Zur Definition von Qualität
Um die Qualitäten von räumlichen und architektonischen Merkmalen zu untersuchen, ist es wichtig, den Begriff ,Qualität’ zu definieren. Der Begriff ,Qualität’ lässt sich von dem lateinischen Wort ,qualitas’ ableiten und bedeutet übersetzt ,Beschaffenheit’ und ,Eigenschaft’. Heruntergebrochen auf das lateinische Wort ,qualis’ bedeutet es ,wie beschaffen’.
Die Brockhaus Enzyklopädie beschreibt, dass ‚Qualität‘ im Allgemeinen die ‚Gesamtheit‘ der charakteristischen Eigenschaften einer Person oder Sache, die ‚Beschaffenheit‘ und die ‚Güte‘ meint (siehe Brockhaus Enzyklopädie*).
In der Philosophie ist der Begriff ‚Qualität‘ fester Bestandteil der Erkenntnistheorie. Hier ist ‚Qualität‘ die Bezeichnung für eine der formallogischen Grundformen des Denkens. Dies umfasst Kategorien und Urteile, die für Aristoteles auch die Grundstruktur des Seins bestimmen. In der ‚Ontologie‘, die Lehre von Sein meint ‚Qualität‘ das ‚System‘ der Eigenschaften, die ein Ding zu dem machen, was es ist, und es von anderen Dingen unterscheiden. Die Unterscheidung zwischen ‚objektiven‘ und ‚subjektiven Qualitäten‘ geht auf Aristoteles zurück. Anknüpfend auf diese Unterscheidung stellt John Locke entsprechend den ‚primären Qualitäten‘, wie Raum und Zeit als Eigenschaften der Dinge selbst die ‚sekundären Qualitäten‘, wie Farbe, Geruch, Härte und Weiteres , die allein die sinnliche Wahrnehmung der Dinge betreffen, gegenüber (siehe Brockhaus Enzyklopädie*).
In seinem dritten und letzten Werk aus der Reihe der Kritiken „Kritik der Urteilskraft“, führt Immanuel Kant die ‚Qualitäten der Urteile‘, darunter bejahende, verneinende und unendliche ein und ordnet ‚Realität‘, ‚Negation‘ und ‚Limitation‘ als ‚transzendentale Qualität zu‘ (siehe Brockhaus Enzyklopädie*).
In seinem Roman “Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten” aus 1974 hilft Robert M. Pirsig dabei, das Verständnis zu den Theorien des deutschen Philosophen Immanuel Kant zu vertiefen. Anhand einer qualitativen Forschung nach dem Prinzip der Grounded Theory werden die analysierten Theorien von Robert M. Pirsig auf ihre Anwendbarkeit in der Realität überprüft. Die Intention dieser Methodik besteht darin, eine fundierte und empirisch gestützte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Qualität zu ermöglichen und somit zu einer erweiterten Erkenntnis zu kommen.
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Theorie
Um den Weg zum Verständnis von ‚Qualität‘ zu ebnen, skizziert Pirsig von Kants Denkansatz (Pirsig, 2017, 226). Dazu zieht Pirsig zusätzlich den Philosophen David Hume heran, ohne dessen Arbeit, wie Pirsig sich ausdrückt, Kant keinen Anlass gehabt hätte, die Kritik der reinen Vernunft zu schreiben (Pirsig, 2017, 229).
In Pirsigs Skizze von Hume wird dieser als Empirist beschrieben, das heißt „[…] [jemand], der glaubt, dass alle Erkenntnis ausschließlich auf Sinneswahrnehmungen beruht.“ (Pirsig, 2017, 227) Humes wichtigste These ist „[…] dass es unter strikter Befolgung der Regeln logischer Induktion und Deduktion möglich sei, aus der Erfahrung bestimmte Schlüsse über die wahre Natur der Welt abzuleiten“ (Pirsig, 2017, 226). Pirsig sieht darin ein Problem (Pirsig, 2017, 227): „Wenn sich all unsere Erkenntnisse von sinnlichen Wahrnehmungen herleiten, was ist dann eigentlich die „Substanz“, die diese Sinneseindrücke hervorruft?“ (Pirsig, 2017, 227). Beim Versuch, das Wesen der „Substanz“ rein empirisch zu bestimmen, stößt Pirsig auf ein Nichts, (Pirsig, 2017, 227) womit die Vorstellung einer „Substanz“, die unsere empfangenen Sinneseindrücke aussendet, (Pirsig, 2017, 228) widerlegt wird. Nach Hume beruht alle Erkenntnis auf Sinneseindrücken, aber die „Substanz“ selbst ist nicht sinnlich wahrnehmbar. (Pirsig, 2017, 227)
Pirsig formuliert dazu folgende Frage: „Auf welchen sinnlichen Wahrnehmungen beruht unser Wissen von der Kausalität?“ (Pirsig, 2017, 228) Humes Antwort lautet: „Es gibt keine.“ (Pirsig, 2017, 228) Er beschreibt die Kausalität
als irreal und begründet seine These auf der Grundlage, „[…] dass uns all unser Wissen nur durch unsere Sinne vermittelt wird […]“ (Pirsig, 2017, 228) und zieht daraus den logischen Schluss, „[…] dass sowohl „Natur“ als auch „Naturgesetze“ Produkte unserer eigenen Vorstellung sind.“ (Pirsig, 2017, 228).
Für Pirsig nimmt Kant den Empirismus Humes als Grundlage, „dass alle Erkenntnis mit der Erfahrung anfange […]“ (Pirsig, 2017, 229), bestreitet aber, „[…] dass alle Teile der Erkenntnis der sinnlichen Wahrnehmung entspringen, in dem Augenblick, da die Sinneseindrücke empfangen werden […]“ (Pirsig, 2017, 229) und stellt dazu eine neue Theorie auf.
In der “Kritik der reinen Vernunft” stellt Kant die Idee auf, dass unsere Erkenntnis nicht ausschließlich aus unserer Erfahrung abgeleitet wird. Trotz Hummes Standpunkt, dass jegliche Erkenntnis mit Erfahrung beginnt, geht Kant darüber hinaus und argumentiert, dass unser Wissen auch andere Quellen beherbergt (Pirig, 2017, 229).
„Kant sagt, dass es Aspekte der Wirklichkeit gebe, die uns nicht direkt durch die Sinne vermittelt werden. Er nennt diese Erkenntnisse „a priori” (Pirsig, 2017, 230). Pirsig nennt die Zeit als ein Beispiel für eine Erkenntnis „a priori”, weil sie nicht in unseren empfangenen Sinneseindrücken enthalten ist, sondern, in den Worten Kants, „[…] eine Form der ,Anschauung’ [ist]“ (Pirsig, 2017, 230), die von unserem Verstand beigesteuert wird, wenn Sinneseindrücke wahrgenommen werden (Pirsig, 2017, 230).
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Theorie
Auch für den Raum gilt die Vorstellung vom Apriorischen bezogen auf Eindrücke, die wir empfangen (Pirsig, 2017, 230).
Pirsig ist der Meinung, dass die Dinge, die der Mensch wahrnimmt, nicht allein das Ergebnis ihrer Vorstellungskraft sind. Stattdessen argumentiert er, dass die menschliche Wahrnehmung von Objekten durch vorherige, angeborene Konzepte wie Raum und Zeit beeinflusst wird, die unabhängig von der individuellen Vorstellung existieren (Pirsig, 2017, 231). Mithilfe von Kants These, kommt Pirsig zum Wesen der „Substanz“ zurück und generiert einen Gedanken, der seine Auseinandersetzung mit dem Qualitätsbegriff anstößt. Er schreibt: „Ebenso bin ich davon überzeugt, dass meine Sinneseindrücke, obwohl sie mir noch nie einen Hinweis auf die Existenz einer „Substanz“ geliefert haben, fähig sind, dieselben Wirkungen hervorzurufen, die man eigentlich der Substanz selbst zuschreibt, und dass sie sich stets mit dem apriorischen Motorrad meiner Vorstellungen decken werden.“ (Pirsig, 2017, 235).
