April 2020

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04 2020 monatlich kostenlos • lesbar

das anhalt magazin

Regionale Kultur und Corona Seit Mitte März ist das öffentliche Leben in Deutschland stillgelegt. Wir haben regionale Kulturschaffende gefragt, was die unfreiwillige Entschleunigung für sie bedeutet - und wie sie trotzdem mit ihrem Publikum und ihren Gästen in Kontakt bleiben. • s. 8

„Wir werden damit fertig!“ Das LEO-Gespräch mit Dr. Andreas Neubert, Leiter der Forschung und Entwicklung bei der IDT Biologika. Wir sprachen mit ihm über die Gefahren des Virus, über die Suche nach einem Impfstoff und über die tatsächliche Bedeutung der aktuellen Schutzmaßnahmen. Und darüber, warum Mitmenschlichkeit und Optimismus gerade jetzt genauso wichtig sind wie Hygiene und Abstandsregeln. • s. 20

heft-nr. 187 seit 2003 aufl.: 15.000 edt. digital


ȹ editorial

Ohnmächtig! Ohnmächtig fühlt man sich im Angesicht dieser surrealen Tage. Nur, Ohnmacht würde ja bedeuten, dass man schnell wieder bei Sinnen wäre. Dem LEO und vor allem den LEO-Mitarbeitern ist im Laufe des abgelaufenen Monats und in Vorbereitung auf den April in Anhalt auf jeden Fall aber „schwarz vor Augen“ geworden. Sämtliche Themen und nahezu alle Einnahmen Ihres kleinen, aber feinen Anhaltmagazins sind weg. Der LEO war von jetzt auf gleich ohne Arme und ohne Beine – aber immer noch ausgestattet mit Herz und Köpfchen. Seit 2003 verstehen wir uns als Plattform für Gastronomen, Veranstalter, Händler, Kulturschaffende und Freizeitgestalter, wir schauen auf die Menschen von hier und stellen Gäste der Region Anhalt vor. Und das soll es nach 17 Jahren nicht mehr geben? Nein! Gerade Gastronomen, Veranstalter, Händler, Kulturschaffende und Freizeitgestalter sollen in dieser Ausgabe zu Wort kommen und ihre Sorgen und Nöte darlegen. Der LEO startete im April 2003 mit einer recht kleinen Auflage in gedruckter Form. Der LEO im April 2020 erscheint erstmals ausschließlich digital – und damit mit einer unendlich großen Verbreitung. Aber er erscheint und er ist in den letzten Tagen so umfangreich geworden, wie selten. Vielleicht ist das für Sie eine ganz neue Form, den LEO zu entdecken und wir hoffen, dass wir Sie erreichen – auch in den kommenden Monaten. Wenn auch Sie meinen, dass der LEO eine Relevanz für Sie und Ihren Blick auf Ihre Heimatregion hat, dann zeigen Sie uns das ruhig! Es werden wieder bessere Zeiten kommen, in denen der LEO die Menschen nicht nur gedanklich, sondern auch im echten Leben wieder zusammen bringen wird. Helfen Sie uns ein wenig dabei. Meine Hoffnung auf die kürzliche Zeitumstellung, mit einem Sprung ins nächste Jahr, hat sich ja leider nicht so recht erfüllt. Ihr Sebastian Völker Herausgeber

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„Wir werden damit fertig!“ – das LEO-Gespräch mit Dr. Andreas Neubert, Forschungs- und Entwicklungschef bei IDT Biologika • Seite 20 •

foto: © hartmut bösener

Zeitumstellung

ȹ inhalt 4 In eigener Sache Nach 17 Jahren LEO erscheinen wir erstmals ausschließlich in digitaler Form – alles anders in Zeiten von Corona. 10 Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona Seit Mitte März stehen alle Räder des öffentlichen Lebens still. Freizeitkultur findet nur noch zu Hause statt. Doch was bedeutet das für die, die sonst für Publikum und Gäste aktiv sind? LEO hat sich umgehört. 20 „Panik ist fehl am Platz“ Die IDT Biologika ringt an vorderster Front um einen Impfstoff gegen das Corona-Virus. Im Gespräch mit LEO erklärt Forschungsleiter Dr. Andreas Neubert, warum man das Virus nicht ignorieren darf – es aber besiegen wird. 28 Macht das Beste draus! Keine Bühne, keine Schule, keine Reisen – dass auch Langeweile sehr anstrengend werden kann, erfahren Viele in diesen Tagen zu ersten Mal. Es geht aber auch anders. Wie, erzählen Ihnen die LEO-Leser am besten selbst. 34 Das etwas andere Heimkino Die Internetleitungen laufen heiß, Streamingdienste verzeichnen Rekordnachfrage. Wir finden, dass man sich auch bei größter Langeweile nicht alles angucken muss. Wie wäre es also mit einer Prise Heimat auf dem Bildschirm?


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foto: © lutz schneider eventfotografie

foto: dessau dancers © wild bunch germany foto: © corinna kroll

Heimatfilme mal anders

20 Jahre Fürstsingers • Seite 56 •

Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona • Seite 8

50 Fit auch ohne Studio Alle Fitnessstudios sind geschlossen, selbst Ghetto-Workout am Klettergerüst ist gerade nicht möglich. Fit bleiben ist aber gerade im jetzt erzwungenen Stillstand besonders wichtig. Wir haben ein paar Tipps zum Sport in Heimarbeit. 52 Reinschauen und Raum nehmen Wir sind ja Optimisten. Und darum freuen wir uns auf Anfang Juni, wenn das Anhaltische Theater zum diesjährigen Festival „Schau rein!“ unter anderem im Haus des Reisens einlädt. Warum? Schauen Sie doch einfach selbst mal rein! 56 LEO Musik – 20 Jahre „Fürstsingers“ Der Schulchor des Dessauer Gymnasiums Philanthropinum ist alles andere als Durchschnitt. Nicht ganz unschuldig daran ist der Leiter des Ensembles. Und der redet mit eben so viel Leidenschaft über seinen Chor, wie er ihn dirigiert. 62 LEO Buchtipps 64 LEO Rätselseite 65 Impressum 66 LEO Kolumne Das Thema Nummer 1 lässt natürlich auch unseren TeilzeitHypochonder nicht völlig unberührt. Noch viel mehr interessiert ihn aber, was seine Mitmenschen draus machen – die LEO Kolumne im April.


ȹ in eigener sache

In eigener Sache Wenn Sie diese LEO-Ausgabe lesen, dann tun Sie dies mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf einem Bildschirm. Es sei denn, Sie haben Ihren eigenen Drucker genutzt, um in den Genuss des klassischen LEO-Lesegefühls zu kommen. Tatsache ist jedenfalls, dass es unser Magazin erstmals in seiner Geschichte nur in einer digitalen Version gibt. Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen – oder haben, wie in unserem Fall, vor allem unvermeidbare Folgen. Der besonderen Situation ist auch geschuldet, dass wir uns mit diesem Beitrag ganz direkt und in eigener Sache an Sie, die LEO-Leser, wenden. Denn wer uns länger kennt, weiß, dass wir uns selbst lieber im Hintergrund halten und uns als Plattform für die Kulturlandschaft in Anhalt und Wittenberg betrachten. Sowas wie das Folgende machen wir also eigentlich nicht. Jetzt muss es aber einfach sein. Dem LEO zuliebe, den Kulturschaffenden vor Ort zuliebe, unseren Lesern zuliebe und ja, natürlich auch unserer eigenen wirtschaftlichen Existenz zuliebe. Klingt dramatisch? Ist es auch. Aber gemeinsam schaffen wir das schon!

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Noch Anfang des Jahres haben wir mit einer Mischung aus Skepsis, Neugier und Besorgnis die Ereignisse in China beobachtet. Ein neues Virus verbreitete sich in rasend schnellem Tempo, eine ganze Millionenregion wurde hermetisch abgeriegelt, Not-Krankenhäuser innerhalb weniger Tage errichtet. Aber – China war weit weg und von seinen Bedingungen mit den Verhältnissen der westlichen Welt ja sowieso nicht zu vergleichen. Als die Weltgesundheitsorganisation wegen des Coronavirus Ende Januar die internationale Gesundheitsnotlage ausrief, haben die meisten von uns das entweder nicht registriert oder schlicht ignoriert. Schließlich hatte die WHO das auch bei der Schweinegrippe oder bei Ebola getan – ohne wirkliche Auswirkungen auf unseren Alltag. Dass parallel die ersten Infektionen von Chinareisenden in Deutschland auftraten, füllte zwar die Schlagzeilen – aber das waren ja nur Einzelfälle, die sofort in Quarantäne und Behandlung kamen. Während im Februar in Thailand, Frankreich oder Italien die ersten Menschen außerhalb Chinas an COVID-19 starben, feierten Zehntausende hier noch ausgelassen Karneval oder fuhren in den schwer ver-

dienten Skiurlaub. Längst waren alle Medien voll von Berichten rund um das Virus – aber der Großteil von uns war davon eher genervt als beunruhigt, fordert doch die jährliche Grippewelle viel mehr Opfer als das bisher bei dem neuen Virus der Fall war. Wir wussten es ja nicht besser. Oder wollten es nicht wahr haben. Doch ab Mitte März überschlugen sich die Ereignisse. Innerhalb weniger Tage wurden erst mehrere Großveranstaltungen wie die Leipziger Buchmesse abgesagt, kurz darauf öffentliche Veranstaltungen mit über 1.000 Besuchern verboten, dann auch alle anderen. Kitas und Schulen schlossen ihre Türen und aus dem unermüdlichen Aufruf, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, wurde schließlich ein Kontaktverbot mit umfangreichen Ausgangsbeschränkungen, das eigentlich nur noch den Weg zur Arbeit, zum Arzt und zum Lebensmitteleinkauf zulässt, immer mit ausreichend Sicherheitsabstand zu allen anderen, versteht sich. Das öffentliche Leben ist völlig zum Erliegen gekommen, Freizeit findet – abgesehen von mehr oder weniger einsamen Spaziergängen oder sportlicher Betätigung – nur noch im heimischen Umfeld statt.


Was die lange Vorrede soll? Was das überhaupt alles mit dem LEO zu tun hat? Sollten Sie sich diese Frage tatsächlich stellen, sind vielleicht schon die Umstände, unter denen Sie diese LEO-Ausgabe gerade lesen, ein erster kleiner Hinweis. Erstmals in seiner ziemlich genau 17-jährigen Geschichte erscheint der LEO ausschließlich digital. Ein gedrucktes Heft gibt es nicht. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass nur noch eine Handvoll der klassischen LEO-Verteilstellen derzeit überhaupt geöffnet ist und Supermärkte oder Ärzte im Moment sehr viel wichtigere Aufgaben haben als sich die Räume mit Monatsmagazinen zuzustellen. Und als Ersatz für das schon jetzt beliebteste Hamster-Produkt des Jahres ist uns unser LEO andererseits natürlich viel zu schade…und das Papier zu wenig saugfähig. Aber der LEO ist vor allem eben ein Kultur- und Veranstaltungsmagazin. Schon in unserer Märzausgabe konnten wir täglich, beinahe stündlich, einen weiteren dort verkündeten Termin streichen, der größte Veranstaltungskalender der Region wurde schon bald zu einem vielseitigen „Was wäre, wenn“. Zwar waren die starken Einschränkungen ursprünglich nur bis Ende März vorgesehen, jedoch war mit dem Blick auf

das Weltgeschehen und andere Bundesländer schnell absehbar, dass sich hieran auch im April nichts zum Besseren ändern würde. Und dann ist da noch der Wirtschaftsfaktor. Seit seiner ersten Ausgabe ist der LEO kostenlos zu haben und finanziert sich ausschließlich aus Anzeigen – deren Anteil wir ganz bewusst so gering wie möglich und nötig halten, damit aus dem Anhalt-Magazin kein Werbeblättchen mit sporadisch eingestreuten Artikeln wird. Davon gibt es schon genug. Der Löwenanteil dieser Anzeigen stammt aus dem Veranstaltungs- und Kulturbereich, der Rest von regionalen Dienstleistern und Händlern. Doch wer wirbt für eine Veranstaltung, von der er weiß oder zumindest vermuten muss, dass sie nicht stattfinden wird? Wer bewirbt Dienstleistungen oder Produkte, die er in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht an den Mann oder die Frau bringen kann? Zumal die eigenen Einbußen in beiden Fällen schon absehbar sind. In gleichem Maße, in dem wir die Veranstaltungsabsagen verarbeiten durften, erreichten uns daher auch die Mitteilungen der Werbekunden, dass wir erst einmal nicht mit ihnen rechnen dürfen. Sachlich betrachtet völlig nachvollziehbar, sub-

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ȹ in eigener sache

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jektiv und wirtschaftlich aber katastrophal. Zumal draußen – oder eher da drin – gerade geht. Weil wir auch die, in der Vergangenheit gelegentlich prakti- zeigen wollen, wie die regionalen Kulturschaffenden zierte, Option, den LEO aus dem Hauptgeschäft der mit der Ausnahmesituation umgehen. Weil wir darühinter dem Magazin stehenden Agentur 3undzwanzig ber informieren wollen, was in unmittelbarer Nähe sozusagen „quer zu subventionieren“ diesmal keine gegen die weltweite Seuche getan wird. Weil wir dazu war. Denn in ihrer Spezialisierung auf Ausstellungen, beitragen wollen, ein wenig Ablenkung, Unterhaltung Veranstaltungen, Messen und Öffentlichkeitsarbeit und vielleicht sogar ein kleines Lächeln in den unfreiist die Agentur von den aktuellen Ereignissen kaum willig eingeschränkten Alltag zu bringen. Weil der LEO weniger betroffen. Allein die Druckkosten der 15.000 unser Baby ist! Es ist ein anderer LEO geworden, als wir und Sie physischen LEO-Hefte, die im höheren vierstelligen Bereich liegen, wären unter diesen Bedingungen ihn kennen. Ohne Veranstaltungskalender und mit daher kaum zu schultern gewesen. Also haben wir auf vergleichsweise wenigen, dafür aber teils äußerst ausdas gedruckte Heft verzichtet. Auch wenn uns dieser führlichen, Themen. Es ist ein LEO für eine andere Schritt gegenüber der Druckerei unseres Vertrauens, Zeit, immer verbunden mit dem Wunsch, dass eine mit der wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten und Rückkehr in die „Normalität“ in nicht allzu ferner die ebenfalls mit starken Einbußen zu kämpfen hat, Zukunft liegen möge. Es ist ein LEO, der manchmal auch ernstere Töne anschlägt, als Sie es gewohnt sind alles andere als leicht fiel. Aber warum gibt es den April-LEO dann überhaupt? – falls das nicht schon nach diesen Zeilen aufgefallen Warum nicht ein Veranstaltungsmagazin ausfallen las- sein sollte –, der aber auch Spaß machen soll, sich sen, wenn es doch keine Veranstaltungen gibt? Weil selbst keinesfalls zu ernst nimmt und wie immer die wir diese Region lieben, mit all ihren kleinen, großen Menschen in Anhalt und Wittenberg näher zueinanund manchmal auch gewaltigen Schönheitsfehlern. der bringen möchte. Wenigstens rein gedanklich und Weil wir wissen wollen, wie es Ihnen und Euch da emotional.


Wie geht es nun weiter mit dem LEO? Ganz ehrlich? Wir wissen es selbst nicht so genau. Aufgeben, wie es in den vergangenen Monaten und Jahren bereits viele Regionalmagazine getan haben, ist keine Option. So weitermachen wie bisher aber eigentlich auch nicht. Die Situation stellt uns, wie die Gesellschaft insgesamt, vor Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet waren. Tatsache ist, dass der LEO schon immer ein Herzensprojekt war und bis heute ist. Tatsache ist aber auch, dass Kosten bezahlt werden müssen und auch wir selbst nicht nur von Luft, Liebe und einem wohlwollend-bestätigenden Schulterklopfen leben können. Ohne ausreichende Einnahmen wird es also schwierig. Und da der LEO nicht plötzlich kostenpflichtig werden soll, haben wir uns überlegt, einfach mal unsere treuesten Leser anzubetteln, nachdem wir sie mit unserem Klagelied weich geklopft haben. Dass das in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit ein Unterfangen sein kann, das zum Scheitern verurteilt ist, wissen wir. Doch dieses Risiko gehen wir ein, müssen wir eingehen. „Versuch macht kluch“, sagt der Literat – und zu verlieren haben wir eigentlich nichts. Also: Sie wollen, dass der LEO weiterhin regelmäßig für Anhalt und Wittenberg da ist? Ihnen gefällt, was wir so machen und Sie wollen vielleicht sogar mehr davon? Sie haben ein fürstliches Einkommen oder reich geerbt und wissen ohnehin nicht, wohin mit dem ganzen Geld? Dann geben Sie es doch einfach uns! (Und mit „uns“ meinen wir den LEO, nicht das persönliche Sparkonto…obwohl, so ne schicke Privatinsel mit Yachthafen hätte schon was…) Schauen Sie bei Gelegenheit doch einfach mal bei www.steadyhq.com/de/ leomagazin vorbei. Hier haben Sie die Möglichkeit, Ihr Lieblingsmagazin mit einer monatlichen Spende ab 3 Euro zu unterstützen. Solange Sie wollen und der LEO es Ihnen wert ist. Wir freuen uns über jeden Beitrag und sagen jetzt schon: Dankeschön!

Aber damit eines klar ist: Sie dürfen unser kleines Heimatmagazin gern auch kostenlos weiterlesen. Sie Geizhals. Nein, wirklich, so glücklich wir auch über jede Unterstützung sind, sie ist rein freiwillig und sollte immer im persönlichen Budget vorhanden sein. Das Wichtigste bleibt, dass der LEO bei den Menschen in der Region ankommt und ein kleines Plätzchen in ihren Herzen hat. Das Allerwichtigste ist nun jedoch, dass auch diese besondere LEO-Ausnahmezustandsausgabe Sie erreicht, informiert, berührt, Ablenkung und Unterhaltung schenkt. Wir wünschen viel Spaß und positive Gedanken! Bleiben Sie gesund und bis zum nächsten Mal! Das gesamte LEO-Team

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

foto: © corinna kroll

Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

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Nur wenige Regionen in Deutschland sind auf engstem Raum so reich an Kultur und Natur wie Anhalt-Wittenberg. Kein Wunder also, dass der Tourismus längst zu einem der größten Wirtschaftsfaktoren geworden ist, vom regionalen Tagesausflügler bis zu Besuchern aus aller Welt. Doch ­während die Kultur- und Tourismusanbieter normalerweise im März und April alle Kraft in den Start der Sommersaison stecken, sind sie in diesem Jahr zum Stillstand gezwungen.

In Zeiten von Corona ist das höchste Ziel von Kultur, Gastronomie, Hotellerie und Tourismus – nämlich Menschen zueinander zu bringen und ihnen ein besonderes, gemeinsames Erlebnis zu ermöglichen – zu einem der größten Risikofaktoren geworden. Fast täglich verschärfte sich seit Mitte März die Lage, an öffentliche Veranstaltungen oder Freizeitangebote aller Art ist längst nicht mehr zu ­denken. Was aber bedeutet das für die Menschen, die mit diesen Dienstleistungen nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch ihre ganze Energie und Leidenschaft in diese Aufgabe investieren? LEO hat sich in der Region ausführlich umgehört. Neben Ratlosigkeit, und manchmal auch Verzweiflung, begegneten uns dabei viel Verständnis für die Maßnahmen, sachorientierter Pragmatismus und immer wieder die optimistische Hoffnung auf eine Rückkehr zu besseren Zeiten. (Anmerkung: Die Befragung der Unternehmen, Dienstleister und Kulturschaffenden fand in der Woche vom 16. bis 22. März statt. Eventuelle spätere Entwicklungen spiegeln sich hier daher nicht wider.)

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

foto: © hartmut boesener

foto: © ferropolis gmbh

Welche Folgen hat die aktuelle CoronaSituation für Ihre Veranstaltungsstätte oder für Ihr Unternehmen bzw. für Ihre Angebote bisher?

Ferropolis GmbH

Stiftung Bauhaus Dessau „Die historischen Bauhausbauten und das Bauhaus Museum Dessau sind seit 14. März geschlossen. Da wir ein Haus sind, das im Normalfall täglich Gäste aus der ganzen Welt begrüßt, und wir das Ansteckungsrisiko minimieren wollten, hat sich die Stiftung Bauhaus Dessau frühzeitig entschlossen, sich den Vorgaben der Stadt anzuschließen. Für die Öffentlichkeit sind nun alle Gebäude geschlossen, trotzdem geht die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Wir nutzen die Zeit, um beispielsweise Wartungsarbeiten oder kleine Reparaturen durchzuführen. Die Meisten arbeiten im Homeoffice – durch das Jubiläum gibt es noch viel nachzuarbeiten.“ ȹ www.bauhaus-dessau.de

„Den Betrieb des Bergbaumuseums Ferropolis haben wir einstellen müssen, vorerst bis zum 19. April. Dadurch fehlen uns die Eintrittsgelder in den besucherstarken Frühjahrsmonaten. Da Ferropolis keine öffentliche Museumsfinanzierung hat, tut der Verlust dieser Einnahmen besonders weh, ist aber eben nicht zu ändern.“ ȹ Betreiber der gleichnamigen „Stadt aus Eisen“ bei Gräfenhainichen als beliebtes Ausflugsziel und Ort für Großveranstaltungen von Konzerten bis Rennsport www.ferropolis.de

foto: © brauart e.v.

brauArt e.V.

