KunstEINSICHT Nr. 19

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KUNST EINSICHT

19 2/2021

Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee

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Meret Oppenheim Mon exposition

Nr.


GALERIE KORNFELD • BERN KENNERSCHAFT UND TRADITION SEIT 1864

PAUL KLEE

Transparent-Perspektivisch. 1921

Aquarell und Feder in Tusche auf Papier. 26,4 × 29,3 cm Catalogue raisonné, Nr. 2646. Auktion September 2021

AUKTIONEN 16. UND 17. SEPTEMBER 2021 KUNST DES 19. BIS 21. JAHRHUNTERTS GRAPHIK ALTER MEISTER AUKTIONSAUSSTELLUNGEN BERN 8. bis 15. September, täglich 10–18 Uhr

Kataloge online und auf Bestellung

Galerie Kornfeld Auktionen AG Laupenstrasse 41 Postfach CH-3001 Bern Tel. +41 (0)31 381 46 73 galerie@kornfeld.ch www.kornfeld.ch


Editorial Ganz Bern kennt ihren Brunnen, die ganze Welt ihre Pelztasse. Dieses vielleicht berüchtigtste Werk des Surrealismus steht jedoch bewusst nicht im Zentrum unserer Meret Oppenheim-Retrospektive. Vielmehr zeigt die Ausstellung im Kunstmuseum Bern Oppenheim als enorm vielfältige und wandelbare zeitgenössische Künstlerin, deren Œuvre sich — obwohl eng mit der Berner Kunstszene und den aktuellen internationalen Strömungen verbunden — einer festen Zuordnung entzieht. Vielfältig ist auch das Werk des Schweizer Künstlers, Architekten, Gestalters und Theoretikers Max Bill. Im Fokus der Ausstellung im Zentrum Paul Klee steht sein weltumspannendes künstlerisches Netzwerk. Grundsteine für seine Karriere hatte Bill als Student am Bauhaus

gelegt, unter anderem als Schüler Paul Klees. Dessen politischer Seite mit seinem beinahe «zoologischen Blick» auf die menschliche Gesellschaft gehen wir in einer weiteren Ausstellung auf den Grund. Die Publizistin und Autorin Klara Obermüller blickt im Gespräch mit Luzia Stettler auf ihre rund fünfzig Jahre andauernde beispielhafte Karriere im internationalen Kulturjournalismus zurück, und mit einem Auszug aus Sara Ahmeds Buch Das Glücksversprechen stellen wir uns der Frage, was Glück bedeutet.

Nina Zimmer Direktorin Kunstmuseum Bern — Zentrum Paul Klee

Inhalt Ausstellung

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Paul Klee Menschen unter sich

Ausstellung

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max bill global Zürich, Dessau, USA, Paris, São Paulo, Ulm – Max Bills internationales Netzwerk bildet den Fokus einer Ausstellung, die den Künstler, Architekten, Gestalter und Theoretiker mit rund 90 Werken in all seinen Facetten zeigt.

Aus der «überirdischen» Perspektive des Künstlers und mit beinahe «zoologischem» Blick betrachtet Paul Klee die menschliche Gemeinschaft und offenbart so seine wenig bekannte politische Seite.

Debatte Ausstellung

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Gabriele Münter Pionierin der Moderne

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Sara Ahmed: Das Glücksversprechen Das Streben nach Glück und die Pflicht, glücklich zu sein, scheinen allgegenwärtig. Aber wo und vor allem bei wem findet sich Glück? Und lässt sich Glück messen?

Neben ihren Mitstreitern beim Blauen Reiter wurde Gabriele Münter oft verkannt. Das Zentrum Paul Klee zeigt ihr facettenreiches und von immerwährender Neugierde geprägtes Werk.

Gespräch

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Klara Obermüller Die Zürcher Publizistin und Schriftstellerin gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Stimmen im Schweizer Kulturleben. Ein Gespräch über Politik, Gleichberechtigung und Liebe.

