergie. Wenn unser Gehirn unbewusst arbeitet, verbraucht es nur 5 Prozent. Da unser Körper zum Fortpflanzen und Überleben auf Energie angewiesen ist, sind wir fleißige Energiesparer.

Für Hirnforscher Gerhard Roth ist daher Bewusstsein für das Gehirn ein Zustand, der tunlichst zu vermeiden und nur im Notfall einzusetzen ist. Und so bilden wir unser Urteil über Menschen so mühelos, dass wir hierfür kaum mehr aufwenden müssen, als nötig ist, um wach zu bleiben. Spiegelneurone lassen uns mitfühlen Zu den spektakulären Entdeckungen der letzten Jahre gehören Nervenzellen, die spiegeln, was andere erleben: die Spiegelneurone. Sie sind die neurobiologische Grundlage dafür, dass wir die Gefühle anderer erkennen, aufnehmen und auf sie reagieren können. Warum lachen oder weinen wir beispielsweise im Kino? Weil wir das Geschehen nicht nur betrachten, sondern auch selbst erleben. Warum gruseln wir uns bei Horrorfilmen oder können Wunden bei anderen Menschen nicht sehen, ohne zusammenzuzucken? Richtig! Weil Spiegelneurone aktiv werden und Regie in uns führen. Der Unterschied zum eigenen Erleben ist die Intensität: In der Realität werden Tausende von Sinneszellen aktiviert, beim Zuschauen nur wenige. Spiegelneurone sorgen dafür, dass wir von anderen Menschen lernen können, indem wir ihnen zuschauen oder ihnen gar nur zuhören. Durch Spiegelneurone können wir sogar das künftige Handeln von Personen abschätzen: Wir beobachten sie, um ihre Absichten einzuschätzen. Hinweise darauf geben Gesichtsausdrücke, Gesten und das Verhalten der Person. Wir vollziehen all das innerlich nach und ermitteln so die dahinter stehende Absicht. Sehen und Bewerten gehen Hand in Hand Wie erstaunlich unser Gehirn beim schnellen Bewerten arbeitet, zeigt das Experiment der Psychologin Nalini Ambady von der Harvard University: Sie spielte Studierenden drei Videoclips eines ihnen unbekannten Professors ohne Ton vor. In nur 10 Sekunden konnten diese über den Professor urteilen. Als Ambady die Clips auf fünf Sekunden kürzte, blieben die Ergebnisse dieselben. Zwei Sekunden – und wieder fast das gleiche

Ergebnis. Damit nicht genug: Ambady verglich die Urteile der Testpersonen über die Clips mit jenen Bewertungen, die die Studierenden des Professors am Ende des Semesters abgegeben hatten. Sie ahnen es: Die Bewertungen stimmten auch hier nahezu überein. Das bedeutet, dass eine Person, die nur zwei Sekunden lang das Video einer anderen Person gesehen hat, diese genau so bewertet wie Menschen, die diese Person über einen viel längeren Zeitraum kennen lernten. Ähnliches wurde auch in weiteren Studien festgestellt: US-amerikanische Psychologen ließen Studenten die Fotos von fremden Gesichtern beurteilen. Sie sollten entscheiden, ob die gezeigte Person attraktiv, sympathisch, vertrauenswürdig, kompetent, aggressiv war oder nicht. Anschließend sollten die Probanden angeben, wie überzeugt sie von ihrer Bewertung waren. Ihr Urteil sollten sie so schnell fällen, dass es nur auf Intuition basieren konnte. Ergebnis: Die Studenten konnten sich innerhalb der kurzen Zeit ziemlich genau entscheiden. Selbst wenn sie die Fotos länger betrachteten, blieben die Studenten grundsätzlich bei ihrem Urteil und verfeinerten es nur. Fazit: Für die grundsätzliche Beurteilung von Eigenschaften einer Person spielt es offensichtlich keine Rolle, ob die Probanden das Bild nur 100 Millisekunden lang gesehen hatten oder eine ganze Sekunde. Zusätzliche Zeit führte lediglich dazu, dass sie sicherer wurden, das richtige Urteil getroffen zu haben; auch konnten sie Nuancen besser erfassen als in den kürzeren Zeitspannen. Besonders schnell konnten die Studenten sagen, ob sie eine Person als vertrauenswürdig einschätzten. Der Kommunikationsforscher Siegfried Frey zeigte Studenten aus Deutschland, Frankreich und den USA 180 Filmclips von 60 Politikern aus TV-Nachrichten. Die Clips enthielten kurze Redeausschnitte der Politiker, der Ton war abgeschaltet. In nur wenigen Sekunden bildeten sich die Testpersonen ein reichhaltiges Urteil über die Politiker – selbst wenn sie diese nicht kannten. Wen wundert es angesichts dieser Erkenntnisse, dass zum Beispiel Politiker die Macht der Bilder für sich nutzen und viel Wert auf deren Wirkung legen? Gerade im Wahlkampf ist es vielen wichtiger, dass die Bilder auf Plakaten oder in Medienberichten stimmen und nicht so sehr deren Aussage. Das erklärt vielleicht auch die vielen Wahlplakate, die ausschließlich mit lächelnden Porträts arbeiten, anstatt mit konkreten Aussagen.


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Sehen ist wichtiger als verstehen Auch wenn wir uns das nicht eingestehen möchten: Menschen urteilen schnell und unbewusst. Über unserem Bewusstsein liegt ein Filter, der für uns bewertet und vorsortiert. Sie sollten sich bei allen ersten Begegnungen – ganz egal, ob Vorstellungsgespräch, Präsentation, Geschäftsessen oder private Verabredung – bewusst sein, dass Ihr Gegenüber Sie völlig unbewusst in den ersten Millisekunden einschätzt und sich dessen Gehirn ein Urteil über Sie bildet (und umgekehrt). Das Gleiche gilt auch für Fotos. Ein Lächeln oder ein freundlicher Ton zur Begrüßung kann eine nachhaltig positive Wirkung haben. Sie werden als „Freund“, als vertrauenswürdig wahrgenommen und haben anschließend einen Vorschuss gegenüber Personen, die im ersten Eindruck als „nicht vertrauenswürdig“ bewertet wurden. Die Entscheidung darüber trifft das Gehirn Ihres Gegenübers, schnell und unbewusst im Hintergrund.

Wir sind sehr visuell veranlagt. Abbilder, die in unserem Gehirn entstehen, wirken stärker und werden besser erinnert als jedes Argument, das wir vorbringen. Ebenso wichtig ist es, dass wir uns in einer schönen bzw. attraktiven Umgebung „verkaufen“. Ein „guter Haarschnitt“, ein „eleganter Anzug“ oder „schönes Kleid“, ein „edler Schreibtisch“ mit „hübschen Blumen“ – das alles wirkt positiv, attraktiv auf unser Gegenüber. Die britischen Forscher Andreas Bartels und Semir Zeki haben Probanden unter einem Gehirnscanner als „schön“ klassifizierte Bilder gezeigt. Ergebnis: Die Aktivität im Belohnungssystem stieg an und jene Bereiche hörten auf zu arbeiten, mit denen Mitmenschen kritisch beurteilt werden.


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Ritter der Kokosnuss – Auf den Spuren von August Engelhardt

Interview mit Hendrik Zimmer

Mit „Imperium“ kam im Frühjahr ein herrlich unterhaltsamer, sprachgewaltiger und ebenso skurriler Abenteuerroman in die Buchläden, der schnell begeisterte und zum Bestseller wurde. Christian Kracht erzählt darin die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt. Schillernd-tragischer Schauplatz ist die deutsche Südsee-Kolonie Deutsch-Neuguinea kurz vor Beginn des ersten Weltkriegs. Dort schiffte sich Engelhardt 1902 ein, kaufte die kleine Insel Kabakon und lebte seine Philosophie des „Kokovorismus“. Das Konzept ist bestechend einfach: Kokosnuss anbauen, Kokosnuss essen, Kokosmilch trinken, Erleuchtung finden. Ihm folgten gar Jünger aus Europa nach Kabakon. 109 Jahre später, der Kokovorismus wurde mit Engelhardt unlängst begraben und Krachts Geschichte wartet noch darauf, publiziert zu werden, macht sich der Frankfurter Künstler Hendrik Zimmer auf nach Kabakon. Eindrücke von einer Reise zum Ritter der Kokosnuss.

