LINKS! Ausgabe 03/2019

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Abwaschen ist politisch!

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2019

Anders als in den alten Bundesländern hat der 8. März im Osten Tradition. Immer wenn wir mit Infoständen und Blumen an den Frauentag erinnern, freuen sich insbesondere die Frauen. Viele von ihnen bedauern, dass der 8. März heute kaum noch eine Rolle spielt. Wie können wir den Frauentag aufwerten? Ein angemessenes Beispiel kommt aus Berlin: Dort wurde der 8. März kürzlich zum Feiertag erklärt. Doch das genügt nicht. Es braucht mehr, um auf frauenpolitische Anliegen aufmerksam zu machen. Das zeigt ein Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Situation. Es gibt immer mehr berufstätige Frauen – eigentlich eine schöne Botschaft zum Frauentag. Doch die Menge an unbezahlter Arbeit, die Frauen zuhause erledigen, bleibt unverändert hoch. Rund 2,4mal so viel Zeit stecken sie laut Hans-Böckler-Stiftung in die Betreuung, Erziehung und Pflege von Kindern oder Angehörigen. Nicht mit eingerechnet ist Hausarbeit, also Abwaschen, Staubsaugen, Einkaufen. In heterosexuellen Paarbeziehungen investieren Frauen hier das 1,6fache an Zeit im Vergleich zu ihren Partnern. Es ist ein Teufelskreis: Die unsichtbare Arbeit in den eigenen vier Wänden kann eigentlich nur deshalb erledigt werden, weil Frauen besonders häufig in Teilzeit arbeiten. Weniger Erwerbsarbeit führt jedoch zu weniger Lohn – und weniger Lohn führt zu kleineren Renten. Viele Frauen müssen im Alter deshalb jobben gehen, putzen zum Beispiel, um überhaupt über die Runden zu kommen. Unentlohnte Hausarbeit führt dazu, dass viele Frauen für einen Niedriglohn auch noch die Wohnungen und Büros anderer Menschen säubern müssen! Sorge- und Hausarbeit sind also keine reine Privatsache – sie sind politisch. Deshalb rufen Gruppen in verschie-

denen Städten zum bundesweiten Frauen*streik auf. Am 8. März 2019 sollen alle Frauen aus Protest die Arbeit niederlegen: im Büro, in der Küche, aber auch an Schulen und Unis und im Supermarkt. Letzteres haben die Spanierinnen 2018 bereits vorgemacht: Sie riefen am Frauentag zum Konsumstreik auf. Keine überteuerten „Frauenprodukte“ wie Tampons oder Binden sollten an diesem Tag gekauft werden. Boykottiert werden sollten außerdem alle Marken, die in ihrer Produktionskette Frauenrechte mit Füßen treten oder sexistische Werbung betreiben. Doch es braucht noch viel mehr als einen Frauen*streiktag. Unerlässlich ist auch eine kontinuierlich gute Gleichstellungspolitik. Besonders in Sachsen ist das aktuell leider deutlich spürbar. Der druckfrische Frauenförderbericht der sächsischen Regierung kommt zu erschütternden Ergebnissen: Weder verbesserten sich die Karrierechancen von Frauen im öffentlichen Dienst noch seien die Führungsebenen sensibel für Gleichstellungsfragen, stellt der Bericht fest. Hier fehle es an konkreten Zielen und Zeitrahmen, aber auch die Rechte und Aufgaben von Frauenbeauftragten seien nicht deutlich genug. Außerdem mangele es an Strategien, um familienfreundliche Beschäftigungsmodelle zu entwickeln – was auch den männlichen Beschäftigten zugutekäme. Deshalb braucht Sachsen endlich eine Fortschreibung des veralteten Frauenförderungsgesetzes von 1994 – ein richtig modernes Gleichstellungsgesetz also, mit klaren Aufgaben und Sanktionen bei Nichteinhaltung. Das aber wird den Frauen hierzulande seit Jahren vorenthalten. Schlimmer noch: Ende Januar hat die CDU einen Gesetzentwurf ihres Koalitionspartners SPD kurzerhand beerdigt. Und das obwohl dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag festgeschrieben war! Mit der CDU ist Gleichstellung eben nicht zu machen. Ob es die Finanzierung von Frauenschutzeinrichtungen ist, das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft oder die Quoten in den Parlamenten – es gibt noch sehr viel zu tun. So bleibt der 8. März zumindest in Sachsen weiter ein Frauenkampftag. Bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. • Sarah Buddeberg


Links! 3/2019 Berlin hat einen neuen Feiertag – und was für einen! Ausgerechnet den Internationalen Frauentag. Erstmals in der Geschichte Deutschlands ist dieser Tag zum Feiertag eines Bundeslandes geworden. Es waren aber nicht die LINKEN, die diesen Tag favorisierten, als es darum ging, Berlin einen zusätzlichen Feiertag vorzuschlagen. Iris Spranger heißt die Frau, die dafür kämpfte, für Millionen Berlinerinnen und Berliner den 8. März zum Feiertag zu machen. Sie ist stellvertretende SPD-Chefin von Berlin und gebürtige Hallenserin. Ihr Abgeordnetenbüro hat sie nahe einer großen Plattenbausiedlung mitten im ehemaligen Ost-Berlin in Berlin-Biesdorf, wo Ralf Richter sie besuchte.

Links! im Gespräch

Der Frauentag ist nun Feiertag Berlin hat als erstes Bundesland den 8. März zum Feiertag gemacht. Ralf Richter sprach mit der Vorkämpferin Iris Spranger

Herzlichen Glückwunsch, Frau Spranger, zu Ihrem Coup! Ausgerechnet in der Bundeshauptstadt ist der Frauentag jetzt Feiertag. Wie kam es dazu? Wie Sie sicher wissen, ist Berlin ein an Feiertagen extrem armes Land. Das ist nicht nur uns als Sozialdemokraten aufgefallen, sondern darüber herrschte schon länger Konsens in fast allen Berliner Parteien. Konkret ist die Lage so, dass Berlin neun Feiertage hat …

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zung der Bevölkerung zu vergewissern – ins Internet gegangen. Es gab eine Online-Petition. Am 5. Juni 2018 haben wir auf Change. org angefangen und Schlusspunkt war der Tag der zweiten Lesung und der Abstimmung im Parlament über die Einführung des Feiertages am 24. Januar 2019. Bis dahin haben sich 28.814 für diesen Feiertag ausgesprochen, darunter über 40 Prozent Männer. Und es kamen tolle Kommentare sogar von Berlinern, die in Australien leben und die meinten, sie wären ganz stolz, wenn wir es in Berlin schaffen würden, den Internationalen Frauentag zum Feiertag zu erheben. Aber es gab auch Meldungen aus anderen Bundesländern, die einerseits uns unterstützten und andererseits der Hoffnung Ausdruck verliehen haben, dass der Frauentag auch in nächster Zeit bei ihnen zum Feiertag avancieren könnte. Wie lief es mit ihren Koalitionspartnern Grüne und LINKE? Im Prinzip sind wir da offene Türen eingerannt – obwohl sich die Linken etwas schwer taten. Bei den Grünen aber rangierte der Frauentag von Anfang an auf der Prioritätenliste ganz weit oben!

Sachsen liegt mit elf Feiertagen gut im Mittelfeld … … und Bayern hat sogar 14 Feiertage! Die Unzufriedenheit mit dem Status quo war also groß. Weil 2017 der Reformationstag in allen Bundesländern im Lutherjahr einmalig als Feiertag begangen wurde, gab es letztes Jahr diese Diskussion, bei uns dauerhaft einen zusätzlichen Feiertag einzuführen. Darüber war man sich weitestgehend einig – nur welcher Tag es sein sollte, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Die Linken tun sich mit dem Frauentag schwer – das kann ich mir allerdings kaum vorstellen. Natürlich hatten die Linken nichts dagegen, den Internationalen Frauentag in Berlin zum Feiertag zu machen. Allerdings favorisierten sie einen anderen Tag: den 8. Mai als Tag der Befreiung. Dieser Tag wäre vermutlich schwerer zu realisieren gewesen, und dann – das muss man einfach an dieser Stelle einmal sagen – war uns bereits eine breite Unterstützung von Anfang an sicher.

… und dann kamen Sie mit Ihrem Überraschungs-Vorschlag. Sie kamen, sahen, siegten? Wir haben derzeit eine rot-rot-grüne Regierung in Berlin. Der Zufall wollte es, dass Medienvertreter mich ansprachen, welcher Tag aus meiner sozialdemokratischen Sicht denn der neue Berliner Feiertag werden sollte. Da antwortete ich ganz spontan, dass ich mir vorstellen könnte, dass der 8. März als Internationaler Frauentag von allen Berlinerinnen und Berlinern als Feiertag begrüßt werden könnte.

In der DDR war der Tag für die Frauen zwar nicht frei, aber es wurde gefeiert. Blumen waren selbstverständlich. Das alles kannten die Westberlinerinnen nicht. Mussten Sie dort besondere Überzeugungsarbeit leisten? Die Aufgeschlossenheit der ehemaligen Westberliner beiderlei Geschlechts für den neuen Feiertag war sehr groß. Nein, es bedurfte dort keiner großen Aufklärungskampagne. Allerdings waren wir uns schon bewusst, dass im Westen der Muttertag stärker bekannt war und begangen wurde. Allerdings ist der Ansatzpunkt beim Frauentag ein völlig anderer. Schließlich geht es hier nicht darum, die Mütter zu ehren, sondern die Frauen fordern ihre Gleichberechtigung, sind aktiv statt passiv.

Hatten Sie da schon klare Vorstellungen? Durchaus. Es war Clara Zetkin, die in Kopenhagen 1910 auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz einen Internationalen Frauentag als Kampftag für Gleichberechtigung ins Gespräch brachte. Die Frauen machen zwar 51 Prozent der Menschheit aus, waren aber und werden auch heute noch weltweit – in unterschiedlicher Weise – benachteiligt. In Deutschland haben die Frauen in diesem Jahr erst seit hundert Jahren das Wahlrecht, das ist ein historisch kurzer Zeitraum. Obwohl Mädchen und Frauen die Mehrheit stellen, haben wir noch immer in weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens keine vollständige Gleichberechtigung. Daran zu erinnern, indem wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den 8. März zum Berliner Feiertag machen, erschien mir sehr wichtig.

Haben Sie unter den sozialdemokratisch engagierten Frauen ein historisches Vorbild? Sagt Ihnen der Name Marie Juchacz etwas? Die Sozialdemokratin war 1919 die erste Frau, die in einem deutschen Parlament, nämlich vor der Nationalversammlung in Weimar, redete. Zudem gründete sie im gleichen Jahr die Arbeiterwohlfahrt. Sie war der Ansicht, dass die Armen nicht auf Almosen angewiesen sein, sondern sich gegenseitig helfen sollten – es ging faktisch darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren. Ich bin nicht nur Sozialdemokratin und Parlamentarierin, sondern ich war auch stellvertretende Bundesvorsitzende der AWO. Diese soziale Linie war immer ein wichtiger Teil meiner Tätigkeit und so habe ich mich in der Tradition von Marie Juchacz gesehen. Wo sehen Sie heute Defizite in der Gleichberechtigung? Sie kennen die aktuelle Diskussion um den Paragraphen 219a StGB, wo es um das Informations- und Werbeverbot zu Schwangerschaftsabbrüchen geht. In-

formation ist aber für Frauen ein wichtiges Recht zur Selbstbestimmung und für Ärztinnen und Ärzte, die Frauen in solch einer schwierigen Situation zur Seite stehen wollen, essentiell. Dieser Paragraph gehört abgeschafft. Was mich zudem stört, ist – ich habe das selbst erlebt, als ich als Staatssekretärin für Finanzen Aufsichtsräte zu besetzen hatte –, wie wenige Frauen in Führungsverantwortung sind. Da herrscht sehr großer Nachholbedarf. Was mir hier in Berlin in der Parteienlandschaft zudem auffällt ist, wie gering die Rolle der Frauen in Parteien wie CDU, FDP oder AfD ist. Hier sieht es im Lager der rot-rot-grünen Regierungsparteien sehr viel besser aus. Wie lange hat es gedauert von der Idee bis zur Gesetzgebung? Wir haben das in der Rekordzeit von sechs Monaten durchgebracht. Schneller ist in Berlin wahrscheinlich noch nie ein Gesetz beschlossen worden. Vorgegangen sind wir auf zwei Ebenen: Einerseits den parlamentarischen Weg über das Gesetzgebungsverfahren und andererseits sind wir – um uns der Unterstüt-

Wie wird der Tag nun begangen? In anderen Ländern wie der Schweiz erwägt man einen landesweiten Frauenstreik. Sind auch Gäste von Frauenbewegungen aus dem internationalen Umfeld eingeladen? Wir werden auf der Straße laut für die vollständige Gleichberechtigung auftreten. Wir können uns Zeit nehmen, um uns die Sorgen und Probleme von Frauen anzuhören – natürlich nicht nur am Frauentag, aber an diesem Tag vielleicht besonders. Wir feiern die Verdienste der Frauen – und wir erholen uns und genießen auch einfach den Tag. Für die internationalen Einladungen fehlte uns dieses Jahr schlicht die Zeit.


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Die dritte Seite

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„Holleri du dödel di“ – Aufbruch im Osten „Da habe ich was in der Hand! Da hab‘ ich was Eigenes! Da hab ich mein Jodeldiplom!“ Was Loriot hier scherzhaft meint, ist in Wahrheit eigentlich eine ernste Sache. Und es ist vor allem für Ostdeutsche eine Herzensangelegenheit. Es ist natürlich nicht die Rede vom Jodeldiplom, sondern zum einen von der Tatsache, dass man sich ein Stück Unabhängigkeit schafft und zum anderen irgendwie auch allen Widrigkeiten zum Trotz etwas „Eigenes“. Dabei geht es nicht darum, das schönste Haus oder das schnellste Auto zu haben und es geht am Ende auch nicht um den Besitz als solches, sondern vielmehr darum, wie man etwas geschafft hat. In den Biografien vieler Ostdeutscher spielt das eine entscheidende Rolle und da gehört das Scheitern wie auch das Gelingen dazu. Beide sind seit dem Umbruch 1989/90 stete Begleiter unterschiedlichster ostdeutscher Geschichten und Generationen. Diese Parallelität zweier völlig verschiedener Wege unter den Bedingungen eines seit knapp 30 Jahren andauernden Transformationsprozesses und damit einhergehender Gefühle, wie Wut und Hoffnung, spiegelt eine ostdeutsche Besonderheit wider.

um nicht weniger als die Angleichung der Lebensverhältnisse. Die umfasst mehr als die Frage von Lohn und Lebenshaltungskosten. Klar ist das auch wichtig, doch vielmehr geht es um einen Mentalitäts-Wechsel, der endlich die Wirtschaftsleistungen und die Innovationskraft des Ostens als Bereicherung würdigt. Denn sein Beitrag zur deutschen Einheit ist genauso viel wert wie der Beitrag der westdeutschen Länder. Länger arbeiten für weniger Lohn, um sich dann noch anhören zu müssen, wir seien „undankbar“? Dankbarkeit? Nein. Respekt? Allerdings!

Wir liefern ausreichend Wertschöpfungsbeiträge in den Westen, dorthin, wo leider die Konzernzentralen sitzen. Im Osten wird hervorragend produziert und pünktlich geliefert. Was aber passiert? Die Steuerkraft wird am Sitz der Zentrale gestärkt. Wäre es nicht langsam an der Zeit, das Steuerrecht anzupassen und Steuern dort zu erheben, wo die Wertschöpfung stattfindet und nicht dort, wo am Ende bilanziert wird? Es geht nicht um ostdeutsche Larmoyanz, sondern um Fehler, die vor knapp drei Jahrzehnten gemacht worden und mit denen wir umgehen müssen.

• Luise Neuhaus-Wartenberg, MdL, Koordinatorin der AG Ost der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKEN

Und die Russen kriegen eine auf den Schädel!

Am 16. Februar jährte sich außerdem zum 80. Mal der Tod von Jura Soyfer, der ihn im KZ Buchenwald kurz vor seiner bereits besiegelten Entlassung im Alter von gerade 27 Jahren durch Typhus ereilte. Soyfer, das 1912 geborene Kind einer vor der Oktoberrevolution nach Wien geflohenen jüdischen Industriellenfamilie aus Russland, trat nach den Februarkämpfen in die KPÖ ein und begann seine Karriere als Schriftsteller und linker Kabarettist. Für sein Alter hat er uns ein beachtenswertes Gesamtwerk

Wir wissen ganz genau, dass wir auch im Westen strukturschwache Regionen finden. Da gilt es, Förderinstrumente auch besser aufzusetzen. Wenn allerdings die Löhne bei uns signifikant niedriger sind als in den West-Bundesländern, dann sollten wir das bei Ansiedlungspolitik oder bei Entscheidungen von Behörden oder Institutionen für die neuen Bundesländer mitdenken. Wer, wenn nicht wir, sollte dafür streiten? Wir haben in diesem Jahr im Osten eine verdammt große Verantwortung, wenn es darum geht, bis zum Oktober Kommunal- und Europawahlen sowie drei Landtagswahlen zu bestehen. Und genau deshalb wird jetzt neu verhandelt. Machen wir daraus ein Politikum!

In dieser Besonderheit verbirgt sich für die Zukunft des Ostens ein riesiges Potential, das es zu nutzen gilt. Natürlich soll nicht zum „Jodeldiplom“ für alle aufgerufen werden. Es geht

Wir haben schon wieder März. Aber ich denke, vielleicht wegen meiner Herkunft, nochmal an den Februar zurück. Im Februar jährte sich zum 85. Mal der Beginn des Bürgerkriegs in Österreich, in dem sich vornehmlich Kommunisten und linke Sozialdemokraten auf der einen Seite und austrofaschistische Kräfte auf der anderen Seite gegenüberstanden. Links scheiterte schließlich und schnell an der schwarzen Gewalt, was für viele von ihnen tödliche Folgen hatte oder sie zur Flucht zwang.

Wenn man Indikatoren wie Kinderarmut, niedrige Löhne, Vermögensverteilung, wissenschaftliche Ansiedlungen, Konzernzentralen nimmt, dann stellt man schnell fest: Die alte DDR als Landkarte ist wieder erkennbar. Und daran wollen wir uns nicht gewöhnen. Wir brauchen einen anderen Wachstumsprozess, denn nach wie vor liegt die wirtschaftliche Dynamik in den Zentren.

aller Genres hinterlassen, das stets von linker politischer, auch tagespolitischer Parteilichkeit geprägt war. Er nahm die austrianische und europäische Zwischenkriegszeit aufs Korn, immer auf Seiten der Armen, Ausgegrenzten, Ausgebeuteten – durchaus satirisch, mit bitterem Humor. Bereits 1934 begann er einen Roman, der nur in einem Fragment überliefert ist, mit dem Titel, „So starb eine Partei“. Es ist ein Nachruf auf die österreichische Sozialdemokratie und ihre Schuld an der Niederlage in den Februarkämpfen. Soyfer zeigt uns drastisch Eigenschaften dieser Partei, die bis in die Gegenwart als eine ihrer dominanten Merkmale festgestellt werden können – Wankelmut, Opportunismus und konsequente Inkonsequenz. In seinem Stück „Astoria“ bearbeitet Soyfer die damalige Skurrilität eines angezweifelten Österreich, das sich als zweiter deutscher Staat verstand, und die es umgebende Situation in einem Europa unversöhnlicher Nationalstaaten. Das Bedrückende daran sind plötzlich wieder auftretende Gemein-

samkeiten zur heutigen Lage in Europa: Sie ist von wachsenden rechten und faschistischen Kräften geprägt, die die Europäische Union zugunsten einer Stärkung der nationalstaatlichen Autonomie abschaffen wollen. Ich lasse hier aus Platzgründen notwendige linke Kritik an der EU weg. Da

lässt sich vielleicht manches ändern. Man sollte es nicht unversucht lassen, denn die nationalistische Alternative ist furchteinflößend. Sie erweckt keine Perspektive friedlichen Zusammenlebens, sondern eröffnet eine wieder aufflammende Zukunft europäischer kriegerischer Auseinandersetzung. Erst erfindet man sich einen Hauptfeind, dann versucht man zu verteilen, was irgendwie zu verteilen geht und dann fällt man doch übereinander her. So war das zwischen 1918 und 1939 und so kann es wieder werden. Las-

sen wir doch Jura Soyfer darüber sprechen: In seinem Stück „Astoria“ gründet ein Landstreicher namens Hupka gemeinsam mit einem heruntergekommen Grafen und dessen Gattin ein Land, das es eigentlich gar nicht gibt, nämlich „Astoria“. An einer Stelle gibt der Graf seine „geopolitischen“ Ansichten im Gespräch mit dem willig zustimmenden Hupka dem Publikum zur Kenntnis: „GRAF: Zuerst trete ich aus dem Völkerbund aus. Damit wird der Weg frei für eine klarblickende Realpolitik. Dann wird die Danziger Frage als die vordringlichste gelöst. … Polen erhält einen Zugang zum Mittelmeer, und zwar mittels eines Korridors quer durch Osteuropa. HUPKA: Na und was werden die Völker sagen? GRAF: Was in der Zeitung steht. Die italienische Regierung wird natürlich verschnupft sein … Sie erhält zur Entschädigung die Inseln Rhodos und Malta. HUPKA: Was werden die Bewohner sagen? GRAF: Was man ihnen erlauben wird.“ Peu à peu teilt der Graf dann Europa neu auf und Hupka versteht und vollendet diese Aufteilung bis hin zu einem Flugzeugstützpunkt für Luxemburg auf dem Potsdamer Platz. Die durchaus lächerliche, wenn auch nicht ganz ausgeschlossene Verteilung, in der jede wichtige Nation etwas abbekommt, schließt mit dem Satz: „… und die Russen kriegen eine auf den Schädel.“ Haben wir schon wieder Zwischenkriegszeit?


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Kulturhauptstadt gegen Kulturnarzissmus Jochen Mattern über Hintergründe der Dresdner Bewerbung und sächsische Kultur Durch „Pegida“ und fremdenfeindliche Ausschreitungen ist Sachsen in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Den Sachsen selbst ist das unwillkommen: Sie klären strittige Angelegenheiten lieber unter sich. An der öffentlichen Debatte über ihr kollektives Selbstverständnis hat dieser Unmut jedoch nichts ändern können. Zahlreiche Veröffentlichungen haben zu ergründen versucht, wie ausgerechnet der Freistaat zum „Stammland rechter Regression“ werden konnte. Wie lassen sich die Anfälle barbarischen Verhaltens erklären? Sind die Sachsen anders? Solche Fragen beschäftigen auch die Wissenschaft. Bevorzugter Gegenstand sind die sächsische Mentalität und die politische Kultur im Freistaat.

Zwar erhöht sich dadurch der Stellenwert von Kultur, jedoch auf fatale Weise. Denn die Demokratie beruht nicht auf einem ethnisch homogenen Volksverständnis, sondern auf einem politischen Verständnis: Die Demokratie kennt keine Volksgenossen, sondern Staatsbürger. Volksgenossen fühlen sich zuallererst einer Kultur zugehörig. Ihre Sorge gilt vor allem ihrer kulturellen Homogenität und Identität und nicht der republikanischen Gleichheit in der Meinungs- und Willensbildung. Wenn kulturelle und religiöse Differenzen zum Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen erklärt werden, verändert sich also das Selbstverständnis. Eine „Politik und Kultur der Anerkennung” bzw. die „Praxis der gleichen Freiheit“ schließt die traditionelle Kulturauffassung, die von konservativer Seite zur Leitkultur erhöht wird, aus. Moderne demokratische Gesellschaften sind keine Abstammungsgemeinschaften, sondern heterogene multikulturelle Gebilde, die ihre Konflikte argumentativ und nicht gewaltsam auszutragen bemüht sind.

Ein Blick nach Dresden, wo eine selbsternannte „konservative Avantgarde“ (Marc Jongen) ihr Unwesen treibt, illustriert den Gegensatz zwischen einem liberalen und einem rechtspopulistischen Kulturverständnis. Michael Schindhelm, Kurator für Dresdens Kulturhauptstadtbewerbung, möchte die „Konfliktlinie zwischen Kosmopoliten und Kommunitariern produktiv verarbeiten“. Die Bewerbung Dresdens als Kulturhauptstadt steht unter dem Leitmotiv: „Neue Heimat Dresden 2025“. Kritikern, die in dem Motto eine Werbung für Pegida erkennen wollen, entgegnet Schindhelm mit dem Verweis auf den exemplarischen Charakter der Auseinandersetzungen. Die Dresdner Krise sei eine europäische Krise. Dass mit der Kulturhauptstadtbewerbung „ein europäischer Geist in Dresden“ Einzug halten könne, hält er für eine reale Chance. Warum eine friedfertige und weltoffene Stadtgesellschaft nun mit dem Titelkampf etabliert werden soll, erscheint fraglich. An einem Mangel an Kultur kann es jedenfalls nicht liegen. Denn Sachsen rühmt sich der bundesweit höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Kunst und Kultur. Wie sich der Kurator die Stadt der Zukunft vorstellt, hat er in einem älteren

Zeitschriftenbeitrag skizziert. Darin beschreibt er die Stadt als eine „kosmopolitische Plattform“: „In einer Welt permanenter Mobilität und Interaktion lassen sich Produktionsstätten und Produzenten überall ansiedeln, wenn nur die in der Regel vor allem materiellen Rahmenbedingungen stimmen. Gentrifizierung wird von Lokalismus bekämpft. Aber wie wollen Städteplaner heute ohne internationales Kapital ihre Kommune als ein lebenswertes Gemeinwesen erhalten? [...] Künstler lassen sich nicht mehr auf nationale Identitäten festlegen, Institutionen bilden mit anderen Institutionen Cluster und Netzwerke, die in kein politisches Gemeinwesen mehr hineinpassen, die Zirkulation und Auswertung von Kunstproduktion und Kunstprodukten lässt sich immer weniger regulieren.“ Kunst und Kultur verlieren demnach ihre lokale Verwurzelung. Das hat zwei Konsequenzen: Eine „nationale oder überhaupt territoriale Politik widerspricht den Ansprüchen postnationaler Kulturpraxis“. Und die traditionelle Kulturlandschaft löst sich im „Kulturplasma“ auf, Kultur wird fluide, veränderlich. Die Dresdner Stadtgesellschaft kann sich auf eine spannende und konfliktgeladene Bewerbungsphase freuen.

Foto: Pixabay / CC0

Eine Studie von Politikwissenschaftlern der TU Dresden beschreibt das kollektive Selbstverständnis der sächsischen Bevölkerung als „stark selbst- und traditionsbewusst“. Seine Stärke beziehe es aus „einer langen Geschichte politischer Eigenständigkeit, einer Tradition sächsischen ‚Glanzes‘ von Kunst und (höfischer) Prachtentfaltung und dem ‚Erfindergeist‘ seiner Ingenieure“. „Auf dieser Grundlage“, schlussfolgern die Politologen, „gedeiht ein ‚landsmannschaftlicher Zusammenhalt‘, der sich in

kollektiver Selbstbezogenheit und Eigensinn äußert.“ Dieser „ethnokulturelle Zentrismus“ werte die eigene Gruppe auf, andere hingegen ab.

Kein Dank für Pflegekräfte und pflegende Angehörige Sozial-Skandal des Monats Unerträglich! Anders kann man die Situation im Landtag nicht beschreiben. Nachdem im Januar der Abschlussbericht der Enquete-Kommission zur „Sicherstellung der Versorgung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege älterer Menschen“ nach rund drei Jahren Arbeit vorgestellt wurde und aufzeigt, dass es 10 nach 12 ist, sollte man annehmen, dass die Staatsregierung für Verbesserungen sorgen will. Doch das ist eine leere Hoffnung. So soll erst zum 30. September 2019 eine Konzeption für „Gute Pflege in Sachsen“ vorgelegt werden. Und je nach den Mehrheitsverhältnissen nach der Wahl wird diese vielleicht umgesetzt. Es wird weiter auf Zeit gespielt. Zeit, die Pflegende und Pflegebedürf-

Susanne Schaper ist empört, weil CDU und SPD im Landtag selbst anerkennende Worte verweigerten

tige nicht haben! Schon jetzt fehlen Fachkräfte – bis 2030 werden in Sachsen sogar 2.500 bis 5.000 Pflegefachkräfte fehlen. Die Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende sind miserabel: Dauerstress, keine verlässlichen Dienst- und Freizeiten, Dokumentations-Irrsinn, Zeitdruck. Beschäftigte werden verschlissen, sodass Pflegekräfte im Schnitt nur acht Jahre im Beruf bleiben. Hinzu kommt eine unterirdische Bezahlung. Bundesweit bekommt die Hälfte der Pflegefachkräfte weniger als 2.621 Euro brutto im Monat, in Sachsen sogar nur 2.050 Euro – 20 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Die meisten Pflegebedürftigen, derzeit 75 Prozent, werden von Angehöri-

gen, Freunden oder ehrenamtlich Engagierten, meist Frauen, betreut. Doch die Bereitschaft zur Übernahme von Pflegeverantwortung sinkt, weil die Generationen immer weiter voneinander entfernt leben und Beruf und Pflege schwer vereinbar sind. So müssen pflegende Angehörige ihre Berufstätigkeit häufig aufgeben. Der hohe gesellschaftliche Wert, den Pflege- und Sorgearbeit hat, wird weder anerkannt noch ideell oder finanziell gewürdigt. Das muss sich ändern. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher muss die Finanzierung geändert werden. Wir wollen die Pflegeversicherung zu einer solidarischen Pflegevollversicherung umbauen. Alle Leistungen, die im Zusammenhang mit der

Pflegebedürftigkeit stehen, müssen von den Pflegekassen übernommen werden. Alle, also auch Beamt*innen, Selbständige und Abgeordnete, sollen für ihre gesamten Einkünfte darin einzahlen. Das und andere Punkte forderten wir in unserem Entschließungsantrag. Wir ließen darüber punktweise abstimmen, in der Hoffnung, dass die Landtagsmehrheit den in der Pflege Beschäftigten und pflegenden Angehörigen wenigstens ihren Dank und ihre Anerkennung ausdrückt. Doch da es im Parlament nur um die antragsstellende Partei und nicht um die Sache geht, wurde nicht einmal diesem Punkt zugestimmt. CDU und SPD haben also noch nicht einmal das für Pflegekräfte und pflegende Angehörige übrig. Das ist wahrlich ein Skandal.


Hintergrund

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In diesem Kontext nimmt sich die Geschichtsvergessenheit, wie sie in der Laudatio Professor Volkmar Falks aufscheint, für Kenner der Materie, vor allem aber für frühere Mitarbeiter der Vorgängerinstitution mehr als befremdlich aus. Bitter ist ihnen insbesondere eine Bewertung des früheren Mohr-Schülers in Leipzig und heutigen Direktors der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Deutschen Herzzentrums Berlin aufgestoßen. In der LVZ vom 26./27. Januar 2019 ist sie so wiedergegeben: „Aus dem herzchirurgischen Niemandsland sei schnell eine internationale Marke geworden.“ Ein verstörender Befund angesichts der weltweit anerkannten Leistungen jener Herzchirurgen zu DDR-Zeiten, auf denen das heutige Herzzentrum 1994 aufbauen konnte. Eine ahistorische Betrachtung, von der man nicht weiß, ob sie einer kalkulierten Amnesie dient, die sozialistische Errungenschaften vergessen machen soll. Die aber geeignet ist, die Lebensleistung der Ostdeutschen zu negieren oder zu entwerten, Kränkungen und Demütigungen zu befeuern. „So kann das nicht stehenbleiben!“, hieß es in den Reihen derer, die die realitätsfrem-

Kalkulierte Amnesie? Wie die Leistungen der Leipziger Herzchirurgie zu DDR-Zeiten ins Vergessen befördert werden. Von Wulf Skaun

Bild: Geisler Martin / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Das Herzzentrum Leipzig, Teil der Medizinischen Fakultät der Uni Leipzig, besitzt in der Fachwelt einen exzellenten Ruf. Herzchirurg Prof. FriedrichWilhelm Mohr, 1994 Gründungsvater und bis 2017 Ärztlicher Direktor, hat daran einen hohen Anteil. Seine Auszeichnung Ende Januar 2019 mit dem Preis Leipziger Lerche durch den Verein Gemeinsam für Leipzig, der jährlich Persönlichkeiten ehrt, „deren Herz für Leipzig schlägt“, ist treffend. Umso mehr, als Oberbürgermeister Burkhard Jung nicht nur den hervorragenden Wissenschaftler, Hochschullehrer und Arzt, sondern auch den Menschen preist, „der die Freiheit des Geistes und die Achtung des Anderen lebt“.