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„Wir haben als Verein mitten in den Vorbereitungen zur 11. Brau.ART „Auf der Kippe“, die am 9. Mai eröffnet werden sollte, schweren Herzens die Reißleine gezogen und auf den September geschoben – in der Hoffnung, dass sich bis dahin die Lage entspannt hat. Vorhaben und Programmpunkte hoffen wir auch verschieben zu können. Da wir als eingetragener Verein von Sponsoren und Spenden abhängig sind, war dies auch eine wirtschaftliche Entscheidung.“ ȹ Organisator der gleichnamigen jährlichen Ausstellung regionaler Künstler auf dem Dessauer Brauereigelände www.brauart-dessau.de


Clack Theater Wittenberg

Home of Rock „Wir versuchen, positiv zu denken – wissen aber alle nicht, wie lange uns das noch beschäftigen wird. Unsere Shows finden zu 90% mit internationalen Künstlern aus allen Teilen der Welt statt, die mit eigenen Vorgaben und Reisebeschränkungen kämpfen. Daher versteht jeder die Lage des Anderen. Uns als Veranstalter treffen die Absagen der Konzerte sehr. Gerade beginnt die Zahl unserer Gäste kontinuierlich zu wachsen und „Home of Rock“ wird mehr und mehr bekannt. Aber auch ganz persönlich. Wir lieben was wir da machen und unsere Gäste sind immer wieder begeistert. Jedes der Konzerte ist wie ein Familientreffen. Wir wünschen uns sehr, dass wir bald wieder loslegen können.“

„Der komplette Spielbetrieb des Clack Theaters ist zur Zeit eingestellt. Das macht uns sehr traurig, da wir nicht nur mit unseren Hausproduktionen aussetzen, sondern wir auch hochkarätige Gastspiele absagen müssen. Auch unsere 14. Wittenberger Aidsgala mit einem großen Aufgebot an Stargästen mussten wir komplett auf den 25. März 2021 verschieben. Die Tickets behalten ihre Gültigkeit. Allerdings finden wir die Entscheidung der Gesundheitsbehörde richtig und alternativlos. Es ist uns in dieser Zeit das Wichtigste, alle gesellschaftlichen Kräfte zu vereinen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.“

ȹ Veranstalter der gleichnamigen Konzertreihe in Dessau-Kochstedt www.homeofrock.live

Spielberg „Wir Zwei, ‚Spielberg‘, locken seit über 14 Jahren die Stars aufs Land. Am 15./16. April stand das Frühlingsfest mit Stargast Gerd Christian im Veranstaltungskalender. So etwas wie in diesem Jahr haben wir noch nie erlebt. Wir beide lieben und leben den Deutschen Schlager und unsere Veranstaltungen im heimischen Wohnzimmer in Bräsen sollen darunter nicht leiden. Und deshalb gibt es auch keine Absagen, sondern nur eine Veranstaltungsverschiebung: – 15. April 2020 wird verschoben auf den 23. Juni 2020 – 16. April 2020 wird verschoben auf den 24. Juni 2020“ ȹ Roßlauer Schlagerduo und Betreiber der „Fläminger Musikscheune Bräsen“ in Coswig www.spielberg-schlager.de

foto: © heinz frässdorf / ksdw

ȹ www.clack-theater.de

Kulturstiftung Dessau-Wörlitz „Die saisonale Öffnung aller Schlösser genauso wie die In­betriebnahme des Gondel- und Fährbetriebs in Wörlitz haben wir zunächst auf Anfang April verlegt. Lediglich die Amtsfähre verkehrt – und zwar für alle Parkbesucherinnen und Parkbesucher kostenfrei. Sämtliche Veranstaltungen sind vorerst abgesagt. Dies alles bedeutet für die Kulturstiftung natürlich einen Verlust an Einnahmen. Zudem geht das Tagesgeschäft nur eingeschränkt vonstatten, da Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen aufgrund der notwendigen Kinderbetreuung oder wegen eigener anderer Erkrankungen. Die Parks und Gärten sind aber nach wie vor für den Publikumsverkehr geöffnet! Der Frühling lässt sich weder vom Corona-Virus noch vom abgesagten Frühlingserwachen aufhalten.“ ȹ www.gartenreich.de

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

Sie sind nicht nur Gastgeber, sondern auch Arbeitgeber. Wie wirkt sich die aktuelle Situation in dieser Beziehung aus?

Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt

foto: © gasthof „grüner baum“

„Natürlich schützen wir auch unsere Mitarbeiterinnen und Mit­ arbeiter, wo wir können. So ist der Kontakt mit Gästen eingestellt. Wer kann, arbeitet im Homeoffice. Für die übrigen Kollegen versuchen wir, den Kontakt mit anderen so gering wie möglich zu halten – so sind beispielsweise Termine abgesagt oder werden telefonisch wahrgenommen, Dienstreisen finden nicht statt. Aber grundsätzlich versuchen wir, weiterzuarbeiten und die Stiftung handlungsfähig zu halten. Trotz Krise und der Schließung der Museen gibt es dennoch einiges zu tun.“

Home of Rock

foto: © corinna kroll

„Schlimm ist die Situation für die, die durch uns Geld verdienen müssen. Bisher mussten sechs Konzerte gecancelt werden. Das wirkt sich natürlich auch finanziell aus – für Veranstaltungstechniker und Gastronomen laufen alle Kosten weiter und die Einnahmen fallen schlagartig weg. Das sind liebe Menschen, die einen großartigen Job machen und viel Herzblut in die Konzerte fließen lassen.“

ȹ www.martinluther.de

Dalichow Events Irish Harp Pub, Wittenberg „Als Arbeitgeber versuche ich gerade herauszufinden, wie das mit dem Kurzarbeitergeld funktioniert und wie ich meine Mitarbeiter unterstützen kann.“

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ȹ www.irishharppub.eatbu.com

„Eine ganz große Katastrophe. Bei uns sind es ja nicht nur die Veranstaltungen, die wir verschieben müssen. Wir sind eine Tourismus- und Eventagentur, das betrifft also auch unsere Führungen, Gruppen- und Städtereisen. Die sind sogar schon für Mai zu 100 % von den Gästen storniert worden. Familienfeiern sind sogar schon bis in die 2. Jahreshälfte abgesagt. Das bedeutet, unser Umsatz steht momentan auf null. Also sind unsere Mitarbeiter seit dem 16. März in die Kurzarbeit geschickt.“ ȹ Tourismus- und Eventagentur aus Wittenberg, u.a. Stadtführungen und „Schloss Open Air“ www.dalichow-events.de


foto: © giorgos kalaitzis

Phönix Theaterwelt Wittenberg „Arbeitgeber sind wir ‚nur‘ für Ehrenamtliche und geringfügig Beschäftigte. Aber auch diese Personengruppe rechnet monatlich mit der Aufwandsentschädigung oder dem Geld vom Minijob. Wir haben alle Mitarbeiter nach Hause geschickt. In diesem Fall besteht leider keine Absicherung durch das Kurzarbeitergeld.“

Lutherstadt Wittenberg Marketing GmbH

ȹ www.theater-wittenberg.de

„Wir sind im Austausch mit Dienstleistern und Kooperationspartnern. Hier können wir in Teilen Aufträge zunächst nicht erteilen, müssen diese verschieben. Keine einfache Lage, denn alle wollen ja ‚veranstalten‘ und haben seit dem Winter und dem neuen Jahr Zeit in Vorbereitungen gesteckt. Kurz: wir arbeiten im ‚Verschiebemodus‘.“

Clack Theater Wittenberg „Größtenteils arbeiten wir mit freischaffenden Gastkünstlern in unserem Ensemble, für sie alle ist es im Moment eine existenz­ bedrohende Lage.“

ȹ www.wittenberg-marketing.de

Köthener Badewelt

foto: © woliday wolfen

„Die Palm Springs GmbH & Co. KG sowie die Betriebsführerin INFRA Service Sachsen-Anhalt GmbH haben gemeinsam entschieden, den öffentlichen Bade- und Saunabetrieb bis auf Weiteres stillzulegen – aus Verantwortung gegenüber unseren Badegästen und Mitarbeitern. Die Gesundheit der Menschen geht ganz klar vor! Aktuell kümmern sich die Mitarbeiter um Reparatur-, Reinigungs- und Wartungsarbeiten, um die Schließzeit nicht ungenutzt zu lassen. Wir haben unsere Beschäftigten aufgefordert, ohne Ausnahme bei den Arbeiten in der Köthener Badewelt die vorgeschriebene persönliche Schutzkleidung zu tragen.“­ ȹ www.koethener-badewelt.de

„Die Probenarbeit kann am Anhaltischen Theater bis auf weiteres nicht mehr stattfinden. Im Prinzip sind bis auf ein kleines Kernteam alle Mitarbeiter in Homeoffice.“ ȹ www.anhaltisches-theater.de

foto: © atd/ claudia heysel

Anhaltisches Theater Dessau

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

Was tun Sie, um auch in Zeiten des brachliegenden öffentlichen Lebens den Kontakt zu Ihrem Publikum bzw. zu Ihren Besuchern oder zu Ihren Gästen zu halten? brauArt e.V.

Stiftung Bauhaus Dessau

„Wir werden die Interessenten an unserer Ausstellung auf der Homepage und den sozialen Medien des Vereins über Fotos und Videos an der Entstehung von Kunstwerken teilhaben lassen. Damit wollen wir auch die Neugier auf das Original, das dann in der Ausstellung hoffentlich im Herbst zu sehen sein wird, wecken.“

„Wir werden nicht untertauchen. Um mit unseren Gästen in Kontakt zu bleiben, werden wir unsere Social-Media-Kanäle stärker bespielen und neue Formate ausprobieren. Im Gegenteil: Wir versuchen, die Zeit auch kreativ zu nutzen.“

foto: © anhaltischer kunstverein

Anhaltischer Kunstverein Dessau „In der Infomail über die notwendige Schließung der Ausstellung haben wir einen Videolink zu unserer Homepage eingefügt, in dem Ran1 ein Interview mit Jusche Fret anlässlich der Vernissage zeigt und dem Zuschauer das künstlerische Anliegen von Jusche Fret zum Ausdruck bringt. Wir planen eine Filmaufnahme, auf der ihre zauberhaften Arbeiten gezeigt werden und stellen sie sowohl auf die Homepage als auch auf die Facebookseite des AKV. Unsere Mitglieder werden wir über Mail ebenfalls darüber informieren, wohl wissend, dass das direkte Erleben der Kunstwerke nicht ersetzt werden kann.“ ȹ Ausstellungen im kunstRaum 22 und anderen Veranstaltungsorten in Dessau-Roßlau www.anhaltischer-kunstverein.de

„Wichtig ist jetzt, die Netzwerke in den Gemeinden auch ohne den Kontakt von Angesicht zu Angesicht aufrecht zu erhalten. Über Telefon und elektronische Medien informieren wir uns, wie es gerade älteren Gemeindegliedern geht und versuchen, Hilfe zu leisten und zu organisieren. Die Evangelische Kirche hat über das Portal www.kirchevonzuhause.de bereits umfangreiche Angebote für digitale Andachten, Gottesdienste, Seelsorge, Gebet u.a.m. ins Netz gestellt. Wir informieren regelmäßig auf unserer Homepage und in den sozialen Netzwerken. Es gibt täglich unter www.landeskirche-anhalts.de einen Podcast mit einer Andacht zum Lesen und zum Hören.“

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ȹ www.landeskirche-anhalts.de

foto: © lutherstadt wittenberg marketing gmbh

Evangelische Landeskirche Anhalts


foto: © köthen kultur und marketing gmbh

Känguruh Production Konzertagentur GmbH „Wir sind uns der Rolle und Verantwortung gegenüber unseren Partnern, Künstlern und Kunden bewusst, jedoch stellt die aktuelle Ausnahmesituation auch uns vor große organisatorische und logistische Herausforderungen und wir hoffen hier auf die Geduld und Besonnenheit Aller. Die Eindämmung der Ausbreitung des Virus steht aktuell an oberster Stelle. Dennoch bedauern wir, dass zahlreiche Konzerte und Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden müssen und bei vielen Besuchern die Enttäuschung groß ist. Wir richten jetzt unser ganzes Augenmerk darauf, transparent zu kommunizieren und möglichst schnell Ersatztermine zu finden.“ ȹ www.kaenguruh.de

„Jetzt schlägt die Stunde der sozialen Medien. Wir veröffentlichen auf Facebook täglich ein historisches Foto aus unseren reichen Beständen und erzählen eine Geschichte dazu. Parallel dazu gibt es an jedem Tag auch ein Bild aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld, verbunden mit der Bitte, dass die User in den Kommentaren Geschichten und Informationen dazu einstellen. Zudem nutzen wir die sozialen Medien, um unser Team ebenso vorzustellen wie die einzelnen Museen mit ihren Exponaten und Objekten aus dem Depot.“ ȹ www.bachstadt-koethen.de

Anhaltisches Theater Dessau „Wir informieren unser Publikum auf unserer Website und in den sozialen Netzwerken über den neuesten Stand im Anhaltischen Theater Dessau. Außerdem stellen wir Videos ins Netz. Täglich lesen wir eine Geschichte aus der Novellensammlung „Dekameron“ vor. So gibt es die Möglichkeit, den Kontakt zum Publikum zumindest online aufrechtzuerhalten. Wenn keiner zu uns kommen kann, dann kommen wir eben zum Publikum – über das Internet!“

foto: © lutherstadt wittenberg marketing gmbh

Köthen Kultur und Marketing GmbH

Lutherstadt Wittenberg Marketing GmbH „Diese Frage beantworten wir mit ganz neuen kleinen Formaten, wie situativ angemessenen Auftritten mit Künstlerinnen und Künstlern. Die im Nachhinein in den Sozialen Medien gepostet werden. Die Ideenfindung läuft hier permanent und muss sich dennoch den Anforderungen auf Besucher- wie Mitarbeiterseite, die sich aus den Auflagen wegen des Covid-19-Geschehens ergeben, stellen.“ ȹ www.wittenberg-marketing.de

Kulturstiftung Dessau-Wörlitz „Aktuelle Informationen werden über die Homepage und den Facebook-Account bekannt gegeben. (www.gartenreich.de // @GartenreichDessauWoerlitz) Facebook wird für uns in der Krise ganz wichtig sein: Da die Besucherinnen und Besucher nicht in die Schlösser kommen können, bringen wir die Schlösser unter dem Hashtag #closedbutopen eben nach draußen. Start hierfür war das Wochenende vom 21./22. März. Kurze Posts mit Bildern (Detailaufnahmen, einzelne Exponate, Archivbilder, Blicke hinter die Kulissen, Rückblicke etc.) und knappen Informationen gewährleisten den derzeit nicht möglichen Zugang in die Häuser. Je nachdem, was die kommenden Wochen mit sich bringen, entwickeln wir dieses Format weiter.“

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

Bisher kann niemand abschätzen, wie sich die Situation entwickeln wird. Wie blicken Sie in die Zukunft? Dalichow Events

Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt „Konkrete Überlegungen gibt es zur Zeit nicht, dafür ist die Lage viel zu dynamisch, die Situation ändert sich täglich. Momentan bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Dabei bleiben wir ruhig und reagieren schnell auf Veränderungen. Und natürlich versuchen wir, das Beste daraus zu machen – es gibt bei uns auch genug „hinter den Kulissen“ zu tun, was im Alltagsgeschäft meist liegen bleibt. Dem widmen wir uns jetzt. Und bei aller Krisenstimmung bleiben wir optimistisch. Wir sind fest davon überzeugt, dass es irgendwann auch wieder bergauf geht und wir uneingeschränkt für unsere Gäste da sein werden.“

Anhaltischer Kunst­verein Dessau „Wir hoffen natürlich, dass die kommenden Ausstellungen, in erster Linie Horst Janssen ab dem 17. Mai, wieder regulär gezeigt werden können. Andere Szenarien mögen wir uns noch nicht ausmalen.“

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foto: © charakterklasse alexander helbig

foto: © hagen immel, potsdam

„Wir wünschen uns eine baldige Normalität. Wobei man von normal sicherlich gar nicht mehr sprechen kann. Es wird sich alles verändern. Die Menschen werden immer noch Angst haben und nur behutsam Veranstaltungen besuchen. Wir stehen bereit und freuen uns auf diejenigen, die bereit sind, wieder in Richtung Normalität zu gehen. Daher wünsche ich mir, das alle sich momentan daran halten, zu Hause zu bleiben! Damit alle bald wieder so in Freiheit leben können, wie wir es selbst bestimmen können.“

Clack Theater Wittenberg „Im Moment arbeiten wir sehr kreativ. Gestalten neue Programmkonzepte und kommunizieren per Internet mit unseren Komponisten, Autoren, Kostümdesignern. Das macht den Kopf frei und lässt uns in Vorfreude auf die Wiedereröffnung blicken.“

Evangelische Landeskirche Anhalts „Diese Krise lehrt uns ein Stückweit auch Bescheidenheit und zeigt, dass wir über unser Leben nicht einfach frei verfügen können. Wir arbeiten verantwortungsvoll und tatkräftig an der Bewältigung der Krise mit und sind in Gebeten, Gedanken und auch Taten bei den Menschen, denen es in dieser Lage nicht gut geht – und bei den Menschen, die derzeit für unser aller Wohl arbeiten, sei es in Politik, Krankenhäusern, Krisenstäben, Supermärkten oder anderswo.“


Was wird aus unseren Tickets? Mit dem Veranstaltungsverbot stehen nicht nur die Anbieter, sondern auch viele Ticketkäufer vor der Frage, wie es nun weitergeht. Schließlich werden Karten für begehrte Veranstaltungen meist schon Monate vor dem eigentlichen Ereignis gesichert. Ist das Geld jetzt einfach weg? Nein, natürlich nicht, versichern alle befragten Akteure. Allerdings gibt es verschiedene Ansätze, mit der Situation umzugehen.

Oberste Priorität bei allen Befragten hat die Suche nach einem Ersatztermin. Für einige Veranstaltungen sind diese bereits gefunden, andernorts wird noch verhandelt. Aber auch Künstler oder Agenturen haben natürlich größtes Interesse daran, diesen für alle Beteiligten besten Weg zu gehen. Schon gekaufte Tickets behalten ihre Gültigkeit.

Lässt sich auch dieser Weg nicht gehen oder passt der Ersatztermin nicht, ist in der Regel die Rückerstattung der Tickets angesagt. Insbesondere bei Online-Tickets ist das meist unkompliziert möglich. Allerdings bleiben hier leider Künstler und Veranstalter in ohnehin schwierigen Zeiten auf bereits entstandenen Kosten sitzen.

Eine weitere Möglichkeit bieten beispielsweise das Anhaltische Theater oder das Clack-Theater Wittenberg an. Hier können bereits erworbene Tickets gegen Gutscheine eingetauscht werden, um sie später für eine Ersatz- oder auch eine ganz andere Veranstaltung einzulösen. Dalichow Events aus Wittenberg spendieren dazu sogar noch ein Gläschen Sekt.

Letzte, und lobenswerteste, Alternative ist daher die Ticketspende. Das heißt, Käufer verzichten bei ausgefallenen Veranstaltungen darauf, ihr Geld zurückzufordern. Oder kaufen, wie im Clack-Theater, sogar zusätzliche Gutscheine für „bessere Zeiten“. Wer es sich ­leisten kann und will, setzt damit ein besonderes Zeichen der Solidarität.

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ȹ Stillstand statt Saisonstart – Regionale Kultur und Corona

Ölmühle Roßlau e.V. – Soziokulturelles Zentrum

foto: © ölmühle e.v.

„Das Team der Ölmühle bleibt optimistisch. Wir sind weiter mit der Planung der großen Sommerveranstaltungen und des Ferienprogrammes beschäftigt. Wir verfolgen die weitere Entwicklung sehr genau und werden weiter nach sinnvollen Möglichkeiten suchen, unseren Gästen schnellstmöglich wieder einen ‚sozialenkulturellen Raum‘ zu geben.“ ȹ www.oelmuehle-rosslau.de

„Wir arbeiten an unseren Sommerund Herbstprojekten weiter. Da sind wir auch wieder mit verschiedensten Angeboten in der Marienkirche in Dessau. Alle diese Veranstaltungen sind bereits im Verkauf. Wir hoffen natürlich nach einer veranstaltungslosen Zeit auf regen Zuspruch. Mit der Women in Jazz gGmbH sind wir auch Veranstalter des Festivals „Women in Jazz“. Die 15. Festivalausgabe sollte am 25. April starten. Bis zum 9. Mai hatten wir mehr als 20 Veranstaltungen vorbereitet. Noch möchten wir nicht aufgeben. Besonders hier gilt, sollte die Corona-Pandemie dieses Festival verhindern, so ist auch die Zukunft des Festivals ungeklärt. Es bedarf der Hilfe verschiedenster Partner, in einem solchen Fall die Festivalidee am Leben zu erhalten.“ ȹ Agentur und Veranstalter zahlreicher Konzerte und Events in Halle, aber auch in der Marienkirche Dessau und anderen Spielorten www.cultour-buero-herden.de

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Cultour-Büro Halle

Köthen Kultur und Marketing GmbH (KKM) „Unser größter Wunsch ist, unsere Partner auch nach der Corona-Krise noch an unserer Seite zu wissen. Sicher wird es nicht einfach sein, den Betrieb sofort wiederaufzunehmen. Nach vielen Wochen ohne kulturelle Angebote hoffen wir jedoch, dass die Leute ‚ausgehungert‘ sind. Wenn sie dann wieder oft und regelmäßig zu uns kommen, ins Theater, zu Konzerten und Lesungen gehen, Museen besuchen, hilft das ungemein. Vielleicht hat die erzwungene Situation dieser Tage auch den Nebeneffekt, dass sich ein jeder noch einmal selbst versichern kann, wie unverzichtbar Kunst und Kultur sind. So erzwingt eine Notsituation womöglich eine Wertschätzung, die im normalen Alltag in den Hintergrund geriet oder als allzu selbstverständlich wahrgenommen wurde.“


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Ferropolis GmbH

„Wir machen uns große Sorge, das Haus und seine laufenden Kosten halten zu können. Wir hoffen daher, so wie unsere Künstler und Gäste auch, auf Unterstützung von staatlicher Seite – die wir dringend benötigen werden.“ ȹ www.theater-wittenberg.de

Sonnenblues e.V. „Unserer Veranstaltungsreihe, also die Bluesnächte, ist bis zum Jahresende fix besetzt. Deshalb sehen wir der nächsten Veranstaltung am Freitag, dem 5. Juni, mit „Gala, Gogow und Becker“ entgegen. Der Vorstand des Vereins geht davon aus, dass sich bis dann die gegenwärtige Situation wieder etwas normalisiert hat.“ ȹ Veranstalter der „Dessauer Bluesnächte“ www.sonnenblues.de

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Phönix Theaterwelt Wittenberg

„Ja, diese Situation kann schnell existenziell bedrohlich werden für eine Kulturstätte wie Ferropolis. Wir werden aber mit den Bergmannstugenden wie Solidarität und Mut und einer Prise Humor diese Krise überwinden. Die Mannschaft zählt, nicht nur der Einzelne.“

Stadtmarketinggesellschaft Dessau-Roßlau mbH „Das Reiseverhalten ist zum Erliegen gekommen. Auf jeden Fall wird sich dies deutlich auf die Tourismusbranche auswirken und nicht zuletzt im Einbruch von Statistiken sichtbar werden. Dennoch geht ein Großteil unserer Arbeit ganz normal weiter. Einige Projekte werden nun einfach zeitlich nach hinten v ­ erschoben, andere werden neu gedacht. Es wird eine Zeit nach dieser Krise geben und auf die bereiten wir uns nun intensiv vor. Wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Es sind auf jeden Fall einige Dinge in Arbeit, auf die man sich freuen darf. Dessau-Roßlau ist und bleibt eine attraktive Stadt für T ­ ouristen – welches wir mit der ein oder anderen Marketingaktion laut verkünden werden. Sie dürfen gespannt sein.“ ȹ www.visitdessau.de

Irish Harp Pub, Wittenberg „Für mich als Selbständigen steht ja auch noch meine laufenden Kosten im Raum, von denen ich im Moment noch nicht weiß, wie sie abgedeckt werden sollen!“

Die vollständigen Interviews gibt’s online unter www.leo-magazin.com

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ȹ gespräch Im Januar 1982 nahm Dr. Andreas Neubert seine Arbeit am damaligen Institut für Impfstoffe Dessau auf. Von Anfang an waren Viren und Virusimpfstoffe sein Fachgebiet. Bei der heutigen IDT Biologika GmbH ist er Chief Scientific Officer, also Leiter der Forschung und Entwicklung.