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Forum Kalender More to See Agenda Kolumne


Empfehlung

BILDER / FALLEN WIE WINDBÖEN / IN MEINE AUGEN

Aktuell Sommerakademie Paul Klee

Die Feminisierung der Politik

Der Zeichner und Objektkünstler Aljoscha Ségard (1940—2021) verfasste in den Jahren 1974 bis 2021 Hunderte von kurzen Gedichten, die in der Tradition von Rainer Maria Rilke und Paul Celan, aber auch der japanischen Kurzform des Haiku stehen. Erstmals werden nun in der Anthologie AM ALLRAND rund hundert dieser Texte, die Gedanken­bilder evozieren, publiziert. Sie zeigen, wie vielfältig Ségard, Enkel von Paul Klee, das reizvolle Spannungsfeld von Sprache und Bild, Zeichen und Wort in einem ständigen Wechselspiel auslotete. AM ALLRAND ergänzt die 2020 ebenfalls in der Till Schaap Edition erschienene Monografie ALJOSCHA SÉGARD zum bildnerischen Schaffen dieses Künstlers, das sich wie folgt charakterisieren lässt: EINE LEICHT DAHINGESPIELTE TONFOLGE VERDICHTET SICH ZU EINER MELODIE, STRICHE WERDEN ZUM BILD. Aljoscha Ségard, AM ALLRAND. GEDANKEN­BILDER. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Konrad Tobler. Bern 2021: Till Schaap Edition, 168 Seiten, 21 Abbildungen.

Aljoscha Ségard, Skizzenbuch, vermutlich 2020/2021, Foto: David Aebi

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2021 startete die Sommerakademie Paul Klee mit dem neuen Zweijahreszyklus «POSITION VOICE MUNDO: The urgent need for feminization», kuratiert von der Künstlerin Dora García. Damit möchte sie einen grossen Paradigmenwechsel aufgreifen, der die Welt (und die Kunstwelt) in den letzten fünf bis zehn Jahren überrollt hat: die Feminisierung der Politik. Kürzlich wurden aus über 220 Bewerbungen die neuen Residents 2021/22 ausgewählt: Ella Elidas Banda ist Teil des Ozhopé Collective (Malawi), das mit seiner Kunst zum kritischen Denken über soziale, wirtschaftliche und politische Themen des Alltags einlädt. Die künstlerische Praxis von Nicolle Bussien (Bern/Zürich) ist geprägt von ihrem Engagement im Bereich des Antirassismus, insbesondere im (post-)migrationsgesellschaftlichen Kontext der Schweiz. Ghalas Charara und Camilla Paolino haben sich in Genf kennengelernt, wo sie sich in Projekten der alternativen Kunst- und Kulturszene engagieren. Mela Dávila Freire (Hamburg) interessiert sich für das Publizieren als künstlerische Gattung sowie für die konzep-

tionelle und physische Schnittstelle zwischen zeitgenössischer Kunst und Archiven. Auch die Arbeiten von Sara Rivera, einer philippinischen Kulturarbeiterin und Aktivistin, sind von ihrer Erfahrung als Archivarin geprägt. Allison Grimaldi Donahue (Bologna) ist Dichterin, Schriftstellerin und Performerin und arbeitet zurzeit an einer Übersetzung von Carla Lonzi. Die Künstlerin und Autorin Kadija de Paula (São Paulo) kombiniert Essen, Text und Performance, um Situationen und Happenings zu schaffen, die den Wert von Arbeit, Ressourcen und sozialen Praktiken hinterfragen. Während die Künstlerin und Filmemacherin Lena Ditte Nissen (Berlin) mit Performances, Installationen und experimentellen Filmen arbeitet, setzt sich die Künstlerin Marnie Slater (Brüssel) mit den Formaten Skulptur, Kollaboration, Schnitt, Performance, Malerei und Installation auseinander. Die erste Session der Sommerakademie 2021 fand vom 2.—8. August statt. Informationen zum Programm und zu den Residents: sommerakademie-paul-klee.ch