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Das Herzzentrum in Leipzig-Probstheida heute de Umdeutung der Geschichte der Leipziger Herzchirurgie nicht hinnehmen wollen. Zu ihnen gehört auch Prof. KarlFriedrich Lindenau, Preisträger Mohrs unmittelbarer Vorgänger als Leipziger Chef-Herzchirurg. Er wolle nicht falsch verstanden werden: Die Auszeichnung Mohrs würdige verdientermaßen einen Experten, der mit seinen Innovationen maßgeblich zur Entwicklung der Herzchirurgie beigetragen habe. „Ich möchte aber anhand ausgewählter Fakten

das Bild geraderücken, das von Herrn Falk so fatal schief gehängt wurde, als er die Leipziger Herzchirurgie vor 1994 als ,Niemandsland‘ schmähte.“ Geschichtsbewusste wüssten, dass die Stadt Leipzig in der universitären medizinischen Forschung und Lehre auf eine jahrhundertlange Tradition zurückblicke. In seiner Fachdisziplin setzte das Universitätsklinikum der KarlMarx-Universität Leipzig 1961 einen

Markstein. Unter Leitung von Prof. Martin Herbst gründete es eine der ersten selbstständigen Kliniken für Herz- und Gefäßchirurgie in Europa. Auch wegen seiner Verdienste, Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine zu erproben und in die klinische Praxis zu überführen, habe Herbst als Pionier der Herzchirurgie gegolten. In Leipzig wurde das gesamte Spektrum herzchirurgischer Eingriffe auf internationalem Spitzenstandard realisiert. Prof. Harry Warnke, Leiter der herzchirurgischen Abteilung der Berliner Charité, lobte Anfang der 1980er denn auch: „Aus Leipzig kamen ... viele Impulse für die Herzchirurgie.“ Das blieb so, als Karl-Friedrich Lindenau, Träger des begehrten SauerbruchPreises, 1983 von der Charité in die Messestadt wechselte, um die Nachfolge von Professor Herbst anzutreten. „Mit mehr als 1.000 Operationen jährlich wurden wir die leistungsstärkste herzchirurgische Einrichtung der DDR.“ Fast zeitgleich mit der Charité sei ihm und seinen Mitarbeitern im Herbst 1986 die erste Herztransplantation gelungen. Dass die Leipziger Herzchirurgie niemals „Niemandsland“ gewesen war, dokumentierten auch die von ihr ausgerichteten Fachtagungen. Das 2. Leipziger Herzchirurgische Symposium im April 1989 sei mit rund 400 Teilnehmern, darunter 70 Wissenschaftler aus 20 Ländern Europas, Amerikas und Asiens, die größte Veranstaltung des Fachgebiets in der DDR gewesen, resümiert Lindenau. Seine eigenen Auslandseinsätze hinzugerechnet: Die Marke Leipziger Herzchirurgie wurde schon vor 1994 in die Welt getragen. Bleibt die Frage, die Oberarzt Dr. Gerhard Hofmann, einstiger Herzchirurg an der Universitätsklinik, in einem Leserbrief an die LVZ formulierte: „Was hat nun Herrn Falk in der seinem Lehrer gewidmeten Laudatio dazu bewogen, diese Klinik als herzchirurgisches Niemandsland zu diskreditieren?“

„Bildet Banden“ Auch wenn Sachsen sich rühmt, mit die höchsten pro-Kopf-Ausgaben im Bereich der Kunst und Kultur zu haben, kann die Mehrzahl der in diesem Bereich Arbeitenden kaum davon leben. Seit Jahren verdienen sie wenig, ihre finanzielle Lage ist oft prekär – bei Frauen noch häufiger als bei Männern. Dies zeigen nicht nur die Berichte der Betroffenen und ihrer Vertretungen, sondern das bestätigt auch der Zwischenbericht zum zweiten Kulturwirtschaftsbericht der Staatsregierung. Die Zahl der in der Kunst- und Kreativwirtschaft tätigen Selbständigen und Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter 17.500 Euro ist gestiegen: seit 2010 von 13.537 auf 16.342 im Jahr 2016. Das Durchschnittseinkommen der in der Künstlersozialversicherung versicherten Frauen in Sachsen beträgt jährlich 10.902,00 Euro, das entspricht im Monat 908,50 Euro – brutto. Von den enormen Summen müssen sie sich selbst versichern, Rücklagen bilden und sollen auch noch privat für

die Rente vorsorgen, und leben können müssen sie auch noch. Einher geht dieser Missstand folglich mit der Ausweitung der ohnehin schon unregelmäßigen Arbeitszeiten, ständiger Erreichbarkeit, mangelhafter sozialer Absicherung. Eigenlohndumping, kurz: Selbstausbeutung, ist an der Tagesordnung. An vielen Museen, Musikschulen, Freizeittreffs etc. ist die prekäre Beschäftigung zum Alltag geworden. Auch wenn die Koalitionsparteien im Bereich der Theater und Orchester Wahlgeschenke verteilen werden, zeigt sich keine dauerhafte Lösung der Finanzierungsfragen. Die Frage nach der Zukunft stellt und diskutiert die Koalition nicht. Dem vielfachen Wunsch nach einem Austausch über den Stand der Kunst und Kultur in Sachsen, über die Situation der Schaffenden und Zukunftsfragen, wird ausgewichen. Das wird der Bedeutung von Kunst und Kultur für das Zusammenleben der Menschen, für die Bildung, aber auch für die Wirtschaft und den Tourismus nicht gerecht.

Deshalb wandte sich die Kulturpolitische Konferenz unserer Fraktion spartenübergreifend und teilnehmeroffen an die Kunst- und Kulturschaffenden in Sachsen und lud zur gut besuchten Diskussion über drei Themenkomplexe in den Westflügel nach Leipzig ein. Zum Thema „Honoraruntergrenzen für alle! Aber wie?“ informierte Stephan Behrmann vom bundesverband freie darstellende künste über die Situation der Kunstschaffenden in der Bundesrepublik und stellte klar, dass sich die Forderung nach Honoraruntergrenzen immer mit der Anpassung der Förderetats verbindet. Christian Sist von der Organisation art but fair eröffnete mit einem spannenden Vortrag die Diskussion zur Frage „Ist die heutige Förderpolitik noch zeitgemäß und gibt es Alternativen?“ Dass Fortschritte und Erfolge bei der sozialen Absicherung von Kunst- und Kulturschaffenden nur erreicht werden können, wenn diese ihre Forderungen gemeinsam vertreten, brachte die Soziologin Dr. Alexandra Manske in

ihrem Vortrag zum Thema „Gesicherte Zukunft und soziale Absicherung für Kunst- und Kulturschaffende!?“ zum Ausdruck. Mit der Aufforderung „Bildet Banden!“ regte sie zu gemeinsamem Handeln an. Um die in den intensiven Diskussionen vorgebrachten Informationen, Ideen und Vorschläge wiederzugeben, fehlt der Platz. Diese werden in Kürze in einer Broschüre der Fraktion veröffentlicht. Für unsere parlamentarische Arbeit habe ich zahlreiche Anregungen aufgenommen, die ich mit den Akteuren zu Initiativen weiterentwickeln werde. Dem Dank von Rico Gebhardt an die Künstlerinnen und Künstler für ihre Arbeit können wir uns nur anschließen. In einer Zeit, in der die Förderung von Kunst und Kultur aus politischen Gründen von der AfD und ihren Sympathisanten in Frage gestellt wird, gilt es, dem energisch entgegenzutreten und den Kunstschaffenden alle Unterstützung zuteil werden zu lassen. • Franz Sodann


Wusstet ihr schon, dass der Freistaat vor Weihnachten die Sächsische Nachhaltigkeitsstrategie 2.0 veröffentlicht hat? Nein? Kein Wunder! Wenn ihr nicht zu den Verbänden oder Vereinen zählt, die sich schon seit 2006 beziehungsweise seit 2013 mit diesem Papier beschäftigen, dann hat man von dieser Neuauflage (www.nachhaltigkeit.sachsen.de) kaum etwas mitbekommen. Nachhaltigkeit als Begriff scheint vor allem eines zu sein: abgenutzt. Meist werden damit Produkte grün angestrichen oder vermerkt, dass etwas besonders lange hält. Dabei ist Nachhaltigkeit das moderne Konzept von Gerechtigkeit: Es geht um ein auskömmliches und friedliches Leben für alle jetzt lebenden (also auch die am anderen Ende der Welt) und der künftig lebenden Menschen – im Rahmen der planetaren Grenzen, wie sie anhand von u. a. CO2- und anderen Emissionen, Artenvielfalt, Bodenbelastung, Luftverschmutzung, Phosphor- und Stickstoffvorkommen definiert sind. Folgerichtig müsste die Sächsische Nachhaltigkeitsstrategie Ziele beinhalten und diese mit Maßnahmen unterlegen, zum Beispiel der radikalen Senkung der sächsischen CO2-Emissionen bis 2030. Doch die notwendige Datenerhebung und Maßnahmenplanung ist dann wohl doch zu viel verlangt von der Staatsregierung! Umso mehr habe ich mich gefreut, dass das Thema Klimaschutz von der Basis der sächsischen LINKEN zum Wahlkampfthema gemacht wurde. DIE LINKE muss also Vorschläge machen: Wie wollen wir das Klima – und damit unsere eigene Lebensgrundlage – schützen? Die meisten Emissionen entstehen vor allem im Bereich Mobilität, Energieversorgung und: Ernährung! „In Deutschland schlägt der Bereich ‚Ernährung‘ pro Jahr mit rund 16 Prozent zu Buche und macht damit ungefähr den gleichen Anteil aus wie der Bereich ‚Mobilität‘“, weiß die Bundes-

Hintergrund

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Zurück zum Sonntagsbraten!

freiheit besteht, dass man von seiner Hände Arbeit leben kann. Aus diesem Grund sind Fair gehandelte Produkte teurer – und das zu Recht. Wer nicht auf Kaffee verzichten will, kann immerhin weniger davon trinken. Ist auch besser für die Gesundheit. Die nächste Frage stelle ich mir bei Südfrüchten in der Mitarbeiter-Beratung. Wer hat die eingeflogen? Warum gibt es keine regionalen Snacks? Und wenn es gerade kein Obst gibt, dann eben Möhren oder vom Sommer Verarbeitetes aus der Region. Hier fängt Klimaschutz an. Nachhaltigkeit ist nicht ohne Anstrengung zu haben und darf keine Luxusfrage sein – gerade für Menschen, die die Knochenjobs in unserer Gesellschaft machen und am schlechtesten entlohnt werden. Wie machen wir gerade ihnen regionale und ökologische Güter des täglichen Lebens zugänglich?

Nachhaltigkeit ist eine unbequeme kulinarische Wahrheit, meint Antonia Mertsching

Foto: Christoph Müller

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zentrale für politische Bildung. Ein Großteil davon geht aufs Konto tierischer Produkte: Butter und Rindfleisch sind hier die größten Emittenten. Was unser täglich Brot angeht, ist jeden Tag Fleisch essen also einfach nicht mehr drin. Die Devise lautet: Zurück zum Sonntagsbraten! Obst, Gemüse, Getreide oder auch Joghurt und Eier, regional und ökologisch produziert, saisonal verzehrt, sind erste Wahl beim Klimaschutz. Und für Soja-Produkte wird übrigens nicht der Regenwald abgeholzt. Die Bevölkerung im Freistaat kann ihren Bedarf an Geflügel, Schwein und Rind nur zu 40 Prozent selbst decken. Demzufolge müsste sich der Fleisch-

konsum in Sachsen um 60 Prozent reduzieren. Bezieht man Flächen für Futtermittelanbau und Gülleentsorgung ein, landet noch weniger Wurst auf dem (Margarine!)Brot. Bis jetzt werden Futtermittel – zudem gentechnisch manipuliert – aus Brasilien, Argentinien und Paraguay eingeschifft. Der heiß geliebte Morgenkaffee stammt auch vom anderen Ende der Welt, also sollte er mindestens aus Fairem Handel stammen. Fair gehandelte Produkte sind kein Reibach für diejenigen, die sie produzieren. Es ist das, was wir jedem Arbeiter und jeder Arbeiterin zugestehen: keine Zwangsarbeit, dass Kinder neben der Feldarbeit in erster Linie in die Schule gehen können, dass Gewerkschafts-

Erstens, indem wir sie besser entlohnen: Existenz- statt Mindestlohn! Zweitens, indem diejenigen, die durchschnittlich verdienen, ihr Geld für hochwertige, regionale, ökologische und fair gehandelte Produkte ausgeben. Das hilft auch der regionalen Wertschöpfung und dem Umweltschutz vor Ort. Drittens, indem wir mehr öffentliche Gemeinschaftsversorgung aus nachhaltiger Produktion für Jung bis Alt anbieten und gegebenenfalls subventionieren. Viertens, indem wir Zeit und Flächen – auch in der Stadt – zur Verfügung stellen, um Nahrung selbst anzubauen und zu verarbeiten. Fünftens, indem wir – ob zuhause oder bei Parteitagen – viel weniger Fleisch und mehr Regionales essen und nicht vergessen: Unsere Freiheit, essen zu können, was wir wollen, bedeutet für manch anderen auf dem Planeten, die „Freiheit“ zu haben, gar nichts zu essen. Mit unserer Freiheit zu essen, was wir wollen, essen wir die Zukunft unserer Kinder auf. In diesem Sinne: Augen auf beim Nahrungskauf – guten Appetit!

„Aufstehen“ kommt in Dresden nicht auf die Beine Es war das dritte Treffen am 13. Dezember der Regionalgruppe „Aufstehen Dresden und Umland“ im noblen Coselpalais neben der Frauenkirche. Und es kamen kaum noch Zuhörer. Von den über 200, die beim ersten Treffen im Oktober gekommen waren, erschienen keine hundert. Kritik, etwa dass man weitestgehend unsichtbar und unhörbar im Stadtbild sei, wurde niedergebügelt. Da solle sich der Fragende doch einmal selbst fragen, was er unternommen habe. Das Führungspersonal, das keines sein will und laufend von Basisdemokratie redete, weiß nun aber immerhin, warum es nicht vorangeht: PEGIDA habe nur deshalb in kurzer Zeit über zehntausend Menschen auf die Straße gebracht, weil sie gegen etwas seien – damit könne man natürlich leicht mobilisieren. „Aufstehen“ komme deshalb in Dresden so schwer in die Gänge, weil es ja viel schwieriger sei zu kommunizieren, dass man für etwas sei. Allein wofür „Aufstehen“ in Dresden steht, scheint bis jetzt selbst

den Beteiligten noch weitgehend unklar zu sein. Jeder kann sein, wofür er will, eine Richtung wird weder vorgegeben noch unterstützt. Immerhin haben sich elf Arbeitsgruppen mit diversen Untergruppen gebildet, die im Stillen ihre Treffen abhalten. Es geht um Bildung, Demokratie, Sozialstaat, Gesundheit, Frieden, Datenschutz und vieles andere. Was von der Zentrale aus Berlin kommt, solle „als Vorschlag“ betrachtet werden. Informationen oder gar Standpunkte wurden bei der dritten Begegnung überhaupt nicht vermittelt. Am Tag des Treffens hatten die Dresdner Medien berichtet, dass der einstige „VorzeigeIntellektuelle“ der sächsischen LINKEN, Gerhard Besier – bislang Stadtrat der Linken – seinen Wechsel zur FDP bekannt gegeben habe. Der Hesse Besier, der sich selbst öffentlich eher eine liberal-konservative Grundhaltung attestiert, hatte zuvor lange für die LINKEN im Landtag gesessen. Dresd-

ner Linken-Chef Jens Matthis findet den Lagerwechsel Besiers „persönlich schade“. Die Erwähnung dieser Fakten oder gar eine Diskussion darüber blieb aus. Zeit, um brennende Themen zu diskutieren, etwa den Auflösungsprozess der Dresdner Rot-Grün-Roten Stadtratskoalition, die das Rathaus einst dominierte und nur noch 33 von 70 Sitzen im Stadtrat hat, nahm man sich nicht. Die nächsten Stadtratswahlen sind am 26. Mai und es ist ein drastischer Rechtsschwenk im Rathaus zu erwarten. Sicher scheint nur eines: Aufstehen wird kaum etwas unternehmen, um das linke Lager zu retten. Derzeit erscheint Aufstehen Dresden mehr als eine Gruppe, die nach Feldern zur Selbstbeschäftigung sucht. Gemeinsame Ziele sind nicht erkennbar. Einzelaktionen oder Beteiligung an Aktionen anderer sind nicht auszuschließen, aber es ist gegenwärtig nicht absehbar, dass „Aufstehen Dresden und Umland“ hunderte oder gar tausende auf die Straße bringen wird. Bleibt aber ein im

buchstäblichen Sinne sichtbarer Erfolg in nächster Zeit aus, wird „Aufstehen Dresden und Umland“ ähnlich wie „Pulse of Europe“ in der Elbestadt ein eher kurzes Leben beschieden sein. • Ralf Richter

Falsch & Richtig In der Ausgabe Januar/Februar 2019 stand auf dieser Seite der Beitrag „Keine guten Kriegsbedingungen erzeugen“; die Autorenschaft wurde Regine Eisenmann zugeschrieben. Richtig ist: Der Artikel stammt von Regina Silbermann, der Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Deutsch-Russische Freundschaft der sächsischen LINKEN. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen. • Die Redaktion


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Die russische Militärdoktrin René Lindenau blickt zurück auf eine Veranstaltung mit dem Ex-NVA-General Heinz Bilan be von Sapad. Man will wohl vor allem alte Feindbilder und die Rüstungsspirale erhalten.

Gleich zu Beginn machte er klar: Schon angesichts der Verbrechen der Deutschen am russischen Volk und des sowjetischen Anteils an der Befreiung vom Faschismus seien die Deutschen verpflichtet, gut über Russland zu sprechen. Das tat der Absolvent zweier sowjetischer Militärakademien auch. Gorbatschow und Jelzin degradierte der General a.D. gleich zu Dilettanten: Bei den Verhandlungen um die NATO-Osterweiterung habe man sich übers Ohr hauen lassen. Ferner war nach seiner Einschätzung der Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR skandalös und chaotisch. Die sowjetische Westgruppe räumte bedingungslos das Feld. Man hätte damals auch den Abzug der US-Truppen fordern müssen. Zunächst benannte der Referent historische Gründe, die eine neue Militärdoktrin notwendig machten. Dabei erinnerte er an sechs feindliche Invasionen, die das russische Volk erleiden musste: die Mongolen, Tataren, Schweden, Polen, Franzosen, die imperialistische Intervention nach der Oktoberrevolution und schließlich den faschistischen Überfall 1941. Niemals wolle das Land mehr in eine Situation wie 1941 kommen, als Stalin und sein Generalstab die Lage unterschätzten und das Land

Bild: Mil.ru / Wikimedia Commons / CC BY 4.0

Vor dem Hintergrund der Kündigung des INF-Vertrages durch die USA und Russland wird neues nukleares Wettrüsten befürchtet. Auseinandersetzungen zwischen den Weltmächten sind ein ständiges Thema – deshalb wollen wir zurückschauen auf eine Veranstaltung, die im November 2018 in Cottbus stattfand. Dort referierte der ehemalige Generalmajor der NVA, Heinz Bilan, über die russische Militärdoktrin.

den Blutzoll von Millionen Toten zu entrichten hatte, führte der Hörer der sowjetischen Generalstabsakademie aus, der sein Diplom bei Marschall Iwan Konew ablegte. Jelzin habe jedoch die Armee grob vernachlässigt. Einzig bei den Kernstreitkräften, die er in einer Hand beließ, entschied er richtig. Des Weiteren bedurfte die unter Jelzin begonnene Militärreform eines neuen strategischen Rahmens. Ein Dokument, das mit der Militärdoktrin entstand und bis 2027 gültig ist, ist das Waffenprogramm. Auf Details ging der Gast am Rande ein. Erwähnung fand das Raketensystem RS-28 „Sarmat“. Als wichtigste Aufgabe ist den russischen Streitkräften in dem Papier die Erhaltung des Friedens aufgegeben. Punkt 5 besagt, dass militärische Mittel erst nach Ausschöpfung der politischen, diplomatischen, juristischen, wirtschaftlichen, informationstechnischen und anderen gewaltfreien Instrumente einzusetzen sind.

Im Abschnitt II wird auf die „Militärischen Gefahren und Bedrohungen“ eingegangen. So findet sich der Hinweis auf den Ausbau des Kräftepotentials der NATO, das Heranrücken der militärischen Infrastruktur der NATO-Mitgliedsländer an die Grenzen der Russischen Föderation. Zu Recht verwies der General a.D. darauf, dass die USA rund um Russland 330 Stützpunkte aufgebaut haben. Russland hat ganze zwei außerhalb der eigenen Grenzen, (ausgerechnet) in Syrien. Laut Bilan beläuft sich die Truppenstärke in Russland auf 1,1 Millionen Soldaten, die NATO hätte dagegen 4,4 Millionen Menschen unter Waffen. Bei den Rüstungsausgaben liegt die Russische Föderation derzeit bei 64-80 Milliarden Dollar, die USA bei ca. 640 Milliarden Dollar pro Jahr. Im Übrigen erinnerte er daran, dass die Großmanöver Sapad 2017 und Wostok 2018 (Foto) nichts Neues waren, dennoch wurde von westlicher Seite so getan. Schon 1981 gab es z.B. eine Ausga-

Ein Aspekt, der in der Militärdoktrin berücksichtigt wird, sind „die wichtigsten inneren militärischen Gefahren“. Dazu zählt man zuvorderst Tätigkeiten, die den gewaltsamen Umsturz der Ordnung und die Destabilisierung des Landes zum Ziel haben. Ein wichtiges Moment ist der Umgang mit der Kernwaffenstreitmacht. „Die Verhinderung eines atomaren militärischen Konflikts wie auch jedes anderen militärischen Konflikts ist die Grundmaxime der Militärpolitik der RF“. Entschieden widersprach der Referent der Ansicht, Russland verfolge die Strategie eines „nuklearen präventiven Erstschlages“. Möge die Zustimmung zu dieser Militärdoktrin durch den früheren hohen NVAMilitär auch recht groß gewesen sein – dass sie kein Wort zur Abrüstung und zum Wettrüsten beinhaltet, sei für ihn eine Schwäche des Textes. In der Debatte äußerte er Zustimmung zur Krim-Annektion durch Putin. Sie nannte er völkerrechtsgemäß, während er die Schenkung der Insel (1954) durch Chruschtschow als verfassungswidrig einstufte. Ohnehin fand Bilan positive Worte für Putin. Auf scharfe Kritik stießen bei ihm die Aufrüstungsbemühungen von Merkel und von der Leyen sowie beider Ansinnen, eine europäische Armee innerhalb der EU zu schaffen. Antwortend auf die Kernfrage unserer Zeit bekannte der Referent, die Kriegsgefahr ist gestiegen. Der Frieden war nie ein Geschenk. Doch man sollte nicht vergessen: In anderen Regionen der Welt war er immer zuhause.

Wenn es keine Waffen gäbe Wenn es keine Waffen gäbe, keine Truppen, keine Stäbe, in Kasernen oder Bunkern, und die stets vom Frieden flunkern, aber immer Krieg nur wollen, andere drum sterben sollen, keine Bomben und Raketen, keine Minen und Macheten, keine Panzer, keine Drohnen, keine Mörser und Kanonen, A-Bomben und Flugzeugträger, Helikopter, Nachtflugjäger, würden viele Billionen eingespart. Es würd‘ sich lohnen, Menschen Brot und Arbeit geben, für die Bildung, für das Leben, für Gesundheit und für’s Glück Dann ging‘ auch kein Weg zurück in die Armut, ins Unrecht. Und dies wäre doch nicht schlecht. Keiner müsste Angst aufladen, Keiner käme mehr zu Schaden, Keiner bräuchte mehr zu fliehen, Keiner in die Fremde ziehen, ohne Schutz. In fremder Sprache

einzutreten für die Sache, die als Menschenrecht bekannt, und das gilt in jedem Land. Ja, es ist der reiche „Westen“, und der zählt sich zu den „Besten“, der sich bereichert an den Armen dieser Welt und kein Erbarmen kennt, nur Maximalprofit, Und drum nimmt er alles mit, was in seine Hände fällt, ihm nicht gehört. Und macht zu Geld fremdes Gut und fremdes Land, Öl und Erze, Wasser, Sand, Salz und Früchte, Fische, Wald. Leergefegt die Erde bald. Und die größten Bösewichter Tragen meist US-Gesichter. Immer sie die Welt belogen Und die Menschheit überzogen Oft mit ungerechten Kriegen Und recht zweifelhaften „Siegen“. Jahrzehntelang dann Diktatoren, man sich zu Freunden hat erkoren,

sie aufgerüstet, aufgebaut, das Volk drauf „in die Röhre“ schaut. Gegen „links“, Demokratie. So schaffte man den Frieden nie.

ergibt sich für die armen Leute, die ohne Reichtum leben heute, die sich müh’n ums täglich Brot, wenig Freude, aber Not.

Und man spekuliert mit allem, nur zum eignen Wohlgefallen. Viele Menschen schufen Werte In Generationen dieser Erde. Aber Wen’ge verprassen sie, die sie selbst geschaffen nie, mit Albernheiten der Karibik in dekadenter Wohlstandstaktik.

Doch die Träume nicht veralten, Das Leben lebt, die Zeit die blüht, und wir, beteiligt am Gestalten, werden nicht müde zu betonen, dass man Verantwortung ja hat. Sich einzumischen wird sich lohnen, den Politiktrott hat man satt.

Und dann kamen die „Heuschrecken“, kauften ein an allen Ecken mit Geld, das ihnen nicht gehört. Casino-Banker das nicht stört. Die Zeche zahlen eh die Armen, nicht die Schuldigen. Erbarmen kennt man nicht. Ihre Macht hat den Staat schon arm gemacht. So steigt der Meeresspiegel weiter, die Zukunft schwankt. Und nicht mehr heiter

Zurück zu schau’n auf alte Werte, die von den Eltern übernommen: dass man bewahre unsre Erde, einmalig schön. Und es wird kommen ein neuer Anspruch an uns alle: Die Zukunft ist Gerechtigkeit. Und deshalb ist in jedem Falle, an allen Orten, alle Zeit angesagt ein neues Denken für die Schwachen hier im Land. Hoffnung soll das Handeln lenken. Und dieses geht nur Hand in Hand. • Jürgen von Strauwitz


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Letzte Etappe vor dem Krieg

Lyrisches

Winfried Steffen erinnert an die vollständige Zerschlagung der Tschechoslowakei vor 80 Jahren

Ich hör sie lachen, ich hör ihre Stimme. Schallend und klug. Ich sehe sie gehen. Immer im Blick, ein Ziel. Aufrecht und selbstbewusst. Bundesarchiv, Bild 183-2004-0813-500 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0

Mit der Unterzeichnung des Münchener Abkommens durch Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich am 30. September 1938 hatten die Westmächte die Tschechoslowakei, entstanden nach dem Untergang der Habsburgermonarchie, der Willkür der Hitlerregierung ausgeliefert. Der slowakische Regierungschef Tiso reiste nach Berlin und verkündete am 14. März 1939 auf Geheiß Hitlers die Unabhängigkeit der Slowakei – nichts weiter als dessen Vasallenstaat. In der gleichen Nacht erteilte Hitler den Befehl zum Einmarsch in den Restteil Tschechiens. Zuvor hatte der Präsident der Tschechoslowakei, E. Hacha, unter üblem Druck der Hitlerregierung die Kapitulationsurkunde unterschrieben. Göring hatte Hacha gegenüber geäußert, es wäre doch sehr schade, wenn er die Bombardierung der Goldenen Stadt Prag befehlen müsste. Hacha wurde aufgefordert, die Regierung anzuweisen, den einrückenden deutschen Truppen keinen Widerstand zu leisten. Die Regierung erklärte sich dazu bereit. Die tschechischen Truppen lösten sich auf. Schon am nächsten Tag traf Hitler auf dem Hradschin ein.

An eine Unbekannte

Zur Gast war auch die syrische Leistungsschwimmerin Sarah Mardini, die mit ihrer Schwester 2015 über drei grausam lange Stunden ein Schlauchboot auf die Insel Lesbos geschleppt hat, nachdem der Außenbordmotor ausgefallen war. Das rettete 18 Menschen das Leben. Heute klagt man sie in Griechenland der Mitgliedschaft in einem Schleuser-Ring an. Wie menschenfeindlich kann man sein? Diese Frage muss sich auch die maltesische Gerichtsbarkeit gefallen lassen. Rettung aus Seenot sei nicht nur Pflicht, sondern auch geltendes Recht,

Festhalten möchte ich, ihre Stimme, ihr Lachen, ihr Gehen: Zu mir. • René Lindenau

Einmarsch der Wehrmacht in Brünn (März 1939) Am 16. März wurde das „Protektorat Böhmen und Mähren“ proklamiert und der einstige Reichsaußenminister Constantin Freiherr von Neurath zum „Reichsprotektor“ ernannt. Böhmen und Mähren wurden dem Deutschen Reich angegliedert und dessen Rüstungs- und Aufmarschpotential erweitert. Während die Regierung der UdSSR scharf gegen die Annexion protestierte, duldeten Großbritannien und Frankreich Hitlers Vorgehen.

Die britische Regierung stellte per Kommunique fest, dass es nun keinen tschechoslowakischen Staat mehr gebe und Garantien gegenstandslos seien. Nach der Besetzung Tschechiens durch deutsche Truppen erzwang Hitler von der Regierung Litauens die Abtretung des nach dem Ersten Weltkrieg angegliederten deutschen Memellandes – vollzogen am 23. März 1939. Damit war das Aufmarschgebiet für den Überfall auf Polen komplett.

Kein Land in Sicht für die Seenotrettung Eigentlich ist es traurig, worüber man so reden muss – wie am 18. Februar 2019 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Berlin. Zu reden war über die Seenotrettung. Weil staatliche Institutionen und die EU ihrer Pflicht zur Rettung von Menschenleben nicht nachkommen, fühlen sich andere in die Pflicht genommen. Sie retten nun ehrenamtlich Leben. Einer von ihnen ist der Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch, der mit seinem Schiff zu bisher sechs Rettungsmissionen ausgelaufen ist. Es könnten mehr sein, wenn die maltesischen Behörden sein Schiff nicht beschlagnahmt und ihn mit einem Prozess überzogen hätten. Die Papiere des Schiffes sollen nicht in Ordnung sein, so der Vorwurf der Anklagebehörde, die bisher jedoch nicht imstande war, Beweise vorzulegen.

