Dr. med. Mabuse 224_Gesundheit und Medien

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Nr. 224 · November/Dezember 2016 41. Jahrgang · D 6424 F · 8 Euro

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Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe

Gesundheit und Medien — „Was hab‘ ich?“ — OnlinePräventionskurse Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Patienten – Pro/Contra. Teure Arzneimittel – ein Politikum. Humor in der Psychiatrie – angemessen und authentisch.

— Medienkompetenz — Bildsprache


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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, Medien als „Gesamtheit aller Kommunikationsmittel und -organisationen“ durchdringen nicht nur das soziale Miteinander in unserem Alltag (Familie, Freunde, Arbeit), sondern auch die Bereiche Gesundheit und Medizin. Anlass genug, sich diesem Thema im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe zu widmen. Ein kompetenter Umgang mit Medien entwickelt sich auch hierzulande zum „Musthave“ für die individuelle Gesundheitskompetenz, zeigt Bernard Braun. Er wünscht sich einen kritischeren Umgang mit Informationen aufseiten der Patienten und mehr Wille zu „Validität und Verständlichkeit“ bei den VertreterInnen der Gesundheitsbranche. Über die Möglichkeiten der Bildsprache bei der ärztlichen Betreuung von Migranten schreiben Christine Dusdal und Andrea Schiff. In ihrem Artikel erläutern sie, wie der Gebrauch von Piktogrammen eine gezieltere und effektivere Verständigung im Gesundheitswesen ermöglichen kann. Zwei spannende Artikel befassen sich mit der Bearbeitung gesundheitlicher Themen in Film und Fernsehen: Einen Einblick in das Seelenleben von Menschen mit Depression gewährt der Bericht über den Dokumentarfilm „Die Mitte der Nacht ist der Anfang vom Tag“ von Axel Schmidt. Die Fernsehserie „Real Humans – Echte Menschen“ hat Sabine Wöhlke und Eberhard Wolff dazu animiert, ein fiktives Gespräch über das Verhältnis von Mensch und Technik zu führen. Darin diskutieren sie, wie die Darstellung von zukünftigen Szenarien die Einstellung der Zuschauer beeinflusst – beispielsweise gegenüber der Versorgung älterer Menschen durch Pflegeroboter.

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Beatrice Brülke stellt das preisgekrönte Projekt „Was hab‘ ich?“ vor, in dem Medizinstudierende anonym und kostenlos medizinische Befunde in eine patientenfreundliche Sprache übersetzen. Online-Präventionskurse nimmt Viviane Scherenberg näher unter die Lupe und sie stellt die Frage, ob es sich dabei noch um gesundheitliche Vorsorge oder nur um Marketingstrategien handelt. Weitere Themen der Ausgabe sind der Einsatz von Humor in der Psychiatrie und sein positiver Einfluss auf die Gesundheit und die Versorgung von Patienten, fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen PatientInnen und sogenannte Adaptive Pathways, die schon bald die Zulassung neuer Medikamente beschleunigen sollen. Wir wünschen eine anregende Lektüre und grüßen herzlich aus der Redaktion!

Franca Liedhegener

Ann-Kathrin Roeske

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Inhalt Fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen PatientInnen . . . . . . . . . . . S. 12 Pro: Unverzichtbare Voraussetzung Gerd Antes Contra: Schutz für vulnerable Gruppen erhalten Katrin Grüber

Aufbruch zu einer neuen Medizin . . . . . . . . . . . . . . S. 15 Eine Tagung zur Psychoneuroimmunologie Sven Eisenreich

Finanzielle Belastungen steigen . . . . . . . . . . . . . . . . S. 18 Arzneimittelkosten und Kassenbeiträge beeinflussen die politische Agenda Wolfgang Wagner Das gesundheitspolitische Lexikon:

Nanna Conti (1881–1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 42 Anja K. Peters

Lachen ist die beste Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 44 Humor im Umgang mit psychisch kranken Menschen Jonathan Gutmann

Ist schneller wirklich besser? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 48 Patientennutzen bei beschleunigter Arzneimittelzulassung Gerd Glaeske

Rubriken

Gesundheit anderswo:

Editorial

Kodokushi – einsame Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 49

Leserbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Soziale Isolation und Versuche von lokalen Gegenmaßnahmen in Japan Nils Dahl

Reformziele noch unerreicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 52 Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität in psychiatrischen Kliniken Bernard Braun und Peter Brückner-Bozetti

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Nachrichten

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Momentaufnahme

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Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . 60 Neuerscheinungen

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Broschüren/Materialien Zeitschriftenschau

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Ein „Viertelchen“ Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 55

Termine

Kommentar zum Bundesteilhabegesetz Oliver Tolmein

Stellenmarkt/Fortbildung . . . 76 Kleinanzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Gesundheitsexperten von morgen:

Alt und suizidal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 56 Stellenwert des Suizids in der hausärztlichen Betreuung Nina Lingott

Besser reich und gesund als arm und krank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 82 Karin Ceballos Betancur Foto: istockphoto.com/simonkr


Schwerpunkt:

Gesundheit und Medien Patentrezept: Medienkompetenz

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S. 22

Ein Weg zur Steigerung der Gesundheitskompetenz? Bernard Braun

Sprachbarrieren überwinden . . . . . . . . . . . . . S. 25 Bildsprache als Mittel der interkulturellen Kommunikation Christine Dusdal und Andrea Schiff

„Jammertäler und Momente der Hoffnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 28 Ein Filmprojekt will Depressionen begreifbar machen Christoph Müller

Hilfe für Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 31 „Was hab‘ ich?“ übersetzt Medizinerlatein Beatrice Brülke

Real Humans – echte Menschen? . . . . . S. 34 Ein interdisziplinäres Gespräch über Roboter, Pflege und Film Sabine Wöhlke und Eberhard Wolff

Marketing oder Prävention? . . . . . . . . . . . . . . . S. 38 Online-Präventionskurse auf dem Prüfstand Viviane Scherenberg

Gesundheit und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 41 Bücher zum Weiterlesen


Artikel aus dem Schwerpunkt


Schwerpunkt: Gesundheit & Medien

Sprachbarrieren überwinden Bildsprache als Mittel der interkulturellen Kommunikation

Christine Dusdal und Andrea Schiff Eine barrierefreie Kommunikation zwischen Patienten und Personal im Gesundheitswesen zu garantieren, wird im Zeitalter der Globalisierung und der aktuellen Situation der Flüchtlingsbewegung zu einer immer größeren Herausforderung. Christine Dusdal und Andrea Schiff zeigen, welche Probleme sich im Krankenhausalltag ergeben und welche Möglichkeiten der Einsatz einer bildgestützten Kommunikation bietet.