„Wir werden damit fertig!“ Das Coronavirus SARS-CoV-2 bestimmt in diesen Wochen über unseren Alltag. Die Stimmen derer, die die Pandemie als harmloser als eine durchschnittliche Grippe einstufen, sind zwar leiser geworden, aber nicht verstummt. Sogar manch seriöser Wissenschaftler hält die nun angeordneten Vorsichtsmaßnahmen für deutlich übertrieben – und für möglicherweise gefährlicher für Wirtschaft und Gesellschaft als es die Krankheit COVID-19 für die Gesundheit ist. Andere beschwören den baldigen Weltuntergang oder mindestens Millionen von Toten. Wer sich in die Tiefen des Internets begibt – und viele Menschen haben jetzt ja die Zeit – stößt auf die abstrusesten Theorien und gefährliche Tipps zur Selbsttherapie. Mit der IDT Biologika in Dessau-Tornau verfügt unsere Region über einen der „Global Player“ der internationalen Biotechnologiebranche. Die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen verbindet fast 100-jährige Tradition mit modernsten Methoden und umfangreichster Expertise. An der weltweiten Suche nach einem Corona-Impfstoff ist das Unternehmen daher fast schon selbstverständlich intensiv beteiligt. Dr. Andreas Neubert, Leiter der Forschung und Entwicklung bei der IDT Biologika mit fast 40-jähriger Berufserfahrung, sprach mit LEO über die Gefahren des Virus, über die Suche nach einem Impfstoff und über die tatsächliche Bedeutung der aktuellen Schutzmaßnahmen. Und darüber, warum Mitmenschlichkeit und Optimismus gerade jetzt genauso wichtig sind wie Hygiene und Abstandsregeln.

„Schweinegrippe“ vor zehn Jahren war das so. Hier waren jüngere Altersgruppen schwerer betroffen, und die Untersuchungen der Seren in weiten Teilen der Erde zeigten, dass Ältere wahrscheinlich schon einmal mit einem ähnlichen Grippevirus Kontakt Dr. Andreas Neubert: Diese Frage wird hatten. Vorbelastungen durch Begleiterkrankungen derzeit sehr häufig gestellt. Sicher möchte spielten damals für die Schwere des Verlaufs man sich innerlich mit der Antwort beruhigen, keine so große Rolle. Bei der jährlich auftretenden dass SARS-CoV-2 ja doch nicht anders ist als saisonalen Grippe ist das anders. Der wesentliche Grippe, die man ja glaubt, zu kennen. Wenn man Unterschied aber ist, dass man sich gegen die heute weiß, dass vielleicht 81 % der COVID-19saisonale Grippe impfen lassen kann. Leider lassen Infektionen relativ leicht sind und etwa 19 % sich viel zu wenige Menschen impfen; trotzdem einen schweren Verlauf haben, zeigt das schon, bilden die Geimpften dann einen Schutz gegen dass diese neue Infektionskrankheit schwerer die schnelle Verbreitung des Grippevirus auch für verläuft als Grippe. Außerdem hat fast jeder schon ungeschützte Personen. Das hemmt die Verbreitung einmal mit Grippeviren Kontakt gehabt. Durch und senkt die Rate schwerer Erkrankungen. die Veränderungen der Oberflächenproteine von Grippeviren kann man sich immer wieder anstecken; Außerdem gibt es einige zugelassene antivirale es gibt aber Kreuzimmunitäten gegen Virusvarianten, Wirkstoffe gegen den Grippeerreger, die besonders bei frühen Infektionsstadien für Risikopatienten die das immunologische Gedächtnis erkennt und die eingesetzt werden können. Immunantwort beschleunigt. Bei dem Ausbruch der Was macht das Coronavirus SARS-CoV-2 so gefährlich, von dem noch vor wenigen Wochen viele behaupteten – und teils noch heute behaupten – es sei harmloser als die jährliche Grippewelle?

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ȹ gespräch

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Reinräume, modernste Produktionsanlagen, strengste Sicherheits- und Hygienevorschriften – hier entstehen täglich Impfstoffe für den weltweiten Einsatz.

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Bei COVID-19 ist das alles anders. Der Erreger ist nicht eng mit den bereits bekannten menschlichen Coronaviren verwandt. Jeder ist empfänglich! Es gibt keine spezifischen immunologischen Schutzmechanismen aus der Vergangenheit, es gibt noch keine Impfstoffe, und es gibt leider auch keine sicheren Wirkstoffe gegen das sich im Körper vermehrende Virus. Leider hat das SARS-CoV-2 auch ein paar besonders hässliche Eigenschaften, die es von der Grippe unterscheiden. Grippe- und auch Coronaviren sind in der Umwelt nicht besonders widerstandsfähig. Austrocknung, Tageslicht und höhere Temperaturen führen zur Abtötung innerhalb kurzer Zeit. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Viren ist die Zeitdauer des Aufenthalts im menschlichen Organismus. Grippeinfektionen führen nach einer Infektion schon nach etwa zwei Tagen zu Symptomen und sind nach etwa 14 Tagen überwunden. Personen, die das Virus ausscheiden, sind in der Regel richtig krank und bleiben im Bett. Die klinischen Symptome einer COVID-19-Erkrankung können nach der Infektion erst nach etwa einer Woche auftreten und zuerst einer leichten Erkältung ähneln, bevor dann in etwa zehn Tagen eine schwere Erkrankung entstehen kann. Erkrankte scheiden viele Viren aus, die andere direkt infizieren können. Auch können Sonnenlicht und warmes Wetter der Verbreitung des Coronavirus nicht so viel anhaben wie dem Grippevirus. Am meisten interessiert aber auch die Frage, wie viele Todesfälle das Virus hervorrufen kann. Ist COVID-19 wirklich so viel schlimmer als Grippe?

Die weltweit bisher bekannten Daten zeigen schon, dass die Coronavirus-Infektion im Vergleich mit saisonaler Grippe mit etwa 10-mal höheren Sterberaten in Verbindung gebracht wird. Wir wissen heute, dass vor allem Ältere und Männer stärker als Frauen betroffen sind. Wir wissen auch, dass es Risiken aus Vorerkrankungen gibt, die den Schweregrad erhöhen. Es sollte aber auch bedacht werden, dass diese Risikoerkrankungen zu einem großen Teil Erkrankungsbilder unserer heutigen Zivilisation und auch Jüngere davon betroffen sind. Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Coronavirus in der ganzen Gesellschaft gebremst werden muss. Etwa 19 % aller Infektionen sind krankenhauspflichtige, schwere Erkrankungsverläufe, was bei der denkbaren Anzahl infizierter Personen wesentlich problematischer ist als bei einer Grippe. Warum sind Viren überhaupt so viel aggressiver als Bakterien? Oder scheint das nur so, weil wir heute Antibiotika haben?

Dr. Andreas Neubert: Viren und Bakterien gehören zu unserem natürlichen Umfeld und haben sich in Jahrtausenden an Menschen, Tiere und Pflanzen angepasst. Unter normalen Bedingungen parasitieren sie auf dem Wirt, können den Wirtsorganismus sogar stärken und gegen krankmachende Keime schützen. Leider gibt es aber eben auch Keime, die Krankheiten hervorrufen. Das ist besonders schlimm, wenn dieser Erreger erstmalig auf einen neuen Wirt überspringt. Das passiert auch derzeit


noch, wenn das Ebolavirus in Afrika von Fledermäusen oder Flughunden direkt oder über Zwischenwirte auf Menschen übertragen und dann von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Aber auch das SARS-CoV-2-Coronavirus ist wahrscheinlich von Fledermäusen über noch unbekannte Tierarten auf den Menschen übertragen worden. Heute sind solche vom Tier auf den Menschen übertragbare Infektionskrankheiten häufiger geworden, da dieser immer stärker in die Natur eindringt und somit die Möglichkeit von Kontakten erhöht. Für Bakterien trifft das auch zu. Die Möglichkeit, bakterielle Infektionen mit Antibiotika zu behandeln, und das Vorhandensein wirksamer, guter Impfstoffe hat die Angst vor bakteriellen Erkrankungen genommen. Dabei gibt es aber immer wieder neu entdeckte bakterielle Infektionen, die nicht schnell übertragen werden und deshalb auch nicht so präsent sind. Trotzdem sollte nicht vergessen

Was Viren potentiell „aggressiver“ gegenüber Bakterien macht, ist die leichtere Übertragbarkeit über Tröpfchen, besonders, wenn die Übertragung über die Luft oder auch indirekt über Oberflächen möglich ist. werden, dass eine uralte bakterielle Infektion, die Tuberkulose, gegenwärtig noch die meisten Menschenleben fordert und zunehmend Stämme des Erregers unempfindlich gegen Antibiotika werden. Was Viren potentiell „aggressiver“ gegenüber Bakterien macht, ist die leichtere Übertragbarkeit über Tröpfchen, besonders, wenn die Übertragung über die Luft oder auch indirekt über Oberflächen möglich ist. Weiterhin ist für das Entstehen einer Erkrankung auch die dafür benötigte Anzahl von Keimen, die ein Organismus aufnehmen muss, entscheidend. Es gibt bakterielle und virale Infektionskrankheiten, bei denen nur wenige Keime reichen, um die Infektion auszulösen. Andere Erkrankungen werden erst durch entsprechend hohe Dosen ausgelöst. Für das Coronavirus ist das nicht bekannt. Vieles spricht dafür, dass die gefährliche Infektionsdosis aber sehr klein ist. Letztlich ergeben sich aus den dargestellten Faktoren Aussagen über die Rate der Folgeinfek-tionen, die ein infizierter Patient auslösen kann. Für

COVID-19 wird angenommen, dass etwa zwei bis drei Personen direkt angesteckt werden können. Bei Masern, einer anderen gefährlichen Virusinfektion vor allem für Kinder, können bis zu zehn Personen von einem Infiziertem angesteckt werden. Insofern ist die Coronavirus-Infektion nicht die ansteckendste. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass die hohe Virusausscheidung vor allem in der frühen Erkrankungsphase bei entsprechend intensiven Kontakten vielleicht viel mehr Personen anstecken kann. Heftige Après-Ski-Partys in Tirol haben gereicht, die Infektion mit hunderten Fällen in viele skandinavische Länder und auch Deutschland zu exportieren. In den Medien ist öfter von einer „Durchseuchung“ die Rede. Was hat es damit auf sich?

Dr. Andreas Neubert: In der Tiermedizin ist der Begriff der Durchseuchung von Tierbeständen gut bekannt. Für viele Infektionskrankheiten gab es früher keine Impfstoffe, und man hat sogar gezielt diese Bestände mit einem Erreger durchseucht, um zu erreichen, dass ein Teil der Tiere die Infektion übersteht, um infolge dessen immun gegen eine weitere Infektion zu werden. Dabei traten, natürlich in Abhängigkeit von der Sterblichkeit, erhebliche Verluste auf. Danach war die Infektion meist erst einmal überwunden. Diese Herdenimmunität bedeutet, dass der überwiegende Teil der Herde geschützt ist und der andere Teil der Herde nicht infiziert wird, weil sich der Erreger nicht weiterverbreiten kann. Wenn diese Herde isoliert bleibt, der Erreger verschwindet, keine neuen, ungeschützten Tiere dazu kommen und die Immunität lange genug andauert, kann man damit eine Infektionskrankheit eindämmen. In der menschlichen Population würde das ähnlich funktionieren. Natürlich sollen alle erkrankten Personen behandelt und geheilt werden, aber wenn genug Individuen nach einer stattgefundenen Infektion einen Schutz aufgebaut haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Erreger sich weiterverbreiten kann, und wenn das Virus keinen Wirt mehr findet „stirbt es aus“. Wissenschaftliche Berechnungen haben ergeben, dass etwa 60 % der Bevölkerung geschützt sein müssten, um die Infektion zurück zu drängen. Das Schwierige dabei ist aber, dass Menschen eben nicht in isolierten Beständen leben und unsere heutige Vernetzung immer wieder die Verbreitung anstoßen kann. Vielleicht sind aber dann zwischenzeitlich Impfstoffe oder Heilbehandlungen verfügbar, die die Coronavirus-Infektionen beherrschbar machen.

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ȹ gespräch

Wie muss man sich als Laie die Entwicklung eines VirusImpfstoffes vorstellen?

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Dr. Andreas Neubert: Impfstoffe gegen virale Infektionen können über verschiedene Verfahren hergestellt werden. Was alle Impfstoffe aber gemein haben, ist die Eigenschaft, gegen einen bestimmten Erreger im Körper einen Schutz, also eine Immunität, zu erzeugen. Virale Erreger brauchen zur Vermehrung im menschlichen Organismus bestimmte Zellen und entfachen dann bei der Vermehrung die Symptome der Erkrankung. Es ist also wichtig, bei einer Infektionskrankheit zuerst die Vorgänge im Körper genau zu verstehen. Das schließt natürlich die Mechanismen ein, die zu einer Immunität führen. Aus der genauen Kenntnis des Erregers – Wie ist er aufgebaut? Welche Bestandteile des Virus verbinden sich mit welchen Zellen in welchen Organen? Wie dringt das Virus in die Zellen ein? Wie vermehrt es sich? Wie wird das Virus aus der Zelle ausgeschleust? Wie werden die nächsten Zellen infiziert? – ergeben sich Erkenntnisse für die Impfstoffentwicklung. Jeder Krankheitskeim besitzt eigene Mechanismen, wie er die natürlichen Schutzmechanismen des Organismus überwinden oder zumindest einschränken kann. Jede Körperzelle hat beispielsweise Mechanismen, die Alarm schlagen, wenn fremdes Erbgut in die Zelle eingeschleust wird. Jeder Organismus besitzt unspezifische Schutzmechanismen, die einen Infektionserreger aufspüren und unschädlich machen sollen. Dann setzen über weiße Blutkörperchen, die Lymphozyten, Immunreaktionen ein, die den Erreger aufhalten und vernichten sollen. Wenn man nun versteht, welche Eiweißbestandteile des Virus eine günstige Immunreaktion hervorrufen und welche diese hemmen, kann man beginnen, einen Impfstoff zu designen. Ob der Impfstoff aus abgeschwächten Viren, Eiweißbestandteilen, aus anderen Trägerviren oder Nukleinsäure-Abschnitten, die die gewünschten Eiweiße enthalten, besteht, hängt von den Ergebnissen der Entwicklung und den Möglichkeiten ab. Der Herstellungsprozess und alle erforderlichen Prüfungen werden dann intensiv entwickelt und optimiert. Da die Herstellung in der Regel durch biotechnologische Prozesse erfolgt, biologische Systeme aber sehr variabel sein können, muss abgesichert werden, dass die Herstellung immer zu reproduzierbarer Qualität führt. Natürlich muss der Impfstoff gründlich auf Wirksamkeit und Sicherheit getestet werden, bevor er am Menschen geprüft werden kann. Das geht leider nicht ohne die Prüfung in einem Tiermodell. Trotzdem sind heute viele Impfstoffplattformen be-

kannt, die keine umfangreichen Prüfungen im Tiermodell mehr benötigen – gerade in der Impfstoffentwicklung ist der Tierschutz ein entscheidendes Kriterium geworden. Bevor ein vielversprechender Impfstoffkandidat an Probanden getestet werden kann, wird das Projekt von Wissenschaftlern der zuständigen Bundesoberbehörde, des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen, geprüft und freigegeben. Die klinische Prüfung erfolgt an dafür zugelassenen Prüfeinrichtungen unter enger ärztlicher Kontrolle und mit einer sehr akribisch überwachenden Qualitätssicherung. Die Prüfung selbst erfolgt in mehreren Stufen. In der Phase 1 wird an wenigen Probanden vor allem die Sicherheit des Impfstoffes für Menschen untersucht. In der Phase 2 wird die Wirksamkeit, d.h. die immunologische Reaktion, untersucht, und in der Phase 3 wird an einer sehr großen Anzahl von Probanden (bis zu 60.000) die Sicherheit und Wirksamkeit abschließend getestet. Wenn keine unerwarteten Nebenwirkungen und eine Bestätigung der Wirksamkeit vorliegen, kann der Impfstoff zur Zulassung eingereicht werden. Bei all diesen Untersuchungen wird auch die mögliche Dauer der Immunität sowie die Reaktion der Probanden auf Wiederholungsimpfungen geprüft. Warum sprechen die Experten in optimistischen Einschätzungen von Monaten oder über einem Jahr, bis ein wirksamer Impfstoff vorliegt – geht das nicht schneller?

Dr. Andreas Neubert: Die im vorigen Absatz dargestellte Impfstoffentwicklung demonstriert, wie umfangreich und langwierig dieser Prozess ist. Unter normalen Umständen kann die Entwicklung eines neuen Impfstoffes mehr als zehn Jahre dauern. In Notfällen, wie dem Schutz gegen COVID-19-Erkrankungen, wird versucht, diese Zeiträume durch intensive internationale Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zu beschleunigen. Die Besonderheit von Impfstoffen ist, dass eine Impfung bei jedem einzelnen Menschen das individuelle Immunsystem ankurbelt und immunologische Reaktionen hervorruft, die lebenslang anhalten können. Mit Impfstoffen sollen gesunde Personen vor Infektionskrankheiten geschützt werden. Leichte Impfreaktionen sind ein natürlicher Prozess, aber schwere Nebenwirkungen oder gar eine Verstärkung der Infektion durch den Impfstoff wären völlig inakzeptabel. Wie ein Impfstoff gegen COVID-19 wirklich aussehen muss, wissen wir noch nicht. Es ist zwar bekannt, dass gegen andere humane Coronaviren eine Impfung prinzipiell möglich ist, aber es ist


nicht bekannt, ob es ausreicht, Antikörper gegen die Rezeptoren der Virushülle zu generieren oder ob auch eine zelluläre Immunität ausgelöst werden muss. Es sind weltweit viele Impfstoffkonzepte in Vorbereitung und einzelne bereits in der klinischen Prüfung. Doch auch für diese Prüfungen gilt, sehr sorgfältig vorzugehen und einen sicheren, wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Die internationale Zusammenarbeit und der sehr schnelle Austausch an Informationen wird helfen, schneller zu sein. An den hohen Anforderungen für Impfstoffe wird ganz sicher nicht gerüttelt werden. Wenn man bedenkt, dass an einem AIDS-Impfstoff schon seit Jahrzehnten gearbeitet wird, stellt sich andererseits die Frage, warum Sie sicher sind, dass es hier schnellere Lösungen geben wird?

Dr. Andreas Neubert: Als die ersten AIDS-Erkrankungen bekannt wurden, glaubten viele, dass es möglich sein würde, schnell einen Impfstoff zu entwickeln. Dann stellte sich heraus, dass das Virus gezielt Immunzellen befällt und manche Impfstoffe diese Immunzellen angeregt haben, was die Infektion angekurbelt hat. Außerdem verändern sich die Eiweißrezeptoren auf der Oberfläche des Virus und erschweren den Angriff durch Antikörper. Inzwischen weiß man sehr viel über diese Infektion und hat Hemmstoffe entwickelt, die die Vermehrung des AIDS-Virus stoppen können. AIDS ist keine tödliche Krankheit mehr, erfordert aber eine lebenslange Therapie. Das SARS-CoV-2-Virus ist, soweit bekannt, weniger komplex. Trotzdem sind bereits

foto: idt biologika

Ich bin optimistisch, dass es für COVID-19 eine schnellere Lösung gibt, da wir heute auch viel bessere Technologien für wissenschaftliche Untersuchungen und Impfstoffe zur Verfügung haben und diese international breit eingesetzt werden.

einige Mechanismen bekannt, wie das Virus das menschliche Immunsystems hemmt und schwere Entzündungsreaktionen in der Lunge hervorruft. Warum allerdings manche Patienten schwer erkranken und andere nicht, ist nicht bekannt. Dieses Wissen wäre aber auch für das optimale Design eines Impfstoffes wertvoll. Ich bin optimistisch, dass es für COVID-19 eine schnellere Lösung gibt, da wir heute auch viel bessere Technologien für wissenschaftliche Untersuchungen und Impfstoffe zur Verfügung haben und diese international breit eingesetzt werden. Ob aber unser Wissen reicht, die Biologie des Coronavirus auszutricksen, weiß ich nicht. In ihrer fast 100-jährigen Geschichte hat die IDT einen riesigen Erfahrungsschatz zur Virenbekämpfung angesammelt, von der Ausrottung der Tollwut in Europa bis zum Einsatz von IDT-Medikamenten bei nahezu jeder Gesundheitskrise weltweit. Wie können und werden Sie diese Erfahrung in der aktuellen Situation einbringen?