Exotische Reiseziele sind ja nicht ungewöhnlich. Aber ­Kabakon? Nach Abschluss als Meisterschüler der Städelschule (Anm. d. Red.: eine der weltweit renommiertesten Hochschulen für Bildende Kunst) hatte ich das Glück, auf dem Atelierschiff der Stadt Frankfurt leben und arbeiten zu dürfen. Mit 230 Quadratmeter Fläche und Blick auf die Frankfurter Skyline ist es ein toller Ort, um auch selber Ausstellungen zu veranstalten. Nun suchte ich einen passenden Namen und stieß über einen Freund auf die skurrile Geschichte des August Engelhardt, der sich ebenfalls auf einem Schiff zu einem neuen Leben aufmachte. Passt doch, dachte ich, nannte mein Schiff August Engelhardt und pflanzte einen Dschungel auf Deck an. Ich beschäftigte mich in dieser Zeit auch intensiv mit seinem Leben und der Wunsch wuchs, selber Fuß auf dieses Kabakon zu setzen.

Aussteiger, vor allem wenn sie solch utopische Ideen, wie ein Leben von und für die Kokosnuss verfolgen, werden oft als Spinner abgetan. Wie siehst du das? Alle Menschen, die neue Wege gehen und versuchen, das Leben zu etwas Höherem zu entwickeln, sind doch irgendwie Aussteiger. Darwin forschte auf den entfernten GalapagosInseln und entdeckte dort wichtige Grundregeln des Lebens. ­Engelhardt verfolgte schon von früh an die Vision einer gesunden Lebensführung. Er absolvierte eine Apothekerausbildung und war Mitglied einer Gemeinschaft von Naturheilkundlern, dem Jungborn. Ihre Idee war eine natürliche Lebensweise voll im Einklang mit der Natur. Nudisten und Menschen, die Naturheilkunde als Medizin praktizierten, waren im wilhelminischen Kaiserreich und in Zeiten der Industrialisierung aber nicht erwünscht. Es sollten Zucht und Ordnung herrschen.


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Leuten wie Engelhardt drohten Gefängnisstrafen. Er musste weg.­ Weit weg. Weg von den Zwängen und Konventionen Europas. Irgendwohin, wo Kokospalmen gedeihen, es viel Sonne gibt und er Raum hatte, um seine Idee des höheren Lebens zu praktizieren und zu verbreiten. Das ist ja nichts Schlechtes, und wer weiß, wie sich die Welt entwickelt hätte, wenn ein Leben von der Kokosnuss tatsächlich möglich wäre. Nachhaltiger geht´s ja nicht. Was sagt das Reisebüro beim Wunsch „einmal Frankfurt – ­Kabakon und zurück“? Ich und mein mitreisender Künstlerfreund Martin Neumaier planten größtenteils via Internet und erhielten auch Unterstützung von der Hessischen Kulturstiftung und dem Weltkulturenmuseum. Nach Kabakon zu kommen, ist noch heute ein echtes Abenteuer. Kaum vorstellbar, wie das vor hundert Jahren gewesen sein muss. Die Inselgruppe liegt nordöstlich von Australien mitten im Pazifik. Von Frankfurt bis Singapur ging´s komfortabel in 12 Stunden Flugzeit. Nach Zwischenstopp von einigen Stunden ging´s nochmal 8 Stunden mit dem Flieger in die Hauptstadt Papua-Neuguineas, Port Moresby. Dann nochmal 2 Stunden in einer kleinen Propellermaschine nach Rabaul. Von dort 2 Stunden mit dem Boot auf die Insel Kokopo und dann eine Stunde Überfahrt nach Kabakon. Papua-Neuguinea, die Südsee – das klingt ja paradiesisch. Wie waren eure Eindrücke? Sehr zwiespältig. Auf dem letzten Flug nach Rabaul waren wir die einzigen Weißen. Und auch bei unserer ersten Erkundung durch Kokopo. Die Armut ist nicht zu übersehen, und überall wurden wir angestarrt. Das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig, so im Mittelpunkt zu stehen. Zumal bei vielen nicht zu erkennen war, ob das nun Interesse oder Feindseligkeit ist. Manche Halbstarke machten Drohgebärden, wenn wir vorbeischlenderten. In Frankfurt lacht man darüber. In Kokopo bringen sich schon Jugendliche für nichts um. Die Männer lächeln wenig, grüßen nicht und sehen mit ihren roten Zähnen vom Betelnusskauen und ihren Macheten doch ziemlich furchteinflößend aus. Entspannt die Straße entlangschlendern ist da schwierig. Wir haben aber einige wirklich sehr herzliche Bekanntschaften gemacht und zusammen viel gelacht. Dort alleine herumzureisen ist aber keine gute Idee. Auf der anderen Seite erfüllt die Region landschaftlich natürlich alles, was man erwartet: weißer Strand hinter wildem Dschungel, türkisfarbenes Wasser um kleine Inseln, herrlich frische Fischgerichte an jeder Ecke, Sonne ohne Ende. Das ist schon einmalig. Auch unsere Erkundungstouren auf Kabakon sind unvergesslich. Außer Sand, Palmen, Dschungel und Wasser ist da nichts.

Die Kolonialzeit hat in vielen Ländern prächtige Bauten hinterlassen oder ist zumindest noch an Straßennamen, Sportarten oder kulturellen Eigenheiten zu erkennen. „Imperium“ schildert den Bau von Herrmannshöhe, dem heutigen Rabaul, durch die Deutschen. Was ist davon übrig geblieben? Neben einem zerfallenen Postamt und einer Gedenkstätte der Engländer gibt es keine erkennbaren Spuren der Kolonialzeit. Auch nicht in Rabaul. Das liegt aber an einem Vulkanausbruch, dem die Stadt 1992 zum Opfer gefallen ist. Und von Engelhardt? Wie war es auf Kabakon? Seine Grabstätte ist unbekannt und auch sonst ist er vergessen. Kabakon ist zwar nicht bewohnt, wird aber von den Bewohnern der umliegenden Inseln wie Karawara und Miu weiterhin bewirtschaftet. Es gibt immer noch die Kokosplantage und kleinere Gärten. lch selber habe zwei Kokosnüsse von dort mitgebracht, die ich über vier Grenzen schmuggeln musste. Wahrscheinlich hat er die Palmen noch eigenhändig gepflanzt. Wir haben auch die Stelle entdeckt, an der Engelhardts Hütte gestanden haben muss. Im Februar sind wir dann ins kalte Frankfurt zurück. Kurz danach wurde „Imperium“ veröffentlicht und der Rummel in den Feuilletons ging los. Das war schon eine komische Überschneidung, wo wir doch gerade noch auf Kabakon waren. Das Buch gefällt mir aber sehr gut. So ein literarischer Ausflug in die Südsee und in vergangene Zeiten ist doch was Schönes.

„Imperium“ von Christian Kracht: „Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.“ So beginnt und endet Krachts Südseebalade. Gute Kritiken erhielt auch „Das Paradies des August ­Engelhardt“ von Marc Buhl. Auch darin geht es um Leben und Wirken von Engelhardt. Buhl hat sein Buch noch Monate vor dem von Kracht veröffentlicht, erhielt aber kaum Aufmerksamkeit, Kritiken und Leser.


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Eine Hähnenmast-Fabrik mit weiblichen Küken, die uns später ihr Fleisch und ihre Eier liefern. Ihr Brüder sind bereits tot.