Nun hab ich Angst, dass sie verschwindet. Aus meinen Augen, aus meinen Sinn.

betonte der Kapitän. Wie viel Semester haben jene Juristen eigentlich geschwänzt, die jetzt Seenotretter und andere Flüchtlingshelfer kriminalisieren? Man kann nur hoffen, dass hier neben der Menschlichkeit, die tausendfach in den Tiefen des Mittelmeers versenkt wird, jetzt nicht noch die europäische Idee durch Justizskandale beschmutzt wird. Stiftungsvorsitzende Dagmar Enkelmann berichtete im Zusammenhang mit dem „Fall Sarah“ von einem Athen-Besuch mit der Berliner LINKEN-Vorsitzenden Katina Schubert. Dort fanden beide im Innenministerium zwar Gehör und Sympathie, aber man hat es dort mit einer unabhängigen Justiz zu tun, die keineswegs am Tropf von SYRIZA hängt. In seinem eindrücklichen Vortrag ließ Kapitän Reisch Bilder sprechen. Sie erzählen von erschütternden Schicksalen: Folter, Krieg, Krankheiten und dramatischen Rettungen. Im Durchschnitt wiegen 170cm große Männer 45 Kilogramm. Schon deshalb ist es erbärmlich, wenn satte Christen-Darsteller wie Seehofer und Söder von „Asyltouristen“ reden. Schockierend waren ebenso die gegen die Seenotretter bei PEGIDA ausgestoßenen Sprechchöre „Absaufen, Absaufen“ ... Mit Walid Habash saß ein syrischer Kriegsflüchtling auf der Bühne. Ihn konnte ich schon vor Jahren bei einer Buchvorstellung („Refugees Welcome“

– ein Mutmach-Buch) seines „Ziehvaters“ Mathis Oberhof, der ihn in seinem Privathaus aufnahm, erleben. Beide Male berichtete Walid über sein Flüchtlingsschicksal. Wie traumatisiert er noch immer ist, zeigte sich, als man ihn hier in ein Schlauchboot setzen wollte. Inzwischen hat Habash eine Ausbildung abgeschlossen und ist verlobt. Mehr Integration geht nicht! Mut gemacht haben die von dem früheren CSU-Wähler Reisch vorgestellten Crew-Mitglieder. Dass es noch solche, vor allem junge, Menschen gibt – eine Kranken- und Intensivschwester, die ihren Urlaub für Lifeline-Missionen „opfert“, ein pensionierter Kardiologe, der die Geretteten medizinisch betreut sowie ein junger Maschinist! Erschreckend wiederum die Bilder, die zum Abschluss zu sehen waren: Ein sich an der Schiffsschraube eines Frachters festhaltender Flüchtling konnte noch aus dem Wasser gezogen werden. Noch schlimmer: die sogenannte libysche Küstenwache, die ein Schlauchboot mit Frauen und Kindern an Bord regelrecht zerhackte. Der Lifeline-Kapitän forderte, endlich die Fluchtursachen zu bekämpfen. Es reiche nicht, Aspirin zu verteilen, wenn die Wurzel erkrankt ist. Dann ist eine Wurzelbehandlung fällig. • René Lindenau

Kunst Architektur Ist mein selbstgebautes Leben Elfenschlummer Schneeschmelzwasser – rasch Frühlingserwachen Schneeglöckchen träumt Endlich atme ahnend rieche zartes Grün Gewissheit • Janina Niemann-Rich

Internationaler Frauentag Politische Emanzipation Von A bis Z bei Zetkin Nullkommanull bei Merkel Krampfbemühter KrampKarrenbauer Militärisch gesehen Wenn Demokratie nicht In Nebelgranaten werfenden Parolen Besteht Gründet ihr friedenshelles Haus Auf Verteidigungskrieg: Kein Angriffskrieg Oft unter Salven der Schönfärberei Als Verantwortungsübernahme getarnt Rechtsstaatsfeindliche Politik Rechtsstaatskonform: Grundgesetz achten Es ächten Verteidigungsheuchler Die für Prestige-Bündnis NATO Friedenstaube rupfende Auslandseinsätze der Bundeswehr Aufrüsten Grundrecht der Grundrechte: Nur echter Verteidigungskrieg! • Jürgen Riedel


Geschichte

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Das „Zeitgeschichtliche Archiv e.V.“ und der „Förderkreis Archiv und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e.V.“ hatten für den 9. Mai 2018 zum Symposium zur Rolle der Räte in der Revolution 1918/19 nach Berlin geladen. Der jetzt vorliegende Protokollband, herausgegeben von Reiner Zilkenat, enthält Beiträge von 18 Autoren, die Ursachen, Triebkräfte, Mehrheitsverhältnisse und Personen in den revolutionären Ereignisse behandeln, aber auch den Bogen ins Danach spannen. Konturenhaft wird die Thematik eingangs von Peter Brandt, dem ältesten Sohn von Willy Brandt, behandelt. Er verweist auf wichtige Weichenstellungen, benennt die Ursache, warum die Soldatenräte in der revolutionären Bewegung eher bremsten und die Mehrheit der Arbeiter der SPD-Führung vertraut, während eine beträchtliche Minderheit dem gemäßigten Flügel der USPD folgte. „Die radikale Linke“, so Brandt, „dominierte lediglich in wenigen Großstädten und industriellen Zentren ... Das Übergewicht der MehrheitsSPD verstärkte sich durch die massive Unterstützung von Seiten der Soldatenbewegung und von Teilen der Mittelschichten.“ So habe der erste nationale Rätekongress im Dezember 1918 etwa den Mehrheitsverhältnissen in der Arbeiterschaft entsprochen. Brandt betont, dass die mehrheitssozialdemokratische Politik „auf die raschestmögliche Überführung der Revolution in ein legales, d. h. parlamentarisches Stadium gerichtet“ war. Geleitet von „verfassungs- und machtpolitischen Motiven“ habe man gemeint, auf die traditionellen Eliten (Offizierskorps, Beamtenschaft, Unternehmer und dergleichen) nicht verzichten zu können. Eberts Kooperation mit der Obersten Heeresleitung diente dazu, mit miltärischen Mitteln die Schaffung einer bürgerlich-parlamentarischen Republik abzusichern. Die Arbeiter- und Soldatenräte sollten kei-

Die Revolution und ihre Räte Prof. Dr. Kurt Schneider über die wohl bedeutendste Konferenz zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution 1918 der weitreichenden durchaus unterschiedlichen Bestrebungen großer Teile der Arbeiterschaft im Winter und Frühjahr 1919“.

ne politische Macht besitzen, sondern „ausschließlich Hilfsfunktionen für die Verwaltung wahrnehmen und so schnell wie möglich überflüssig gemacht werden“. Demgegenüber habe die USPDLinke nach Möglichkeiten gesucht, die Revolution in Richtung eines Rätesystems weiterzutreiben. „Die Staats- und Gesellschaftsordnung der ersten deutschen Republik“, subsumiert Brandt, „war somit eine Resultante aus dem Sieg der demokratischen Arbeiter- und Volksbewegung im November 1918 und der teilweise gewaltsamen Eindämmung

Vor 150 Jahren geboren: Albert Einstein 1869 in Ulm geboren, war Albert Einstein Mitbegründer der Quantentheorie und Schöpfer der Relativitätstheorie. Er war Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und seit Oktober 1914 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. 1922 wurde ihm der Nobelpreis verliehen.

Weniger bekannt sind sein Engagement als Kriegsgegner und seine Ablehnung des nationalistischen Fanatismus. So reagierte er entsetzt auf den nationalistischen Taumel der „Vaterlandsverteidiger“ und die „Professoren-Denkschrift“ vom 16. April 1914, die von 3.000 Persönlichkeiten unterzeichnet worden war. Ebenso empörte ihn der Aufruf „An die Kulturwelt“ vom 24. Oktober 1914,

in dem der Militarismus als Verteidiger deutscher Kultur gerühmt wurde. Entsetzt war er von der kriegsbejahenden Haltung der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung. So verfasste er mit dem Berliner Physiologen Georg Nicolai ein Gegenmanifest, den Aufruf „An die Europäer“, das dazu aufforderte, sich für die Beendigung des Krieges einzusetzen. Als im November 1914 Kriegsgegner den Bund „Neues Vaterland“ gründeten, trat er ihm bei. An Romain Rolland schrieb er, dass er den Eindruck habe, dass sich viele Gelehrte der kriegsführenden Länder gebärdeten „als wenn ihnen ... das Großhirn amputiert worden wäre“. Er protestierte gegen die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Als einziges Mitglied der Akademie begrüßte er den Sturz der Monarchie. Von der Weimarer Republik erhoffte er Frieden und Sozialismus.

Der Beitrag von Eckhard Müller behandelt Rosa Luxemburg, Richard Müller und Ernst Däumig als Vertreter des Rätegedankens. Letztere hätten am klarsten die Stimmung in den Betrieben, die Wünsche und Sorgen der Arbeiterklasse ausgedrückt, was immer wieder zu Differenzen mit der USPD und der Spartakusgruppe um Luxemburg und Liebknecht geführt habe. Deutlicher als Brandt betont Müller, dass der „Konflikt zwischen dem Lager der proletarischen Machtübernahme in Form der Rätedemokratie und dem Lager der bürgerlichen Konterrevolution, die sich rund um die Losung nach der Nationalversammlung scharte, zur alles entscheidenden Frage“ wurde. Die folgenden Beiträge behandeln die Rolle der Frauen in der Münchner Rätebewegung (F. Söhner) und das Frauenwahlrecht in den Debatten der Räte (G. Notz) sowie den Linksliberalismus in der deutschen Rätebewegung (G. Engel). A. Weipert richtet den Blick auf den Kerngedanken des Rätesystems: die Demokratisierung von unten und auf das zentrale Anliegen der Rätebewegung 1919 und 1920, eine „zweite Revolution“. Zum anderen werden die

Einstein übte scharfe Kritik am Kapitalismus als Gesellschaftssystem, in dessen wirtschaftlicher Anarchie er „die wahre Quelle des Übels“ sah. Demzufolge betrachtete er das Privateigentum der grundlegenden Produktionsmittel als Zustand, der überwunden werden muss. Er ergriff Partei gegen Unterdrückung und Ausbeutung und bezeichnete sich als „unabhängigen Sozialisten“. Einstein begrüßte die Oktoberrevolution 1917 und wurde der Initiator einer Protesterklärung gegen die Blockade der Sowjetunion. 1921 trat er für das von Clara Zetkin geleitete Komitee „Arbeiterhilfe Sowjetrußlands“ ein. In der 1922 gegründeten Deutschen Liga für Menschenrechte und in der Gesellschaft der Freunde des neuen Russland sowie als Ehrenpräsident der sowjetisch-deutschen Gesellschaft Kultur und Technik trug er im Ergebnis des RapalloVertrags zur Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bei. Aus Protest gegen die faschistische Gewaltherrschaft, vor der er wiederholt gewarnt hatte, legte Einstein im März 1933 sein Amt an der Akademie nie-

3/2019 Links! 1919 entstandenen und heute kaum bekannten revolutionären Berliner Schülerräte vorgestellt, deren spektakulärste Aktion der Schülerstreik im Sommer 1919 war. Diese Räte zeugen davon, dass die Rätebewegung breiter und homogener war als vielfach angenommen wird. Weitere Beiträge behandeln die treibenden Kräfte der Rätewegung und deren Spuren in Treptow-Köpenick, Friedrichshain und Lichtenberg sowie die Rolle des revolutionären Sozialisten Georg Ledebour. Zur Gegenrevolution sei auf den Text von O. Luban zum verfälschten Geschichtsbild der Novemberrevolution 1918 in Berlin und auf den von R. Zilkenat zur Konterrevolution im Allgemeinen und zur „Antibolschewistischen Liga“ im Besonderen hingewiesen. Einen Eindruck davon, wie sich die Revolution 1918/1919 in der programmatisch-politischen Debatten der SPD nach der faschistischen Machtübernahme widerspiegelt, vermittelt J. Wollenberg. Der abschließende Komplex beinhaltet Beiträge zur Beachtung der Erfahrungen der Novemberrevolution beim politischen Neubeginn nach der Befreiung vom Faschismus (G. Benser) beziehungsweise zur Wiederkehr der Räte in der Endzeit der DDR (St. Bollinger). Bereichert wird dieser Teil durch Betrachtungen zur Widerspiegelung der deutschen Rätebewegung 1918/1919 in neueren Veröffentlichungen der BRD (H. Czitrich-Stahl und R. Holze), ergänzt durch eine Vorstellung zweier amerikanischer Arbeiten zum Thema von M. Keßler. Es betrifft Bücher, die 1946 (Samuel William Halperin) bzw. 2018 (William Arthur Pelz) erschienen sind und die direkte Verbindungslinien zwischen diesen zeitlich so weit auseinander liegenden Studien aufzeigen. „... alle Macht den Räten!“ Die deutsche Revolution 1918/1919 und ihre Räte. Konferenzband, hrsg. von Reiner Zilkenat, edition bodoni, 2018. 318 Seiten, 18,00 Euro. ISBN 978-3-940781-97-0

der. Von einer Auslandsreise kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. In Princeton fand er eine neue Wirkungsstätte. Obwohl ihn das FBI wegen seiner „kommunistischen Tendenzen“ als Sicherheitsrisiko einstufte, erhielt er im Oktober 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Seine Befürchtung, Hitler-Deutschland könnte es gelingen, Atombomben herzustellen, veranlassten ihn, der US-Regierung zu empfehlen, die kriegerische Nutzung der Atomenergie zu prüfen. Auf den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki reagierte er jedoch bestürzt. Leidenschaftlich erhob er seine Stimme gegen das atomare Wettrüsten. Wenige Tage vor seinem Tode unterzeichnete er noch einen Friedensappell, der als Russell-Einstein-Manifest bekannt wurde und die Menschheit vor der nuklearen Selbstvernichtung warnte. Einstein, dessen Leistungen mit denen eines Galilei, Kepler oder Newton vergleichbar sind, starb am 18. April 1955 in Princeton. • Prof. Dr. Kurt Schneider


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Terminübersicht Dresden, 13. März, 19 Uhr n Gespräch Was schon immer mal gesagt werden sollte! Wirtschaft und Demokratie. Moderation: Uwe Hirschfeld. Texte unter www.bit.ly/2t9dJJR oder per dresden@rosalux-sachsen.de WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21 Leipzig, 13.- 17. März n Ortsbegehung / Ausstellung / Symposium Riebeckstraße 63. Die ehemalige Arbeitsanstalt von 1892 bis heute. Mit Dr. Elisabeth Elling-Ruhwinkel, Alexander Rode, Petra Čagalj-Sejdi (Romano Sumnal e.V.), Prof. Dr. Ulrich Brieler, Steffen Held, Hannes Schneider, Thomas R. Müller, Thomas Seyde, Berit Lahm, Anne Friebel, PD Dr. Maximilian Schochow , Dr. Steffi Brüning , Bettina Weben, Anja Neubert, Prof. Dr. Dietfrid Krause-Vilmar, Julian Timm, Prof. Clemens von Wedemeyer, Hagen Markwardt und Ann Katrin Düben. Eine Veranstaltung der Stadt Leipzig, Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, Romano Sumnal e.V. und des Sächsischen Psychiatriemuseum mit Unterstützung der RLS Sachsen u.a. Ortsbegehung am 13. März, 15 Uhr, Riebeckstraße 63 Symposium am 15. März, 13-18.15 Uhr Strietzsaal, Stötteritzer Str. 26 (Zugang über Riebeckstraße) Panel 1: Kommunale Fürsorgepolitik: Soziale und räumliche Marginalisierung Panel 2: Akteur der Verfolgung und

Drehscheibe von NS-Zwangsarbeit 16. März, 9.30-16 Uhr Panel 3: Bruch und Aufbruch im Umgang mit Devianz und psychischer Erkrankung / Panel 4: Disziplinierung: Die Venerologischen Stationen LeipzigThonberg (1946-1990) / Panel 5: Ideenlabor Anmeldung: symposium@riebeckstrasse63.de. Die Ausstellung ist vom 13.17. März in der Riebeckstraße 63 zwischen 13 und 18 Uhr zu sehen. Chemnitz, 19. März, 19 Uhr n Buchvorstellung und Diskussion Die Flamme der Revolution: Deutschland 1918/19. Mit Bernd Langer (Autor). Rothaus, Lohstraße 2 Dresden, 20. März, 19 Uhr und Plauen, 21. März, 19.30 Uhr n Vortrag und Diskussion NSU Prozess beendet - Aufarbeitung auch? Mit Friedrich Burschel (Berichterstatter des NSU-Prozesses, Referat Neonazismus und Strukturen/ Ideologien der Ungleichwertigkeit, RLS) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden (20. März) Alte Feuerwache, Neundorfer Straße 3, 08523 Plauen (21. März) Eine gemeinsame Veranstaltung des colorido e.V. und der RLS Sachsen Leipzig, 21. März, 18 Uhr n Buchpräsentation „Die Affäre Deutsch“. Braune Netz-

werke hinter dem Raubkunst-Skandal. REIHE: Jour Fixe - Ein unkonventioneller Gesprächskreis. Mit Burkhart List (Journalist), Moderation: Michael Zock. Eine Veranstaltung des EulenspiegelVerlags mit der RLS Sachsen. Café Kleine Träumerei, Münzgasse 7 Chemnitz, 24. März, 15 Uhr n Lesung „Bleib ein Mensch, Kamerad, ...“ Jura Soyfer und seine Zeit. Mit Prof. Peter Porsch (RLS Sachsen), Gruppe Quijote und Mike Melzer. Neue Sächsische Galerie, Moritzstr. 20 Leipzig, 26. März, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Die Empire-Trilogie von Hardt & Negri – Manifest des 21. Jahrhunderts? REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft. Mit Prof. Dr. Ulrich Brieler, Moderation: Dr. Peter Fischer. RLS Sachsen, Demmeringstraße 32 Leipzig, 1. April-31. Mai n Ausstellung „Housing first“ - Obdachlosigkeit bekämpfen. Eine Ausstellung von „FiftyFifty“, erstellt von Katharina Mayer, Denise Tombers und Wohnungslosen. Eine Kooperation von Interim und RLS Sachsen e.V. RLS Sachsen/Interim, Demmeringstr. 32 „Rechtsruck“ n Eine Filmreihe über die Auswirkungen von Rechtspopulismus. Eine Veran-

staltung des Kulturbüro Sachsen e.V., der DGB Jugend Sachsen und der RLS Sachsen. Eintritt frei! Chemnitz, 1. April, 19 Uhr Weltecho, Annaberger Str. 24 Plauen, 2. April, 19 Uhr Kellerbühne, Malzhaus, Alter Teich 7 Görlitz, 3. April, 20 Uhr Camillo Görlitz, Handwerk 13 Dresden, 4. April, 20 Uhr Schauburg, Königsbrücker Str. 55 Dresden, 5. April, Freitag, 12.30 Uhr n Exkursion Auf Frauenspuren durch die Neustadt. Mit Una Giesecke. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21 Leipzig, 7. April, 15 Uhr n Lesung Das Wintermärchen. Schriftsteller erzählen die Bayerische Revolution und die Münchner Räterepublik. Mit Ralf Höller. Eine Veranstaltung des Kollektivs der Buchhandlung drift mit der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union Leipzig und der RLS Sachsen. Cineding Leipzig, Karl-Heine-Str. 83 * Gemeinsam mit Rosa-LuxemburgStiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. ** Diese Veranstaltungen werden mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes zur Verfügung gestellt.

Nennt Nazis Nazis. Sie sind welche! Die Europawahl naht. Deshalb hatte Brüssel gerufen, genauer die linke Fraktion GUE/NGL, und viele waren am 30. Januar gekommen, um über örtlichen Widerstand gegen die extreme Rechte in Europa zu beraten. Linke aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Finnland, Griechenland, Kroatien, Belgien, Slovenien, Galizien, Litauen … berichteten vom Widerstand gegen Rechtsextremismus, Faschismus und Neofaschismus. Ich war dabei. Neben der Dokumentation von Erfolgen gegen Rechts und gelingender Mobilisierung, mussten sich alle eingestehen, dass die europäische Linke noch keine Gegenstrategie hat. Die Rechten in Europa rüsten für den Kampf um das Europaparlament. Sie wollen in einer eigenen Fraktion

möglichst zweitstärkste Kraft werden und zumindest das Parlament auflösen und die Union zu einer lockeren Wirtschaftsgemeinschaft machen. Der Besuch von Theresa May am gleichen Tag mit dem Brexit im Gepäck machte alles deutlich wahrnehmbar. Linke wissen natürlich um die Probleme, Schwächen und falschen Stärken der EU. Dennoch bietet die Union vor allem mit ihrem Parlament Chancen, bedrohlichen Entwicklungen entgegenzutreten und sich langfristig für ein soziales Europa zu engagieren. Dem sollte man nicht leichtsinnig entsagen. Der Film „In the Fade“ beendete die Konferenz. Aufwühlend und ehrlich wurde die Geschichte einer Frau erzählt, deren türkischstämmi-

ger Mann und deren Sohn von rechten deutschen und griechischen Terrorist*innen bei einem Anschlag getötet wurden. Die Täter*innen werden mangels Beweisen freigesprochen. Die Frau nimmt Rache. Der Schluss war im Einzelfall begründet. Selbstmordattentate können freilich nicht Teil unserer

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 10.950 Exemplaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Strategie sein. Der Film beweist aber, wie gefährlich Faschist*innen sind und wohin sie Menschen treiben. Mein Fazit zu Konferenz und Film: Nennen wir Nazis Nazis. Sie sind welche und haben es verdient! • Peter Porsch

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 27.02.2019 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.04.2019. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


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Rezensionen

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Exkursion in Reclams Kosmos Jour fixe erkundet Zeugnisse eines universalen Literaturprogramms. Von Wulf Skaun Ad fontes − zu den Quellen, heißt es im Februar für den 42. unkonventionellen Gesprächskreis Jour fixe am Leipziger Standort der RLS Sachsen. Die Exkursion führt in die Kreuzstraße 12 ins Vereinsdomizil des Literarischen Museums, um Reclams Kosmos zu ergründen. Ein stimmiges Bild für eine große Sammlung auf kleinem Raum. Auf gerade einmal 50 Quadratmetern manifestiert sich der Geniestreich der einzigartigen Reclam-Universal-Bibliothek seit ihren Anfängen 1867. Ein kleines Museum, aber besser als keines, qualifiziert Hausherr Hans-Jochen Marquardt seine Privatsammlung, mit welcher der von ihm gegründete gemeinnützige Verein das Erbe eines der bedeutendsten Buchverlage bewahrt. Die Zeugnisse an hehre literarische Zeiten, auch in der Buchstadt Leipzig, sind zum Greifen nah. Eng an eng sitzt die Jour-fixe-Gemeinde auf Reichweite zu rund 10.000 Heften der ältesten noch existierenden deutschsprachigen Taschenbuchreihe und manch anderer bei Reclam verlegten Schriften. Dem Gastgeber bleibt nichts anderes übrig, als von der üblichen mobilen Führung auf Vortragmodus am Stehpult umzuschalten, nachdem Moderatorin Ursula Wohlfeld ihn als habilitierten Germanisten vorgestellt und seine erinnerungskulturelle Mission nach dem Wegzug des Verlages aus Leipzig skizziert hat.

Dann hebt der Museumsleiter zu einem fulminanten Redestrom an, der an Hermann Kants „attischen Bienensang“ denken lässt. Er habe schon mal viereinhalb Stunden nonstop referiert, hatte die Moderatorin im Postskriptum ihrer Einführung verraten. Marquardt kann aber auch Kurzstrecke. In 45 Minuten unternimmt er mit seinen Gästen eine unterhaltsam-faktenpralle Tour d’Horizon durch fast 200 Jahre Verlagsgeschichte. Schwer vorstellbar,

geschichte vertraut. Und bis zur letzten Miszelle scheint er ihrem Wirken und Werk auch abseits der Haupt- und Staatsaktionen nachgespürt zu haben, was Wortspiele, Slogans, anekdotische Einsprengsel bezeugen. Doch über alle Fachdetails hinweg erinnert er immer wieder an die soziale Wurzel der Reclam-Philosophie – „Für Mansarde und Salon!“ −, die das Dichterwort Thomas Manns zum 100. Ver-

Initiator und Hausherr Dr. habil. Hans-Jochen Marquardt mit Schatztruhe dass ihn jemand an Enthusiasmus und Kenntnis toppen könnte. Bis ins letzte Glied, von Gründungsvater Anton Philipp Reclam bis zu dessen Ururenkelin Rainhilt Reclam, ist ihm die Familien-

lagsjubiläum 1928 so auf den Punkt brachte: Ut bibat populus. Damit das Volk trinke. Volkstümlich gesagt: Sowohl Klassiker- als auch populäre Gegenwartsliteratur für kleines Geld ei-

nem Massenpublikum zugänglich zu machen. Es ist hier nicht der Platz, die Schätze der Präsenzbibliothek zu beschreiben, wie es sich der Tagesjournalismus zur Eröffnung des ReclamMuseums im Oktober 2018 angelegen sein ließ. Die mustergültig gepflegte Vereins-Homepage bietet einschlägige Informationen in Wort und Bild. An jenem Februarabend indes, direkt „an der Quelle“, können die Jour-fixeExkursanten in der Diskussionsrunde noch so manche Auskunft aus berufenem Mund, darunter auch des langjährigen Reclam-Lektors Horst Möller, erfahren. Für den mit Anerkennung und Dank bedachten Hausherren vielleicht die schönste Gunsterweisung hinzugewonnener Reclam-Freunde: Man werde zu individuellem Museumsbesuch wiederkommen. Der Ausflug ins Reclam-Universum endet stilgerecht: Jour-fixe-Mitbegründer Manfred Neuhaus, selbst ein Bibliophiler, übereignet Hans-Jochen Marquardt unter dem kräftigen Applaus der Anwesenden ein Exemplar von Walter Markovs Jacques-Roux-Anthologie „Freiheit wird die Welt erobern“. Das Autogramm des legendären Leipziger Universalhistorikers auf dem Titelblatt erhebt das profane weiße Heft mit der RUB-Bandzählung 1080 in den Rang einer speziellen Sammler-Rarität.

Volkstribun: Karl Liebknecht Denkt man über die revolutionäre Linke in der deutschen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, über die Spartakusgruppe bzw. die KPD nach, so fällt neben dem Namen Rosa Luxemburgs stets der Name Karl Liebknechts. Über ihn schrieb die jüngst verstorbene Annelies Laschitza in der hier vorgestellten Schrift: „Ab Beginn des 20. Jahrhunderts hatte er sich in der deutschen Sozialdemokratie zu einem respektablen Rechtsanwalt, exzellenten Parlamentarier und zu einem konsequenten Gegner von Militarismus, Imperialismus und Krieg entwickelt.“ Und doch muss man an ihn und sein politisches Vermächtnis erinnern. Dieser Erinnerung gelten die Ausführungen Laschitzas, ergänzt um eine Fülle von Fotos, Quellen und Dokumenten in diesem verdienstvollen Band.

degang führte den jungen Rechtsreferendar zunächst in die westfälische Provinz, mitten hinein in deren katholische Regionen, nach Arnsberg und Paderborn. Er promovierte 1897 im fränkischen Würzburg und legte 1899 sein II. juristisches Staatsexamen ab. Hernach wirkte er in Berlin als Rechtsanwalt, gemeinsam mit seinem Bruder Theodor. Mit viel Detaileinblick schildert Annelies Laschitza die fließenden Übergänge zwischen Kanzlei und Wohnung, Beruf und Familie. Wie die meisten sozialdemokratischen Juristen beriet und verteidigte Liebknecht vor allem Menschen aus der Arbeiterklasse und „kleine Leute“ überhaupt. Er verband dabei stets Gerechtigkeitsgefühl, Respekt und maximalen juristischen Einsatz für seine Mandanten mit einem klaren Klassenstandpunkt.

Nachdem sie bereits 2007 die umfangreiche biographische Darstellung „Die Liebknechts. Karl und Sophie – Politik und Familie“ veröffentlicht hatte, setzt die Verfasserin nun den Akzent auf den Juristen sowie den Parlamentarier Liebknecht. Dass er trotz seiner familiären Herkunft nicht immer verstanden wurde, man im Verhältnis zu einigen Vertretern der „Generation Bebel“ sogar von einem Generationskonflikt sprechen könnte, wird am Rande deutlich. Sein juristischer Wer-

Auch ihn, wie schon vorher Arthur Stadthagen, Hugo Haase und andere sozialistische Juristen, nahm die standesdünkelnde konservative Justiz ins Visier. Doch alle ehrengerichtlichen Versuche zur Disziplinierung und zur Verhängung eines Berufsverbots schlugen bis 1914 fehl. Deshalb wurde er gleichzeitig mit Strafprozessen überzogen, die ihn mundtot machen sollten – auch das war eine sattsam bekannte Vorgehensweise der Klassenjustiz im Kaiserreich. Sein Weckruf

„Militarismus und Antimilitarismus“ brachte ihm 1907 die Verurteilung zu 18 Monaten Festungshaft ein. Weitere Verurteilungen folgten, vor allem während des Krieges. Der Einsatz des Strafrechts galt vor allem dem Parlamentarier und aufrüttelnden Redner. Annelies Laschitza empfiehlt deshalb Liebknechts Schrift „Antimilitarismus und Hochverrat“ (1908) zur Lektüre. Dass Liebknecht im Krieg zunächst als Armierungssoldat, dann im Zuchthaus kaltgestellt werden sollte, verdankt sich seiner Leidenschaft als Redner wider den Militarismus und für die Gerechtigkeit. „Der rebellische Parlamentarier“ wirkte sowohl in der Berliner Stadtverordnetenversammlung (seit 1901), im Preußischen Abgeordnetenhaus (seit 1908) und im Reichstag (seit 1912). Das parlamentarische Handwerk und die Kunst des wirkungsvollen Agierens für die Arbeiterklasse und die „kleinen Leute“ lernte Liebknecht also „von der Pike auf“, wie Annelies Laschitza formuliert. Dabei nutzte er – auch während des Krieges – sämtliche Mittel des Abgeordneten, nicht zuletzt Kleine Anfragen, um Interessenvertretung und „Tribüne des Klassenkampfs“ zu verknüpfen. Dabei betrieb er auch „Enthüllungspolitik“, um die Verknüpfungen des Staates mit den Rüstungskonzernen,

z. B. Krupp, aufzudecken (1913/14). Das trug ihm den Hass des Establishments ein, aber auch die Bewunderung seiner Wählerschaft oder von Pazifisten wie Bertha von Suttner oder Hellmuth von Gerlach. Diese Rolle eines Volkstribuns wird sicherlich dazu beigetragen haben, dass ihn die ultranationalistische Reaktion nach dem Januaraufstand 1919 brutal und feige – Schüsse in den Rücken – ums Leben brachte. Das stellt ihn auf eine Stufe mit Gaius und Tiberius Gracchus. Annelies Laschitza schreibt in ihrer unnachahmlichen Empathie, die aus ihrer immensen Detailkenntnis und ihrer menschlichen Gabe des Einfühlens herrührt, über einen Vorkämpfer für eine Gesellschaft, die aller Zeitläufte zum Trotz nichts von ihrer Zukunftsrelevanz verloren hat. Dieser eindringlichen Charakterdarstellung folgen ein Personenregister und eine Auswahlbibliographie. • Holger Czitrich-Stahl Annelies Laschitza: Karl Liebknecht. Advokat und Parlamentarier mit Charisma. Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte, Heft 15. Im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen herausgegeben von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. Leipzig 2018, 98 Seiten. ISBN 978-3-947176-06-9.


