Migros Magazin 50 2011 d NE

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INTERvIEW

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Nr. 50, 12. Dezember 2011 | MIGROS-MAGAZIN |

im Job, übertreibe es auch. Ein Burn-out hätte mir auch drohen können, wenn ich bei der ABB Turbinen gebaut hätte. Das ist eine Charaktersache. Was denken Sie, wenn Sie heute Schlagzeilen über die Banken lesen?

Ich denke, dass wir auf mindestens zehn sehr, sehr schwierige Jahre zusteuern. Marcel Ospel hat vor vier Jahren gesagt, wir stünden vor der schlimmsten Krise seit der Grossen Depression der 30erJahre. Alle haben gelacht. Heute wissen wir, dass er recht hatte. Das bedrückt mich. Nun schreiben Sie über die Bankenwelt. Haben Sie noch etwas zu verarbeiten?

Am Ende ist das ganze Leben eine Art Verarbeitung.Aber Bad Feelings hatte ich nie. Ich habe unter den Bankern wirklich tolle Freunde, die den Eschenbach von Anbeginn mit begleitet haben. Ein guter Freund aus UBS-Zeiten hat mich beispielsweise darauf aufmerksam gemacht, dass der Kommissar niemals Fuck You sagen würde. Deshalb sagt er jetzt Shame On You.

Trotzdem bringen Sie in «Rütlischwur» einige Banker um.

Man schreibt halt über das, was man kennt. Die Idee, einen Unbedarften wie Eschenbach ins Banking hineinschauen zu lassen, mit einer Brille von aussen, das hielt ich für spannend. Beim Banker Banz habe ich versucht, die Deformation durch Geld zu zeigen.

Als Schriftsteller verdient Michael Theurillat zwar viel weniger als früher in der Bank, dafür hat er die Musse, die kleinen Dinge des Lebens zu geniessen.

hätte. So gesehen habe ich einen Lottozettel für sechs Richtige — für die ich allerdings hart hätte arbeiten müssen — nicht eingelöst.

Was hat das Geld mit Ihnen gemacht?

Es hat mich zur faszinierenden Erkenntnis gebracht, dass man einen Haufen Geld sparen könnte, wenn man den Menschen einfach mehr Wertschätzung zeigen würde. Aber heute läuft das nur übers Geld. Das Absurde ist, dass es sich Banken inzwischen nicht mehr leisten können, einen Manager schlechter zu bezahlen als die Konkurrenz. Sie haben auch Millionen verdient bei derUBS.

(Lacht) Ich will das so nicht im MigrosMagazin lesen. Wir schon!

Also gut. Am Ende meiner Karriere hatte ich ein anständiges Gehalt in siebenstelliger Höhe.Wäre ich geblieben,hätte sich der Betrag kaum verkleinert. Denn es standen noch mindestens sechs sehr goldene Jahre bevor. Nachdem ich ausgestiegen war, wurden über meinen Exkollegen Beträge ausgeschüttet, für die selbst ein Lottosechser kaum genügt

Trotzdem, so einen Ausstieg mit 41 kann sich wohl nur ein Banker leisten.

«Ich könnte nicht nur schreiben. Ich würde depressiv.»

Natürlich war ich nicht am Verarmen. Aber ich habe mich vorher sehr aktiv damit auseinandergesetzt, wie das ist, auf viel Geld zu verzichten und dafür etwas anderes zu haben, Unabhängigkeit zum Beispiel. Ich habe zum Glück eine Frau, die das verstand. Eine andere hätte vielleicht gesagt,sie wolle nicht auf die Jacht auf dem Zürichsee — die wir übrigens nie hatten — verzichten. Wir lebten vorher schon in Anführungszeichen bescheiden. Entscheidend war für mich auch zu wissen, dass ich Freunde habe, die mir auch mal einen Job zuschanzen könnten, sei es, dass ich für sie die Post verteile oder Briefe schreiben würde, wenn es mir finanziell richtig dreckig ginge. Und dass ich mit dem, was ich kann, morgen wieder einen Job finde. Dass ich immer wieder mich «go verchnächte» kann.

Sie arbeiten auch noch als Finanzberater. Kann man in der Schweiz nicht mal als Bestsellerautor vom Schreiben leben?

«Leben» ist ein relativer Begriff. Auf meine Verhältnisse runtergebrochen: Vom ersten Buch konnte ich von Januar bis Februar leben, beim zweiten Buch kam der März dazu. Und ich hoffe, ich kann irgendwann mal das ganze Jahr vom Schreiben leben — und erst noch die Steuern zahlen! Die Pensionskassenmandate habe ich aus einem anderen Grund. Ich könnte nicht nur schreiben, ich würde komisch werden, depressiv. Warum?

Schreiben ist eine einsame Angelegenheit. Ich bin aber ein sehr geselliger Mensch. Wenn ich am Morgen aufstehe und nach Zürich fahre, in einem Fachgremium über die Finanzkrise diskutieren, mein Wissen einbringen kann und Entscheidungen treffen muss, dann hat das etwas sehr Reales, Geerdetes. Ihre Frau wusste lange nicht, dass Sie an einem Roman arbeiten.


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