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er kennt diese Situation nicht? Kommen PatientInnen mit Migrationshintergrund ins Krankenhaus, können sie oftmals nicht verständlich äußern, an welchen Symptomen sie leiden oder welches Trauma sie erlebt haben. Allein unter den Migranten in Deutschland besitzen etwa 20 Prozent nicht genügend Deutschkenntnisse, um gesundheitliches Informationsmaterial zu verstehen, Gesprächen mit medizinischem Personal zu folgen, die gegebenen Informationen zu behalten oder wiederzugeben.1 Hier sind Hilfestellungen im Bereich der Kommunikation im Krankenhaus gefragt und diese sind auch schon in unterschiedlicher Form zugänglich. Ärzte und Krankenschwestern behelfen sich, indem sie Taschendolmetscher benutzen oder Übersetzer einbeziehen, was teilweise viel Zeit und Geduld kostet. Auch Aufklärungsbögen werden inzwischen in viele unterschiedliche Sprachen übersetzt, um beispielsweise größere operative Eingriffe zu erklären. Dennoch bleibt die einfache zwischenmenschliche Kommunikation im Krankenhausalltag für alle Beteiligten schwierig: Ein kurzes Gespräch auf dem Weg in die Radiologie, die Frage nach dem emotionalen Befinden oder das Erfassen von Symptomen werden zu echten Herausforderungen.

Frustration in der Notaufnahme Ein Fallbeispiel aus einer Notfallambulanz soll verdeutlichen, wie wichtig schnelle und einfache Kommunikationshilfen sind: Der Rettungsdienst bringt einen Patienten aus einer FlüchtlingsunDr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016

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Schwerpunkt: Gesundheit & Medien

terkunft in die Notaufnahme der Uniklinik. Der Sanitäter sagt in seiner Übergabe, dass der Patient Schmerzen im Knie habe. Genaueres habe er aufgrund der Sprachbarriere aber nicht erfragen können. Auch der Bruder des Patienten ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Eine OPNarbe am Knie lässt darauf schließen, dass es wohl schon vorherige Problematiken gab – ohne Vorbefunde und nähere Angaben vom Patienten ist aber unklar, weshalb das Knie bereits behandelt wurde. Der Arzt und die Gesundheitspflegerin versuchen, eine Anamnese durchzuführen. Andere Stationen werden angerufen, um herauszufinden, ob bilinguales Personal abrufbar ist, das die Sprache des Patienten versteht – ohne Erfolg. Da das Knie ohne Schmerzen bewegt werden kann, nicht geschwollen oder gerötet ist, wird von weiteren diagnostischen Maßnahmen abgesehen und der Patient entlassen. Fühlt sich der Patient verstanden? Konnte ihm geholfen werden? Ist eine Nachsorge oder Prävention gesichert? Diese Fragen bleiben bestehen und viele Ärzte und GesundheitspflegerInnen empfinden dies als eine frustrierende Situation, die zu Unsicherheit und Unzufriedenheit bei der Behandlung dieser Patientengruppe führt.

Sprache als Zugangsvoraussetzung Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll jedem Menschen, ungeachtet seiner Kultur, Religion oder Herkunft, ein uneingeschränkter Zugang zum Gesundheitswesen geboten werden. Angesichts dessen grenzt der aktuelle Zustand mittlerweile an eine neuartige Diskriminierung einiger Patienten im Gesundheitswesen. In diesem Rahmen bilden fehlende Sprachkenntnisse eine Zugangsbarriere zu den vielen hilfreichen Angeboten des deutschen Gesundheitssystems. Denn Sprachbarrieren haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung. Sie beeinflussen zum Beispiel das Verständnis und das Behalten von Informationen, die Zufriedenheit von Personal und Patienten sowie letztendlich auch die Qualität der Versorgung. Denn fehlen Informationen über die Krankengeschichte des Patienten, kann die Behandlung unter Umständen nicht optimal erfolgen. Zudem fühlen sich viele Patienten im Kontakt mit Ärzten nicht verstanden und suchen dann Rat bei einem anderen Arzt

Bildsprache

oder einem anderen Krankenhaus, was das „Doctor-Hopping“ verstärkt und zu zusätzlichen Kosten im Gesundheitswesen führt. Schließlich werden Sprachbarrieren auch als Grund dafür genannt, dass Angebote der Gesundheitsversorgung gar nicht erst wahrgenommen werden.2 Daraus können für ernsthaft erkrankte Patienten risikoreiche Situationen entstehen.

Möglichkeiten der Bildsprache Um dieser Tatsache zu begegnen, werden in Krankenhäusern inzwischen Dolmetscher eingestellt und auch bilinguales Personal ist sehr gefragt. Dennoch sind diese Personen nicht immer abrufbar und nicht umgehend an Ort und Stelle. Es werden zusätzlich Instrumente benötigt, die einfach, verständlich und sofort nutzbar sind. Hier kann die älteste Sprache der Menschheit Hilfestellung leisten: die Bildsprache, also Piktogramme, Bilder, Symbole oder Cartoons. Diese Bildsprache wird mittlerweile für die interkulturelle Kommunikation in vielen öffentlichen Einrichtungen, wie etwa Flughäfen oder Restaurants, genutzt. Auch der Deutschunterricht für Geflüchtete wird größtenteils mithilfe der Bildsprache durchgeführt. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Kombination von Schrift und bildhafter Darstellung das Verständnis, die Wiedergabe und das Erinnern von komplexen Inhalten verstärkt.3 Auch das Erlernen von neuen Inhalten wird dadurch unterstützt und kann bezogen auf das Gesundheitswesen beispielsweise die Aneignung von notwendigen Präventionsmaßnahmen bewirken.4 Trotz dieser Vorteile kann die Bildsprache nicht als Universalsprache gelten. Besonders im Bereich der interkulturellen Kommunikation müssen Anpassungen erfolgen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Denn Symbole und Bilder werden weltweit unterschiedlich verstanden und gebraucht. Studien zeigen, dass etwa Bilder aus der amerikanischen Kultur von Afrikanern falsch interpretiert wurden. Zum Beispiel wurden Bilder über die korrekte Lagerung von Medikamenten nur von acht der 46 Studienteilnehmer richtig gedeutet. Die afrikanisch geprägten Piktogramme erzielten bessere Ergebnisse. Hier wird deutlich, dass der Gebrauch von Bildern aus der eigenen Kultur das notwendige Verständnis steigern kann.5 Im Gesundheitswesen hat sich gezeigt, dass Verfahrenserklärungen mit einer bild-

