
9 minute read
Spass an der Arbeit
Angestellte gehen vor
Das Ziel von Jonathan Möllers Firma ist nicht, möglichst viel Geld zu verdienen – stattdessen sollen Mitarbeitende sich verwirklichen und weiterentwickeln können. Das funktioniert: Auch die Geschäfte laufen gut.
Text: Ralf Kaminski Bilder: Dan Cermak
Es gibt keine Strategie, keine Wachstumsvorgaben, keine Zielvereinbarungen, die jährlich mit Vorgesetzten besprochen werden. Auch kein Organigramm mit Chefpyramide und ganz unten ein paar Leuten, die die eigentliche Arbeit machen. Und wenn sich niemand im Team findet, der den Job für einen bestimmten Kunden übernehmen möchte – weil er dieser Firma gegenüber ethische oder anders begründete Vorbehalte hat –, dann verzichtet man eben auf den Auftrag.
Klingt utopisch? Mag sein, ist bei Foryouandyourcustomers aber seit fast zehn Jahren Realität. Und funktioniert auch finanziell. Das Schweizer Unternehmen, das Konzepte und Anwendungen für die digitale Welt entwickelt und inzwischen an 17 Standorten in Europa und Australien 209 Mitarbeitende beschäftigt, erwartet für 2021 einen Umsatz von rund 40 Millionen Franken und einen Gewinn von drei Millionen. Dieser wird zu gleichen Teilen zwischen den 60 Aktionären und den Mitarbeitenden geteilt, wobei die Aktionäre mehrheitlich Mitarbeitende sind.
Ziel: Die perfekte Firma Die ungewöhnliche Arbeitsorganisation hat Firmengründer Jonathan Möller gemeinsam mit Robert Josef Stadler und Stephan Müller entwickelt. Der 46Jährige, der als Sohn von Hamburger Eltern in Basel geboren wurde, war selbst noch nie irgendwo angestellt. Mit 16 hat er seine erste Firma gegründet, Foryouandyourcustomers ist nun seine achte – und mit jeder hat er dazugelernt, wie ein gutes Arbeitsleben funktionieren sollte. «Ziel war immer, die beste Zusammenarbeit zu entwickeln, woraus in meinen Augen die perfekte Firma entsteht.»
Derzeit baut er einen neuen Standort in der Nähe des Zürcher Opernhauses auf. Der Raum ist noch ziemlich kahl und etwas schummrig, weil demnächst eine neue Decke eingezogen wird und die Beleuchtung fehlt. Aber ein
Jonathan Möller, umgeben von Kunst, die sich in jedem seiner Büros findet.
paar Schreibtische und drei gemütliche Sofas stehen schon da.
«Hinter dem Konzept steht ein ganz anderes Menschenbild als üblich», erklärt Möller. «Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch erfolgreich sein und etwas Gutes erreichen will. Deshalb schenken wir den Mitarbeitenden unser Vertrauen und sagen: Nimm den Raum ein und mach etwas draus.» Dieser Grundgedanke führt nicht nur zu einem ganz anderen Führungsstil, sondern auch zu einem ungewöhnlichen Unternehmenszweck: «Ich möchte, dass die Mitarbeitenden sich persönlich und fachlich weiterentwickeln können, dass Menschsein und Arbeiten zu einer bereichernden Kombination verschmilzt.»
Spass wichtiger als Geld Der Umsatz und die zufriedenen Kunden kämen dann quasi von ganz allein, sagt Möller. «Wir haben genug Geld, und wir müssen auch nicht superreich werden.» Wichtiger sei, Spass an der Arbeit zu haben und sie als Teil des Lebens zu leben. Zu einer gewissen Entspanntheit führe auch, dass sehr viele Mitarbeitende in einem Teilzeitpensum angestellt seien. Möller sieht die persönliche Weiterentwicklung denn auch als den eigentlichen «Sinn des Lebens».
Zudem lasse sich in seinem System Verantwortung nicht abschieben. «In Unternehmen mit klassischer Hierarchie geht es häufig darum, wer an Fehlern schuld ist. Und die, die tatsächlich schuld sind, müssen meist nicht die Konsequenzen tragen.» In vielen Fällen seien Manager ausserdem stärker mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt als damit, einen nützlichen Beitrag für ihre Firma, ihre Kunden und ihre Mitarbeitenden zu leisten. «Das passiert bei uns nicht und macht uns sehr kosteneffizient.»