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aus den Mitgliedern ehemaliger Volksmusikchöre zusammensetzten. Die Behörden beäugten sie argwöhnisch, denn Bismarcks „Sozialistengesetze“ verboten es streng, aufrührerische Gesänge in der Öffentlichkeit vorzutragen. Wurde jemand dabei ertappt, wie sie oder er die sogenannten Flugblattlieder sang oder anderweitig verbreitete, drohte mehrjährige Haft. Trotz alledem wurde das Singen immer populärer. Gesungen wurde bei Streiks, bei Demonstrationen und Protestmärschen, im Familienkreis, bei feierlichen Anlässen und selbstverständlich auch bei den Tagungen der Arbeitervereine. Das bekannteste Arbeiterlied ist und bleibt die „Internationale“. Obwohl das Lied eigentlich aus der Feder des französischen Dichters Eugene Pottier stammte und dem revolutionären Kampf der Pariser Commune 1871 gewidmet war, erlangte es dank seiner wirkungsvollen Poesie und der eindrucksvollen Komposition von Pierre Degeyter eine unglaubliche Popularität. In Deutschland tauchte die Internationale in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Die Veröffentlichung wurde kurzerhand verboten und das Singen mit Haftstrafe bedroht. Auch dieser

Etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich unzählige Arbeitergesangsvereine, die sich auch

übersetzt, wodurch sich das Lied zur globalen Hymne aller Unterdrückten, Ausgebeuteten, revolutionären Kräfte entwickelte. Das ebenfalls bekannte Lied „Auf auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren“ wurde speziell Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gewidmet. Es entstand 1919, wurde unter Pseudonym verfasst und noch Epochen später gesungen, etwa in den Endsechzigern bei den Protesten gegen die Notstandsgesetze in der BRD. Ebenso erging es dem Titel „Dem Morgenrot entgegen“ von Heinrich Eildermann, der um seinen Posten als Lehrer bangte und sein Lied 1907 als „Heinrich Arnulf“ unterschrieb. Auch berühmte Autoren wie Bertolt Brecht oder der Komponist Hanns Eisler fühlten sich der Arbeiterklasse verbunden, mussten aber keinen Wert auf Anonymität legen. Gerade dieses Team schuf Werke wie das „Solidaritätslied“, eines der poetisch anspruchsvollsten Arbeiterlieder überhaupt. Es erlangte seine Bekanntheit übrigens vor allem durch den Film „Kuhle Wampe“, den Bertolt Brecht inszenierte und der Anfang der 1930er Jahre in die Kinos kam. Dass Eislers Kompositionen überhaupt auf Anerkennung in der Tradition der Arbeiterlieder stießen, war gewiss dem Umstand zu verdanken, dass er es geschickt verstand, die Moderne (er hat immerhin bei Arnold Schönberg studiert) souverän mit der subtilen Wirkung authentischer Emotionen zu verschmelzen. Das entsprach dem Zeitgeist jener Generation, die großen Wert auf scharf gewürzte Unterhaltung legte. In der Zeit des Hitlerfaschismus wurden die meisten Arbeiterlieder verboten oder für Propagandazwecke umgeschrieben und missbraucht. Jedoch entstanden auch zu dieser Zeit, oft unter extremsten Umständen, weitere Lieder progressiven Inhalts, etwa „Die Moorsoldaten“, das später weltweit zum Zeugnis antifaschistischen Widerstands wurde. Nach der Befreiung 1945 wurden viele Lieder wiederentdeckt, etwa für Streikveranstaltungen der Gewerkschaften oder andere Proteste, oft mit aktualisierten Textfassungen. In der DDR waren die Lieder Teil des Schulunterrichts, wurden von Singeklubs gepflegt und gesungen, doch offenbar fehlte die künstlerische Reibefläche. Meist erzielten sie nur eine museale Wirkung, außer vielleicht in der Folkbewegung der frühen Achtziger, die frischen Wind durch die Kulturlandschaft wehen ließ. Doch das war eine andere Baustelle in der Kulturgeschichte beider deutscher Staaten.

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Im Lauf der Zeit entwickelte sich die organisierte Arbeiterbewegung, die sich den Slogan von Marx und Engels „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ auf die Fahnen schrieb. Ferdinand Lassalle wurde eine führende Kraft und rief 1863 die erste gesamtdeutsche Arbeiterpartei ins Leben, be-

Lassalle war es auch, der den Wunsch hegte, der Arbeiterklasse eine eigene Hymne schreiben zu lassen. Er wandte sich kurzerhand vor der Gründung seiner Partei an den Dichter Georg Herwegh, der schon für die Revolution von 1848 bedeutende Lieder verfasst hatte (z. B. „Ich bin ein freier Mann und singe“). Lassalle bat ihn, ein entflammendes Poem für die Arbeiterschaft zu schreiben. Herwegh reagierte prompt und schickte Lassalle nach kurzer Zeit einen Text, der politisch höchst brisant war: das „Bundeslied“. Es endet mit den eindringlichen Worten: „Mann der Arbeit, aufgewacht!/ Und erkenne Deine Macht! / Alle Räder stehen still, / Wenn Dein starker Arm es will.“ Bis heute hat es nichts an Aktualität eingebüßt. Auch das ebenfalls in den Jahren der 1848er Revolution entstandene Revolutionslied „Trotz alledem“ von Ferdinand Freiligrath, das bis heute ständige Textänderungen erfährt, erregte große Aufmerksamkeit.

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1844 machte ein Lied von sich reden, das sich dem schlesischen Weberaufstand widmete: Das Blutgericht! Darin spiegelt sich die ganze Wut gegen die damaligen Fabrikbesitzer: „Ihr Schurken all, ihr Satansbrut / Ihr höllischen Kujone / Ihr fresst der Armen Hab und Gut / Und Fluch wird euch zum Lohne! / Ihr seid die Quelle aller Not / Die ihr den Armen drücket / Ihr seid’s, die ihr das trockne Brot / Noch von dem Munde rücket …“ Nach der Verhaftung eines jungen Webergesellen, der den Mut aufgebracht hatte, das Lied öffentlich vorzutragen, erhob sich der Weberaufstand, der jedoch alsbald blutig niedergeschlagen wurde. Es folgten zahlreiche Verhaftungen und Verurteilungen. Das und der Umstand, dass eine breitere Öffentlichkeit entstand, insbesondere im Spektrum der aufkommenden linken Intelligenz, sorgten dafür, dass der Text in diversen Zeitungen gedruckt wurde. Selbst Gerhart Hauptmann wurde darauf aufmerksam und verwendete das Lied für sein Bühnenstück „Die Weber“.

vor Wilhelm Liebknecht und August Bebel 1869 die SDAP gründeten – die Sozialdemokratische Arbeiterpartei.

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Arbeiterlieder tragen absolut politische Merkmale mit revolutionärem Hintergrund. Man kann sie getrost als Vorreiter der Protest-Songs bezeichnen. Ihre Wurzeln liegen in der Zeit der Industrialisierung von der ersten Hälfte des 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die Lieder wurden anfangs noch mündlich überliefert, denn die Verfasser blieben weitgehend anonym, um sich vor Repression zu schützen.

Jens-Paul Wollenberg erinnert an die Meilensteine der Geschichte des Arbeiterliedes

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Das Arbeiterlied als solches hat seinen Ursprung teilweise in Handwerkerliedern, die oft zum großen Teil spöttische Charakterzüge trugen – meist wurden strenge Handwerksmeister aufs Korn genommen. Andere beinhalteten Themen wie die Walz, also die Wanderjahre, verbunden mit dem Wunsch nach individueller Freiheit. Mit dem Arbeitslied ist das Arbeiterlied allerdings nicht zu verwechseln. Ersteres wurde zu schwerer körperlicher Arbeit in der Landwirtschaft, am Webstuhl oder am Spinnrad gesungen, um erleichternde Aufmunterung zu erzielen.

Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will!

Foto: Ss

Im vergangenen Jahr wurde die Reggaemusik in das Verzeichnis Internationales Kulturerbe aufgenommen, wie ich in der letzten Ausgabe an dieser Stelle geschildert habe. Das deutsche Arbeiterlied erfuhr bereits 2014 eine ähnliche Ehre, als „Das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung“ von der deutschen Kulturministerkonferenz als schützenswertes Kulturerbe eingestuft und unlängst durch die UNESCO in das bundesweite Verzeichnis immaterielles Kulturerbe integriert wurde.

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Tex t wurde seither immer wieder aktualisiert, die letzte Fassung beinhaltet nur noch drei, allerdings sehr präzise Strophen. Der Text wurde in fast alle Sprachen

Im Westen wandelte sich das Arbeiterlied nach und nach zum zeitgemäßen Protestsong. Aber auch das gehört in einen anderen Artikel.


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März 2019

Sachsens Linke

Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Blick nach vorn statt in die Kristallkugel

Liberté, Égalité, Soeurité – Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit? Susanna Karawanskij zum gleichstellungspolitischen Meilenstein Es könnte so einfach sein und eigentlich gibt‘s da gar nix zu diskutieren. Das Bekenntnis zur Gleichstellung von Frauen und Männern zieht logischerweise die Umsetzung nach sich. Die Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf, im öffentlichen Leben, in Bildung und Ausbildung, aber auch in der Familie und der sozialen Sicherung kann nicht nur beschworen werden, sondern muss hergestellt werden. Vereinfacht gesagt: Man muss es machen. Das heißt natürlich, dass man zum Beispiel Gesetze, Verordnungen, Satzungen, Finanzströme, Richtlinien ändern muss, um Gleichstellung zu verankern und damit Stück für Stück zu erreichen. Auch Wahlordnungen sind nicht ausgenommen. Das ist sicherlich mühsam, doch Gleichstellung muss getan werden, sie stellt sich nicht automatisch ein. So war es auch ein langer Kampf, bis vor hundert Jahren Frauen das erste Mal wählen und gewählt werden durften. Für mich ist es kaum vorstellbar, nicht wählen zu dürfen oder mich nicht mit anderen politisch versammeln zu dürfen, weil ich eine Frau bin. In die damalige kontroverse Debatte mischten sich zum Teil absurde Argumente, warum Frauen das Wahlrecht verwehrt bleiben sollte, warum sie es gar nicht bräuchten bzw. gar nicht richtig davon Gebrauch machen könnten. Hedwig Dohm hat das plausibel auf den Punkt gebracht: „Weil die Frauen Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben. Ich be-

haupte: Weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben, und ich finde die eine Behauptung ebenso tiefsinnig wie die andere.“ Zum hundertjährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts hat der Brandenburgische Landtag am 29. Januar 2019 das bundesweit erste Parité-Gesetz beschlossen. Ein wahrlich historischer Beschluss für Gleichstellung und Gleichberechtigung! Es manifestiert, worum es im Kern geht – die hälftige Teilung von Macht und Einflussnahme in „der Politik“. Dass dies nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft, ist logisch, doch manches ins Feld geführte Argument erinnert stark an die Debatten vor über hundert Jahren. Frau bräuchte keine festgelegten Quoten, Qualität würde sich ohne entsprechende Regelungen sowieso durchsetzen, selbst der Kollaps von Parteien, gar der Demokratie wurde heraufbeschworen. Ich wünschte mir, es ebenso treffend formulieren zu können wie Hedwig Dohm, aber die Kritikerinnen und Kritiker haben teilweise berechtigte Bedenken, die es in Augenschein zu nehmen gilt. Die Frage, die im Raum steht, ist, ob ein Paritätsgesetz verfassungskonform ist? Das Gesetz ändert das Landeswahlrecht so, dass ab 2020 Frauen und Männer bei der Aufstellung von Landeswahllisten abwechselnd berücksichtigt werden müssen. Andernfalls hat der Wahlausschuss diese Wahlvorschläge zurückzuweisen. An

dieser Stelle gilt es Werte abzuwägen: auf der einen Seite den Durchsetzungsauftrag für die Gleichstellung der Geschlechter, wie er beispielsweise durch das Grundgesetz festgeschrieben ist, und auf der anderen Seite die Parteien- und Wahlfreiheit. Angesichts der hohen Hürden für Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze erscheint mir das beschlossene Gesetz verhältnismäßig und ich bin optimistisch, dass es einer möglichen Überprüfung standhalten wird. 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts ist es ein Meilenstein für die Gleichberechtigung. Und es ist jetzt die gemeinsame Aufgabe, das Gesetz mit Leben zu füllen. Es braucht weitere Schritte, um gute Regelungen für die Kommunalpolitik und die Direktmandate zu finden. Das ist nicht banal und gar nicht einfach, wissen wir doch um die (partei) politische Situation auf kommunaler Ebene, insbesondere in den ländlichen Räumen. Die Umsetzung ist eine Kraftanstrengung. Auch das geschieht nicht von selbst und muss aktiv gemacht werden. Doch das bestehende Defizit als Grund anzuführen, um nichts zu verändern, ist eher eine Ausrede als ein stichhaltiges Argument. Natürlich ist die faktische Gleichstellung auch mit einem Parité-Gesetz nicht vollzogen. Auch weiterhin müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, Gesetze verändert und Möglichkeiten geschaffen werden, damit der Anspruch nicht zur Worthülse schrumpft.

Dass vor Wahlen über Umfragen geredet wird, ist nichts neues. Wie viele Institute aber mittlerweile in immer kürzeren Zeitabständen Umfragen in den analogen und digitalen Blätterwald feuern, hat sich verändert. Dazu kommen selbsterklärte „Prognose“-Anbieter. Letztlich geht es diesen darum, Geld zu verdienen. Zielgruppe dabei: Verunsicherte Politikerinnen und Politiker und einige Journalistinnen und Journalisten. Dabei erheben diese „Anbieter“ in der Regel keine eigenen Daten, sondern schauen sich die letzten Wahlergebnisse und aktuelle Umfragewerte auf Bundes- und Landesebene an, um danach hochspekulative Aussagen über einzelne Wahlkreise zu treffen. Wer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind und ob diese wissenschaftlich arbeiten und qualifiziert sind, wird nicht verraten. Überhaupt ist die angebliche „Berechnung“ eine Black Box und entzieht sich jeder Prüfung. Umso ärgerlicher, dass sich viele, auch professionelle ,Medien auf solche „Prognosen“ stürzen. Das zumindest hängt mit einem weiteren Trend zusammen: Die Berichterstattung vor Wahlen dreht sich immer stärker um Koalitions- und Konstellationsdebatten und die Frage: Wer liegt vorn, wer liegt hinten? So mancher vermeintlich „neutrale“ Bericht über Umfragen wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Dabei sollte es doch aber bei Wahlen vor allem um eines gehen: Inhalte und Konzepte. Deshalb gilt auch für uns im Superwahljahr: Wir sollten uns nicht Kirre machen lassen und die Meldungen windiger Zahlenverkäufer breittreten und bewerben. Deshalb: Inhaltlich klare Kante statt Kristallkugel!


Sachsens Linke! 3/2019

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Leserbriefe Zu Rita Krings Kritik an „Der Unvollendete“ (SachsensLinke! 01/02 2019, S. 2)

Marx nicht nur zur Dekoration in der Bibliothek Asche auf mein Haupt, da ist mir bei der Angabe der Lebensdaten von Marx ein Fehler unterlaufen. Mea Culpa. Das kann ich nur bedauern und es ärgert mich selbst am meisten. Aber wo Menschen am Werk sind, passieren Fehler. Dann gleich einem Autor pauschal Unkenntnis der Materie vorzuwerfen, ist abenteuerlich, wenn nicht bösartig – zumal der kritisierte Rezensent der Marx-Biografie sich jahrelang im Arbeitskreis kritische Marxisten, auf den MARXISMUSS-Kongressen herumgetrieben hat und rumtreibt sowie zahlreiche Literatur von und über Marx nicht nur zur Dekoration in seiner Bibliothek hat. Schon in ihrer Reaktion auf meine Rezension auf die Lenin-Biografie von Sebestyen hat Rita Kring vor gut einem Jahr ähnlich argumentiert. Irgendwann ist man müde, sich zu wiederholen, darum ein Zitat aus meiner damaligen Antwort: „Dass ich bemüht war, in einer differenzierten Vorgehensweise ein kenntnisreiches Bild von Marx zu zeichnen, kann mir die Kritikerin ruhig einmal unterstellen. Was dessen Vollständigkeit angeht, da wird so ein Bild immer Lücken aufweisen, denn wir sind hier alle Autoren einer Zeitung, die des Öfteren auch redaktionellen Kürzungen – so auch hier – unterliegt“. Ein über 600 Seiten umfassendes Buch zu rezensieren ist erst recht für einen ungelernten Journalisten oder Kritiker nicht einfach zu bewerkstelligen. Da fällt die Auswahl umso schwerer, je weniger Platz man hat. Besonders in diesem Artikel (Links 12/2018) habe ich sehr viel Zeit, Kraft und Mühe investieren müssen, bis er soweit von mir freigegeben wurde. Und dann kommt als erste Kritik gleich der Hinweis auf das falsche Sterbejahr, was nicht schlimm ist, aber der daraus haarscharf abgeleitete damit verbundene Vorwurf von Unkenntnis. Ist das der neue Sound in der Partei? Mein Ansatz war es, Marx (so wie auch bei der Lenin-Rezension) von einer Seite zu zeigen, die man noch nicht so kennt oder mit der man sich noch nicht so intensiv befasst hat. Was ist daran verwerflich? Denn die Marxschen politischen, philosophischen und ökonomischen Studien dürften die meisten Links-Leser manchmal bis zum Erbrechen inhaliert haben. Marxens Kapitalismusanalyse ist unbestritten sein Glanzstück, das in der erwähnten Finanzkrise 2008 Bestätigung fand. Aber deswegen war er mit dem Teil seines Werkes, das die Grundlage für eine alternative Gesellschaft über den Kapitalismus hinaus darstellen sollte, nicht erfolgreich. Dies betrifft nicht nur Marx sondern seine Erben, Nachlassverwalter, Gralshüter ... Geradezu unverschämt finde ich den Schlusssatz: „Will René Lindenau über-

haupt die Überwindung des Kapitalismus“? Ja, wozu habe ich mir dann die fast 30-jährige Mitgliedschaft in einer linken, antikapitalistischen Partei und mein Engagement für ihre Ziele auf kommunalpolitischer, Vorstandsebene und nun in der Pressearbeit aufgehalst? • René Lindenau, Cottbus Zu „Mehr Europa wagen!“, Links! 1-2/2019, S. 3

Die EU steht für die Diktatur des Kapitals

michauf, als die kanzleruntertänigen Bundestagsabgeordneten 2001 mit zwei Stimmen Mehrheit sich das Recht herausnahmen, 3.900 Soldaten (wohl kaum ihre eigenen Söhne und Töchter) für den verbrecherischen Krieg der USA gegen Afghanistan bereit zu stellen. Es gingen mir Liedtexte durch den Kopf, die nach dem 2. Weltkrieg insbesondere die Jugend zum Kampf für Frieden und Völkerverständigung motivierten. Angesichts der Gefahr eines neuen weltweiten Krieges mit noch viel katastrophaleren Folgen für die Menschheit haben sie nichts an Aktualität verloren:

Auch ich bin für Gerechtigkeit, Demokratie, Solidarität, linken Internationalismus, Menschenrechte, Soziales, Klimaschutz usw. Die EU steht dagegen für den freien Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen, Ausplünderung anderer Länder, Militäreinsätze zur Sicherung des freien Zugangs zu Rohstoffen und Märkten und zur Geflüchtetenbekämpfung, für die Unterstützung von Putschen, Ignorierung von Volksabstimmungen, für die Durchsetzung der Interessen der Auto-, Agrar-, Rüstungs-, Finanz- und anderer Kapitallobbys usw. Sie steht somit für die Diktatur des Kapitals. Vertreten somit nicht die Orbans und Le Pens genau die EU-Ziele, nur auf nationaler Ebene? Was ist an einem EUNationalismus besser? Sollte unser Internationalismus nicht die ganze Erde betreffen, statt nur die (Neo-)Kolonialmächte zu unterstützen? Und wenn Europa, warum nicht bis zum Ural oder gleich eine Zone des Friedens und der Zusammenarbeit bis Wladiwostok? Sollten wir nicht somit Konzepte entwickeln, wie wir statt der EU eine demokratische Ordnung bauen und damit den Neoliberalen und anderen Rassist*innen etwas entgegensetzen?

- Für den Frieden der Welt steht die Menschheit auf Wacht, denn die Brandstätten warnen und mahnen! - Jugend aller Nationen, uns vereint gleicher Sinn, gleicher Mut. Wo auch immer wir wohnen, unser Glück auf dem Frieden beruht. - Kleine weiße Friedenstaube fliege übers Land ... Fliege übers große Wasser, sag es allen hier, dass wir keinen Krieg mehr wollen. Frieden wollen wir. - Das ist der einfache Friede, den schätze nicht gering. Es ist mit den einfachen Frieden seit tausenden von Jahren ein beschwerlich‘ Ding.

• Uwe Schnabel, Coswig

Es müssen die Weichen nicht nur für den Strukturwandel in der Lausitz, sondern auch für das mitteldeutsche Braunkohlengebiet gestellt werden. Auch hier müssen große Investitionen in die Schieneninfrastruktur getätigt werden. Weil sich die vorhandenen sehr kurvenreichen Eisenbahnstrecken, wo die Streckengeschwindigkeit teilweise nur 40 km/h beträgt, z. B. Mehltheuer-Gera, allein mit einer Elektrifizierung nicht für höhere Geschwindigkeiten aushauen lassen, können hohe zeitgemäße Geschwindigkeiten nur mit dem Bau von geraden ICESchnellfahrstrecken erreicht werden. So müssen im Großraum Westsachsen u. a. die ICE-Schnellfahrstrecken Leipzig-Gera-Plauen-Hof-BayreuthNürnberg, Plauen-Zwickau-Chemnitz-Dresden und Chemnitz-Leipzig gebaut werden. So würden sich die Fahrzeiten zwischen Plauen und Leipzig über Gera von heute mehr als zwei Stunden auf dann 30 Minuten verkürzen und die Fahrzeit zwischen Dresden und Nürnberg würde sich von heute fast fünf Stunden auf dann zwei Stunden mehr als halbieren. Bislang steht die Bundespolitik bezüglich des Baus dieser sehr dringend benötigten ICE-

Friedenssehnsucht in Liedern

Frieden ist das Einfache, das schwer zu machen ist Als ich die Grausamkeiten eines Krieges erlebte und am eigenen Leibe erfuhr, war ich noch keine 18 Jahre alt. Im August 1944 wurde ich durch Granatsplitter zweimal verwundet. Dieses schreckliche Erleben und die folgenden Jahre der Kriegsgefangenschaft prägten und verfestigten bei mir – wie bei vielen Menschen meiner Generation – den Gedanken: Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen! Frieden und Freundschaft mit allen Völkern! Diese Erkenntnis bestimmte fortan mein Denken und Tun, sowohl in der Beseitigung der materiellen und geistigen Hinterlassenschaften der faschistischen Barbarei als auch beim Aufbau eine neuen Lebens, eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands, dem Glück und Frieden beschieden sein sollte, damit nie mehr eine Mutter ihren Sohn beweinen muss. All diese Erinnerungen wühlten

Man kann im Sinne von Brecht sagen: Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist! Aber die Vision kann Wirklichkeit werden, wenn alle friedliebenden Menschen es wollen und dafür kämpfen. Arbeit, Brot und Völkerfrieden! • Werner Böhm, BO Weinböhla Zu „Weichen für die Lausitz stellen“, Sachsens Linke! 1-2/2019, S. 7

Die Weichen für ICESchnellfahrstrecken in Westsachsen stellen!

Schnellfahrstrecken auf der Bremse, anstatt deren Planung und Bau voranzubringen. Auch von der Kohlekommission kamen bislang keine Aussagen zu neuen ICE-Schnellfahrstrecken in Westsachsen. • Ulrich Neef, Plauen Zu „Zu wenige vertrauen auf den Rechtsstaat“, Parlamentsreport Dezember 2018 / Januar 2019, Seite 3

Was ändert sich, wenn es mehr Richter gibt? Zeigt nicht u.a. der NSU-Prozess, dass der Staat rassistische Morde milde behandelt und die staatliche Unterstützung dafür verschleiert? Zeigen nicht die G20-Prozesse und andere Prozesse gegen Linke, dass Linke viel stärker verfolgt werden als Rechte? Werden nicht Kapitalverbrechen, wie riesige Steuerhinterziehung, Zerstörung der Umwelt, illegale Rüstungsexporte usw. kaum verfolgt, während sozial Benachteiligte viel härter bestraft werden? Können nicht die Kapitalbesitzenden eher riesige Entschädigungen erhalten, wenn sie von demokratischen Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit betroffen sind? Bekommen nicht diejenigen eher recht, die sich einen teuren Anwalt leisten können? Kann der Gleichbehandlungsgrundsatz und ein wirksamer Grundrechteschutz nicht nur durchgesetzt werden, wenn es einen großen gesellschaftlichen Druck von unten gibt? Ist der Vorwurf der Klassenjustiz total unberechtigt? Und was würde sich daran ändern, wenn es mehr Richter*innen und Staatsanwält*innen gäbe? • Rita Kring, Dresden

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 27.02.2019 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.04.2019.


3/2019 Sachsens Linke!

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§219a: Und weiter geht’s! Nach dem halbgaren Kompromiss geht der Kampf weiter. Von Anja Eichhorn Am 22. Februar hat der Bundestag über eine Reform des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches abgestimmt. Dass auf der Bundesebene endlich über das vorsintflutliche Informationsverbot bei Schwangerschaftsabbrüchen entschieden werden sollte, war überfällig. An der Seite der Frauen*verbände und feministischen Aktivist*innen kämpfen wir als LINKE seit jeher für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen. Dazugehört eine Kernforderung: das Ende des Paragraphen 219a und der damit verbundenen, nach wie vor geltenden Sanktionen gegen Ärzt*innen wie Kristina Hänel. Sie wurde für ihre öffentliche Information über die Tatsache, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, verurteilt und bestraft. Ein Skandal und Auslöser einer bundesweiten Debatte – inzwischen ist die gesellschaftliche Mehrheit der gleichen Meinung wie wir: Paragraf 219a muss weg.

terführende Informationen, etwa medizinische Fachinformationen über die Eingriffe, sind weiterhin verboten und strafbar. Ärzt*innen dürfen nur mit Link zu Behördenseiten auf weitere Informationen verweisen, aber diese nicht nennen. Andernfalls steht man mit einem Bein im Gefängnis. Bei keiner anderen medizinischen Leistung ist es verboten, direkt zu informieren. Mit Staunen konnte man die anschließenden Debatten verfolgen, changierend zwischen Schönredereien, Er-

klärungsversuchen und berechtigter Enttäuschung vieler Aktivist*innen – bis hin zum eigenen Entsetzen über die rückschrittlichen Frauenbilder, die im Zuge der Debatte zutage traten. Noch immer geht es um den uneingeschränkten Zugriff auf Frauen*(-körper), um Objektivierung und Kontrolle sowie die Wahrung und Verteidigung konservativer Wertvorstellungen. Emanzipation vs. Mittelalter – soweit so schlecht also. Die beschlossene Reform geht nicht weit genug, um es vorsichtig auszudrücken. §219a muss weg. Solange

das nicht so ist, müssen wir weiter machen. Im Vorfeld der Abstimmung hatten sich Expert*innen, Jurist*innenverbände und der Rechtsausschuss im Bundestag gegen die in der Reform getroffenen Regelungen ausgesprochen. Das wurde freilich ausgeblendet, die SPD blieb lieber für den Koalitionsfrieden hinter ihren Forderungen zurück (Überraschung!) und vergab die Chance, einen wirklichen Fortschritt auf den Weg zu bringen. Scharfe Kritik kam natürlich von links und das zu Recht. Presseberichten zufolge prüfen LINKE, Grüne und FDP gerade eine Klage vorm Verfassungsgericht, was sogar aussichtsreich sein könnte. Parallel dazu gehen die Proteste auf der Straße weiter. Am 8. März rufen viele Bündnisse zum Internationalen Frauen*streik auf, auch in Sachsen. Neben der Kritik an Ungleichheitsverhältnissen wird die Abschaffung des Paragraphen 219a weiter Teil feministischer Forderungen sein. Frauen müssen endlich selbst über ihren Körper entscheiden können. Wir brauchen keine halbgaren Kompromisse, sondern eine verfassungsrechtliche Gleichstellung der Geschlechter, die körperliche und sexuelle Selbstbestimmungsrechte festschreibt und sicherstellt. Alles andere ist Quark.

Was also ist passiert am 22. Februar? Konnten seit Jahrzehnten geforderte Grundpfeiler feministischer Politik endlich eingeschlagen werden? Ist der Paragraph 219a abgeschafft? Gibt es ein direktes, sanktions- und barrierefreies Informationsrecht zu Schwangerschaftsabbrüchen? Die Antwort ist: Nein. Zwar dürfen Ärzt*innen jetzt darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Wei-

Mit Frieden in die Wahlkämpfe! Am 3. Februar fand in Chemnitz das Jahrestreffen der LAG FIP der sächsischen Linken statt. Es befasste sich im Vorgriff auf die Europawahlen mit den Militarisierungstendenzen der EU. Hierzu war der europapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Andrej Hunko zu Gast. Als Sprecher wurden Ralf Becker und Thomas Kachel gewählt bzw. wiedergewählt. Die Zusammenkunft beschloss folgende Erklärung zum Wahljahr 2019: „Die LAG Frieden und internationale Politik der LINKEN Sachsen sieht in dem vor uns liegenden Jahr eine große Herausforderung insbesondere für unseren Landesverband. Angesichts zahlreicher beunruhigender Entwicklungen in der politischen Großwetterlage in Europa sollten wir sowohl in der Vorbereitung der Europawahlen als auch im Herangehen an die Landtagswahlen friedenspolitische Aspekte betonen. Denn Friedenspolitik ist eben nicht nur ,Bundessache‘. Im Vorfeld der Europawahl sollten wir als LINKE unsere positive Haltung zur europäischen Integration inhaltlich offensiv darstellen, ohne auf Kritik zu verzichten. Denn es ist auch vielen unserer Wähler bewusst, dass die EU es nicht vermocht hat, entscheidende gesellschaftliche Probleme der modernen kapitalistischen Gesellschaften

Europas zu lösen. Gerade in friedenspolitischer Hinsicht sind die Pläne der Schaffung eines europäischen Verteidigungsfonds und die vorgesehene Finanzierung großer Rüstungsprojekte in der ‚Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit‘ der falsche Weg zur weiteren europäischen Integration. Wir Mitglieder der LAG Frieden sind ebenso der Überzeugung, dass auch im vor uns liegenden Landtagswahlkampf friedenspolitische Aspekte einfließen sollten. Die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA zeigt, dass die derzeitige US-Administration auch weiterhin nicht an einer Entspannung des Verhältnisses zu Russland interessiert ist. Und die Bereitschaft der nationalistischen polnischen Regierung, eventuell US-Mittelstreckenraketen im Lande zu stationieren, muss uns schon als direkte Nachbarn beunruhigen. Vor diesem Hintergrund erregen die Truppentransporte, die die NATO weiterhin in regelmäßigen Abständen durch Sachsen führt, berechtigterweise Unmut bei vielen in Sachsen lebenden Menschen. Wir möchten aus diesem Grunde den Landesvorstand auffordern, sowohl in der Fertigstellung des Landeswahlprogramms als auch bei der strategischen Planung des Landeswahlkampfes friedenspolitische Aspekte mit aufzunehmen.

Unser Wahlprogramm sollte u.a. beinhalten: • Die Forderung, dass Einheiten aus sächsischen Standorten wie die Panzergrenadierbrigade 37 nicht an die russischen Westgrenzen verlegt werden, und auch nicht zum Teil der NATO-‚Speerspitze‘ gemacht werden sollen; • Eine Verurteilung der rotierenden Vorne-Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa, verbunden mit der Forderung nach Beendigung der dafür durchgeführten Truppentransporte durch Sachsen; • Die Forderung nach einer Kompensation für die Nutzung des Straßenund Schienennetzes im Freistaat sowie für dabei entstehende Schäden; • Transparentmachung aller militärrelevanten Ausgaben des Freistaats Sachsen; • klare Positionierung gegen die Verwendung von Drittmitteln für militärische Forschung an sächsischen Hochschulen; • eine Positionierung gegen die fortgesetzte Bundeswehr-Werbung an Landes-Einrichtungen. Insbesondere möchten wir den Landesvorstand darüber hinaus auffordern zu überlegen, in welcher geeigneten Art und Weise wir es schaffen

können, die Problematik Friedenspolitik/ Osteuropa im Wahlkampf konkret zu thematisieren. Die LAG möchte ihren Teil zum Gelingen unserer Wahlkämpfe beitragen. Deshalb planen wir am 8. Mai wieder einen Friedens-Stand in Marienberg, um auf die Einsätze des dort stationierten Panzergrenadierbataillons in Osteuropa aufmerksam zu machen, sowie für Mitte August in Dresden eine friedenspolitische Veranstaltung zur Problematik der Konfrontation in Osteuropa, insbesondere mit Bezug auf die neu entstehende atomare Bedrohung. Darüber hinaus wünschen wir uns als LAG eine intensivere und ergebnisorientierte Begleitung unseres Projekts ‚Rüstungsatlas Sachsen‘. Hier sollten in diesem Jahr endlich Lösungen zur Finanzierung des Projekts gefunden werden. Wir möchten unsere Bereitschaft bekräftigen, in diesem Wahljahr mit den Gremien des Landesverbandes zusammenzuarbeiten und unseren Beitrag dafür zu leisten, dass unsere Partei in den vor uns stehenden schwierigen Wahlkämpfen bestehen kann. • Ralf Becker, Thomas Kachel Sprecher der LAG FIP Sachsen


Sachsens Linke! 3/2019

Eine gute Mischung Die Kreiswahlversammlung beschloss die Kandidaturen für die Kommunal- und Landtagswahl. Ein Bericht von Klaus Tischendorf Am 2. Februar 2019 kamen die Mitglieder der LINKEN im Erzgebirge zur Kreiswahlversammlung in Seiffen zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Aufstellung der Kandidierenden für die Wahl zum Kreistag am 26. Mai 2019 sowie der Direktkandidaten für die Wahl zum Sächsischen Landtag am 1. September 2019. Holger Zimmer

Antje Feiks Obwohl sich der Winter im Erzgebirge an diesem Tag von seiner besten Seite zeigte und die Straßenverhältnisse nicht ganz einfach waren, zeigte der bis auf den letzten Stuhl gefüllte

reitung der Wahlen. Erfreulich ist die Tatsache, dass diesmal neben den altbekannten auch immer mehr neue Gesichter unter den Teilnehmenden zu finden waren. DIE LINKE im Erzgebirge wird auch weiterhin eine wichtige politische Kraft in der Region bleiben, die eine große Anziehungskraft für Jüngere besitzt. Die unterschiedlichen Berufe der Kandidierenden zeigen, wie groß die Bereitschaft ist, für DIE LINKE

Eine gute Mischung gab es auch bei der Aufstellung der fünf Direktkandidaten für die Landtagswahl. So haben sich mit unserer Landesvorsitzenden Antje Feiks (92 Ja-Stimmen/3 NeinStimmen/7 Enthaltungen) sowie dem Spitzenkandidaten Rico Gebhardt (95/1/1) zwei unserer prominentesten Parteimitglieder bereit erklärt, im Erzgebirge anzutreten und den Wahlkampf ganz persönlich zu unterstützen. Darüber hinaus übernehmen unser Kreisvorsitzender Holger Zimmer (96/2/4) sowie Susann Schöniger (77/12/13) und Kathleen Noack (86/10/6) als Wahlkreisbewerber eine wichtige Verantwortung für die Landtagswahlen. Alle fünf Kandidierenden werden sich in der nächsten Ausgabe noch einmal persönlich vorstellen.