Dr. Andreas Neubert: Die IDT Biologika GmbH hat fast 100 Jahre Impfstoffe und Arzneimittel für die Tiermedizin und die Humanmedizin entwickelt. Mit unserem Tollwutimpfstoff haben wir maßgeblich zur Ausrottung der Fuchstollwut in Mitteleuropa beigetragen. Die in der IDT entwickelte Technologie für die Herstellung von Ebola-Impfstoff hat zu dem ersten zugelassenen Impfstoff gegen diese Krankheit geführt. Leider haben wir uns im letzten Jahr von der Tierimpfstoffsparte getrennt. Das hat jedoch zur Stärkung der Entwicklung neuer Human-

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ȹ gespräch

Im März 1993 wurde die Impfstoffwerke Dessau-Tornau GmbH durch den Unternehmer Hartmut Klocke erworben und privatisiert. Bis heute investierte die Klocke-Gruppe hohe zweistellige Millionenbeträge in Erweiterung, Ausbau und Modernisierung des Geländes im BioPharmaPark Dessau.

impfstoffe und Immuntherapeutika in Zusammenarbeit mit unseren weltweiten Kunden geführt. Das Unternehmen ist heute technologisch und wissenschaftlich so aufgestellt, dass wir unseren Kunden Hilfe anbieten können, neue Impfstoffe erfolgreich zu entwickeln und zu produzieren.

Wir sind ganz gut aufgestellt, unseren Beitrag für eine Impfstoffentwicklung zu leisten.

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Vor zwei Jahren habe wir die Entwicklung eines von der CEPI, einer Organisation zu Förderung von Entwicklungen von Notfallimpfstoffen, finanzierten Programmes zur Entwicklung eines MERS-Coronavirus-Impfstoffes begonnen. Der Impfstoff wird in einem Konsortium aus IDT Biologika, dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), dem Medizinischen Zentrum der Erasmus Universität Rotterdam und dem klinischen Forschungsinstitut CR2O entwickelt. Die Forschungseinrichtung DZIF umfasst die klinischen und medizinischen Standorte des Universitätsklinikums HamburgEppendorf und des Klinischen Prüfzentrums Nord, die Philipps-Universität Marburg sowie das Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der LudwigMaximilians-Universität München. Das MERSCoronavirus ist dem SARS-2-Coronavirus ziemlich ähnlich. Wir sind damit ganz gut aufgestellt, unseren Beitrag für eine Impfstoffentwicklung zu leisten.

Viren haben es an sich, dass sie mutieren können. Es ist erst wenige Jahre her, dass eine Grippeschutzimpfung nahezu wirkungslos blieb, weil ein anderer Virenstamm grassierte. Wie groß ist die Gefahr, dass ein neu entwickelter Impfstoff bei einer möglichen neuen Corona-Welle nicht die gewünschte Wirkung hat? Und wie hoch schätzen Sie überhaupt die Gefahr weiterer Wellen ein, wenn die jetzige Pandemie unter Kontrolle gebracht ist?

Dr. Andreas Neubert: Nach den vorliegenden Untersuchungen verändert sich das SARS-2-Coronavirus bisher kaum. Das Virus hat sich offensichtlich gut an die Vermehrung im Menschen angepasst. Bei jeder Vermehrung des Erbgutes in Zellen kann es Ablesefehler der genetischen Information geben. Das ist ein natürlicher Prozess, der unterschiedlich stark auftritt. Solche Veränderungen können ein Virus anpassen an die Bedingungen der Wirtszelle oder des Immunsystems. Das Ergebnis kann auch ein Erreger sein, der sich weniger heftig vermehrt, da dieser sich dann leichter verbreitet, aber weniger schwere Verläufe hervorruft. In der Natur zirkulieren viele Viren nach diesem Prinzip und haben sich mit dem Wirt arrangiert. Das ist aber hypothetisch. Noch wissen wir das nicht. Auch die Gefahr weiterer Wellen kann man nicht beantworten. Wenn eine gute Immunität ausgebildet wird, vielleicht auch durch Impfstoffe, sinkt das Risiko weiterer Wellen erheblich – bis dahin heißt es, Kontakte zu reduzieren! Als Wissenschaftler haben Sie seit Jahrzehnten nahezu täglich mit Viren zu tun, auch mit solchen, die nicht


Wir müssen die Regeln, die das Virus uns auferlegt, erst einmal akzeptieren: Abstand halten, neue Wege der Kommunikation suchen, Humor und Optimismus nicht verlieren. Wir werden damit fertig!

unbedingt ungefährlicher sind als Corona. Betrachten Sie die aktuelle Krise daher mit anderen Augen, als es der „Normalbürger“ tut? Mischt sich in die Sorge auch die wissenschaftliche Neugier?

Dr. Andreas Neubert: Natürlich ist jede neue Infektionskrankheit eine Herausforderung. Es ist spannend, zu verstehen, wie die Infektion abläuft, wie das Virus sich auf molekularer Ebene vermehrt und wie das Immunsystem damit fertig wird. Ja, mich treibt auch Neugier an, aber in viel größerem Maße die Sorge, was die Erkrankung für viele Menschen, Freunde und die Familie bedeutet. Ich möchte als Entwickler von Impfstoffen, mit meinem Team und unserem Unternehmen, einen Beitrag dazu leisten, diese Situation zu entschärfen. Dafür arbeiten wir mit anderen Teams zusammen. Die Herausforderung ist so groß, dass es wirklich auf gute und schnelle Zusammenarbeit ankommt. Hände gründlich und häufig waschen, nicht ins Gesicht fassen und soziale Kontakte meiden – diese drei Tipps sind derzeit omnipräsent. Ist das auch aus Ihrer Sicht alles, was jeder Einzelne im Moment tun kann, um sich und andere zu schützen?

Dr. Andreas Neubert: Ja, das sind die wichtigsten Ratschläge. Nicht vergessen sollten wir aber auch Offenheit und Verantwortung füreinander. Jeder kann durch Zufälle mit dem Virus in Kontakt kommen. Heutzutage sollte man sofort Abstand halten, wenn man eine fiebrige Erkältung bekommt. Oft ist es glücklicherweise kein Coronavirus – auch dann ist es nett, sein Umfeld nicht anzustecken.

Wenn man erfährt, mit einem nachgewiesenen COVID-19-Fall im engen Kontakt gewesen zu sein, sollte man sich vorsorglich zurückziehen und seine Familie und seine Arbeitsstelle informieren. Das Gesundheitsamt wird solche Kontakte nachverfolgen, aber nicht immer ist es sicher, dass man sich an alle Kontakte erinnert. Jedenfalls sollte man sich bei einem Kontakt und nach fünf bis sieben Tagen auftretenden Erkältungssymptomen beim Gesundheitsamt melden. Völlig unverantwortlich ist, jetzt gerade Partys zu feiern, vielleicht, weil man denkt, nicht zur Risikogruppe zu gehören. Einer der ersten Ärzte, der über die Infektion berichtet hatte, Li Wenliang, ist mit 34 Jahren an der Infektion gestorben. Auch Panik ist fehl am Platz. Wir müssen die Regeln, die das Virus uns auferlegt, erst einmal akzeptieren: Abstand halten, neue Wege der Kommunikation suchen, Humor und Optimismus nicht verlieren. Wir werden damit fertig! ȹ Das LEO-Gespräch fand am 24. März 2020 statt.

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ȹ blog-party

Macht das Beste draus! Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Obwohl, so außergewöhnlich sind Blogs im Jahr 2020 nun auch wieder nicht. Wenn sich der Lebensmittelpunkt jedoch so konsequent und radikal wie jetzt auf die eigenen vier Wände konzentriert, gewinnt die schier endlose Welt des Internets mehr und mehr an Bedeutung. Viele Institutionen, Einrichtungen und Künstler haben ihre Aktivitäten inzwischen ins Web und die Sozialen Medien verlagert. Und berichten in ihren Blogs – für alle, die es vielleicht doch nicht wissen sollten: Das ist eine Art digitales und öffentliches Tagebuch – über ihren Alltag oder wollen einfach nur unterhalten und getrübte Stimmungen erhellen. LEO hatte seine Leser online dazu aufgerufen, uns ihre „Quarantäne-Projekte“ vorzustellen. Aus den zahlreichen Rückmeldungen haben wir vier ausgewählt, die wir näher vorstellen möchten.

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„... Langsam. Alles mal schön laaaaannnnngsaaaaam. Natürlich muss ich vorher schnell noch zur Tanke. Mit 80 durch die Spielstraße. Wie? Was? Vorsicht, da spielen Kinder? Nee, eben nicht mehr. Und falls ja zeig ich die an, beim MuttiSicherheitsdienst. Das geht bis nach ganz oben. Ja, da wird so ein Vorstrafenregister schnell voll, mein Freund! Ich muss halt zur Tanke. Nicht, dass mir die Bonuspunkte für den Gratis-Latte-Moccacino verfallen und dann muss ich noch Autowaschen. Gut, es regnet, aber wenn mein Privatpanzer schon in der Einfahrt schlummern muss, dann doch bitte geduscht. Okay, ich könnte nochmal schnell über die Autobahn. Auffahrt Ost rauf, durchblasen, Süd wieder runter. Wer weiß, wie lange das noch geht. Spaß ist ja gerade im Ausverkauf. Ansonsten … lass ich es ganz … ruhig … angehen. Blitzüberweisung aufs Depot. Bank-Aktien schnappen. Schnell noch am Elend mit verdienen. Ja, nicht gleich. Bisschen warten muss ich schon, aber im nächsten Frühling hab ich ganz sicher 381 Prozent Profit gemacht. Dann geht’s Shoppen und wieder ab nach Dubai zum Skifahren und mein Frühstücksbaguette kommt dann endlich wieder jeden Morgen frisch aus Paris. Endlich wieder normale Zustände. Dieses Instant-Toastbrot vom Discounter ist ja echt unterste Kategorie. Aber der Menschengerichtshof hat leider auch schon zu. Wegen … na ja … egal. Ist ja aktuell die Ausrede für alles. Also … immer schön langsam. Ich glaub, ich ruf nochmal schnell Tante Waltraud an. Mal nett plaudern am Telefon … übers Wetter und den Weltfrieden und die Sparbücher in ihrem Wäscheschrank. Ja, die schuldet mir noch was. Ihr Erbe. Ja, das ist schnell umgeschrieben. Kein Thema. Da würde ich auch extra nochmal vorbeikommen … für die Unterschrift … und mal kurz in die gute Stube husten. Man kann doch die Alten nicht einfach so alleinlassen. Die brauchen genauso mal 'ne Umarmung wie wir eine positive Aussicht auf 2021 und mein Investment in Klopapier, Desinfektionsmittel und Haferflocken. Wie schnell das nachgefragt ist, das kann man ja bei jeder Dorfkeilerei im örtlichen Supermarkt genießen. Da kann man jetzt endlich mal alles rauslassen und dem Blödmann vom Karnickelzuchtverein endlich einen Einlauf … Ja, gern! Aber wie gesagt. Immer … schön … langsam!“

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Mit seinem aktuellen Programm „Schon schön!“ ist das Dessauer Kabarett „Bienenstich“ laut Spielplan am 26. April und 9. Mai noch einmal im „Alten Theater“ zu Gast. Theoretisch ist das bis zum 19. April ausgesprochene Veranstaltungsverbot dann Geschichte. Wie die Praxis aussieht, könnte nur ein Blick in die Glaskugel verraten. Bis dahin legen die Bienenstiche aber nicht die Hände in den Schoß. Gründungsmitglied Marcel Richter, alias Marcel Bienenstich, erfreut Comedy- und Kabarettfreunde aktuell mit einem täglichen Humor-Blogbeitrag. Im bissigen „Satire Schrädderrr“ liefert er seine ganz eigene Interpretation des Alphabets. Hier zum Beispiel der Buchstabe L. Wie LEO. Oder …

ȹ mehr davon unter: www.bienenstich-comedykabarett.de

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screenshot: made@school

ȹ blog-party

Einen ganz anderen Schwerpunkt setzen in diesen Tagen Dorothea Rieth, Juliane Hegewald und Sebastian Kayser. Die drei Lehrer wollten ursprünglich in einem gemeinsamen Buch aus ihrem Schulalltag berichten. Kurz vor der Corona-Krise begannen sie, auch eine eigene Internetseite aufzubauen. Jetzt gibt Ihr Blog Einblicke in die Welt des „Virtuellen Klassenzimmers“. Das steht übrigens „Luftlinie zwischen Dessau und Brandenburg“ – genauer werden die Blogger nicht, aus persönlichen und aus Datenschutzgründen. Auch ihre Namen sind Pseudonyme. Umso offener äußern sie sich in ihrem Online-Tagebuch. Wie zum Beispiel in diesem Beitrag vom 18. März:

„Schulschließung – Das soziale Leben steht still Ein Beitrag von Juliane Hegemann

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TOTAL SHUTDOWN ... eine unvorstellbare Situation ist eingetreten. Das soziale Leben ist von jetzt auf gleich quasi lahmgelegt. Und das betraf als allererstes die Schulen des Landes. Was sich so surreal und für die Kinder wie Schlaraffenland und nach Ferien anhört, ist nun Realität: Schulschließung bis vorerst zum Ende der Osterferien. Das stellt alle Familien vor eine große Herausforderung. Und damit meine ich nicht nur die Absicherung der Betreuung. Nein, ich rede auch von der neuen Tagesstruktur. Da es ja keine echten Ferien sind, müssen also Aufgaben vom heimischen Kinderzimmer aus erledigt werden. Und genau das hatte sich sicher keiner meiner Schüler so vorgestellt. Mama und Papa müssen die Sprösslinge mit Lernaufgaben beschäftigt halten. Die meisten Eltern

sind sicher froh darüber, dass die Schulen nun Freiarbeitsprojekte pro Fach zur Verfügung stellen. Denn ... den ganzen Tag die Kids am Handy zocken lassen, YouTube aussaugen oder die Teenies in die virtuellen Kriegswelten schicken ... das ist nicht wirklich eine Option. Bisher hat die Schule von 7 bis 15 Uhr mit Stift und Block am Tisch oder echtem Schweiß im Sportunterricht noch dafür gesorgt, dass man die Kinder von den unzähligen Verlockungen der digitalen Welt fernhalten konnte. Wenigstens für diese Tageszeit. Daher folgen nun ein paar Tipps, die Familien und Lehrer*innen (wir sind zum Großteil auch alle Eltern) helfen, das Leben in den nächsten Wochen gut zu meistern.


MADE@SCHOOL Tipps für Eltern und Lehrer*innen 1. Tagesstruktur schaffen Wir bzw. die Kinder sind es gewohnt, zeitig aufzustehen und zur Schule zu gehen und schon um 7:30 Uhr Matheaufgaben zu lösen bzw. Unterricht zu geben, wenn es draußen noch dunkel ist. Das muss allerdings um diese Zeit nicht sein. Wissenschaftler plädieren seit Jahren dafür, den Schulalltag an den natürlichen Lebensrhythmus anzupassen. Das wäre jetzt die Gelegenheit. Aber man kann zwischen 8 und 9 Uhr frühstücken und dann loslegen. Aufgaben aus 2-3 Fächern am Vormittag und Übungen vom Wochenarbeitsplan, den die Schule geschickt hat, dann nach dem Mittagessen erledigen bzw. als Lehrkraft Aufgaben erstellen, Online-Sprechstunden o.ä. anbieten. 2. Nutzung digitaler Medien im Auge behalten Die Möglichkeiten der digitalen Medien bieten eine große Chance in dieser Zeit. Es gibt Lernvideos, Tutorials, DIYs, Dokumentationen zu allen möglichen Themen und das in vielen Sprachen. Es ist nur zu empfehlen, diese Angebote im Netz zu nutzen. Allerdings sollten Eltern darauf ein Auge haben, was die Kinder und Jugendlichen sich tatsächlich anschauen und wie sie sich im Internet bewegen. 3. Projekte im Haus sind Lerngelegenheiten Lernaufgaben zu stellen, die in die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen passen, war schon immer mein Credo. In diesen chaotischen Zeiten ist meine Kreativität als Lehrerin umso mehr gefragt. Je nach Klassenstufe fallen mir so einige Projekte ein. Fächerverbindender und fachübergreifender Unterricht wird ab jetzt zur Selbstverständlichkeit. Das Leben außerhalb der Schule hat noch nie in Fächern funktioniert und das sollten wir uns endlich zu Nutze machen.

Einige spontane Ideen: • die Zimmer im Haus vermessen, Zeichnungen anfertigen, akkurat beschriften und die Flächen ausrechnen • W etter beobachten oder/und 3 x am Tag die Temperatur ablesen und dann Tages- und Wochendiagramme zeichnen • B rieffreunde in einem anderen Land suchen, Englisch, Französisch, usw. üben und mit echten Menschen in Kontakt treten • v ia Skype Bekanntschaften in anderen Ländern finden und sprechen üben, dabei über die Kultur lernen • ein neues Rezept ausprobieren, Tisch hübsch dekorieren, Familie wie im Restaurant bewirten • Lieblingsgericht kochen oder backen und sich dabei filmen wie in einer Kochsendung • abends Sterne beobachten und sich darüber informieren, welche Sternbilder gerade zu sehen sind • Tageszeitung nach Themengebieten analysieren • einen Blog beginnen über das Leben in den „Coronaferien“ Die nächsten Wochen verändern das soziale Leben drastisch. Auch der Schulalltag und unser Begriff von Bildung wird sich grundlegend wandeln. Lasst euren Geist frei und übt Wertschätzung für ein wissenschaftlich nicht greifbares Phänomen: unsere Kreativität.“ ȹ mehr davon unter: www.made-at-school.de

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ȹ blog-party

Nicht jeder, der derzeit an das häusliche Umfeld gebunden ist, hält seine Erlebnisse in einem Blog fest. Immerhin wären das unter den jetzt geltenden Regeln auch mehr als 80 Millionen Online-Tagebücher allein in Deutschland. Aber jeder Einzelne von uns hat es in der Hand, für sich selbst die positiven Elemente aus der Lage zu ziehen. So wie die 67-jährige Dessauerin Sabine Tschammer, die uns per Mail an ihrer Sicht der Dinge teilhaben ließ. Stellvertretend wollen wir auch sie hier zu Wort kommen lassen. Und wir schließen uns einfach mal an:

„Alle Medien haben nur ein Thema. Es ist ja wichtig, dass man immer auf dem Laufenden gehalten wird. Wichtig ist aber auch, dass man den Alltag und die Freizeit für sich gestalten muss. „Hamstereinkäufe“ sind nicht die Lösung. Wer zu Hause einen Balkon oder Garten hat, weiß sicher, dass endlich Blumen aller Art zur Verfügung stehen. Damit lässt sich kreativ viel anfangen. Kübelbepflanzung oder Gestecke aus Schnittblumen anfertigen. Gartenarbeit alleine geht auch und bringt viel Bewegung in frischer Luft. Macht natürlich bei Schmuddelwetter nicht so viel Freude. Dafür kann man vielleicht endlich mal wieder Bücher lesen. Wenn man denn will! Aber auch online gibt´s ja viel Lesestoff. Ich persönlich halte lieber ein Buch in der Hand. Falls die eigene Bibliothek nicht mehr viel neues hat, könnte man Freunde fragen, die sicher auch verborgen. Ein Kurzbesuch zum Buchaustausch ist zum Glück noch machbar. Auch in Urlaubserinnerungen kann man schwelgen. Digitale Fotos hat man ja genug und endlich mal Zeit, diese vielleicht in einem Buch zu gestalten. Geht alles online. Letzte Alternativen sind die Mediatheken Son‘nen Blues im Fernsehen. Da ist alles verfüghat Dessau verdient! bar, ob Filme, Reportagen oder aber von mir besonders zu empfehlen: die tollsten Rockkonzerte...... aber nur laut. Der Nachbar drückt vielim café-bistro im bauhaus dessau leicht mal ein Auge zu. Wir hoffen alle, dass diese extreme Zeit gut überwunden wird vor Veranstaltungsbeginn und im VVK: und weitere Ansteckungen mit diesem Virus vermieden werden cafe-bistro im bauhaus dessau Gropiusallee 38, 06846 Dessau-Roßlau können, deshalb lieber öfter unter Tel.: 0340 6508444 sich bleiben! Besucherring am Anhaltischen Theater Dessau* In diesem Sinne, optimistisch Friedensplatz 1a, 06844 Dessau-Roßlau sein.“

2020

05.06. 20:00

GALA*GOGOW*BECKER Karten: 22 Euro

Tel. 0340 2511-222

Pressezentrum Kanski Zerbster Straße 25, 06844 Dessau-Roßlau Tel.: 0340 2203202

*Hier auch Kartenversand. Redaktionsschluss: 13.03.2020 | Änderungen vorbehalten. Alle Infos und Änderungen immer auf unsereer WEB-Site.

www.sonnenblues.de 32


Hanno Schulz aus Dessau-Roßlau sehnt sich nach positiven Nachrichten in der schwierigen Corona-Phase. Einen neuen festen Termin hat er nun jeden Abend.