Hintergrund: Etwa 45 Millionen männliche Küken werden jährlich allein in Deutschland kurz nach dem Schlüpfen getötet, weil sich ihre Aufzucht nicht rentiert. Sie setzen nicht genügend Fleisch an, legen keine Eier, sind damit wirtschaftlich unbrauchbar und werden deshalb in der Regel lebendig geschreddert oder vergast.* * aus: Die WELT vom 31.08.12


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Manche behaupten: „Die Frage nach der Richtigkeit oder Falschheit des Fleischessens stellt sich gar nicht, da der Mensch schon rein biologisch kein Vegetarier ist.“ „Biologisch“ ist der Mensch jedoch sehr vieles nicht, er ist zum Beispiel auch kein Telefonierer, Brillenträger oder Bücherleser.*

Einer der häufigsten Einwände lautet: Weil Tiere sich gegenseitig fressen, dürfen wir auch Tiere essen; in der ganzen Natur herrscht das „Recht des Stärkeren“. Tiere (genauer: die fleischfressenden Tiere) müssen aber Fleisch fressen, Menschen müssen nicht Fleisch essen. Der Mensch hat eine Wahlmöglichkeit, Tiere haben keine Wahlmöglichkeit.*


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Fleischessen ist eine Manifestationsweise einer umfassenden Ideologie. Der Kern dieser Ideologie ist unsere grundlegende Einstellung gegenüber Tieren als Lebewesen, die wir bedenkenlos ausbeuten dürfen. Wer Fleisch isst, greift die biologische Artenzugehörigkeit heraus und macht sie zur Grundlage einer moralischen Diskriminierung: „Weil du zu einer anderen Art gehörst, können wir mit dir machen, was wir wollen: lebenslang einsperren, schmerzhafte Experimente durchführen und dich auffressen.“ Artenzugehörigkeit ist jedoch wie Hautfarbe (Rassismus) und Geschlecht (Sexismus) ein untaugliches Kriterium für eine moralische Bewertung und resultierende Handlungen.*


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Fleisch zu essen bedeutet gegenüber einer vegetarischen Lebensweise eine ungeheure Verschwendung der Nahrungsressourcen unseres Planeten: Die Tiere, deren Fleisch wir essen, benötigen ca. 90 Prozent des Futters, das wir ihnen geben, zur Aufrechterhaltung ihres eigenen Stoffwechsels.*

Solange es nur um das „Wie“ und das „Wie viel“ der Fleischproduktion und des Fleischkonsums geht, kann der Kritiker am Status quo durchaus mit wohlwollendem Interesse rechnen. Sobald es aber um die entscheidende Frage geht, nämlich um die Frage nach dem grundsätzlichen „Warum“ des Fleischessens, hat die Bereitschaft zum Zuhören und Nachdenken mit einem Schlag ein Ende. Da hören der Spaß und jegliche Offenheit endgültig auf. Hier verläuft die Grenze zum absoluten Tabu.*


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Mit dem Fleischessen beginnen wir in einem Alter, in dem wir noch gar nicht begreifen, dass das, was wir essen, tote Tiere sind. Anders wäre es auch überhaupt nicht möglich, Kinder zum Fleischessen zu bewegen: Kein Kind wäre dazu zu bringen, die Leichen genau jener Wesen zu verspeisen, die zu lieben, liebkosen, streicheln und beschützen es andauernd (von Eltern, Geschichten und Bilderbüchern) ermuntert, ermahnt und gelehrt wird.* * Buchauszüge aus „Leichenschmaus“ vom Tierrechtler Helmut F. Kaplan.


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ORGAN2/ASLSP: Das längste Konzert der Welt von Marcus Bond

1361 erklingen im Dom zu Halberstadt die weltweit ersten Orgeltöne. Mit dem Bau der 12-tönigen Klaviatur wird auch der Grundstein für alle Tasteninstrumente und die moderne Zwölftonmusik gelegt. Komponisten wie Bach schreiben daraufhin Werke für Orgel, die noch heute Gotteshäuser beschallen und die Emotionen der Gläubigen befeuern. Halberstadt ist über Jahrhunderte bedeutendes Zentrum des Orgelbaus und der Orgelmusik. Doch Glanz und Gloria verblassten. Im Jahr 2000 suchen die geistlichen Väter eine Lösung, um ihre Kleinstadt und das Orgelspiel wieder ins Gespräch zu bringen. Sie entdecken das Orgelstück „As SLow aS Possible“, nehmen es beim Namen und dehnen es auf die Spieldauer von 639 Jahren. Sie schlagen mit diesem erstaunlichen Konzept die Brücke zwischen 1361 und dem neuen Jahrtausend. Gedacht, geplant, umgesetzt: Am 5. September 2001 startet das längste Konzert der Welt. Es wird 24/7 gespielt und endet im Jahr 2640.

Wenn eine Aufführung nicht rechtzeitig beginnt, wird das Publikum zappelig. 5 Minuten sind noch okay. Nach 10 bis 15 Minuten wird die Unruhe größer, Gemurmel und erste Rufe ertönen. Bei 20 Minuten ist die Schmerzgrenze erreicht. Manch ein Theaterstück nutzt ebendiese Ungeduld gar als Stilelement: Der Vorhang geht pünktlich auf. Zu sehen ist ein Mann, sitzend auf einem Stuhl auf einer sonst leeren Bühne. Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Gespannte Erwartung. Aber es passiert nichts weiter. Der Mann verharrt. Das Publikum wartet. Hier und da ein Räuspern. Dann Husten, Räuspern, Tuscheln – Ungeduld, gedankliches Abschweifen und Unruhe inmitten der Ruhe.

Freiheit für die Töne! Das Stück wurde von John Cage (1912 – 1992) per Zufallsprinzip Ton für Ton entworfen; nicht für das Halberstädter Projekt und auch nicht für die Dauer von 639 Jahren, sondern lediglich mit der Vorgabe „as slow as possible“. Cage war als Musiker ein Freigeist, der versucht hat, Musik von Zwängen zu lösen und „Töne sie selbst sein zu lassen“. Er entwickelte eine Philosophie der Absichtslosigkeit und so hat er auch bei ASLSP keinerlei Vorschriften gemacht, wie es klanglich zu spielen sei. Nur eben sehr langsam. Die Frage, ob so etwas dann noch Musik ist, lässt sich am besten mit der Gegenfrage beantworten: Was ist Musik?

Eine Aufführung soll uns schließlich unterhalten, uns neuen Input geben, sich entwickeln, etwas aufführen. Beim Orgelkonzert „As SLow aS Possible“ (ORGAN2/ASLSP) in der St.-Burchardi-Kirche ist das anders. Es startete mit einer 18monatigen Pause, gefolgt von neun Teilen mit je 71 Jahren Spieldauer und 1,5 Jahren Unterbrechung. Die einzelnen Töne der Partitur sind also ziemlich lange zu hören. Noch bis zum 5. Oktober 2013 sind es das bassige C und Des. Dann ist Klangwechsel und es kommen für sieben Jahre ein Dis, ein Ais und ein E hinzu. Und so schreitet das Stück voran, gemächlich, gleichgültig gegenüber unserem Zeitempfinden und dem, was sich in der Welt so tut.

