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Was am Lebensende zählt

Viele Menschen ziehen auf dem Sterbebett Bilanz über ihr Leben.

Stirbt man leichter, wenn man nichts oder wenig bereut? Das ist schwer zu sagen. Die Kehrseite eines intensiven, lustvollen Lebens ist, dass man überhaupt keine Lust hat, damit aufzuhören. Und wer viel und stark geliebt hat, den schmerzt der Abschied stärker.

Haben viele Angst in den letzten Stunden? In einem sicheren, vertrauten Umfeld sind die Ängste tendenziell geringer. Am Ende jedoch muss jeder diesen Weg allein gehen, und vielen hilft in diesem Moment der Glaube – egal welcher. Weil man sich dabei auf etwas abstützen kann, das ein wenig Sicherheit verspricht. Religiöse Menschen haben es also tendenziell leichter? Nicht grundsätzlich. Atheisten sind oft sehr rational lebende Menschen, die das meistens auch beim Sterben durchziehen. Generell gilt: Davon auszugehen, dass nach dem Tod nichts Schlimmes geschieht, hilft sicherlich. Aber auch wenn alles gut vorbereitet ist, kann das Sterben am Ende statt friedlich dann doch dramatisch sein.

Zum Beispiel? Etwa wenn der Sterbende plötzlich sehr verwirrt und gestresst wird. Umso wichtiger ist die Anwesenheit von Fachpersonen. Sie können entweder mit Medikamenten helfen oder den Angehörigen beistehen, da dies halt nicht so ungewöhnlich ist. Woher kommt der Stress? Im sterbenden Hirn können noch viele abgehackte Filme ablaufen, die Reaktionen auslösen. Es gibt auch oft Wechsel zwischen Wach- und Dämmerzuständen, abhängig von der Hirndurchblutung. Aber was in der letzten Phase ganz genau passiert, wissen wir schlicht nicht. Darüber wurden schon ganze Bücherregale voll geschrieben, und man kann alles Mögliche hineininterpretieren. Letztlich ist und bleibt es ein Geheimnis.

Hilft das Empfinden, mit sich im Reinen zu sein? Das nehme ich so wahr, ja. Konflikte sollte man rechtzeitig bereinigen. Kurz vor dem Sterben fehlt dazu die Energie. Generell gilt: Wer sich dem Leben mutig stellt, dem gelingt dies wohl auch eher beim Sterben. Vielleicht auch, wenn man den Mut hat, sich schon während des Lebens mit seiner Endlichkeit auseinanderzusetzen: Was bedeutet das für mich? Was für einen Auftrag habe ich dadurch? Auftrag? Die Frage ist doch, womit wir die Zeit verbringen, die uns gegeben ist. Idealerweise tun wir das mit sinnvollen Dingen und nicht,

«Die Frage ist doch, womit wir die Zeit verbringen, die uns gegeben ist.»

Steffen Eychmüller (60)

ist Chefarzt am Universitären Zentrum für Palliative Care am Inselspital Bern und Co-Autor des Buches «Das Lebensende und ich». Er arbeitet seit 1999 auf diesem Gebiet, ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Bern.

indem wir uns die Zeit einfach vertreiben oder sie gar totschlagen. Und ich glaube, es braucht Mut, die Tage nicht einfach abzuhaken, sondern dem Leben unseren Stempel aufzudrücken. Im Hamsterrad vor sich hin zu laufen, ist einfacher, als sich zu fragen: Hey, was mache ich hier eigentlich? Könnte ich diese Zeit nicht besser nutzen, diese Arbeit nicht anders gestalten? Aber das ist natürlich eine sehr privilegierte Haltung. Inwiefern? Viele Leute schaffen es geradeso, ihre Existenz zu sichern – darüber hinaus ist kaum etwas anderes möglich. Der Grundgedanke ist, die Perioden, in denen wir unsere Zeit selbst gestalten können, mit etwas zu verbringen, das wir im Nachhinein als erfüllend und bereichernd empfinden. Am Lebensende wird man kaum bereuen, nicht noch mehr Fernsehen oder Youtube geschaut zu haben. Wie gross ist die Sorge der Sterbenden, allein zu sterben? Das variiert. Für uns emotional am schlimmsten ist es, wenn Menschen sichtbar darunter leiden, allein zu sterben. Sie möchten dann, dass wir Fachpersonen quasi Ersatz für ein entfremdetes Kind oder einen