Alle Abbildungen stammen aus dem Bildwörterbuch der Apotheken Umschau, das mit Übersetzungen in Deutsch, Englisch, Urdu und Farsi die Kommunikation mit Geflüchteten erleichtern soll. Bildnachweis: W&B/Ulrike Möhle | Foto oben: Caro/Seeberg

haften Unterstützung – zum Beispiel für eine Wundversorgung – von Menschen mit wenig Sprachkenntnis bereitwilliger angenommen werden. Sie wecken das Interesse und helfen den Patienten dabei, sich Inhalte besser vorstellen zu können. So sind diese Patienten eher bereit, sich mit der Eigenversorgung auseinanderzusetzen und diese dann auch konsequent durchzuführen. Werden sie zu den medizinischen und pflegerischen Inhalten befragt, zeigen sie Selbstsicherheit und eine höhere Sachkenntnis. Patienten, die keine bildhafte Unterstützung erhielten, waren unsicherer, wenn sie die Wundversorgung oder andere gesundheitsbezogene Tätigkeiten selbst durchführen sollten.6

Kulturen übergreifendes Verständnis Wird die Bildsprache im interkulturellen Zusammenhang gebraucht, müssen also bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden: Aufgrund der bereits erwähnten unterschiedlichen Interpretationen muss sie kulturell adaptiert werden. In der Praxis bedeutet dies, dass zunächst Bilder Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016


Bildsprache

aus dem westeuropäischen Krankenhausalltag mit solchen aus anderen Ländern verglichen werden müssen. Dabei werden Gemeinsamkeiten ausfindig gemacht, mithilfe derer Schlüsselelemente geschaffen werden können, die Kulturen übergreifend verständlich sind. Ob die Bilder von Patienten aus anderen Kulturen wie gewünscht interpretiert werden, muss anschließend überprüft werden. Auch wenn nicht zu jedem Krankheitsbild, Symptom oder jeder Tätigkeit gemeinsame Schlüsselelemente geschaffen werden können, liegt der Vorteil der Bildsprache immer noch darin, dass sie das Erlernen von neuen Interpretationen unterstützen kann. Deshalb ist eine weitere Voraussetzung für den Gebrauch der Bildsprache, dass sie nicht unkommentiert eingesetzt wird. Die verwendeten Symbole und Bilder sollten immer auch erklärt und die gewünschte Interpretation vermittelt werden. Anschließend kann der Patient aufgefordert werden, wiederzugeben, was er verstanden hat.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit Um Bilder effektiv zu konzipieren, ist eine Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen notwendig. Für die Gestaltung der Bilder werden Kommunikationswissenschaftler, Psychologen und fachkundige Designer gebraucht, die Kenntnisse der Semiotik besitzen. Für die pflegerischen und medizinischen Kenntnisse ist eine Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Krankenpflegern sowie mit Ärzten erforderlich. Dabei kann die Kommunikationswissenschaft Informationen zur Übermittlung und Verarbeitung von Gesundheitsinformationen geben. Dies bedarf aber der Spezifizierung durch medizinische und pflegerische Beiträge. Besonders wichtig ist die Berücksichtigung von bereits ge-

Schwerpunkt: Gesundheit & Medien

machten Praxiserfahrungen der beteiligten Gesundheitsberufler. Um die derzeitige Situation der Krankenhäuser zu verbessern, ist diese Zusammenarbeit nötiger als je zuvor. Einzelne Projekte an Schulen, die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt werden, beschäftigen sich mit der Gestaltung von Piktogrammen für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Das Ziel dieser Projekte ist es, die Kommunikation im alltäglichen Miteinander durch die Bildsprache zu unterstützen. Die Durchführung solcher Projekte ist dringend auch im Gesundheitswesen nötig, um die interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus zu fördern und Sprachbarrieren zu überwinden.

Erste Praxiserfolge Dass dies in der Praxis gelingen kann, zeigt sich am Beispiel einer Pflegeeinrichtung in Oberbayern, die Piktogramme bereits im Pflegealltag nutzt: Die Pflegekräfte berichteten in einem Interview zunächst von ihren Erfahrungen mit BewohnerInnen mit Migrationshintergrund. Es wurde geschildert, dass sie mit zunehmendem Alter vermehrt wieder ihre Muttersprache gebrauchten und daher die Kommunikation zwischen Pflegenden und Bewohnern immer schwieriger wurde. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurden Sprach- und Bildkarten erstellt, auf denen die wichtigsten Themen des Alltags in Bildern dargestellt wurden. Auf der Rückseite wurden die Inhalte zudem mit Stichworten in verschiedenen Sprachen kombiniert. Es zeigten sich positive Veränderungen: Die Kombination von Vokabular und Symbolik machte die Karten für viele verschiedene Sprachen nutzbar.7 Sie konnten also gut eingesetzt werden

und erleichterten die Kommunikation mit Menschen verschiedener Herkunft. In Krankenhäusern werden ebenfalls immer häufiger Piktogramme eingesetzt. So zeigt eine Umfrage in Nordrhein-Westfalen, dass etwa 30 Prozent der Krankenhäuser bereits seit 2012 Piktogramme nutzen, um eine kultursensible Pflege zu ermöglichen.8 Weitere spezifische mediale Angebote für MigrantInnen und geflüchtete Menschen sind noch zu entwickeln, in der Praxis einzusetzen und zu evaluieren. Studien zeigen beispielsweise einen erblichen Bedarf, den Zugang zu Gesundheitsinformationen zu erleichtern.9 ■

Zu viel Medienkonsum soll schaden – worauf können Sie trotzdem nicht verzichten? „Ich möchte nicht auf Bücher verzichten. Sie sind zeitlos, immer verfügbar, stürzen nicht ab und ich brauche keinen leeren Akku zu fürchten.“

Christine Dusdal geb. 1988, hat an der Katholischen Hochschule NRW Pflegewissenschaften (B. A.) mit dem Schwerpunkt Pädagogik studiert. Kess.d@gmx.de „Da ich sehr viel Bahn fahre, kann ich auf die DB-App und damit mein Smartphone kaum verzichten. Und dann nutze ich alle anderen Möglichkeiten damit inzwischen auch.“