Bei der Fassung des Stücks für Klavier ist die zeitliche Grenze das Ausklingen jedes Tons. Daraus ergibt sich eine maximal mögliche Spieldauer. Bei der Orgel gibt es, gleichbleibende Windversorgung vorausgesetzt, diese Einschränkung nicht. Und so ist die Orgel in der St. Burchardi zwar eine 1:2-Abbildung der puristischen Faber-Orgel von 1361, allerdings „im Backend“ mit Druckluftkompressor und Stromgerator ausgestattet. Was soll das? Bei solchen Extremen liegt die Frage nach dem Grund für das Spektakel nahe. Wer fährt schon in den Harz, um sich dort in


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einer renovierungsbedürftigen kleinen Kirche einen andauernden Ton anzuhören? Ist es eine Marketing-Idee, um Besucher und damit Geld anzulocken? Nein, denn der Eintritt ist frei und es steckt eine Stiftung hinter dem Projekt, die die spärlichen Spenden der jährlich 10.000 Besucher in die Finanzierung von Orgel und Kirche stecken. Geht es dabei um einen Rekord, wie etwa 32 gekochte Eier in einer Minute essen oder das höchste Gebäude der Welt zu bauen? Nein. Ein Besuch im pittoresken Halberstadt liefert die Erklärung: Begeht man die kleine, karge, verfallene St. Burchardi, schließt die Augen und hört das tiefe, andauernde Dröhnen der beiden Basspfeifen, so spürt man einen Hauch von Undendlichkeit. Man erwartet hier keine Änderung, keinen Plot. Es gibt keine Darsteller, keinen Grund, sich ungeduldig zu räuspern. Man hört, schaut und fragt sich Dinge wie: • • • •

Wie lange sind wohl 639 Jahre? Wie viele Generationen nach mir sind das wohl? Wie werden die Menschen im Jahr 2640 leben? Wird es bis dahin einen Generator geben, den man, wie bei „Zurück in die Zukunft Teil 2“, einfach mit Bananenschalen und anderem Unrat betreiben kann?

Andere werden sich fragen, ob sie den nächsten Tonwechsel noch miterleben werden. Oder ob sie einmal Kinder haben werden, die auch hierher kommen. Und die Gedanken um diese Frage machen etwas mit einem. Sie spinnen einen generationsübergreifenden Faden. ORGAN2/ASLSP ist wie eine in Ton verewigte Flaschenpost, die immer wieder gefunden und weitergegeben wird. 639 Jahre lang. Das „Ich“ und das „Hier und Jetzt“ und auch das „Gleich“ und das „Morgen“ werden kleiner, bedeutungsloser, verschwinden. Die Zeit wird spürbar und gleichzeitig zeitlos-unendlich. Etwas Größeres tritt an den Platz des Egos, des Terminkalenders, der Wünsche, Sorgen, Hoffnungen und des immerwährenden Gedankenstroms im Kopf. Dieses Größere ist so etwas wie Demut gegenüber dem Leben, gegenüber dem gewaltigen, nicht endenden Kreislauf der Dinge und gegenüber dem eigenen Stammbaum. Das Gefühl, Teil von etwas unendlich Fortschreitendem, Größerem zu sein, tut gut, aber es macht auch die Endlichkeit des eigenen Lebens sichtbar. Deshalb nutzen wahrscheinlich auch viele Menschen die Möglichkeit, sich für eine Spende ab 1.000 Euro mit einer individuell gestalteten Metalljahrestafel in der Kirche auf Dauer zu verewigen und ihren Nachkommen etwas „Ewiges“ zu hinterlassen. Denn wie viele Generationen wird schon das hart erarbeitete Eigenheim überdauern oder alles andere, was wir vererben? Zwei, vielleicht sogar drei? Die Tafeln in Halberstadt hängen dort etwa neun Generationen lang,

wenn nichts dazwischenkommt. Entsprechend fix waren auch die Jahre bis 2100 und wichtige Eckdaten vergeben. ORGAN2/ASLSP ist ein Projekt, das uns und unsere Kinder und deren Kinder und deren Kinder zeitlich bei Weitem überdauern wird. Solche Projekte gab es früher häufiger: Am Bau von Kathedralen oder anderer Heiligtümer arbeiteten die Menschen der Region teilweise mehr als zweihundert Jahre. Heute werden selbst die größten Bauprojekte (bis auf BER) in wenigen Monaten oder Jahren abgeschlossen und Emotionen zu diesen (wie bei Stuttgart21) schießen ebenso rasch hoch, wie sie wieder vergehen. Früher war der Glaube ein wichtiger Anker, der an Kinder und Enkel weitergegeben wurde. Heute ist es für viele bedeutender, ob man der Gemeinde der iPhone- oder Android-Anhänger angehört, als die Frage nach der Glaubenszugehörigkeit. Aber wie langanhaltend ist dieser Glaube schon? Hinduistisch- bzw. buddhistisch geprägte Kulturen sind da anders. Wer an Wiedergeburt glaubt und danach handelt, der verinnerlicht, dass es ein transzendentes Größeres gibt, das Generationen, Epochen, einfach alles verbindet und einbettet. In Indien beginnt ein Gespräch häufig mit Fragen zu den Eltern, Geschwistern und Kindern. Wir unterhalten uns eher über uns und den Beruf. Oder wurden Sie schon mal bei einer neuen Begegnung gefragt, was Ihre Eltern denn so machen? Bei uns geht dieses über sein eigenes Leben hinausdenken immer stärker verloren, so scheint es.

Man mag ja kaum noch eine Prognose geben, wie das Leben in 20 oder 30 Jahren wohl aussieht.


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In der St. Burchardi lässt sich über solche und andere Themen prima sinnieren. Sie ist ein guter Platz, den man im Laufe seines Lebens öfter besuchen kann, um innezuhalten und über sich, die Entwicklungen seit dem letzten Besuch und die Welt nachzudenken. Man hört den gleichen Klang wieder, aber als ein anderer Mensch. Und für das alles braucht es nur wenige Töne in einem alten Gemäuer. Ist das nicht irgendwie Kunst? Wer mehr wissen möchte: www.aslsp.org


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Tschernobyl heute von Marcus Bond

Es gibt an die 430 aktive Atomkraftwerke auf der Welt. Sie liefern uns CO2 - frei Energie; das ist gut. Der dabei entstehende Atommüll ist ein Problem, für das es leider noch keine brauchbare Lösung gibt. Kommt es zum GAU wie in Tschernobyl und Fukushima, müssen die Menschen in der Region wegziehen und es wird eine Sperrzone für mehrere hundert oder tausend Jahre errichtet. Nach und nach verstummen die gerade noch so eifrig berichtenden Medien, und keiner spricht mehr darüber. Doch was passiert in der „Verbotenen Zone“ eigentlich über die Jahrzehnte? Und wie kommen Flora und Fauna mit der Strahlung zurecht?

Was würde wohl passieren, wenn es in Deutschland zu einer Katastrophe wie in Tschernobyl käme? Wohl ziemlich sicher ein kompletter Atomausstieg. Dass es bei uns noch zu keinem GAU gekommen ist, bleibt der Kompetenz und den offensichtlich gut funktionierenden Notfallplänen der deutschen Reaktorbetreiber geschuldet. Immerhin wurden in 15 Jahren (1993 bis 2008) insgesamt 774 sicherheitsrelevante Defekte in deutschen Kernkraftwerken gemeldet. In Tschernobyl tut sich viel

In der Ukraine ist Atomkraft – trotz GAUErfahrung und 44.300 km2 kontaminierter Fläche – nach wie vor wichtig. Das Land deckt über seine vier Kraftwerke die Hälfte des Energiebedarfs ab. Der dabei entstehende Atommüll geht nach Russland. Bis jetzt – denn Präsident Janukowitsch hat ein neues Projekt auf den Weg gebracht: Den Bau eines Atommüllzwischenlagers in Tschernobyl (denn wo eh schon alles verstrahlt ist, kann ja nicht mehr viel Schaden angerichtet werden). Bis zu 16.500 Brennelemente sollen dort laut einem ausführlichen Bericht von Greenpeace auf unbestimmte Zeit eingelagert werden.