„Heute mal eine Nachricht als Bürger der Stadt, von der ich denke, es muss mehr positive Nachrichten zur Corona- Lage geben. In den Fernsehmedien wird seit Tagen über Balkonkonzerte u.ä. in Berlin, Hamburg etc. berichtet. Wir müssen uns da nicht verstecken. Vielleicht nicht so groß und gewaltig, aber umso schöner in der Doppelreihe. Bereits seit mehreren Tagen musizieren Musikerinnen bei offenen Fenster in der Doppelreihe, unter dem Applaus zahlreicher Anwohner. Ich zitiere den Flyer, welche Anwohner der Doppelreihe vor Tagen im Briefkasten hatten: ‚Öffnet Eure Fenster, Türen und Herzen! Unsere lieben Nachbarn Fam Canarius, Doppelreihe 25 und Fam. Dietz, Doppelreihe 13, geben für uns abendlich um 19.00 Uhr ein musikalisches Ständchen!‘ Einfach toll! Kann man die Uhr danach stellen und für viele Anwohner zwischenzeitlich ein fester Termin.“

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foto: dessau dancers Š wild bunch germany

HEIMATFILME

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MAL GANZ ANDERS 35


ȹ heimatfilme mal ganz anders

Heimatfilme mal ganz anders Corona sorgt dafür, dass viele von uns derzeit mehr Freizeit haben, als sie eigentlich wollen. Und selbst wer halbwegs seinem normalen Arbeitsalltag nachgehen kann, verbringt den Feierabend anschließend natürlich brav im stillen Kämmerlein, um weder Opfer noch Verbreiter des Virus‘ zu werden. Irgendwann sind der Däumchen dann genug gedreht, Unterhaltung und Abwechslung, vielleicht auch ein wenig Ablenkung, müssen her. Den Blick in die Glotze hat bei vielen Menschen längst die Suche in diversen Online-Bibliotheken und Streaming-Portalen abgelöst. Wir finden, dass man diese Gelegenheit nutzen sollte, um sich nicht schon wieder einen x-beliebigen amerikanischen Actionstreifen oder die 400. französische Liebesschnulze anzutun. Vielmehr könnte man sich die Region, in die man gerade nicht hinaus darf, doch auch ins Wohnzimmer hinein und auf den Bildschirm holen. Die Rede ist nicht von Tourismuswerbung und Imagefilmen, auch nicht von Dokumentationen – na gut, fast nicht –, sondern von Kino- und Fernsehfilmen, die in Anhalt und Wittenberg entstanden sind oder zumindest zum Teil hier gedreht wurden. Mal sieht man das auf den ersten Blick, mal muss man ganz genau hinschauen, ab und zu fällt es vielleicht auch überhaupt nicht auf. LEO hat sich in die Weiten des Internets begeben und dabei viele Filmtipps zusammengetragen, von sehr bekannten bis zu solchen, von denen auch wir noch nie gehört hatten. Ebenso übrigens wie von dem einen oder anderen Video-Portal, das uns dabei über den Weg lief. Selbstverständlich sind aber alle im Folgenden genannten Anbieter völlig legal und offiziell. Und nachdem auch das geklärt ist, heißt es nun: Vorhang auf und viel Spaß!

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Der biografische Musikfilm von Andreas Dresen war einer der Kinohits des Jahres 2018. Im Mittelpunkt der Handlung steht der ostdeutsche Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard Gundermann. In der Titelrolle brilliert Alexander Scheer. Beim Deutschen Filmpreis wurde „Gundermann“ mit insgesamt sechs Preisen ausgezeichnet, unter anderem für den Besten Film, die Beste Regie und den Besten Hauptdarsteller. Gedreht wurde im November 2017 unter anderem im Dessauer „Teehäuschen“, im Sportlerheim Dietrichshain sowie in der Schiffswerft Roßlau.

foto: © pandora film / peter hartwig

Gundermann

ȹ „Gundermann“ ist im Abonnement von „Netflix“ enthalten und bei zahlreichen weiteren Streamingdiensten als Download zur Miete oder zum Kauf erhältlich.

Als wir träumten

foto: © pandora film

Vor „Gundermann“ verfilmte Andreas Dresen den Bestsellerroman „Als wir träumten“ des Leipzigers Clemens Meyer. Obwohl die, teils autobiographische, Handlung um eine Jugendclique im Leipzig der Nachwendezeit größtenteils in der sächsischen Metropole entstanden ist und auch dort spielt, wurden einige Szenen im Herbst 2013 auch in Halle sowie in Dessau-Roßlau gedreht. „Als wir träumten“ feierte im Februar 2015 auf der „Berlinale“ seine Premiere. ȹ Aktuell wird „Als wir träumten“ leider von keinem Streamingdienst angeboten. Als Verleihfassung ist er jedoch unter anderem bei „Amazon Prime“, „iTunes“ und „Google Play“ für 3 bis 5 Euro oder zum Kauf für ca. 10 Euro erhältlich. Auch im Versandhandel auf DVD oder BluRay ist er verfügbar.

Clemens Meyer lieferte auch die Vorlage für dieses herzerwärmende Melodram, das größtenteils zwischen den Lager-Regalreihen eines ostdeutschen Großmarktes spielt. Dort beginnt Christian seine Probezeit und wird vom väterlichen Bruno unter die Fittiche genommen. Schon bald verguckt sich der schüchterne Christian in die etwas ältere Marion, die im Gang nebenan arbeitet. Doch die Umstände sind alles andere als einfach. Franz Rogowski, Sandra Hüller und Peter Kurth brillieren in diesem eher stillen Film voller Humor und liebevoll gezeichneter Figuren. Gedreht wurde von Februar bis April 2017 zu großen Teilen in einem Getränkegroßmarkt in Bitterfeld, die Süßwarenabteilung stand in Wittenberg. ȹ „In den Gängen“ gibt es im Abo-Paket von „Amazon Prime“. Bei „Rakuten TV“, „Videoload“, im „Sky Store“ und bei weiteren Anbietern ist er ab 2,50 Euro zur Miete und ab 8 Euro zum Kauf erhältlich. DVD und BluRay gibt es ab 8 bzw. 11 Euro.

foto: © zorro film

In den Gängen

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Lotte am Bauhaus foto: © mdr/ufa fiction/stanislav honzik

Pünktlich zum 100-jährigen Bauhausjubiläum entstand für die ARD dieser Fernsehfilm, in dessen Zentrum die (fiktive) junge Zeichnerin Lotte Brendel steht. Diese kommt Anfang der 1920er Jahre nach Weimar, um am Bauhaus zu studieren, und zieht mit der Schule auch nach Dessau um. Dabei begegnet sie auch den realen Bauhaus-Akteuren wie Walter Gropius oder Oskar Schlemmer. Die Dessauer Szenen entstanden vom 30. Mai bis 6. Juni 2018, wenig überraschend, im und am Bauhausgebäude und den Meisterhäusern sowie am Kornhaus. ȹ „Lotte am Bauhaus“ ist derzeit nicht in einem Monatsabonnement enthalten. Die digitale Mietversion gibt es beispielsweise bei „Amazon Prime“, „Videoload“ und „Maxdome“ für 3 bis 4 Euro. Für die Kauffassung werden 8 bis 10 Euro fällig.

Nochmal Bauhaus, diesmal aber von der rein faktenbasierten Seite und dokumentarisch, aber äußerst spannend. Die Regisseure Niels Bolbrinker und Thomas Thielsch gingen anlässlich des Bauhausgeburtstags auf eine weltweite Spurensuche danach, welche Bedeutung die gesellschaftliche Utopie des historischen Bauhauses von damals bis ins Heute hat. Eine Kulturgeschichte des modernen Raumdenkens, so faszinierend wie erhellend. „Vom Bauen der Zukunft“ war noch vor dem offiziellen Kinostart im Bauhaus Dessau zu sehen. Selbstverständlich sind das berühmte Bauhausgebäude sowie seine heutigen „Bewohner“ auch im Film zu sehen. ȹ Der Dokumentarfilm ist in der Flatrate von „Amazon Prime“ enthalten, kann aber auch ohne Abo für 3 bis 4 Euro gemietet bzw. für 8 bis 10 Euro gekauft werden. Auf DVD ist er für rund 12 Euro erhältlich.

foto: © wild bunch germany

Die geliebten Schwestern

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Erfolgsregisseur Dominik Graf inszenierte diesen Historienfilm über die Liebe des jungen Friedrich Schiller zu den Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. Die Schwestern haben sich geschworen, alles miteinander zu teilen – und folgen diesem Schwur auch, als Schiller in ihr Leben tritt. Historisch belegt ist die Ménage-à-trois zwar nicht, Hinweise, dass es sie gegeben hat, gibt es aber einige. Ganz sicher sind dagegen die Orte, an denen „Die geliebten Schwestern“ zwischen August und November 2012 entstand. Darunter finden sich neben dem Dessauer Tiergarten auch der Wörlitzer Park sowie Coswig. Und wer sich nicht sattsehen kann, greift am besten gleich zum 30 Minuten längeren Director’s Cut. ȹ „Die geliebten Schwestern“ gibt es in der Kinofassung als Teil des „Amazon Prime“- und des „Sky Go“-Abos. Der Director’s Cut kann, auch bei vielen weiteren Streaming-Anbietern, für 3 bis 5 Euro geliehen und für 8 bis 10 Euro gekauft werden. Auf DVD und BluRay kostet der Film zwischen 7 und 11 Euro.

foto: © neue visionen

Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus


Annegret und Eckehardt, zwei Bewohner einer Seniorenresidenz, fühlen sich in ihrem Heim alles andere als zu Hause. Als es Eckehardt eines Nachts gelingt, einem Polizisten unbemerkt die Dienstwaffe zu stehlen, nehmen die Dinge ihre Lauf. Den Rundflug mit einer historischen Maschine nutzt der Rentner kurzentschlossen, um das Flugzeug mit vorgehaltener Waffe zu entführen. Ziel: Die Strände des Mittelmeers, mit allen Senioren an Bord. Die Komödie von 2012 vereint nicht nur Altstars wie Otto Sander, Angelica Domröse und Herbert Köfer vor der Kamera, sondern hat auch eine Dessauer „Hauptdarstellerin“: Die Innenaufnahmen entstanden in der JU-52 des Dessauer Technikmuseums. Gefilmt wurde auch auf den Flugplatz Dessau.

foto: © mafilm/conny klein

Bis zum Horizont, dann links!

foto: © fireapple/ hff münchen (hochschule für fernsehen und film

ȹ „Bis zum Horizont, dann links!“ ist Teil der Flatrate von „MagentaTV“ und „alleskino“. Als Leihfassung ist er bei „Videobuster“, „Google Play“, „iTunes“ und Co. schon ab 2 Euro zu haben, zum Behalten gibt es ihn ab 6 Euro.

Hard Way „Hard Way“ ist der wohl ungewöhnlichste Eintrag in dieser Zusammenstellung. Nicht nur, weil er mit rund 33 Minuten der mit Abstand kürzeste Film und zudem ein Filmhochschul-Abschlussprojekt ist. Aufwändig inszeniert mit größtenteils englischsprachigen Darstellern treffen hier harter Actionfilm und schwungvolles Musical aufeinander. Beim Einsatz eines Spezialkommandos gibt es nur eine Regel: „Wir töten sie nicht, solange sie singen und tanzen“. Für „Hard Way“ wurden im Sommer 2015 unter anderem das ehemalige Dessauer Brauereigelände und die frühere Gärungschemie zu den Straßenschluchten einer amerikanischen Großstadt. ȹ „Hard Way – The Action Musical“ gibt es zum Leihen, ausschließlich in englischer Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln, bei „Amazon“, „Pantaflix“ und „Vimeo on Demand“ ab 2 Euro, der Kauf kostet einen Euro mehr. Auf DVD oder BluRay ist der Film nicht erhältlich.

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Kriegerin

foto: © ascot elite filmverleih

Die 20-jährige Marisa ist Teil einer Neonazi-Clique in der ostdeutschen Provinz. Gewalt und Hass gehören zum Alltag, insbesondere gegen Migranten, Juden, Polizisten und jeden Anderen, der nicht in das rechte Weltbild passt. Als eine Auseinandersetzung mit zwei afghanischen Asylbewerbern an einem Badesee eskaliert, beginnt Marisa, ihre Einstellung in Frage zu stellen. Doch ihr allmählicher Ausstieg aus der Szene setzt eine Spirale in Gang, die schon bald außer Kontrolle gerät. Das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Kinodebüt von Regisseur David Wnendt (Feuchtgebiete, Er ist wieder da) entstand im August und September 2010 unter anderem am Sollnitzer See, in Bitterfeld-Wolfen, Dessau-Roßlau, Möhlau, Raguhn und Muldenstein. ȹ „Kriegerin“ ist nur beim österreichischen Video-on-DemandAnbieter „flimmit“ Teil des Monatsabos. Bei den bekanntesten Streamingdiensten ist er aber im Verleih ab 3 Euro sowie als Kauffassung ab 8 Euro verfügbar. Die DVD und BluRay gibt es schon ab ca. 4 bzw. 7 Euro.

Dessau im Sommer 1985: Der 18-jährige Frank sieht im Kino den Film „Beat Street“ und entdeckt seine Leidenschaft für den Breakdance. Als „Break Beaters“ werden er und seine Freunde schon bald zur besten Crew der DDR und ziehen auch die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich. Als „akrobatische Schautänzer“ werden sie zum Aushängeschild des Staates – und zu politischen Marionetten. Doch Frank beginnt, zu rebellieren. „Dessau Dancers“ trägt die Stadt zwar im Namen und spielt auch dort, gefilmt wurde 2013 aber vor allem in Halle. Unterhaltsam ist der Jugendfilm trotzdem. Wer sich für die wahre Geschichte dahinter interessiert, greift dagegen lieber zur Dokumentation „Here we come“ von Nico Raschick – die aktuell allerdings weder als legaler Download noch auf DVD zu haben ist. ȹ „Dessau Dancers“ gibt es digital nur zum Leihen (ab 3 Euro) oder Kaufen (ab 8 Euro), u.a. bei „Amazon“, „iTunes“ und „Google Play“. Die DVD ist ebenfalls schon ab 3 Euro zu haben.

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foto: © wild bunch germany

Dessau Dancers


Pfarrer

foto: © salzgeber & co.

Sie haben mit Religion nichts am Hut? Dann haben Sie etwas mit der überwiegenden Mehrheit der Sachsen-Anhalter gemeinsam – und mit den Filmemachern Stefan Kolbe und Chris Wright. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, begleiteten die Regisseure im Jahr 2013 eine Gruppe junger Männer und Frauen in der Endphase ihrer Ausbildung zum Pfarrer. Ihr Vikariat, eine besondere Probezeit nach dem Theologiestudium, bildet den Rahmen für einen offenen und intimen Dialog zwischen den atheistischen Filmschaffenden und den gläubigen Protagonisten über fundamentale Fragen des Lebens und unsere Bedürfnisse nach Liebe, Geborgenheit und Sinn. Wittenberg, die Lutherstadt und Ursprungsort der Reformation, ist nicht nur Kulisse für „Pfarrer“, sondern wird selbst zu einem der Hauptdarsteller der Dokumentation. ȹ „Pfarrer“ wird in der auf den Deutschen Film spezialisierten OnlineVideothek „alleskino“ im digitalen Verleih für 4 Euro sowie als Kauffassung für 10 Euro angeboten. Die DVD ist für rund 15 Euro erhältlich.

Die Märchenreihe „Sechs auf einen Streich“ versüßt kleinen und großen Märchenfreunden seit 2008 die Weihnachtstage. Auch zwischendurch sind die jeweils rund 60-minütigen Verfilmungen klassischer Geschichten der Gebrüder Grimm, von Hans Christian Andersen oder E.T.A. Hoffmann zu erleben. Gleich zwei der bisher produzierten Märchen entstanden zumindest teilweise im LEOLand. „Die Prinzessin auf der Erbse“ bettete sich im Juni 2010 für ihren Auftritt in der dritten Serienstaffel im Schloss Mosigkau unbequem. Und im Juni 2013 entstanden Szenen für „Die kleine Meerjungfrau“ unter anderem in Dessau-Roßlau, Oranienbaum und Wörlitz.

foto: © rbb

Sechs auf einen Streich

ȹ Die ersten vier Staffeln von „Sechs auf einen Streich“, die auch die beiden Filme enthalten, sind Teil des „Amazon Prime“-Abos. Wer lieber einzeln kauft, zahlt pro Download zwischen 2,50 und 3 Euro, auch bei „iTunes“ und „Google Play“. Komplette Staffeln sind digital ab 12 Euro verfügbar. Alle Filme gibt es auch auf DVD, einzeln oder in Märchenboxen.

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Polen im 2. Weltkrieg: Dem neunjährigen Srulik gelingt die Flucht aus dem Warschauer Ghetto. Fortan versteckt er sich in einem riesigen Waldgebiet und muss lernen, allein zu überleben. Als er in tiefstem Winter Unterschlupf bei einer Bäuerin findet, bringt diese dem jüdischen Jungen bei, sich als katholisches Waisenkind Jurek zu tarnen, Kreuz um den Hals inklusive. Doch das ist der der Beginn einer Odyssee, auf der Srulik hilfsbereiten Menschen ebenso begegnet wie solchen, die ihn für ein Kopfgeld verraten wollen. Oscar-Preisträger Pepe Danquart filmte für die dramatische Geschichte nach wahren Begebenheiten von August bis Oktober 2012 unter anderem in Muldestausee, Raguhn-Jeßnitz und Zörbig. ȹ „Lauf Junge lauf“ ist im Filmclub von „alleskino“ inklusive, kann einzeln dort aber auch für 4 Euro geliehen werden. Bei allen gängigen Online-Videotheken ist er ebenfalls im Verleih ab 2,50 Euro erhältlich. Der Kauf in digitaler Form oder DVD ist ab 8 Euro möglich.

foto: © studiocanal

Banklady Im Hamburg der frühen 60er Jahre arbeitet Gisela Werner in einer Tapetenfabrik und führt ein unauffälliges Singleleben. Das allerdings ändert sich schlagartig, als sie den charmanten Bankräuber Hermann Wittorf kennenlernt. Anfangs hilft sie nur bei den Raubzügen, bald schon ist sie jedoch treibende Kraft. Schließlich lässt sie ihr altes Leben ganz hinter sich. Aufwändig verkleidet, stets höflich, aber bewaffnet, geht sie selbst auf Beutejagd. Für die wahre Geschichte der ersten Bankräuberin Deutschlands, die als „Banklady“ für Schlagzeilen sorgte, filmte Regisseur Christian Alvart auch weitab der Reeperbahn – genauer gesagt in Coswig. ȹ „Banklady“ können Abonnenten von „Joyn Plus“ und „maxdome“ ohne Zusatzkosten sehen. Alle anderen starten das Filmvergnügen unter anderem bei „Videoload“ oder „Freenet Video“ ab 3 Euro. Wer den Film öfter sehen will, greift lieber zu DVD oder BluRay. Die gibt es schon ab 4 Euro, für den Download werden dagegen mindestens 6 Euro fällig.

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foto: © filmwelt

Lauf Junge lauf


Die Abenteuer des Huck Finn

foto: © majestic filmverleih

Nach seinen Abenteuern im Vorgängerfilm „Tom Sawyer“ ist Huck Finn, nun ein wohlhabender Junge, bei der Witwe Douglas und Miss Watson untergekommen. Bedient wird er vom gehorsamen HausSklaven Jim, Schule und Kirche sind eine Selbstverständlichkeit. Als Jim jedoch rebelliert, weil er seine Frau auf einem Sklavenmarkt entdeckt, daraufhin an einen Zirkus verkauft werden soll und noch dazu Hucks brutaler Vater auftaucht und sein Geld haben will, fliehen beide gemeinsam – auf einem selbstgebauten Floß… …und das schwimmt dabei auch an Raguhn-Jeßnitz vorbei, auch wenn dieses im Film St. Petersburg am Mississippi heißt. Gefilmt wurde hier im August 2018 unter anderem mit Kurt Krömer und Michael Gwisdek. ȹ „Die Abenteuer des Huck Finn“ gibt es zum Leihen (ab 3 Euro) und Kaufen (ab 8 Euro) nur bei „Amazon“, „Rakuten TV“, „Videoload“ und „maxdome“. Der Vorgänger ist zumindest bei „maxdome“ im Monatsabo enthalten. Auf DVD kosten beide Filme im Doppelpack rund 9 Euro.

Noch eine Dokumentation, obwohl die eigentlich als Ausnahme angekündigt wurden? Jein. Denn „Friedrich“ ist eher Spielfilm als Doku, in mehr als zwei Dritteln des Films werden historische Ereignisse aus dem Leben Friedrich des Großen in aufwändig umgesetzten Spielszenen nachgestellt. Dass in die Rollen des jungen und des „Alten Fritz“ mit Anna und Katharina Thalbach nicht nur zwei Frauen und noch dazu Tochter und Mutter, sondern vor allem auch zwei begnadete Schauspielerinnen schlüpfen, macht das Ergebnis allein schon sehenswert. Für Menschen von hier wird es dadurch noch spannender, dass Friedrichs bescheidenes Sommerschloss Sanssouci im Film von 2011 größtenteils vom Schloss Oranienbaum „gedoubelt“ wird.

foto: © ard

Friedrich – Ein deutscher König

ȹ In der Flatrate ist „Friedrich – Ein deutscher König“ nur bei „Magenta TV“ inklusive. „Google Play“, „Microsoft“, „Pantaflix“ und „maxdome“ bieten ihn zum Ausleihen und/oder Kaufen an, ab 3 bzw. 8 Euro.

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Der 20-jährige Mike ist so intelligent wie ziellos. Einziger Freund des Einzelgängers ist Dustin, mit dem er eine Wohnung in einem Rostocker Plattenbau und seine Gedanken teilt. Geld machen sie mit Einbrüchen. Doch als Mike bei einem Bruch von Geschäftsmann Konrad Böhm erwischt wird, ändert sich alles. Mike entdeckt ein Netzwerk internationaler Lobbyisten und ehemaliger DDR-Geheimdienstler, das noch bis heute viele Strippen zieht. Das, auf Fakten basierende, Polit- und Wirtschaftsdrama ist nicht nur spannend, sondern bewies 2010, dass auch eine Unter-500-Seelen-Gemeinde wie Plodda in Muldestausee Leindwandpotenzial hat. ȹ Premiere! Auf „Watch4“ ist der Film völlig kostenfrei, ohne Abo, verfügbar. Legal und werbefinanziert. In der Plus-Version des Anbieters „Netzkino“ sowie im Filmclub von „alleskino“ und im Abo von „Flimmit“ ist der Film ebenfalls enthalten. Zum Leihen oder Kaufen gibt es die Fernsehproduktion für 2 bzw. 5 Euro sogar bei „iTunes“.

foto: © zorro filmverleih

Westwind Im Sommer 1988 reisen die Zwillinge Doreen und Isabel zum ersten Mal aus der DDR in das sozialistische Ausland. Auf dem Weg zum Ferienlager am ungarischen Balaton lernen sie Arne und Nico aus Hamburg kennen. Doreen und Arne verlieben sich ineinander und schon bald reift ein riskanter Plan. Nacheinander sollen die jungen Frauen in einem VW Käfer, versteckt hinter der Rückbank, in den Westen geschmuggelt werden. Die unzertrennlichen Schwestern stehen vor der folgenschwersten Entscheidung ihres Lebens. Als „schönste Liebesgeschichte des Jahres“ und „kleiner und gerade dadurch ganz großer Film“ wurde „Westwind“ bei seiner Veröffentlichung im Sommer 2011 gelobt. Neben dem Balaton und Berlin waren auch Bad Schmiedeberg und Bergwitz im Landkreis Wittenberg Drehorte. ȹ „Westwind“ kann im Abo von „Amazon Prime“ und „realeyz“ kostenfrei gesehen werden. Im Verleih gibt es ihn bei „Amazon“ und „Pantaflix“ ab 3 Euro, die DVD ist schon für 5 Euro erhältlich.