Aber machen in seiner Firma wirklich einfach alle, was sie wollen? Möller lacht. «An sich schon, aber die vielen Freiheiten kommen mit Rahmenbedingungen.» Es gibt kein Hauptquartier, lediglich gleichberechtigte Standorte, genannt Zellen. Die haben alle eine eigene Leitung und eine eigene Buchhaltung, zudem maximal 25 Mitarbeitende, die einander gl eichgestellt sind, auch wenn sie unterschiedliche Aufgaben haben. Die Löhne sind für alle transparent einsehbar, bis hin zum Gründer Möller. «Tendenziell verdienen Leute mit Tieflohnjobs bei uns etwas mehr – und umgekehrt», erklärt er.
«Die Mitarbeitenden haben grosse Freiheiten, aber der Standortleiter ist verantwortlich dafür, dass am Ende die Kasse stimmt.» Eine Zelle müsse allein lebensfähig sein. Ideal sei, wenn pro Monat 1000 Franken pro Mitarbeitende übrig seien, dies sorge für eine gewisse Reserve. «Wird es mal eng, muss man sich etwas einfallen lassen.»
Normalerweise sei jedoch das Geld nicht das Problem, sagt Möller. «Wenn reflektierte, gesunde Menschen ihre Talente kennen und sich darauf konzentrieren, können sie damit Geld verdienen. Und solange wir uns vernünftig verhalten, kommt auch Geld in vernünftigem Ausmass rein.» Natürlich könne es auch mal Hänger geben. «Dann muss man sich einsetzen, noch ein, zwei Kunden mehr zu gewinnen.» Das jedoch passiere aus der eigenen Dynamik heraus, nicht weil es irgendwer anordne.
Wachstum quasi nebenbei Bisher scheint das bestens zu funktionieren; die Firma ist seit ihrer Gründung stets ein wenig gewachsen, ohne dass dies irgendwer als Ziel oder Strategie ausgerufen hätte. «Dass es bei uns anders läuft, merken auch die Kunden – und durch Mundpropaganda gewinnen wir dann weitere.» Marketing oder Werbung gibts bei Foryouandyourcustomers nicht. Der jüngste eröffnete Standort ist in Berlin, Alternative Arbeitsorganisationen
Inzwischen versuchen diverse Firmen, klassische Hierarchien aufzubrechen. Einige entwickeln wie Jonathan Möller eigene Systeme, andere bedienen sich bei bestehenden Konzepten. Zu diesen gehört Holacracy, das Managementhierarchien durch sich selbst organisierende Teams ersetzt.
Die Zürcher Firma Freitag, die aus ausrangierten Lastwagenplanen Taschen und Accessoires herstellt, hat 2016 darauf umgestellt, nachdem eine selbst entwickelte Alternative sich als zu umständlich erwies. Mit Holacracy funktionierte es besser, dennoch wird stets weiter an der Organisationsstruktur gefeilt.
Mittlerweile nutzen mehrere Dutzend Firmen in der Schweiz Holacracy, einige haben damit jedoch auch schon wieder aufgehört.
Jonathan Möller findet Holacracy etwas kompliziert und das völlige Abschaffen von Hierarchien nicht zielführend. «Die sind nicht grundsätzlich schlecht, werden einfach oft missbraucht. Und ganz ohne droht Anarchie.» Dennoch findet er gut, dass es Holacracy gibt: «Es zeigt auch, dass ein grosses Bedürfnis nach neuen Organisationsformen in der Arbeitswelt existiert.» Aber aus seiner Sicht ist es einfacher, ein Unternehmen von Grund auf nach eigenen Ideen neu zu organisieren, als ein bestehendes Konzept auf eine bestehende Firma zu pfropfen.
vier weitere sind bereits geplant, in Heidelberg, Saarbrücken, Rotterdam und Athen. Dahinter steht keine Strategie im eigentlichen Sinn, es ergibt sich aus den Interessen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden. Sie müssen aber, wenn sie einen neuen Standort eröffnen möchten, zwei bisherige Standortleiter als Götti finden, und ein Standortleiter darf nur bei einem Standort Götti sein, damit das Wachstum nicht ausser Kontrolle gerät.
Nicht für jeden ideal Genauso kann es aber geschehen, dass eine Zelle wieder verschwindet. «Meist liegt das daran, dass sich ein Standortleiter neu orientiert und sich keine Nachfolge findet», sagt Möller. Den Mitarbeitenden dieser Zelle werden dann Stellen an anderen Standorten angeboten.
Die Personalfluktuation ist eher gering, dennoch funktioniert Möllers Firma nicht für jeden. «Klassische Manager tun sich schwer, weil sie den Kontrollverlust nicht ertragen.» Und es brauche reflektierte Mitarbeitende, die bereit seien, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. «Es ist anspruchsvoll, der Realität ins Auge zu sehen. Die eigenen Stärken und Schwächen wahrzunehmen. Viele haben verlernt, diesen Blick in den Spiegel zu ertragen oder mit Kritik umzugehen, gerade in hohen Positionen.» Frust sei also unvermeidlich. «Das muss man zulassen können, um daraus zu lernen.»