Zweites Projekt ist der Bau eines neuen Sarkophags für die 26 Jahre alte, marode und rissige Reaktorruine. Der ist auch dringend erforderlich, denn trotz der Bemühungen der Experten aus 24 Förderländern, Milliarden an Fördermitteln und unentwegten Entsorgungsarbeiten strahlt der Klotz (wie auch die 800 verseuchten Schuttgruben und der riesige Kühlteich) munter vor sich hin. Eigentlich müsste der Reaktorkern geborgen und sachgemäß eingelagert werden, aber zum einen gibt es keine Bergungsstrategie, zum anderen fehlen die dafür benötigten vielen Milliarden Euro. Und so dringt Regen ungehindert zum Kern durch und sickert dann verseucht in Boden und Grundwasser. Der Bau der neuen Schutzhülle startete im April 2012. Ein gigantischer Mantel von 110 Metern Höhe und 164 Metern Länge soll 2015 per Schienen über den brüchigen Reaktorblock gefahren werden und dann etwa 100 Jahre lang Wasser draußen und Strahlung drinnen halten. Sicher wird n-tv oder ein anderer Sender über das gigantomanische Projekt in einer dieser „Die größten Bohrinseln, Kräne, Schiffe …“-Sendungen berichten. Von den über eine Milliarde Euro veranschlagten Kosten trägt die EU, also auch wir mit unseren Steuern, einen erheblichen Anteil. Das ist aber kein Grund zum Murren, denn der Mantel wird von französischen und deutschen Firmen gebaut, und so trägt Tschernobyl zur Arbeitsplatzsicherung bei uns bei.


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Verstrahlt: Schweine in Bayern, Pilze in Schweden, Schafe in Wales Vielfaches Murren ist jedoch aus dem bayerischen Jägermund zu vernehmen, kommt es zum Thema Tschernobyl: Jedes der jährlich in Bayern geschossenen 40.000 Wildschweine muss zu einer offiziellen Strahlenmessstelle gebracht werden. Denn die Tiere wandern, leben auf kontaminierten Böden und essen liebend gern Hirschtrüffel (die jedoch besonders belastet sind). Und so weisen Wildscheine noch 26 Jahre nach dem Unglück Strahlenbelastungen von bis zu 10.000 Becquerel pro Kilogramm auf (erlaubt sind max. 600 Bq/kg). In manchen Regionen darf jedes zweite Tier nicht in den Handel gebracht werden. Um das Murren nicht zu laut werden zu lassen, zahlt der Bund den Jägern Entschädigungen. Laut GreenpeaceBericht waren das 2010 rund 420.000,– Euro. Auch Pilze aus Südschweden (mit bis zu 180.000 Bq/kg statt max. 600 Bq/ kg erlaubt) und Schafe im fernen Wales weisen immer noch erhöhte Strahlenwerte auf.

Wie kommen Flora & Fauna mit der Strahlung zurecht? Nach dem GAU war das Gebiet rund um den Reaktor komplett tot. Die radioaktiven Teilchen, durch die Explosion des Reaktors in die Luft geschleudert, verteilten sich über Kilometer und löschten dort alles Leben aus (sie setzen freie Radikale im Körper frei, die wiederum die DNS der Zellen zerstören). Der zehn Tage dauernde Brand verursachte dann die strahlende Wolke, die sich bis nach Polen, Schweden, Großbritannien und weiter ausbreitete. Mit der Zeit nimmt die Strahlung in der „Verbotenen Zone“ jedoch ab. Sie liegt heute bei drei Prozent im Vergleich zum Tag nach dem GAU. Man spricht von Niedrigstrahlung. Bis ins Jahr 2286 soll diese weitestgehend abgeklungen sein. Manche Nuklide, wie die des Plutoniums, strahlen jedoch noch 240.000 Jahre. Das liegt an den unterschiedlichen Halbwertzeiten (Zeit, in der sich die Strahlung halbiert) der Elemente: von wenigen Tagen bis Milliarden Jahre. So kam auch nach und nach wieder das Leben zurück. Heute ist die Sperrzone ein prächtiges Naturparadies. Sogar Elche, Bären, Wölfe und Rotwild streifen durch die Gegend. Mäuse und andere Nagetiere fühlen sich hier wohl, und auch viele Vögel sind zu beobachten; allesamt andauernder Strahlung ausgesetzt. Wie kann das sein? Es gibt etliche Forscher, die seit Jahren genau dieser Frage nachgehen und dabei Erstaunliches festgestellt haben:

Interessiert an den Ergebnissen? Dann schauen Sie sich am besten die hervorragend gemachte, 90-minütige Doku online an: http://goo.gl/NK9Qn bzw. suchen bei YouTube nach „Tschernobyl – Die Natur kehrt zurück“. Sie erklärt, was Strahlung im Körper anstellt und warum manche Pflanzen und Tiere mit der Strahlung gut zurechtkommen, andere dagegen unter heftigen Mutationen leiden. Erfahren Sie auch, wie die Erkenntnisse aus Tschernobyl Schlüssel zur Bekämpfung von Krebs bei Menschen sein können.

Menschen in der verbotenen Zone?

Die „Verbotene Zone“ (30 Kilometer rund um den Reaktor) stellt man sich als menschenleeres, abgeriegeltes Gelände vor. Die Realität sieht anders aus: Einige hundert, meist ältere Menschen sind auf ihre Höfe zurückgekehrt und bauen dort ihr eigenes Obst und Gemüse an. Diese illegalen Rückkehrer werden geduldet. Hinzu kommen noch 16.500 Personen, die in der Zone arbeiten: Forscher, Wachpersonal, Waldarbeiter, Feuerwehr etc. Die meisten dieser Beschäftigten wohnen in der 45 Kilometer entfernten Stadt Slavutich, die nach dem GAU aus dem Boden gestampft wurde. Greenpeace schätzt, dass sich aufgrund des Baus der neuen Schutzhülle 2012 und fortan rund 20.000 Menschen in der strahlenbelasteten Region zum Arbeiten aufhalten werden. Seit 2002 strömen zudem Touristen in das Gebiet. Zunächst boten einige Reiserveranstalter illegal Tagestouren an. 2011 erklärt die Regierung diese Touren für legal und bietet seitdem geführte Reisen an. Es dürfen – auf eigene Verantwortung – auch die Höfe der Rückkehrer besucht werden. Kindern und Schwangeren bleibt der Zutritt aus Sicherheitsgründen jedoch verwehrt. Christiane Flechtner da ...


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Eindrücke aus der Sperrzone, von Christiane Flechtner, Reisejournalistin & Fotografin

Es ist 9 Uhr morgens. Treffpunkt: Maidan-Platz im Herzen Kiews. Die Formalitäten werden geregelt und der Geigerzähler in Empfang genommen. Er zeigt in der Hauptstadt der Ukraine, 110 Kilometer von Tschernobyl entfernt, 0,13 Mikrosievert an. Mit der Einheit Mikrosievert oder Sievert wird die Wirkung von Strahlen auf den Körper ausgedrückt. Gefährlich wird es, wenn man einer Dosis von 500 Mikrosievert ausgesetzt wurde. Es gibt aber keinen Schwellenwert, unterhalb dessen ionisierende Strahlen wirklich unschädlich sind. Dafür muss die Strahlung sehr lange auf den Körper wirken; ein paar Stunden seien unschädlich.

sehrt, Nummer 4 mit einem bröckelnden Sarkophag ummantelt. Der Geigerzähler zeigt 4,54 Mikrosievert. Es geht weiter in die drei Kilometer entfernte Stadt Pripjat. Vor dem GAU Zuhause von 43.000 Menschen. Sie lebten ihr Leben, gingen arbeiten, tanzen, ins Kino, ins Schwimmbad. Am Tag 1 nach der Katastrophe wusste hier noch niemand, was wirklich geschehen war. Jeder folgte seinem Alltag, während ganz in der Nähe eine Strahlung 400-mal stärker als bei der Atombombenexplosion in Hiroshima in die Welt ging. Solch ein Level von Radioaktivität wurde niemals zuvor gemessen – und niemand in Pripjat ahnte etwas davon. Am Tag 2 wurde die Bevölkerung um 14 Uhr informiert, dass die Stadt evakuiert werden muss. Die Bewohner hatten zwei Stunden Zeit, ein paar Sachen zusammenAnzahl aktiver Atomreaktoren weltweit zupacken und in einen der 2.000 (Stand September 2012): 427 Evakuierungsbusse im Zentrum zu steigen. Dort steigen wir aus. USA: 104 Frankreich: 58 Man kann nur noch erahnen, wo Japan: 50 die Hauptstraße war. Das Grün hat Russland: 33 sich durch den Asphalt gekämpft, die China: 15 Stadt zurückerobert. Kein KinderDeutschland: 9 lachen, kein Autolärm, keine Musik

In einem kleinen Reisebus macht sich unsere 16-köpfige Gruppe mit Reiseführerin auf den Weg nach Norden. Zwei Holländer, drei Kanadier, zwei Amerikaner und ein Japaner sind dabei, außerdem ein paar Polen und Ukrainer. Sie alle wollen dem unsichtbaren Feind gegenübertreten und irgendwie begreifen, was dort im Norden des Landes vor 26 Jahren geschehen ist. Der erste Kontrollpunkt ist in Sicht, die 30-Kilometer-Sperrzone erreicht. Hier heißt es Aussteigen, Pässe vorzeigen und passieren. Dann geht es weiter, auf gut asphaltierten Straßen durch die verstrahlte, menschenleere Zone.

