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Wie weiter mit Corona?

«Esist nochnicht vorbei»

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt wieder. Die Virologin Isabella Eckerle erklärt, womit wir noch rechnen müssen und wie die Schweiz sich bisher geschlagen hat.

Text: Ralf Kaminski, Benita Vogel

Halten Sie sich noch freiwillig an Covid-Massnahmen? Im Unispital in Genf haben wir in einigen Bereichen noch Maskenpflicht, weil wir auch vulnerable Patienten behandeln. Auch sonst trage ich in Innenräumen eine Maske, etwa im öffentlichen Verkehr. Ich hatte bisher noch kein Covid und bin überzeugt, dass mich die Maske gut schützt. Sollten wir angesichts der steigenden Infektionszahlen alle wieder häufiger Masken tragen? Ja, insbesondere in Innenräumen. Das Virus und die Ansteckungsgefahr sind immer noch da. Und weil man sich immer wieder infizieren kann, egal, ob man genesen oder geimpft ist, sollte man sich weiterhin schützen. Die vergangenen Monate waren recht ruhig, jetzt hingegen könnten wir früher als erwartet vor einer neuen Welle stehen. Weshalb? Die neue Omikron-Variante BA.5, die sich derzeit bei uns ausbreitet, kann die bestehende Immunität besser umgehen. Ich hoffe dennoch, dass es keine grosse Infektionswelle gibt – oder wenigstens keine, die sich in den Spitälern niederschlägt. Zwar gab es schon vorher weiterhin Ansteckungen, aber dank der recht guten Grundimmunität durch Impfungen plus Durchbruchsinfektionen belasteten sie das Gesundheitssystem kaum mit schweren Fällen. Könnte sich das nun ändern? Das lässt sich noch nicht sagen. Die Variante BA.5 ist hier erst seit Kurzem für die Mehrzahl an positiven Tests verantwortlich. In Südafrika ist die Welle mit BA.5 schon vorüber und hat zu keiner Belastung im Gesundheitssystem geführt; in Portugal jedoch steigen nun auch Krankenhausaufnahmen und Sterblichkeit wieder an, vor allem bei den Älteren. Braucht es schon jetzt wieder Massnahmen? Das Wichtigste ist im Moment eine gute Kommunikation. Das Virus ist weiterhin da, aber jeder kann mit nur wenigen Massnahmen etwas gegen eine erneute Infektionswelle tun: Masken in Innenräumen tragen, sich bei Symptomen testen und Kontakte meiden, wenn man erkrankt ist. Der Sommer macht es uns leichter, denn bei Aktivitäten im Freien ist das Übertragungsrisiko geringer. Bei vielen ist die dritte Impfung inzwischen schon einige Zeit her. Sollten sich die nun ein viertes Mal impfen lassen?

Derzeit trägt kaum noch jemand eine Maske. Doch in Innenräumen wäre dies zu empfehlen, sagt Virologin Eckerle.

Bilder: Getty Images, zVg Bei Menschen über 60 Jahren verbessert die vierte Impfung den Schutz vor schwerer Krankheit und Tod nochmals – auch weil die Wirkung der dritten Impfungen mit der Zeit abnimmt. Es ist aber noch offen, ob es eine generelle Empfehlung zur vierten Impfung geben wird. Bei Jüngeren und Immungesunden schützen bereits die drei Impfungen gut vor schweren Verläufen – die Infektion selbst können sie jedoch leider nicht verhindern. Und wenn eine weitere Impfung, dann wartet man besser, bis eine da ist, die auch gegen Omikron wirkt? Das tun auch die bisherigen schon. Und wenn man die dritte Dosis noch nicht hat, sollte man sie mit dem aktuellen Impfstoff möglichst bald nachholen, nun, wo die Fallzahlen wieder steigen. Umso mehr noch unklar ist, bis wann der angepasste Impfstoff zugelassen ist und was seine Vorteile sind. Im Moment laufen dazu wissenschaftliche Studien, die aber durch die neue Variante BA.5 verkompliziert werden. Für die meisten dreimal Geimpften ist eine Infektion aber keine ernsthafte Gefahr mehr, oder? Gewisse Risiken gibt es immer noch, etwa für Long Covid. Auch Menschen mit einem milden Krankheitsverlauf können noch lange Beschwerden haben, zum Beispiel Herzrasen oder Konzentrationsbeschwerden, die häufig als eine Art «Nebel im Kopf» beschrieben werden. Man findet bei einem Teil der Genesenen auch weitere Komplikationen, die man bisher nicht kannte. Vorsicht ist also weiterhin angebracht. Weiss man, wer ein erhöhtes Risiko für Long Covid hat? Viel ist nicht bekannt. Frauen im mittleren Alter sind die am stärksten betroffene Gruppe, aber man kann nicht vorhersagen, ob jemand Long Covid bekommt oder nicht. Es kann jeden treffen – selbst Kinder und dreifach Geimpfte mit einem milden Verlauf. Besser ist also, sich gar nicht oder möglichst selten anzustecken. Es gibt Menschen, die sich nicht anstecken, obwohl sie nicht besonders vorsichtig sind. Wieso? Wir wissen es nicht. Es gibt bisher keine harten Daten, dass bestimmte Menschen resistent gegen eine Infektion sind – eine genetische Komponente wäre aber denkbar. Es könnte auch einfach Glück gewesen sein. Oder man hat sich symptomlos angesteckt und gar nichts davon gemerkt. Gibt es inzwischen auch wirksame Medikamente? Ja, und nun endlich auch für die ambulante Anwendung, wodurch die Vermehrung des Virus direkt gestoppt werden kann, wenn das Medikament früh im Krankheitsverlauf gegeben wird. Es gibt ausserdem Antikörperpräparate, mit denen in der Deltawelle viele Leben gerettet wurden. Gegenüber Omikron haben aber einige ihre Wirksamkeit verloren. Neue Medikamente sind in