Demonstrationen während des Internationalen Frauentags, 8. März 2019, Mexico City, Foto: Esthel Vogrig


Shop

Tipp

Junghans Küchenuhr Max Bill «es war klar: zahlen musste das ding haben. die stunden an der minuterie — und die minutenzahlen am kurzzeitmesser. warum? oft ist im haushalt die küchenuhr die einzige wanduhr. daran lernen die kinder die zeit erkennen, die ersten zahlen lesen, die ordnung von stunde und tag. und hell und freundlich sollte sie sein, wie schönes küchengeschirr.» Max Bill Mit der Küchenuhr begann 1956 die Zusammenarbeit zwischen der Uhrenfabrik Junghans und dem Architekten und Künstler Max Bill, dessen Grossvater bezeichnenderweise Uhrmacher gewesen war. Jetzt legt Junghans den tropfenförmigen Klassiker in hellblauer Keramik wieder neu auf. Quarzwerk J738, mechanischer 60-­Minuten-Kurzzeitmesser, Keramik hellblau glasiert, verchromte Lünette, 18,8 × 25,2 × 5,6 cm, CHF 485, im Museumsshop Zentrum Paul Klee

YA x TT Golden Section N°1 Back to the Future! Die Schmuckkollektion STUDIO EDITION — GOLDEN SECTION von Yael Anders spielt mit grafischen und organischen Elementen aus den 1990erJahren, die die Designerin zeitgenössisch interpretiert. Sie umfasst zwölf Objekte aus rhodiniertem, vergoldetem Silber, deren Formen auf dem Goldenen Schnitt basieren. Beim Tragen eröffnen sich wechselnde Perspektiven und das Zusammenspiel von Edel­metall, Haut und Luft eine neue Ästhetik. Die hochwertige Edition wurde in Zürich entworfen und in einer familiengeführten Manufaktur in den USA verantwortungsvoll und ethisch fair produziert.

Paul Klee Ad Parnassum In den 1920er-Jahren begann Paul Klee sich intensiv mit der polyphonen Malerei — der mehrstimmigen Malerei in Analogie zur Musik — auseinanderzusetzen. Seine Studien fanden ihren Anfang zunächst am Bauhaus in Dessau, entwickelten sich während seiner Zeit an der Kunstakademie Düsseldorf weiter und fanden ab 1933 mit Klees Rückkehr nach Bern ihren Abschluss. Der Kunsthistoriker Oskar Bätschmann erkundet in seinem Buch Klees Haupt- und Schlüsselwerk Ad Parnassum. Das Gemälde entstand kurz nach Klees Weggang vom Bauhaus und steht sinnbildlich für eine neue Ära sowie die Selbstfindung des Künstlers. Bätschmann dokumentiert das Streben Klees nach einer Verbindung von Musik und Malerei in den Klängen der Farben und in der rhythmischen Bewegung farbiger Punkte. Er setzt Klees polyphones Kunstverständnis am Beispiel von Ad Parnassum in einen kunsthistorischen Kontext und gibt so Aufschluss über das synästhetische Denken, das in jenen Jahren aufkam. Oskar Bätschmann, Paul Klee — Ad Parnassum. Schlüsselwerke der Schweizer Kunst, Zürich 2021: Scheidegger & Spiess, gebunden, 96 Seiten, ca. 40 farbige Abbildungen.

