Finale im Maskenmann-Prozess Das Frankfurter Landgericht will heute ein Urteil fällen / Aufgedeckt wurden in dem Verfahren vor allem die vielen Fehler der Polizei Nach über einem Jahr wird heute die Entscheidung des Frankfurter Landgerichtes im Maskenmann-Prozess erwartet. Für den Angeklagten kann es eine lebenslange Haft oder einen Freispruch geben. Egal, wie das Verfahren endet – Prozessbeobachter gehen davon aus, dass gegen die Entscheidung Revision eingelegt wird. Von Beate Bias Frankfurt (Oder) (MOZ) Ist er der Maskenmann – oder ist er es nicht? Die Frage kann wohl nur der Angeklagte Mario K. richtig beantworten. Polizei und Staatsanwaltschaft haben zehn Monate vor dem Prozess viele Indizien gegen den 47-jährigen
Dachdecker gesammelt. Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerung gingen bei den Ermittlern ein. Es wurden Durchsuchungen angeordnet, heimliche Observierungen durchgeführt, H u b s c h ra u bereinsätze gesteuert und vieles mehr. Trotz der vielen Arbeit fehlt den Beamten bis heute ein eindeutiger Be-
weis. Staatsanwalt Jochen Westphal ist trotzdem von der Schuld des Angeklagten überzeugt. In seinem Plädoyer erklärt er, dass die vielen Indizien in einer Gesamtschau bewertet werden müssten. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe teilt die Argumentation des Anklägers. Allerdings bezog sich dies auf ein zurückliegendes Verfahren, bei dem der Angeklagte ein richtiges Motiv hatte. Möglicherweise hätte
der Prozess eine andere Richtung genommen, wenn die Polizeiführung nicht so schwere Fehler begangen hätte. Gleich nach der vermeintlichen Entführung war es versäumt worden, das Opfer gerichtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Solch ein Vorgehen gehört sonst zum Standardprogramm. Fragwürdig ist auch die Entscheidung, den Berliner Unternehmer wenige Stunden nach der Selbstbefreiung in den Urlaub fliegen zu lassen. Dafür musste eine erste Befragung unterbrochen werden. Kritiker begründeten den Dilettantismus hinter vorgehaltener Hand mit dem beruflichen Hintergrund des Leiters der Kriminalpolizei. Er ist Elektromonteur und stammt nicht vom Fach. Es muss so etwas wie ein Bauchgefühl gewesen sein, das den Kri-
Unschuld
Schuld
■ Gibt es ein Motiv? Die Frage wurde im Prozess nicht beantwortet. Täter und Opfer haben sich nicht gekannt. Die Forderung nach Lösegeld in Höhe von einer Million Euro passt nicht zum Wesen des Angeklagten. Gegenüber Zeugen sagte er, dass die Welt besser wäre, wenn sich nicht alles ums Geld drehen würde.
■ Gibt es ein Motiv? Im Vorstrafenregister des Angeklagten heißt es, dass er in teure Jachten eingebrochen ist – und die Boote später in Brand setzte. Für die Staatsanwaltschaft ein eindeutiges Indiz dafür, dass Mario K. reiche Menschen hasst.
■ Was ist mit der Tatwaffe? Sie wurde bis heute nicht gefunden. Die Ankläger glauben, dass Mario K. die Munition bei seinem Schützenverein gestohlen hatte. Dafür gibt es aber keine Belege. Zudem wurde dort Munition anderen Datums verwendet, als sie an den Tatorten gefunden wurde. ■ Hat der Angeklagte ein Alibi? Zu den Tatzeiten war Mario K. arbeitslos. Ein Tag glich dem anderen, sagen seine Rechtsanwälte. Weil zwischen Taten und Festnahme ein beziehungsweise zwei Jahre liegen, könne er sich nicht mehr an Details erinnern. ■ Gibt es Zeugen? Weil der Täter bei den Überfällen maskiert war, hat niemand sein Gesicht gesehen. Aber es gibt Zeugen, die Mario K. im Umfeld beobachtet haben wollen. Die Angaben sind jedoch zweifelhaft. Ein Rentner hielt den Angeklagten beispielsweise erst für einen verstorbenen Freund, bevor er im Gerichtssaal Mario K. belastete.