Angestellte, die es gewohnt sind, Aufträge von Vorgesetzten zu erledigen, und ansonsten ihre Ruhe wollen, würden bei Foryouandyourcustomers «tendenziell nicht glücklich», sagt Möller. Obwohl es auch dort Routinejobs wie Buchhalter gibt, und Leute, die sich damit wohlfühlen. Und es gibt einige Mitarbeitende, die zurückgekommen sind, weil sie es anderswo nicht ausgehalten haben.
Zu den Kunden von Foryouandyourcustomers gehören etwa Miele, Bosch, Geberit, Swiss, Bâloise oder Musik Hug; Letzterer ist von Möllers Arbeitsorganisation so angetan, dass er wesentliche Elemente daraus auch für sich übernommen hat. «Die Kunden merken an diversen Aspekten, dass die Dinge bei uns etwas anders laufen als üblich. Wir möchten etwa erst mal eine Beziehung aufbauen, bevor wir Lösungen vorschlagen. Es gibt bei uns nichts ab Stange.»
Wenn die Kunden persönlich vorbeikommen, befinden sie sich auch in einer Kunstausstellung. Die Bilder, die an allen Standorten an den Wänden hängen, sind denn auch eins von zwei Dingen, bei denen Jonathan Möller kompromisslos Chef ist. «Ich habe das letzte Wort bei der Auswahl der Büros und der Kunst.»
Bürokunst tut gut Im Juni hat Robert Josef Stadler, Gründungsmitglied und Präsident des Unternehmens, ein dickes Buch dazu veröffentlicht: «Unternehmensphilosophie und Kunst». Warum Kunst? «Sie stellt Fragen zum Leben, kreiert eine besondere Atmosphäre, die sich
Anzeige





GÖNN DIR ZEIT FÜR EINE �u�� Ta�� K����!

immer wieder verändert – und tut einfach gut.»
Jonathan Möllers Karriere als Unternehmensgründer begann, als seine Eltern sich 1988 für 18000 Franken einen MacComputer samt Laserdrucker anschafften. Sein Bruder und er waren davon total fasziniert und kauften sich regelmässig Mac-Magazine. Und realisierten rasch, dass die Preise in den Kleinanzeigen für die gleichen Produkte sehr stark variierten.
Also gründeten sie MacWatchers, «eine Art Comparis für Apple-Produkte», erklärt Möller. Sie waren mit sämtlichen Schweizer Händlern in Kontakt, kannten deren Preise und konnten so Käufer beraten, wo sie etwas am Günstigsten bekamen. «Das brachte uns ein schönes Taschengeld und erste nützliche Erfahrungen für später.»
Stark beeinflusst hat ihn auch seine angeborene Hörbehinderung. Selbst mit Hörgeräten hört er sehr reduziert und praktisch nur Vokale; den Rest muss er dazu kombinieren. «Ich habe als Kind gelernt, damit umzugehen. Zum Beispiel zu sagen, was ich will, oder mich zu melden, wenn ich etwas nicht verstanden habe.»
Für alle Branchen geeignet Als Hauptgrund für seine Entwicklung als Unternehmer sieht er jedoch etwas anderes: «Ich habe keine Angst – weder vor dem Scheitern noch vor Geldmangel. Wenn ich an etwas glaube, mache ich einfach mal.»
Ganz so unbeschwert wie früher ist aber auch Jonathan Möller nicht mehr, hat er doch inzwischen eine Familie mit drei Kindern zu ernähren.
Aber er ist überzeugt, dass er mit seiner Firma auf dem richtigen Weg ist – einem, von dem auch andere profitieren könnten. Er glaubt, dass sich sein Konzept letztlich für alle Berufe in allen Branchen eignet, mit ein paar Anpassungen. «Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens. Und Menschen, die Spass an ihrem Job haben und sich dort ausleben und weiterentwickeln können, führen ein glücklicheres Leben.»
Dies sieht er als eigentlichen Erfolgsausweis seiner Firma, viel mehr als Umsatz und Ge winn. «Die sind letztlich nur Mittel zum Zweck.» MM
Info: foryouandyourcustomers.com
Anzeige
Grossartiger Geschmack im Mini Format

28. 12. 2021 – 03. 01. 2022










12er-Pack Hit
5.50
Coca-Cola Original oder Coca-Cola ZERO
12 × 150 ml