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Theorie
*Aus Brockhaus Enzyklopädie: Qualität {lat. qualitas >Beschaffenheit<, >Eigenschaft<, zu qualis >wie beschaffen<] die, -/-en, 1) allg.: Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften (einer Person oder Sache), Beschaffenheit, Güte. 2) Philosophie: erkenntnistheoretische Bezeichnung für eine der formallogischen Grundformen des Denkens (Kategorien, Urteile), die für ARISTOTELES auch die Grundstruktur des Seins bestimmen; ontologisch das System der Eigenschaften, die ein Ding zu dem machen, was es ist, und es von anderen Dingen unterscheiden.
Anknüpfend an die auf ARISTOTELES zurückgehende Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Qualitäten. stellt J. LOCKE entsprechend den primären Qualitäten (Raum, Zeit) als Eigenschaften der Dinge selbst die sekundären Qualitäten.
(Farbe, Geruch, Härte u.a.), die allein die sinnliche Wahrnehmung der Dinge betreffen, gegenüber. Den Qualitäten der Urteile (bejahende, verneinende und >unendliche<) ordnet I. KANT >Realität<, >Negation< und >Limitation< als transzendentale Qualität zu. Als >qualitativen Sprung< bezeichnet
G.W.F. HEGEL im dialektischen Prozeß den Umschlag eines quantitativen Geschehens zu einem qualitativ neuen. Dieses Prinzip wurde zu einem Grundbegriff des Marxismus und als ein >universelles Struktur-, Veränderungsund Entwicklungsgesetz der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens< angesehen.}
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Theorie
Qualität definiert nach Robert M. Pirsig
Kants Kritik der reinen Vernunft ist insofern wichtig, als dass „[…] die Namen, die Gestalten und Formen, die wir der Qualität geben, nur teilweise in der Qualität begründet [sind].“ (Pirsig, 2017, 441). Sie entstammen ebenfalls den apriorischen Bildern, „[…] die sich in unserem Gedächtnis angesammelt haben.“ (Pirsig, 2017, 441).
Laut Pirsig kann Qualität keine isolierte Eigenschaft sein, die unabhängig vom Subjekt oder Objekt existiert. Stattdessen findet sie sich nur in der Beziehung zwischen dem Objekt und dem Subjekt. Qualität ist der Punkt, an dem sich Subjekt und Objekt treffen (Pirsig & Pirsig, 2022, 53). Qualität ist kein „Ding”. Es ist ein Ereignis (Pirsig & Pirsig, 2022, 54). Laut Pirsig kann es ohne Objekte keine Subjekte geben, weil die Objekte das Bewusstsein der Subjekte über sich selbst generieren. Qualität manifestiert sich in dem Zeitpunkt, in dem das Bewusstsein sowohl der Subjekte als auch der Objekte ermöglicht wird.
Im Ereignis der Qualität stellen wir fest, dass wir der Qualität Analogien zu unseren früheren Erfahrungen zuordnen (Pirsig, 2017, 441). Jeder definiert sich weitestgehend durch seinen Qualitätsbegriff selbst, da jeder „[…] mit einem anderen Komplex von Analogien an [Qualität] herantritt“ (Pirsig, 2017, 441) – „[…] jeder Mensch [bringt] andere Erfahrung [mit].“ (Pirsig, 2017, 441). Pirsig erwartet, „[…] dass zwei Menschen mit identischen apriorischen Analogien Qualität in jedem Einzelfall identisch bewerten würden.“ (Pirsig, 2017, 442).
Wenn man die Welt in Begriffen der Reiz-Reaktions-Psychologie sieht, schreibt Pirsig, „[ist] Qualität die Reaktion eines Organismus auf seine Umwelt.“ (Pirsig, 2017, 443). Sich dem Qualitätsbegriff analytisch zu nähern, das bedeutet, etwas in Subjekte und Prädikate zu zerlegen, ist nach Pirsigs Worten gar nicht notwendig, eben weil Qualität so einfach, unmittelbar und direkt ist (vgl. Pirsig, 2017, 443).
Pirsig kommt zu dem Schluss, dass Qualität nicht nur das Ergebnis der Kollision zwischen Subjekt und Objekt ist, sondern die bloße Existenz von Subjekt und Objekt selbst aus dem Qualitätserzeugnis abgeleitet wird. Für Pirsig beschreibt Qualität die Kausalität von Subjekten und Objekten, und nicht andersherum (Pirsig & Pirsig, 2022, 54).
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Theorie
Damit sind Subjekte und Objekte für Pirsig der Qualität untergeordnet (Pirsig & Pirsig, 2022, 55). Er identifiziert Qualität als den Elternteil von Geist und Materie, das Ereignis, das Geist und Materie hervorhebt (Pirsig & Pirsig, 2022, 55).
Kant zufolge existieren unsere angeborenen Anschauungen unabhängig von Erfahrungen und können und sie sogar beeinflussen können. Dies verhält sich gegensätzlich zur aristotelischen Vorstellung, dass Menschen passive Beobachter sind und ihre Gedanken wie auf eine „leere Tafel“ projizieren (Pirsig, 2017, 237). Pirsig ist der Ansicht, dass Qualität nicht nur Einfluss auf den Geist und Materie nimmt (Pirsig, 2017, 437), sondern auch von Formen unabhängig ist (Pirsig, 2017, 441), was dazu führt, dass die traditionelle Vorstellung von dauerhafter Trennung zwischen Subjekt und Objekt in Frage gestellt wird. Diese Ideen führen dazu, dass die technische Arbeit in einen handwerklichen Kontext mit persönlichem Einsatz zurückgebracht werden kann und ermöglicht, notwendige Fakten zu erkennen, um schwierigen Situationen zu entkommen (Pirsig, 2017, 500).
Mit dem Hinweis, dass diese kopernikanische Umkehrung der Beziehung
von Qualität zur Zielwelt esoterisch und mysteriös klingen kann, wenn sie nicht sorgfältig erklärt wird, stellt Pirsig die Hypothese auf, dass es auf dem neuesten Stand der Zeit, bevor ein Objekt unterschieden werden kann, eine Art nicht-intellektuelles Bewusstsein gibt, das er Qualitätsbewusstsein nennt (vgl. Pirsig & Pirsig, 2022, 55). Hierzu beschreibt Pirsig, dass man sich nicht über die Sicht eines Baums bewusst sein kann, bis man den Baum gesehen hat, und dass es zwischen dem Moment der Sicht und dem Moment des Bewusstseins eine Zeitverzögerung gibt (Pirsig & Pirsig, 2022, 55). Laut Pirsig wird diese Zeitverzögerung nicht oft genug anerkannt.
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Theorie
Für Pirsig besteht die Vergangenheit ausschließlich in unseren Erinnerungen und die Zukunft nur in unseren Plänen (Pirsig & Pirsig, 2022, 55). Die einzige Realität ist damit die Gegenwart. Der Baum, über den man sich intellektuell bewusst wird, ist, aufgrund der Zeitverzögerung, für immer in der Vergangenheit und bleibt daher irreal (Pirsig & Pirsig, 2022, 55). Jedes intellektuell aufgefasste Objekt liegt in der Vergangenheit und ist deshalb irreal (Pirsig & Pirsig, 2022, 56). Pirsig beschreibt die Realität als den Moment, der immer zum Zeitpunkt des Sehens auftritt, bevor die intellektuelle Auffassung beginnt (Pirsig & Pirsig, 2022, 56). Pirsig identifiziert diese ‚vor-intellektuelle‘ Realität als Qualität. Für Pirsig ist Qualität die Quelle aller Subjekte und Objekte, denn intellektuell identifizierbare Subjekte und Objekte gehen aus dieser ‚vor-intellektuellen‘ Realität hervor (Pirsig & Pirsig, 2022, 56).
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Theorie
Durch die Zeitkomponente ist es Pirsig möglich, Qualität in zwei verschiedene Zeitaspekte zu gliedern: Romantische und klassische Qualität (Pirsig, 2017, 439). Romantische Qualität sind die momentanen Eindrücke, bevor die gedankliche Verarbeitung einsetzt 1(Pirsig, 2017, 439). Klassische Qualität berücksichtigt die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit und Zukunft (Pirsig, 2017, 439); sie umfasst die Offenbarungen, die aus der romantischen Qualität hervorgehen, all die „[…] verschiedenen Namen (Subjekte und Objekte)[, die man ihr gibt,] wenn [romantische Qualität] klassisch offenbar wird.“ 2 (Pirsig, 2017, 447).