Kathleen Noack Susann Schöniger

Rico Gebhardt Saal das große Interesse der Genossinnen und Genossen an der Vorbe-

zu den Kommunalwahlen anzutreten. In vielen Vorstellungsreden wurde betont, dass es jetzt darauf ankommt, DIE LINKE im Erzgebirge aktiv mitzugestalten und Erfahrungen einzubringen.

Für jemanden für mich, der in den letzten Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen Verantwortung für unsere Partei hatte, war es eine besonders schöne Erfahrung mitzuerleben, wie viele neue Mitglieder bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen.

Wir kandidieren für den Kreistag! Wahlkreis 1 1. Frank Dahms 2. Renate Acksel 3. Günter Hartmann 4. Regina Freitag 5. Wolfgang Wagler Wahlkreis 2 1. Gerd Schlott 2. Lena Zönchen 3. Gunar Fleischer

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DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

2. 3.

Elke Muth Rolf Niemann

Wahlkreis 5 1. Andrea Schrutek 2. Hans-Jürgen Muth 3. Karin Göppert Wahlkreis 6 1. Herbert Kragl 2. Stefan Schrutek Wahlkreis 7 1. Holger Zimmer 2. Marcel Kieselbach 3. Lars Stöckner

Wahlkreis 3 1. Annett Börner 2. Harald Wendler 3. Gabriele Goldacker 4. Frank Schubert 5. Marlies Kutzner 6. Frank Deckert 7. Uwe Langer 8. Herbert Schönherr 9. Werner Alpert 10. Thorsten Steidten

Wahlkreis 9 1. Dr. Barbara Drechsel 2. Wilfried Greif

Wahlkreis 4 1. Andreas Rössel

Wahlkreis 10 1. Gerd Glöckner

Wahlkreis 8 1. Christian Saffert

2.

Rico Baldauf

Wahlkreis 11 1. Kathleen Noack 2. Rüdiger Zils Wahlkreis 12 1. Thomas Weikert 2. Susann Schöniger 3. Mathias Brunner 4. Steffen Kaddereit 5. Andreas Bernhardt Wahlkreis 13 1. Siegfried Opitz 2. Silke Freund 3. Mirko Hohenhausen 4. Jürgen Eibicht Wahlkreis 14 1. Karoline Loth 2. Hans Kleinhempel 3. Heike Oelschlägel 4. Ute Fritzsch 5. Ina Reichel 6. Gudrun Schumann

Unser Erzgebirge braucht ein Frauenschutzhaus Der Kreis- und Finanzausschuss des Kreistages hat die Petition zur Einrichtung eines Frauenschutzhauses abgelehnt. Im Namen einiger Mitglieder des Kreisverbandes der LINKEN im Erzgebirgskreis möchten wir den Kreisräten, die sich gegen ein Frauenschutzhaus im Erzgebirgskreis und für dezentrale Unterbringung in Schutzwohnungen mehrheitlich im zuständigen Ausschuss ausgesprochen haben, widersprechen. Eine dezentrale Unterbringung ist definitiv keine Lösung für den Akutfall und für traumatisierte Frauen. Sie funktioniert maximal, wenn Frauen wieder so fest im Leben stehen, dass sie „nur noch“ anonymen Schutz mit punktueller Unterstützung benötigen. Bis es allerdings soweit ist, profitieren Frauen und ihr(e) Kind(er), die man keineswegs außer Acht lassen darf und die häufig ebenso Schaden nehmen, von einfühlsamer Betreuung und, wenn gewünscht, auch vom Austausch mit anderen Betroffenen. Zu begreifen, dass man mit seinen erdrückenden Erlebnissen und den physischen wie psychischen Verletzungen nicht allein ist, bestärkt viele Frauen darin, wieder nach vorn zu schauen und sich auf eine bessere, gewaltfreie Zukunft zu konzentrieren. Die Kapazitäten in den Häusern in Chemnitz und in den umliegenden Landkreisen sind ausgeschöpft. Die dringende Notwendigkeit eines Frauenschutzhauses sieht auch der Landesfrauenrat, der im November 2018 dem Erzgebirgskreis eine entsprechende Petition überreichte. Die Forderung nach der Einrichtung eines Schutzhauses für Frauen wurde unterstützt durch 1.648 Unterschriften. Neben Nordsachsen sind wir der einzige Landkreis in Sachsen, der noch keine solche Einrichtung hat. Laut Landesfrauenrat gab es im Erzgebirgskreis 2017 insgesamt 478 Fälle von häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer ist allerdings erheblich höher. In unserem Kreistagswahlprogramm fordern wir ein Frauenschutzhaus im Erzgebirge! • Kathleen Noack & Holger Zimmer

Termine 29. März 2019, 14-17 Uhr Marktplatzgespräche zum Thema Frieden auf dem Markt in Annaberg mit Dr. Cornelia Ernst, Michael Leutert, Antje Feiks und Rico Gebhardt 29. März 2019, 18-20 Uhr Abendveranstaltung „Wie weiter mit Europa?“ in der Sternwarte Drebach mit Dr. Cornelia Ernst und Michael Leutert


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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

3/2019 Sachsens Linke!

Impulse für politische Bildung junger Menschen in Zwickau René Hahn über Ideen, wie junge Menschen an gesellschaftliche und politische Prozesse herangeführt werden können Bereits vor meinem ersten Einzug in den Zwickauer Stadtrat 2009 hatten sich junge Leute zusammengefunden, um sich für eine parlamentarische Jugendbeteiligung in Zwickau zu engagieren. Beteiligt waren unter anderem Vertreter der linksjugend, der Grünen Jugend, der Jusos, der Jungen Union und des Kreisschülerrates. Leider gab es damals wenig Unterstützung aus den Reihen der Verwaltung. Beim vorgelegten Konzept hatte sich die Initiative weitestgehend am Jugendparlament Plauen orientiert. Trotzdem meinte das Rechtsamt, es sei nicht rechtskonform. So blieben die Bestrebungen stecken, was die Beteiligten entmutigte. Einige Jahre später gab es innovativere Mitarbeiter in der Verwaltung. Diese fanden, Zwickau würde eine Beteiligung am Bundesprogramm „Demokratie leben“ gut zu Gesicht stehen. Dieses forderte und förderte auch Formen der Jugendbeteiligung. Da es nun Befürworter in Stadtrat und Verwaltung gab, galt es wieder Jugendliche zu finden, die motiviert den Weg zu mehr Jugendbeteiligung in Zwickau voranbringen möchten. Denn Plauen hatte auch gezeigt, dass der Prozess der Jugendbeteiligung Durchhaltevermögen und Fingerspitzengefühl erfordert. In Plauen war das Jugendparlament nach einigen erfolgreichen Jahren wieder eingeschlafen und aufgelöst wurden. Unter dem Dach des soziokulturellen Zentrums Alter Gasometer fand sich eine Gruppe junger Leute zusammen, die sich den Namen Jugendbuffet gab,

um lockerer und anziehender rüberzukommen. Sie initiierten mobile Spätis, da viele der Meinung waren, dass Zwickau damit erheblich an Lebendigkeit und Anziehungskraft gewinnt. Die mobilen thematischen Spätis zogen auf jeden Fall meist 100 bis 300 Besucher an. Dies machte Lust auf mehr und die Jugendlichen brachten sich ein in die Erarbeitung eines Jugendbeirates.

dass sich so viele Jugendliche für Politik interessieren und auf unangenehme Fragen zu Themen wie Integration antwortete er nicht. So schaffte er es, genügend Zwickauer Jugendliche zu seiner Wahl zu motivieren. Dies verdeutlicht, dass wir in allen gesellschaftlichen Bereichen aufmerksam für Nazis und andere Menschenfeinde bleiben müssen.

Dieser zeigte aber auch, dass offene demokratische Prozesse gerade in der aktuellen Zeit Herausforderungen mit sich bringen. Die Findung der Kandidaten für den Jugendbeirat nutzte die rechtsextreme Kleinpartei III. Weg erfolgreich als Plattform. Sie schickten einen 16-jährigen Gymnasiasten ins Rennen. Dieser hatte beim Werben für sich Kreide gefressen. So lobte er,

So gilt es auch nach der Urteilsverkündung beim Gerichtsprozess in München am NSU-Komplex und seinen gesellschaftlichen Verstrickungen dran zu bleiben. Beim Prozess saß auch André Eminger auf der Anklagebank. Sein mildes Urteil hatte bei Neonazis im Gerichtssaal zu Jubelstürmen geführt. Er hatte beim Prozess geschwiegen und war wegen Beihilfe zum Mord

zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Da er schon einige Zeit in UHaft gesessen hatte, darf er bis zur Entscheidung der Revision nun wieder frei im Landkreis Zwickau leben und wie sein Zwillingsbruder Maik Kontakte zum III. Weg pflegen. Dies unterstreicht, wie wichtig auch hier Beharrlichkeit und eine Verstetigung der Arbeit durch ein Dokumentations- und Bildungszentrum sind, in dem Schüler, Studierende, Journalisten und alle Interessierten zu Verstrickungen und Aktivitäten der Nazi-Szene recherchieren und sich informieren können. Aktuell arbeiten unter anderem das Kulturbüro Sachsen, der ASA-FF e.V., der Rote Baum, der Alte Gasometer und die Geschichtswerkstätten aus Chemnitz und Zwickau an der Konzeptionierung eines solchen Zentrums in Zwickau. In den Geschichtswerkstätten setzen sich junge Menschen mit dem NSU und den Spuren, die er hinterlassen hat, auseinander. Ich bin seit der Gründung an der Geschichtswerkstatt Zwickau beteiligt. Für den 6. April ist eine Teilnahme aller Geschichtswerkstätten (inkl. Jena) an der Gedenkveranstaltung für Halit Yozgat in Kassel geplant. Ihr seid herzlich eingeladen! Gedenkveranstaltung für Halit Yozgat, Opfer des NSU 6. April in Kassel Abfahrt am 5. April, 16 Uhr in Zwickau. Gemeinsame Anreise der Geschichtswerkstätten aus Chemnitz, Jena und Zwickau. Wer Interesse hat, meldet sich bitte unter rene.hahn@dielinke-sachsen.de

Frauentag in Kirchberg Bereits am 5. März 2019 wurden Frauen in Kirchberg an den bevorstehenden Internationalen Frauentag erinnert. Stadträtin Sabine Scheidhauer nutzte den Anlass, um unter anderem im Familienzentrum des Hauses der Parität sowie in der Behindertenwerkstatt vorbeizuschauen. Gerade in letzterer wurde bewusst, wie wichtig die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist, wonach Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen werden dürfen. Das betrifft auch viele Frauen, die trotz 100 Jahren Frauenwahlrecht bisher nicht an Wahlen teilnehmen dürfen, weil sie infolge einer Behinderung in allen Angelegenheiten betreut werden. In einigen Bundesländern haben Menschen mit Behinderungen ihr

Recht auf Wahlbeteiligung bereits erhalten. Und das ist gut so, nicht nur aus der Sicht der betroffenen Frauen.

Später wurden noch weitere Sträuße auf dem Kirchberger Wochenmarkt verteilt, was, wie schon in den Vorjah-

ren, für ein Lächeln in vielen Gesichtern sorgte. • Simone Hock

Mitgliederversammlung Wilkau-Haßlau 20. März 2019, 18 Uhr Kleingartenanlage am Schmelzbach, Wilkau-Haßlau Gast: Stefan Hartmann, Mitglied im Parteivorstand. Thema: innerparteiliche Debattenkultur


Sachsens Linke! 3/2019

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DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Guter Generationen-Mix DIE LINKE tritt in allen dreizehn Wahlkreisen an. Von Harald Kühne und Reinhard Heinrich

Aber auch die langjährige Sozialberaterin Marianne Gerbert aus Großenhain, der Gewerkschafter Heinz Hoffmann aus Spansberg sowie die Landtagskandidatin und Kreisvorsitzende Uta Knebel aus Riesa warfen erneut ihren Hut in den Ring.

Als Gast wurde unsere Landesvorsitzende Antje Feiks begrüßt. In ihrer Rede benannte sie den Markenkern

zur Diskussion. Antje Feiks verteidigte die Entscheidung des Parteitags, sich auf den Beschluss des Europawahlprogramms zu beschränken. Nicht gänzlich einverstanden waren jedoch viele Anwesende damit, dass der Bundesparteitag sich nicht die Zeit nahm für „Solidarität mit Venezuela“, die aktuelle Russlandpolitik sowie das Thema „Republik Europa“.

Insgesamt haben sich bisher 107 Bewerberinnen und Bewerber für die Städte, Gemeinden und den Kreistag

Foto: Ingolf Brumm

Am 2. März 2019 fand in Meißen unsere Kreiswahlversammlung statt. Nominiert wurden u.a. die Kandidatinnen und Kandidaten für den Kreistag. DIE LINKE tritt mit insgesamt 35 Bewerberinnen und Bewerbern an. Neben bewährten Kommunalpolitikerinnen und -Politikern, wie zum Beispiel Bärbel Heym aus Riesa, Rüdiger Stannek aus Radeburg und Ulrich Keil aus Gröditz, gibt es auch viele neue, vor allem junge Gesichter. Dazu gehören u.a. Karl Sternberger aus Klipphausen, Michael Bauschke aus Thiendorf, Tilo Hellmann aus Meißen, Daniel Borowitzki aus Radebeul und Erik Richter aus Riesa. Die letztgenannten jungen Leute sind auch unsere Kandidaten zur Landtagswahl.

linker Kommunalpolitik. So steht die Partei traditionell für soziale Gerechtigkeit, Bürgernähe und demokratische Mitbestimmung, bezahlbaren Wohnraum und eine optimale medizinische Versorgung auf dem Land. Sie rief uns auf, engagiert in den Wahlkampf zu gehen.

Meißen bereit erklärt, auf den Listen der LINKEN zu kandidieren. Die Zeitdauer zur Auszählung der zahlreichen Stimmzettel wurde zur Diskussion genutzt. Aus aktuellem Anlass kamen einige Aspekte des jüngsten Bundesparteitags in Bonn

Zum letzten Thema wurde ausgesprochen kontrovers diskutiert. Zwischen einem Plädoyer für die Bewahrung in Europa bewährter differenzierter Reproduktionsstrukturen und dem Verweis auf die rücksichtslose Globalisierung des Kapitals und daraus folgender Forderung nach „wenigstens europäisiertem Widerstand dagegen“ gründlich abzuwägen, blieb auch uns keine Zeit. Aber immerhin einen Denkanstoß zwischen unseren Wahlgängen gab uns die Bundespartei. Was wollen wir mehr?

Radebeul gedenkt … … auch in Hohnstein. Von Christine Menz Anlässlich des 74. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz sollte auch der über 140 Opfer gedacht werden, die auf der Burg Hohnstein im „Haftlager“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 und 1934 durch Misshandlungen oder Selbstmord zu Tode kamen. Aber auch an Krieg, Terror und Gewalt in der heutigen Zeit sollte gedacht werden. An dieser Veranstaltung nahmen der Oberbürgermeister der Stadt Radebeul, Herr Wendsche, Bürgermeister von Hohnstein Herr Brade, Mitglied von VVN-BdA Herr Hering, Angehörige ehemaliger Häftlinge wie Michael Röhner, Gabriele Hahn sowie Bürgerinnen und Bürger aus Radebeul sowie Schülerinnen und Schüler des Gymnasium „Luisenstift“ aus Radebeul und des Lößnitzgymnasiums aus

Radebeul teil. Die Gedenkansprache hielten der Radebeuler OB Wendsche, Bürgermeister Brade, Beisitzer Kreistag Weigel und Pfarrer Schleinitz. Musikalisch wurde dies begleitet durch eine Bläsergruppe aus Hohnstein. Im Anschluss wurden am Ehrenmal Blumen niedergelegt. Danach eröffnete der Hohnsteiner Bürgermeister Brade eine Ausstellung zum Hohnsteiner „Haftlager“, welche die Schüler des Radebeuler Gymnasiums Luisenstift erarbeitet hatten. Dabei konnten in offenen Gesprächen Gedanken und Fragen ausgetauscht werden.

liger Häftlinge und Angehörige waren dabei die Grundlagen zur Erarbeitung dieser Ausstellung. Direkter Anlass für diese Forschungsarbeit war die Einrichtung des KZ Hohnstein vor 85 Jahren am 8. März 1933 – ehemals eine Jungendherberge. Die Ausstel-

lung umfasst 20 Tafeln im Foyer des Rathauses der Stadt Hohnstein. Sie ist somit während der Dienstzeiten öffentlich zugänglich und für Wanderer, Bergsteiger und Touristen in der Sächsischen Schweiz rund um den „Brand“ leicht erreichbar.

Schüler einer 10. Klasse haben sich mit dem früheren KZ beschäftigt. Es wurden Namen recherchiert, um Menschen zu finden und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Protokolle und persönliche Aufzeichnungen ehema-

Kreisstadt in Aufbruchsstimmung Meißen kommt aus den Wahlkämpfen nicht raus. Gerade ist eine OB-Wahl recht und schlecht gelaufen – schon tut sich die Frage nach den Stadträten der nächsten Wahlperiode auf. Und – ehrlich gesagt – womit setzt sich der Wähler auseinander, wenn er in der Wahlkabine mit seinem Stimmzettel allein ist? Wohl kaum mit dem Wahlprogramm. Viel eher – mit den Namen auf der Liste. Und da hat DIE LINKE.Meißen

eine klare Ansage gemacht. Voran der junge Vorsitzende, dicht gefolgt von Frauenpower auf Platz zwei. Dann: Der linke Bauunternehmer, den ganz Meißen kennt, weil rechte Dödel ihm eine Flüchtlingsunterkunft im Rohbau abzufackeln versuchten. ZDF und Schweizer Fernsehen haben berichtet. Und gleich noch eine junge Frau vom „bunten Meißen“. Das nennt man „Flagge zeigen“. Und dann ein bewährter Kreis- und

Stadtrat, ebenfalls linker Unternehmer. Nicht zum ersten Male dabei – folglich mit einem Sack voller Erfahrungen. Vierzehn Namen werden präsentiert. Vierzehn Gründe, sich konkrete Menschen „an den Schalthebeln der kommunalen Macht“ vorzustellen. Eine schlagkräftige Truppe – sieht der Wähler. Ein wenig wird er sich vielleicht fragen, warum DIE LINKE ihrem

bisherigen – und über Jahre hoch gelobten – Fraktionschef seine geleistete Arbeit mit einem Platz 9 auf der Liste dankt. Gesundheitliche Gründe wären akzeptabel. Aber das kann man ja im Wahlkampf noch nachreichen. Denn: Wer denkt, hat Fragen. Und unsere Wähler wünschen wir uns denkend. Was sonst? • Reinhard Heinrich


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DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

3/2019 Sachsens Linke!

Gemeinsam für soziale, weltoffene und antifaschistische Politik im Landkreis Bautzen! Der Kreisvorstand berichtet von der Kreiswahlversammlung Auf seiner Kreiswahlversammlung am 2. März in Pulsnitz hat der Bautzener Kreisverband 32 Kandidatinnen und Kandidaten für die Kreistagswahl am 26. Mai 2019 aufgestellt. Gemeinsam wollen wir uns für eine soziale, weltof-

fene und antifaschistische Politik im Landkreis Bautzen engagieren! Des Weiteren wurden zahlreiche Kandidatinnen und Kandidaten für Gemeinden im Landkreis aufgestellt. Insgesamt gehen Kandidatinnen und Kandidaten

für 164 kommunale Mandate für DIE LINKE im Landkreis Bautzen ins Rennen. Bei der Wahl der 2. Priorisierung für die sächsische Landesliste der LINKEN

für die Landtagswahl am 1. September 2019 konnte sich Felix Muster gegen die Mitbewerber Silvio Lang und Heiko Kosel durchsetzen. Marion Junge war bereits im November für die erste Priorisierung gewählt worden.

Rückenwind für fünf Forderungen zur Kita-Betreuung! In Auswertung der Kita-Trägerkonferenz am 14. Februar 2019 gab unsere Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende Marion Junge folgende Erklärung ab: „Ich danke dem Paritätischen Wohlfahrtsverband für die gute Veranstaltung und die konstruktive Diskussion. Unsere Herangehensweise lautet: Bildung ist Menschenrecht. Ein freier und gleicher Zugang erfordert gebührenfreie Bildung von der Kita über Schule und Berufsausbildung bis zur Hochschule. Unser langfristiges Ziel ist ein bundesweit einheitliches Schulsystem. Für die nächsten fünf Jahre sind insbesondere fünf Forderungen wichtig, die von vielen Teilnehmenden unterstützt werden. Erstens muss der Betreuungsschlüssel bis 2024 auf 1:4 in der Krippe, 1:10 im Kindergarten und 1:17 im Hort verbessert werden.

Sorbische Linke führte Vorwahlen durch In den erstmals durchgeführten sorbischen Vorwahlen für einen aussichtsreichen Listenplatz einer/s sorbischen Kandidatin/Kandidaten auf der Landesliste der LINKEN zur Landtagswahl 2019 wurde ich vergangenen Freitag in Lehndorf gewählt. Die sorbische Vorwahl wurde durch die LAG sorbische LINKE unterstützt durch den sächsischen Landesverband der LINKEN organisiert und seit November 2018 in den sorbischen Print- und elektronischen Medien publiziert. Neu war, dass jede/r Sorbin/ Sorbe über 18 Jahre mit Wohnsitz in Sachsen wahlberechtigt war. Kandidieren konnten neben Parteimitgliedern der LINKEN auch Parteilose, sofern sie sich für die Umsetzung einer linken Minderheitenpolitik aussprachen. Erfreulich war, dass am Wahlabend Sorben aus allen Subregionen der Oberlausitz, u.a. aus Bautzen, Göda, Großpostwitz und Rohne, aber auch aus Dresden anwesend waren. Davon

waren etwa ein Drittel Parteimitglieder der LINKEN und zwei Drittel Parteilose bzw. Mitglieder von drei weiteren demokratischen im Sächsischen Landtag vertreten Parteien. Bemerkenswert ist außerdem, dass bei der Vorwahl nicht nur alle Generationen vertreten waren, sondern neben Konfessionslosen auch Angehörige der beiden christlichen Konfessionen. Da-

ran ist erkennbar, dass mit den sorbischen Vorwahlen Demokratiegeschichte geschrieben wurde und das nicht nur für die sorbische LINKE und die Sorben sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Teilhabe und Mitbestimmung von Minderheiten haben einen neuen Impuls erhalten! • Heiko Kosel

Zweitens müssen alle Erzieherinnen und Erzieher, auch die Leiterinnen und Leiter 20 Prozent der Arbeitszeit für Vor- und Nachbereitungszeit anerkannt bekommen – das ist eine Aufgabe für den Doppelhaushalt 2021/22. Drittens muss die Arbeitsleistung von Praxisanleiterinnen und -anleitern mit 4-6 Stunden pro Woche und Fachkraft anerkannt werden. Vierter Punkt ist eine attraktive Erzieher-Ausbildung in Sachsen mit Ausbildungsvergütung und ohne Schulgeld. Fünftens muss stufenweise erreicht werden, dass die Kita-Betreuung für die Eltern kostenfrei wird. Zunächst sollte das Land die Hälfte, die Kommunen 30 Prozent und die Eltern nur noch höchstens 20 Prozent übernehmen. Bisher müssen die Eltern bis zu 30 Prozent der Kosten für einen Platz im Kindergarten oder im Hort übernehmen. Im Krippenbereich ist der Landeszuschuss marginal.“


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Ein Novum, auf das die Partei stolz sein kann Eine „Vorwahl“ in der LINKEN, wie im Vorfeld der US-Präsidentenwahl? Dazu lud die LAG Sorbische Linke/Serbska Lěwica die sorbische Öffentlichkeit am 1. Februar nach Lehndorf ein. Es galt über einen Vorschlag für die Landesliste der LINKEN zur Landtagswahl 2019 zu entscheiden. Die Idee zur „Vor- oder Urwahl“ durch sorbische WählerInnen stellte der Völkerrechtler Prof. Stefan Oeter (Universität Hamburg) im Rahmen eines Symposiums der Linksfraktion im März 2014 in Bautzen vor. Damit ist die Wahl eines/einer linken sorbischen Landtagsabgeordneten durch Platzierung auf einem sicheren Listenplatz durch den Landesvorstand sicherzustellen. Der Vorschlag könnte einen Weg sorbischer Mitbestimmung aufzeigen, um in der Landtagsfraktion ein Minderheitenmandat zu sichern und ein wiederholt erfolgtes „Durchreichen“ des sorbischen Kandidaten auf hintere Plätze zu verhindern. Obwohl dieses „Durchreichen“ formal demokratisch erfolgte, wird es von den Sorben zu Recht als diskriminierend empfunden. Eine verbindliche Regelung ist jedoch nur über eine Änderung des § 43 der Landessatzung zu erreichen. Obwohl die weiterhin aussteht, befürwortete Landesvorsitzende Antje Feiks die ers-

Rechte sorbischer Mitglieder nach § 9 der Bundessatzung und nach § 7 der Landessatzung der Partei DIE LINKE. Zur „Vorwahl“ waren alle interessierten SorbInnen eingeladen.

te „Vorwahl“ vor der LandesvertreterInnenversammlung am 13./14. April. Mit einer großen Anzeige in der sorbischen Abendzeitung Serbske Nowiny wurde das Verfahren Ende November 2018 ausgeschrieben. Einleitend hieß es: „Was aus der Perspektive unseres Volkes vielleicht wie eine Selbstverständlichkeit aussieht, dass der Vorschlag der Sorbischen Linken einen Listenplatz mit guten Aussichten auf ein Mandat erhält, ist diese bei Weitem nicht. Aus diesem Grund wollen wir unseren Kandidaten/unsere Kandidatin für die Wahl des Sächsischen Landtags am 1. September 2019 mit noch größerer Legitimation wählen lassen, als dass das die Mitglieder Serbska Lěwica selbst vermögen.“ Grundlage sind die

Zukunftsfrage Religionen Auf dem Wahlparteitag in Hannover hatte sie sich für kurze Zeit den Weg ins Rampenlicht erkämpft, die Gretchenfrage: Wie soll der Staat mit Religionen umgehen? In der Programmdebatte zur Bundestagswahl 2017 aufgeworfen, wurde sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vom Parteitag unterschiedlich beantwortet. Wenn man Abstimmungen durch den Zeitpunkt der Behandlung entscheiden kann, ist die Kontrolle des Zeitplanes ein sehr undemokratischer Machtfaktor. Das aber nur am Rande. Viel wichtiger ist, wie mit dem Thema umgegangen werden soll. Diese Frage müssen wir als Linke behandeln, da nicht nur über die Migration, sondern auch über die globale Kommunikation verschiedenste religiöse Ideen in unsere Gesellschaft einsickern. Nun kann man sich natürlich inhaltlich mit den Religionen auseinandersetzen und muss dies auch. Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass etwa Glaubensvorstellungen einer mediterranen Hirtenkultur vor ca. 2.000 Jahren, die sich durch Feudalzeit und Absolutismus bewahrt haben, mit heutigen Wirklichkeiten und Werten bisweilen kollidieren. Selbiges lässt sich für jede mir bekannte Religion in ähnlicher Weise feststellen. Deswegen müssen gesellschaftliche Werte jenseits religiöser Systeme durchgesetzt werden, was zu einem säkularen Staatsverständnis führt. Ist das aber genug? Nein. Religionsgemeinschaften organisieren sich, nicht nur zum Zwecke der Ausübung der Religion, sondern auch oft unter materiellen Aspekten. Unterschiedliche Organisationsgrade gehen mit unterschiedlichen Rechten einher.