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foto: © filmlichter

„Das System – Alles Verstehen heißt alles verzeihen“


Eine Jugendliebe

foto: © peripher filmverleih

Paris 1999: Die 15-jährige Camille und der vier Jahre ältere Sullivan sind ein Liebespaar. Doch während Camille am liebsten jede Sekunde mit ihm verbringen will, fühlt Sullivan sich bald eingeengt. Als er für zehn Monate nach Südafrika geht, werden die romantischen Briefe immer seltener, die Beziehung zerbricht, Camille fällt in tiefe Verzweiflung. Doch das Leben geht weiter, Camille studiert Architektur und findet eine neue Liebe. Vergessen ist Sullivan aber nicht… Keine französische Liebesschnulze, hatten wir angekündigt. Und jetzt das! Aber ein bisschen Herzschmerz darf dann eben doch sein. Erst recht, wenn für die internationale Produktion nicht nur in Paris und Kopenhagen die Kameras rollten, sondern im Herbst 2010 auch im Bauhaus Dessau. ȹ „Eine Jugendliebe“ (Un amour de jeunesse) gibt es im Flatrate-Angebot von „realeyz“ ausschließlich im französischen Original mit deutschen Untertiteln. Wer den Film bei „Pantaflix“ für 3 Euro ausleiht, muss sogar ohne Untertitel auskommen. Die deutsche Synchronfassung ist nur auf DVD erhältlich, dafür aber schon für erschwingliche 9 Euro.

Gemeinsam mit seiner Frau Barbara betreibt Thomas Stille im sächsischen Müglitztal das Gasthaus „Stilles Tal“. Das Grundstück hat er von der Gemeinde gekauft, im August 2002 soll das Haus neu eröffnet werden. Doch dann steht der Westdeutsche Konrad Huberty samt Frau und Anwältin vor der Tür und beansprucht das Anwesen für sich. Sein Urgroßvater habe es erbaut, auch ein Gerichtsurteil gibt ihm Recht. Und während der Streit zunehmend eskaliert, ist permanenter Starkregen Vorbote einer ganz anderen Katastrophe. Ost-West-Konflikt trifft Jahrhundertflut. „Stilles Tal“ lässt wenige Klischees aus, überzeugt aber mit seinen „Duellanten“ Wolfgang Stumph und Robert Atzorn. Die spektakulären Flutszenen entstanden im Juli 2010 im Schwimmbad Quellendorf, die ruhigeren Szenen in Kemberg.

foto: © mdr

Stilles Tal

ȹ „MagentaTV“ hat „Stilles Tal“ in seinem Flatrate-Angebot, „maxdome“ bietet die Fernsehproduktion zur Miete für 3 und zum Kauf für 8 Euro an. Die DVD gibt es für rund 10 Euro im Versandhandel.

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Während im Westen des geteilten Berlin 1968 die sexuelle Revolution und Studentenunruhen den Alltag bestimmen, erleben auf dem Boxhagener Platz Oma Otti und ihr zwölfjähriger Enkel Holger ganz eigene Abenteuer. Otti wird gleich von zwei Männern umschwärmt, die gegensätzlicher nicht sein könnten – dem von allen nur „Fisch-Winkler“ genannten Altnazi und dem ehemalige Spartakuskämpfer Karl Wegner. Als Winkler plötzlich stirbt, wird Holger zum Hobbydetektiv. Und lernt dabei nicht nur einiges über die Liebe, sondern begeht auch einen verhängnisvollen Fehler. Da der echte Boxhagener Platz nicht mehr wie in den späten 60ern aussieht, entstand die Tragikomödie größtenteils auf dem Studiogelände Babelsberg, aber auch auf dem Gelände der Dessauer Sekundarschule am Schillerpark. ȹ „Boxhagener Platz“ ist neben „alleskino“ (Miete 3 Euro), paradoxerweise nur beim italienischen – aber auch in Deutschland verfügbaren – Anbieter „Chili“ als Miet-Stream für 3 bis 4 Euro sowie zum Kaufen für 7 Euro verfügbar. Die Kauf-DVD gibt es für rund 6 Euro.

foto: © warner bros.

Ein russischer Sommer Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi, inzwischen über 80 Jahre alt, verbringt den Sommer 1910 gemeinsam mit seiner Frau Sofia und einigen der gemeinsamen Kinder auf ihrem Landgut Jasnaja Poljana. Tolstoi plant, sein nahendes Ende im Blick, die Rechte an seinem Werk dem russischen Volk zu vermachen. Ein hochemotionaler Konflikt mit seiner Frau entbrennt, vor dem Tolstoi schließlich flüchtet. Die Fahrt in einem Zug Richtung Süden soll seine letzte Reise werden. Der starbesetzten Film-Biografie, die 2008 ausschließlich in Ostdeutschland gedreht wurde, verdankt unser Bundesland nicht nur den durch Oscar-Preisträgerin Helen Mirren geprägten Beinamen „Sexy Anhalt“. Der Bahnhof Pretzsch, an dem eine Schlüsselszene des Films entstand, findet sich sogar im englischen Originaltitel wieder: „The Last Station“ („Der letzte Bahnhof“, aber auch „Die letzte Station“). ȹ „Ein russischer Sommer“ findet sich in keinem Abo-Angebot, kann aber bei einer Vielzahl von Online-Videotheken ausgeliehen und gekauft werden werden. Bei „Amazon“, „iTunes“, „Rakuten TV“ und Co. müssen durchschnittlich 4 bzw. 10 Euro investiert werden, die DVD gibt es schon für 7 Euro.

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foto: © pandora filmverleih

Boxhagener Platz


Ossi’s Eleven

foto: © universum film

Gerade erst ist Oswald „Ossi“ Schneider aus dem Knast entlassen worden, da plant er auch schon sein nächstes großes Ding. Den Überfall auf eine Eisengießerei, in der Hunderttausende alter D-Mark-Münzen eingeschmolzen werden sollen, kann er jedoch nicht allein durchziehen. Also aktiviert Ossi seine alten Kontakte. Und schon bald gesellen sich noch weitere Komplizen dazu, vom gedopten Sportler bis zum verhassten Ex-Stasi-Mann. „Ossi’s Eleven“ lehnt nicht nur seinen Titel an den Hollywood-Hit „Ocean’s Eleven“ an, sondern verlegt auch die Grundhandlung vom glanzvollen Las Vegas in die ostdeutsche Plattenbau-Tristesse. Gedreht wurde dort, wo auch die Handlung spielt: In Erfurt sowie zum überwiegenden Teil in Wolfen-Nord. ȹ Der Film von 2008 ist im „Filmtastic“-Paket von „Rakuten TV“ sowie in der „Megathek“ von „MagentaTV“ enthalten. Bei den bekanntesten Anbietern kann er ab 3 Euro geliehen und für 8 Euro gekauft werden. Die DVD ist bereits ab 5 Euro zu haben.

Der erfolgreiche Theaterregisseur Jakob verliert bei einem schweren Autounfall sein Augenlicht. Von einem Moment auf den anderen muss er sich auf seine verbliebenen Sinne verlassen und ist auf fremde Hilfe angewiesen. In einem Rehabilitationszentrum für Blinde versucht, die blind geborene, Lehrerin Lilly, ihn behutsam an das neue Leben heranzuführen. Doch Jakob wehrt sich vehement und wird zunehmend verbittert und depressiv. Um der Situation zu entkommen, steigt er in den erstbesten Zug – Richtung Russland. Lilly macht sich auf die Suche nach ihm und eine tragikomische Odyssee beginnt. Die einfühlsame und humorvolle Geschichte einer „blinden Liebe“ aus dem Jahr 2004 wurde, neben Brandenburg und Dänemark, in Ferropolis und rund um Gräfenhainichen verfilmt.

foto: © wild bunch germany

Erbsen auf halb 6

ȹ „Erbsen auf halb 6“ ist in keiner Flatrate enthalten, aber zum Ausleihen für 3 Euro bei „Amazon“, „iTunes“, „Google Play“, „Rakuten TV“, „Videoload“ und „maxdome“ verfügbar. Die digitale Kauffassung kostet 8 Euro. Die DVD ist ab 5 Euro, in einer Version inklusive Hörfilmfassung für ca. 9 Euro erhältlich.

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ȹ heimatfilme mal ganz anders

Die DDR im Jahr 1966: Zimmermann Hannes Balla und seine Kollegen sind die produktivste Arbeitsbrigade einer Großbaustelle, können mit den bürokratischen Regeln der Planwirtschaft aber herzlich wenig anfangen. Wenn Material fehlt, wird es eben besorgt, notfalls mit Gewalt. Von der Bauleitung wird das aufgrund ihrer Leistung zunächst geduldet – bis der idealistische SEDParteisekretär Werner Horrath seinen Dienst antritt. Balla und Horrath begegnen sich mit Respekt, haben aber dummerweise ein Auge auf die gleiche Frau geworfen. Eine der legendärsten DEFA-Produktionen überhaupt, die schon drei Tage nach der Premiere als staats- und parteifeindlich im Giftschrank verschwand und erst im November 1989 wieder in die Kinos kam. Die berühmte Szene mit dem Bad der Brigade im Feuerlöschteich entstand in Coswig. Heute befindet sich dort der Marktplatz. ȹ „Spur der Steine“ finden Sie im Abo bei „Amazon Prime“ und „alleskino“. Zum Mieten ist er auch bei vielen weiteren OnlineVideotheken ab 2 Euro zu finden, als Kauffassung ab 6 Euro. Die DVD kostet rund 10 Euro.

foto: © defa-stiftung / sibylle u. werner

Frühlingssinfonie Mit strengen Methoden und unerbittlich tut der Klavierlehrer Friedrich Wieck im Leipzig des frühen 19. Jahrhunderts alles, um seine Tochter Clara als Pianistin groß herauszubringen. Die Elfjährige ist ein Wunderkind und schon bald ziehen die Ausbildungserfolge Wiecks andere junge Pianisten nach Sachsen. Auch der zwanzigjährige Robert Schumann wird sein Schüler. Jahre später verlieben sich Clara und Robert ineinander. Doch das gefällt dem Vater ganz und gar nicht. Als erste West-Produktion durfte „Frühlingssinfonie“ 1982 an Originalschauplätzen in der DDR gedreht werden. Herbert Grönemeyer spielte hier seine letzte große Kinorolle vor der Musikkarriere, an der Seite von Nastassja Kinski und DEFA-Legende Rolf Hoppe. Die opulenten Bilder entstanden unter anderem in Wörlitz. ȹ Bei „Frühlingssinfonie“ ist die Auswahl der Videothek eindeutig: Nur „alleskino“ hat den Film im Angebot, dafür aber sowohl als Teil der „Filmclub“-Flatrate als auch zum Leihen (4 Euro) oder Kaufen (9 Euro). Die Kauf-DVD schlägt ebenfalls mit 9 Euro zu Buche.

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foto: © defa-stiftung / klaus d. schwar

Spur der Steine


foto: © defa-stiftung / jörg erkens

Hälfte des Lebens 1796 wird der Dichter Friedrich Hölderlin Hauslehrer beim reichen Frankfurter Bankier Jakob Gontard. Er verliebt sich auf den ersten Blick in dessen Frau Susette, die seine Gefühle bald erwidert. Als Gontard die Affäre entdeckt, wirft er Hölderlin raus. Doch die Verliebten treffen sich heimlich weiter, bis Suzette die Beziehung 1800 beendet. Vier Jahre später tritt der Poet eine Stelle als Hofbibliothekar in Homburg an. Doch der nächste Schicksalsschlag kündigt sich bereits an. Zehn entscheidende Jahre aus dem Leben Hölderlins, dargestellt von Ulrich Mühe, widmet sich dieser DEFA-Film von 1985, der nach seinem bekanntesten Gedicht benannt ist. Gefilmt wurde in Schlössern und Gärten in Berlin, Potsdam, Rudolstadt, Weimar und Oranienbaum. ȹ „Hälfte des Lebens“ ist in den Abonnements von „Amazon“, „MagentaTV“ und „alleskino“ enthalten. Zum Leihen ab 2 Euro und zum Kaufen ab 5 Euro gibt es ihn zusätzlich bei „Videobuster“ und „maxdome“. Die DVD ist jedoch offenbar vergriffen und wird Online nur zu horrenden Preisen angeboten.

Diese (nicht ganz so) kleine Zusammenstellung erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir haben gezielt nur Filme ausgewählt, die wir in wenigstens einer Online-Videothek entdecken konnten und die meist auch als DVD oder BluRay lieferbar sind – für alle, die lieber etwas in der Hand als nur auf dem Bildschirm haben. Natürlich kann in der Zeit zwischen Entstehung und Lektüre unserer Empfehlungen auch der eine oder andere Film aus den Angeboten verschwinden oder die DVDs ausverkauft werden, gehamstert wird in diesen Tagen ja überall. In solchen Fällen hoffen wir, dass die Auswahl groß genug zum Finden von Alternativen ist. Apropos Alternativen: Ein weiteres besonderes Angebot für ihre Mitglieder halten die Bibliotheken in Dessau-Roßlau und Bitterfeld-Wolfen noch bereits. Über die Website der Bibliothek oder direkt auf www.filmfriend.de können sich Bibliotheksnutzer mit ihren Nutzerdaten einloggen und unbeschränkt sowie

kostenfrei aus über 1.500 Filmen und Serien auswählen. Das Angebot reicht von deutschen Filmklassikern über spannende Dokumentationen und internationale Arthaus-Titel bis zu Kinderserien. Da „Filmfriend“ wie „alleskino“ von der Potsdamer filmwerte GmbH betrieben wird, könnte sich auch so manche unserer Empfehlungen in den Tiefen der Online-Videothek verbergen. Weiterhin bestehen bleibt natürlich auch das Angebot der „Onleihe“ im landesweiten Netzwerk der Bibliotheken unter biblio24.onleihe.de. In der virtuellen Bibliothek stehen ebenfalls hunderte Filme zur Auswahl – allerdings auch in der digitalen Form stets nur in begrenzter Stückzahl. Manchmal ist also Warten angesagt, bis der Wunschfilm wieder „zurückgebracht“ wird. Diese Zeit lässt sich natürlich auch mit geliehenen eBooks, Hörbüchern, Musik-Alben oder digitalen Zeitungen und Zeitschriften überbrücken. Aber das ist ein ganz anderes Thema…

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ȹ empfiehlt

Sport frei für Heimtrainer Den Neujahrvorsatz, endlich wieder regelmäßiger ins Fitnessstudio zu gehen, hat so mancher wahrscheinlich schon vor der Corona-Krise „vergessen“. Spätestens jetzt kommen aber auch Vorzeigesportler nicht mehr zum regelmäßigen Training in gewohnter Form. Die gegenwärtigen Bewegungseinschränkungen sind andererseits noch ein Grund mehr, Muskeln und Gelenke in Schuss zu halten. Zum Glück gibt es genug einfache Übungen, die sich auch im heimischen Wohnzimmer durchführen lassen.

Erst einmal braucht es natürlich eine Trainingsunterlage, um die Übungen angenehmer zu machen und die Gelenke zu schonen. Wer hat, greift zur Yoga- oder Fitnessmatte. Ansonsten tut es beispielsweise auch die Isomatte aus der Campingausrüstung oder eine auf Körperlänge gefaltete Decke. Absolutes Muss ist dann selbstverständlich ein kleines Aufwärmtraining, um Muskeln und Kreislauf in Schwung zu bringen. Rund zwei Minuten Hampelmann oder Lauf auf der Stelle sollten reichen, dann kann es auch schon losgehen.

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1 auf die knie! Die Kniebeuge ist der Klassiker im Krafttraining, aber immer noch top-aktuell. Die Übung stärkt die vordere Bein- und die Gesäßmuskulatur. Für die Ausgangsposition stellen Sie sich aufrecht hin und positionieren die Füße etwas weiter als schulterbreit auseinander. Die Zehen zeigen nach vorn, der Oberkörper ist gerade und der Rücken leicht im Hohlkreuz. Zu Stabilisierung strecken Sie die Arme gerade auf Schulterhöhe aus. Nun geht es, langsam und kontrolliert, in die Knie. Die Beine werden gebeugt, der Allerwerteste schiebt sich in Richtung

Knöchel und kommt dem Boden möglichst nah. Die Oberschenkel sollten schließlich mindestens parallel zum Boden, die Unterschenkel senkrecht und der Oberkörper leicht vorgebeugt sein. Wichtig ist außerdem, dass sich die Knie hinter oder höchstens auf gleicher Höhe mit den Fußspitzen befinden. Anschließend geht es wieder genauso langsam und kontrolliert zurück in den Stand. Das Ganze machen Sie dann 12 bis 15 Mal und legen nach einer kurzen Verschnaufpause zwei bis drei Wiederholungsblöcke ein. Und nicht verzweifeln, wenn es beim ersten Mal nicht nach Bilderbuch klappt. Das wird schon noch. 2 bitte ausfallend werden! Und noch ein Klassiker: Der Ausfallschritt. Selbst bei Sportskanonen nicht unbedingt beliebt, stärkt diese Übung aber zuverlässig Oberschenkel und Gesäß. Ausgangsposition ist hier der Stand mit etwa hüftbreit aufgestellten Füßen, angespannten Bauchmuskeln, gestrecktem Rücken und nach vorn gerichtetem Blick. Dann machen Sie mit einem Bein einen großen Schritt nach vorn, je nach Beinlänge bzw. Körpergröße 60 bis 90 cm, bis Ober- und


foto: © leo, verena kaczinski

Unterschenkel fast einen rechten Winkel bilden. Jetzt wird das vordere Bein nach vorn gebeugt, während das hintere Knie in Richtung Boden wandert, bis der Unterschenkel parallel zum Boden ist. Dabei bleibt der Oberkörper immer gerade und die Schultern sind leicht nach hinten gezogen. Aber Vorsicht, das vordere Knie darf bei der Übung die Fußspitze nicht überragen. Sonst droht neben dem Muskelkater auch eine extreme Belastung des Kniegelenks. Aus der Kraft des Vorderbeins geht es dann wieder nach oben und die andere Seite ist dran. Nach 10 bis 12 Ausfallschritten pro Bein und drei bis vier Durchgängen dürfen Sie sich selbst auf die Schulter klopfen. 3 ganz schön abgehoben! Jetzt können Sie sich endlich mal hinlegen, aber bitte auf den Bauch. Wenn Sie sich schon immer mal wie ein Superheld fühlen wollten, der durch die Lüfte fliegt, kommt nun die Gelegenheit dazu – mit dem Rückenstrecker im Liegen, perfekt zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Auf dem Bauch liegend strecken Sie dafür die Arme gerade vor und die Beine gerade hinter sich. Die Füße stellen Sie

auf die Fußspitzen. Jetzt heben Sie gleichzeitig Beine und Oberkörper um einige Zentimeter an, bis nur noch der untere Bauch und das Becken die Trainingsmatte berühren. Versuchen Sie, diese Position einige Sekunden zu halten. Mit der Zeit wird Ihnen das immer länger gelingen. Anschließend senken Sie Beine und Oberkörper wieder ab. Noch bevor sie den Boden berühren, geht es aber gleich wieder aufwärts, in die nächste Hebebewegung. Nach 12 bis 15 Wiederholungen und zwei bis drei Durchläufen haben Sie es geschafft. Wenn Sie so lange durchhalten. Reicht erst einmal, oder? Demnächst gibt es noch ein paar weitere Fitnesstipps, bis dahin heißt es aber: üben, üben, üben. Keine Sorge, wenn Sie die vorgestellten Übungen nicht gleich so häufig schaffen, wie hier beschrieben. Gerade für Untrainierte sind sie deutlich anstrengender als es klingt oder aussieht. Aber Hauptsache, Sie nutzen die Zeit, um sich und Ihrem Körper etwas Gutes zu tun. Und selbst Schwarzenegger hat mal klein angefangen.

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Raum für Kunst und Fantasie

„Raum nehmen“ – ein Motto, das in der aktuellen Lage schnell den Gedanken an erzwungene oder freiwillige Isolation in den eigenen vier Wänden wecken könnte. Gemeint ist damit jedoch das genaue Gegenteil: Das Schaffen neuer und die Neubesetzung alter Räume genauso wie auch Raum für die Fantasie, für Visionen und neue Ansätze. Das Dessauer Theaterfestival „Schau rein!“ lädt vom 3. bis 7. Juni ein zum „Raum nehmen“.

Während diese Zeilen entstehen, Ende März 2020, steht das öffentliche Leben still. Niemand kann seriös einschätzen, ob sich diese Lage bis Anfang Juni so weit ändern wird, dass wieder so etwas wie Alltag oder Normalität Einzug hält. Doch die Hoffnung bleibt – und ein potenzielles Großereignis wie ein Theaterfestival ist ohne mehrmonatige Vorbereitungen weder leicht auf die Beine zu stellen noch leichtfertig abgesagt. Wenn Sie also die Gelegenheit dazu haben, schauen Sie rein bei „Schau rein!“. Und wenn es dann doch anders kommen sollte, lassen Sie Ihren Gedanken Raum, sich vorzustellen, wie schön es gewesen wäre. Über die Pläne für „Schau rein! – Raum nehmen“ sprach LEO mit Generalintendant Johannes Weigand. Was ist die Idee hinter dem diesjährigen Festivalmotto?