Andrea Schiff geb. 1965, ist Professorin für Pflegewissenschaften an der Katholischen Hochschule NRW in Köln. a.schiff@ katho-nrw.de

Literatur 1 Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2014): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländer/-innen in Deutschland, S. 10 + 151, www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/IB/ 2014-10-29-Lagebericht-lang.pdf?__blob= publicationFile&v=4 2 Vgl. Bermejo, I./Hölzel, L.P. et al. (2012): Subjektiv erlebte Barrieren von Personen mit Migrationshintergrund bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen. In: Bundesgesundheitsblatt, Jg. 12, Nr. 55, S. 944– 953, hier S. 944. 3 Vgl. Houts, P. S./Doak, C. C. et al. (2005): The Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016

role of pictures in improving health communication: A review of research on attention, comprehension, recall, and adherence. In: Patient Education and Counseling, Jg. 6, Nr. 61, S. 173–190, hier S. 178. 4 Vgl. Barros, I./Alcantara, T. et al. (2014): The use of pictograms in the health care: A literature review. In: Research in Social and Administrative Pharmacy, Jg. 14, Nr. 10, S. 704–719, hier S. 711. 5 Vgl. Dowse, R./Ehlers, M.S. (2000): The evaluation of pharmaceutical pictograms in a low-literate South African population. In: Patient Education and Counseling, Jg. 1, Nr. 45, S. 87–99, hier S. 90. 6 Vgl. Houts et al. 2005, S. 178.

7 Vgl. Käufer, D./Strauhal, G. (2015): „COSA É OGGI DA MANGIARE?“. In: Die Schwester Der Pfleger, Jg. 15, Nr. 54, S. 46–47, hier S. 46. 8 Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (2012): Kultursensibilität der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen. Forschungsgutachten initiiert von der BKK vor Ort und vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 47. 9 Horn, A./Vogt, D. et al. (2015): Strengthening health literacy of people with migration background: results of a qualitative evaluation. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, Jg. 58, Nr. 6, S. 577–583.

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Buchbesprechungen

Jon Palfreman

Stürme im Gehirn Dem Rätsel Parkinson auf der Spur

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s hat schon viele wissenschaftliche Bücher gegeben, von denen gesagt wurde, sie seien spannend wie ein Krimi – meist entpuppte sich das als Euphemismus im Dienste der Werbung. Die „Stürme im Gehirn“ von Jon Palfreman sind da eine rühmliche Ausnahme. Das Buch erweist sich als „Pageturner“ der Extraklasse, den man in einer Nacht durchlesen könnte – wenn das nicht zu schade wäre, da man dann zu wenig davon hat. Der bereits mehrfach preisgekrönte Journalist und emeritierte Professor für Journalismus der Universität Oregon, Jon Palfreman, erlebte 2011 an sich selbst, wie die Diagnose Parkinson alles veränderte: sein Leben ebenso wie seine Persönlichkeit. Wie schon viele Journalisten vor ihm wählte er, um mit diesem Schicksalsschlag fertig zu werden, die Flucht nach vorne, die intensive Beschäftigung mit dem Thema. Mit der Hartnäckigkeit eines Forschers studierte er Parkinson, bis er zum Spezialisten in eigener Sache wurde. Herausgekommen ist ein Buch, das einem – außergewöhnlich gut erzählt – die Geschichte dieser von James Parkinson vor 200 Jahren zuerst beschriebenen Krankheit nahebringt. Palfreman erzählt von spektakulären Fällen, wie dem von sechs Drogensüchtigen, die durch verunreinigten „Stoff“ im Schnelldurchgang an Parkinson erkrankten und durch ihr tragisches Los der Wissenschaft eine Fundgrube an Erkenntnissen boten. Er nimmt die Leser mit auf einen Gang durch das Gehirn, bei dem die Zusammenhänge der verschiedenen Strukturen anschaulich werden. Über vieles hat man möglicherweise noch nie nachgedacht, zum Beispiel über die Basalganglien, die uns automatisierte Bewegungsabläufe überhaupt erst ermöglichen. Der Autor stellt Therapieansätze wie die sogenannte „deep brain stimulation“ vor, auch unter dem Begriff „Gehirnschrittmacher“ in der Öffentlichkeit bekannt, und sondiert so weit wie möglich zwischen Versprechungen, Erwartungen und nachgewiesenen Ergebnissen. Er beschreibt verblüffende Beobachtungen bei Therapieversuchen mit Bewegung. Man weiß ja, dass heute eigentlich bei jeder Erkrankung – außer vielleicht bei Fußpilz – körperliches Training zur Standardemp-

fehlung gehört, bei Parkinson ergab sich eine spannende Besonderheit: Programme, bei denen der Patient dazu gebracht wurde, mehr zu leisten, als es dem eigenen Rhythmus entsprach, zeigten auffallende Erfolge. Wer auf einem Tandem hinten als „Heizer“ fuhr und nicht vorne als „Kapitän“ die Geschwindigkeit vorgeben konnte, erfuhr eine auffallende Reduktion seines Tremors. Schließlich erklärt Palfreman die neusten Forschungsansätze über „falsch gefaltete“ Eiweißstücke im Organismus, die auch anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel Alzheimer zugrunde liegen. Hier könnten die Grundlagen zukünftiger Therapien zu finden sein. Für Ärzte ist immer die Heilung das Ziel, aber in diesem Buch lernt man auch, dass es das eigentliche Herzstück der ärztlichen Kunst ist, das Leben mit einer solchen Krankheit zu erleichtern, zumal bei einer unheilbaren. Es ist allgemein üblich, dass Autoren einer Rezension statt eines Entgeltes das besprochene Buch erhalten, in diesem Fall ist es eines der besten Honorare, das ich je bekommen habe. Sonja Chevallier, Hamburg