Als Körperschaft öffentlichen Rechts hat man andere Einflussmöglichkeiten als ein privatrechtlicher Verein. Wird hier nicht gegen den Geist der Gleichberechtigung verstoßen? Immerhin ist es sehr bequem, Mitgliedsbeiträge vom Finanzamt eintreiben zu lassen. Mit gutem Recht könnten nun Hindus, Muslime und Satanisten das verlangen. Bisher ist, zumindest was den Islam angeht, der Hinderungsgrund, dass Muslime keine Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, die mit dem Staat einen Vertrag eingehen könnte. Was aber, wenn sie eine solche bilden? Gleiches gilt für einen Großteil der kirchlichen Privilegien. Bei der Vielzahl der religiösen Ideen dürfte es am Ende eines Wettbewerbs um Einfluss und Privilegien einen unübersichtlichen rechtlichen Wust und verschärfte Konflikte geben. Besser ist es, das Verhältnis zwischen Staat und religiösen Gemeinschaften grundlegend neu zu definieren. Laizismus ist ein lohnender Ansatz. Gleichzeitig muss aber geschaut werden, welche Leistungen die Kirche für die Gesellschaft und welche sie für ihre Mitglieder erbringt. Für welche Leistungen ist eine religiöse Basis nötig, für welche nicht? Staatliche Leistungen müssen, wie in allen anderen Bereich auch, an die konkrete Aufgaben und deren Erfüllung gebunden werden. Eine solche Debatte wird aber nicht einfacher, wenn andere Religionsgemeinschaften für sich bereits kirchliche Privilegien erstritten haben. Diese Debatte muss jetzt geführt werden, will man nicht dem Vorwurf der Diskriminierung Vorschub leisten. • Jens Dietzmann

Anhand von Fragen wie „Was muss ich als Interessent tun, um an der Vorwahl teilzunehmen?“, „Wie läuft diese ab?“, „Werden von mir als Teilnehmer der Veranstaltung Daten erfasst?“ oder „An welche Bedingungen ist eine Vorwahlkandidatur gebunden?“ wurden notwendige Sachverhalte erläutert. Bewerben konnten sich alle zur Landtagswahl aktiv und passiv Wahlberechtigten. Voraussetzungen sind Sorbisches Bekenntnis, Beherrschung der Sprache und der Wille zur sorbischen Interessenvertretung im Parlament. Sie bilden eine Einheit, sind das Alleinstellungsmerkmal jeglicher sorbischen Abgeordneten. Parteilose Bewerber waren ebenfalls willkommen, ihr Bezugspunkt sollte das Wahlprogramm der sächsischen LINKEN sein. Bis zum 18. Januar konnten Interessenten ihre Bewerbung über predwolby@web.de anmelden. Trotz vieler Gespräche lag nur eine einzige Anmeldung vor. 32 Teilnehmer aus allen Regionen der zweisprachigen Oberlausitz, aus Dresden und aus

Leipzig kamen zur „Vorwahl“. Neben 18 in der Sorbischen Linken Engagierten stimmten auch Mitglieder dreier weiterer im Landtag vertretener demokratischer Parteien sowie evangelische und katholische ChristInnen ab. Dass Leute gekommen waren, um unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und Konfession den sorbischen Wahlvorschlag der LINKEN zu legitimieren, ist ein absolutes Novum, auf das die Partei stolz sein kann. Der einzige Bewerber wurde – bei einer Stimmenthaltung – gewählt. Die Nominierung von Heiko Kosel erfolgte, weil es fachlich zurzeit keinen besseren Kandidaten gibt. Hier sind Differenzen zu Teilen der Landespartei vorprogrammiert. Das Ergebnis der „Vorwahl“ sollte jedoch wegen der hiermit bei der sorbischen Minderheit geweckten Hoffnung nach mehr Emanzipation und stärkerer Mitbestimmung von der Landespartei ernst genommen werden. Menschen erst zur demokratischen Teilhabe motivieren und dann deren Ergebnisse nicht anzuerkennen ist ein absolutes No-Go. Auch deshalb ist es dringend geboten, eine Regelung zu einem sorbischen Listenkandidaten in der Landessatzung zu verankern. • Axel Arlt


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Das Lesen der ersten Ausgabe unserer Landeszeitung in diesem Jahr erinnerte mich an Wilhelm Busch. Mit „Ach was muß man oft von bösen Kindern hören oder lesen! ...“ begann dieser seine Verse über „Max und Moritz“. In Ralf Beckers Artikel „Neoliberalismus im Mantel der „LINKEN“ wird dessen Bewertung einiger politischer Positionen von Axel Troost, stellvertretender Parteivorsitzender der LINKEN, zum Besten gegeben. Die Vergleiche und Urteile, die Becker benutzt beziehungsweise fällt, haben es in sich. Axel Troost wird mit „Don Quichote“, „politischer Scharlatanerie“ und „keine wissenschaftliche Gesellschaftserkenntnis“ qualifiziert. Und es geht weiter mit der Einordnung Axels in den „neoliberalen Medienklub“, ihm wird vorgeworfen, er sei „voreingenommen blockiert“, „Beton-Köpfig ...wie zu SED-Zeiten“, er denke wie „Honecker und Co. bis zuletzt“, „treibe den Spaltpilz“ und hätte das „Klassenziel nicht erreicht“. Zusammengefasst entsteht das Bild eines bösartigen Idioten, zu dem im Vergleich „Max und Moritz“ als freundliche Intellektuelle erscheinen. Inhaltliche und methodische Konflikte sind in unserer Partei DIE LINKE nicht ungewöhnlich. Vielmehr ist es so, dass ein Blick auf die letzten drei Jahrzehnte linker Politik in Deutschland immer auch sehr grundsätzliche innerparteiliche Auseinandersetzungen zu Tage fördert. Als Beispiele können die Auseinandersetzungen um unsere Außenpolitik gelten mit dem Parteitag in Münster („Einzelfallprüfung“), die Differenzen zur Frage von Regierungsbeteiligungen und des Verhältnisses der Partei zum Parla-

mentarismus. Die verschiedenen Einschätzungen des Charakters der DDR, des real existierenden Sozialismus und unseres „unwiderruflichen Bruchs mit dem Stalinismus als System“ führten nicht nur anhand diverser Präambeln von Koalitionsverträgen zu innerem Streit. Diese Reihe kann fortgesetzt werden über sozialpolitische Grundhaltungen, die von erwerbsarbeitszentrierten Positionen bis zu denen der GrundeinkommensbefürworterInnen reichen, über die Auseinandersetzungen zur Drogenpolitik, das Verhältnis von Kirche beziehungsweise Religion und Staat und noch einiges mehr. Und in jeder dieser Auseinandersetzungen ging es wenigstens für die Beteiligten um die Identität unserer Partei. Für alle Beispiele lassen sich Geschichten über parteiinterne Es-

Debatte

Widersprüche in der LINKEN Stefan Hartmann, Mitglied des Parteivorstands, reagiert auf Ralf Becker kalationen erzählen, über Kämpfe, Siege, Niederlagen und Kompromisse. In diesen Debatten greifen wir schnell zum ganz großen Kaliber der innerparteilichen Debatten. Wir argumentieren auf sehr grundsätzlichem Niveau, z. B. „keine zweite SPD werden zu wollen“, „unser friedenspolitisches (oder ein jeweils anderes) Alleinstellungsmerkmal“ aufzugeben, eine „Rechtsverschiebung“ zu verhindern und so weiter. Unsere Formelkompromisse sind im Verhältnis dazu dann manchmal überraschend simpel, ob nun z. B. beim Grundeinkommen (es gibt Menschen in der Partei, die ein BGE wollen) oder bei der Haltung zur EU („Neustart der EU“). Aber bisher haben wir alle es dennoch immer wieder geschafft, die diesen Konflikten innewohnenden zentrifugalen Kräfte zu bändigen. Dabei war es selten genug der Fall, dass die AkteurInnen die jeweils andere Seite in der Sache überzeugen konnten. Vielmehr bilden für uns oft Formelkompromisse eine Rückzugslinie, auf die sich bezogen wird, bis die

nächste Eskalation zum Thema eintritt. Wir haben es gelernt, die politische Pluralität der LINKEN zu ertragen, wir halten unsere Differenzen aus! Unsere Mitglieder haben sehr verschiedene politische Biographien, die für ihre politische Identität von Bedeutung sind. Um schlaglichtartig an diese Vielfalt zu erinnern, kann auf die politische Herkunft aus der SED, der PDS, der WASG, der SPD, den Grünen, der DKP und den Piraten, aus K-Gruppen oder aus „trotzkistischen“ Organisationen verwiesen werden. Auf die politische Sozialisation in Gewerkschaften, Friedens-, Frauenrechts-, Bürgerrechts- oder ökologischen Bewegungen oder in Kultur und Wissenschaft. Diese einfache Aufzählung beschreibt bei weitem nicht die oft-

mals spannenden und widersprüchlichen persönlichen Wege in DIE LINKE. Deutlich wird damit jedoch, dass die historische Errungenschaft, in Deutschland eine wahrnehmbare und gesellschaftlich relevante linke Partei – links von SPD und Grünen – erkämpft zu haben, bei weitem keine Selbstverständlichkeit ist. Die immer wieder unsere Debatten, unsere Streite, unsere Konflikte prägenden grundsätzlichen Differenzen sind für uns wesentlich, in diesen kommt unsere Pluralität und damit die Möglichkeit unserer politischen Existenz jenseits immer kleiner werdender Splittergruppen zum Ausdruck. Dies zu ertragen und auszu-

3/2019 Sachsens Linke! halten ist oft genug eine große persönliche Herausforderung, manchmal sogar eine Zumutung – und genau darin liegt eine der wichtigen Leistungen unserer Mitglieder. Nämlich darin, die Differenzen zu ertragen in dem Wissen, dass die Beseitigung der politischen Pluralität unserer Existenz das Fundament entzieht, ohne dass ein anderes gelegt wäre. Und genau deshalb ist Ralf Beckers Artikel inakzeptabel. Seine Karikatur von Axel Troost als honeckerartiger Betonkopf, als neoliberaler Don Quichote und spalterischer Trottel sprengt den Rahmen jeder vernünftigen Auseinandersetzung. Mit diesen Methoden, mit diesem Sound zerlegt man die Partei, bis nur noch sektiererische Bruchstücke bleiben. Daher interessiert es mich, ob der von Becker angeschlagene Ton die Unterstützung der beiden Gruppierungen hat, denen sein besonderes politisches Engagement gilt – nämlich „aufstehen“ und „Liebknecht-Kreis“. Eigentlich kann und möchte ich mir das nicht vorstellen, denn damit wäre diese wichtige politische Debatte beendet, wie die Geschichte von Max und Moritz: „Selbst der gute Onkel Fritze/ Sprach: ,Das kommt von dumme Witze!‘“


Sachsens Linke! 3/2019 Die linksjugend ['solid] Sachsen hat auf ihrem Landesjugendplenum sechs junge Menschen nominiert, die für den Jugendverband auf der Liste von DIE LINKE. Sachsen zur Landtagswahl antreten. Über das Landesjugendwahlprogramm, von diesen sechs jungen Menschen auf Grundlage von LJP-Beschlüssen entworfen, wird Anfang März beim Landesjugendplenum in Olganitz abgestimmt. Das Wahlkombinat, unsere Wahlkampfstruktur, ist bereits heiß gelaufen, um mit viel Material und frischen Ideen eine sommerliche Kampagne führen zu können und insbesondere junge Leute anzusprechen, wie zuletzt bei Regierung Stürzen (2014) und Make Solidarity Great Again (2017). Wir freuen uns sehr darüber, dass auch bei der Listenaufstellung die „Generationengerechtigkeit“ eine Rolle spielen wird – und damit auch die jungen Kandidierenden. Auf geht‘s, ab geht‘s – Landtagswahl, wir kommen!

Jugend

Unsere jungen Kandidierenden! Sachsens Linksjugend hat sechs junge Menschen für die Landtagswahl nominiert ungefähr sind Rassismus, Sexismus und Antisemitismus fest in der sächsischen Bevölkerung verankert. Da hilft auch keine Vorreiterrolle bei den PISAStudien, sagt sie doch nur aus, dass wir Kinder par excellence zu systemkonformen Wesen ausbilden. Zudem ist unser

Kandidaturen für die Plätze bis 20: Anna Gorskih Immer mehr Vereine, Alternative Jugendzentren (AJZ) und kulturelle Angebote stehen aufgrund der Mittelkürzungen vor dem Aus oder können nur mit Mühe erhalten werden. Es muss mehr Geld für Kinder- und Jugendarbeit lockergemacht werden, z. B. durch die Erhöhung der Jugendpauschale für Landkreise und Kommunen, damit es stabile

Strukturen in Stadt und Land gibt. Die Fördertöpfe für Projekte im Bereich Jugend, Bildung, Kultur und Gesellschaft müssen aufgestockt, AJZs, Demokratie- und antifaschistische Projekte sicher finanziert werden. Keine Kriminalisierung des zivilgesellschaftlichen Engagements! Außerparlamentarische Gruppen und Bündnisse, die sich für Antifaschismus und Antirassismus einsetzen, müssen durch die den Abgeordneten zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt werden. Denn Politik machen bedeutet auch, Menschen zu ermutigen, für gutes Leben für sich selbst und für alle anderen zu streiten. Anna, 26, aufgewachsen in Tomsk und in Meißen, hat in Leipzig Politikwissenschaft und Kulturwissenschaften studiert und schließt in Kürze ihr Masterstudium ab. Ihre Lieblingsthemen sind Antifaschismus und Europa. Sie mag lange Spaziergänge, alle Arten von Nagetieren und Brettspiele. Paul Hösler Die Konzeptionierung jeder Bildungspolitik legt den Grundstein für die Gesellschaft, in der wir leben. Nicht von

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Bildungssystem sehr exklusiv: Schon ab der 4. Klasse werden Kinder aus den Klassenverbänden getrennt und ihre Zukunft vorbestimmt, Förderschulen bestehen immer noch neben dem „normalen“ Schulsystem und sind das Gegenteil von Inklusion. Und an Sachsens Hochschulen kommen nur sechs Prozent der Studierenden aus nicht akademischen Haushalten (Bund: 12 Prozent). Die Liste ließe sich fortführen. Wir müssen für eine emanzipatorische Erneuerung im kompletten Bildungssystem streiten – an der Schule, der Berufsschule und der Hochschule! Paul, 27, ist in Borna aufgewachsen, ist staatlich anerkannter Sozialarbeiter und studiert derzeit im Master Sozialpädagogik in Dresden. Seine Hauptthemen sind Bildungs- und Hochschulpolitik. Er war 2006 Deutscher Meister im Karate und trinkt gern Kaffee. Unterstützungskandidaturen: Jakob Müschen Die sächsische Innenpolitik ist so reaktionär wie die CDU. Getrieben von der Hufeisentheorie selbsternannter „Extremismus“-Forscher (ja, Männer) wird linker Protest mit Neonaziaufmärschen gleichgesetzt und damit der Nährboden für spezifische „sächsische Verhältnisse“ geschaffen: Ein Schulterschluss bürgerlicher und radikaler Rassist_innen in dem Bundesland, in dem der NSU untertauchen konnte und die protofaschistische AfD immense Erfolge erzielen kann. Weil wir darauf keinen Bock mehr haben, wollen wir eine radikale Wende in der Innenpolitik, vom Paradigmenwechsel in der Polizei hin zu mehr Demokratie und weniger Hierarchie bis zur Abschaffung des Verfas-

sungsschutzes, dem Alimentierungsnetzwerk für Rechte aller Art. Jakob, 27, geboren in Hamburg, hat einen Abschluss in Politikwissenschaft und lebt seit acht Jahren in Sachsen. Seine Hauptthemen sind Innen- und Gesundheitspolitik. Er mag Punkrock und Camping. Pauline Backemeier Eine Frau wird von ihrem Mann fast täglich verprügelt und sucht Schutz in einem Frauen*haus. Wird leider nix, da kaum Plätze vorhanden sind. Diese Si-

tuationen sind keine Einzelfälle in Sachsen, was auch daran liegt, dass nach 30 Jahren CDU-Herrschaft immer noch zu wenig Geld für antisexistische Projekte da ist. Und das ist nur eines von vielen Problemen. Sexismus ist fest in Politik und Gesellschaft verankert. Darum brauchen wir eine junge, progressive Linksfraktion. Für more feminism & less bullshit im Landtag. Pauline, 20, geboren in Hoyerswerda, studiert an der TU Dresden Sozialpädagogik. Ihr favorite topic ist Feminismus/ Antisexismus. Sie mag Papageien, denn die sind im Gegensatz zur sächsischen CDU toll und bunt. Daniel Peisker Die Dörfer bluten aus, die Städte werden zu voll, die Züge fahren zu sel-

ten und sind ohnehin zu teuer. Sachsen 2019 in aller Kürze. Das muss aber nicht so bleiben! Das, was die Städte in den Augen junger Menschen attraktiv macht (Perspektive, gute & nahe (Aus-) Bildungsmöglichkeiten, schnelle Wege, Party, Kultur and so on) muss auch auf dem Land Einzug halten können. Die Verunmöglichung von Angstzonen und Nazigewalt, das Schaffen von Solidarität und Infrastruktur, die Ermöglichung und Förderung von jugendkulturellem Engagement und vieles mehr, was zum guten Leben für alle gehört – lasst uns gemeinsam daran feilen! Daniel, 22, ist im Muldental aufgewachsen, hat in Meißen studiert und arbeitet als Sachbearbeiter im Bereich Baurecht. Sein Thema ist das Spannungsfeld aus ländlichem Raum, Stadtentwicklung und Mobilität. Er mag Brokkoli, alkoholfreies Sterni und singt in einer Hardcore-Band. Jennifer Trültzsch Die fast 30 Jahre andauernde Sparpolitik der CDU baut an allen Ecken und Enden Demokratie und politische Bildung ab. Auch die allgemeine Politikverdrossenheit ist eine Folge dieses Kurses. Zudem wird nach wie vor 700.000 Menschen ihr Wahlgrundrecht abgesprochen. Gründe, die genannt werden, sind fehlende Staatsbürgerschaft, psychische Behinderungen oder schlicht das Alter. So kann es nicht weitergehen! Politik muss alle Menschen erreichen und einbinden. Dies gelingt beispielsweise durch ein Wahlrecht für alle, durch Jugendparlamente mit realen Entscheidungskompetenzen oder auch durch die Erleichterung der Durchführung direktdemokratischer Entscheidungen. Jenni, 21, ist aufwachsen in Chemnitz, hat ein Fachabitur in Sozialwesen, ihre Themen sind Feminismus, Antirassismus und Mitbestimmung & Demokratie. Sie mag Hunde, Sonnenuntergänge am Meer und lange Radtouren durchs Nirgendwo.


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

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STVO und DSGVO – damit sich nicht der Stärkere durchsetzt

European United Left /  Nordic Green Left European Parliamentary Group

Cornelia Ernst zeigt, was Straßenverkehr- und Datenschutz-Grundverordnung verbindet Um 1900 erobert eine neue Technologie Europa: das Automobil. Unabhängigkeit und Geschwindigkeit sind die Versprechen. Aber der Autoverkehr wächst schneller als die Infrastruktur. Schon bald gibt es erste Probleme, es gibt Unfälle. Für den Straßenverkehr wurden schon kurz nach der Jahrhundertwende Regelungen, Vorschriften und Normen eingeführt. Ziel war zuerst, die Unfallgefahr zu senken, Regelungen zum Ausgleich mit anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgänger, Busse, Straßenbahnen, Züge, Mopeds und Motorräder sowie Fahrräder zu schaffen. Doch es wurden seither nicht nur Regelungen für den Straßenverkehr getroffen, auch die Vorgaben an die Fahrzeughalter nahmen zu: Fahrerlaubnis erwerben, Anschnall-/Gurtpflicht, TÜV-Kontrollen, Umweltplakette, Winterreifenpflicht. Ebenso wuchsen die Anforderungen an die Hersteller, Sicherheit zu gewährleisten.

gibt es aber neue Probleme, denn aus dem WorldWideWeb wird das WildWestWeb. Für den Straßenverkehr wurden über 130 Jahre lang Regelungen entwickelt und eingeführt. Und es gibt immer wieder neuen Bedarf an Regulierung. Auch am Datenschutz wird schon länger gearbeitet: Das erste Datenschutzgesetz galt ab 1970 in Hessen, das erste bundesweite Datenschutzgesetz gab es 1977. Die erste EU-Regelung war die Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG von 1995. Angesichts der technischen Entwicklung ist dringend eine Anpassung auf EU-Ebene nötig. Während internationale Standards und Normen für Technik und Infrastruktur von internationalen Organisationen

wie dem World Wide Web Consortium oder der Internet Engineering Task Force verabredet werden und mit Datenschutz nichts zu tun haben, regelt die Datenschutzgrundverordnung die Rechte der Benutzer. Im Prinzip beruht die neue Regelung auf denselben Säulen wie die Straßenverkehrsordnung: Regeln für alle, Leitplanken und Stoppzeichen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen geschützt werden vor Betrug und Diebstahl, vor Übergriffen wie Mobbing und Hassrede. Das geschieht durch die Ausdehnung der Verbraucher- und Persönlichkeitsrechte. Auch für den Handel gibt es längst Regelungen, die auf die Anforderungen des digitalen Marktes angepasst werden. Dafür wird die rechtliche Rahmensetzung für kommerzielle und soziale Nutzung der Netze auf Betreiberseite geändert.

Das gilt besonders für die digitale Erfassung von persönlichen Daten, die Aufzeichnung von Benutzerverhalten im Web, und für die Weitergabe dieser Daten an Dritte. Wer vom Käufer zum Verkäufer wird, wer sich ein Geschäft aufbauen will, unterliegt Vorgaben. Das ist nicht neu. Aber wer die neuen Technologien des Web 2.0 – soziale Netzwerke, Blogs u. ä. – nutzt, kann schnell vom „User“ zum „Betreiber“ werden, der diesen Regelungen zu Urheberrecht und Datenerfassung unterliegt. Wer in die Öffentlichkeit geht, in der Öffentlichkeit agiert, für den gelten auch gesetzliche Standards. Denn es ist klar: Im Straßenverkehr wie im Netz muss es Regeln geben. Sonst setzt sich nur der Stärkere durch. Video: www.bit.ly/2U6xiyg

90 Jahre später erobert eine neue Technologie Europa: Das Internet wird durch die ersten benutzerfreundlichen Webbrowser zur massenmarkttauglichen Technologie. Unabhängigkeit, Geschwindigkeit, Information sind die Versprechen. Aber der Datenverkehr und die Zahl der Technologien wachsen schneller als die rechtliche Absicherung. Gesetze zum Schutz persönlicher Daten hatten die meisten europäischen Staaten zu dieser Zeit bereits. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung in den 60er Jahren im Finanz-, Versicherungs- und Verkehrssektor und an Universitäten hatte das nötig gemacht. Die Systeme waren nur wenig vernetzt, aber selbst umständliche Bänder als Datenträger speicherten bereits viel mehr maschinenlesbare Personendaten als Papierakten. Mit der rasenden Vernetzung

Studie zeigt Folgen des autonomen Fahrens Verkehrschaos 2.0? Diese Frage war jüngst Gegenstand eines Kommentars im WDR. Der Journalist gelangte anhand von Studienergebnissen der Technischen Universität Wien (blog. wdr.de/digitalistan/autonomfahren) zu einem eindeutigen Ergebnis: Sollte das autonome und vernetzte Fahrzeug in den nächsten Jahren marktbeherrschend werden, würde sich die Situation auf Deutschlands Straßen deutlich verschlechtern. Der Nahverkehr hätte das Nachsehen, schließlich ließe es sich dann auch im Auto bequem arbeiten, lesen oder schlafen. Man bräuchte wohl nicht einmal einen besonderen Führerschein, um sich mit dieser Art von Transportmittel fortzubewegen. Wer sich das leisten kann, würde dann

mit Sicherheit auf lästige Fahrten in engen Bahnen oder gefährliche Touren mit dem Rad verzichten. Der finanzielle Fokus, anhand dessen die Politik ihre Infrastrukturinvestitionen festmacht, läge wohl auf mehr und breiteren Straßen. Alle, die es sich nicht leisten können oder wollen, müssten dann mit wiederum veraltetem öffentlichen Personennahverkehr zurechtkommen oder sich den Platz auf der Straße mit immer mehr Autos teilen, die, dem Trend zu SUVs geschuldet, auch stetig größer werden. Ein Horrorszenario auch für die Umwelt. Schließlich sind die Kraftfahrzeuge in ihrer Herstellung emissionsintensiv und auch ihr Antrieb wird wohl zunächst nicht ohne das Erzeugen schädlicher Gase auskommen.

Wissenschaftler*innen sehen es als realistisch an, dass schon in zwei Dekaden die Majorität der Fahrzeuge ohne Fahrer*in hinterm Lenkrad unterwegs sein wird. Die Ergebnisse des Kooperationsprojektes zwischen Forschungseinrichtungen in Wien und Leeds sehen aber auch Vorteile dieser „Verkehrsrevolution“. Professor Günter Emberger vom Institut für Verkehrswissenschaften sieht u.a. die Chance, dass das Unfallrisiko deutlich minimiert wird und Staus in Zukunft der Vergangenheit angehören. Jedoch gibt er zu bedenken, dass man sich Gedanken über neue Parkraumkonzepte und Lenkungssysteme machen muss. Sein Team und das der anderen beteiligten Unis erstellten bereits Computersimulationen, um

mögliche Szenarien für das künftige Verkehrsaufkommen durchzuspielen. Sie kamen darauf, dass der mit Autos zurückgelegte Weg um bis zu 40 Prozent steigen, der Anteil von Rad- und Fußverkehr gleichzeitig aber um zehn Prozent sinken wird. Somit ist es unwahrscheinlich, dass die Emissionen wesentlich sinken werden. Es offenbart sich: Mit dieser Entwicklung steigen Risiken und Herausforderungen. Dabei sind sowohl die Verbraucher*innen als auch die Umwelt wichtige Faktoren, welche bei jedweden Projekten in Betrachtung gezogen werden müssen. In diesem Falle werden sie die Verlierer sein. • Frederic Beck


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Landesfrauenrat hat neuen Vorstand Turnusgemäß wurde am 19. Januar 2019 nach vier Jahren der neue Vorstand des Landesfrauenrat Sachsen e.V. gewählt. Der Landesfrauenrat Sachsen e.V. ist der Dachverband sächsischer Frauenverbände, Frauenvereine, Fraueninitiativen und Frauenvereinigungen sowie Gleichstellungsinitiativen in ganz Sachsen. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen. Ziele sind Chancen- und Lohngerechtigkeit, die aktive Mitsprache von Frauen, die Stärkung Alleinerziehender, die Schließung der Rentenlücken von Frauen, Anerkennung der Vielfalt von Lebensentwürfen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Landesfrauenrat strebt eine reale Chancengleichheit und die Gleichstellung von Frau und Mann an. Die alte und neue Vorsitzende, Rechtsanwältin Susanne Köhler, hatte in ihrem Rechenschaftsbericht Rückblick auf die geleistete Arbeit gehalten. Neben den traditionellen Aktionen wie dem Internationalen Frauentag am 8. März, dem Equal Pay Day und dem Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am 25. November wurden viele neue Akzente gesetzt. So die jährliche Verleihung des Engagementpreises, die Teilnahme an Messen wie Karrierestart und der Alleinerziehenden-Messe,

die Ausrichtung des Treffens der Landesfrauenräte Deutschlands im Jahr 2017 in Dresden sowie die Initiierung des Projektes „frauenorte sachsen“.

Schon zwölf Stelen weisen sachsenweit auf engagierte Frauen hin, die in ihrer Zeit viel für die Emanzipation erreicht haben. Besondere Höhepunkte in der Wahlperiode waren die Sächsische Frauenwoche im November

Mehr Kampf für Inklusion Am 26. März 2009 ist in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Dieses Übereinkommen „markiert in der Geschichte des Behindertenwesens einen historischen Wandel, der in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann.“ (Lindmeier, 2008). Seit zehn Jahren gilt es, diese Konvention auch in Deutschland zur Geltung zu bringen. Sämtliche Bundesund Ländergesetze müssen im Sinne dieser Konvention ausgelegt oder gar neu geregelt werden. Damit dies in Sachsen gewährleistet wird, gibt es einen Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention. Der 6. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderung in Sachsen steht noch aus. Mensch darf aber jetzt schon gespannt sein, was sich gegenüber dem letzten Bericht von 2014 zum Besseren für die Menschen mit Behinderung getan hat. Des Weiteren ist dieses Jahr auch die Staatenprüfung in Deutschland fällig. Ein Parallelbericht wird dazu von der Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention des Institutes für Menschenrechte eingereicht werden. Die LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik erwartet diese demnächst

vorliegenden Ausführungen mit Spannung. Wenn Mensch sich so in Sachsen umhört, dann kann man den Eindruck gewinnen: Es geht voran, allerdings sehr langsam und für Menschen mit Beeinträchtigung auch oft viel zu langsam. An manchen Stellen wird allerdings auch regelrecht blockiert. Menschenrechte sind und waren nie von selbst dahergelaufene Rechte, sie mussten und müssen immer wieder neu erstritten werden. Lassen wir es nicht zu, dass Menschen mit Behinderung so lange um ihre uneingeschränkten Rechte streiten müssen wie leider manch andere Menschen und Menschengruppen in der Geschichte der Menschheit. Zehn Jahre sind schon eine sehr lange Zeit. Der Kampf um Inklusion und Teilhabe muss weitergehen, denn „Die Menschenrechte beginnen, wo die Vorurteile enden.“ (Marie Joseph de Motier, Marquis de La Fayette) An Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen mangelt es leider immer noch nicht. Inklusion und Teilhabe beginnt im Kopf und im Herz. • Susann Schöniger, Sprecherin LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik

2018, bei der unter dem Motto „Gewalt beginnt nicht mit Schlägen“ über 70 Veranstaltungen mit großem Medieninteresse in Sachsen stattfanden,

und die am Vortag stattgefundene Festveranstaltung zu 100 Jahren Frauenwahlrecht im Sächsischen Landtag. Emanzipatorische Kämpfe verbinden! Mit diesem Motto stellte MdL Sarah

Buddeberg (DIE LINKE) sich bei der Vorstandswahl des Landesfrauenrat Sachsen als Vertreterin der LAG LISA Sachsen vor und wurde mit einem tollen Ergebnis gewählt. Hier eine kurze Vorstellung der Vorstandsfrauen: Vorsitzende: Susanne Köhler (Deutscher Juristinnenbund, Landesverband Sachsen e.V.) Stellvertretende Vorsitzende: Dagmar Neukirch, SPD, MdL (ASF – Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Landesverband Sachsen) und Kerstin Körner (Frauen Union, Landesverband Sachsen) Schatzmeisterin: Ines Fabisch (Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten Sachsen) Beisitzerinnen: Dr. Heidi Becherer (AG der DGB-Frauen Sachsens), Elke Blaubach (Sozialverband VdK Sachsen e.V.), Jessica Bock (Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.), Prof. Dr. Breitkopf (Deutscher Akademikerinnenbund e.V., Regionalgruppe Dresden), Sarah Buddeberg, MdL (LISA Sachsen – Frauenarbeitsgemeinschaft der Partei DIE LINKE. Sachsen), Dr. phil. Gesine Märtens (Landesarbeitsgemeinschaft Geschlechterpolitik Bündnis 90/ DIE GRÜNEN in Sachsen) • Heiderose Gläß


Kommunal-Info 2-2019 5. März 2019

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

Bürgerhaushalte Newsletter der Stiftung Mitarbeit beleuchtet Bürgerhaushalte Seite 2

Wohnbauflächen Informationspapier zu Flächen für bezahlbares Wohnen Seite 4

Wohnraum nachhaltig Impulspapier zum nachhaltigen Bauen Seite 4

Kommunale Stiftungen Eine Stiftung ist allgemein eine Vermögensmasse, die ein Stifter aufgrund eines Rechtsgeschäfts einem Dritten zuwendet und festlegt, dass ihr Ertrag zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks zu verwenden ist. Sie kann entweder aus Geld, unbeweglichen oder beweglichen Sachen oder Forderungen bestehen. Häufig verbergen sich hinter Stiftungen aber Einrichtungen, die mit Hilfe der Vermögensmasse einen vom Stifter festgelegten Zweck verfolgen. Dabei soll das Vermögen auf Dauer erhalten werden, sodass die mit der Stiftung Begünstigten in den Genuss der Erträge kommen, die das Vermögen abwirft. Im Unterschied zu einer Spende, die unmittelbar entsprechend dem Willen des Spenders zur Erfüllung des von ihm festgelegten Zwecks verausgabt werden kann, ist eine Stiftung dem Wesen nach auf Dauer angelegt. Die vom Stifter eingebrachte Vermögensmasse bleibt grundsätzlich unangetastet, nur der Ertrag aus ihr wird entsprechend dem Willen des Stifters eingesetzt. Das Sächsische Stiftungsgesetz (SächsStiftG) unterscheidet Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 12), Kommunale Stiftungen (§ 13) und Kirchliche Stiftungen (§ 14).