1 Sie ist jener Zeitaspekt, der in der nachfolgenden qualitativen Forschung als „Erlebnis“ identifiziert wird.
2 Sie ist jener Zeitaspekt, der in der nachfolgenden qualitativen Forschung als „Werturteil“ und „Gestaltungsmerkmal“ identifiziert wird.
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Theorie
Methode
Anhand einer qualitativen Forschung nach der Untersuchungsmethode der Grounded Theory soll ermittelt werden, welche Merkmale die Nutzer:innen stärker wahrnehmen und welche Merkmale eher untergeordnet bleiben. Diese Untersuchungsmethode eignet sich für Sachverhalte, die sich nicht durch statistische Verfahren quantifizieren und bewerten lassen (Strauss, Corbin, 1996, 3).
Sie ermöglicht es, soziale Handlungen zu erklären, neue Theorien zu entwickeln und komplexe soziale Prozesse zu erklären. Zudem kann diese Methode dazu beitragen, schon vorhandenes Grundwissen über einen Sachverhalt zu vertiefen (Strauss, Corbin, 1996, 5).
Die Grounded Theory, übersetzt „gegenstandsverankerte Theorie“ lässt sich laut Strauss und Corbin „induktiv aus der Untersuchung des Phänomens” ableiten, welches sie beschreibt (Strauss, Corbin, 1996, 7 ff.).
„Gegenstandsverankert” meint hierbei, dass die abgeleiteten Theorien und Konzepte nicht im Voraus festgelegt werden, sondern aus den gesammelten Daten entwickelt werden.
Diese gesammelten Daten entstehen durch die Auswahl verschiedener relevanter Untersuchungsfelder, welche durch eine offene Fragestellung festgelegt werden. Diese Fragestellung verfügt über eine „Handlungs- und Prozeßorientierung” und soll dabei helfen, den Fokus auf das Thema zu behalten (Strauss, Corbin, 1996, 23).
Durch das zielbewusste Erfassen und Analysieren von Daten, die sich auf das zu untersuchende Phänomen beziehen, entstehen relevante Konzepte sowie Verknüpfungen.
Es entsteht eine Ansammlung von Daten, Analyseergebnissen und Theoriebildungen, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen (Strauss, Corbin, 1996, 7 f.).
Bei der Analyse der Untersuchungsergebnisse werden Ähnlichkeiten und Unterschiede herausgefiltert. Anhand von Fragestellungen, wie „Was ist das?” und „Was repräsentiert das?“ erhalten besondere und wieder vorkommende Phänomene eine Bezeichnung (Strauss, Corbin, 1996, 44). Das „Kodier-Verfahren”, also der Prozess der Bezeichnung von Phänomenen, soll dabei helfen, die Ansammlung von Daten zu strukturieren und zu konzeptualisieren. Corbin und Strauss zufolge ist das der „zentrale Prozess, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden” (Corbin, Strauss, 1996, 39).
Das Auswählen und Reduzieren von Daten ist hierbei immer mit einer Interpretation verbunden (Corbin, Strauss, 1996, 7).
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Praxis
Die Kategorien, die im Verlauf der Forschung entwickelt werden, werden in „eigene” und „geborgte” Kategorien unterschieden.
Die „geborgten” Theorien bieten den Vorteil, dass schon Interpretationen oder Theorien zu dem Begriff existieren (Corbin, Strauss, 1996, 49-50). Weiterhin werden die Bezeichnungen der Kategorien in Gruppen geordnet. Dieser Vorgang hat den Vorteil, dass die Beziehung zwischen den Konzepten, welche in den Daten aufgefunden wurden, schematisch dargestellt werden (Corbin, Strauss, 1996, 47).
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Die qualitative Forschung nach der Untersuchungsmethode der Grounded Theory wurde in drei unterschiedlichen Untersuchungsfeldern durchgeführt. Beginnend mit dem Untersuchungsfeld des Flohmarktes soll ein Einblick verschafft werden, wie Objekte mit dem Thema Erinnerung verknüpft werden und welche Merkmale der Objekte dazu führen, dass sie, statt entsorgt, behalten und weiterverkauft werden.
Um das Thema Erinnerung in Verbindung mit der Architektur zu bringen, spielt sich die nächste Untersuchung in der Bremer Innenstadt ab.
Anhand der offenen Fragestellung „Welches Gebäude/welcher Platz spricht
Sie am ehesten an?” sollen Merkmale herausgefiltert werden, die dazu beitragen, dass die Architektur in Erinnerung getragen wird und ihre Eigenart erhält. Die Ergebnisse werden verschärft, indem Studierende aus der Fakultät Bauingenieurwesen und Architektur befragt werden, welches Gebäude oder
welchen Platz sie in der Bremer Innenstadt am ansprechendsten finden.
Untersuchungsfeld Flohmarkt
Anhand der offenen Fragestellung
„Warum verkaufen/kaufen Sie dieses Objekt?” etablierten sich Dialoge, die zu unterschiedlichen Erkenntnissen führten.
Aus der Perspektive der Verkäufer:innen zeigte sich, dass einige Verkäufer:innen ihre Objekte aufgrund von Lebensveränderungen, wie einer Umgestaltung oder aufgrund von Platzmangel verkauften. Die Kategorie der „Veränderung“ war eng verknüpft mit dem Bedarf nach Anpassung und Neuorientierung.
In der Kategorie „emotionale Bindung” waren die Erinnerungen und die aufgebaute Beziehung zu den Gegenständen große Einflussfaktoren, die den Verkaufsentscheidungsprozess bestimmten. Damit einhergehend war das Bedürfnis, die Gegenstände wiederzubeleben und ihnen eine neue Wertschätzung zu ermöglichen.
Aus Sicht der Kundenperspektive scheint die Kategorie der “Einzigartigkeit” von großer Bedeutung. Des Weiteren ist es auch die „Nostalgie“, die zum Kaufen anregt. Durch Eigenschaften, wie die Abgenutzheit des Objektes, treten die „Geschichte” und die „Erlebnisse” im Vordergrund. Auch die „Gestaltung” und die „Machart” der Objekte sind entscheidende Faktoren, die zum Kaufen animieren. Die Harmonie zwischen Materialwahl, Formgebung und Verarbeitung scheinen zusätzliche Einflussfaktoren zu sein.
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Praxis
Untersuchungsfeld Bremen Innenstadt
In der Bremer Innenstadt fokussiert sich die Untersuchung auf die Verbindung von Architektur und Erinnerung. Durch die offene Frage „Welches Gebäude/welcher Platz spricht Sie am ehesten an?” ergeben sich einige Konzepte, die diese Verbindung betonen.
Unter der Kategorie „Werturteil” bildeten sich Konzepte wie „interessant”, „besonders”, „markant” und „schön”. Diese genannten Konzepte betonen die ästhetische Anziehungskraft der Architektur. Dadurch, dass bestimmte Elemente der Architektur herausstechen, bleiben diese scheinbar besonders stark in Erinnerung und prägen damit das Bild der Stadt.
Die Kategorie „Gestaltungsmerkmal” illustriert Merkmale, durch welche sich die Architektur erst bemerkbar macht. Häufig wird das Konzept „prägnant” verwendet, um ein bestimmtes Gebäude zu beschreiben. Offenbar ist die Höhe des Gebäudes von hoher Relevanz, um die Wahrnehmung der Architektur zu steuern.
Überwiegend wurde auch das Konzept „Kontrast” genannt, der den Befragten in Erinnerung geblieben ist. Starke Gegensätze, wie zum Beispiel unterschiedliche Höhen von Gauben oder gegensätzliche Fassadengestaltungen von Gebäuden innerhalb eines Quartiers, scheinen die visuelle Anziehungskraft der Architektur und damit die Qualität der Stadt zu steigern. Auch das Konzept „Form” kommt des Öfteren vor.
Es lässt sich ableiten, dass die förmliche Gestalt des Gebäudes oder des Platzes eine bedeutende Rolle bei der Erinnerung spielt. Prägnante Formen
oder Silhouetten können die Identität der Umgebung und der Architektur prägen und im Gedächtnis bleiben.
Zu dem Konzept der „Form” steht auch das Konzept der „Machart” in Relation. Die handwerkliche Verarbeitung des Materials, sowie die Ausführung von Details heben die Qualität der Architektur und führen dazu, dass sie viel mehr in Erinnerung bleibt.
