Migros-Magazin-40-2019-d-AA

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WAHLEN | 30.9.2019 | 15

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ndlich – mag sich manche und mancher gedacht haben. Endlich schaffen es auch bürgerliche Parteien wie die SVP, mehr Frauen zu finden, die am 20. Oktober kandidieren. Das Frauen-­ Schlusslicht zählt mit 23 Prozent einen leicht höheren Frauenanteil als bei den letzten Wahlen. Eine von ihnen ist Stephanie Ritschard (46). Die SVP-Kantonsrätin aus Riedholz SO kandidiert für den Nationalrat und engagiert sich für die Kampagne «Helvetia ruft!». Neben der abtretenden Waadtländer Nationalrätin Alice Glauser ist Ritschard die einzige SVP-Vertreterin, die bei der ­Aktion mitmacht. Ihre Partei sei «not amused» gewesen, als sie von ihrem Engagement gehört habe. Doch Ritschard findet: «Solange Frauen in Wirtschaft und Politik untervertreten sind, braucht es solche Aktionen.» Die Frauen-Bilanz der SVP sieht düster aus: Noch nie hatte die Partei eine Vertreterin im Ständerat, und nur 11 ihrer 54 Nationalratsmandate sind 2015 an Frauen ­gegangen. Die FDP ist die Partei, die die grössten Fortschritte bei der Erhöhung des Frauenanteils für diese Wahlen gemacht hat – von 31 auf 37 Prozent. Progressive, bürgerliche Frauen

Laut Nationalrätin Kathrin Bertschy (40, GLP) von Alliance F haben viele Frauen den Ruf gehört und tragen ihn weiter. Mehr als 500 Frauen hätten sich über die Plattform von «Helvetia ruft!» angemeldet. Lanciert wurde die Bewegung von Alliance F, der politischen Lobbyorganisation für die Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz, und Flavia Kleiner (29), Co-Präsidentin der Operation Libero. Sie will über die Parteigrenzen hinweg mehr Frauen in die Politik bringen. «Egal, welcher politischen Haltung: Wir wollen, dass Frauen Politik machen», sagt Bertschy. Das «Empowermentprogramm» habe Frauen motiviert und sie mit dem politischen Mandat vertraut gemacht. «Wir werden auswer-

ten, wie chancenreich die Plätze der Frauen sind und ein Rating nach Parteien publik machen.» Die Befragung der Kandidierenden, die Smartvote im ­Vorfeld der Wahlen durchführt, zeigt: Kommen die Frauen, wird das Parlament progressiver – ­gerade wegen der bürgerlichen Kandidatinnen. Die SVP-Frauen zum Beispiel sind eher dafür, dass gleichgeschlechtliche Paare

«Es ist wichtig, dass die Frauen zusammenstehen und Frauen wählen.» Stephanie Ritschard SVP-Kandidatin

die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle, SVP-Männer sind eher dagegen. Insgesamt hat sich für die Wahl im Oktober eine Rekordzahl Kandidierender angemeldet. Für die markante Zunahme von 20 Prozent sind vor allem Frauen verantwortlich: Gut 40 Prozent aller Kandidierenden sind weiblich. Seit mehr als 28 Jahren hat der Wert bei rund 30 Prozent stagniert. In fast allen Kantonen hat die Zahl der Kandidatinnen deutlich stärker zugelegt als die der Kandidaten. Die Wut der Frauen, #MeToo, der Frauen­ streik am 14. Juni, die Anstrengungen der überparteilichen Kampagne «Helvetia ruft!» – all das dürfte die Frauen motiviert und geweckt haben. «Politfrauen» ist eine weitere Aktion, die Frauen ermutigen will, sich politisch zu engagieren. Diese Website der Parlamentsdienste ist durch die Initiative von Marina Carobbio (53, SP), Präsidentin des Nationalrates, zustande gekommen. In kurzen Videos kommen Verfechterinnen und Verfechter der Frauen-

rechte zu Wort. Dank der Site werden auch die im Bundeshaus organisierten Anlässe sichtbarer, die die Begeisterung der Frauen für Politik wecken und die Gleichstellung fördern sollen. Carobbio ist zuversichtlich: «Wir werden am 20. Oktober ­einen Schritt vorwärts machen», sagt sie, aber noch immer gebe es Stolpersteine: «Viele Frauen sind zu wenig bekannt, haben kleinere Netzwerke und müssen Familie, Beruf und Politik unter einen Hut bringen.» Die tradi­ tionellen Rollenbilder in der Gesellschaft seien hinderlich beim Erreichen von Halbe-halbe im Parlament; viele Männer in der Politik profitierten davon, dass ihnen die Frau einen Grossteil der Haus- und Erziehungsarbeit abnimmt. «Die Politik spiegelt die Gesellschaft», sagt sie. Elf Frauen in der kleinen Kammer?

Die Lage im Ständerat ist noch schiefer. Die Frauenvertretung in der kleinen Kammer ist seit 2003 kontinuierlich gesunken. Die sieben 2015 gewählten Ständerätinnen entsprechen einem Frauenanteil von 15,2 Prozent – der niedrigste Wert seit 1991. Zurzeit gibt es noch sechs Stände­ rätinnen. Als einzige bisherige tritt Brigitte Häberli-Koller (61, CVP) an. Kathrin Bertschy von Alliance F rechnet damit, dass neben Häberli-Koller zehn Frauen gewählt werden dürften, da sie in aussichtsreichen Posi­ tionen seien. «Mit elf Sitzen ­wären wir wieder beim Stand von 2003», sagt sie, «was nur die Verluste der letzten 16 Jahre wettmachen würde.» In der Schweiz gibt es mehr stimmberechtigte Frauen als Männer. Trotzdem sind sie in politischen Ämtern in der ­Minderheit. Um dies zu ändern, müssten so viele Wahlberechtigte wie möglich an die Urne gehen, fordert die SVP-Kandidatin Stephanie Ritschard. «Es ist wichtig, dass die Frauen zusammenstehen und Frauen wählen. Die Wählerschaft muss ein ­Zeichen setzen!»  MM


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