BOTTROP-SPEZIAL
I NOHTAT LT B ROP-SPEZIAL
Kirchhellener Kohlenkeller Hightech-Bergbau 1000 Meter unter der grünen Heide — Auf Gleis 1 steht abfahrbereit: U-Bahn nach Hünxe. Lokführer ist Frank Juznik.
Mit der U-Bahn durch die ländliche Kirchheller Heide? Vom Heidhofsee zum „Gartroper Mühlenbach“ im benachbarten Hünxe? Das ist tägliche Routine. Nur dass der Bahnhof unter Hünxe einen seltsam technischen Namen hat: „9620“. Und dass von dort nie jemand an die Oberfläche kommt, weil der Fahrstuhl über 1000 Meter gehen müsste – von Rolltreppen nicht zu reden. Die „U-Bahn“ gehört zu Bottrops „Zweiter Stadt“, einer schwarzen Gegenwelt zum grünen Kirchhellen, die normale Menschen nur selten betreten können: Unter Tage. Prosper/Haniel.
Kirchhellen gibt sich an diesem Morgen besonders idyllisch. Sonnenschein löst gerade die Nebelfelder über der Heide auf. Wäre da nicht das moderne Fördergerüst – die Schachtanlage „Prosper V“ würde kaum auffallen. Kein Schornstein, keine dunkel aufragenden Wände, nur ein Lagerplatz und niedrige Gebäude. Dennoch hat „Prosper/Haniel“ seinen nördlichsten Außenposten zur zentralen Schachtanlage gewandelt. Für 70 % der Bergleute ist dies der Eingang zur Unterwelt, auch Werksleitung und Verwaltung sind kürzlich hierher gezogen.
30 | 32
Ruhr Revue
Dafür wurde ein neues Gebäude angefügt, das nichts mit gängigen Vorstellungen von einer Zeche gemeinsam hat. „Das hier ist übrigens die Steigerstube“, sagt im Vorbeigehen Hueseyin Baykan und deutet auf einen hellen Raum voller Schreibtische mit nagelneuen LCD-Monitoren. Man muss es ihm glauben. Neben Klaus Peter, der sich als Reviersteiger für die Öffentlichkeitsarbeit unter anderem um Besucher der Zeche kümmert, fährt Baykan mit dem Reporter an; dazu kommt noch Bernd Fritz, ein Mann in dunklem Anzug und Schlips. Baykan ist
der Teamkoordinator im Abbau auf „Prosper/Haniel“, Fritz ist zuständig für „Lean Processing“, und wie ein moderner Büromensch sieht er auch aus. Beide wollen ohnehin mit Peter zusammen nach unten, um Fotos mit dessen schlagwettergeschützter Kamera zu machen. So kommt der Reporter zu drei Fachleuten als Begleiter.
| Seilfahrt ist um Acht Ein paar Minuten später sehen wir alle ganz anders aus: graue Drillich-Hose, graue Jacke, darunter ein blaues Bergmannshemd, ein Halstuch, schwere Arbeitsschuhe, Plastik-Schienbein-Schoner, Helm und Sicherheitsbrille, am Gürtel CO-Filterselbstretter und Akku für die Kopflampe. Auch Bernd Fritz sieht jetzt nicht mehr so nach „Lean Processing“ aus, eher nach „heavy work“ – wie ein Bergmann eben. Seilfahrt ist um acht Uhr. Ein Signal, und wir rauschen mit dem Förderkorb in die Tiefe. Der Korb ist nur vergittert und schüttelt gelegentlich, aber nicht beunruhigend. Die Lichter der 786 Meter-Sohle huschen vorbei, dann bremst der Korb sanft ab und stoppt in 1000 Meter Tiefe. Das Füllort.
Es sieht aus wie in einem riesigen Keller. In verwirrend viele Richtungen zweigen Gänge ab – pardon: Strecken. Gleise liegen im Boden, darauf Waggons mit Material jeglicher Art. „Wir nehmen den Zug um neun Uhr“ – genug Zeit, um eine neue Lokwerkstatt zu besuchen und einen Büroraum, den die Bergleute in einer nicht mehr benötigten Strecke herrichten. Dort werden Leute am Computer sitzen und die Verteilung des Kleinmaterials in der Grube organisieren – näher an der Produktion als bisher: ein Beispiel für „Lean Processing“, ein komplexes Programm zur Verbesserung von Arbeitsabläufen und zur Kostensenkung. Schon hier, ganz nah am Schacht, hätte der Besucher sich ohne Aufsicht längst verirrt. Andererseits: Die „Kellergänge“ sind groß und hell. Man sieht High-Tech-Arbeitsplätze mit Computern. Da regt sich fast Enttäuschung: So sieht heute Bergbau aus? Wäre da die ganze Bergmannskluft nicht entbehrlich? Wir sind am Personenbahnhof angekommen, klemmen uns in die Waggons; ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Tack, tack. Tack, tack. Es erinnert an die Londoner U-Bahn; nur ist es noch enger. Die „Times“ könnte man kaum entfalten. Wir haben etwa sechs Kilometer zurückgelegt, als wir am Bahnhof „9620“ aussteigen. Der Zug fährt weiter nordwestlich, zum Wetterschacht „Hünxe“ des 2005 stillgelegten Bergwerks Lohberg/Osterfeld.
— Wohin soll’s gehen? Man kann sich leicht verirren in 1000 Meter Tiefe. Unten: Kohlehobel im Streb.
| Seilfahrt ist um Acht Auch hier verzweigen sich Strecken, und man bekommt eine Ahnung davon, wie sehr sich diese Grube ausdehnt, welchen Aufwand man betreibt, um an die Kohle heranzukommen. Dass die Welt der Bergleute eigen ist, sieht man an Details: „Bitte haltet den Dubbelplatz sauber“, steht auf dem Schild über einer Bank: Dubbel heißt Stulle. Am Bahnhof soll man nicht auf den Gleisen laufen, deshalb steht über dem Gehweg: Fahrweg. Denn der Bergmann fährt, wenn er geht. Überall Leuchtpunkte wie Glühwürmchen: die Kopflampen der Bergleute. Und wer sich begegnet, der grüßt; dass zwei grußlos aneinander vorbeilaufen, gibt es einfach nicht. Der Besucher kommt sich erst seltsam vor dabei, und über Tage schien „guten Tag“ noch angemessener, aber hier unten sagt man bald von allein jedes Mal wie selbstverständlich: „Glückauf!“
— Ziemlich niedrig im Streb: Bernd Fritz (rechts) und der schon ziemlich verschwitzte Reporter
Ruhr Revue
| 33