Eine weitere Kategorie bilden die „Erlebnisse”. Die persönlichen Erfahrungen der Bewohner:innen einer Stadt führen dazu, dass die mit den Erlebnissen verbundenen Gebäude und Plätze eine emotionale Reaktion hervorrufen und an bestimmte Situationen erinnern. Sowohl positive als auch negative Emotionen beeinflussen die Wahrnehmung und Erinnerungen.
Untersuchungsfeld Hochschule Bremen Um ein verschärftes Verständnis zum Zusammenhang von Erinnerung und Architektur zu erhalten, wurden Studierende der Fakultät für Architektur, Bau und Umwelt an der Hochschule Bremen befragt, welchen Ort sie in der Bremer Innenstadt gerne aufsuchen. Während der Untersuchung wurde festgestellt, dass viele Studierende die Bremer Innenstadt nur bedingt gerne aufsuchen, daher wurde das Untersuchungsfeld auf weitere Ortschaften in Bremen erweitert.
Unter der Kategorie „Werturteil” entsteht jetzt auch das Konzept „hässlich”, was im Bezug zur Obernstraße in der Innenstadt die Stilisierung auf das Einkaufen und die damit einhergehende Monotonie meint. Oft kommt das Konzept „schön” und „besonders schön“ vor.
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Praxis
Beim Aspekt der Schönheit ist die „Maßstäblichkeit” von hoher Bedeutung. Im Kontrast zu den höheren Gebäuden erregen die kleinen Bremer Häuser die Aufmerksamkeit. Zudem trägt zur Schönheit auch die „Ablesbarkeit” von Ideen bei. Laut einer Studierenden sei es bemerkenswert, wenn die Intentionen von Planungen, wie zum Beispiel ein großes Fenster, um möglichst viel Licht eintreten zu lassen, an der Architektur sichtbar werden. Des Weiteren kommt die „Belebtheit” und die „offene Gestaltung” eines Platzes positiv an. Ein Platz, der viel Aktivität beherbergt, regt die Nutzer:innen an, ihn für sich anzueignen und teilzunehmen, anstatt als Nutzer:in eine passive Rolle zu tragen.
Auch in diesem Untersuchungsfeld wird deutlich, dass die Stadt durch Kontraste geprägt ist. Die Befragten verspüren im landschaftlichen Raum ein Freiheitsgefühl, das ihnen durch die „Weitsichtigkeit“ ermöglicht wird. Im Gegensatz dazu empfinden sie im städtischen Raum ein stressiges Gefühl. Als Beispiel für den Kontrast im städtischen Raum werden der Domshof und der Marktplatz genannt. Laut der Befragten führen viele Wege vom Marktplatz ab und es entsteht ein zentralisierter und demonstrativer Mittelpunkt, während eine solche Konzentration auf dem Domshof kaum existiert. Hierbei verhält sich der Domshof laissez-faire im Gegensatz zum Marktplatz, der den hauptsächlichen Aufenthaltsbereich reglementiert.
Beim Bahnhofsvorplatz entsteht der Kontrast zwischen dem harmonischen Zusammenspiel der Planung und dem fehlenden Zusammenspiel der Pla-
nung. Diese paradoxe Wahrnehmung entsteht dadurch, dass der Platz durch den Bahnhof und das Überseemuseum eingerahmt wird und gleichzeitig die weiteren addierten Elemente zur Unübersichtlichkeit führen.
Laut einer Befragten würde der Platz durch die vorgesetzten Bus- und Bahnhaltestellen immer mehr eingeengt werden und es bleibe kaum Raum, um Reize zu verarbeiten.
Beim Erschließungssystem der Stadt entsteht der Kontrast zwischen dem „Flanieren“ und den “schnellen Verbindungen”. Im Vergleich zu Straßen und Wege, die geradlinig zum Ziel führen, ermöglichen verwinkelte Gassen, dass der Stadtraum intensiver wahrgenommen wird und zum “Entdecken” anregt. Das “Entdecken” als nächstes Konzept, welches der Kategorie der “Erlebnisse” zuzuordnen ist, zeichnet sich zum einen durch verwinkelte Gassen aus, die den Nutzer:innen eine aktive Teilnahme im Stadtraum ermöglichen, aber auch durch den “Bezug zur Zeit”, der durch historische Gebäude und Wahrzeichen entsteht. Die “Vorstellung” davon, wie ein Gebäude in früheren Zeiten genutzt wurde, scheint für Spannung zu sorgen. Ein weiteres Konzept ist die “Erfahrung”, die ambivalent aufgefasst werden kann. Zum einen steht die Architektur als Repräsentation für bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen, zum anderen haben Prägungen aus der Kindheit einen Einfluss darauf, wie die Stadt wahrgenommen wird. Eine Person, die im ländlichen Raum aufgewachsen ist, wird sich wahrscheinlich in einer Großstadt unwohler fühlen, als jemand, der im städtischen Kontext aufgewachsen ist.
Praxis
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Zuletzt ist die “Historie” als Konzept der Kategorie der “Erlebnisse” bedeutend.
Das herausgefilterte Konzept “Geschichtsträchtig” betont die Bedeutung von Gebäuden und Plätzen, die eine reiche historische Vergangenheit aufweisen. Besonders repräsentativ dafür ist der Schnoor, der als Symbol der Stadtgeschichte gilt. Aber auch „Wahrzeichen”, wie das Rathaus und weitere ältere Gebäude, besonders am Marktplatz tragen zur „Identifikation” der Stadt bei und geben der Stadt ihre “Wiedererkennbarkeit”.
Alte Dielen, hohe Räume und weitere Merkmale der Innenraumgestaltung tragen dazu bei, dass die Menschen sich emotional der Architektur verbunden fühlen und eine “Nostalgie” verspüren.
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Praxis
Die erarbeiteten Konzepte aus den verschiedenen Untersuchungsfeldern der qualitativen Forschung reflektieren die philosophischen Ansätze von Robert M. Pirsig, besonders bei der Unterscheidung zwischen romantischer und klassischer Qualität. Die Konzepte werden in die drei Kategorien Werturteile, Gestaltungsmerkmale und Erlebnisse unterteilt. Bei den Werturteilen ist es wichtig zu unterscheiden, ob die Aussagen von Fachexperten oder von Laien stammen, da Fachexperten über ein Hintergrundwissen verfügen und dementsprechend architektonische Merkmale zeitlich einordnen können und analytisch bewerten, während Laien tendenziell mit ihrer Bewertung eher oberflächlich bleiben. In der Kategorie der “Erlebnisse” entstehen Konzepte, wie “Erfahrung” und “Entdeckung”, die eine körperliche Präsenz benötigen. Dabei ist wichtig anzumerken, dass hier momentane Eindrücke und unmittelbare Erlebnisse beschrieben werden, bevor der gedankliche Verarbeitungsprozess angefangen werden konnte (Pirsig, 2017, 439).
Im Untersuchungsfeld Flohmarkt ergab sich, dass emotionale Bindungen und Erinnerungen für die Verkäufer:innen und Kunden eine wichtige Rolle spielen. Objekte, welche mit persönlichen Veränderungen oder Erlebnissen verbunden sind, werden eher zum Verkauf gestellt und gekauft. Aber auch die Einzigartigkeit, Nostalgie und die Ästhetik wirken sich auf die Verkaufs- und Kaufentscheidung aus.
In der Bremer Innenstadt betonten die Befragten die Verbindung zwischen Architektur und Erinnerung.
Die Ästhetik, prägnante Gestaltungsmerkmale, Kontraste und persönliche Erfahrungen nehmen einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Gebäuden und Plätzen. Herausstechende Elemente und die Ablesbarkeit von gestalterischen Ideen fördern zusätzlich die Erinnerung und die Identifikation mit der Architektur. Ähnlich hat es Lynch formuliert, denn für ihn ist eine klare und ablesbare Stadt maßgeblich, um sich mit der Stadt identifizieren zu können (Lynch, 2013, 12).