Beltz Verlag, Weinheim 2016, 320 Seiten, 22,95 Euro

Verena Rothe, Gabriele Kreutzner, Reimer Gronemeyer

Im Leben bleiben Unterwegs zu Demenzfreundlichen Kommunen

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or mehr als zehn Jahren gründete die Robert Bosch Stiftung die Initiative „Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz“ mit dem Ziel der Vernetzung verschiedener Fachgebiete. Mithilfe des Netzwerks sollten die Disziplinen Medizin, Pflege, Soziologie und Sozialarbeit die Wirkung von Beispielen aus der Praxis aufzeigen, Lücken in der Versorgung aufspüren und neue Ansätze erproben. Aus der gemeinsamen Arbeit entwickelte sich rasch ein Verein gleichen Namens. Die Stiftung erarbeitete ein Förderprogramm, das Initiativen dabei unterstützt, innerhalb von Kommunen bürgerschaftliches Engagement und Demenz in ein neues Verhältnis zu setzen. Fast 80 Projekte sind

zwischen 2008 und 2015 in das Förderprogramm aufgenommen worden. Das vorliegende Buch kann als Prozessbeschreibung, Abschlussbericht und/oder Ideensammlung gelesen werden. Der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer geht in seinem Beitrag auf die Anfänge der Initiative ein. Er stellt die Frage: „Was tun wir, um Orte zu schaffen, an denen wir im Leben bleiben können – statt nur am Leben?“ Damit stellt er der „Demenz-Bürokratie“ die Notwendigkeit von „Demenz-Allianzen“ gegenüber. Er warnt davor, „Lokalität in die planenden Hände von Bürokraten“ geraten zu lassen und plädiert für ein Ansammeln von „kulturellem Humus“, um „die Kommune mit einer neuen Schicht zu bedecken, die Gemeinsamkeit wachsen lässt“. Die Soziologin und Projektleiterin Verena Rothe erläutert im Anschluss umfangreich und detailliert das Programm „Menschen mit Demenz in der Kommune“. Sie beschreibt zum Beispiel die Auswahl der Projekte, die Zielgruppe, die Vielfalt der Ideen, unterschiedliche Themen und Aktionen, gewählte Methoden und erzielte Wirkungen sowie die Evaluation. Die Autorin verweist auf symbolische Aktionen und Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Migration und Kultursensibilität, Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement, Erfahrungsaustausch und Konkurrenz. Die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Gabriele Kreutzner widmet sich im dritten Beitrag der Frage: „Aktion Demenz – bis wohin sind wir gekommen?“ Sie verweist dabei auf Außenwirkungen durch Sensibilisierung mittels medialer Aufmerksamkeit und versucht sich in einer begrifflichen Klärung der Schlagworte: Versorgung – Sorge – Care, erkundet die Neuerfindung nachbarschaftlichen Miteinanders und propagiert: „Neues Kümmern braucht das Land“. Abschließend werden (nach Bundesländern geordnet) alle Projekte aufgelistet, die durch die Robert Bosch Stiftung gefördert wurden. Somit können LeserInnen direkt Kontakt aufnehmen und sich mit Informationen versorgen. Die Notwendigkeit von kreativen Lösungen in demenzfreundlichen Kommunen zeigt der Ende 2016 erscheinende „7. Altenbericht der Bundesregierung“ mit dem Titel „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“. Folglich ist das vor über zehn Jahren initiierte Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016


Projekt als Trendsetter zu verstehen und thematisch in den zuständigen Ministerien auf Bundesebene angekommen. Karl Stanjek, M.A., FH Kiel Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit transcript Verlag, Bielefeld 2015, 288 Seiten, 24,99 Euro

Thomas Hartung, Eike Hinze u. a.

Wie viel Richtlinie verträgt die Psychoanalyse? Eine kritische Bilanz nach 50 Jahren Richtlinien-Psychotherapie

D

rei Mitglieder der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV), die sich für die „hochfrequente Psychoanalyse“ einsetzt, blicken auf 50 Jahre Psychotherapierichtlinie zurück, die zuletzt 2016 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aktualisiert wurde. Diese Richtlinie und der im Psychotherapeutengesetz verankerte und von der Bundesärzte- und Bundespsychotherapeutenkammer geleitete „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“ bestimmen maßgeblich, welche Formen von Psychotherapie in welchem Umfang und mittels welcher Genehmigungsprozeduren von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. In sechs Kapiteln geht es in Variationen darum, die Entwicklung und den Einfluss dieser Richtlinie vor dem Hintergrund der Geschichte der Psychoanalyse (PA) in Deutschland zu beschreiben und zu interpretieren. Ziel dieser Publikation ist in erster Linie, noch einmal die Grundsatzdebatte um den besonderen Stellenwert der Psychoanalyse im Allgemeinen und die von der DPV favorisierten vierstündigen PA ins Gespräch zu bringen. Die Argumentationskette beginnt mit der Feststellung, dass Sigmund Freud den medizinischen Krankheitsbegriff nicht akzeptierte, dass er sich ausdrücklich gegen die Vereinnahmung der PA durch die Medizin wandte und es der PA nicht um Symptombekämpfung gehe. Schäfer schreibt dazu: „Die Psychoanalyse erarbeitet mit dem Patienten jedes Mal aufs Neue ein tieferes Verständnis unbewusster Konfliktdynamik und somit eine Steigerung an Freiheitsgraden von Lebensbewältigung“. Psychoanalytiker können Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016

unter der Überschrift „Analytische Psychotherapie“ zunächst bis zu 160 Stunden, maximal 300 Stunden, auf Kosten der Krankenkassen durchführen. Dies ist für die DPV ein Kompromiss, der ihrer Vorstellung einer wöchentlich vierstündigen Analyse mit prinzipiell unbefristetem Verlauf widerspricht. Der Status quo wird von den Autoren vor allem im Lichte der Verfolgung und Vertreibung der jüdischen Vertreter der PA und der sehr komplizierten Suche nach einem neuen Standort der PA nach 1945 prinzipiell als Fortschritt betrachtet. Damit ist die PA auch für diejenigen erreichbar, die sie sich aus Eigenmitteln unmöglich leisten könnten. Die Hauptkritik richtet sich dann aber auf den Einfluss, den die Richtlinie auf die neue Generation von Analytikern und vor allem auf das obligatorische Begutachtungsverfahren ausübt. Die Richtlinie führe zur Akzeptanz des medizinischen Krankheitsverständnisses und zur Beschränkung des erforderlichen Behandlungsumfangs: Das Akzeptieren der Richtlinie wird demzufolge als eine Art Unterwerfungsritual gedeutet. Damit wird der Leserschaft die Haltung der DPV eindrucksvoll nahe gebracht, auch durch – für einen Psychotherapie-Laien erstaunliche – narrative Passagen aus der Welt der PA. Der Rezensent (stellvertretendes Mitglied im G-BA, mit der Psychotherapierichtlinie allerdings nicht befasst) nimmt zur Kenntnis, dass die Begründungen für die Grundannahmen der DPV sehr knapp ausfallen. Man muss schon den wenigen Literaturhinweisen vor allem zur vergleichenden Psychotherapieforschung ausführlicher nachgehen, um sich ein eigenes Bild darüber zu machen, ob eine analytische Psychotherapie mit vier statt mit drei Sitzungen pro Woche tatsächlich überlegen ist oder wie es um den Standort der PA innerhalb der psychotherapeutischen Verfahren generell bestellt ist. Das Klagen über ungenügende Vergütungen teilt diese Darstellung nun aber mit allen interessengebundenen Publikationen im Feld der Gesetzlichen Krankenversicherung. So ganz schlecht ist die PA bislang jedenfalls doch wohl nicht mit der Aufnahme in die Richtlinie gefahren. Es sei daran erinnert, dass Ina Weigelt, Vorsitzende der Dt. Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) von 1981 bis 1983, zum Streit zwischen den psychoanalytischen Gesellschaften der Zeitzeugin Regine Lockot zu-