der Pipeline, es dauert jedoch, bis sie alle Testphasen durchlaufen haben. Wir werden mit den Behandlungsmöglichkeiten zwar immer besser, rennen dem Virus aber trotzdem noch hinterher.

«Vielleicht wird es ein Update der Impfung brauchen, um gut durch den Winter zu kommen.»

Wie hoch ist das Risiko, dass eine neue Mutation auftaucht, die noch problematischer ist? Das ist schon möglich. Das Virus hat noch sehr viel Dynamik, es entwickelt sich in viele Richtungen. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie haben wir auch nicht mehr überall auf der Welt die gleiche dominante Variante. In Europa breitet sich derzeit BA.5 aus, in den USA eine Sub Variante von BA.2. Die Mutationen entwickeln sich auch nicht linear, also eine aus der anderen. Einige kommen aus einem Viruspool, von dem wir bisher gar nichts wissen. Es werden also noch weitere Wellen folgen? Davon ist auszugehen. Aber die Immunität in der Bevölkerung wird dank der Impfung und durchgemachter Infektionen immer belastbarer. Vielleicht wird es dennoch ein Update der Impfung brauchen, um gut durch den Winter zu kommen. Allerdings haben wir in den vergangenen beiden Jahren gelernt, mit Vorhersagen vorsichtig zu sein. Was sollten wir sonst noch tun? Wir haben inzwischen neben der Impfung ein ganzes Arsenal zur Verfügung, das gut funktioniert: Masken, bessere Belüftung, Homeoffice, Schnelltests. Wenn wir das alles clever und rechtzeitig anwenden und alle dabei mitmachen, braucht es bei einer neuen Welle keine massiven Einschränkungen mehr, denke ich. Vorausgesetzt, es taucht keine erheblich aggressivere Mutation auf. Aber die Pandemiemüdigkeit ist gross, und es geistern viele Fehlinformationen herum. Die Frage ist, ob man es schafft, genügend Leute bei all dem wieder mitzunehmen. Wie wird es längerfristig mit Covid weitergehen? Braucht man solche Massnahmen nun noch jahrelang? Man rechnet bei diesem Virus mit zwei bis zehn Jahren, bis sich ein stabiles Muster einstellt. Unklar ist, ob sich die Krankheitsschwere dann eher bei den saisonalen Erkältungsviren oder der Influenza einreiht – Ersteres wäre harmlos, bei Letzterem können vor allem Risikopersonen weiterhin schwer krank werden und ins Spital müssen. Auch lässt sich noch nicht abschätzen, wie es ist, wenn Grippe und Corona gleichzeitig auftreten. Im Winter 2020/21 hatten

wir das erste Mal weltweit keine Influenzasaison mehr. Und auch diverse andere Atemwegserkrankungen waren praktisch komplett verschwunden. Wie gut hat sich die Schweiz im Kampf gegen die Pandemie geschlagen? Zu Beginn hat sie vieles sehr gut gemacht. In einigen Ländern wie etwa den USA zirkulierten die Viren wohl schon seit Monaten, wurden jedoch nicht diagnostiziert. Am Unispital Genf hingegen haben wir bereits Mitte Januar 2020 begonnen, Reisende und Personen mit Atemwegsinfekten zu testen. Es dauerte noch über vier Wochen, bis wir den ersten Fall hatten. Durch die frühe Diagnostik haben wir uns Zeit erkauft.

