Migros Magazin 45 2010 d NE

Page 34

34 | Migros-Magazin 45, 8. November 2010

getrocknet. Das Dörfchen mit seinen 45 Einwohnern und der schmucken Kirche aus dem 16. Jahrhundert thront über Bergün, zu dem es politisch gehört. Hier steht, gleich neben Andrea Florinetts Elternhaus, das er mit seiner Familie bewohnt, die Klangwerkstatt, darin drei Maschinen, von denen man eine nicht fotografieren darf: «Die haben mein Bruder und ich teilweise selbst entwickelt», sagt Florinett, «muss ja nicht jeder grad nachmachen können.» An den Maschinen schneiden Schreiner Silvio Balzer und seine zwei Kollegen die Resonanz-

decken fertig zu und schleifen sie, bis sie seidenglatt sind: millimeterdünn für Gitarren, zentimeterdick für die Geigen. Sie beurteilen schliesslich auch die Qualität der Hölzer: Drei-, viermal müsse er ein Stück schon in der Hand drehen, bis er es richtig einordnen könne, sagt Balzer und hält prüfend einen Gitarrenboden in die Sonne. Weil der Spuren von Harzgallen aufweist, wird er zu Cheminéeholz degradiert: «Kein Stamm ist gleich wie der andere.» Wie viele Decken eine Fichte wirklich hergibt, stellt sich erst im Arbeitsprozess heraus. Es eignen sich nur wenige Prozente des Baums für Klangholz.

Im meterhohen Lagerraum an bester Hanglage – der Ausblick auf die schneebedeckten Dreitausender ist atemberaubend – stapeln sich manchmal über 10 000 Geigen- und ebenso viele Gitarrendecken, fein säuberlich vorbereitet für die Weiterreise in die Welt.

Bis 200 Arbeitsstunden für eine E-Gitarre aus Mondholz

Vor lauter Holz ist der ganze Raum in honiggelbes Licht getaucht, Harzduft kitzelt in der Nase. Den Warenwert der Kostbarkeiten, die hier trocknen, mag Andrea Florinett nicht verraten. Nur so viel: Für Violinen-Resonanzdecken verlangt er je nach Qualität zwi-

schen 15 und 60 Franken, für Kontrabässe um die 300. Einer, der für die MondholzFichtendecken gerne einen guten Preis bezahlt, ist Claudio Pagelli (52). Der Gitarrenbauer aus dem bündnerischen Scharans, es liegt rund eine halbe Autostunde von Latsch entfernt, ist vor allem in den USA sehr bekannt. Seine Instrumente von Jazz- bis E-Gitarre sind allesamt Einzelanfertigungen, in die er zwischen 150 und 200 Arbeitsstunden steckt; nur gerade acht Stück pro Jahr fertigt er an. Da muss alles stimmen. Seine grosse Werkstatt am Rand einer Wiese mit Obstbäumen beherbergt ein Sammelsuri-


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.