Migros Magazin 18 2009 d ZH

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interview

Migros-Magazin 18, 27. April 2009

ein Banker, ein Aussendienstler oder ein Hotelangestellter. Ich habe keine Sitzungen, keinen Job, keinen Boss. Mir gefällt Rot, weil ich auch gerne ein Kindskopf bin. Und ich bin ein freier Mensch …

T. C. Boyle US-Schriftsteller T. C. Boyle liebt Egomanen, Männer, die sich für «ehrliche Arroganz statt scheinheilige Demut» entscheiden. Etwa den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey, dem er sein Buch «Dr. Sex» widmete. Oder den Arzt und Cornflakeserfinder John Harvey Kellogg, den er in «Willkommen in Wellville» würdigte. Dieses Buch wurde von Alan Parker mit Anthony Hopkins und Bridget Fonda verfilmt. Und jetzt hat Boyle seinen grossen neuen Roman «Die Frauen» über den grössten US-Architekten Frank Lloyd Wright (1867—1956) geschrieben, der das Guggen-

Und fühlen Sie sich jetzt mit Barack Obama, seit 100 Tagen US-Präsident, freier als zuvor?

Doch, schon. Obwohl, ich hasse Politik. Weil es mich immer wieder verstört, wenn Menschen von ihr besessen oder geblendet sind. Politiker haben letztlich doch weniger Einfluss auf unsere Gesellschaft als Filmstars, Sexexperten oder Architekten. Über die schreiben Sie auch gerne Romane: Wie jetzt über den US-Architekten Frank Lloyd Wright.

Weil mich Menschen wie er interessieren. Narzisstische Fast-Psychopathen, die grosse Dinge schufen. Vielleicht schreibe ich als Vorsichtsmassnahme über diese Menschen, um nicht ein genauso grosser Egomane zu werden? Aber es wird von Ihnen nie einen Roman über Politiker geben?

«Ich musste nie einen Kleidercode einhalten — ich bin ein freier Mensch!», sagt Boyle beim Interview und zeigt den Totenkopfring am kleinen Finger.

«Politiker haben weniger Einfluss auf unsere Gesellschaft als Filmstars oder Sexexperten.»

Wohl kaum. Aber ich habe Barack Obama gewählt. Denn ich bin Demokrat. Und glücklich, dass er sich daran macht, die desaströsen Folgen der Politik von Bush und seinen Kumpanen zu beseitigen. Welche Folgen meinen Sie?

George W. Bush war ein verrückter Typ: An seinem ersten Tag als Präsident strich er ein 400-Millionen-Budget, das die Geburtenkontrolle von Frauen in der Dritten Welt unterstützt hatte. Damit hatten diese die Grösse ihrer Familie beschränken, arbeiten oder sich bilden können. Aber durch diesen Erlass wurden diese Frauen wieder zu Sklavinnen, die Kinder produzierten. Wir müssen diese Stammesregeln aus vergangenen Zeiten doch endlich überwinden! Die waren vielleicht in einer dunklen Zeit noch in Ordnung, als man Krieger zeugen

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musste. Aber das ist doch 2000 Jahre her, meine Güte. Welches sind die heutigen Hauptprobleme in Ihrer Heimat?

Überbevölkerung, Abhängigkeit vom Öl und das Verbot von Drogen. Vielleicht müssten wir auch unseren Sozialstaat aufgeben. Seit Lyndon B. Johnson Präsident war – 1963 bis 1969 –, schufen wir einen Stand von Millionen von Leuten, die nicht arbeiten. Die sind abhängig vom Staat, als ob der Gott wäre. Sie arbeiten nicht, bilden sich nicht, vegetieren in den Tag hinein. Da droht Langeweile. Ich würde an deren Stelle auch Crack rauchen. Die Menschen brauchen doch eine Aufgabe! Wie stellen Sie sich das vor bei der grassierenden Arbeitslosigkeit?

Man könnte viel mehr Menschen Teilzeit anstellen, ihnen statt 10

besser 25 Dollar Stundenlohn zahlen und so die Milliarden der Sozialinstitute verteilen. Das dürfte locker reichen – und allen wäre gedient. Präsident John F. Kennedy sagte, man solle sich nicht dafür interessieren, was der Staat für einen tun kann, sondern was man selber für den Staat tun kann.

Genau. Doch heute ist es anders: Wenn eine junge unverheiratete Frau Babys in die Welt setzt, bekommt sie mit jedem neuen Kind noch mehr Geld vom Staat. Und gebärt also noch mehr … Kein Wunder, wollen alle zu uns: Wir haben in den USA mehr legale Einwanderer pro Jahr als alle anderen Länder der Welt zusammen. Von den Illegalen nicht zu sprechen. Das sind Bauern, die ihre kräftigen Rücken anbieten, aber die brauchts immer weniger, weil Roboter und Fliessbänder sie ersetzen. Dagegen tritt jetzt Obama an.

Zum Glück! Doch er ist inzwischen zu einer Popikone von fast ausserirdischer Strahlkraft verklärt worden: cool, charismatisch, jung, dynamisch, ein grosser Performer. Obama ist nicht nur ein Weltpräsident, nein,

«Mir gefällt Rot, weil ich auch gerne ein Kindskopf bin» — T. C. Boyles Converse-Schuhe. heim-Museum in New York schuf. Boyle lebt mit Frau und zwei Kindern seit 15 Jahren in Wrights 100-jährigem Haus mit 1700 Quadratmeter Wohnfläche und 107 Fenstern in Montecito, 140 Kilometer vor Los Angeles. Durch die Beschreibung seiner drei Frauen und seiner Geliebten nähert Boyle sich im Roman in gewohnt witziger, ja sarkastischer Weise dem Titanen Wright an und schildert ihn als Abenteurer, Workaholic, Autonarr und Pferdesportler, Maul- und Frauenheld. Doch das Schaffen des wohl bedeutendsten Architekten der neuen Welt erhält leider keine literarische Würdigung: 1000 Studien, über 135 gebaute Häuser, utopische Entwürfe für Städte und Erfindungsreichtum — das kommt alles kaum zum Tragen. T. C. Boyle: Die Frauen. Erhältlich bei www.exlibris.ch für Franken 38.15 Infos: www.tcboyle.de


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