Kommunale Zuständigkeiten

In § 94 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) unter dem Titel „Örtliche Stiftungen“ wird erfasst, welche Stiftungen in die kommunale Zuständigkeit fallen. Danach gilt § 94 für die rechtlich unselbstständigen örtlichen (kommunalen) Stiftungen, die von einer Gemeinde, einem Landkreis oder einer anderen Institution (Verwaltungsverband, Zweckverband) verwaltet werden. Zugleich gilt diese Re-

gelung für die örtlichen rechtsfähigen Stiftungen, die von einer Kommune betreut werden. Als wesentliches Merkmal einer kommunalen Stiftung wird in den Stiftungsgesetzen und den Gemeindeordnungen aller Bundesländer genannt, dass der Zweck der Stiftung zum Aufgabenbereich einer kommunalen Gebietskörperschaft, also der Gemeinde, kreisfreien Stadt, dem Landkreis oder eines Gemeindeverbandes gehört. Das können freiwillige Aufgaben der Kommune (z.B. Schwimmbad oder Jugendclub) oder weisungsfreie Pflichtaufgaben (z.B. Schulen oder Kindergärten) sein. Als Beispiele für zulässige Stiftungszwecke werden u.a. genannt der Ertrag soll einkommensschwachen Einwohnern zu Gute kommen, mit dem Stiftungsertrag sollen kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen gefördert werden, die Erträge sollen für gemeinnützige Zwecke im Gemeindegebiet verwendet werden, die Stiftungserträge dienen der Begabtenförderung, die Erträge sollen den Betrieb eines Kinderhorts finanzieren. „Diese Zwecke müssen sich nach den örtlichen Gegebenheiten auch tatsächlich erfüllen lassen. Ein über das Gemeindegebiet hinausgehender Effekt ist allerdings nicht ausgeschlossen, wenn noch der örtliche Bezug vorhanden ist. So kann z.B. auch ein auswärtiger Künstler oder Schriftsteller einen Preis erhalten, wenn er beispielsweise ein ortsbezogenes Kunstprodukt herstellt oder eine geschichtliche Begebenheit aus der Gemeinde schildert. Auch der überörtliche Einzugsbereich einer gemeindlichen Einrichtung kann eine solche Außenwirkung rechtferti-

gen.“1 Der traditionell häufigste Stiftungszweck „Soziales“ wird von kommunalen Stiftungen besonders oft gefördert, 45 Prozent der kommunalen Stiftungen widmen sich sozialen Zwecken. Soziale Aufgaben sind auch ein zentraler Bereich der freiwilligen Selbstverwaltung einer Kommune. Zudem gibt es unter den kommunalen Stiftungen besonders viele alte Stiftungen, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung neben kirchlichen Zwecken nur sozialen Zwecken dienen durften. Als weitere bedeutende Stiftungszwecke kommunaler Stiftungen werden Kunst und Kultur mit 19 Prozent und Bildung und Erziehung mit 15 Prozent genannt.2 Im Unterschied zur kommunalen Stiftung werden Bürgerstiftungen stets als Gemeinschaftsstiftungen von mehreren Personen oder Organisationen errichtet. Die Aktivitäten der Bürgerstiftungen sind jedoch ebenfalls lokal begrenzt. Typisch ist, dass sie dabei eine große Vielfalt von Zwecken für die Weiterentwicklung der eigenen Gemeinde oder Region verfolgen, während die kommunalen Stiftungen dagegen meist einen spezifischen gemeinnützigen Zweck haben, der vor Ort verwirklicht wird. Die rechtsfähigen kommunalen Stiftungen sind in Deutschland regional sehr unterschiedlich verteilt. Die meisten kommunalen Stiftungen gibt es in Bayern (507), gefolgt von Niedersachsen (154) und Baden-Württemberg (153). Unter den ostdeutschen Bundesländern steht Sachsen (57) an der Spitze vor Sachsen-Anhalt (30), Thüringen (17), Brandenburg (12), Mecklenburg-Vorpommern (10). Sachsen liegt aber auch noch vor Hessen (54) und gemessen an der Einwohnerzahl

auch vor Nordrhein-Westfalen (92). Warum sich die regionale Verteilung der kommunalen Stiftungen unterscheidet, lässt sich allein aufgrund vorliegender Daten und Erkenntnisse einer Stiftungsstudie nicht sagen. Vermutlich könne die historische Entwicklung ebenso eine Rolle spielen wie die politischen und administrativen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern.3

Nicht rechtsfähige Stiftungen

Bei nicht rechtsfähigen (rechtlich unselbstständigen) Stiftungen ist die Kommune juristisch Eigentümer des Stiftungsvermögens. Dieses Vermögen fällt nach § 91 Abs. 1 Nr. 2 SächsGemO wie ein Eigenbetrieb unter kommunales Sondervermögen. Die Kommune ist jedoch bei der Verwaltung und Verwertung an die Auflagen des Stifters gebunden. Auch kann für den Fall der Nichterfüllung oder dem Wegfall des von ihm bestimmten Zwecks der Stifter ein Rückforderungsrecht festlegen. Nicht rechtsfähige Stiftungen können öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet werden, meistens aber in privatrechtlicher Gestalt, wo der Stifter in der Regel durch ein privatrechtliches Rechtsgeschäft (z.B. Schenkung, Vermächtnis, Erbeinsetzung) der Kommune als Körperschaft des öffentlichen Rechts Geld- oder Sachvermögen mit der Maßgabe übereignet, dieses (Stiftungs-)Vermögen auf Dauer zu erhalten und die Vermögenserträge regelmäßig entsprechend dem Stifterwillen für einen Zweck im Aufgabenkreis der Kommune zu verwenden. Nicht rechtsfähige Stiftungen werden auch als „fiduziarische“ (auf Treu und Glauben anvertraute) StifFortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 2/2019

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Erfahrungen und Bilanz zu Bürgerhaushalten Der eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 01/2019 vom 25.01.2019 der Stiftung Mitarbeit steht unter dem Titel „Vom Bürgerhaushalt über das Bürgerbudget zum Finanzreferendum? Was Politik von Stuttgart und Zürich über Bürgerbeteiligung lernen kann.“1 Die partizipative Budgetplanung gelte hinsichtlich der Fallzahlen als die erfolgreichste informelle Beteiligungsform der letzten Jahrzehnte. Keine habe sich weltweit schneller verbreitet. Kein informelles Verfahren erreiche höhere Beteiligungszahlen. Insofern sei es wichtig, dass sich die Kommunalpolitik mit dieser Form der Bürgerbeteiligung befasse. Es deute sich an, dass

dann viele Menschen erreicht werden können, wenn die Ergebnisse der Beteiligung von Gewicht für den politischen Entscheidungsprozess sind. Wer als Politiker/in Bürgerbeteiligung ernst meine, sollte sich an Verfahren orientieren, die mit einfachen Mitteln viele Menschen erreichen.

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körperschaft zuständigen Organen. Die rechtlich selbstständigen Stiftungen des öffentlichen Rechts entstehen durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes durch Verleihung der öffentlichen Rechtsfähigkeit auf der Grundlage des Stiftungsaktes des Stifters. Sie haben ausschließlich öffentliche Zwecke zu verfolgen und stehen mit der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft (Gemeinde, Landkreis) in einem organischen Zusammenhang. Die Bildung ist der Stiftungsbehörde zur Eintragung in das Stiftungsverzeichnis mitzuteilen. Rechtsfähige kommunale Stiftungen haben zur Regelung ihrer Angelegenheiten ein eigenes Satzungsrecht. Die Satzung wird vom Gemeinderat/Kreistag beschlossen und wird wie die übrigen Satzungen öffentlich bekanntgemacht. Die Kommune selbst kann jedoch nur die Frage regeln, welches Organ zuständig ist. Bei rechtlich unselbstständigen Stiftungen ist der Entscheidungsraum der Gemeinde größer. „Hat die Stiftung eigene Organe, dann kann der Bürgermeister mit seinem Weisungsrecht sicherstellen, dass diese Organe in allen Angelegenheiten abgestimmt mit der Gemeinde handeln. Der Gemeinderat kann sich vorbehalten, in welchen Fällen er selbst über Weisungen beschließt.“5 Rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts kommen durch Stiftungsgeschäft des Stifters zustande. Die Stiftungsbehörde (Landesdirektion6) anerkennt die Rechtsfähigkeit der Stiftung und genehmigt auf diese Weise das Stiftungsgeschäft. Das Stiftungsgeschäft ist eine einseitige Willenserklärung über die Errichtung der Stiftung. Grundlage dafür kann ein einseitiges oder vertragliches Rechtsgeschäft unter Lebenden oder ein Testament oder Erbvertrag sein. Rechtlich selbstständige Stiftungen müssen eine Satzung mit dem in § 81 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) festgelegten Mindestinhalt haben: den Namen der Stiftung, den Sitz der Stiftung, den Zweck der Stiftung, das Vermögen der Stiftung, die Bildung des Vorstands der Stiftung. Fehlt eine Satzung, dann kann die Stiftungsbehörde den Stifter oder den Antragsteller zum Erlass einer Satzung oder zu deren Vervollständigung auffordern. Kommt das nicht zustande, kann die Stiftungsbehörde selbst die Satzung erlassen oder ergänzen. Der Vorstand vertritt die Stiftung gerichtlich und außergericht-

... Stiftungen tungen bezeichnet. Für nicht rechtsfähige Stiftungen gilt § 94 SächsGemO, die Bestimmungen des SächsStiftG sind hier indes nicht anzuwenden. Bei nicht rechtsfähigen Stiftungen legt der Stifter in der Stiftungsurkunde fest, welche kommunalen Organe die Stiftung verwalten und welche Aufgaben dieselben haben. Auch weil das SächsStiftG keine Anwendung findet, müssen keine besonderen Stiftungsorgane bestellt werden, sofern der Stifter dies nicht ausdrücklich fordert. Der Gemeinderat/Kreistag kann seinerseits einen Stiftungsbeirat bilden, der vor allem über die Verteilung der Stiftungserträge entscheidet. Im Übrigen nehmen die zuständigen kommunalen Organe die Vertretung und Verwaltung der Stiftung wahr. Intern sollte die Kommune diese Befugnisse weitgehend auf die Ämter und deren Sachbearbeiter delegieren, sofern es sich nicht um ganz grundlegende Fragen der Stiftung handelt.4 Der Gemeinderat/Kreistag hat über die Annahme der Stiftung zu entscheiden, ein Satzungsbeschluss ist jedoch nicht zwingend.

Rechtfähige Stiftungen

Für die rechtsfähigen (rechtlich selbständigen) kommunalen Stiftungen gelten nicht nur die Bestimmungen von § 94 SächsGemO. Hier gilt ebenfalls das SächsStiftG. Darin heißt es in § 13 „Kommunale Stiftungen“: Kommunale Stiftungen sind Stiftungen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts, deren Zweck im Rahmen der jeweiligen kommunalen Aufgaben liegt und nicht wesentlich über den räumlichen Bereich der kommunalen Gebietskörperschaft hinauswirkt. Kommunale Stiftungen des öffentlichen Rechts entstehen durch den Satzungsbeschluss der kommunalen Gebietskörperschaft und die Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig durch die Stiftungsbehörde. Die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks aus den Erträgen des Stiftungsvermögens muss gesichert erscheinen. Die Vertretung und Verwaltung der kommunalen Stiftungen obliegt, soweit nicht durch Satzung etwas anderes bestimmt ist, den für die Vertretung und Verwaltung der kommunalen Gebiets-

Beteiligungsformen beim Haushalt

Formelle (rechtlich vorgeschriebene) Beteiligung oder informelle (freiwillige) Bürgerhaushalte sammeln Anregungen zum Haushaltsplan. Bei der informellen Variante werden die Ideen zusätzlich oft online, vor Ort oder auf

Papier diskutiert und priorisiert. Ideen können hierbei von den Bürger/innen, aber auch von Verwaltung oder Politik stammen und Themen wie die Entschuldung fokussieren. Bei der partizipativen Haushaltsplanung können grob drei Formen unterschieden werden: Bürgerhaushalt, Bürgerbudget, Finanzreferendum.2 Bei den informellen Kiezfonds können Bürger/innen und Initiativen Ideen einbringen und ein – oft per Zufall besetztes – Bürgergremium entscheidet über die Verteilung kleinerer Budgets in einem Sozialraum oder Stadtteil. Beim Bürgerbudget, das Stadtteile oder die gesamte Kommune betreffen kann,

wird die Verteilungsaufgabe, das Bürgergremium durch eine Priorisierung mittels Quasi-Plebiszits, also einem Bürgerentscheid über mehrere Themen, ersetzt. In allen Fällen prüft die Verwaltung die Zulässigkeit der Vorschläge. Formell bleibt der Gemeinde- oder Stadtrat verantwortlich. Das formelle Finanzreferendum, das bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in einigen Kantonen und Kommunen der Schweiz sowie der US-Bundesstaaten genutzt wird, ist das einzige Verfahren, bei dem die Stimmberechtigten anstelle des Rates einzelne Haushaltsfragen ent-

lich. Für die Geschäftsführung des Vorstands gelten nach § 84 BGB die Bestimmungen des Vereinsrechts entsprechend. Rechtsfähige kommunale Stiftungen öffentlichen wie bürgerlichen Rechts sind eigene juristische Personen und sind als solche Rechtsträger und Vermögenseigner. Die Gemeinde handelt bei ihrer Verwaltung lediglich treuhänderisch im Namen und für Rechnung der Stiftung. Deshalb stellen solche rechtlich selbstständigen Stiftungen kein Sondervermögen dar, sondern sind nach § 92 SächsGemO als Treuhandvermögen zu behandeln. Im Unterschied zum Sondervermögen der rechtlich unselbständigen Stiftungen, das rechtlich unselbständiges Vermögen im Eigentum der Gemeinde ist, handelt es sich beim Treuhandvermögen im kommunalwirtschaftlichen Sinne um die Vermögensmasse im Eigentum eines Dritten. Hier ist der Gemeinde lediglich die eigenverantwortliche Verwaltung anvertraut, sie ist nicht zivilrechtliche Eigentümerin dieses Vermögens.

die Gemeinde in Betracht. Dabei ist aber der Grundsatz des § 94 Abs. 4 zu beachten: Gemeindevermögen darf nur im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Gemeinde und nur dann in Stiftungsvermögen eingebracht werden, wenn der mit der Stiftung verfolgte Zweck auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Eine Aufhebung der Stiftung nach Verbrauch des gesamten Stiftungskapitals sollte nur die allerletzte Lösung sein.7 AG —

Probleme beim Niedrigzins

In Zeiten längerer Niedrigzinsen können solche Stiftungen in Schwierigkeiten geraten, die ganz oder überwiegend aus Geldvermögen bestehen. Das tritt ein, wenn die Erträge so stark sinken, dass sie unter Umständen nur noch die Kosten oder gar nur teilweise decken. Ehe die Kommune aber auf die Aufhebung der Stiftung hinwirkt, sollte sie versuchen, den Stiftungszweck mit anderen Maßnahmen zu sichern. Das Einwerben von Spenden wäre eine Möglichkeit, eine andere wäre, durch Benefizveranstaltungen einen Erlös für den Stiftungszweck zu erzielen. Gegebenenfalls müsste die Ertragsausschüttung für einige Zeit ausgesetzt werden, um nicht das Stiftungskapital aufzuzehren. Auch könnte die Anlagenstrategie überdacht werden und z.B. der Erwerb von Beteiligungen an Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen ins Auge gefasst werden. Diesem „Aktivtausch“ müsste allerdings der Stifter zustimmen. Unter Umständen böte sich auch an, die Stiftung mit einer verwandten zu fusionieren und dann beide gemeinsam die Zielsetzung realisieren. Wenn der Stiftungszweck eine ganz besonders wichtige gemeindliche Aufgabe erfüllt, käme auch eine vorübergehende Bezuschussung durch

Fortsetzung auf Seite 3

1 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, G § 94, Randnummer (Rn) 17. 2 Vgl. ebenda, Rn 26f. 3 Vgl. Kommunale Stiftungen in Deutschland. Bestandsaufnahme, Chancen und Herausforderungen (StiftungsStudie), Herausgeber: Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V., Berlin, September 2013, S. 21ff; www.stiftungen.org/fileadmin/bvds/ media/Kommunale_Stiftungen_Studie_Druckversion.pdf 4 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, G § 94, Rn 11. 5 Ebenda, G § 94, Rn 30. 6 Die Landesdirektion Sachsen als Stiftungsbehörde führt eine Übersicht über die Kommunalen Stiftungen bürgerlichen Rechts, abzurufen unter www.lds. sachsen.de/kommunal21 7 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, G § 94, Rn 77.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 2/2019

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Fortsetzung von Seite 2

... Bürgerhaushalte scheiden. Den kommunalen Räten werde empfohlen, Mut zum Experimentieren zu zeigen. Den Landesparlamenten sei zu raten, die Gemeindeordnungen mit Experimentierklauseln anzureichern, um die institutionelle Vielfalt zu fördern. Partizipative Verfahren sollten zudem schlank angelegt werden und gute Schnittstellen zu bestehenden demokratischen Institutionen wie Rat und Verwaltung besitzen. Nur dann sei zu erwarten, dass sie dauerhaft genutzt werden.

Erfolgsindikatoren

Die Häufigkeit der Nutzung eines informellen partizipativen Verfahrens, also die Zahl der Fälle (im Zeitverlauf) kann Auskunft über die Akzeptanz des Verfahrens in Politik und Verwaltung geben, da diese zumeist entscheiden, ob ein Bürgerhaushalt als Instrument genutzt wird. Hier laute die These: Je häufiger ein Verfahren eingesetzt werde, desto höher ist die Akzeptanz. Von Beteiligungsverfahren erwarten Politik und Verwaltung, dass möglichst viele Menschen zumindest aber auch sonst Inaktive erreicht werden. Ziel ist eine breite Beteiligung. Die Zahl der Aktiven kann als Indikator für die Akzeptanz in der Bevölkerung dienen. Je höher die Beteiligungsquote (also die Anzahl der Aktiven geteilt durch die Zahl der Bevölkerung oder der Zielgruppe) desto erfolgreicher ist das Verfahren. Entsprechendes gilt für die Aktivität im Verfahren: Viele Vorschläge je Einwohner/in oder Bewertungen je Teilnehmer/in können als Indikator für die aktivierende Wirkung des Vorgehens und die Qualität der Abläufe gelten.

Anzahl der Bürgerhaushalte

Weltweit haben mehrere tausend – in Deutschland rund 300 – Kommunen ihre Bevölkerung informell an der Haushaltsplanung beteiligt. Angesichts von rund 10.000 deutschen Kommunen mag dies wenig erscheinen, aber verglichen mit anderen Verfahren der Beteiligung wie etwa der Planungszelle ist dies viel. Bemerkenswert ist die zeitliche Ent-

wicklung. Auf eine Phase langsamen Wachstums und Stagnation bei Bürgerhaushalten (ohne Budget, oft gefördert von Stiftungen) von 1998 bis 2009 folgt ein starkes Wachstum von 2010 bis 2013 mit einem ebenso starken Rückgang bis 2017. Viele Kommunen haben ihre Versuche mit dem Argument mangelnder Beteiligung beendet. Mit dem Quartiersfonds 2002, Kiezfonds ab 2003 und Bürgerbudgets ab 2009 entstanden neue, erfolgversprechende Modelle, die die sinkende Zahl der Bürgerhaushalte zunehmend ausgleichen. Aus dem zeitlichen Verlauf kann gefolgert werden: Verfahren mit einem vorher festgelegten Budget für die Umsetzung von Vorschlägen (Bürgerbudget) könnten sich als erfolgreicher erweisen als Bürgerhaushalte ohne festes Budget. Einige Kommunen bieten bei informellen Bürgerhaushalten nur ein Online-Vorschlagsformular (Plettenberg), manche geben zusätzlich einen Überblick über den Haushaltsplan (Kamen) bisweilen mittels eines interaktiven Haushaltsplans oder sogar eines Haushaltsrechners (Leipzig). Bei diesen Varianten ist die Resonanz eher gering und die Beteiligungsprozesse werden oft rasch wieder eingestellt. Die geringe Beteiligung sollte aber nicht auf mangelndes Interesse, sondern auf das Verfahren zurückgeführt werden. Es ist festzustellen, dass Verfahren dann eine geringe Beteiligung haben, wenn die Aussicht auf Umsetzung der Vorschläge gering ist, wenn die „Informationskosten“ hoch sind, also der Aufwand sich zu informieren, um mitwirken zu können, wenn nur eine aufwändige Beteiligungsform vorgesehen ist. Vorschläge formulieren ist aufwendiger als Vorschläge zu kommentieren oder zu bewerten. Wird nur das aufwendige „Vorschläge formulieren“ angeboten, machen weniger Menschen mit, als wenn Vorschläge bewertet werden sollen.

Anzahl der Aktiven

Die Anzahl der teilnehmenden Personen ist ein weiterer Erfolgsindikator bei der Bewertung von Bürgerhaushalten. Einige Kommunen erreichten hier

2016 beeindruckende Werte. Bei Großstädten über 500.000 Einwohnende aktivierte Stuttgart mittels eines vorschlagsorientierten Bürgerhaushalts mit einer Bewertungsphase mit 52.000 oder 9 % der Bevölkerung die meisten Menschen, auch im internationalen Vergleich. Paris erreichte 8 %, Lissabon 5 %, New York und Madrid je 2 %, alle mit einem festen Budget. Köln oder Bonn erreichten, auch mit einem zuletzt eingeführten Bürgerbudget, nur weniger als 1 % und eignen sich damit nicht als Vorbild. Frankfurt und Hamburg hatten ihre Versuche wegen mangelnder Beteiligung eingestellt. In deutschen Städten mit 100.000 bis 500.000 Einwohnenden erreichte Potsdam 7 % (mit einem aufwendigen und komplexen Verfahrensmix aus Bürgerversammlungen, Online-Dialogen, zwei Bewertungsphasen, einer Redaktionskonferenz und Umfragen), in der Gruppe mit 10.000 bis 100.000 Einwohnenden Kleinmachnow 11 % und in Kommunen unter 10.000 Einwohnende Ketzin (Havel) 24 % der Bevölkerung. Die beiden letztgenannten nutzen ein Bürgerbudget. Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass es mit den Finanzreferenden ein weiteres partizipatives Verfahren für die Haushaltsplanung gibt. Im Kanton Zürich unterstehen beispielsweise Entscheidungen dem obligatorischen (vorgeschriebenen) Referendum, die zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen. Beschlüsse des Kantonsrates – das entspricht in Deutschland einem Landtag – über neue einmalige Ausgaben von mehr als 6 Millionen Franken und neue wiederkehrende Ausgaben von jährlich mehr als 600.000 Franken unterliegen dem fakultativen (zu beantragenden) Referendum. Die Beteiligungsquoten bei den bis zu 9 Finanzreferenden pro Jahr im Kanton Zürich liegen seit 1869 bei 22 bis 83 Prozent und damit um den Faktor 10 höher als bei den informellen deutschen Bürgerhaushalten. Hinsichtlich der Beteiligungsquoten sind Referenden damit die erfolgreichsten Verfahren. Befürworter anderer Verfahren werden die mangelnde deliberative Qualität (das Abwägen von Argumenten) bei diesem Verfahrens anführen. Hierbei wird allerdings vergessen, dass es im

Vorfeld der Abstimmung intensive und oft von der Bevölkerung selbst organisierte Informationskampagnen und Dialoge gibt. Überdies loten Verwaltung und Politik im Vorfeld aus, was umsetzbar ist, etwa in Bürgerversammlungen. Zudem wird mit einem Abstimmungsbüchlein meist gut informiert. Deliberative (abwägende) Verfahrensbestandteile von Bürgerhaushalten wie Redaktionskonferenzen in Berlin-Lichtenberg, auf denen Bürgervorschläge von einem oft gewählten oder gelosten Gremium redaktionell überarbeitet und zusammengefasst werden, erreichen nur wenige Menschen, auch bei einer Zufallswahl grenzen sie angesichts geringer Rückläufe Menschen aus. Hohe Beteiligungszahlen seien nur mit Bewertungs- oder Abstimmungsverfahren zu erreichen. Eine auf Argumentation beruhende Beteiligung schließe viele Menschen aus und besser gebildete seien bevorteilt. Abstimmungsorientierte Verfahren würden hingegen kaum Menschen ausschließen, da nahezu alle einen Vorschlag bewerten können, und sei es aus dem Bauch heraus.

Quartiersfonds und Bürgerbudgets

Eine neuere Variante der Bürgerhaushalte beschränkt sich auf die Verteilung eines vorher festgelegten Geldbetrags ohne nach den Einnahmen zu fragen. Das erste derartige Modell wurde 2002 in 17 Berliner Sanierungsgebieten als Quartiersfonds seitens der Senatsverwaltung eingeführt und damit das Programm „Soziale Stadt“ ausgedehnt. Je Sanierungsgebiet wurde 1.000.000 DM bereit gestellt, dies sind rund 35 Euro je Einwohner/in im Sanierungsgebiet. Einige Bezirke griffen dieses Modell als Kiezfonds auf. Einzelpersonen oder Initiativen können dabei Geld für gemeinnützige Projekte beantragen. Ein Bürgergremium, bestenfalls (zum Teil) per Zufallswahl besetzt, entscheidet in Abstimmung mit dem Sanierungsrat oder dem Bezirksamt, was umgesetzt wird. Hier kommen zwei Innovationen zusammen: Gremien durch Zufallswahl besetzen und ein vorher festgelegtes Budget oder alternatives Bürgerparlament plus Haushaltsplan im Kleinen. Besonders erfolgreich ist die Variante des Bürgerbudgets, bei der zum festen Budget eine Priorisierung der Vorschläge durch eine Bewertung der Vorschläge durch die Bevölkerung hinzukommt per Papier, online oder vor Ort an einem Abstimmungstag. Die Verwaltung oder eine Redaktionskonferenz prüfen lediglich die Zulässigkeit. Mit Bürgerbudgets werden oft mehr Menschen erreicht als beim Bürgerhaushalt. In Ketzin (8.000 Einwohner/ innen) wurden so 24 % der Bevölkerung erreicht mit einem Bürgerbudget von 8 EUR je Einwohner/in. Zum Vergleich: In Madrid wurden so etwa 32 EUR je Einwohner/in verteilt und in Paris 50 EUR. — 1

Zu beziehen unter www.mitarbeit.de Häufig werden aber alle diese Beteiligungsformen unter dem Sammelbegriff „Bürgerhaushalt“ geführt. 2


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Flächen für bezahlbares Wohnen mobilisieren

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und die Kommunen wollen enger kooperieren. Ziel ist es, möglichst schnell entbehrliche bundeseigene Flächen für den Wohnungsbau zu mobilisieren. Dafür haben die BImA sowie der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag ein gemeinsames Informationsschreiben unterzeichnet. Mit der Wohnraumoffensive haben es sich der Bund, die Länder und die Kommunen zum Ziel gesetzt, dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu begegnen. Die BImA und die Kommunen wollen deshalb möglichst schnell Flächen mobilisieren, um bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zu schaffen. Eine wichtige Aufgabe nehmen die Kommunen wahr. Aufgrund ihrer Planungshoheit schaffen sie die planungsrechtlichen Grundlagen für den Wohnungsbau und die damit zusammenhängende Infrastruktur.

Einen weiteren wichtigen Beitrag leisten dafür die für Bundeszwecke entbehrlichen Grundstücke im Eigentum der BImA, dem zentralen Immobilienunternehmen des Bundes. So können Kommunen oder kommunale Wohnungsbauunternehmen diese Flächen erwerben und darauf neuen Wohnraum schaffen. Oder es können gemeinsame Projekte von BImA und Kommunen auf diesen Liegenschaften realisiert werden. BImA will auch eigene Wohnungsbauvorhaben umsetzen Darüber hinaus plant die BImA, eigene Wohnungsbauvorhaben im Rahmen der Wohnungsfürsorge für die Unterbringung von Beschäftigten des Bundes umzusetzen und dadurch ebenfalls zu einer Entlastung angespannter Wohnungsmärkte beizutragen. „Das Informationsschreiben dient dazu, den Städten, Landkreisen und Gemeinden das Verfahren zum beschleunigten und verbilligten Kauf von Bundesimmobilien aufzuzeigen, um möglichst schnell

neuen Wohnraum zu schaffen“, erläutert Paul Johannes Fietz, Vorstandsmitglied der BImA. „Wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden damit einen weiteren Beitrag zur Wohnraumoffensive leisten und darüber hinaus unsere gute Zusammenarbeit noch weiter vertiefen können.“ Gemeinsam Wohnungsbau erleichtern „Wir unterstützen gemeinsam die auf dem Wohngipfel im Herbst 2018 beschlossene ,Gemeinsame Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Kommunen‘. Es geht darum, den Wohnungsbau zu erleichtern, dem Mangel an Bauland zu begegnen und den Anstieg von Preisen bei Bauland, Baukosten und Mieten zu dämpfen. Dafür ist eine enge Kooperation von BImA und Städten, Landkreisen und Gemeinden überaus hilfreich“, sagen die Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, des Deutschen Landkreistages, Prof. Dr. Hans-Günter

Nachhaltig Wohnraum schaffen

reichen haben Kommunen eher geringe Einflussmöglichkeiten. Hier greifen Gesetze und Verordnungen, die nur durch den Bund und die Länder beeinflusst werden können. Dennoch gibt es für Kommunen eine Reihe von Handlungsoptionen. In dem Papier werden u.a. konkrete Vorschläge für ein erfolgreiches Handeln auf kommunaler Ebene unterbreitet, darunter technische Maßnahmen zu ökologischen Standards an Gebäuden sowie konkrete Informationen und Hilfestellung für Wohnungsnutzer, wie z.B.: Haus- und Wohnungsbesitzenden sollten aktuelle Informationen über relevante Förderprogramme für die energetische Sanierung zur Verfügung stehen. Darüber hinaus können Kommunen im Rahmen ihrer Möglichkeiten eigene Beratungs- und Förderprogramme entwickeln. Die Bereitstellung personeller Ressourcen zur Unterstützung von eige-

nen Projekten oder Projekten Dritter ist wichtig. Dazu zählen beispielsweise: der Ausbau von Mietermodellen (z.B. Modell der Warmmiete oder Mieterstromgesetz), der Aufbau von genossenschaftlichen Modellen oder die Förderung von alternativen Wohnprojekten, neuzeitlichen Wohnformen und Modellprojekten unter Berücksichtigung des demografischen Wandels. Eine kontinuierliche Einbeziehung und Sensibilisierung von Mieterinnen und Mietern zu energierelevanten Themenstellungen sollte ebenfalls fest etablierter Baustein bei allen Vorhaben sein, insbesondere um Rebound-Effekte2 zu minimieren. Hier braucht es geschultes Personal sowie zielgruppenspezifische Materialien wie mehrsprachige, einfach verständliche Nutzerunterlagen zu allen relevanten Themenstellungen. Hierbei ist die Kooperation mit Wohnungsbaugesellschaften und Mieterverbänden von

Der Ruf, in Deutschland schnell zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wird aktuell immer lauter. Dies sollte möglichst verantwortungsvoll und im Sinne der nachfolgenden Generationen geschehen, denn nachhaltig Bauen heißt immer auch, Stadtund Lebensraum für viele Jahrzehnte schaffen. Welche entscheidende Rolle hierbei die Beibehaltung und Beachtung energetischer Standards spielt, zeigt das aktuelle Impulspapier „Nachhaltig Wohnraum schaffen: Energetische Standards und Klimaanpassung in Neubau und Bestand konsequent umsetzen“ des Arbeitskreises Kommunaler Klimaschutz unter Regie des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU).1 In vielen energetisch relevanten Be-

Henneke, und des Deutschen Städteund Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg. Vergünstigungen durch neue Verbilligungsrichtlinie In dem Informationsschreiben werden die wesentlichen Verbesserungen der neuen Verbilligungsrichtlinie (VerbR 2018) beim Verkauf von bundeseigenen Flächen an Kommunen vorgestellt. Hierzu zählt zum Beispiel ein Preisnachlass in Höhe von 25.000 Euro je neu geschaffener Sozialwohnung im Geschosswohnungsbau. Zudem gibt es für die Städte, Landkreise und Gemeinden jetzt auch die Möglichkeit, verbilligt erworbene Liegenschaften ohne Rückzahlung des Preisnachlasses an private Dritte weiter zu veräußern, wenn diese sich verpflichten, den Verbilligungszweck zu erfüllen. In dem Informationsschreiben wird darüber hinaus erläutert, wie die BImA den Wert von Liegenschaften ermittelt. Auch das angewendete Wertermittlungsverfahren, das den üblichen Gepflogenheiten auf dem Immobilienmarkt entspricht, wird genauer dargestellt. Mehrere Millionen Euro Preisnachlass möglich Werden die Voraussetzungen gemäß der Verbilligungsrichtlinie erfüllt, kann die BImA den Kommunen bei einem direkten Erwerb von entbehrlichen Grundstücken des Bundes Vergünstigungen auf den Kaufpreis gewähren. Diese können im Einzelfall mehrere Millionen Euro ausmachen. Zudem existiert mit der neuen Verbilligungsrichtlinie keine Kappungsgrenze mehr. Der Abschlag beim Kaufpreis eines Grundstückes von 25.000 Euro pro neu geplanter Sozialwohnung kann sich bis zur Höhe des Gesamtkaufpreises addieren. Das 7-seitige gemeinsame Informationspapier beinhaltet folgende Punkte (1) Wohnraumoffensive (2) Beitrag der BImA (3) Verkaufsverfahren (4) Verkehrswertermittlung (5) Wertanpassungsklausel und kann abgerufen werden unter: www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles /2018%20-%202019/Wohnraumoffensive/gemeinsames_Informationsschreiben_final.pdf großer Bedeutung. Eine Energieberatung durch Kommunen, teilweise in Kooperation mit Institutionen und Verbänden wie z.B. Verbraucherzentrale oder Caritasverband, ist wichtig für die Aktivierung von Mieterinnen und Mietern und Gebäudeeigentümern. Kommunen können aufsuchende Energieberatung in Quartieren anbieten oder organisieren und relevante Akteure einbeziehen. — 1 Das Impulspapier kann abgerufen werden unter: https://difu.de/publikationen/2019/impulspapier-nachhaltig-wohnraum-schaffen-energetische. html 2 Rebound-Effekt werden in der Energieökonomie mehrere Effekte bezeichnet, die dazu führen, dass das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen nicht oder nur teilweise verwirklicht wird.