poleiter veranlasste, dem Opfer keine kritischen Fragen zu stellen. Im Zeugenstand streitet der 54-jährige Kriminaldirektor solch eine Anweisung zwar ab. Er gibt aber zu, veranlasst zu haben, dass wegen „Vortäuschens nicht ermittelt wird“. Solche Vorgaben führten direkt in die Sackgasse. Erfahrene Beamte lehnten sich auf – und wurden lautstark zurechtgewiesen. Immer wieder ist die Rede von einem Klima der Angst. Bis heute sind die Streitigkeiten nicht ausgeräumt. Was folgt nun auf die Urteilsverkündung? Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, bleibt er weiter in Haft. Die Verteidiger werden eine Revision beantragen – sehr wahrscheinlich kommt es dann zu einem neuen Prozess vor einer anderen Strafkam-
mer des Frankfurter Landgerichtes. Darüber muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Hält die Schwurgerichtskammer Mario K. für unschuldig, kommt er frei. Vermutlich wird es auch in diesem Fall eine Neuauflage des Prozesses geben. Wird der Freispruch irgendwann rechtskräftig, hat der heute 47-Jährige Anspruch auf eine Entschädigung des Staates. Für die mehr als 600 Tage Untersuchungshaft stehen ihm laut Angaben des Justizministeriums fast 16 000 Euro zu.
* 6. Oktober 2012 – Der Unternehmer kann sich nach 33 Stunden aus einem Versteck am Storkower See befreien. Er flieht durch den Sumpf nach Wendisch Rietz. Dort erhält er Hilfe von einem Ehepaar.
■ Was ist mit der Tatwaffe? Der Angeklagte war in einem Schützenverein aktiv. Dort hat er auf eigenen Wunsch mit dem Modell Ceska geschossen, das auch bei den Überfällen verwendet wurde. Früher soll er auch im Besitz von solch einer Pistole gewesen sein.
* 17. Oktober 2012 – Das Landeskriminalamt bestätigt nach einer Untersuchung, dass die Hülsen von den Überfällen aus derselben Waffe stammen. Die Waffe wurde bis heute nicht gefunden.
■ Hat der Angeklagte ein Alibi? Laut Auskunft des Arbeitsamtes war Mario K. während der Zeit der Entführung nicht bei der Behörde angemeldet. Seine Bewährungshelferin sagte, er wollte nach Griechenland reisen und dort ein neues Leben anfangen. Ob er dort war, blieb offen.
* 17. September 2013 – Nachdem die Polizei den Tatverdächtigen Mario K. sechs Monate observiert hat, wird der Mann in Berlin-Köpenick festgenommen. Die Fahrt zur Polizei nach Fürstenwalde dauert doppelt so lange, weil ein Navigationsgerät die Beamten über Feldwege leitet.
■ Gibt es Zeugen? Die Staatsanwaltschaft hält die Zeugen, die Mario K. im Umfeld der Tatort gesehen haben wollen, für glaubwürdig. Außerdem will das erste Opfer den Angeklagten hinter seiner Maske (Augen, abstehendes Ohr) erkannt haben. Bei einer Stimmprobe will das Entführungsopfer den Angeklagten nicht 100-prozentig, aber sehr wahrscheinlich identifiziert haben.
* 18. September 2012 – Gegen den Beschuldigten ergeht ein Haftbefehl wegen versuchten Totschlags und erpresserischen Menschenraubs. Seine Untersuchungshaft tritt er in der Justizvollzugsanstalt Cottbus an.
* 5. Mai 2013 – Vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) wird der Prozess gegen den Angeklagten eröffnet. Zu den Vorwürfen wird er sich bis zuletzt nicht äußern. Über seine Anwälte lässt er mitteilen, dass er unschuldig ist.
