RUHR-FAMILIEN
RUHR-FAMILIEN
Familie Goldschmidt
— Schienenschweißung in Berlin 1908. Das ThermitVerfahren von Goldschmidt ist bis heute ein Welterfolg.
Liebe, Streit und Tragik Goldschmidt: Das ist außerhalb Essens keiner der ganz großen Namen. Aber die Geschichte dieser Familie und ihres Unternehmens ist auf so faszinierende, dramatische Weise verbunden mit Stadt, Region und Zeitgeschichte, dass wir einen gegebenen Anlass gern ergreifen, sie hier zu erzählen. Halb zur Serie über die großen Ruhr-Familien passend – halb zur Folge der „stillen Stars“, denn lautes Klappern gehörte nie so recht zum Handwerk der Goldschmidts.
„Chemische Fabrik Th. Goldschmidt“: Das „Th.“ steht für den Vornamen des Firmengründers. Carl Theodor Goldschmidt wird 1817 in eine bürgerliche Berliner Familie geboren. Sein Vater handelt mit Kattun, also Baumwollstoff. Beide Eltern sterben früh; Theodor kommt in die Obhut seines Onkels und seiner Vettern, die eine „Kattundruckerei“ betreiben. Theodor findet Interesse am Geschäft. Er studiert Naturwissenschaften, tritt in der Firma seine erste Stelle an – und gründet 1847 mit 30 Jahren sein eigenes Unternehmen, das die Fabrik der Verwandten mit Zinn-Chemikalien beliefert.
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Mit seiner Frau Johanna Luise hat Theodor Goldschmidt drei Kinder: Karoline, Karl Bernhard und Johann (Hans) Wilhelm. Ehe der Jüngste ein Jahr alt ist, stirbt die Mutter. Beim Tod des Vaters sind die Söhne 17 und 14 Jahre alt. Trotzdem gelingt die Nachfolge: Beide Söhne studieren Chemie und werden beim berühmten Professor Bunsen in Heidelberg promoviert. Karl tritt 1882 in den Vorstand der Firma ein, Hans folgt 1888. Zu dem Zeitpunkt hat Karl schon entschlossen das Heft in die Hand genommen und Produktivität, Qualitätssicherung, Ertrag der Firma verbessert. Als billige Rohstoff-Quelle für Zinn hat er
Weißblech-Abfälle ausgemacht. Hans übernimmt es, neuartige Entzinnungsverfahren zu erforschen. Bald zeichnet sich ab: Wachstum ist in Berlin kaum möglich. Das Firmengelände am Landwehrkanal ist zu klein. Die Textilindustrie der Hauptstadt schrumpft. Für die entzinnten Blechabfälle gibt es keine Abnehmer. Die Lösung des Problems liegt im Westen: Am Niederrhein gibt es Textilbetriebe; das Ruhrgebiet hat blechhungrige Stahlwerke, Arbeitskräfte und noch immer genügend Platz. Mit Hilfe eines entfernt verwandten Krupp-Direktors finden die Goldschmidts ein passendes Gelände nordöstlich der Essener Innenstadt. Dorthin zieht die Firma „Th. Goldschmidt“ 1890/91 um – und wächst.
Goldschmidt ein Verfahren, bei dem Oxide des Metalls mit Aluminiumpulver gemischt und entzündet werden. Bei der heftigen, aber kontrollierten Reaktion entzieht das Aluminium dem Metalloxid Sauerstoff; es bleiben Metall und Schlacke. Eine Mischung von Aluminiumpulver und Eisenoxid kann auch als Schweißmasse verwendet werden. Lückenloses Schienenschweißen nach der „Thermit“-Methode wird bald zum Standard bei Straßenbahnen und später auch bei Eisenbahnbetrieben. Die beiden Brüder harmonieren „dienstlich“ und privat bestens. Als Karl 1882 die bildhübsche Martha Zoller heiratet, ist auch Hans begeistert von ihr – in einem Brief an den Bruder schwärmt er geradezu: „Ich hätte ihr um den Hals fallen können, um ihr zu danken, dass sie meinen geliebten Bruder so glücklich macht …“ Hans selbst heiratet 1890 Isolina Waring, eine Engländerin. Auch die beiden Schwägerinnen verstehen sich blendend. Doch Martha Goldschmidt stirbt schon 1891 bei der Geburt ihres dritten Kindes. Karls zweite Frau, Anna Weller, kommt mit ihrer lebenslustigen Schwiegerfamilie nicht gut aus. Da die Familien seit 1902 in zwei neuen Villen an der – damals noch beschaulichen – Essener Bismarckstraße eng beieinander wohnen, gibt es immer wieder Reibereien. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg bricht ein latenter Konflikt zwischen den Brüdern selbst offen aus: Hans, der Tüftler, Feingeist und Orchideenzüchter, hat mit seinen
— Firmengründer Theodor Goldschmidt (li.). Sein Sohn Karl hatte Humor, aber auch Durchsetzungskraft.
Forschungen viel zum Wachstum der Firma beigetragen, doch der robuste Karl übergeht Hans bei Entscheidungen immer offener. Am Ende herrscht Sprachlosigkeit. An die Stelle familientypisch reizend geschriebener Briefe tritt hölzerne Kommunikation über Dritte: „… habe ich Sie wiederholt darauf hingewiesen, wie wenig mein Bruder geneigt ist, mich anzuhören.“ Es hilft nicht, dass der gesundheitlich angegriffene Karl 1913 eine Villa in Seeheim (Odenwald) kauft, mit Anna viel Zeit dort verbringt und das Essener Haus 1916 sogar vermietet. Der Krieg trägt zum Bruder-Drama bei. Die patriotischen Goldschmidts sind nur zu bereit, zum Sieg beizutragen. Doch pro-
fitabel ist das nicht. Die Entzinnung leidet wegen der unterbrochenen Beziehungen ins Ausland. Dem „Thermit“-Bereich fehlt Aluminium. Hans’ Versuch, das Verfahren militärisch zu nutzen, ist ökonomisch wenig durchdacht. Kaum besser geht es mit den „kriegswichtigen“ Aktivitäten Karls und seines neuen Forschungs-Chefs Friedrich Bergius: Glykol statt Glycerin für Sprengstoffe, Zucker aus Holz, Treibstoff aus Kohle – das kriegstypische „Ersatz“Programm wird für Goldschmidt zum Desaster. Das liegt zum Teil daran, dass der spätere Nobelpreisträger Bergius oft mehr verspricht, als er praktisch einlösen kann. Er ist ein schwieriger Charakter; das haben
— Hans, der „Thermit-Goldschmidt“, war einTüftler und Feingeist. Trotz wichtiger Erfindungen sah er sich vom Bruder Karl an den Rand gedrängt und stieg aus.
| Zinn und Aluminium Die Entzinnung bleibt lange ein Schwerpunkt des Geschäfts. Sie ist, trotz der Forschungen des Bruders, Karls Domäne. Hans sucht sich ein neues Betätigungsfeld und findet es in der Aluminothermie: Unternehmen wie Krupp haben Bedarf an reinem Chrom und ähnlichen Metallen. Zu deren Herstellung entwickelt Hans
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