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MensChen

Migros-Magazin | Nr. 8, 18. Februar 2013 |

sagt, wir bauen euch diese Strasse oder diese Eisenbahnlinie, falls wir dafür Öl oder andere Rohstoffe bekommen, dann kann das die Entwicklung eines Landes tatsächlich fördern. Anderseits ist auch bekannt, dass die Chinesen bei den Menschenrechten gerne ein Auge zudrücken und fragwürdige Regimes unterstützen. Sicher ist, dass der Wettbewerb zwischen China und dem Westen in Afrika den Einheimischen tendenziell nützt.

es für Lebensmittel inzwischen weltweit die gleiche Rolle spielt wie China in der Industrie. Wird es also gelingen, bald zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu ernähren, ohne ihn zu zerstören?

Grundsätzlich schon. Heute wird in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Hälfte der Lebensmittel vergeudet, weil sie nicht fachgerecht aufbewahrt werden. In den reichen Ländern wird fast die Hälfte weggeworfen. Es ist also nicht so, dass es zu wenig Nahrungsmittel gäbe. Wir Menschen sind einfach noch nicht sehr geschickt darin, mit ihnen sinnvoll umzugehen.

Es gibt selbst in Fachkreisen heute eine hitzige Diskussion darüber, ob Kleinbauern oder industrielle Landwirtschaft das Ernähungsproblem lösen können. Wer hat in dieser Diskussion die besseren Argumente?

Je mehr ich mich damit befasse, desto mehr neige ich zur Überzeugung, dass eine Landwirtschaft von in Genossenschaften zusammengeschlossenen Kleinbauern das beste Resultat bringt. Selbst die Weltbank sagt dies inzwischen, obwohl sie in der Praxis nach wie vor primär industrielle Landwirtschaftsprojekte unterstützt.

Stellen Sie sich erneut vor, Sie wären ein Einheimischer. Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie von der Regierung, einem Spekulanten oder einem ökologisch motivierten Milliardär von Ihrem Land vertrieben werden? Ohne diese Greengrabbers würden Wilderer noch mehr Elefanten und Nashörner töten, oder nicht?

Haben wir westlichen Umweltschützer das Recht, so zu argumentieren? Schliesslich leben die afrikanischen Einheimischen seit Menschengedenken mit diesen Tieren zusammen, ohne sie ausgerottet zu haben.

Wird es auch in Zukunft möglich sein, dass diese grossen und teilweise sehr gefährlichen Tiere auf einem enger werdenden Raum zusammen mit Menschen leben? In der Schweiz beispielsweise haben wir Bären und Wölfe ausgerottet und tun uns sehr schwer mit einer Wiederansiedlung.

Auf diesen Standpunkt stellen sich auch die Afrikaner. Doch es gibt einen grossen

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«Wir sind noch nicht geschickt genug, mit Lebensmitteln sinnvoll umzugehen.»

Aufgrund seines Reichtums an fruchtbaren Böden müsste Afrika eigentlich Lebensmittel exportieren. Braucht es nicht eine industrielle Landwirtschaft?

Es gibt auch Landgrabbers mit edlen Motiven: sehr reiche Menschen, die riesige Landparzellen kaufen, um sie in Parks umzuwandeln. Was ist von diesen sogenannten Greengrabbers zu halten?

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Trotzdem befürchten viele Menschen, dass es bald zu wenig Wasser und fruchtbares Land geben wird. Ist diese Angst berechtigt?

Unterschied. In der Schweiz gab es nie ein Tourismusgeschäft, in dem Bären und Wölfe eine wichtige Rolle gespielt hätten. Bei Löwen, Elefanten, Giraffen und Nashörnern in Afrika ist dies heute der Fall. Sie sind die Stütze des Tourismus geworden. Es gibt daher nicht nur ein idealistisches, sondern auch ein starkes wirtschaftliches Interesse, diese Tiere zu erhalten. Ich bin überzeugt, dass es möglich sein wird, Tierschutz und die wirtschaftliche Entwicklung unter einen Hut zu bringen. Woher nehmen Sie diesen Optimismus?

Schauen Sie die Entwicklung in Brasilien an. Dort sind es vor allem die in den Städten lebenden Brasilianer, die heute dafür sorgen, dass die Umwelt und die Artenvielfalt im Amazonasgebiet geschützt wird. Nicht nur im Westen, auch in den Schwellenländern leben die Grünen vor allem in den Städten. Sie setzen die Regierung immer mehr unter Druck, dass sie die Umwelt erhalte. Brasilien ist besonders wichtig in dieser Frage, weil

Kleinbauern, die sich in Genossenschaften organisieren, könnten das Ernährungsproblem in Afrika lösen, ist Fred Pearce überzeugt.

Nur bedingt. Nehmen Sie Wasser: Ohne Zweifel gibt es eine Verknappung. Aber es herrscht auch nach wie vor eine riesige Verschwendung. Der weitaus grösste Teil des Wassers wird in der Landwirtschaft gebraucht. Viele Bauern fluten ihre Felder, anstatt sie gezielt zu bewässern. Mit neuen Technologien gibt es noch viel Potenzial für Verbesserungen.

Im Westen können wir neuerdings beobachten, dass Gemüse in den Städten angepflanzt wird. Ist dieses «Urban Farming» ökologische Romantik oder sinnvoll?

Das ist sogar sehr sinnvoll und historisch gesehen auch nicht so neu. Urban Farming hat es schon in früheren Zeiten gegeben. Im 19. Jahrhundert wurde in Paris ein guter Teil des verzehrten Gemüses in der Stadt selbst angepflanzt. Kann das Ernährungsproblem der Menschen in Zukunft gelöst werden?

Ich bin grundsätzlich optimistisch. Es gelingt, die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen immer vernünftiger zu nutzen. Zudem geht die industrielle Revolution mit ihrem rasanten Bevölkerungswachstum zu Ende. Selbst in Bangladesch, einem armen und streng muslimischen Land, gehen die Geburtenraten stark zurück. Mit ein wenig Glück könnte das 21.Jahrhundert also ein Jahrhundert der Stabilität werden. Interview: Philipp Loepfe Bilder: Muir Vidler


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