Zweiter und dritter Kontrollpunkt werden passiert, und wir steigen aus. Vor uns die noch nicht fertig gebauten Reaktoren 5 und 6. Die Geigerzähler machen sich bemerkbar. Ansonsten ist es still. Der Blick schweift weiter und bleibt an dem Gebäude hängen, das für Tausende von Menschen Leid und für 350.000 Menschen Umsiedlung mit sich brachte: Hier sind sie, ganz nah, die Reaktorkomplexe 3 und 4 – Nummer 3 noch unver-

... nur Stille umgibt uns und den Rest der Großstadt. Ein Blick ins ehemalige Kino, ins große Stadthaus, ins Schwimmbad, in die Feuerwehrstation. Alles völlig desolat. Der Weg führt an einem Sportplatz vorbei, dessen Rasenfläche zu einem Wald geworden ist. Nur die Tribüne lässt erahnen, wo der Fußballplatz und die Laufbahn einmal gewesen sind. Etwas weiter gelangen wir zu einem verwaisten Rummelplatz. Vorbei am Riesenrad, dem Autoscooter und der Schiffsschaukel geben die Geigerzähler ein wirres Konzert hoher Töne von sich, das den Tagestouristen eine Gänsehaut bereitet. Das Moos, das sich auf der Asphalt-Rummelfläche breit gemacht hat, kann wohl –


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ähnlich wie Pilze – besonders viel Radioaktivität speichern. 18,59 Mikrosievert werden hier gemessen. Der unsichtbare Feind wird durch die Geigerzähler sichtbar. Irgendwie läuft hier die Zeit rückwärts. Nicht die Abfolge der Jahreszeiten gibt hier den Rhythmus vor, sondern die ablaufenden Halbwertszeiten der Radionuklide. Strontium, Cäsium, Plutonium. Wie eine Eieruhr, die gegen den Uhrzeigersinn Richtung Null tickt, nur ist diese Null in Tschernobyl Tausende von Jahren entfernt. Es wird Zeit zu fahren. Nach einem Stopp an den Kontrollstellen, bei denen jeder eine Strahlenkontrolle durchlaufen muss, geht es zurück nach Kiew. Keine zwei, drei Kilometer hinter der verstrahlten Zone geht das Leben seinen gewohnten Gang. Bauern pflanzen auf den Feldern Gemüse an, Frauen mit bunten Kopftüchern und Röcken verkaufen an der Straße ihre geernteten Erdbeeren. Doch für die Reisenden im Bus ist plötzlich nichts mehr normal – nicht einmal der blaue Himmel. Sie sind still und in ihre Erinnerungen vertieft, die sich eingebrannt haben in ihre Seele. Es war eben eine Tour, die nachdenklich macht. Eine Tour, die man nicht vergisst.

Tagestouren von Kiew nach Tschernobyl sind für 170 USDollar buchbar, z. B. bei www.tourkiev.com.


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3 Stunden in Benidorm von Marcus Bond

Diesen Sommer war ich mit Familie an der Costa Blanca (Spanien). Schöne Finca, etwas abgelegen, drückende Hitze, kühlender Pool, leckere Tapas, nebenbei an Bond´s bunter Welt arbeiten, allet jut! Eine Autostunde entfernt Benidorm, ein in Beton gegossener Urlaubsmoloch der Superlative: 300 Wolkenkratzer eng nebeneinander. Die größte Hochhausdichte der Welt. Über 6.000.000 Urlauber jährlich; die meisten kommen sogar mehrfach. Nach Paris und London die meisten Hotelbetten Europas. 30.000 Nicht-Spanier, die ihren Lebensabend mit Zweitwohnsitz fest in Benidorm verbringen. Der Liter Sangria für fünf Euro, Paella acht Euro, englische Sports-Pubs an jeder Ecke. Da musste ich hin. Anschauen, gruseln, fotografieren. Die wirklich schlimmen Fotos habe ich hier weggelassen ...


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Nichts ist mehr wahr – dank TV-Gladiatoren-Polar-Talk

von Gunter Dueck

Was ist eigentlich aus der guten alten politischen Streitkultur geworden? Früher ging noch viel von den Studenten aus: Demos, Unterschriftensammlungen, Sitz­blockaden, Flugblätter, Antifa, Parolen etc. Doch die Jungakademiker haben heutzutage echt genug mit dem Master zu tun und müssen dann noch die vielen Facebook-Freunde bespaßen. Da bleibt kaum noch Zeit für Familiengründung. An politisches Engagement ist nicht zu denken. Bleibt das politische Streitgespräch im TV. Hier wird der Bürger doch aufgeklärt. Hier findet der Bildungsauftrag statt! Hier fließen GEZ-Gebühren ein! Doch Pustekuchen: Es Illnert, Jaucht und Beckmannt pseudokritisch an Themenoberflächen vor sich hin. Seit Friedman sich in die mediale Versenkung „geschnupft“ hat, spricht doch keiner mehr Tacheles oder findet Konsens (außer bei „hart aber fair“). Gunter Dueck (Chef-Innovator bei IBM, Philosoph, Autor, Redner) hat die Misere des heutigen Polittalks in einer seiner Kolumnen schön auf den Punkt gebracht. Los geht´s …


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Ist Zucker schädlich? Sind Arbeitslose faul? Sind Manager gierig? Ist privater Waffenbesitz wichtig, weil der Schützenverband eineinhalb Millionen Mitglieder hat, von denen 99,9 Prozent nie Amok laufen? Sind Schießspiele gemeingefährlich oder machen sie nur dumm? Ist Facebook unser Feind? Soll die Kirche den Opfern 5.000 Euro zahlen oder reicht die Hälfte nicht auch? Jeden Abend werden solche wichtigen Fragen im TV diskutiert. Ist eine davon je oder nur irgendwie beantwortet worden? Oder schauen wir uns die Talks wie Fußballübertragungen an? Mir ist neulich das passiert: Ich wurde angerufen, ob ich eine bestimmte Meinung, die man mir erklärte, in einer TV-Sendung vertreten könne. Ich bot meine eigene an, die ich besser fand. Der Anrufer legte routiniert entschuldigend auf. Er suchte Kontrahenten mit polar entgegengesetzten Ansichten, damit sie sich schön unter den interessierten und manipulierenden Augen einer Moderatorin wie Hähne bekämpfen. Wozu ist das gut? In der Schule haben wir die Grundzüge der Dialektik gelernt, die Kunst, ein klärendes Gespräch zu führen. Der eine vertritt seine Ansicht, die er These nennt, der andere vertritt vielleicht sogar das ganze Gegenteil, die Antithese. Beide, These und Antithese, sind irgendwie wahr und irgendwie falsch, das wird den beiden im Verlaufe des Gespräches klar, und so finden sie unter Mühen schließlich etwas auf einer höheren Ebene, was sie Synthese nennen. Nicht einen Kompromiss – das wäre etwas, was falsch ist, aber für beide akzeptabel klingt. Nein, etwas Höheres, was dann beiden (!) als wahr gelten kann. Gladiatorenkämpfe aber führen zu keiner Synthese, sie ist gar nicht beabsichtigt. Da sollen sich die polar ausgesuchten Kontrahenten argumentativ zerfleischen und einander dauernd ins Wort fallen, besonders, wenn der jeweils andere vielleicht Wertvolles zu sagen hat. Das muss durch Zwischenreden verhindert werden! Krach soll es geben! Gaudi ja auch, wir sollen uns an Blamagen und strammen Sprüchen laben und die Quote heben – was denn sonst? Viele Politiker sieht man nicht mehr in den Talkshows, weil sie Gefahr laufen, Verletzungen davon zu tragen, weil es nur um das Verletzen geht. Einige Veteranen sind inzwischen unverwundbar geworden, wie Norbert Blüm und Heiner Geißler, denen man sogar eine eigene Meinung erlaubt, weil sie goldig authentisch ist, also ziemlich extrem. Der Trigema-CEO ist aus naheliegenden Gründen unverwundbar, Gregor Gysi auch,

