Minergie und Holzbau

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Lignatec 16/2003

Prioritäten setzen auf dem Weg zum MINERGIE®-Standard

Beim Hausbau muss das oberste Ziel sein, ein nachhaltiges, behagliches Bauwerk zu erstellen. Neben der Standortwahl, architektonischen Qualitäten und anderen übergeordneten Kriterien sollen vier Prioritäten gesetzt werden. 3.4.1 Erste Priorität: Wärmeschutz der Gebäudehülle Gerade beim Holzbau werden beim Bauentscheid die Zeichen betreffend den baulichen Wärmeschutz auf lange Sicht gesetzt. Durch die lange Lebenserwartung der Holzbauten sind kaum Möglichkeiten vorhanden, den Wärmeschutz nachträglich sinnvoll zu verbessern; es ist davon auszugehen, dass Aussenwände, Decken und Dächer über Jahrzehnte unverändert ihren Nutzen erbringen. Neben den energetischen Vorteilen wirkt sich ein verbesserter baulicher Wärmeschutz auch hinsichtlich Behaglichkeit positiv aus. So ist z. B. bei Dreifach-Isoliergläsern mit U-Werten um 0,5 bis 0,7 W/m2K der Kaltluftabfall deutlich kleiner als bei den heute noch mehrheitlich verwendeten Zweifach-Isoliergläsern mit U-Werten 1,0 W/m2K. 3.4.2 Zweite Priorität: Passive Solarnutzung Insbesondere dann, wenn der MINERGIE®-PStandard erreicht werden soll, stellt der Anteil der Wärmegewinne, im wesentlichen beeinflusst durch die Sonnenenergie, eine bedeutende Komponente dar. Geringere passivsolare Gewinne müssen durch einen verbesserten Wärmeschutz kompensiert werden, was bei den bereits standardmässig kleinen U-Werten schwierig und aufwendig ist. Es soll deshalb auf eine optimale Fensteranordnung betreffend Fläche, Orientierung und Verschattung geachtet werden. Aber Vorsicht: Das Optimum liegt nicht bei einer vollständig transparenten Gebäudehülle. Dies nicht nur wegen des Winters, sondern auch wegen der Überhitzungsgefahr im Sommerhalbjahr! 3.4.3 Dritte Priorität: Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung WRG Wie beim Auto, wo kaum jemand auf ABS, Zentralverriegelung und allenfalls eine Klimaanlage verzichten will, gilt: Zu jedem zukunftsorientierten, behaglichen Haus gehört eine Komfortlüftung. Damit wird nicht nur die in Norm SIA 180 postulierte Grundanforderung des «genügenden Luftaustausches» (Art. 3.3.1.2 «Der Architekt ist verpflichtet … ein Lüftungskonzept zu erstellen») optimal erfüllt, eine Komfortlüftung mit WRG bringt noch folgende wesentliche Vorteile:

• kontrolliertes Abführen von Schad- und Geruchsstoffen sowie von übermässiger Feuchte • geringerer Lüftungswärmeverlust durch WRG mit Wirkungsgrad um 80 % • Luftwechsel auch in lärmbelasteten Gebieten, ohne das den Lärmschutz gewährleistende Fenster zu öffnen • evtl. geringe Kühlmöglichkeit im Sommer bei Erdluftregister und Umgehung des Wärmeaustauschers (Bypass o. ä.). Auch wenn mit diesen Massnahmen der MINERGIE®- oder MINERGIE®-P-Standard noch nicht erreicht sein sollte (ohne erneuerbare Energie können diese Standards nicht erreicht werden), so hat der Bauträger dennoch die Gewissheit, dass er mit seinen Entscheiden die wesentlichsten Ziele umgesetzt hat: • behagliche Räume durch hohe Oberflächentemperaturen und gute Luft dank kontinuierlichem Luftwechsel • geringer Heizwärmebedarf und dadurch minimierter Betriebskostenaufwand. 3.4.4 Vierte Priorität: Heizsystem und Energieträger Es gilt den Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser so clever als nur möglich abzudecken, wobei folgende Randbedingungen zu beachten sind: • Einsatz von erneuerbarer Energie (Wärme aus der Umwelt) • Verfügbarkeit von Energie im grundstücksnahen Bereich (z. B. Holz, Gas, Nahwärmeverbund) • Stand der Technik und verfügbares Kapital für Wärmeerzeugung (Sonnenkollektoren, Photovoltaik, Brennstoffzellen o. ä.) Durch den Einsatz des «richtigen Energieträgers» – hier wirken politische Entscheide beeinflussend, z. B. durch die Gewichtung der Energie – und die «bestmögliche Wärmeerzeugung» kann im Optimalfall bereits beim Neubau der letzte Schritt zum zertifizierten MINERGIE®- bzw. MINERGIE®-P-Standard gemacht werden. Weil die Haustechnik eine erheblich kürzere Halbwertszeit als die Gebäudehülle hat und weil sich energiepolitische Entscheide ändern können, kann sich ein Haus mit optimierter Gebäudehülle und Komfortlüftung allenfalls auch nachträglich zum MINERGIE®-Gebäude mausern, etwa durch den Wechsel der Wärmeerzeugung, des Energieträgers oder den nachträglichen Einbau von Sonnenkollektoren, Photovoltaikelementen o. ä.


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