Die Befragung an der Hochschule Bremen von Studierenden aus der Fakultät für Architektur, Bau und Umwelt lässt darauf schließen, dass bestimmte architektonische Merkmale von Plätzen und Gebäuden emotionale Reaktionen hervorrufen. Die Belebtheit, Offenheit und die Möglichkeit, Plätze für sich anzueignen und aktiv teilzunehmen, sind sehr bedeutsam. Durch das Konzept der “Aneignung und Teilnahme” an der Gestaltung der städtischen Umgebung entsteht ein Bezug zu Aldo Rossis Theorie, dass die Stadt durch die Interaktion ihrer Bewohner geformt wird (Rossi, 2015, 117 f.).
Eine kontrastreiche Gestaltung der verschiedenen Stadträume wird ebenfalls intensiv wahrgenommen. Ebenso ist den Befragten wichtig, einen Bezug zur historischen Vergangenheit herstellen zu können. Dies würde der Stadt einen Wiedererkennungswert verleihen und gleichzeitig dazu führen, dass das Kollektivgedächtnis weiterentwickelt wird und eine Identifikation mit der Stadt möglich ist, wie Aldo Rossi es bereits in seinem Buch thematisiert hat (Rossi, 2015, 117).
Ausblick
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Abschließend ist es von hoher Bedeutung, sich mit dem Thema “Erinnerung” näher zu beschäftigen. Dazu hilft das Werk “The Art of Memory, Holocaust Memorials in History” von James E. Young.
Der Autor verdeutlicht, dass die Erinnerung die Fähigkeit besitzt, sie aus neuen Perspektiven zu hinterfragen und mit neuen Erkenntnissen zu ergänzen. Der kontinuierliche Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit trägt zum Einfluss bei, wie und woran wir uns erinnern. Die Gegenwart übt einen unvermeidlichen Einfluss auf unser Erinnerungsvermögen aus (Young et al., 1994, 9 ff.).
Die erinnerte Vergangenheit manifestiert sich kontinuierlich in unserer Gegenwart und beeinflusst dadurch unser Unterbewusstsein, sowie unsere bewussten Taten. Ebenso kann die Vergangenheit einem Wandel unterworfen sein, der auch dazu führt, dass die Vergangenheit weniger eine Öffnung in der Geschichte darstellt, sondern vielmehr zu einem Hindernis für die Bedürfnisse der Gegenwart wird (Young et al., 1994, 9 ff.).
In diesem Kontext werden die Auffassungen von Robert M. Pirsig aufgegriffen, besonders seine Idee, dass der Mensch Qualitäten mit Gegenständen und Orten verbinden (Pirsig & Pirsig, 2022, 27).
Pirsig verdeutlicht, dass Erinnerung nicht mit Fakten beginnt, sondern mit Qualität. Ein Monument verändert sich im menschlichen Verständnis kontinuierlich, wenn der Mensch sich mit dem Erinnerungsprozess auseinandersetzt und zu neuen Erkenntnissen kommt. Die Realität ist hierbei kein
statisches Phänomen, sondern passiert dynamisch. Dabei spielt Qualität eine zentrale, undefinierbare Rolle (Pirsig, 2017, 503).
Um auf die Ausgangsfrage, welche Eigenschaften dazu führen, dass bestimmte Quartiere, Bauwerke und Denkmäler erhalten bleiben und das kollektive Erinnern fördern, zurückzukommen, lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse passend anwenden. Die philosophischen Ansätze von Robert M. Pirsig lassen sich durch eine Kategorisierung in Werturteile, Gestaltungsmerkmale und Erlebnisse in Bezug auf die Erinnerung und Qualität anwenden. Diese Kategorien ermöglichen eine tiefere Einsicht in die Verbindung zwischen subjektiver Wahrnehmung und Erinnerung.
Die Untersuchungsergebnisse am Beispiel des Flohmarkts und der Bremer Innenstadt veranschaulichen, dass emotionale Bindungen und Erinnerungen in Form von Erlebnissen und Erfahrungen eine wichtige Rolle bei der Identifikation und Bewertung von Orten und Objekten spielen.
In der Hochschule Bremen brachten die Untersuchungen die Erkenntnisse, dass auch Kontraste von hoher Bedeutung sind. Der Kontrast zwischen dem Landschaftsraum, der eine Weitsichtigkeit und ein Gefühl von Freiheit mit sich bringt, und dem Stadtraum, der hektisch wahrgenommen wird, wird am häufigsten genannt. Aber auch der Kontrast zwischen dem Flanieren und den schnellen Verbindungen, welche direkt zum Ziel führen und den Nutzer:innen eine passive Rolle zusprechen, scheint die Wahrnehmung der Stadt zu unterstützen. Ausblick
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Weiterhin zeigt sich aus den Erkenntnissen, dass das bewusste Einsetzen von Gestaltungsmerkmalen und ästhetischen Elementen in der Architektur und Stadtplanung zur Stärkung des Kollektivgedächtnis führt und eine stärkere Identifikation mit der Umgebung erzielt werden kann (Rossi, 2015, 177 f.). Zusätzlich ist eine einladende Gestaltung von Orten zum „Teilnehmen und Aneignen“ essentiell, um die städtische Umgebung prägend zu gestalten. Aus diesen Erkenntnissen können Architekt:innen und Stadtplaner:innen neue Impulse gewinnen, um Quartiere, Bauwerke und Denkmäler identitätsstiftend zu gestalten und das Kollektivgedächtnis zu unterstützen. Dabei ist es besonders wichtig, die Potenziale von emotionalen Bindungen, Erinnerungen und ästhetischen Elementen zu nutzen. Die Integration von Merkmalen, die unmittelbare Erlebnisse fördern, trägt dazu bei, Orte zu schaffen, die eine tiefere Verbindung zur kollektiven Identität ermöglichen. Auch das Einbeziehen der Bewohner:innen in den Gestaltungsprozess intensiviert eine aktive Teilnahme an der Formgebung der städtischen Umgebung. So können Räume geschaffen werden, die über der funktionalen und ästhetischen Ebene, auch eine bedeutende emotionale und erinnerungsvolle Bedeutung tragen.
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Ausblick
Literaturverzeichnis
Fromm, E. (2005). Haben oder Sein: die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (R. Funk, Ed.; B. Stein, Trans.). Dt. Taschenbuch-Verlag.
Lynch, K., Korssakoff-Schröder, H., Michael, R., & Lynch, K. (2013). Das Bild der Stadt (9., unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 2013). Bauverlag.
Pirsig, R. M. (2017). Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten: Roman (R. Hermstein, Trans.). Fischer Taschenbuch Verlag.
Pirsig, R. M., & Pirsig, W. K. (2022). On Quality: An Inquiry Into Excellence: Unpublished and Selected Writings (W. K. Pirsig, Ed.). HarperCollins.
Pragmatismus | bpb.de. (n.d.). BPB. Retrieved August 7, 2023, from https:// www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18055/pragmatismus/ (Letzter Zugriff: 20.08.23)
Strauss, A. L., Corbin, J. M., & Strauss, A. L. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung (Unveränd. Nachdr. der letzten Aufl). Beltz.
Young, J. E., Baigell, M., Freede, J. I., Friedländer, S., Gebert, K., Gerz, E., Gerz, J., Gitelmann, Z., Haacke, H., Huyssen, A., Koonz, C., Kugelmass, J., Levi, P., Novick, P., Rapoport, N., Schmidt-Wulffen, S., Segal, G., & Spielmann, J. (1994). The Art of Memory, Holocaust Memorials in History. Prestel Verlag.
*Alle Grafiken und Fotografien wurden von den Verfassern selbst erstellt
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Literaturverzeichnis
Untersuchungsfeld Flohmarkt Dokumentation Befragung
Interview 1:
Warum verkaufen Sie klassische CDs?
Ich habe gemerkt, dass ich die CDs nicht mehr so häufig höre.
Können Sie mir näher erklären, warum Sie diese nicht mehr häufig hören?
Mit der Zeit hat sich mein Musikgeschmack verändert. Außerdem erinnern mich die Musikstücke an meine Mutter.
Es klingt so, als hätten diese CDs eine emotionale Bedeutung für Sie?
Genau. Ich möchte ungerne die CDs wegschmeißen, da mir diese Erinnerung am Herzen liegt. Ich möchte, dass jemand anderes weiterhin Freude mit den CDs hat.
Das verstehe ich. Gibt es neben den Erinnerungen weitere Gründe für den Verkauf?