und Ursula von der Leyen kann alles durch Einflechten von „zu Hause“ entschärfen. „Hat nicht die CDU im Jahr 19xy versagt?“ – „Ach, ich erinnere mich, da ging ich mit dem xten Kind schwanger!“ In Filmen gibt es ab und zu die Szene eines Geistlichen, der eine nicht arg bekleidete Schönheit ansehen muss. Da betet er schwer atmend das Vaterunser. Genauso kommen mir die Politiker vor, die man ab und an im Ringen um den Sieg vor harte Fragen stellt. Dann beten sie ihr Parteiprogramm runter …

Unter Stress muss man sofort offiziell werden – das ist in einem anderen Kontext, bei Tieren, so etwas wie Totstellen.

„Na und?“, könnten Sie sagen. „Es sind eben die Medien mit Quoten!“ Das weiß ich ja, aber wenn es nun gar keine Synthesen mehr im Fernsehen gibt? Wenn die Welt bei jedem Fitzelchen in These und Antithese unversöhnlich gespalten bleibt?


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Kann uns eine Welt gefallen, in der nichts mehr wahr und nichts mehr falsch ist?

In der wir uns in nichts einig sind und auch nicht sein wollen? In der wir über alles herfallen, anstatt etwas einmal auch stehen zu lassen und zu respektieren? Haben wir noch Werte, über die nicht mehr in TV-Talks hergefallen wird? Christlichkeit? Solidarität? Gemeinschaft? „Ja, ja, aber das Leben sieht anders aus, es ist keine Sozialstation, es ist ein Kampf um das Überleben, damit die Überlebenden die Evolution und den Fortschritt vorantreiben …“ Die Mächtigen haben seit eh und je dadurch geherrscht, dass sie die Wahrheiten besser kannten und für sich behielten. Das tumbe Volk, das nicht mit Wahrheit verrückt gemacht werden darf, bekam Brot und Spiele. Heute gibt es kein Brot mehr, nur noch die Spiele. Wir sehen Leuten zu, wie sie mit den möglichen Wahrheiten, Werten und Überzeugungen ihr Spiel treiben. Und wenn unsere Ansicht gerade nicht gewinnt (im Falle, dass wir eine haben)? Zapp-zapp.


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Frauen, esst mehr Baked Beans! von Marcus Bond

Ob beim langsamen Vorantasten in kühlen Badegelegenheiten oder auch bei frischer Außentemperatur: Frauen jammern oft über Kälte, während die Männer schnurstracks ins kalte Meer / See / Schwimmbad hechten und selbst im klirrenden Winter irgendwie mit nur zwei bis drei Schichten auskommen. Woran liegt das? Sind Frauen einfach zimperlicher? Und was lässt sich dagegen tun? Eine neue Studie bringt ganz erstaunliche Erkenntnisse.

Das Frieren liegt vor allem an dem gottgegebenen, unterschiedlichen Verhältnis von Fett und Muskeln. Beim Mann besteht der Körper durchschnittlich zu 40 Prozent aus Muskeln und nur zu 15 Prozent aus Fett. Bei der Frau sind es im Schnitt 25 Prozent Fett und nur 25 Prozent Muskeln. Wohlige Wärme wird durch Muskeln erzeugt. Fettzellen dagegen können Wärme nur isolieren. Zudem ist die männliche Oberhaut kräftiger und hält Kälte besser zurück. Deshalb frieren Frauen tatsächlich schneller als Männer. Viel weiße Haut Wirft man einen Blick über den Ärmelkanal, stellt sich jedoch ein anderes Bild dar. Engländerinnen ziehen in Wintermonaten spärlich bekleidet durch die Innenstädte, stehen vor Pubs rum und an Diskothekenschlangen an. „Spärlich bekleidet“ heißt nicht mit nur einem Pulli und einer Jacke, nein, die Chicks zeigen verschwenderisch viel von ihrer weißen Haut, teilweise gepresst in enge, schrille Minikleider. Für Touristen ist das ein bleibender Eindruck, der offene Münder, Kopfschütteln und Am-Kopf-kratzen auslöst. Haben Engländerinnen ein besonders vorteilhaftes Muskel-Fett-Verhältnis? Wohl kaum. Die Erklärung liefert eine kürzlich veröffentlichte Studie des Oxford Institute of Nutrition im Auftrag des Ernährungsministeriums. Diese untersuchte die Langzeitfolgen der inseltypischen Essgewohnheiten. Es ging um Body-Maß-Index-Entwicklung, Anteil von Vitaminen im durchschnittlichen Warenkorb, aber auch um die Wirkung der Hauptnahrungsmittel im Körper. Tee, Fish & Chips, Toast und natürlich auch Baked Beans wurden unter die Lupe genommen. In Großbritannien werden die kleinen, hellen, weichen Bohnen in einer Tomatensoße vom frühesten Kindesalter an zu Frühstück und anderen Gelegenheiten serviert. Sie sind so eine Art Nationalgericht, und in

jeder Küche findet sich neben Tee mindestens eine Dose des auf buttrigem Toast oder als Beilage zu verzehrendem Bohnengerichts. Der Umsatz mit Baked Beans auf der Insel entspricht laut Wikipedia zwei Dritteln des Umsatzes aller anderen Gemüsesorten in Dosen kombiniert. Die Studie hat nun festgestellt, dass diese Bohnen besondere biodynamische Eigenschaften besitzen. Sie wirken bei längerem Konsum vor allem in der Außenhaut zellblähend und damit verstärkend. ­­­ So, wie eine Art zusätzliche Schutzhaut, die auch um einige Grad kälteunempfindlicher macht. Beans keep you warm and comfy Der größte Beans-Produzent, Heinz, will mit diesen neuen Erkenntnissen nun eine europaweite Werbekampagne starten. Spots, Testimonials, ein YouTube-Kanal sowie eine Beans-Fanpage sollen die wärmesteigende Wirkung der Wunderbohnen anpreisen. Mit spezieller Winter-Edition, Geld-zurück-Aktion und dem vollen Programm.

Frauen, die auch bei ­Kälte „ihren Mann stehen“ möchten, sollten es also mal eine Weile mit gebackenen ­Bohnen zum Frühstück versuchen und es auch den Kindern regelmäßig servieren. Die typische HP-Sauce dazu ist gewöhnungsbedürftig, aber was tut Frau nicht alles dafür, um die schönen Sommerkleider auch schon im März oder A ­ pril und dann bis in den späten Herbst hinein tragen zu können? Eine schöne Geschichte, nicht wahr?


74 lanegweile an der weihnachtstafel?