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Johannes Weigand: Das Motto spielt mit verschiedenen Facetten: Zum einen ist alles in unserem Denken, von der Erinnerung bis zur Zukunftsfantasie, mit Orten und Räumen verbunden. Was wäre, wenn wir diese Räume frisch besetzen sowie neue Räume schaffen könnten? Schau rein! möchte dies nicht nur in den Köpfen, sondern auch ganz konkret versuchen: Dessau bietet so viel Freiraum, so viele Leerstellen, die direkt dazu einladen, genutzt zu werden. Insofern wird auch der städtische öffentliche Raum ein großes Thema während des Festivals sein. Schau

foto: tobias wegner in „leo“ © andy phillipson

ȹ empfiehlt

rein! wird auf jeden Fall rausschauen: Ob auf grüner Wiese oder großem Platz - Überraschungen sind garantiert! Zum anderen bespielt das Festival mit dem Alten Theater, der großen Bühne des Anhaltischen Theaters und dem ehemaligen Haus des Reisens erstmalig drei verschiedene Spielstätten und bietet so durch die Vielfalt der Veranstaltungsorte den Raum für ein großes Spektrum ästhetischer Ansätze und künstlerischer Disziplinen. Welche künstlerischen Disziplinen sind gemeint?

Johannes Weigand: Für das erste Stockwerk des ehemaligen Haus des Reisens in der Kavalierstraße, vielen Dessauern noch als Amt für das Pass- und Meldewesen der DDR in Erinnerung, hat die Multimediakünstlerin Lili Weiss zum Beispiel eine temporäre Raum-Installation entwickelt, die sowohl Plattform für alle dort stattfindenden Begegnungen und Workshops, als auch Bühne für alle Theateraufführungen bilden wird. Das Raumkonzept, das in seiner poetischen Bildsprache an ein verlassenes Raumschiff mit fehlerhaftem Holodeck erinnern wird, lädt übrigens auch außerhalb der Veranstaltungen alle Interessierten ein, sich diesen Ort der Vergangenheit in einem ganz neuen Licht(konzept) anzusehen und so quasi zum Archäologen seiner eigenen Zeit zu werden.


foto: raum im ehemaligen haus des reisens, kavalierstrasse (80er jahre © bernd helbig, stadtarchiv dessau

Linkes Bild: Weltklasse-Akrobat Tobias Wegner stellt mit seiner international gefeierten Show „LEO“ die Gesetze der Schwerkraft und der Realität auf die Probe. Rechtes Bild: Seine amtliche Funktion hat das ehemalige „Haus des Reisens“ längst verloren. Anfang Juni wird es neu entdeckt und zum Raum für neue Geschichten.

Hier bietet sich vielleicht jedem die Gelegenheit, diesen Raum anders zu besetzen oder aber ganz neue Geschichte(n) zu schreiben. Die Termine finden Sie in unserem Programmheft. In einer völlig anderen künstlerischen Disziplin beheimatet ist Tobias Wegner, an der staatlichen Hochschule für zeitgenössische Zirkuskünste ausgebildeter Akrobat, der mit seiner weltweit preisgekrönten Show „LEO“ am 8. Juni die große Bühne des Anhaltischen Theaters bespielen wird. Raum einmal anders: Was wäre, wenn sich die Gesetze der Schwerkraft plötzlich ändern würden und unsere Wahrnehmung der Realität auf die Probe stellen? Durch das geschickte Zusammenspiel seiner Live-Performance und der gleichzeitig laufenden Videoprojektion können sich die Zuschauer nicht mehr sicher sein, wo oben und wo unten ist. Das ist wirklich »Raum nehmen« in Höchstform! „LEO“ gastierte bereits sehr erfolgreich in New York, Melbourne, Hongkong, Moskau, Montréal und London und ich bin sehr froh, dass wir Tobias Wegner für Schau rein! gewinnen konnten. Steht das gesamte Programm schon fest und wo kann ich mich informieren?

Johannes Weigand: Aufgrund der von uns angestrebten Programmvielfalt haben wir bereits sehr früh begonnen, Künstlerinnen und Künstler

einzuladen und neue (Raum)Konzepte für Workshops, Konzerte und Performances zu entwickeln. Besonders aufgrund der Bespielung des ersten Stockwerks im ehemaligen Haus des Reisens, in dem raumbedingt höchstens 40 Zuschauer Platz finden können, haben wir schon im Oktober begonnen, nach interessanten Formaten, Vorstellungen und Workshops zu suchen, um diesen speziellen Ort thematisch in Szene zu setzen. Ein breit gefächertes Rahmenprogramm mit musikalischen OpenAir-Veranstaltungen, Performances unter freiem Himmel, Flashmobs in der Stadt oder Kunstaktionen im Grünen wird das Festival mehrdimensional begleiten. Aber dazu möchte ich noch nicht alles verraten. Eines verrate ich aber gern: die – sehr gelungene und informative – Webseite des Festivals, die so schön geworden ist, dass alle sie allein schon deswegen unbedingt anklicken müssen: www.anhaltisches-theater.de/schau_rein_20 ȹ Theaterfestival „Schau rein! – Raum nehmen“ 3. bis 7. Juni Dessau, Anhaltisches Theater/Altes Theater/ Haus des Reisens www.anhaltisches-theater.de

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foto: © uwe hauth

foto: © melanie albrecht

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Rock vom Herz fürs Hirn

40 Jahre Traumzauberbaum

Osternienburg gilt mit seinen nicht mal 2.000 Einwohnern nicht gerade als Metropole der Deutsch-rockSzene. Und doch gibt es hier eine Band, die sich vorgenommen hat, die Welt besser zu machen. „Serious Minded“ verbinden eingängigen Rocksound mit ehrlichen Texten, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen sollen.

Genau 40 Jahre ist es her, dass Autorin Monika Ehrhardt und Komponist Reinhard Lakomy eine magische Märchenwelt schufen, die seitdem mehrere Generationen berührt und begeistert hat. Die Geschichtenlieder vom „Traumzauberbaum“ wurden seitdem 13 Mal fortgesetzt, rund fünf Millionen Mal verkauft und von über einer Million Zuschauern gesehen. Der runde Geburtstag wird nun mit einem eigenen Bühnenprogramm gefeiert.

Die Geschichte von „Serious Minded“ geht zurück bis ins Jahr 1997. Noch im Grundschulalter lernten sich die vier Jungs beim Hockeytraining kennen. Aus Teamkameraden wurden Freunde, als sie im TeenagerAlter ihren gemeinsamen Musikgeschmack entdeckten. Zu Dritt gründeten Raik, Ben und Hannes ihre erste Band „Die Fanz“, um den „Böhsen Onkelz“, „Metallica“ und „AC/DC“ nachzueifern. Der Vierte im Bunde, Phillip, ließ sich schließlich zum Gitarre lernen überreden und komplettierte das Freunde-Quartett. Seit 2011 nennen sich die Osternienburger „Serious Minded“, spielen ihre eigenen Songs und wollen sich vom „Deutschrock-Einheitsbrei“ abheben. Die Band selbst bezeichnet ihre Musik als „Rock vom Herz fürs Hirn“, nimmt sich selbst aber trotz kritischer Seitenhiebe nicht zu ernst. Aber das hört man sich am besten auf „Schrei nach Veränderung“ selbst mal an. ȹ Album „Serious Minded – Schrei nach Veränderung“ Erhältlich seit 27. Marz 2020 serious-minded-shop.ecwid.com

leo glücksmoment glücksmomente

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Der Traumzauberbaum hat Geburtstag. Und zu so einem Anlass gehört selbstverständlich ein buntes Jubilierungsfest, bei dem auch die Sonne ungetrübt vom Himmel strahlt. Also reißen die Waldgeister Moosmutzel und Waldwuffel kurzerhand heimlich die blauen Regentraumblätter vom Traumzauberbaum. Der tief gekränkte Wolkengeist Zausel sammelt daraufhin alle Wolken ein, inklusive Waldwuffels treuem Begleiter, dem Wolkenschaf Miepchen Himmelblau. Doch das ist nicht das größte Problem, denn auch das nahe Bächlein ist weggelaufen und der Traumzauberbaum droht zu verwelken. Gemeinsam mit den Kindern im Publikum müssen Moosmutzel und Waldwuffel alles tun, um den Wolkengeist zu versöhnen und nicht nur die Geburtstagsparty zu retten. ȹ „40 Jahre Traumzauberbaum – Das Geburtstagsfest“ Freitag, 1. Mai, 16 Uhr Dessau, Anhaltisches Theater www.anhaltisches-theater.de

leo glücksmoment glücksmomente

Wir verlosen ein „Serious Minded“-Album unter leo-magazin.com/gluecksmoment oder per Post.

Wir verlosen Freikarten für „40 Jahre Traumzauberbaum – Das Geburtstagsfest“ unter leo-magazin.com/gluecksmoment oder per Post.

einsendeschluss: 20. april 2020

einsendeschluss: 20. april 2020


foto: kurt weill fest © andreas burkhardt

foto: veranstalter

Geschenkte Schätze

Spiel die erste Geige!

Museen gibt es in den verschiedensten Ausprägungen und für fast alle Interessensgebiete. Allen gemeinsam ist jedoch, dass für die Anschaffung neuer Sammlungs- und Ausstellungsstücke nur selten großzügige Finanzmittel zur Verfügung stehen. Einen umso höheren Stellenwert nehmen daher Schenkungen ein, denen das Museum Schloss Neuenburg in Freyburg derzeit eine eigene Ausstellung widmet.

Beim Festakt zur Eröffnung des diesjährigen Kurt Weill Festes sorgte die junge Violinistin Paula Borggrefe für große Begeisterung. Ihr Können demonstrierte sie auf einer modernen Geige, die ihr von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung zur Verfügung gestellt wurde. Im November haben talentierte Nachwuchskünstler nun erneut Gelegenheit, ihr nachzueifern und sich eine solche Geige zu erspielen – beim Rust-Preis 2020.

Wichtige Schenkungen bildeten im Jahr 1935 den Grundstock der ersten Sammlung im Museum Schloss Neuenburg. Mehr als acht Jahrzehnte später ist der Bestand auf mehr als 50.000 Objekte angewachsen, knapp drei Viertel von ihnen aus Schenkungen. Die Riege der Schenker, die vom Bauern oder Handwerker bis zum Wissenschaftler reicht, ist dabei so vielfältig wie ihre Motivation. Für die Ausstellung „Beschenkt. Geschätzt. Bewahrt.“ wurden nun erstmals besonders kostbare, skurrile und einzigartige Schenkungen zusammengestellt. Während der größte Teil im Gewölbekeller zu sehen ist, werden besonders empfindliche Objekte im Kabinett des Weinmuseums gezeigt. Und auch zum Erkunden der Dauerausstellungen mit den dort schon seit vielen Jahren integrierten Geschenken wird eingeladen.

Geigerinnen und Geiger zwischen 12 und 21 Jahren können sich ab sofort für den diesjährigen ViolinFörderwettbewerb der Ostdeutschen Sparkassenstiftung bewerben. Teilnehmen dürfen Talente aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Insgesamt wird der Wettbewerb bereits zum elften Mal durchgeführt, zum sechsten Mal in Kooperation mit dem Anhaltischen Theater und dem Kurt-Weill-Zentrum Dessau. Benannt ist er nach dem im 18. Jahrhundert in Dessau wirkenden Geiger und Komponisten Friedrich Wilhelm Rust. Zu gewinnen sind neben Geldpreisen und Auftrittschancen vor allem 14 Meistergeigen, die im Auftrag der Stiftung von ostdeutschen Geigenbauern gefertigt werden. Der Wettbewerb findet vom 13. bis 15. November im Alten Theater Dessau statt. Anmeldungen sind noch bis zum 10. September möglich.

ȹ Ausstellung „Beschenkt. Geschätzt. Bewahrt.“ 26. November 2019 bis 16. Februar 2021 Freyburg, Museum Schloss Neuenburg www.schloss-neuenburg.de

ȹ Rust-Preis 2020 13. bis 15. November Dessau, Altes Theater Bewerbungsschluss: 10. September www.ostdeutsche-sparkassenstiftung.de

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ȹ musik

Laut, leidenschaftlich und mit viel Gefühl Eigentlich wollte einer der renommiertesten Schulchöre Sachsen-Anhalts, die Dessauer „Fürstsingers“, am 18. April sein 20-jähriges Bestehen mit einem großen Konzert im Golfpark Dessau feiern. Eigentlich ist jedoch ein Wort, das man in diesen Tagen regelmäßig liest und hört. Denn angesichts der sich bei Entstehung dieser Zeilen fast schon stündlich verschärfenden Maßnahmen zur Eindämmung des CoronaVirus wurde das Konzert auf den 12. September verlegt. Da das eigentliche Jubiläum aber schon im Februar war und es sich ungeachtet aller Begleitumstände auch jetzt schon lohnt, einen intensiveren – und sehr unterhaltsamen – Blick auf die Chorgeschichte zu werfen, lassen wir auf diesen Seiten Steffen Schwalba ausführlich zu Wort kommen, unter dessen energiegeladener Leitung die „Fürstsingers“ gegründet wurden und noch bis heute aktiv sind.

Wie ging es im Februar 2000 eigentlich los – für Sie und den Chor?

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Steffen Schwalba: Das Leben hält mitunter glückliche Umstände für einen bereit. Es war zwar nicht so, dass ich kam, sah und siegte, aber ein wenig halfen die Umstände. Das Fürst-Franz-Gymnasium in Dessau-Ziebigk hatte einen Musiklehrer und Chorleiter, der sich beruflich neu orientierte und damit der Schule abhandenkam. Ich selbst war zu dieser Zeit noch Referendar in Köthen und suchte schon nach einer passenden Anstellung als Musik- und Englischlehrer im regionalen Umfeld. So nahm ich mit dem Schulleiter des Fürst-FranzGymnasiums, Klaus Simon, Kontakt auf, der mich wiederum bis zum Ende meiner Referendarzeit mit dem Schulchor seiner Schule zusammenführen wollte. So trat ich erstmalig nach den Winterferien im Februar 2000 einer versprengten Gospelgruppe von ca. 11 Schülern des Fürst-Franz-Gymnasiums gegenüber. Da wurde gar nicht lange gequatscht, sondern gleich Noten verteilt und los ging‘s. Ich habe diese Option so dankbar angenommen, nicht nur, weil ich mir damit Hoffnung auf eine sich abzeichnende Festanstellung in Dessau machte, sondern viel mehr auch, weil die Schüler mir dort eine so grundsätzliche Sympathie und Aufgeschlos-

senheit entgegenbrachten, dass ich gar nicht anders konnte, und bald schon gar nicht mehr anders wollte. Unter der Woche war ich ja immer in Köthen an der Schule, aber an den Dienstagnachmittagen flog ich dann in Ziebigk ein. Das muss sich wohl dort ganz gut herumgesprochen haben, weil die Anzahl der Sänger mit jeder Woche anstieg, ohne dass ich vor Ort hätte irgendwelche Werbung machen können. Vier Monate später, zum Ende des Schuljahres, hatten wir dann ca. 28 Schülerinnen und Schüler, die in diesem 4-stimmig gemischten Chor sangen. Es musste ein Name her, der irgendwie passte, mit dem man sich identifizieren konnte. Und so machten wir „Fürstsingers“ klar, weil wir bei einer Stellprobe für einen Auftritt im Berufsschulzentrum zu lange warten mussten, zu viel Langeweile hatten und irgendwie in der Namensfindung schöpferisch im Flow waren. Keiner von uns hätte seinerzeit geglaubt, dass das über die Wirren der Bildungspolitik im Land, Schulschließungen, Schulfusionen, Abordnungen, etc. so viele Jahre hält, dass so ein Schulchor, ganz ohne Anbindung an eine musikalische Profilbildung eines Gymnasiums, ohne dass man hätte im Sinne der musikalischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen organisatorische Akzente und Schwerpunkte


foto: fürstsingers

setzen können, noch nach 20 Jahren besteht, dass mittlerweile unter gleichem Namen 74 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Philanthropinum in diesem Ensemble vereint sind. Ich kann es mitunter selbst nicht glauben, bin begeistert und gewiss auch stolz, aber ich gebe so gern jeden Dienstagnachmittag den Choristen das zurück, was sie mir über all die Jahre so selbstlos geschenkt haben. Dass ein Schulchor auch öffentlich auftritt, ist nicht ungewöhnlich. Die „Fürstsingers“ haben sich aber inzwischen zu einer echten Institution entwickelt und standen schon mit „L’Arc Six“, „Den Prinzen“ und vielen anderen auf der Bühne. Was macht Ihr Chor anders als die anderen?

Steffen Schwalba: Na, mit der Frage wollen Sie mich doch aufs Glatteis führen!? Ganz gewiss liegt es nicht daran, dass die anderen Chöre alle Mist und nur wir unwiderstehlich sind! Nee, nee, nee! (lacht) Die anderen leisten ebenso ganz hervorragende Arbeit. Vielleicht sollten wir in der Zukunft eher mal mehr zusammen machen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich glaube, dass es im außerschulischen und im Freizeitbereich zunehmend schwer geworden ist, aufgrund der Personalsituation verlässlich Angebote vorhalten zu können, und Jugendliche bei der Viel-

zahl ihrer Verpflichtungen und Aktivitäten langfristig zu binden. Diese beiden Seiten braucht es aber, um den Unterschied zu machen. Ich rede mir ja nun schon seit Jahren den Mund fusselig, dass wir endlich in Dessau-Roßlau ein Musikzweiggymnasium brauchen, damit wir im Speckgürtel des Anhaltischen Theaters, der Anhaltischen Philharmonie, des Kurt-Weill-Festes, der Musikschule Dessau, des Bauhauses, der umliegenden Kirchgemeinden und all der vielen Institutionen, die ein Potential sehen und erheblichen Bedarf haben, verlässlich und nachhaltig Kooperationen im Sinne einer qualitativ ansprechenden schulischen Ausbildung absichern können. Bislang funktioniert ein solches Projekt wie die „Fürstsingers“ weitestgehend als Hobby, ehrenamtlich, an Wochenenden, irgendwie in der Freizeit, und die Schule hat nur begrenzt Möglichkeiten, diese Aufwendungen im Stundendeputat irgendwo abzubilden. Das ist für mich so schlimm nicht, jedoch muss ich meine Choristen im Blick behalten, die logischerweise Schwerpunkte im Sinne ihrer Schullaufbahn ganz anders setzen müssen. Alle haben 34 bis 36 Wochenstunden Unterricht und nur ein bis zwei Stunden Musik. Diese schwierige Ausgangslage führt dazu, dass der einzelne Fürstsinger zwischen allen Stühlen sitzt und nicht weiß, wem

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foto: © lutz schneider eventfotografie

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er zuerst gerecht werden soll. Daher sind 20 Jahre „Fürstsingers“ vor allem ein Verdienst der Schüler in dieser Stadt, die es schaffen, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Sie sind Überzeugungstäter! Man kann also keinem anderen Chor oder musikalischen Ensemble vorwerfen, dass sie nicht so in aller Munde sind, denn mitunter reichen die Kräfte bei den vielen alltäglichen Erwartungen nicht aus, um beständig vorn an der Rampe zu stehen. Manche sind vielleicht auch etwas stiller aber weiß Gott qualitativ nicht schlechter. Die „Fürstsingers“ sind halt laut, und bestimmt ist ihr Chorleiter einen Tick extrovertierter. (lacht) Aber mal ganz ernst, ich bin noch ganz gut beieinander, die Gesundheit ist mir wie der Sonnenschein gewogen, ich habe eine Therapeutin, die mich wieder gerade biegt, wenn ich Rückenschmerzen habe, und – ganz ganz wichtig – ich habe eine Frau, die diesen Zauber mitträgt, eine Familie, die mich da einfach machen lässt und mir den Rücken freihält. Sonst könnte ich das so nicht leisten. Unsere Söhne, Till und Carl, hatten gar keine andere Chance, als bei den „Fürstsingers“ mitzusingen und den Klavierpart zu übernehmen, denn ich hatte sie mit Erfolg mit verbundenen Augen am Fußballplatz vorbeigeführt. Bei Trixi Herrmann haben sie an der Musikschule so hervorragend Klavier gelernt, dass sie maßgeblich

den Chorklang tragen konnten. Somit haben auch sie ihre Aktien daran, dass für die nachfolgenden Pianisten der „Fürstsingers“ die Messlatte ansprechend hoch liegt. Ein weiteres Phänomen sehe ich darin, dass wir immer wieder Förderer und Unterstützer in der Dessau-Roßlauer Öffentlichkeit finden konnten, die uns über all die Jahre treu begleitet haben, die mit Zuspruch und mit finanzieller Unterstützung dazu beigetragen haben, dass wir Projekte und Vorhaben angehen konnten, die ganz sicher über den normalen Umfang chorischer Arbeit an einer Schule hinausgehen. Ohne den Förderverein des Gymnasiums Philanthropinum, ohne das Wohlwollen der Vielen in all den Jahren, ohne die Mithilfe der Choreltern wäre vieles nicht möglich gewesen. In Dankbarkeit stelle ich fest, dass auch dieses einen Unterschied macht. Last but not least, manchmal ist es auch ein gewisser Instinkt. Man braucht einen Riecher, wo die musikalische Reise erfolgversprechend hingehen kann. Was ist mit der derzeitigen Besetzung der „Fürstsingers“ machbar? Der naturbedingte Wechsel in den Stimmgruppen – am Ende bestehen sie ja doch alle das Abitur! – führt dazu, dass ich von Jahr zu Jahr schauen muss, welche musikalischen Vorhaben machbar sind, welche Arrangements für wen wie anzupassen sind, welche ich grundsätzlich


Steffen Schwalba, Jahrgang 1970, studiere Musik und Englisch auf Lehramt in Leipzig. Noch in seinem Referendariat übernahm er im Februar 2000 die Leitung des Schulchores am damaligen Fürst-Franz-Gymnasium, das 2004 mit dem Philanthropinum fusionierte. Die Geburtsstunde der „Fürstsingers“, die inzwischen seit mehreren Schülergenerationen ihr Publikum begeistern.

neu schreibe, damit die „Fürstsingers“ ein Erfolgserlebnis haben, und welche Musik gerade angesagt ist. Offensichtlich habe ich dafür ein schnelles und gutes Händchen. Wieder eine viel zu lange Antwort! (lacht) Was sind für Sie die besonderen Höhepunkte der Chorgeschichte?

