04 Das Handbuch - für eine widerständige Praxis

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Staat ergreift nicht von sich aus die Initiative und beschließt alle möglichen sinnvollen Gesetze und Investitionen, nur weil sie dem großen Ganzen, demnach auch dem kapitalistischen System zum besseren Funktionieren verhelfen.42 Es gibt immer Kräfte, für die solche Maßnahmen, also Grenzen die dem „Kaputt-konkurrieren“ gesetzt werden, finanzielle Verluste bedeuten. Umso größer die finanziellen Einbußen und der politische Einfluss einer Gruppe ist, desto mehr Druck von der Straße ist notwendig um eine politische Veränderung zu erreichen. Darüber entscheidet letztlich die stärkere Kraft, der Staat erscheint hier „als eine materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“43. Der Staat und seine Akteure befinden sich hier im Spagat zwischen maximalem Wachstum heute und den Bedingungen für Wachstum in Zukunft. Ein Beispiel: Das Festhalten an fossilen Brennstoffen in vielen Bereichen sorgt für maximales Wachstum heute, verringert jedoch die zukünftigen Wachstumschancen, wenn die fossilen Ressourcen zu teuer geworden sind. Auch im sozialen Bereich geht es im Wesentlichen um einen Balanceakt zwischen Sparmaßnahmen heute und sozialem Frieden in Zukunft. Soziale, ökologische, emanzipatorische oder freiheitliche Errungenschaften nützen häufig der Stabilität des kapitalistischen Ganzen. Dies ist jedoch kein Argument gegen sie, denn sie können auch zur Vorbedingung für die Überwindung systemischer Zumutungen werden und sind oft schon aus sich heraus erstrebenswert. Alles was wir am Kapitalismus kritisieren, kann weder vernünftig gedacht, richtig verstanden, grundlegend kritisiert oder bekämpft werden, wenn der Staat nicht in Analyse und Praxis miteinbezogen wird. Ein bürgerlicher Staat ist ein Herrschaftssystem mit Gewaltapparat, Wohlfahrtsleistungen und Rechtssystem. In ihm werden Freiheiten und Verbote, Rechte und Pflichten, Staatsbürger_innen und Nicht-Staatsbürger_innen definiert. Er ist ein Machtbereich, in 42 Darüber wundern sich auch alle möglichen Initiativen, die stets beteuern, ihre politischen Vorschläge würden am Ende auch der Wirtschaft nützen, wie beispielsweise erneuerbare Energien, kleinere Schulklassen oder kostenloser ÖPNV. 43 Vgl. Nicos Poulantzas: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus, Hamburg 2002

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