März 2019

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport

Ein Fall fürs Verfassungsgericht

Liebe Leserinnen und Leser,

Es ist wohl das heißeste Eisen, das den Landtag vor der Wahl im September noch beschäftigen wird: das verschärfte Polizeirecht. Ursprünglich wollten CDU und SPD ihr „Polizeivollzugsdienstgesetz“ und ihr „Polizeibehördengesetz“ im März-Plenum beschließen. Doch das dürfte sich um mindestens einen Monat verschieben. Denn die Rechte der Opposition wurden im Gesetzgebungsverfahren nicht beachtet.

hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Regelungen zur automatisierten Kennzeichenerkennung in den Polizeigesetzen Bayerns, BadenWürttembergs und Hessens teilweise verfassungswidrig sind. Das hat auch Konsequenzen für den sächsischen Entwurf. Der sächsische Innenausschuss beschloss auch einen Anhörungstermin für den 12. März – allerdings nur zum Thema Bodycam.

Es geht natürlich nicht nur um Bundesbehörden. Selbst der Ostbeauftragte der Bundesregierung spricht von „Unwucht“. Es ist eine Illusion, dass sich die Unterrepräsentanz Ostdeutscher im Selbstlauf erledigen würde. Das zeigen die Fakten: Alle Universitätsrektorate sind „in Westhand“, in Wirtschaft und Wissenschaft ist die Ost-Repräsentanz teilweise sogar rückläufig. Bei seiner Kabinettsumbildung hat Sachsens (!) Ministerpräsident Kretschmer sieben Menschen neu berufen – darunter zwei Ostdeutsche. Natürlich darf auch ein Mensch aus Bayern in Sachsen Karriere machen und umgekehrt. Es ist aber offensichtlich, dass kein Ausgleich auf Gegenseitigkeit stattfindet. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass bei gleicher Eignung Bewerberinnen und Bewerber zum Zuge kommen, deren Einstellung der regionalen Unterrepräsentanz entgegenwirkt. Die derzeitige „Unwucht“ ist menschengemacht: Es waren die gnadenlose Abwicklung von allen, die als „staatsnah“ im Sozialismus abgestempelt wurden, und die Treuhand-Privatisierung, die ostdeutsches Volksvermögen in westdeutsche Hände gab. Hinzu kommt die Vertreibung einer jungen Generation aus vielen Regionen des Ostens, etwa durch niedrige Löhne. Insofern ist die „Ost-Quote“ auch eine Frage der Wiedergutmachung.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

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auch nach 30 Jahren gibt es extrem wenige Ostdeutsche in Leitungsfunktionen. Auch in Sachsen wird deshalb eine „Ost-Quote“ diskutiert. Das Grundgesetz sagt zum Beispiel klar: Menschen aus den Bundesländern müssen in den Bundesbehörden angemessen berücksichtigt werden. Diesem Verfassungsauftrag wird der Staat nicht gerecht.

Wie das? Die Regierungsfraktionen hatten sich Anfang Februar auf Änderungen an ihren Gesetzentwürfen geeinigt. Die Polizei-Beschwerdestelle, die bisher beim Innenministerium angesiedelt ist, soll in die Staatskanzlei wandern. Doch auch das macht sie nicht zur unabhängigen Anlaufstelle für die Bevölkerung sowie die Beamtinnen und Beamten. Dafür müsste sie zum Landtag gehören. Auch sollen Bodycams, also Körperkameras an den Polizeiuniformen, bald flächendeckend eingesetzt werden. Das inhaltliche Problem bei alledem ist, dass die Grundrechte gefährdet bleiben und die SPD kaum etwas durchsetzen konnte. Das praktische Problem: Ihren „Kompromiss“ brachten CDU und SPD als 26-seitigen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf ein, und zwar einen Tag (!) vor den Ausschuss-Sitzungen. Die Landtagsverwaltung hat sich der Rechtsauffassung der Linksfraktion angeschlossen, dass ein solches Hauruck-Verfahren höchstwahrscheinlich die Rechte der Opposition verletzt. Vor einer Beschlussfassung müssen erneut Sachverständige zu den neuen Inhalten gehört werden. Das hat die Linksfraktion auch beantragt. „Seit Monaten streiten CDU und SPD – und nun wollen sie extrem kurzfristig weitreichende Änderungen an dem sehr komplexen Gesetzeswerk vornehmen. Wir sind der Auffassung, dass dazu eine erneute Sachverständigenanhörung notwendig ist“, so Klaus Bartl, der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion. Außerdem

„CDU und SPD ist Schnelligkeit wichtiger als Rechtssicherheit. Dabei geht es um komplexe Fragen und teils tiefe Grundrechtseingriffe. Parlamentarische Kraftmeierei ist unangemessen“, kritisiert der LINKE Innenpolitiker Enrico Stange. Die Linksfraktion wird

nun prüfen, ob das Anhörungsrecht per Organklage vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof zu erstreiten wäre. Wohlgemerkt: Dabei geht es zunächst „nur“ um Verfahrensfragen. Doch auch die Inhalte des Polizeirechts dürften zumindest teilweise verfassungswidrig sein. Die Landesregierung verlangt einen hohen Preis von der Bevölkerung, ohne tatsächlich mehr Sicherheit zu schaffen. Sie verlagert polizeiliche Befugnisse ins Vorfeld konkreter Gefahren. So geraten alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht. Ins Visier kommen Personen, bei denen „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in absehbarer Zeit eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen werden“ – ein GummiParagraf. Im Rechtsstaat aber haben alle als unverdächtig und unschuldig zu gelten, solange nicht begründete Tatsachen belegen, dass eine Person rechtswidrig gehandelt hat. Die bloße Annahme einer Polizeibeamtin oder eines Polizeibeamten reicht nicht! Sollte dieses neue Polizeirecht wie nun geplant im April beschlossen werden, strebt die Linksfraktion folglich ein Normenkontrollverfahren vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof an. Ziel ist und bleibt es, die Verfassungsmäßigkeit dieser und weiterer neuer polizeilicher Eingriffsbefugnisse überprüfen zu lassen.

Zweiter Brief an die Menschen in Sachsen Wer nicht „Keine Werbung“ an den Briefkasten geklebt hat, sollte Anfang Februar den Bürgerbrief des LINKEN-Fraktionschefs Rico Gebhardt erhalten haben. Er wendet sich an alle erreichbaren Haushalte in Sachsen: „Wer das möchte, soll bequem von Zuhause aus mitteilen können, wie sie oder er sich ein besseres Leben vorstellt.“ Zudem listet Gebhardt Forderungen auf: ein Landeskindergeld für Haushalte mit geringem Einkommen, kostenfreie Kita-Betreuung, längeres gemeinsames Lernen, mehr staatliches Engagement im Pflegesektor, mehr frei

verfügbares Geld für die Kommunen und mehr Volksentscheide. Er plädiert für Kooperation statt Konfrontation, auch gegenüber Russland, und fordert dazu auf, Grenzen einzureißen – zwischen Arm und Reich, Ost und West, Stadt und Land. Antworten auf den Brief sind willkommen – per E-Mail an vorsitzender[at]linksfraktionsachsen.de oder per Post unter dem Kennwort „Bürgerbrief“ an die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Bernhard-vonLindenau-Platz 1, 01067 Dresden.


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PARLAMENTSREPORT

März 2019

Veralbert

Etwa 700.000 Menschen in Sachsen sind arm oder von Armut bedroht. Laut dem Pestel-Institut, das sich auf Daten der Deutschen Rentenversicherung beruft, erhielten Ende 2017 fast 70.000 Menschen weniger als 600 Euro Altersrente. Es besteht Handlungsbedarf. Allerdings: Versprechen ohne Grundlage führen zu neuer Enttäuschung. Und Befragungen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung zwar gut findet, was die SPD vorschlägt – ihr aber nicht wirklich zutraut, sich durchzusetzen. „Die SPD hat mal wieder links geblinkt, hängt aber noch hinter dem Schwerlaster CDU fest. Ein Überholmanöver ist nicht erkennbar, ist die SPD doch in der ,GroKo‘ gefangen“, findet auch LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt.

Niemand darf im Alter arm sein, schon gar nicht nach jahrzehntelanger Arbeit im Job oder in der Familie. „Deshalb stehen wir seit Jahren für eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro netto im Monat. Auf die gesetzliche Rentenversicherung muss Verlass sein“, so Schaper. Altersarmut ist vor allem die Folge von Armut im Erwerbsleben – zuvörderst müssen also die Löhne steigen.

Grundrente, wenn alle, die ein Einkommen erzielen, dafür Rentenbeiträge entrichten. Und zwar auch für Einnahmen aus Kapitalvermögen, aus Miete und Verpachtung. Dafür muss die „Beitragsbemessungsgrenze“ weg. Denn sie sorgt dafür, dass der Rentenbeitrag nur bis zu einem monatlichen Bruttoeinkommen von 6.700 Euro im Westen und 6.150 Euro im Osten berechnet

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„Da müssen sich viele doch veralbert vorkommen.“ So urteilt LINKEN-Sozialpolitikerin Susanne Schaper über den SPD-Vorschlag einer „Grundrente“ von 900 Euro. „Die SPD regiert seit Jahren im Bund mit und hat dazu beigetragen, die gesetzliche Rentenversicherung zu schwächen. Jetzt will sie auf einmal Lebensleistungen würdigen.“ Schaper denkt etwa an diejenigen, die seit fast 30 Jahren darauf warten, dass es in Ost und West für die gleiche Arbeit die gleiche Rente gibt. Oder an diejenigen, die im Niedriglohnsektor schuften, ohne Aussicht auf ein Leben ohne Geldsorgen. Oder an diejenigen, die der Propaganda für private Vorsorgemodelle gefolgt sind und weniger Geld herausbekommen werden als sie eingezahlt haben. Oder an diejenigen, denen die „Rente mit 67“ einen Großteil ihrer Rentenansprüche geklaut hat. Oder an diejenigen, die in der Hartz IV-Falle sitzen und keinerlei Rentenansprüche erwerben, oder die mit Abschlägen zwangsverrentet worden sind.

SPD-Chefin Andrea Nahles Die Landesregierung sollte über das Vergabegesetz (siehe unten) Druck für höhere Löhne machen und im Bund für einen höheren Mindestlohn streiten. Auch sollte sie sich dafür einsetzen, dass gut Betuchte stärker zum Gemeinwesen beitragen. Die gesetzliche Rentenversicherung kann allen ordentliche Ansprüche sichern, auch oberhalb der

wird. Wer mehr hat, darf sich darüber freuen, dass jeder Euro oberhalb dieser Grenze von Sozialabgaben verschont bleibt. „Wenn breite Schultern mehr tragen müssten, wäre die gesetzliche Rentenversicherung gerettet“, so Schaper. Dafür kämpft die Linksfraktion weiter – gemeinsam mit allen, die wirklich wollen, dass sich etwas ändert.

Soll Sachsen Niedriglohnland bleiben?

Das Parlament kann nicht einfach beschließen, dass die Leute mehr verdienen sollen. Aber der Staat kann vorangehen – indem er seine Beschäftigten ordentlich entlohnt und Aufträge nur an Unternehmen vergibt, die es ebenso halten. Das ist eine Kernforderung des Entwurfs der Linksfraktion für ein sozial-ökologisches Vergabegesetz (Drucksache 6/13914). Es muss Schluss sein mit dem ruinösen

Kampf ums billigste Angebot. In Vergabeverfahren sollen auch diejenigen eine Chance haben, die trotz guter Arbeit bisher keine Chance hatten, weil nur der Preis für die öffentliche Hand ausschlaggebend war. Vergabeentscheidungen sollen künftig auch von sozialen, umweltbezogenen oder innovativen Aspekten abhängen. Dazu zählen Tariftreue und weitere Arbeitsbedingungen, Umweltverträglichkeit, die ILO-Kernarbeitsnormen, Gleichstellung und Ausbildungsaktivität. Die Linksfraktion schlägt auch ein an den Tarifvertrag für den öffentlichen

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Im März wird der Landtag entscheiden müssen: Macht der Freistaat Druck für höhere Löhne oder findet sich die Regierung weiter damit ab, dass Sachsen Niedriglohnland ist? Im Osten bekommen fast ein Drittel der Beschäftigten nur 2.000 Euro brutto im Monat oder weniger. In Sachsen ist es noch schlimmer: 37 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten haben weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns. Nur 43 Prozent der Beschäftigten werden nach Tarif bezahlt. Die Folgen: Abwanderung, Fachkräftemangel, Armut trotz Arbeit.

Dienst der Länder angelehntes Mindestentgelt und gezielte Mittelstandsförderung vor. Etwa Brandenburg und Thüringen sind da schon weiter. Im Wirtschaftsausschuss haben CDU und SPD die Forderungen bereits vom Tisch gewischt. „Die Hilflosigkeit der Koalition ist mit Händen zu greifen. Diese Regierung bekommt es nicht hin, Sachsen ein zeitgemäßes Vergabegesetz zu geben, obwohl sie das versprochen hat“, kritisiert Klaus Tischendorf, gewerkschaftspolitischer Sprecher der LandtagsLINKEN. „Die SPD muss sich entscheiden, was ihr wichtiger ist: Ziele wie ein modernes Vergabegesetz oder die Koalition mit der CDU.“ Mehr als 90 Prozent der öffentlichen Aufträge werden derzeit direkt vergeben, ohne fairen, transparenten Wettbewerb. Die Landesregierung nimmt es hin, dass viele, die den wachsenden Wohlstand erarbeiten, nicht von ihm profitieren. Das wollen wir ändern!

Wählen trotz Behinderung und Betreuung! Es ist eine historische Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Menschen dürfen nicht länger pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden, wenn sie in allen ihren Angelegenheiten betreut werden oder wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Damit ist der §13 des Wahlgesetzes teilweise verfassungswidrig. Er lautet bislang: „Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist […] 2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; […] 3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.“ 2013 betraf das nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts 82.220 Menschen. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht könne zwar verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, „wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht.“ Es müsse aber eindeutig geregelt werden, auf wen das zutrifft. Hintergrund ist eine Verfassungsbeschwerde Betroffener aus dem Jahr 2014. Horst Wehner, Sprecher der Linksfraktion für Inklusion, freut sich sehr über das Urteil. „Das Gericht bekräftigt damit unsere Position.“ Allerdings komme die Entscheidung für die Wahlen in diesem Jahr zu spät. „Die derzeitige Praxis der pauschalen Wahlrechtsausschlüsse widerspricht Verfassung und Völkerrecht. Die Bundesländer Bremen, Hamburg und NordrheinWestfalen haben diese Praxis bereits selbst für Kommunalwahlen und Wahlen auf Landesebene überwunden. Wir erwarten, dass nun in Bund und Land der UNBehindertenrechtskonvention entsprechend gehandelt wird – zugunsten des Wahlrechts betreuter Menschen!“ Nun sei die Regierung in Berlin gefordert. Doch auch Sachsens Regierungskoalition sei gefordert, Menschen mit Behinderung zu ihren Rechten zu verhelfen. Da bestehe nicht nur im Wahlrecht Handlungsbedarf. Die Linksfraktion bezweifelt allerdings, dass CDU und SPD, die knapp viereinhalb Jahre nach der letzten Wahl immer noch nicht ihr vereinbartes Inklusionsgesetz auf die Reihe gebracht haben, bis zum Herbst damit zum Ziel kommen.


März 2019

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Eine Versicherung, die ihren Namen verdient 1995 wurde die gesetzliche Pflegeversicherung eingeführt. Sie ist wichtig, hat aber entscheidende Konstruktionsfehler. Erstens deckt sie nur einen Teil des Pflegerisikos ab. Die Leistungen wachsen nicht mit den Kosten – nun explodieren die Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Im Seniorenzentrum „Alte Zwirnerei“ bei Stollberg zum Beispiel werden seit Februar nicht mehr „nur“ 1.372 Euro, sondern 1.686 Euro fällig. Überall im Land sollen Angehörige bis zu 700 Euro mehr im Monat zahlen. Wer kann sich das im Osten leisten? Hauptberuflich Pflegende leiden derweil unter miserablen Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung. In Sachsen erhielt die Hälfte der Altenpflegekräfte 2017 nur 2.050 Euro brutto im Monat oder sogar weniger. Zweiter Geburtsfehler: Die Pflegeversicherung ist nicht sozial gerecht finanziert. Wer viel verdient, darf sich zum Teil der Beitragspflicht entziehen. Die „Beitragsbemessungsgrenze“ liegt bei reichlich 4.500 Euro brutto im Monat – wer mehr hat, muss für alles Einkommen, das darüber liegt, keinen Pflegebeitrag zahlen. Also zahlt jemand mit 10.000, 20.000 oder 100.000 Euro Einkommen im Monat genauso viel wie jemand, der 4.500 Euro verdient.

so gewollt, dass die dringenden Maßnahmen gegen den Pflegenotstand allein von den Familien bezahlt werden. Die Regierung hat es so gewollt, dass immer mehr Menschen zum Sozialamt müssen, obwohl sie oft ihr Leben lang gearbeitet und Beiträge bezahlt haben.“ Die Sozialhilfeträger zahlten 2017 für Hilfen zur Pflege fast 77 Millionen Euro. Die Linksfraktion will die Pflegeversicherung zur Vollversicherung ausbauen. Das heißt, dass alle Leistungen, die im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit erbracht werden, von den Pflegekassen übernommen werden. Die Leistungen müssen dynamisiert werden. Finanziert werden kann das, wenn alle – also auch Beamtinnen und Beamte, Selbstständige und Abgeordnete – einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze soll entfallen. Alle Einkommen – ob aus Arbeit, Kapitalvermögen oder Miete und Pacht – sollen in voller Höhe verbeitragt werden. Wer viel hat, zahlt viel. Wer wenig hat,

Die Vollversicherung würde die Kostenverteilung ändern, weniger die Kostenhöhe. Denn die Leistungen, ob ambulant oder stationär, werden schon heute erbracht – allerdings zahlen die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen einen Großteil der Zeche. Klar ist auch: Verbesserungen im Pflegebereich, etwa bessere Tarifabschlüsse, sind nötig. Das aber steigert die Kosten. Also muss die Beitragsbasis breiter werden. Es kann sein, dass der Pflegebeitrag dennoch in geringem Umfang weiter steigen muss, was bei einem Durchschnittseinkommen einen niedrigen zweistelligen Betrag im Monat ausmacht. Dafür bekämen wir aber alle Planungssicherheit und wären vor horrenden Eigenanteilen geschützt. Pflegebedürftigkeit, die uns alle jederzeit treffen kann, darf niemanden mehr zum Sozialfall machen!

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Bis 2030 steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in Sachsen um etwa 20 Prozent auf 250.000. Das Finanzierungsproblem wird größer. Die Pflegeversicherung aber sichert weder die Pflegebedürftigen noch die Beschäftigten ausreichend ab. „Das müsste sie aber, um ihren Namen zu verdienen“, findet Susanne Schaper, Sozialund Gesundheitspolitikerin der Linksfraktion. „Die Regierung hat es

zahlt wenig. Und wer kein Einkommen hat, zahlt nichts. Für all das soll sich die Landesregierung auf der Bundesebene einsetzen (Drucksache 6/16466).

Winzige Schritte zum modernen Petitionswesen Wer in Sachsen etwas auf dem Herzen hat, das eventuell politisch gelöst werden könnte, kann sich an den Petitionsausschuss des Landtages wenden. Dort werden Bitten oder Beschwerden, aber auch Gesetzesänderungsvorschläge, -beanstandungen und -anregungen bearbeitet. Erfahrungen zeigen allerdings, dass das Gremium die Erwartungen vieler Petenten nicht erfüllt. Das liegt einerseits daran, dass viele Anliegen vorgebracht werden, denen auf parlamentarischem Wege nicht abzuhelfen ist. Wer etwa Probleme mit einer Steuerprüfung hatte oder einen Rechtsstreit führt(e), kann wenig Hilfe erwarten. Denn der Petitionsausschuss ist, wie der Landtag, den Gerichten gegenüber nicht weisungs- oder kontrollbefugt. Andererseits scheitern viele Petenten an der Tatsache, dass der Petitionsausschuss entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt ist. Wer ein Anliegen vorbringt, das die Regierungskoalition ablehnt, wird sich schwerlich durchsetzen. Das Petitionsrecht stammt aus dem Jahr 2008 und muss modernisiert wer-

den. 2016 wurden 485 Petitionen eingereicht, 396 vom Petitionsausschuss behandelt. Allerdings konnte nur 37 Petitionen abgeholfen werden; in 359 Fällen – fast 75 Prozent – nicht. 2017 setzte sich der Abwärtstrend fort. 526 Petitionen erreichten den Landtag. In 71 Prozent der Fälle beschloss der Ausschuss mehrheitlich: „Der Petition kann nicht abgeholfen werden.“ Seit Jahren waren nur etwa 30 Prozent der Petitionen ganz oder teilweise erfolgreich. Das ist unbefriedigend. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten in der Regel nur eine gesetzlich begründete Ablehnung. Anstatt zu versuchen, im Sinne der Petenten optimale Lösungen zu finden, werden oft parteipolitische Spielchen gespielt. Das frustriert. Der Petitionsausschuss sollte bürgerfreundlicher, transparenter und öffentlicher arbeiten. Jetzt hat der Ausschuss dazu Eckpunkte beschlossen. „Die Schritte sind wichtig, aber überschaubar und kurzfristig – nicht weniger, aber auch nicht mehr“, kritisiert Marion Junge, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Petitionsausschuss. So soll die Landtagsverwaltung stärker

und auch in sorbischer Sprache über die Arbeit des Ausschusses informieren und ein datenschutzrechtliches Musterformular für Massenpetitionen anbieten. Es gibt auch keine Zeichenbegrenzung für online eingereichte Petitionen mehr. „Wir bleiben aber dabei: Das Petitionsgesetz und die Geschäftsordnung des Landtages müssen geändert werden, sonst ist keine ernsthafte Reform denkbar“, fordert Kerstin Lauterbach (DIE LINKE), die dem Petitionsausschuss vorsitzt. Wie im Bundestag sollte es möglich sein, Petitionen öffentlich zu behandeln. Wie in Thüringen sollte es einen Härtefallfonds zur Unterstützung bei Notfällen geben, wenn eine besondere wirtschaftliche Notlage besteht. Der Landtag sollte ein/e Bürgerbeauftragte/n wählen, Massen- und Sammelpetitionen sollten auf Wunsch der Petenten öffentlich angehört werden. Die Staatsregierung sollte auch umfassender berichten müssen, wie sie mit abgeschlossenen Petitionen umgegangen ist. Wir sind gespannt, wie sich die Regierungsfraktionen dazu verhalten werden.

Landesgesellschaft für schnelles Internet gründen Es gibt zwar ein Landesamt für Straßenbau und Verkehr, aber bei den Datennetzen, dem wichtigsten Verkehrsträger unserer Zeit, glauben die Verantwortlichen im Freistaat immer noch daran, dass es Investoren schon irgendwie richten werden. Damit betreibt auch Wirtschaftsminister Dulig Realitätsverweigerung – es reicht nicht, nur an den FördermittelStellschrauben zu drehen. Denn so bleibt Sachsen auch auf lange Sicht von einem flächendeckenden Breitbandausbau auf dem Stand der Technik weit entfernt. Die Linksfraktion fordert deshalb in einem aktuellen Antrag, eine Landesgesellschaft für den flächendeckenden Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen einzurichten (Parlaments-Drucksache 6/16711). Denn dabei handelt es sich um einen fundamentalen Bestandteil der Daseinsvorsorge. Entsprechend verlangen wir des Weiteren, dass sich die Staatsregierung im Bundesrat für einen Rechtsanspruch auf Versorgung mit schnellem Internet und Breitbanddiensten stark macht und die Bundesratsinitiative von Mecklenburg-Vorpommern für eine flächendeckende Mobilfunkversorgung unterstützt.

Rentengerechtigkeit für Volkspolizisten! In der DDR waren Polizisten keine Beamten. Gegenüber den heutigen Polizeibeamten sind sie also im Alter ohnehin schlechter gestellt – das lässt sich nicht mehr ändern. Aber ihre Situation lässt sich verbessern, indem man ihre gesammelten Rentenansprüche endlich vollständig einlöst. Das ist bisher nicht der Fall: Denn das Bekleidungs- und Verpflegungsgelt, das die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei der DDR als Arbeitsentgelt erhalten haben, wird bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt. Das will die Linksfraktion ändern (Drucksache 6/16393), auch vor dem Hintergrund entsprechender Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21./23. Januar 2018 (Az.: L 4 RS 226/16 ZVW; L 4 RS 232/15 ZVW). Das rot-rot regierte Brandenburg hat schon 2008 seine Verwaltungspraxis so geändert, dass sämtliche Zuschläge und Zahlungen an Angehörige der Sonderversorgungssysteme der DDR, darunter auch der Deutschen Volkspolizei, bei der Rentenberechnung anerkennt werden. Die Rentenbescheide müssen auch in Sachsen von Amtswegen rückwirkend geändert werden!


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PARLAMENTSREPORT

März 2019

Emissionsfreier Nahverkehr ist möglich Marco Böhme, der Mobilitätsexperte der Linksfraktion, war kürzlich bei einer ganz besonderen Premierenfahrt dabei. Das Transportunternehmen Alstom hat dem Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) einen Wasserstoffzug zur Verfügung gestellt, um zu zeigen, dass diese innovative Fortbewegungsart möglich und in Niedersachsen schon im Linieneinsatz ist. Hintergrund ist der Wunsch der Stadt Grimma, ans Mitteldeutsche S-Bahnnetz nach Leipzig angeschlossen zu werden. Derzeit verkehrt nur eine Diesel-Regionalbahn, weil die Oberleitung fehlt. Damit ist Grimma als einziges Mittelzentrum im Umkreis von Leipzig nicht an den City-Tunnel angeschlossen, weil dort keine dieselbetriebenen Züge verkehren dürfen. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, Grimma ans Mitteldeutsche S-Bahnnetz anzuschließen – entweder den Bau einer Oberleitung, was der Freistaat aber nicht finanzieren wollte, oder ein Fahrzeug mit alternativem Antrieb, das im City-Tunnel fahren darf. Mit dem „Coradia iLint“ gibt es nun erstmals ein serienreifes und geeignetes Fahrzeug. Auch die Deutsche Bahn und Siemens planen, Wasserstoffzüge zu fertigen. Die Linksfraktion fordert, Grimma ans Mitteldeutsche S-Bahnnetz anzuschließen. „Wenn das Mitteldeutsche S-Bahnnetz 2025 neu ausgeschrieben wird, muss die Verbindung GrimmaLeipzig mit einem emissionsfreien Zug eingetaktet werden“, fordert Böhme. Bis dahin vergehen aber sechs Jahre. „Besser wäre es, wenn der derzei-

tige Betreiber der Dieselverbindung, die Mitteldeutsche Regiobahn, schon jetzt seine Flotte umstellt. Dazu ist eine Förderung des Freistaats (mindestens) für die Infrastruktur nötig.“ Dann dürfte der Zug zwar zunächst trotzdem noch nicht durch den Tunnel fahren, weil dieser bis 2025 vertraglich eben nur für S-Bahnen zugelassen ist. Es wäre aber dennoch ein großer Schritt in Richtung Wasserstoffmobilität.

zu beschleunigen“, so der Verkehrspolitiker. Es müsse zudem sichergestellt werden, dass der Wasserstoff zuverlässig und ökologisch vor Ort erzeugt wird. Dazu braucht es eine neue Infrastruktur für die Betankung, die auch mit der örtlichen chemischen Industrie verkoppelt werden kann. „Sachsen bietet sich hier eine großartige Chance, die Emissionen aus dem Verkehrsbereich zu senken. Die Brennstoffzellentechnologie könnte

Termine 18. März 2019, 19-21 Uhr Leipzig, KuApo – Die Kulturapotheke, Eisenbahnstraße 99 »Die Wirtschaft, der Osten, die ländlichen Regionen, die Kultur: Zeit für neue Netzwerke in Sachsen« Podiumsdiskussion 25. März 2019, 19–21 Uhr Großenhainer Str. 93, Dresden (Saal im Haus der Begegnung) Vorträge und Diskussion zum Thema „Bezahlbare Miete statt fetter Profite!“ 28. März 2019, 9-16 Uhr Sächsischer Landtag, 4. Etage Girls Day 2019 – »Mädchen und Politik« Wir geben Mädchen im Rahmen des Girls‘ Day die Gelegenheit, die Arbeit von Politiker*innen und von parlamentarischen Beschäftigten der Fraktion kennenzulernen. Anmeldung: www. girls-day.de/@/Show/fraktiondie-linke-im-saechsischen-landtag/berufsbild-politikerin

„In jedem Fall sollten sich die Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium, der Städte, des ZVNL und der Betreiber dringend treffen, um die Sache

auch für Busse und Privat-PKW von Nutzen sein.“ Die Linksfraktion wollte das bereits mit dem derzeitigen Landeshaushalt fördern – die Regierungs-

Steuerfahndung stärken, nicht abbauen! Obwohl in Sachsen Steuern in Millionenhöhe hinterzogen werden, sinkt die Zahl der Steuerfahnder. Seit 2007 hat sich die Summe der bekanntgewordenen hinterzogenen Steuern von 23 Millionen Euro auf 41 Millionen Euro im Jahr 2017 fast verdoppelt. Waren 2007 noch 122 Vollzeitbeschäftigte mit Steuerprüfungen betraut, waren es letztes Jahr nur noch 98.

mehrheit und die AfD haben das aber vorerst verhindert.

Dabei kann der Freistaat auf keinen Euro Steuergeld verzichten! „Der Stellenabbau ist unbegreiflich. Nötiger wäre mehr statt weniger Personal“, meint die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Susanne Schaper. „Die Zahlen stehen in meinen Augen für die Politik der CDU. Während man an Sanktionen

und Vorurteilen gegenüber Hilfebedürftigen festhält und ihnen am liebsten noch mehr vom Existenzminimum wegnehmen würde, lässt man Steuerflüchtlinge nahezu unbehelligt ihre Schäfchen ins Trockene bringen.“ Die festgestellten 41 Millionen Euro dürften nur ein Teil der tatsächlich im Freistaat hinterzogenen Steuern sein. Die haushalts- und finanzpolitische Sprecherin der LINKEN, Verena Meiwald, sieht das genauso. „Es ist unbegreiflich, wie die Staatsregierung nichts gegen den Stellenabbau bei den Finanzämtern unternimmt, obwohl die Summe der hinterzogenen Steuern steigt. Wer weiß, wie viel Geld tatsächlich am Fiskus vorbeigeschoben wird, was auf Grund der zurückgehenden Kontrolltätigkeit gar nicht festgestellt wird.“ Regelmäßig würden LINKE Änderungsanträge in den Haushaltsberatungen abgelehnt, weil nicht genügend Geld da sei. Gleichzeitig aber fordere man regelrecht zur Steuerhinterziehung auf, indem man Personal abbaue. Dabei bringe jede besetzte Personalstelle in der Steuerfahndung mehr Geld ein als sie kostet!

4. April 2019, 18 Uhr Lindenauer Markt, Leipzig „Was passiert mit meinem Steuergeld?!“ Wie Freistaat und Kommunen öffentliche Aufträge vergeben – und wie es fairer und nachhaltiger laufen könnte“ Diskussion unter freiem Himmel 15. April 2019, 10-15 Uhr Chemnitz, pentagon3, Brückenstraße 17 Sachsen und der Osten 30 Jahre nach der deutschen Einheit – Situation, Folgen, Herausforderungen und Auswege Fachkonferenz www.linksfraktionsachsen.de

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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