Daniela Flemmings persönlichstes Buch zum Thema Demenz

Daniela Flemming

Neun Jahre Doris Ein Anruf der Schwester stellt klar, dass die vielgeliebte Tante nicht mehr allein zurechtkommt – Altersdemenz. Und nichts liegt näher, als Daniela darum zu bitten, sich um sie zu kümmern. Daniela Flemming ist Sachbuchautorin und Dozentin für die Pflege Demenzerkrankter. Doch sie lebt die Hälfte des Jahres auf einer kanarischen Insel, hat eine eigene Familie und mit der Heimat der als Journalistin und Autorin bekannten Tante nichts zu tun: Saarbrücken ist für sie Hotel und Familienbesuch, lange Anreise, irgendwo an der französischen Grenze. Sie wird Betreuerin der Tante und mit der realen, alltäglichen Seite dessen konfrontiert, was sie sonst wissenschaftlich bearbeitet. Aus der Bitte der Schwester werden neun Jahre Betreuung und eine Achterbahnfahrt zwischen Momenten der Nähe, des Triumphs über Hindernisse und Verzweiflung. ISBN 978-3-95602-105-3 192 Seiten, Hardcover, 14,90 Euro

www.conte-verlag.de


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folge gesagt hat: „Als es um’s Geld ging, hörten die Konflikte auf“. „Mehr Geld“ – das ist die Melodie, auf die nach Niklas Luhmann das Gesundheitswesen am liebsten hört. Norbert Schmacke, Bremen

Psychosozial-Verlag, Gießen 2016, 139 Seiten, 19,90 Euro

Annette Leo, Christian König

Die „Wunschkindpille“ Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR

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m Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts beschäftigten sich die Historikerin und Publizistin Annette Leo und der Historiker Christian König mit der Geschichte der hormonellen Kontrazeption in der DDR, der sogenannten „Wunschkindpille“. Leo und König beziehen sich in ihrer Arbeit auf knapp 60 auf Oral History basierende Interviews. Oral History ist eine geschichtswissenschaftliche Methode, bei der die Interviewten – möglichst unbeeinflusst – frei erzählen sollen. Anscheinend erwies es sich als schwierig, InterviewpartnerInnen zu solch einem intimen Thema zu finden, was die Interviewenden dazu veranlasste, auf den eigenen Bekanntenkreis zurückzugreifen. Dies stellt insofern ein methodisches Problem dar, als dass die Anzahl der verwertbaren Texte für generelle Aussagen über die Aufnahme der Pille in der DDR zu gering erscheint, zumal sie sich auf unterschiedliche Generationen verteilen. Besonders das Interviewen von Bekannten wirft Fragen bezüglich der professionellen Distanz der Interviewer und etwaigen Hemmungen der Befragten gegenüber den Fragenden auf. Auch dominieren gut ausgebildete und eher städtisch lebende Frauen die Interviewten. Das Buch ist in drei Schwerpunkte unterteilt, die sich an den Generationen der „Kriegskinder“, der „Kinder des Aufbaus“ und der „Babyboomerinnen“ orientieren. Anhand der Interviews, zeitgeschichtlicher Exkurse und kontextueller Einbettungen erfahren die LeserInnen, unter wel-

chen wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Umständen die Pille in der DDR entwickelt, vermarktet und von den Frauen angenommen wurde. Dabei wird deutlich, dass sichere Kontrazeption ebenso wie die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein wichtiges Anliegen der Frauen und Funktionärinnen war – ihre Durchsetzung auf höchster politischer Ebene war jedoch nur möglich, weil die Frauen als Arbeitskräfte für die wirtschaftliche Entwicklung der DDR benötigt wurden. Dies spiegelt sich auch im Umgang mit Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung wieder. Waren es gerade diese Nebenwirkungen, die bei vielen Frauenärzten anfangs Skepsis gegenüber der Pille hervorriefen, wurden sie später heruntergespielt, um die Akzeptanz gegenüber der neuen Verhütungsmethode zu steigern. So ist das Buch nicht nur ein medizinund pharmaziehistorisches Werk, sondern ebenso wichtig in Bezug auf Frauenund Gesellschaftspolitik. Das Kapitel über die Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs stellt eine wichtige Ergänzung dar; der Sinn des Abschnitts „Der männliche Blick“ erschloss sich mir angesichts des frauenfokussierten Projekttitels jedoch nicht ganz. Das Buch liest sich flüssig und ist auch für ein größeres Publikum als Einblick in einen bisher eher unerschlossenen Teil der DDR-Geschichte zu empfehlen. Dem Fachpublikum werden ein ausführlicher Fußnotenapparat und die vollständige Literaturliste fehlen. Auch macht es den Eindruck, als hätten sich Leo und König bei der Transkription der Interviews nicht ganz zwischen den LeserInnengruppen entscheiden können: Für eine populärwissenschaftliche Publikation sind die Interviews zu sehr im „O-Ton“ abgedruckt, für eine Fachpublikation jedoch meiner Meinung nach zu stark bearbeitet. Insgesamt ist es eine sehr interessante und gut geschriebene Publikation mit kleinen methodischen Schönheitsfehlern. Die Rezensentin ist mit Annette Leo bekannt. Sie erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dr. Anja K. Peters, Dipl.-Pflegewirtin (FH), Medizinhistorikerin, Neubrandenburg