In Silber CHF 169, in Rosé Gold CHF 199, im Museumsshop Kunstmuseum Bern

Paul Klee, Ad Parnassum, 1932, Ölfarbe auf Kaseinfarbe auf Leinwand auf Keilrahmen, 100 × 126 cm, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Verein der Freunde Kunstmuseum Bern

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Gastronomie und Event

Nachhaltig, saisonal, «vo hie»

Die Eventmakers im Zentrum Paul Klee

Die sorgfältig ausgewählte Einrichtung passt hervorragend zum historischen Campagne-Charme der Villa Schöngrün. Foto: Aleksandra Zdravković

Sie sind Gastgeber:innen aus Leidenschaft: Die Eventmakers AG, die seit Anfang Jahr das Restaurant Schöngrün in der geschichtsträchtigen Villa gleich neben dem Zentrum Paul Klee und das Museumscafé gepachtet hat. Dass ein frischer Wind weht, merkt man an der liebevollen Einrichtung und dem vielseitigen gastronomischen Angebot, von dem auch die Kunden der Event & Congress Location profitieren.

Die neuen Chefs im Restaurant Schöngrün und im Museumscafé des Zentrum Paul Klee sind Gastgeberin Nina Christen und Küchenchefin Julia Schmid. Ihr Angebot, dessen Schwerpunkt auf einer saisonalen und regionalen Küche liegt, richtet sich sowohl an Quartierbewohner:innen, Spaziergänger:innen, Freund:innen, Familien und Museumsbesucher:innen wie auch an die Eventkunden des Zentrum Paul Klee. Die Villa Schöngrün vereint dabei Kunst, Natur, Landwirtschaft und Kulinarik und bietet so Raum zum Verweilen, Geniessen und Kreativsein. Das altherrschaftliche Gebäude gleich neben dem Zentrum Paul Klee wird seinem Namen mehr als gerecht. Von aussen erinnert die Villa Schöngrün an eine Campagne, ein Landhaus oder eine Sommerresidenz des Bernischen Patriziats, und deren heiteren Prunk. Das Haus stammt aus Berns vorindustrieller Zeit und strahlt den Geist einer vergangenen

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Ära aus. Die Salons im Innern bieten Rückzugsorte mit gemütlichen Sitzecken und eine ruhige intime Atmosphäre. Kombiniert mit dem modernen Glaspavillon ergibt sich so ein einzigartiges Ambiente. Die Räume haben Nina Christen und Julia Schmid liebevoll mit Möbeln eingerichtet, die sorgfältig in Brockenstuben ausgewählt und im Schöngrün platziert wurden – darunter antike Vitrinen, Uhren, Kerzenständer und Anrichten. Der Glaspavillon wird mit unzähligen Pflanzen zur Orangerie mit südländischem Flair. Er ist grüne Oase und Herzstück des Schöngrün. Die Eventmakers setzen mit ihrem Team auf die drei Eckpfeiler «herzliches Gastgebertum», «Wohlfühl-Ambiente» und «ehrliche, zeitgerechte Kulinarik». Gutbürgerliche Mittagsmenus, Apéro-Plättli mit ausgewählten Produkten und innovativer à-la-carte-Betrieb am Abend bilden das Grundkonzept. Dabei wird auf eine naturnahe und hausgemachte Küche, eine Nose to Tail-Haltung sowie die Verwendung von lokalen und Schweizer Produkten gesetzt. Neben den Museumsbesucher:innen sollen so vermehrt auch andere Menschen den Weg zum Zentrum Paul Klee finden – für ein Feierabendbier unter der Glyzinie im Aussenbereich, ein gemeinsames Apéro, ein Abendessen oder einen Kaffee in der Umgebung von Renzo Pianos Landschaftsskulptur. Auch am Gemeinschaftsgarten beim Zentrum Paul Klee sind die Eventmakers indi-

rekt beteiligt: Sie haben versprochen, dass alles, was vom Angebauten übrig bleibt, im Schöngrün verkocht wird – lokaler geht nicht! Neben dem Restaurant Schöngrün und dem Museumscafé ist das Team der Eventmakers AG auch für das Catering in den Räumlichkeiten des Zentrum Paul Klee verantwortlich. Für die Event- und Kongresskunden sind sie professionelle Ansprechpartner:innen, die jeden Anlass im Zentrum Paul Klee mit ausgewählten Menus oder einem eigens zusammengestellten Bankett abrunden. b Martina Witschi, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Restaurant Schöngrün Mittwoch und Donnerstag, 11—23.30 Uhr Freitag und Samstag, 11—24 Uhr Sonntag, 11—18 Uhr + 41 31 359 02 90 info@restaurant-schoengruen.ch restaurant-schoengruen.ch Café Zentrum Paul Klee Dienstag—Sonntag, 10—17 Uhr + 41 31 359 02 96 cafe-zpk@eventmakers.ch Event & Congress Location +41 31 359 01 01 events@zpk.org


Kindermuseum  Creaviva

Herzlich willkommen!