Was lief nicht gut? Ein Fehler war sicherlich, dass man den breiten Einsatz von Masken nicht früher empfohlen hat. Aber man wusste halt damals noch nicht viel über das Virus. Und im Sommer 2020 hatten Bevölkerung und Behörden den Eindruck, das Gröbste sei nun vorbei. Aber schon im August war klar, dass sich da was zusammenbraut; Politik und Behörden haben viel zu lange nicht reagiert. Allerdings lief es in vielen Ländern ähnlich. Zögerlicher als anderswo hingegen war die Schweiz beim Impfen – sowohl bei den offiziellen Empfehlungen als auch bei der Impfbereitschaft der Bevölkerung. Wäre das besser gelaufen, hätte man wohl zusätzliche Fälle verhindern können.

Die Behörden reagierten also manchmal zu langsam. Ja, aber auch weil sie befürchteten, mit Massnahmen zu übertreiben und damit noch mehr negative Reaktionen auszulösen. Es ist bis heute ein schwieriger Balanceakt. Auch ist das föderalistische System im Kampf gegen eine Pandemie nicht sehr hilfreich. Man konnte niemandem vermitteln, warum man hier etwas so machte und zehn Kilometer weiter etwas anderes galt. In einer solchen Krise braucht es im ganzen Land die gleichen Regeln, sonst verliert man die Kooperation der Leute. Gibt es Länder, die Sie positiv hervorheben würden? Südkorea, Japan und Taiwan sind recht gut durch die Pandemie gekommen, obwohl ihre Bevölkerungen eher älter sind. Die hatten zum Teil schon Erfahrungen mit anderen Epidemien und haben deshalb schnell kompetent reagiert. Neuseeland wiederum konnte sich sehr effektiv abschotten, bis es eine Impfung gab, und hat dann schnell geimpft – das war optimal, aber da hatten sie als Inselstaat einen Vorteil. Der Ansatz, Corona komplett draussen zu halten, wie das China noch immer versucht, ist hingegen zum Scheitern verurteilt. Das Virus wird nicht wieder verschwinden, egal, wie drakonisch die Gegenmassnahmen sind. Derzeit machen die Affenpocken Schlagzeilen, aber es scheint keine Pandemie zu drohen. Sehen Sie das auch so? Grundsätzlich schon, weil dieses Virus nicht so ansteckend ist. Man sollte es dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn bei Pocken gibt es ein Risiko für schwere Verläufe. Zudem infiziert das Virus auch Tiere und könnte sich somit auch bei uns dauerhaft einnisten. Wir sollten sicherstellen, dass das nicht passiert. Dazu gehört es, die Fälle zu isolieren, ihre Kontakte abzuklären und allenfalls zu impfen. Und vielleicht sollten wir generell mehr Prävention betreiben.

Zum Beispiel? Dass wir heute mit so vielen Viren konfrontiert sind, hat auch mit unserer Lebensweise zu tun. Wir dringen in immer mehr natürliche Lebensräume vor, schaffen immer mehr Berührungspunkte zwischen wilden Tieren, uns selbst und unseren Nutztieren. Das alles schafft erst die Grundlage fürs Entstehen solcher Ausbrüche. Auch mit dem Klimawandel steigt das Risiko für Pandemien. Wir müssen als Gesellschaft verstärkt daran arbeiten, diese Ursachen zu reduzieren.

Corona hat auch hierzulande überraschend heftig polarisiert – wie haben Sie das erlebt? Das Ausmass kam für mich recht unerwartet. Am Anfang war der Informationsbedarf enorm, und alle waren dankbar für Experteneinschätzungen. Das änderte sich in der zweiten Welle, als wir weiter mahnten, obwohl alle die Pandemie gerne hinter sich gehabt hätten. Dieser Frust hat sich dann auch bei uns entladen. Es gab Anfeindungen per EMail und Post; aber ich habe ein ziemlich dickes Fell. Zudem gab es daneben viele dankbare Zuschriften. Mein Eindruck war, dass die allermeisten Leute sich vernünftig verhalten haben.

«In einer Krise braucht es im ganzen Land die gleichen Regeln, sonst verliert man die Leute.»

Isabella Eckerle

Die 41-jährige Virologin leitet das Zentrum für Neuartige Viruserkrankungen an der Universität Genf und beschäftigt sich seit 2011 mit Coronaviren. Die deutsche Professorin ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Genf.

Wie verhindern wir, dass die Spaltung sofort wieder da ist, sobald erneut Massnahmen nötig werden? Ein besseres Erwartungsmanagement könnte helfen. Dazu gehört, schon jetzt zu sagen: Die Lage ist viel besser als zu Beginn der Pandemie, aber es ist noch nicht vorbei. Wir wissen nicht, was genau kommt, aber weitere Wellen sind wahrscheinlich. Und es kann gut sein, dass wir alle erneut vorsichtiger sein müssen. Je mehr die Menschen sich darauf schon jetzt einstellen, desto einfacher wird es. MM

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