Ja. Ich möchte in meinem Regal Platz für neue Dinge schaffen.
Interview 2:
Können Sie mir erzählen, warum Sie dieses schöne Geschirr verkaufen?
Gerne. Ich habe festgestellt, dass ich es selten benutze, obwohl es sehr schön aussieht und möchte, dass jemand anderes mehr Freude daran hat als ich.
Könnten Sie mir näher erläutern, warum Sie es nicht nutzen, obwohl Sie es schön finden?
Ja, klar. Wenn man viele Dinge im Haus hat, ist es schwer, alles auf einmal zu benutzen. Ich habe mir mittlerweile neues Geschirr angelegt und nutze dieses nicht mehr regelmäßig.
Verständlich. Gibt es weitere Gründe für den Verkauf?
Ja. Der Verkauf auf dem Flohmarkt bereitet mir sehr viel Spaß. Damals habe ich aus der Geldnot angefangen. Mittlerweile ist es zu einem Hobby geworden. Ich kann mich hier viel mit anderen Leuten austauschen und unterhalten. Außerdem spende ich mittlerweile die Einnahmen für wohltätige Zwecke.
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Anhang
Interview 3:
Darf ich fragen, warum Sie diese Nähmaschine verkaufen?
Gerne. Ich besitze sie schon länger und finde sie interessant und antik, aber leider habe ich keinen Platz mehr und muss sie verkaufen.
Könnten Sie mir näher erläutern, was Sie so interessant an ihr finden?
Ich habe schon immer eine Faszination für alte Dinge gehabt. Sie erzählen Geschichten aus der Vergangenheit. Diese Nähmaschine hat eine Art nostalgischen Charme, den ich sehr schätze.
Interview 1:
Können Sie mir erzählen, warum Sie diesen Kleiderhaken gekauft haben?
Ich finde diesen Kleiderhaken sehr schön und einzigartig. Es ist die Form und die Materialität, die mich anzieht.
Können Sie mir näher erläutern, was genau Sie an der Form und
Materialität schön finden? Die Form erinnert mich an Bäume und Zweige. Ich fühle mich der Natur verbunden.
Gibt es noch weitere Aspekte, die Ihre Kaufentscheidung beeinflusst haben?
Neben Ihrer Liebe für alte Dinge, gibt es noch weitere Gründe für den Verkauf?
Trotz dessen, dass diese Maschine nicht mehr funktioniert, denke ich, dass ich andere Leute finden kann, die ihren Wert erkennen und schätzen können.
Ja, das Material. Der Kleiderhaken ist aus Bronze und vermittelt einen nostalgischen Eindruck. Es erinnert daran, dass dieser Gegenstand schon einiges durchlebt hat, da er teilweise auch abgenutzt aussieht. Aber auch die Verarbeitung ist sehr schön. Man sieht, dass viel Liebe zum Detail in das Design gesteckt wurde. Die handwerkliche Qualität und Feinheit ist sehr ansprechend.
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Anhang
Untersuchungsfeld Innenstadt
Dokumentation Aussagen
Liebfrauenkirche:
Person 1:
- interessant wie Steine in der Fassade verbaut sind; unterschiedliche Formate der Steine wurden ausgewählt schlichte Gestaltung (anders als der Dom)
- gebogene Fenster machen sie besonders
- Nichte hat in dieser Kirche geheiratet, daher eine positive Assoziation
Person 2:
- sticht direkt heraus, da sie sehr groß und prägnant ist
Person 3:
- Fenster sind sehr besonders und der Turm
Person 4:
- Fassade ist sehr schön und Fenster
Rathaus
Person 5:
- Kassettendecken im Innenraum, sowie Holzverkleidungen, Bögen und der Fußboden sind sehr interessant
Person 6:
- Baustil mit Verzierung machen es interessant
- Bildet einen besonderen Punkt in der Stadt
Dom Person 7:
- Grüne Zinkdächer fallen direkt auf und machen es markant, sowie die beiden Tür
Person 8:
- Sehr viele Details (an Fassade, sowie Innenraum)
- Taufbrunnen ist besonders, da ihre Tochter dort getauft wurde
Person 9:
- Runder Turm mit dem grünen Zinkdach ist sehr schön
Becks am Markt und Hachez Gebäude
Person 10:
- Unterschied zwischen den beiden rechten Gebäuden und dem ganz linken ist markant
Peek & Cloppenburg Gebäude
Person 11:
- Beide “Gauben” und Verzierung, sowie die Rasterung der Fenster und der hervorgehobene Sockel machen das Gebäude interessant
Klinkergebäude beim Ansgarikirchhof
Person 12:
- aufregende Fassadengestaltung, durch verschiedene Fenstergrößen und hervorspringende Teile
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Peek & Cloppenburg Gebäude
Klinkergebäude an der Langenstr. Anhang
Gewerbehaus beim Ansgarikirchhof
Person 13:
- Horizontale Linien mit Verzierung in der Fassade, sowie pyramidenartige Gauben machen das Gebäude besonders
Klinkergebäude an der Langenstr.
Person 14:
- Weißer Erker macht das Gebäude markant, obwohl es relativ unscheinbar wäre ohne den Erker
Gebäude an der Langenstr.
Person 15:
- Vertikale Fensteranordnung machen das Gebäude auffällig, sowie die älteren, abgenutzten Jalousien
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Liebfrauenkirche Fassade
Klinkergebäude beim Ansgarikirchhof Anhang
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St. Petri Dom Anbau
Gebäude an der Langenstr.
Becks am Markt und Hachez Gebäude
Anhang
Gewerbehaus beim Ansgarikirchhof
Untersuchungsfeld Fakultät für Architektur, Bau und Umwelt Dokumentation Befragung
Interview:
Welchen Ort in der Bremer Innenstadt suchst Du gerne auf?
Marktplatz, Obernstraße
Was treibt Dich dorthin?
Veranstaltungen z.B. Werder Fanmarkt auf dem Marktplatz, Osterwiese, Freimarkt, Geschäfte in der Obernstraße, Geschäfte im Viertel, Verabredungen
Interview:
Welchen Ort in der Bremer Innenstadt suchst Du gerne auf?
Ich bin grundsätzlich nicht so oft in der Innenstadt. Gründe sind z.B. vermehrtes Online-Shopping Wenn ich aber tatsächlich mal durch die Innenstadt laufe, dann laufe ich gerne über den Marktplatz. Lieber über den Marktplatz, als durch so eine 40 Jahre alte Fußgängerpassage, wie die Lloydpassage.
Wie kommt es dazu?
Ich freue mich, entlang der sehr alten Gebäude am Marktplatz zu laufen. Ich erfreue mich daran, zu sehen, dass diese gepflegt werden. Sie sind schön. Es freut mich, dass diese Gebäude diese Wertschätzung erfahren, weil ich sie auch wertschätze.
diese Gebäude?
Ich fühle mich durch sie mit der Geschichte verbunden. Ich fühle mich durch sie mit der Stadt verbunden. Ich fühle mich durch sie als Teil der Stadt. Sie sind wichtig für meine Identifikation mit der Stadt. Und sie sind wichtig für mein Wohlbefinden.
Du fühlst Dich also wohl, wenn Du auf dem Marktplatz stehst, und das wegen der Gebäude?
Ja, genau. Anders fühle ich mich, wenn ich beispielsweise durch die Lloydpassage laufe. Dort fühle ich mich überhaupt nicht wohl. Parkhäuser gehören auch dazu.
Wieso?
Parkhäuser stören und fügen sich nicht ein. Sie symbolisieren Verkehr. Ein Parkhaus könnte überall stehen. Wenn ich vor dem Rathaus stehe, weiß ich, wo ich bin. Es gibt mir das Gefühl von Sicherheit.
Was hat das Rathaus, das ein Parkhaus nicht hat?
Das Rathaus ist ein Wahrzeichen. Das Parkhaus ist erstmal für eine Funktion da.
Wenn man daher ginge und dieses Wahrzeichen wegnehmen würde, würde dich das stören? Nehmen wir an, man würde das wichtigste Wahrzeichen der Bremer Innenstadt wegnehmen. Welches wäre das für Dich?
Welchen Mehrwert erfährst Du durch
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Der Bremer Dom. Und ja, es würde mich stören.
