Bild: Marco Fieber / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0
Stalingrad: Erinnerung fürs Heute
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Januar-Februar 2018
Der Mamajew-Hügel bei Wolgograd ist das wohl wichtigste Mahnmal in Russland zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs: allein in der Sowjetunion 24 Millionen Menschen. In der Gedenkstätte sind die Namen der Verteidiger des Mamajew-Hügels eingraviert – die Opfer einer letzten Offensive der 6. Armee der Wehrmacht noch im November 1942 die Wende erzwingen sollte. Sie kapitulierte am 3. Februar 1943, vor 75 Jahren. In der Schlacht starben über 700.000 Menschen, 30.000 Sowjetsoldaten allein auf dem Mamajew-Hügel. Wenn man jedoch die Halle betritt, hört man die „Träumerei“ des deutschen Komponisten Robert Schumann. Ich besuchte die Gedenkstätte im Alter von 12 Jahren bei einem Schulaustausch, als Teil dessen, was heute gern als „verordneter Antifaschismus“ verächtlich gemacht wird. Ich bin dankbar für die Erfahrung. Woran erinnern wir? Zuerst an die Wende im Weltkrieg. Westliche Geschichtsschreiber erwähnen ungern, dass die Rote Armee allein dem Kampfgeschehen die entscheidende Wende gab. Mit ihren Siegen bei Stalingrad und im Kessel von Kursk brachte sie und mit ihr die Sowjetunion die Kraft auf, den Vernichtungsfeldzug zu stoppen, den Nazismus zurückzudrängen. Zum zweiten muss erinnert werden an den rassistischen Charakter des „Russlandfeldzuges“. Der „Generalplan Ost“ fasste 1942 die Völkermordpläne der Naziführung für die „Neuordnung des Ostens“ zusammen: Deportation der slawischen Landbevölkerung von Tschechien bis zur Wolga, Aushungerung der Städte als „Brutstätten des Bolschewismus“ (angefangen in Leningrad), „Deutschbesiedelung“. Die Liquidierung hunderttausender sowjetischer Juden und KPdSUMitglieder, die Vernichtung hunderter Dörfer zeigten die rassistische Energie, mit der diese Planungen umgesetzt werden soll. Umso grotesker, dass jetzt mit der AfD ausgerechnet
auch die Erben derer Frieden und Zusammenarbeit mit Russland fordern, die 1933 Hitler mit dem Handschlag Hindenburgs zur Macht verhalfen. Der deutsch-nationale Chauvinismus wird sich wieder gen Osten richten, das liegt in seiner rassistischen Logik. Und wir erinnern drittens an das eigentlich Selbstverständliche: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Konkreter: Nie wieder Krieg in Europa. Da ist es unerheblich, ob uns das russische Pathos im Gedenken gefällt, ob uns die russische Kulturpolitik postmodern genug ist, ja selbst ob wir mögen, welchen Präsidenten die russische Bevölkerung wählt. All dies kann keine Bewandtnis haben im Kampf gegen eine militärische Konfrontation im Osten Europas. Der NATORaketenschirm mit seinen Basen in Polen und Rumänien wird in diesem Jahr scharf geschaltet. Die Allianz will, dass jedes Mitgliedsland zwei Prozent seines Bruttoinlands-Produkts für Aufrüstung ausgibt. Die EU will die Straßen in Mittel- und Osteuropa „militärtransporttauglich“ machen. Und auch die Vorwärtsstationierungen von NATO-Einheiten werden stur fortgesetzt – gerade ist etwa das Panzergrenadierbataillon 371 aus Marienberg in Litauen. Russland antwortet mit nicht minder aggressiven Manövern. Gerade der Friedensaspekt wird im heutigen Diskurs verdrängt. Die Bundesregierung hielt es nicht für nötig, dem 75. Jahrestag der Schlacht Aufmerksamkeit zu schenken. Wie anders als mit einer toxischen Mischung aus westlicher Arroganz und deutscher Geschichtsvergessenheit ist solch eine Ignoranz gegenüber dem Geschehen zu erklären? Auch das zeigt, warum es wichtig ist, zu gedenken und für Frieden und Verständigung zwischen Ost und West Gesicht zu zeigen: Bei den Ostermärschen etwa oder beim neuesten deutschrussischen Schulaustauschprojekt? Nur zur Erinnerung. • Thomas Kachel