Wallstein Verlag, Göttingen 2015, 314 Seiten, 29,90 Euro

Christina Mundlos

Gewalt unter der Geburt Der alltägliche Skandal

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ber beim nächsten Kind – da weiß ich es besser! Da werde ich mich und mein Kind zu schützen wissen“, so beschreibt es eine Frau in Christina Mundlos’ Buch, das nichts für schwache Nerven ist. Es ist systemkritisch, erschüttert und deckt ein bislang eher tabuisiertes Gewaltthema auf. Jede Frau befindet sich während der Geburt eines Kindes in einer der verletzlichsten Phasen ihres Lebens. In dieser sollte sie Unterstützung, Rückhalt und einen sensiblen Umgang mit ihrer Privatsphäre, Achtung ihrer Bedürfnisse, Würde, Rechte und Wünsche erfahren. Dass diese Aspekte mit der Realität teilweise gar nichts zu tun haben, machen die Erfahrungsberichte von betroffenen Müttern, Vätern, aber auch von Hebammen, Hebammenschülerinnen und -studentinnen sehr deutlich. Das Thema Gewalt unter der Geburt wird so aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und ermöglicht einen lebhaften und gleichzeitig schockierenden Einblick. Dies sorgt bereits beim Lesen für ein Wechselbad der Gefühle. Christina Mundlos ist Soziologin und Autorin. In erster Linie geht es ihr um die Aufdeckung und Anerkennung der Tatsache, dass es Gewalt in der Geburtshilfe gibt und nicht länger als Behandlungsstandard akzeptiert werden darf. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die herrschenden Missstände in der Geburtshilfe, auf Systemprobleme wie den Abbau von Beleghebammen, die hohen Arbeitsbelastungen in der Klinik, die Zeitverdichtungen und Beschleunigungen in der Behandlungsstruktur der Krankenhäuser. Sie deckt auf, dass der achtsame Umgang mit den Gebärenden und die Dauer einer natürlichen Geburt offensichtlich mit den Behandlungsstandards im Kreißsaal und der Einsparpolitik der Krankenhäuser kollidieren. „Viele Routinemaßnahmen stehen gar nicht erst zur Disposition; Frauen und Paare, die vom vorgesehenen Prozedere abweichen möchten, werden eher als Störfaktoren wahrgenommen und erfahren oft starke Widerstände“, erzählt eine Frau im Buch. Beschleunigungen des Geburtsvorgangs durch verschiedene medizinische Eingriffe sind dann die Folge. Die Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016


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Autorin stellt kritisch zu bedenken, dass die Krankenkassen aufgrund ihres Abrechnungswesens den Kliniken sogar finanzielle Anreize bieten, verstärkt in natürliche Geburten einzugreifen. Im letzten Teil des Buches richtet sich das Augenmerk auf Maßnahmen und politische Forderungen, für eine Veränderung der heutigen Geburtskultur – mit der Rückbesinnung auf mehr Menschlichkeit und Beziehung auf Augenhöhe. Immer wieder plädiert die Autorin für eine systematische Aufklärung. Das Fachbuch ist in sich stimmig und vom Aufbau gut strukturiert. Es regt die Auseinandersetzung mit einem Tabuthema an, hinterfragt kritisch und regt zu Diskussionen an. Die Autorin gibt einem bislang eher verschwiegenen Thema ein Gesicht. Allerdings wurden die Erfahrungsberichte, die den Kern des Buches bilden, nicht weiter wissenschaftlich analysiert. Auch der Schreibstil ist in sich noch nicht stimmig und von vielen Wiederholungen geprägt. Thematisch ist es jedoch ein zentrales Buch für die Enttabuisierung von Gewalt unter der Geburt, das mit zahlreichen Fachinformationen gefüllt ist. Carina Lagedroste, M.A. Erziehungswissenschaft, Bielefeld

Tectum Verlag, Marburg 2015, 217 Seiten, 16,95 Euro

Edgar Bierende, Peter Moos u. a. (Hg.)

Krankheit als Kunst(form) Moulagen der Medizin

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on Lepra entstellte Gesichter, eitrige Abszesse und von einer fortgeschrittenen Syphilis-Erkrankung gezeichnete Körper – kaum jemand würde vermuten, solch erschreckende Krankheitsbilder in einer Ausstellung zu finden. Im Museum der Universität Tübingen MUT war dies der Fall: Unter dem Titel „Krankheit als Kunst(form)“ zeigte eine Schau, die maßgeblich von Studierenden konzipiert und umgesetzt wurde, zahlreiche sogenannte Moulagen, Wachsnachbildungen krankhaft veränderter Körperteile. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurden die handgefertigten Modelle vorrangig als Lehrmittel in der Dermatologie genutzt. Neben der Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016

Tübinger Hautklinik legte auch das Institut für Ärztliche Mission eine umfangreiche Sammlung an. Die zur Ausbildung von Tropenärzten angeschafften Moulagen zeigen nahezu „lebensecht“ die Symptome exotischer, zum Teil ausgestorbener Krankheitserreger. Ein Grund, warum die historischen Wachsmodelle auch heute noch immer MedizinerInnen faszinieren. Aber auch für Laien bot die nüchterne Darstellung der Objekte, die sich bewusst von Gruselkabinett-Effekten absetzte, mehr als nur einen „reizvollen Schrecken“. Die Ausstellung stellte vor allem die Nutzungs- und Entstehungskontexte beider Sammlungen in den Mittelpunkt. Eine inszenierte Werkstatt gab darüber hinaus Einblicke in die Anfertigungstechniken. Inwiefern die zur Einführung präsentierten Arbeiten der Tübinger Wachsbildhauer Johann und Wilhelm Haselmeyer tatsächlich als Wegbereiter der Moulagenfertigung zu sehen sind, ließ die Darstellung jedoch offen. Schuldig bleibt die Antwort leider auch der Katalog zur Ausstellung. Davon abgesehen lässt die Aufsatzsammlung jedoch nahezu keine Wünsche offen: Über 20 AutorInnen aus diversen Fachdisziplinen beleuchten das Objekt Moulage aus unterschiedlichen Perspektiven und liefern einen gelungenen Überblick. Ergänzt werden die Aufsätze durch einen umfassenden Katalogteil, in dem Studierende in kurzen Artikeln jeweils ausgewählte Objekte vorstellen. Insbesondere die Beiträge zu den bislang wenig bekannten Tübinger Moulagensammlungen und Wachsbildnern stechen dabei hervor, während die übrigen Beiträge nur wenig Neues zu liefern vermögen. Auch eine stärkere inhaltliche Abstimmung der einzelnen Beiträge hätte dem Sammelband gut getan, der bisweilen etwas redundant wirkt. Abgesehen von diesen Schwächen und kleineren Fehlern stellt er jedoch eine lesenswerte und hochwertig bebilderte Rundumschau zum Thema dar, die deutlich über die Begleitung der Ausstellung hinausgeht. Henrik Eßler, Historiker, Hamburg

Schriften der Universität Tübingen 2016, 350 Seiten, 24,90 Euro

KOFELGSCHROA BAAZ

CD & VINYL Mit dem Instrumentarium einer halben Blaskapelle, ergänzt durch Orgel, Zither und Klanggeschepper, einem Sprachsog aus Dialekt und Hochdeutsch, mit unverstellten Blicken in die ungesehensten Alltagswinkel, haben Kofelgschroa es geschafft, ihren ganz eigenen Kosmos in die Welt hinauszutragen – und nun haben sie mit BAAZ eine neue Umlaufbahn erreicht.