Also gibt Dir der Dom alleine durch die Anwesenheit und das Wissen über die Anwesenheit ein Gefühl von?
Sicherheit.
3. Interview (Nach dieser Aussage steigt ein weiterer Student ein, der anschließend befragt wird.)
Ich komme aus Hamburg und bin über den geplanten Abriss der Köhlbrandbrücke wütend.
Wieso?
Ein Wahrzeichen verschwindet. Die Brücke stand da schon, seit ich denken kann. Mir den Hafen ohne die Köhlbrandbrücke vorzustellen, wird ungewohnt.
Glaubst Du, dass Du dich mit der Zeit daran gewöhnen kannst?
Ja, schon.
Welchen Ort suchst Du gerne auf?
In Bremen ist es die Neustadt, durch die ich gerne spazieren gehe. Vor allem der hintere Teil der Hochschule.
Was findest Du daran besonders?
Die Straßen. Diese Straßen mit den bunten Häusern, die diese ganz bestimmte kleine und süße Optik haben.
Du sprichst von den Bremer Häusern?
Ja.
Was findest Du daran so besonders?
Ich finde toll, dass sich diese Häuser durch die ganze Straße ziehen, dass sich ein vom Prinzip her gleiches Haus die ganze Straße lang durchzieht und dennoch so unterschiedlich aussehen kann. Das finde ich schön.
Also sind es zum einen die vielfältigen ästhetischen Umrisse. Was noch?
Die Farben, die Schornsteine, die mich an britische Schornsteine erinnern. Die Wintergärten, die Verzierungen.
Gibt es neben der gebauten Umwelt auch weitere Einflüsse vor Ort, die sich auf Dich einwirken?
Die Stimmung ist entspannt. Ich kann flanieren. Die Menschen und Bewohner tragen auch dazu bei. Ohne diese Straßen wäre Bremen sehr viel hässlicher. Besondere Orte in Bremen für mich sind die Neustadt, der Osterdeich und das Viertel. Wenn Du diese Orte herausnimmst, dann wäre Bremen für mich nicht mehr schön.
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Gibt es Orte, die Du gerne aufsuchst?
Eher der ländliche Raum.
Welche Faktoren wecken Dein Interesse?
Die Natur, das Grün, Flora und Fauna, das Wasser
Also das Wahrnehmen dieser Faktoren?
Ja. Das schafft mir Wohlgefallen.
Studierenden Befragung am 07.06.23 (Architektur)
Interview 1:
Welchen Ort in der Bremer Innenstadt suchst Du gerne auf?
Ich suche die bremer Innenstadt grundsätzlich nicht gerne auf
Warum?
Für mich ist er ein Zweckort
Gibt es einen anderen stadtnahen Ort?
Das Viertel
Wo hältst Du dich dort gerne auf?
Ich laufe gerne durch die Seitenstraßen und bevorzuge diese über die Hauptstraßen
tung Dobben
Warum bevorzugst du diese über die Hauptstraßen? Und was macht sie so besonders?
Sie sind angenehmer und schöner. Es sind Parallelstrecken. Den Dobben zum Beispiel empfinde ich als zu nervig und stressig. In diesen Parallelstrecken herrscht weniger Verkehr. Die Straßen sind schöner.
Welche Tatsachen bewirken dieses Empfinden?
Beispielsweise die Pflanzen in den Straßen, also die Bepflanzungen der Bewohner auf dem Hochparterre oder in den Wintergärten. Die Häuser sind schöner, weil sie klein sind.
Gibt es auch Orte auf diesen Strecken, die Erinnerungen bei Dir hervorrufen?
Ja. Ich habe zum Beispiel eine Erinnerung an einen alten Bekannten, der in einer Wohnung über dem Litfass gewohnt hat. Immer wenn ich daran vorbeilaufe, ruft das Haus und die Umgebung die Erinnerung an diesen Bekannten hervor und die gemeinsam verbrachte Zeit. Es sind Erinnerungen an Menschen und Aktivitäten. Aber es ist nicht so, dass ich diese Orte deshalb bewusst aufsuche, sondern mehr eine passive Wahrnehmung.
Diese Wahrnehmung ist Dir wichtig?
Ja.
Kannst Du einige dieser beschreiben?
Gertrudenstraße, Auf den Häfen, Rich-
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Würde diese Wahrnehmung auch dann noch existieren, wenn das Haus samt der Wohnung nicht mehr dort stünde?
Ja, tatsächlich schon. Es gäbe immer noch genug Anhaltspunkte für diese Erinnerung, wie zum Beispiel das Litfass oder die Bushaltestelle.
Welche Rolle spielt das Theater für Dich auf dem Platz?
Interview 2:
Gibt es stadtnahe Orte, die Du gerne aufsuchst, bei denen Du dich vielleicht wohlfühlst?
Ja, aber ich denke zuerst auch nicht an die Innenstadt Bremens. Ich finde beispielsweise den Platz am GoetheTheater besonders schön.
Kannst Du mehr darüber erzählen?
Der Platz hat eine schöne Qualität. Er wirkt wie eine Bühne und ein Eingang ins Viertel. Die Form des Platzes, seine Rundheit finde ich schön. Die Angrenzung von Stadt und Park zum Platz finde ich bemerkenswert.
Was macht den Platz noch so besonders?
Er wird viel genutzt. Dort ist eigentlich immer was los. Die Belebtheit und die Offenheit finde ich besonders. Es findet eine stark ausgeprägte Annahme des Platzes vom Volk statt. Das wirkt sich positiv auf mich selbst aus, weil ich dazu angeregt werde, mich selbst zu beteiligen und den Platz anzunehmen und stück weit für mich anzueignen.
Das Theater ist durch und durch ein schönes Stück Architektur. Ich habe zu dem Theater eine besondere Bindung bzw. Beziehung, weil ich dort arbeite. Daher sehe ich das Gebäude auch anders. Es ist für mich nicht nur Bestandteil dieses Platzes, sondern bietet mir ebenfalls die Möglichkeit, dort zu arbeiten.
Damit hat man eine andere Wertschätzung des Gebäudes?
Ja.
Ist es erhaltenswert?
Total. Es wird mich immer daran erinnern, dass ich dort arbeite. Und wenn ich mal nicht mehr dort arbeiten werde, kann ich am Gebäude meine dort verbrachte Zeit ablesen. Wenn man das Gebäude versuchen würde, abzureißen, würde ich mich dagegen wehren. Interview 3:
Gibt es Orte in der Stadt, die Du gerne aufsuchst, wo Du dich gerne aufhältst?
Tatsächlich nicht. Also Die Stadt weckt bei mir keine Orte des Wohlfühlens oder des Aufhaltens. Ich bin lieber am Werdersee.
Kannst Du das beschreiben?
Der Werdersee ist für mich ein schöner Weg aus der Stadt heraus.
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Was macht ihn so besonders für Dich?
Die Weitsicht. Die Weitläufigkeit. Ich bekomme das Gefühl von Freiheit. Ich kann durchatmen. Ich fühle mich wohl.
Spielen dabei Erinnerungen eine Rolle?
Ja. Ich komme vom Land. Der ländliche Raum bringt mich zurück nach Hause. Es fühlt sich gut an. Die Abwesenheit von Stadt und Häusern lösen dieses Gefühl aus.
Außer dem ländlichen Raum, gibt es da auch städtische Orte, die Du gerne suchst?
In Bremen: Die Neustadt.
Warum?
Sie ist für mich Ausdruck von süß und Niedlichkeit, klein und schön.
Was löst die negativen Verbindungen der Bremer Innenstadt aus?
Unnötige Läden und Geschäfte. Nur shopping. Die Innenstadt ist für mich sehr stilisiert. Die Menschen dort sind stilisiert. Man ist fürs Einkaufen stilisiert und die Obernstraße ist zum Einkaufen stilisiert. Man hält sich dort nicht auf, weil man sich dort aufhalten möchte, sondern weil man einkaufen möchte. Ich kann mich damit nicht identifizieren und daher ist für mich die Innenstadt eher eine Vermeidung als eine Suche.
Spielen Erinnerungen dabei eine Rolle?