Steffen Schwalba: Für mich persönlich sind es die Schüler selbst, die ich jede Woche sehen darf, die mir meinen Alltag so unvermittelt spontan und erschreckend schonungslos abwechslungsreich gestalten. Manche Choristen bezeichnen schon die Chorprobe als das Highlight der Woche. Nun, sie tun mir eigentlich leid, wenn sie um die 16 Jahre herum schon eine Chorprobe als ihr Highlight bezeichnen. Was machen die in ihrer Freizeit? Was machen die falsch? (lacht) Aber wahrscheinlich beziehen sie die Aussage nur auf ihren Schulalltag, und da ist es bestimmt nicht schwer, mit den „Fürstsingers“ gegen Praktikumshefter, Mathearbeiten, Power-Point-Präsentationen und chemische Experimente auf Platz Eins zu landen. Was ist nur los mit der Jugend, wenn die Woche für sie gleichbedeutend mit dem Schulalltag ist? Na gut, als Pädagoge werde ich mal dran arbeiten. (lacht) Aus Sicht des Chores sind es aber eine ganze Reihe

dankenswerter musikalischer Erlebnisse, die ich eigentlich überhaupt keinem Ranking unterziehen möchte. Sie stehen für sich und verdienen keinen Vergleich. Da spule ich einfach mal ab: wunderschöne Konzerte in den Kirchgemeinden Melanchthon, Auferstehung, Petrus und Herz Jesu in Roßlau, Konzertreisen nach Ahrensburg, Aabenraa (Dänemark), jetzt erst nach Bargteheide und Bad Oldesloe (SchleswigHolstein), gemeinsam mit den Prinzen, mit l’arc six, der Jugend-Big-Band, Klangbezirk, VokalrauschFestival, zum Kurt-Weill-Fest mit Antony Hermus und der Anhaltischen Philharmonie, zum Bürgerfest bei der Eröffnung des Bauhaus Museums, unschlagbar Christoph Reuter, der mit uns einen ganzen Tag ein Coaching betrieb und am Abend sein Soloprogramm mit den „Fürstsingers“ fuhr, das „MelanchthonOratorium“ unter seiner Leitung mit dem Laurentius-Orchester und den Streichern der Musikschule Dessau, das Musical „Anhalt – Genial Anders“ im Zuge von „800 Jahre Anhalt“ gemeinsam mit der Theater- und Tanzgruppe des Philanthropinums und der Band „Nomax“, 10 Jahre „Fürstsingers“ mit der Schülerband des Liborius-Gymnasiums „De10tion“ und und und. Ich habe bestimmt die Aufzählung nicht vollständig. Aber am liebsten machen wir das, was wir am besten können – Kommen, Singen, Gehen.

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foto: © lutz schneider eventfotografie

ȹ musik

Ohne Schnickschnack, ohne Technik, einfach live, gern auch mal ein falscher Ton, aber unbedingt ein Publikum glücklich machen. Was hat es mit den „Fürstsingers Reloaded“ auf sich?

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Steffen Schwalba: Das sind die Versprengten, die die Finger nicht davon lassen können. Aus der Nummer bin ich raus! (lacht) Manche ehemaligen Choristen der „Fürstsingers“ haben wohl in der Ferne nicht das wiedergefunden, was sie schon kannten. Also hilft Facebook, sie fanden andere mit dem gleichen Problem, kannten sich zwar nicht, weil sie die Abiturjahrgänge 2003 bis 2017 repräsentieren, schlossen sich aber dennoch zusammen und fragten bei mir an, ob man sich nicht vielleicht fünfmal im Jahr an Wochenenden treffen könnte, um gemeinsam zu proben. Natürlich doch. Mittlerweile ist das ein Verein „Fürstsingers Reloaded e.V.“, ich schreibe die Noten für sie, schicke das via Mail rum, sie bauen ein paar ÜbeTracks und kommen dann am Freitagabend aus allerlei Himmelsrichtungen in Dessau vorstudiert an. Sonntagmittag haben wir uns dann zusammengesungen, jeder geht wieder seiner Wege und spürt noch ein wenig das Erlebte nach. Das machen wir nun schon seit über vier Jahren. Für mich ganz

angenehm, denn ich muss nur leiten, dirigieren und hin und wieder meinen Senf dazugeben. Der Rest läuft in Eigenregie, und ich hüte mich davor, im Vorstand des Vereins eine tragende Rolle zu spielen. Das ist eigentlich ganz schön so, denn ich muss nicht irgendwo hin, sie kommen alle zu mir hierher, stecken noch irgendwie im Studium, in der Promotion, beginnen grad ihr berufliches Dasein, bauen ein Haus, ihr eigenes Heim, bringen teilweise ihre sehr, sehr kleinen Kinder mit – und irgendwie habe ich das alles schon ganz gut hinter mir. (lacht) Sie sind stimmlich reifer als so ein Schulchor, man hat eine andere stimmliche Präsenz vor sich, die Probenarbeit läuft stringenter, und damit ist das musikalisch für mich etwas ganz anderes. Ich liebe die „Fürstsingers“ in der Schule auch für das Typische bei Teenagern, nämlich ihre situationsbedingten Befindlichkeiten. „Fürstsingers Reloaded“ ist da deutlich abgeklärter, schneller und stärker auf dem Punkt und damit eine ganz angenehme Herausforderung.

Wie geht es im Jubiläumsjahr und darüber hinaus weiter?

Steffen Schwalba: Wir peilen erst einmal die nächsten Jubiläen an – 25 Jahre Fürstsingers, 30 Jahre Fürstsingers, 40 Jahre Fürstsingers – das ist


bei dem derzeitig zu erwartenden Renteneintrittsalter für mich ganz realistisch. (lacht) Erst heute habe ich eine Anfrage für einen Auftritt der „Fürstsingers“ im Schlosspark Theater Berlin für den kommenden September erhalten. Daran hätte ich heute Morgen noch nicht gedacht. Von daher, die Dinge kommen immer recht spontan und schon gar nicht dann, wenn man damit rechnen würde. Ich bin da ehrlich gesagt genauso gespannt wie Sie. Aber eins will ich mir und den „Fürstsingers“ bewahren: Wir sind ein Schulchor des Gymnasiums Philanthropinum Dessau. Wir sind sehr stolz darauf! Wir kommen aus dieser Stadt, wir sind hier fest vernetzt, verwurzelt und bestens aufgehoben. Für das Publikum hier vor Ort singen zu können, etwas zurückzugeben, Zuversicht zu verbreiten und vielleicht auch zu berühren – das ist das Größte. Wir sollten in der Zukunft daran so viel nicht ändern.

ȹ Jubiläumskonzert „20 Jahre Fürstsingers“ feat. „Fürstsingers Reloaded“ Sonnabend, 12. September, 19 Uhr Dessau, Veranstaltungszentrum Golfpark www.fuerstsingers.de

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ȹ buchtipps

Ein gutes Buch tut immer gut Liebe Leserinnen und Leser, vor Kurzem lag ich im Krankenhaus – nix Schlimmes, nix Infektiöses. Auf jeden Fall bekam ich eine leicht panische Mail vom Chef, ob es mir gut ginge und ob ich denn die Bücherseite trotzdem abliefern könne. Klar, antwortete ich, kann ich. Nächste Mail vom Chef: „Ähm, wir sind ja ein Veranstaltungsmagazin, und so ohne Veranstaltungen ist das ja jetzt auch irgendwie blöd, so wegen Heftumfang und so.“ Ob ich vielleicht auch eine Doppelseite machen könnte? Warum nicht, die Zeiten sind hart, ohne Bücher sind sie noch härter. Hier ist sie.

Edgar Allan Poe

neue unheimliche geschichten

Aus dem Englischen von Andreas Nohl.

Der zweite Band der von Charles Baudelaire herausgegebenen Erzählungen des Großmeisters des Abseitigen, des Schauerlichen und des Unheimlichen liegt jetzt vor. In der hervorragenden Neuübersetzung von Andreas Nohl taucht der Leser ein in den Gedankenkosmos des zu Lebzeiten verkannten Wegbereiters der literarischen Moderne. Die Erzählungen wie „Berenice“ oder „Der Untergang des Hauses Usher“ haben auch nach fast 200 Jahren nichts von ihrer Faszination verloren. Für Poe-Leser ist diese Ausgabe eine Möglichkeit, ihn neu zu entdecken, für alle, die noch nie Poe gelesen haben, eine wunderbare Gelegenheit, damit zu beginnen. ȹ ISBN: 978-3-423-28215-4 erschienen bei dtv, 30,- Euro

Philipp Oswalt

marke bauhaus Der frühere Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau zeigt in diesem umfangreich bebilderten Band auf, wie aus der Bauhaus-Schule eine weltweit bekannte Marke wurde. Zugleich stellt er einige Vorstellungen und Außenwirkungen infrage. So entwarf laut Oswalt Gropius keine funktionierende Industriearchitektur, sondern „reklamewirksame Schauarchitektur“, war weit weniger Designer oder Architekt, sondern vor allem ein begnadeter Vermarkter. Oswalts Blick ist nüchtern, seine Ausführungen sind gründlich recherchiert und mit Quellen unterfüttert. Und schön anzuschauen ist dieses Buch zudem auch noch. ȹ ISBN 978-3-85881-620-7 erschienen bei Scheidegger & Spiess, 38,- Euro

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stellen sie ihr lieblingsbuch vor! Da wir ja alle in den nächsten Wochen und Monaten vermutlich viel Zeit zum Lesen haben werden, kommen Sie ins Spiel. Empfehlen Sie unseren Leserinnen und Lesern Ihr Lieblingsbuch. Egal ob Neuerscheinung oder Klassiker – einzige Bedingung ist, dass es käuflich zu erwerben ist. Im Idealfall tun Sie dies mit 560 Zeichen inklusive Leerzeichen und mit Link zum Cover (notfalls muss der Chef das halt selber suchen, aber Chefsein ist nicht immer nur Pommes und Disco). Schicken Sie Ihre Empfehlung an: info@leo-magazin.com, wir sind gespannt und freuen uns darauf!


von stefan möller Paula Irmschler

superbusen Gisela ist Anfang Zwanzig, sie zieht von Berlin und nach einer leicht toxischen Beziehung nach Chemnitz. Gisela kommt aus einer sogenannten Unterschichtsfamilie, hat kaum Geld und Übergewicht. Eine Biografie, wie geschaffen, um ins rechte Milieu abzudriften. Nicht aber Gisela. Mit ihren Freundinnen geht sie auf Anti-Nazis-Demos, sie gründen eine Band – Superbusen – sie tanzen, feiern, kiffen und versuchen, mit ihren Problemen klarzukommen. Nur weil die Welt scheiße ist, muss man sich noch lange nicht den Schneid abkaufen lassen und zum Arschloch werden. Und das hat Paula Irmschler in einen tollen, heiter-traurigen, aktuellen Roman gepackt. ȹ ISBN: 978-3-54610-001-4 erschienen bei Claassen, 20,- Euro

Marian Füssel

der preis des ruhms. eine weltgeschichte des siebenjährigen kriegs

Die Geschichte eines frühen Weltkriegs wird in Füssels Buch detailliert und profunde dargestellt. Zwischen 1756 und 1763 tobte ein Krieg zwischen Preußen und Großbritannien auf der einen und Russland, Frankreich, dem Habsburgerreich und dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich nicht auf Europa, auch in der Karibik, Indien und Nordamerika wurde gekämpft, ein globaler Konflikt. Füssel stellt politische Zusammenhänger heraus, Aufzeichnungen von Zeitzeugen werden herangezogen – und dies alles ergibt eine spannende und lehrreiche Lektüre. ȹ ISBN: 978-3-406-74005-3 erschienen bei C.H. Beck, 32,- Euro

Guillermo Corral/Paco Roca

der schatz der black swan

Aus dem Spanischen von André Höchemer.

Diese Graphic Novel ist angelehnt an ein reales Ereignis. Im Jahr 2007 findet das Bergungsunternehmen ITHACA einen Schatz im Wrack der „Black Swan“ im Wert von 500 Millionen Dollar. ITHACA versucht, den Schatz zu bergen und für sich zu sichern. Allerdings segelte das Schiff unter spanischer Flagge. Es beginnt eine Auseinandersetzung zwischen spanischen Beamten und dem amerikanischen Unternehmen darüber, wem der Schatz gehört. Corral und Roca erzählen dies als Abenteuerstory so spannend, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. ȹ ISBN: 978-3-95640-194-7 erschienen bei Reprodukt, 24,- Euro

Die Zeilen, die Sie gerade lesen, wurden etwa eine Woche vor dem Veröffentlichungstermin verfasst – also keine Ahnung, wie die Lage gerade ist. Goldpreis an den Klopapierpreis gekoppelt? Einstürzende Neubauten, weil vergessen wurde, in der Statik die Tonnen gehamsterter Nudeln einzuberechnen? Zombieapokalypse? Ich weiß es nicht. Irgendwas wird schon sein. Zumindest bin ich sicher, dass das Jahr 2020 in die Geschichte als das Jahr eingehen wird, in dem unsere Fenster so geputzt und unsere Wohnungen so aufgeräumt wie noch nie waren. Wobei, noch fehlt es mir an Vorstellungskraft, dass mir mal so langweilig sein sollte … Nehmen wir es einfach so, wie es ist, es bleibt uns ja eh nichts anderes übrig. Betrachten wir es als Test für unsere Gesellschaft, bei dem sich zeigen wird, wie solidarisch und gelassen wir wirklich sind. Geben Sie sich Mühe, den Test nicht zu vermasseln. Kümmern Sie sich um diejenigen, die sich nicht selbst kümmern können, schenken Sie den Alltagshelden in den Praxen, Krankenhäusern, an der Supermarktkasse, in der Apotheke und überall ein Lächeln (ich weiß, Lächeln gehört nicht unbedingt zu den anhaltischen Kernkompetenzen, versuchen kann man es aber), sagen Sie einfach mal „Danke!“. Und irgendwann wird auch alles wieder gut. Ganz sicher! Und bis dahin: Bleiben Sie gesund und vergessen Sie das Händewaschen nicht! PS: Falls Sie noch irgendwo alte Wahlwerbung von einer AlternativPartei rumliegen haben – damit können Sie super Klopapier sparen.

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Diesen Monat verlosen wir einen E-Bike-Testschein von „Little John Bike“ im Wert 2515 Euro. Damit kannst du einen ganzen Tag ein E-Bike deiner Wahl testen.

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Einfach die Lösung des Kreuzworträtsels mit dem Kennwort „Rätsel April“ bis zum 20. April 2020 an: gewinnspiel@leo-magazin.com oder per Post. 16

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Waagerecht: 1 Steinblock 4 Beispiel 6 altrömisches Grußwort 8 außerstädt. Domizil 10 Abscheu 11 harzloser Nadelbaum 13 nordfranzösische. Stadt in der Normandie/Dep. Calvados 14 deutscher Fluss zur Nordsee (1.165 km und damit zweitlängster Fluss) 16 schmale Stelle/räumliche Beschränktheit 18 Geldschrank

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19 Rappe von Kara ben Nemsi, Pferd, Araberhengst 21 Abk.: Gefängnis (Justizvollzugsanstalt) 24 österr.-bayr. Fluss durch München 25 nörgeln 27 Vogel 28 altgerm. Göttergeschlecht Senkrecht: 1 norditalienische Landschaft im Nordosten von Venetien 2 Keimträger 3 ugs.: Jugendliche, Kinder

4 australischer Strauß, Laufvogel, Vogel (Mz.) 5 Kai 7 Polygamie 9 animieren/ankurbeln/anregen/ mobilisieren/stärken 12 schon lange 15 Pfiff, Schwung 17 schweizer Berg bei St. Moritz (3.395 m) 18 immer, jedes Mal 20 Zuhause 22 mancherlei 23 ugs.: Gefängnis 26 heutzutage

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Eine Frage: 64

Wie machen Igel Liebe?

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impressum HERAUSGEBER Sebastian Völker c/o 3undzwanzig – Agentur für Gestaltung und Kommunikation, Humperdinckstr. 1 B, 06844 Dessau MITARBEIT AN DIESER AUSGABE Verena Kaczinski, Tina Wende, Thomas Ohrmann, Marco Henze, Georg Hübler, Marcus Herold, Stefan Möller, Dirk Breitfeld, Sebastian Völker TITELBILD Foto: © GaudiLab – stock.adobe.com Retusche: 3undzwanzig KONTAKTDATEN LEO – Das Anhalt Magazin, Humperdinckstr. 1 B, 06844 Dessau ist eine Produktion der 3undzwanzig – Agentur für Gestaltung und Kommunikation, Sebastian Völker, Humperdinckstr. 1 B, 06844 Dessau Telefon: 0340 2106494 | Telefax: 0340 2106495 E-Mail: info@leo-magazin.com Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 11 / Januar 2019 Gewinnspiele: gewinnspiel@leo-magazin.com Veranstaltungstermine: dates@leo-magazin.com Verteilstellen: vertrieb@leo-magazin.com Anzeigen: anzeigen@leo-magazin.com INTERNET www.leo-magazin.com www.issuu.com/leomag

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redaktionsschluss: 30. märz 2020

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ȹ kolumne

von dirk breitfeld

Zeit für Geständnisse Ich war mir so sicher. Hundertprozentig stand für mich fest, dass mich die aktuelle Endzeitstimmung nur peripher tangiert und ich nicht auch noch meinen investigativen Senf über die ausverkauften Bockwürste im Glas kleckere. Auch, weil vom Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung dieser Kolumne bis zur Veröffentlichung noch circa 800 Hiobsbotschaften verkündet werden. Fest steht, wir haben ein Thema.

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estatten, Breitfeld, Hypochonder. Okay, nicht akut, eher mit leicht ausgeprägten Tendenzen zur Hypochondrie, was dennoch in der aktuellen medialen Stimmungsschwankung zwischen Ignoranz und Hysterie die Existenz zur Herausforderung macht. Heute Morgen weckte mich Alexa mit dem Schocker „Guten Morgen, Sonnenschein!“ von Nana Mouskouri. Gleichzeitig wurde mir ans Herz gelegt, doch den schönen Tag zu genießen und in die Sonne zu gehen. Draußen prasselt der Regen im 45-Grad-Winkel ans Fenster und ein Blick aufs Datum zeigt, es ist Freitag, der 13. Der Tagesablauf bewies eindrucksvoll, es lohnt sich, auch dem Aberglauben seine Chance zu geben und es erweiterte sich das Portfolio beginnender Panikreaktionen. Fußballstadien zu, alle Veranstaltungen abgesagt, die Kneipe bald tabu und dann noch die Kinder wochenlang zu Hause! Wenn dann verkündet wird, es gäbe nur wenige Risikogruppen, wie etwa ältere Männer mit Übergewicht und Diabetes oder Allergiker, überlege ich persönlich kurz, ob ich nicht Lotto spielen sollte bei dieser Trefferchance. Wozu aber, fragt sich der praktizierende Hypochonder. Ich denke lieber an die nahende Pollenzeit, streichele mir über den Bauch und achte darauf, mein Metformin pünktlich zu nehmen. Vorsorglich durchsuche ich die Wohnung nach früheren Jugendsünden wie leeren Grastütchen und lösche den Browserverlauf auf dem Laptop. Mir ist ein seriöses Gedenken an meine Person wichtig. Man möge mich nicht fehlinterpretieren. Die Lage ist definitiv kein Spaß und uns wird noch mancher gepostete Witz sauer aufstoßen. Nicht nur, weil es um Menschenleben geht, auch weil die Folgen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben nicht absehbar sind. Klingt es ketzerisch, wenn ich jetzt darauf hinweise, dass unsere aktuelle Pandemie nicht vergleichbar mit der Spanischen Grippe, der Pest oder einer Zombieapokalypse ist? Wir haben wohl solch

ein Szenario in der technisch durchzivilisierten Welt nicht auf dem Schirm gehabt. Wuhan war vor ein paar Wochen noch ganz weit weg. Inzwischen kann jeder das Wort Globalisierung buchstabieren. Frage: Sie müssen die nächste Zeit auf einer einsamen Insel verbringen. Welche wichtigen lebenserhaltenden Dinge nehmen sie mit? Logisch, Klopapier? Bei der ganzen Discounter-Schlacht offenbaren sich grundlegende mathematische Schwächen. Statt sich den Dreisatz ins Gedächtnis zu rufen und bedarfsorientiert zu hamstern, wird ein Kubikmeter Dosenravioli mit der Menge gleichen Rauminhalts von Toilettenpapier in Einklang gebracht. Eine kleine Hochrechnung als Beispiel, ganz ohne den Hintergrund, dass man in Notsituationen sparsamer kacken sollte. Im Durchschnitt verschwendet eine Person weniger als eine Rolle der längsten Serviette der Welt pro Woche. Merken sie was? Hat man später wenigstens ordentlich was zum Basteln, Leuchttürme sind mein Tipp. Gar kein Verständnis habe ich für die Sparer, die im Krankenhaus klauen und noch für zusätzlichen Stress sorgen. Und für irgendwelche kriminellen Hirntoten ohne jede Moral, die umgehend den Enkeltrick erfolgreich modifiziert haben und ältere Menschen skrupellos abzocken, finde ich keine Worte. Oh ja, ich spüre eine Erschütterung der Macht. Und auch wenn die Kacke am Dampfen ist, obliegt es jedem Einzelnen, sein Hirn einzuschalten und mit dessen Unterstützung zu hinterfragen, warum diverse Entscheidungen getroffen werden. Es ist an der Zeit, Zusammenhalt zu zelebrieren, stumpfen Egoismus hinter sich zu lassen und zu beweisen, dass die Evolutionsstufe, auf welche wir hoch entwickelten Geschöpfe uns gehoben haben, uns auch zusteht. Denken wir positiv, das Glas ist halbvoll, nur soziales und gemeinschaftliches Handeln bringt Erfolg und die hoffentlich richtigen Erkenntnisse für die Zukunft. So, jetzt mal den erhobenen Zeigefinger runter und den Mittelfinger Richtung Corona gereckt. Und wenn Sie doch die Discounter mit dem SUV heimsuchen, denken sie wenigstens an die, die nicht mal ein Fahrrad haben… Ich verkneife mir an dieser Stelle den Satz: „Wir schaffen das!“ Bleiben sie sozial! Bis zum nächsten Mal. ȹ L ust auf Interaktion und einen flotten Wortwechsel? Der direkte Draht in die LEO-Kolumnenzentrale per E-Mail an: kolumne@leo-magazin.com


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