RUHR-FAMILIEN
RUHR-FAMILIEN
Von Schmitz-Scholl zu Haub:
Wieder einmal Mülheim: In jener Stadt, in der vor 150 Jahren die Stinnes* und die Thyssens* ihre späteren Imperien begründeten, legte zur gleichen Zeit eine andere Familie den Grundstock zur heutigen internationalen Unternehmensgruppe Tengelmann. Die Firmenzentrale liegt noch heute in Mülheim, und das Unternehmen
Die wahren Tengelmänner Wenn das mit den Tengelmanns außerhalb Mülheims nicht überall bekannt ist, liegt das wohl auch an den Namen. Denn erstens sind es keineswegs Tengelmanns, die Tengelmann gegründet und groß gemacht haben. Und zweitens wurde das Unternehmen seit 1969 über 30 Jahre lang von Erivan Haub geprägt. Haub aber ist nicht der Name des Gründers, und Erivan darf man einen exotischen Vornamen nennen. Obendrein wusste man von diesem öffentlich sehr zurückhaltenden Mann, dass er ein halber Amerikaner sei. In Wahrheit aber sind Erivan Haub und seine Söhne sehr wohl direkte Nachfahren des Mülheimer Firmengründers, der noch auf den Allerweltsnamen Schmitz hörte.
ist noch immer in den Hän-
| Lehre ohne Lohn den der Gründerfamilie.
*siehe unsere Porträts in den Heften 4/08 und 1/08 oder im Archiv unter — Wilhelm und Louise Schmitz-Scholl gründeten die Firma 1867.
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Ruhr Revue
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Hermann Wilhelm Schmitz wird 1831 als Sohn eines Mülheimer Tuchhändlers geboren und gehört damit zu den bürgerlichen Mülheimer Kreisen. So kann er auch die „höhere Bürgerschule“ besuchen und Privatunterricht in englischer Sprache erhalten. Mit 15 Jahren allerdings verlässt der junge Schmitz die Schule und absolviert eine dreijährige Lehre in einer Kolonialwaren-Handlung. Der mit 74 Jahren schon betagte Vater hat die Stelle vermittelt, damit der älteste Sohn möglichst bald als Kaufmann würde verdienen können.
Von Geld ist zwar in der unbezahlten (!) Lehre noch keine Rede; obendrein stirbt Vater Schmitz, noch ehe die Lehre beendet ist. Doch Wilhelm macht auf seinen Chef einen so guten Eindruck, dass er als Angestellter übernommen und 1856 sogar zum Nachfolger des Inhabers bestimmt wird. Schmitz führt das Geschäft zehn Jahre mit einem Teilhaber als „Wilh. Schmitz & Lindgens“; am 1. Januar 1867 wird er Alleinnhaber. „Schmitz“ als Firmenname ist ihm zu verwechselbar, so fügt er den Geburtsnamen seiner Frau an: „Wilh. Schmitz-Scholl“. Und er räumt seiner Frau auch Prokura ein. 1855 hat Schmitz seine Louise, geborene Scholl geheiratet, Tochter eines Ruhrschiffers und Gastwirts. Das junge
Paar erarbeitet sich rasch einen Platz im Mülheimer Bürgertum; die Schmitz’ weben ein damals typisches Netzwerk aus familiären und geschäftlichen Verbindungen. So heiratet die älteste Tochter einen Geheimen Sanitätsrat, der älteste Sohn eine junge Frau aus der hoch angesehenen Essener Familie von Waldthausen. „Wilh. Schmitz-Scholl“ handelt en gros mit Kolonialwaren, vorwiegend mit Kaffee, Tee und Kakao. Die Kaffeebohnen werden, wie üblich, „grün“ verkauft und erst vom Kunden geröstet. Mit der Idee, Kaffee industriell zu rösten, geht 1880 in Viersen Josef Kaiser voran. Wilhelm Schmitz folgt 1882. Das Geschäft läuft gut, steht jedoch bald im Schatten privaten Unglücks: 1886 wird Louise Scholl bei
einem Kutschenunfall schwer verletzt; die Sorge um seine Frau setzt auch dem herzkranken Schmitz zu. 1887 stirbt er mit 56 Jahren. Die Witwe folgt ihm wenige Monate später. Zuvor überträgt sie das Geschäft auf Wilhelm junior, den ältesten, und Karl, den jüngsten Sohn. In dieser Generation etabliert sich der Doppelname Schmitz-Scholl.
| Neue Kaffee-Geschäfte Es ist Karl, der sich bald als kaufmännischer Erbe des Firmengründers entpuppt. Seine Idee ist es, die Waren künftig über eigene Filialgeschäfte zu vertreiben. Einen bodenständig klingenden Namen für das neue Geschäft steuert Emil Tengelmann bei: Der Spross einer im Bergbau aktiven Essener Unternehmerfamilie ist Prokurist bei Schmitz-Scholl. Der erste Laden eröffnet als „Tengelmann’s Kaffee-Geschäft“ 1893 in der Düsseldorfer Altstadt. Rasch wächst ein Filialnetz über ganz Deutschland; allmählich wird das Sortiment dabei um Lebensmittel und Haushaltwaren erweitert. Am Namen Tengelmann halten die Brüder Schmitz-Scholl auch fest, als ihr Prokurist 1904 mit nur 40 Jahren stirbt.
— Karl Schmitz-Scholl sen. baute das Filialgeschäft auf. Den Namen lieh er sich beim Prokuristen Tengelmann.
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