Tatsächlich schon. Also ich komme vom Land. Und dort hatten wir auch
einen kleinen Ortskern. Eine “Stadt”, wenn Du so willst. Und dort gab es einen Edeka und öde und hässliche Gebäude. Das ist schonmal die erste negative Erinnerung. Die zweite ist, dass wir zum größeren Einkaufen meistens nach Paderborn gefahren sind, weil es nahe liegt. Und die Tage habe ich gehasst. Daher kommen bei mir, wenn ich an die Bremer Innenstadt denke, auch nur zuerst Bilder der Obernstraße hoch. Ich denke beispielsweise nicht an den Marktplatz.
Welches Bild hättest Du gerne von der Bremer Innenstadt?
Das Viertel. Also ich frage mich tatsächlich, wieso das Viertel nicht das Bild der Bremer Innenstadt ist.
Interview 4:
Gibt es Orte oder Plätze in der Bremer Innenstadt, wo Du gerne bist?
Domshof.
Warum? Was macht der Platz mit Dir?
Er löst bei mir das Gefühl von Geborgenheit und Gehalten aus. Und der Platz verlangt auch nicht viel von mir, er erzeugt keine Anforderungen von mir. Das finde ich angenehm und das macht ihn so ruhig.
Welche Eigenschaften lösen das aus?
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Er ist gut eingerahmt. Er hat zwar eine ziemlich große Fläche, aber die den Platz rahmenden Gebäude gehen diesem Maßstab nach. Sie sind kontextbezogen in Hinsicht auf ihre Maßstäblichkeit.
Sie sind breiter und an den Platz angepasst.
Was findest du besonders, wenn Du auf dem Platz stehst?
Die Weitsichtigkeit und Weitläufigkeit. Ich kann ihn gut erfassen. ohne, dass es Stellen gibt, die dem Betrachter unbekannt oder vorenthalten werden. Das hängt mit den genannten Maßstäben und Dimensionen zusammen.
Wie sieht es aus mit dem Marktplatz?
Den Marktplatz empfinde ich als zu stressig.
Gibt es Gebäude, wie zum Beispiel das Rathaus, die Du als wertig empfindest?
Das Rathaus zählt bestimmt dazu.
Woran machst Du diese Wertigkeit fest?
Das Rathaus wirkt sehr geschichtsträchtig und prachtvoll. Es ist auch tatsächlich einer der ersten Orte, die ich in Bremen zum ersten Mal aufgesucht habe. Und ich erinnere mich, dass es bereits dunkel war an dem Tag. Und ich erinnere mich, dass die Erscheinung des Rathauses bei mir Ehrfurcht ausgelöst hat.
Gibt es Eigenschaften am Rathaus
selbst, die Du hervorheben kannst?
Die Verzierungen, das Relief, der Schmuck.
Findest Du es wichtig, mit der Geschichte verbunden zu sein?
Ja. Es gibt mir Kenntnis darüber, wo man herkommt. Es hilft der Identifikation mit der Stadt, in der man lebt. Die Verbindung zu vergangenen Jahrhunderten ist wichtig zum existieren.
Könntest Du an etwas festmachen, warum Du den Marktplatz stressig wahrnimmst?
Also vom Marktplatz führen sehr viele Wege ab. Und alle Wege zentralisieren sich sehr demonstrativ auf den Mittelpunkt dieses Platzes. Wohingegen diese Konzentration auf dem Domshof kaum existiert, obwohl wahrscheinlich fast genauso viele Wege zum Platz hinführen und vom Platz wegführen.
Fast schon zwei gegensätzliche Plätze unmittelbar nebeneinander. Findest Du das gut?
Es ist sehr sonderbar, aber ich finde es gut. Es verstärkt die Wahrnehmung des jeweils anderen Platzes. Kontraste sind wichtig für eine Stadt.
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Interview 5:
Gibt es Orte, wo Du gerne bist? Möglichst stadtnahe…
Die Wallanlagen. Also konkret kann ich glaube ich in der Innenstadt keinen Ort nennen. Aber grundsätzlich durchquere ich bevorzugt Quer- und Nebenstraßen, und nicht die Hauptstraßen.
Was findest Du an Nebenstraßen schön?
Sie sind klein. Durch die Existenz von Nebenstraßen, kann ich mir meinen eigenen Weg durch die Stadt erschließen. Ich finde es wichtig, dass ich einen eigenen, individuellen Weg gehen kann. Hauptstraßen geben einem dem Weg vor. Ich entdecke gerne. Nebenstraßen und Parallelstraßen, kleine Gassen geben mir diese Möglichkeit. Sie geben mir die Möglichkeit, am Stadtleben teilzunehmen, ohne wirklich teilzunehmen, also eine gewisse Freiheit.
Das Entdecken ist qualitätsvoll?
Ja. Ich bleibe nicht gerne stehen. Dafür schätze ich auch die Wallanlagen. Sie sind verwinkelt und nicht straightforward. Sie stehen für Natur und Ruhe. Ich nutze die Wallanlagen aber auch nicht, um von A nach B zu kommen, sondern eher um zu flanieren.
Also bevorzugst Du eher kleinere Zwischenstopps über längere Aufenthalte?
Ja. Ich bleibe gerne in Bewegung und bleibe aber gerne stehen, wenn ich etwas Neues entdecke.
Interview 6:
Wie schaut es bei Dir aus?
Der Schnoor. Die Kleinteiligkeit, die Verwinkeltheit.
Gibt es ein bestimmtes Gebäude im Schnoor?
Es gibt ein Gebäude. Dort haben Studenten drinnen gewohnt. Ich finde den Bezug zur Zeit sehr spannend. Ich male mir gerne in meiner Vorstellung aus, wie diese Gebäude früher ausgesehen haben, wie ihre Bewohner früher gelebt haben und ihre Häuser genutzt haben.
Warst Du in diesem Gebäude einmal drinnen?
Ja.
Gibt es im Innenraum bestimmte Eigenschaften, die du besonders findest?
Die alten Dielen, die hohen Räume. Der alte “Flair”. Der Schnoor steht für mich für Geschichte. Es gibt auch das Geschichtshaus im Schnoor, das ich hin und wieder gerne aufsuche. Dort werden bestimmte Orte geschichtlich rekonstruiert inszeniert. Ich finde diese geschichtliche Auffrischung wichtig.
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Interview 7:
Bestimmte Orte oder Gebäude möglichst stadtnahe?
Bremer Bahnhof. Also das alte Bahnhofsgebäude. Ich finde es schön und großzügig.
Was daran?
Das Gewölbe. Die Fenster. Das Licht, das durch die Fenster scheint. Ich finde aber nicht gut, dass der alte Charakter der Bahnhofshalle nicht wirklich erhalten geblieben ist. Immer mehr wurde baulich irgendwas an die Bahnhofshalle hinzugefügt. Nun ist die Halle nicht mehr wirklich erfahrbar. Was ich schön finde, ist, wenn ich an einem Gebäude erkennen kann, dass bestimmte Dinge eingeplant worden sind und dies auch bewusst. Also wenn die großen Fenster beispielsweise. Daran merke ich, dass es geplant war, so viel wie möglich Licht in das Gebäude zu holen und diesen großzügigen Innenraum in Szene zu setzen. Genauso finde ich es unerträglich, wenn ich gebaute Sachen sehe, die überhaupt nicht geplant eingesetzt wurden. Die nachträglichen Anbauten zum Beispiel. Der Bahnhofsplatz ist dafür auch ein gutes Beispiel. Eigentlich bilden der Bahnhof und das Überseemuseum eine Platzrahmung. Aber der Bahnhofsvorplatz ist überhaupt kein Zusammenspiel von gesamtheitlicher Planung. Also zumindest empfinde ich ihn so.
Woran erkennst Du das?
Dass es zum Beispiel vom Bahnhofsvorplatz weg immer enger und weniger übersichtlich wird durch die vorgesetzten Bus- und Bahnhaltestellen. Der Cut ist zu hart. Es wird zu viel auf zu kleinem Raum und man hat wenig Raum, den kommenden Überfluss an Reizen zu verarbeiten. Die Gleise und Haltestellen stehen viel zu dicht auf engem Raum. Es entsteht keine Aufenthaltsqualität und die Übersichtlichkeit des Platzes geht somit verloren.
Findest du den Bahnhofsvorplatz und den Übergang zu den Haltestellen zu kontrastreich?
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Anhang
Ja.