Alles, was Sie dafür brauchen, ist ein Glas und ein Stück Schnur oder Geschenkband. Los geht´s:

Schritt 1 Sie zeigen auf das Glas

und fragen in die Runde: „Was ist wohl länger, wenn man einmal oben ums Glas misst oder die Höhe des Glases?“ Hier kann es bereits zu unterschiedlichen Meinungen kommen.

Schritt 2 Sie stellen dann

das Glas auf einen beliebigen Gegenstand und fragen erneut: „Und wenn man jetzt vom Boden an bis an den Rand des Glases misst? Was ist länger? Umfang oder Höhe?“. Nun gibt es mehr Stimmen für die Höhe, nur Onkel Karl beharrt auf dem Umfang.

Schritt 3 Sie erhöhen erneut. Karl bleibt bei seiner Meinung.


lanegweile an der weihnachtstafel? 75

lanGegweile an der weihnachtstafel? 26.12.2012 – 15:53 Uhr: Das 3-tägige Weihnachtsprotokoll wurde bilderbuchmäßig durchgezogen. Die Familie sitzt bei Kaffee und Kuchen. Die Kleinen spielen friedlich. Der Bauch ist voll. Alle Geschichten wurden erzählt. Jetzt was Neues – Zeit für eine Wette!

Schritt 4 Sie erhöhen wieder und fragen Karl direkt, ob er sich denn immer noch sicher sei. Jetzt sei ja wohl klar, wie das Ergebnis ist … Karl grübelt und lenkt dann ein: Ja, die Strecke vom Tisch bis zum Glasrand sei nun länger, als der Umfang.

Schritt 5 Zeit für Ihre Wette! Sie

wetten dagegen (sagen, der Umfang sei ihrer Meinung nach länger) und schauen, was passiert.

Schritt 6 Sie lassen Onkel Karl mit der Schnur den Umfang nachmessen ...


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Spendentipp von Marcus Bond

Embracing the World ist ein weltweites Netzwerk von gemeinnützigen Projekten, das von der Inderin Amma gegründet wurde – sie ist durch ihre humanitäre Arbeit und als ­spirituelle Lehrerin weltweit bekannt geworden. Ihre NGO unterstützt da, wo es wichtig ist. Auch Ihre Spende ist willkommen.

Es lebte einmal ein kleines Mädchen an einem fernen Ort in Indien. Der Vater war Fischer. Die Familie war arm. Und das Mädchen war irgendwie anders. Während andere Kinder spielten, meditierte es – manchmal stundenlang. Sie ging zu fremden Menschen, zu Alten, noch Ärmeren, Ausgestoßenen, Unglücklichen und umarmte und tröstete sie. Sie hielt sich dabei nicht an die klaren Geschlechter- und Kastengrenzen der indischen Gesellschaft. Ein absoluter Tabubruch. Die Eltern waren beschämt. Die Familie litt unter der Schande, die das Mädchen über sie brachte und so verstießen sie es. Das Mädchen machte ungetrübt weiter. Sie zog in fremde Dörfer und umarmte und half den Menschen dort. Sie wurde bekannt. Immer mehr Menschen sahen etwas Göttliches in ihr und unterstützten sie. Sie nannten sie fortan Mata Amritanandamayi (Mutter der unsterblichen Glückseligkeit) oder einfach Amma (Mutter). Mit 29 Jahren gründete Amma eine kleine Hilfsorganisation in Indien. Heute ist sie 59, mit allerhand Auszeichnungen und Lob von höchsten Stellen geehrt worden und nimmer müde, jährlich Hunderttausenden Fremden Liebe, Trost und Geborgenheit zu schenken. Mit ihren meist nur Sekunden dauernden Umarmungen schafft sie es, in die Seele der Menschen vorzudringen (so doof das klingt), unabhängig davon, ob sie spirituell, gläubig oder total skeptisch sind. Strahlende Gesichter bis hin zu erlösenden Freudentränen sind häufig das Ergebnis ihrer Umarmungen. Sie tourt von Neu Delhi bis Los Angeles, von Kapstadt bis London und füllt ganze Hallen mit Menschen, die von ihr umarmt werden wollen. „Meine Umarmungen sollen den Geist

der Liebe und Selbstlosigkeit wecken“, sagt sie. Und das schafft sie bei Tausenden jeden Tag (ihre längeren Darshans dauern bis zu 22 Stunden). Etwa 9 Monate jedes Jahr ist sie unterwegs. Der Eintritt zu den ehrenamtlich organisierten Veranstaltungen ist kostenlos. Kleine Geste, große Wirkung. Eine Journalistin vom STERN hat das Besondere an der Umarmung gut geschildert: „Hier gibt ein Mensch ehrliche Zuneigung, ohne etwas dafür zu fordern, und das sind wir nicht mehr gewöhnt: Eine Fremde liebt dich, und ihr ist egal, wer du bist, woran du glaubst, was du tust, wo du herkommst. Das muss man als rationaler Westeuropäer erst einmal verdauen.“ Doch Amma gibt nicht nur direkt im persönlichen Kontakt. In 30 Jahren hat sie eine globale Hilfsorganisation auf die Beine gestellt. Bei Embracing the World geht es nicht nur um schnelle Soforthilfe, sondern darum, Notleidenden langfristig zu einem menschenwürdigeren Leben zu verhelfen. Benachteiligte Frauen erhalten Berufsausbildungen mit Zukunftsperspektiven und können über Mikrokredite ihr eigenes Geschäft aufbauen. Gesellschaftlich Ausgestoßene wie Witwen, Waisen und Behinderte werden gefördert. Es werden Krankenhäuser, Schulen und Bildungszentren gebaut und betrieben, kostengünstige Insulinspritzen und andere wichtige Produkte entwickelt u.v.m. Vieles davon wird rein ehrenamtlich umgesetzt, doch wird auch Geld benötigt. Embracing the World wird zu etwa 80 Prozent durch Spenden aus Indien finanziert. Aber natürlich ist auch Ihre Spende willkommen. Mehr dazu: www.amma.de


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Der „Amrita e.V.” ist der deutsche Ableger; der gemeinnützige Verein unterstützt finanziell und materiell die humanitären Hilfsprojekte von Embracing the World. Bankverbindung Kontoinhaber: Verein Amrita e.V., Indienhilfe Bank: Volks- und Raiffeisenbank Neuwied-Linz Bankleitzahl: 57460117 Konto: 5205080 IBAN: DE56574601170005205080

Sie können Ihre Spende auch an bestimmte ­Projekte richten. Geben Sie dazu bitte den entsprechenden Verwendungszweck an: • Verteilung von Essen • Stipendien für Schüler und Studenten • Häuser für die Armen • Stärkung von Frauen • Waisenhäuser • AIMS-Krankenhaus • Finanzielle Unterstützung für Frauen am Existenzminimum

Spenden sind steuerabzugsberechtigt; bei An­gabe Ihrer Adresse erhalten Sie automatisch eine Spendenbescheinigung.


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Herausgeber BOND PR-Agenten | Marcus Bond Dieffenbachstr. 63, 10967 Berlin E-Mail: marcus.bond@bond-pr.de XING: www.xing.com/profile/Marcus_Bond Bonds DJ-Mixe: http://soundcloud.com/bond-030 Konzept, Redaktion, Gestaltung: Marcus Bond Gastbeiträge / Interviews: Gunter Dueck, Christiane Flechtner, Prof. Dr. Georg Herbst, Helmut F. Kaplan, Daniel Simon, Hendrik Zimmer Art Direction: Yvonne Wilke, Michaela Dehne, Visuelle Kommunikation Korrektorat: Kristina Heilgenthal, Nadja Stutterheim

Š 2012 BOND PR-Agenten


Enten in Oldenburg


Vögel auf dem Cover des ersten Bond-Magazins? Ian Fleming hat seine Romanfigur 007 nach dem Ornithologen James Bond benannt, der 1936 das Buch „Birds of the West Indies“ veröffentlicht hatte. Die Cover-Gestaltung folgte in Anlehnung an den Ur-James Bond und Vogelfreund.


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