Partner sind, aber das können wir nicht leisten. Woran merken Sie, dass es nun tatsächlich zu Ende geht? Es gibt klare Symptome: langsamer Rückgang der Körperenergie, kein Interesse mehr an Medikamenten oder Essen und Trinken. Das Hirn sendet die entsprechenden Impulse nicht mehr, weil es einfach nicht mehr wichtig ist. Man stirbt dann nicht, weil man nicht isst und trinkt, sondern man isst und trinkt nicht, weil man stirbt. Gibt es weitere Anzeichen? Die Durchblutung wird schlechter, zuerst in den Händen und den Füssen, schrittweise auch im Gehirn – für die Angehörigen macht sich das darin bemerkbar, dass das Denken für den Sterbenden schwieriger wird. Die wichtigste Funktion des Körpers, das Atmen, bleibt so lange wie möglich erhalten, aber irgendwann wird die Muskulatur so schwach, dass auch das schwierig wird – bei den meisten löst dies das Sterben aus. Ist es ein sanftes Wegdämmern wie beim Einschlafen? Was ein Mensch genau erlebt, wenn er stirbt, wissen wir nicht. Aber der Rückzug des Lebens aus dem Gehirn dürfte sich sehr ähnlich anfühlen wie das Einschlafen. Irgendwann kommt die Bewusstlosigkeit. Viele haben weniger Angst vor dem Tod als vor der Leidenszeit. Müssen viele leiden? Körperliche Schmerzen lassen sich mit Medikamenten heute gut dämpfen, aber Leiden ist ja mehr als das. Dabei geht es um Selbstwert, Bewegungsfähigkeit, Dinge zu machen, die man tun möchte, seine Werte zu leben. Das Leid, dies nicht mehr tun zu können, lässt sich nicht mit Medikamenten beseitigen. Worin unterscheidet sich das Sterben in Ihrem Zentrum für Palliative Care? Nur etwa ein Drittel der Patienten stirbt bei uns, zwei Drittel gehen nach Hause oder in eine Pflegeumgebung. Wir kommen zum Einsatz, wenn eine Situation schwierig und stressig ist und die Angehörigen klar Unterstützung brauchen. Wir bieten hier auch psychologische und seelsorgerische Unterstützung. Ziel unserer Behandlung ist es, das Leiden zu lindern, ohne dem Sterben dabei nachzuhelfen. Die meisten vermeiden es, sich mit ihrem Tod zu beschäftigen. Gäbe es weniger Ängste, wenn wir anders damit umgingen? Davon bin ich überzeugt. Es würde schon helfen, wenn der Tod im Alltag präsenter wäre. Das Sterben findet meist verborgen statt, ist nicht Teil der Normalität in unserer Gesellschaft. Viele erleben gar kein Sterben bis zu ihrem eigenen. Ein guter Schritt wäre schon, sich die Zeit zu nehmen, Menschen, die einem nahestehen, in den letzten Tagen zu begleiten. Was gibt es sonst noch für Möglichkeiten? In einigen Ländern wird das Sterben im Schulunterricht thematisiert – hier geschieht das meist nur, wenn jemand in der Klasse durch einen Unfall oder einen Suizid stirbt. Zumindest wäre es gut, innerhalb der Familie darüber zu sprechen, was für

«Ein guter Schritt wäre, sich die Zeit zu nehmen, Menschen, die einem nahestehen, in den letzten Tagen zu begleiten.»

eine Beerdigung gewünscht ist oder welche organisatorischen Dinge dann anstehen. Wieso vermeiden wir diese Auseinandersetzung? Auf den Philippinen, wo ich auch schon einige Zeit gearbeitet habe, gilt es als selbstverständlich, dass wir Teil eines zyklischen Naturgeschehens von Werden und Vergehen sind. Hier hingegen halten wir alles für kontrollierbar und machbar – und glauben, wir könnten uns mithilfe der Hochleistungsmedizin quasi Lebensjahre dazukaufen. Der Fall ist umso tiefer, wenn sich diese Illusion auflöst, alles im Griff zu haben. Was bräuchte es stattdessen? Vielleicht eine gewisse Selbstrelativierung, sich damit abfinden, dass man selbst nicht die Krone der Schöpfung ist und die gleichen Regeln gelten wie für alle Lebewesen, dass man also irgendwann gehen muss. Sich bewusst zu sein, dass es einem geht wie allen anderen auf dieser Welt, kann eine entspannende Wirkung haben. Palliative Care ist in der Schweiz ein junges Feld: Was müsste noch besser werden? Es bräuchte eine Gleichstellung mit der Situation am Lebensanfang, wo keine Kosten gescheut werden, um alle Eventualitäten zu berücksichtigen – und alles klar gesetzlich geregelt ist. Es braucht eine gute Absicherung der Angehörigen, die sich um Sterbende kümmern, und eine solidarische Finanzierung von Einrichtungen, die das chronische Leiden in der letzten Phase lindern. Dies kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Wie schauen Sie als Experte Ihrem Ende entgegen? Ich empfinde meine Arbeit als erfüllend, meine Lebensbilanz als positiv. Und ich gehe mit diesen Themen offen um. Gleichzeitig fände ich es gar nicht toll, wenn ich in den nächsten Tagen sterben müsste. Ich habe noch so viele Ideen im Kopf und möchte noch so viel erleben. Aber wenn es denn so käme, hoffe ich, dass ich es dennoch akzeptieren könnte. MM

LESETIPPS

Steffen Eychmüller, Sibylle Felber: «Das Lebensende und ich», Stämpfli Verlag 2022, bei exlibris.ch für Fr.24.80

Rebekka Haefeli: «C’est la vie – Unterwegs mit zwei Pionieren der Palliative Care», Hier und Jetzt 2022, bei exlibris.ch für Fr.30.80

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