Myanmar - Andreas Weihmayr

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Kyaw Win 69 Jahre Deputy Director of Military Intelligence 2004 aus dem militärischem Dienst ausgestiegen

Kyaw Win oder Kyaw Myo Naing, wie er sich selbst nennt, treffe ich zum ersten Mal um fünf Uhr morgens auf der Plattform der Shwedagon Pagode. Da sitzt er, ein unscheinbarer, etwa 1,60 m großer Mann mit Tropenhut, weißem Hemd, Hosenträgern und perfekter Bügelfalte und blickt konzentriert durch sein 600mm Nikon-Objektiv, immer bereit den Auslöser in dem Moment zu drücken, wenn sich die drei Geier von dem mit 55 Tonnen Gold bedeckten wichtigsten Heiligtum der burmesischen Bevölkerung majestätisch zum Flug erheben. Wir kommen ins Gespräch, er erzählt mir, dass sein Hobby „Vogelfotografie“ sei, und auf meine Frage, seit wann er denn diesem Hobby nachgehe, antwortet er „Seitdem ich aus dem Militärdienst ausgeschieden bin“. Dieser Satz lässt mich aufhorchen und ich nehme sein unmittelbares Umfeld bewusster wahr. Um ihn verteilt etwa 70.000 Dollar an Kameraequipment, in einem Land, in dem das Bruttosozialprodukt pro Kopf etwa 850 Dollar im Jahr beträgt, kein alltäglicher Anblick. Die fünf Männer, die sich bis jetzt dezent im Hintergrund gehalten haben und die er nur „my men“ nennt, bekommen deutlich die Züge von Personenschützern und automatisch stellt sich mir die Frage, ob ich über diesen Mann Einblick in die geheim gehaltene Welt der burmesischen Militärjunta erhalten kann. Wir unterhalten uns noch ein wenig, und obwohl mir tausend Fragen durch den Kopf schießen, die ich ihm gerne zu seiner militärischen Vergangenheit stellen würde, sagt mein Gefühl, jetzt nicht näher auf das Thema einzugehen. Wir tauschen E-Mail Adressen und Telefonnummern aus, und er meint, ich solle mich melden, wenn ich das nächste Mal in Yangon bin. Nachdem Internetrecherchen –außer dem vagen Eindruck, dass es sich um einen sehr ranghohen Militäroffizier handeln muss- keine aussagekräftigen Daten über seinen militärischen Werdegang liefern, lasse ich vier Wochen nach 114

unserem ersten, zufälligen Treffen verstreichen und sende ihm dann eine E-Mail, in der ich ihm mitteile, dass ich in acht Tagen wieder in Yangon bin, und anfrage, ob wir uns treffen könnten. Am 8. Februar ist es soweit, er hat positiv auf meine E-Mail geantwortet und kurz nachdem ich in meinem Hotel eingecheckt habe, rufe ich ihn an. Er fragt, ob ich heute frei bin, was ich bejahe, und sagt, er hole mich in einer halben Stunde ab. Ich bin vor den Kopf gestoßen, eine halbe Stunde! Ich bin unvorbereitet, habe 20 Stunden Busfahrt hinter mir und schaffe es gerade noch zu duschen, mir meinen Laptop zu greifen, und immer drei Treppen auf einmal nehmend renne ich zurück in die Lobby. Dort warten drei Männer auf mich, der General lässt sich entschuldigen, ich werde höflich zu einem weißen SUV geführt. Wir fahren los und als ich nach ein paar Kilometern bemerke, dass uns ein weiterer SUV gleicher Farbe folgt, wird mir mit flauem Gefühl klar, dass ich in der Eile niemandem Bescheid gegeben habe, zu wem ich unterwegs bin. Verfolgungswahn aus früheren Besuchen Myanmars. Ich war davon ausgegangen, dass wir uns in einem Hotel oder Restaurant treffen, aber nach 20 Minuten Fahrt werden die Häuser nobler, die Zäune höher und nach weiteren zehn Minuten biegen wir in eine abgesperrte Wohngegend ein, an deren Ende wir halten und ich zu einem Haus geführt werde. Im Garten heben gerade acht Männer mit Schaufeln einen Swimmingpool aus und auf der Veranda wartet Kyaw Win. Er empfängt mich mit einem gewinnenden Lächeln, sein Wesen und seine Ausstrahlung sind einnehmend, aber er ist spürbar nervös, trommelt mit seinen Fingern und fährt sich oft mit seinen Händen übers Gesicht. Er führt mich in sein Büro, und ich nehme ihm gegenüber Platz. Auf dem ansonsten leeren Schreibtisch

zwischen uns liegt geschickt platziert neben Kamera und Mac Book ein riesiges, martialisch aussehendes Armeemesser mit Insignien, und ich frage mich, ob es mich erinnern soll, vorsichtig mit meinen Fragen zu sein. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass er damit umzugehen weiß. Mir wird Tee angeboten, wir diskutieren über ein paar seiner Bilder und dann werden seine Fotobücher ausgepackt, sechs verschiedene hat er bis jetzt drucken lassen, jeweils 2000 Stück und ich darf mir zwei aussuchen, natürlich mit persönlicher Widmung. Er führt mich zu seinem nächsten Haus, eine Villa mit Flusslage, in dem er sein Studio untergebracht hat und in dem sich meterhoch seine Bücher stapeln. Stolz zeigt er mir das Vorwort für eines seiner Bücher, das die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geschrieben hat, und ich falle aus allen Wolken. Auf die Frage, woher er sie denn kenne, antwortet er, in den 17 Jahren, in denen sie in Yangon unter Hausarrest stand, habe sie nur wenige Freunde gehabt. Mir ist nicht ganz klar, ob er sich damit als Freund Aung San Suu Kyis bezeichnet, ich hake nach und er sagt ganz trocken, als „Deputy Director of Military Intelligence“ sei er 10 Jahre lang die wichtigste Kontaktperson zwischen ihr und den Militärs gewesen und in ihrem Haus ein und aus gegangen. Mir wird klar, dass ich mich gerade mit einem pensionierten stellvertretenden Direktor des Geheimdienstes über die von den Militärs am meisten gefürchtete Person des Landes unterhalte. Aber die Zeiten ändern sich, und gerade in einem Land wie Myanmar, in dem man nie mit Sicherheit sagen kann, wer morgen die Geschicke des Landes lenkt, muss man sich notfalls schnell in ein anderes Lager retten können, gerade dann, wenn man eine politische Vorgeschichte hat.


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