Leben im Osten Eine Sonderbeilage der ostdeutschen Tageszeitungen und der SupERillu
| Donnerstag, 2. Oktober 2014
Blick in die Grimmaische Straße in der Leipziger City: Sie gehört 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution zu den größten ostdeutschen Einkaufsmagistralen.
25 Jahre nach der Friedlichen Revolution geht eine Allensbach-Studie der Frage nach: Wie haben sich die Menschen verändert? Bei den privaten Wünschen und Sorgen ist die Mauer gefallen. Andere Teile stehen noch.
Befreiung zu erleben und sie selber gestalten zu dürfen, darüber geht nichts. Joachim Gauck Bundespräsident
Foto: Volkmar Heinz
Ost und West kommen sich näher, Vorurteile gibt’s aber noch Von TorsTen KlediTzsch
O
st- und Westdeutsche unterscheiden sich in ihren Lebenszielen und Wertvorstellungen kaum mehr voneinander, halten aber an ihren gegenseitigen Vorurteilen fest. Große Unterschiede bestehen weiterhin in der Beurteilung des politischen und wirtschaftlichen Systems. Das hat die Studie „Wertewandel Ost“ des Instituts für Demoskopie Allensbach ergeben – im Auftrag der Leipziger Volkszeitung in Zusammenarbeit mit 14 weiteren ostdeutschen Tageszeitungen. Die Studie aus Anlass des 25. Jahrestags der Friedlichen Revolution und des Mauerfalls ist eine der umfassendsten der vergangenen Jahre. Große Übereinstimmung legen die Menschen in den alten und neuen Ländern an den Tag, wenn es um die Stabilität in ihrem Leben geht. Bei den vier wichtigsten Faktoren gibt es keine nennenswerten Unterschiede mehr: Ausreichend Geld (80 Prozent Ost/81 Prozent West), die eigene Familie (79/79), gute Freunde (63/66) und der eigene Partner (62/63) sind die vier Punkte, die für alle Deutschen ausschlaggebend sind bei der Frage, wie sicher sie sich in ihrem Leben fühlen. Der Ostdeutsche setzt bei der Absicherung darüber hinaus stärker auf den Staat, während der Westdeutsche auf das Ei-
gentum sowie Recht und Gesetz baut. Bei den Sorgen treibt die eigene Pflegebedürftigkeit 61 Prozent der Ost- wie Westdeutschen um und wird nur noch von der Angst vor zunehmender Kriminalität übertroffen. Insgesamt werden die ersten acht SorgenPlätze in Ost und West vor allem von der Renten-Sicherheit sowie steigenden Preisen und Abgaben und den möglichen Folgen dominiert. Große Unterschiede gibt es dagegen nach wie vor in der Beurteilung des wirtschaftlichen und politischen Systems. Während 74 Prozent der Westdeutschen die Demokratie als die beste Staatsform betrachten, teilen in Ostdeutschland nur 40 Prozent diese Auffassung. Beide Werte haben sich seit 1990 nur geringfügig verändert. Michael Sommer, Projektleiter bei Allensbach, spricht von einem „unbedingten Vertrauen“ in das politische System, das im Westen nach wie vor viel stärker sei. Die Ostdeutschen legten in diesem Punkt eine große Reserviertheit an den Tag. Auch das Freiheitsverständnis unterscheidet sich erheblich. Den Westdeutschen sind die Meinungsfreiheit, der Rechtsstaat, die freie Berufswahl und das Recht auf Eigentum deutlich wichtiger als den Ostdeutschen. Der Abstand beträgt jeweils zwischen 14 und 18 Prozentpunkte.
Gehalten haben sich auch die Vorurteile. Der Ostdeutsche hält den Wessi nach wie vor für arrogant, geldgierig und egoistisch. Der Westdeutsche den Ossi vor allem für unzufrieden und misstrauisch.
Freiheiten, die den Ostdeutschen am Wichtigsten sind Meinungsfreiheit
70%
Reisefreiheit
65%
Soziales Sicherheitsnetz des Staates
61%
Freie Wohnwahl
55%
Wahlfreiheit
51%
Konsumfreiheit
50%
Keine staatliche Überwachung
49%
6 3%
Rechtsstaatlichkeit
49%
6 4%
Religionsfreiheit
19%
Ostdeutsche Bevölkerung
Westdeutsche Bevölkerung
88% 72% 6 3% 6 8% 6 3% 55%
4 5%
Größte Diskrepanz
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre