Das Floriani-Prinzip

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Die forschen, indem sie unglaublich viele Daten an der Grenze sammeln und in ein Modell eingeben, das sich „Common Integrated Risk Analysis Model“ nennt. Risiko ist hierbei das Schlüsselwort. Es geht darum, Vorhersagen darüber zu treffen, was an den Grenzen passieren wird. Es gibt auch tatsächliche Forschung in Form von Biometrie und Satelliteneinsatz, um die Grenze zu überwachen. Das Wichtige ist aber, und damit unterscheiden sie sich von allen anderen Agenturen, dass sie einen operativen Part haben. Es gab zum Beispiel lange Zeit die „Operation Nautilus“, die im Mittelmeer rund um Malta stattfand. Da ging es darum, Flüchtlinge zu stoppen, die mit Booten aus Nordafrika kamen. Da ist dann nicht nur die zuständige maltesische Armee, vertreten, sondern noch ganz viele andere Grenzschützer. Die werden dann in eine quasi-europäische Struktur eingebunden. In dieser Hinsicht wirkt diese Agentur langsam auf eine Veränderung der Grenze hin. Das ist der Grund, warum man sie sich so genau anschauen muss. Das Interessante ist, dass es in der Bevölkerung ein bestimmtes Bild von dieser Agentur gibt. Der Name ist auch unglücklich gewählt, der klingt schon sehr martialisch. Alle schlimmen Sachen, die an den Grenzen passieren, werden dieser Agentur zugeschrieben. Deshalb gibt es einen sehr kritischen Blick auf diese Agentur, da sie symbolisch für die Europäisierung der Grenzen steht. Dadurch ist sie im medialen Scheinwerferlicht und wird sehr genau betrachtet. Dadurch funktionieren manche Sachen nicht mehr so leicht. Bisher war es zum Beispiel relativ schwierig dieser Agentur nachzuweisen, dass sie illegale Zurückschiebungen ins Herkunftsland, so genannte „push backs“, durchführt. Wie kamst du zur Forschungsarbeit zu diesem Thema?

Ich bin schon seit über zehn Jahren in einer Gruppe in München aktiv, die sich mit Migrations- und Asylpolitik auseinandersetzt. 1999 trat der Amsterdamer Vertrag in Kraft. Mit diesem ist Migrations-, Grenz- und Asylpolitik zu einem europäischen Thema geworden. Vorher haben sich die Staaten zwar koordiniert, aber es gab keine starke EU-Politik dahinter. Das hat sich mit diesem Vertrag geändert. Immer mehr Sachen werden seither in Brüssel und nicht mehr in Berlin entschieden. Daher kam das Interesse.

Aber du bist nicht selber betroffen von dieser Thematik?

Nein. Ich bin in Mannheim geboren. Aber meine Mutter kommt aus Korea. Du bist aktiv im „Netzwerk für kritische Migrationsforschung“. Was ist dessen Anliegen?

Es gibt zwar schon einige Leute, die kritisch zu dieser Thematik forschen, jedoch sind die sehr vereinzelt. Deshalb haben wir uns damals gegründet. Es gab zwei Stränge, die uns interessiert haben. Zum einen gab es in der Migrationsforschung ein starkes Integrationsparadigma. Man könnte auch sagen, es war MigrantInnenforschung. Die Frage lautete vor allem: Wie schafft man es verschiedene Migrationsgruppen besser zu integrieren? Integration war der Leitbegriff dieser ganzen Forschung. Wir haben immer gesagt, dass man das Ganze auch aus einer anderen Perspektive betrachten muss: die der Migration. Dass man die Frage andersrum stellt: Wie macht der Staat Migration überhaupt erst zum Problem? Wie wird das konstruiert, was gibt es für Mechanismen? Das war eine Blickumkehrung, die uns wichtig war. Deshalb auch so ein starker thematischer Zusammenhang mit der Grenze, weil diese vor allem im europäischen Raum sehr stark in diese Richtung wirkt. Es werden starke Kontrollen durchgeführt und dadurch gibt es eine klare Trennung zwischen Innen und Außen und damit zwischen MigrantInnen und Einheimischen. Außerdem geht es darum sich auszutauschen, neue Analysen anzustellen, neue Theorien aufzustellen, zu schauen, was Leute mitbringen und sich damit auseinanderzusetzen. Das war bisher ein sehr schöner Prozess. Es hat mit sehr wenigen angefangen. Aber mittlerweile sind wir über 300 Leute. Das verteilt sich über die größeren Städte und auch bedingt dadurch, an welchen Universitäten man sich mit diesem Thema beschäftigen kann. Migration ist ein Querschnittsthema und so findet man die verschiedensten Leute an den verschiedensten Universitäten. Unser Schwerpunkt liegt zwar auf der Soziologie, der Kulturanthropologie, den Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften, Geografie und Geschichte. Es ist uns aber wichtig, dass es nicht nur eine akademische Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, sondern dass auch NGOs, Aktivisten und Künstler dazukommen. Deshalb würden wir auch nicht unbedingt von Forschung und Wissenschaft, sondern von Wissensproduktion sprechen. Das engt das Thema nicht so ein und lässt Raum, sich auf verschiedene Arten und Weisen mit dem Thema auseinanderzusetzen.


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