„Mir war klar, dass er mich umbringen will“, sagte Nebenklägerin Petra P., das erste Opfer des maskierten Täters. „Ich war verzweifelt und hatte Angst zu hyperventilieren“, beschrieb der Berliner Unternehmer Stefan T. seine Gedanken während der Entführung. „Das sind verleumderische Hirngespinste“, erklärte der Rechtsanwalt der Nebenklage, Jakob Danckert, über eine Einschätzung der Kriminologin Bettina Götze. „Ich habe im Laufe des Tages erfahren, dass die erste Vernehmung des Opfers vorzeitig beendet werden muss“, sagte der Kriminalbeamte Lutz Boltz aus. Die Polizeiführung hatte gestattet, dass Stefan T. nach Mallorca fliegen darf. „Es blieben noch viele Fragen offen.“
„Ich wollte nicht, dass hier Ähnliches passiert“, erklärte Kripochef Siegbert Klapsch. Zuvor hatte er im „Spiegel“ über eine misslungene Ermittlung in Baden-Württemberg gelesen. Er meinte auch: „Ich habe nur gesagt, dass wegen eines Vortäuschens nicht zu ermitteln ist.“
* 2. Oktober 2011 – Erneut dringt ein maskierter Mann auf das Grundstück der Unternehmerfamilie ein. Dort bedroht er die 23-jährige Tochter mit einer Schusswaffe. Ihr Leibwächter wird von mehreren Schüssen getroffen. Er bleibt querschnittsgelähmt.
* 5. Oktober 2012 – Ein 51-jähriger Unternehmer wird aus seiner Villa in Storkow entführt. Der maskierte Täter dringt in das Haus ein, schießt in die Decke und bedroht die Familie. Das gefesselte Opfer muss sich an einem Kajak festhalten, mit dem der Entführer durch den See paddelt.
„Bei dem Tatablauf bestand Lebensgefahr“
„Bei dem Tatablauf bestand Lebensgefahr“, sagte der Rechtsmediziner Harald Voß über die Entführung durch den zwölf Grad kalten Storkower See. „Unterkühlungen hätten sein müssen.“ Weil es keine gab, meint er: „Das ist ungewöhnlich. Ich hätte Verletzungen erwartet.“
22. August 2011 – Die Frau eines Berliner Unternehmers wird vor ihrer Villa in Bad Saarow von einem maskierten Mann niedergeschlagen. Nur weil Nachbarn zur Hilfe eilen, bleibt das Opfer am Leben. Der Täter entkommt.
* 18. November 2011 – Die Polizei findet auf dem Grundstück der Familie Geschosse aus der Waffe des Täters. Untersuchungen ergeben, dass die Geschosse von einer Ceska oder einem ähnlichen Modell stammen.
Mehr als 200 Zeugen wurden in den vergangenen 13 Monaten befragt / Auch außerhalb des Gerichts sorgte der Prozess für Schlagzeilen
„Das denkst auch nur du.“ Das ist einer der wenigen Sätze, die der Angeklagte Mario K. während des Prozesses sagte. Zuvor hatte ein Freund des schwer verletzten Wachmanns gesagt, er wolle im Gericht den Mann sehen, der seinen Freund verletzt hat.
CHRONOLOGIE
„Noch bevor eine Festnahme erfolgte, haben wir erfahren, dass es Probleme in der Sonderkommission gibt“, sagte Ex-Polizeipräsident Arne Feuring. Über den Vorwurf, dass kritische Nachfragen an das Opfer untersagt wurden, sagte er: „Das habe ich nicht so verstanden.“
„Ich mache von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch“, entschied sich Heidemarie V., die Mutter des Angeklagten. „So etwas kann man sich nicht ausdenken“, betonte Staatsanwalt Jochen Westphal über die Glaubwürdigkeit des Opfers.
* 23. Juni 2014 – Ein Rechtsmediziner äußert erste Zweifel an der Darstellung des Entführungsopfers. Seiner Ansicht nach ist es nicht vorstellbar, dass ein Mensch eine mehr als einstündige Fahrt durch einen zwölf Grad Celsius kalten See überleben kann.
* 18. Dezember 2014 – Durch die Aussage eines Ermittlers wird bekannt, dass die Polizeiführung kritische Nachfragen an den Berliner Unternehmer untersagt hat. Weil der Beamte das Vorgehen nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, stellt er Selbstanzeige.
* 17. April 2015 – Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten. Die Verteidigung beantragt einen Freispruch für ihren Mandanten.