LAUT YODELN FERN-NAH-WEIT LAUT yodeln ist ein Mitschnitt des Yodel-Festivals in München, veranstaltet von Trikont und dem Münchner Kulturreferat. Im Mittelpunkt steht die Kulturtechnik des Yodelns, das „unartikulierte Singen aus der Gurgel“, das weltweit verbreitet ist. Den Beweis können Sie auf LAUT yodeln nachhören.

STIMMEN BAYERNS HIMMEL & HÖLLE Himmel & Hölle, scheinbar so gegensätzlich, aber oft ziemlich nah beieinander – kommts einem nur so vor, oder gilt das in Bayern ganz besonders? Eine einzigartige Enzyklopädie der bayerischen Seele. Gedichte, Kurzgeschichten, Essays, Musik, Songs und Sketche, Radiofeatures, Soundcollagen, Film-Tonspuren und O-Töne. Fordern Sie unseren kostenlosen Katalog an: Trikont, Kistlerstr. 1 Postf. 901055, 81510 München

UNSERE STIMMEN

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Paula e. V., Martina Böhmer, Karin Griese (Hg.)

Ich fühle mich zum ersten Mal lebendig ... Traumasensible Unterstützung für alte Frauen

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ie Herausgeberinnen widmen sich in ihrem Buch den verschiedenen Formen von Therapie und Beratung alter Frauen, die Gewalt und Traumatisierung erlebt haben. Nach einer einführenden Darstellung möglicher Gewalterfahrungen erhält der Leser in vier weiteren Kapiteln praxisnahe Beschreibungen traumasensibler Unterstützung. Autorinnen verschiedener Professionen beschreiben Therapieansätze aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive und ergänzen diese um konkrete Handlungsanleitungen und Fallbeispiele. Diese Arbeitsansätze wurden von der Kölner Beratungsstelle Paula e.V. im Rahmen eines zweieinhalbjährigen Projektes zur traumasensiblen Unterstützung von alten bis hochaltrigen Frauen zusammengetragen. Sie geben BeraterInnen, PsychotherapeutInnen, aber auch Pflegekräften und Angehörigen hilfreiche Anregungen zur Stärkung und Stabilisierung betroffener Frauen. Luise Reddemann und Monika Hauser weisen in ihren Vorworten auf die Bandbreite struktureller Gewalt gegenüber Frauen hin. Besonders die „dunklen Schatten der Vergangenheit“ aus NS-Zeit und Zweitem Weltkrieg wurden oft tabuisiert und

Werner Wollenbergers klassisch gewordene Erzählung: Die wohl anrührendste Weihnachtsgeschichte überhaupt.

totgeschwiegen. Möglichkeiten der Verarbeitung können auch Töchtern und Enkelinnen, die im Rahmen der transgenerationalen Weitergabe oft ebenfalls betroffen sind, und Frauen aus heutigen Krisengebieten zugutekommen. Die Langzeitfolgen von Gewalt und Traumatisierung können sich bei der Pflege und Versorgung von Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkrieges in den unterschiedlichsten Formen zeigen. Inka Wilhelm gibt einen Überblick über mögliche Spätfolgen von Kriegstraumatisierungen und Konsequenzen für die Pflege. Martina Böhmer beschreibt sehr praxisnah die Entwicklung eines Handlungsleitfadens für die stationäre Altenpflege, der alle Lebensbereiche einbezieht und Anregungen zum Umgang mit auffälligen Verhaltensweisen gibt. Auch die Folgen mütterlicher Traumatisierung auf die nächste Generation und die Arbeit ambulanter gerontopsychiatrischer Dienste werden beschrieben. Psychotherapeutische und psychosoziale Ansätze bilden ebenfalls eine Möglichkeit zur Behandlung von Traumatisierungen. Anhand von exemplarischen Fallgeschichten werden die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) und Therapien auf der Basis eines strukturierten Lebensrückblickes vorgestellt. Die Problematik der Abgrenzung von Traumafolgen und Demenzsymptomen wird erläutert und umfassend diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt auf der Biografiearbeit. Das Erzählen

oder Aufschreiben der Erlebnisse wirkt stabilisierend auf betroffene Frauen. Gleichzeitig wird aber dargelegt, dass das wiederholte Erzählen auch zu psychischer Belastung und zu Trauma-Reaktivierungen führen kann. Die Beschreibungen eines ergotherapeutischen Projektes und der Verbesserung körperlicher Symptome traumatisierter Frauen durch KundaliniYoga runden die klar und übersichtlich gegliederte Sammlung der Projektergebnisse ab. Ein umfangreicher Anhang mit weiterführender Literatur gibt Empfehlungen zum Weiterlesen. Auf rund 260 Seiten wird in überzeugender Weise deutlich, wie wichtig es ist, kreative Wege im Umgang mit Traumatisierungen zu finden. Die hier beschriebene Vielfalt der Möglichkeiten widerlegt die noch weit verbreitete Auffassung „Im Alter kann man ja nichts mehr machen“. Dass sich betroffene Frauen, die sich so weit wie möglich von ihren traumatischen Gewalterfahrungen befreien, wieder mehr dem Leben zuwenden können, lässt das titelgebende Zitat einer Patientin erahnen: „Ich fühle mich zum ersten Mal lebendig“. Astrid Romeike, Altenpflegerin, M.A. Pflegemanagement, Aachen

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2016, 265 Seiten, 29,95 Euro

Ein strahlender Text über die Liebe, die Poesie und Vollkommenheit. Aus dem Französischen von Monika Schlitzer 112 Seiten, Leinen

80 Seiten, Leinen

Unionsverlag Dr. med. Mabuse 224 · November / Dezember 2016


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