Pia Lädrach

Pia Lädrach, Foto: Monika Flückiger

KE

Ausgerechnet im herausfordernden 2020 — ohne Workshops und Gäste, dafür mit Zoom-Meetings und Maske — hat Pia Lädrach ihre neue Stelle als Leiterin des Kindermuseum Creaviva angetreten. Der Start war anders als erwartet, aber nicht weniger spannend, und bereits sind viele neue Projekte in die Wege geleitet. Ein Gespräch über Kunstvermittlung und Visionen.

Du hast deine neue Funktion in einer sehr speziellen Zeit, während der das Creaviva coronabedingt geschlossen war, angetreten. Was waren bis jetzt die grössten Herausforderungen? Der Einstieg in die neue Tätigkeit war herausPIA LÄDRACH fordernd. Wie können die Angebote und Arbeitsweisen in den Ateliers kennengelernt, wie ein Gefühl für die Mitarbeitenden gewonnen werden, wenn keine Workshops stattfinden, das Haus geschlossen ist und die Gäste ausbleiben? Erste Treffen mit Mitarbeitenden waren nur mit Abstand und Maske oder über eine der vielen Zoom-Konferenzen möglich; manchmal wählte ich altbewährte Kommunikationsmittel, telefonierte und schrieb handschriftliche Karten. Insgesamt habe ich die anspruchsvolle, oft einschränkende Zeit auch als innovationsfördernd erlebt. Mit dem Stillstand während des Lockdowns gab es Zeit, um über vieles nachzudenken. Ich bin stolz auf das Team, das sich dazu begeistern liess, neue Angebote und Aktivitäten aus dem Boden zu stampfen. Wir haben zum Beispiel den Aussenraum als neuen Begegnungs- und Betätigungsort entdeckt und für Familien ein vielfältiges Sommerprogramm entwickelt: «Rad-Wahn», ein Erlebnisparcours zum Lebenslauf von Paul Klee, und «3hoch3», ein Architekturspiel und Gestaltungswettbewerb zur Architektur von Renzo Piano, warten darauf, erprobt zu werden. Welche Bedeutung misst du dem Kindermuseum Creaviva im KE Zentrum Paul Klee und ganz grundsätzlich solchen interaktiven Vermittlungsangeboten zu? Die Entstehung des Zentrum Paul Klee habe ich von Beginn an PL verfolgt. Die Konzeption als Mehrspartenhaus, die Interdisziplinarität und die Kombination von Wissenschaft und Event, von

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KUNSTEINSICHT

KE

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Kunst, Musik und Wirtschaft finde ich spannend. Die Kunst- und Kulturvermittlung im Haus ist deshalb sehr vielfältig. Das Creaviva ist ein wichtiger Pfeiler, der nicht wegzudenken ist. Die Kombination von Ausstellung und Atelierarbeit wird zwar auch andernorts angeboten, die grosszügige Ausgestaltung der Räumlichkeiten und damit einhergehend die überdurchschnittliche Gewichtung der analogen und personalen Vermittlung ist aber aussergewöhnlich. Das Creaviva verfügt über Expertise im Umgang mit Kindern und Familien sowie im Vermitteln von künstlerischen Techniken mit Fokus auf Interaktion und Austausch. Im Atelier ist es sehr wichtig, dass Menschen ihre eigenen schöpferischen Fähigkeiten entfalten. Hier setzt das Kindermuseum einen Kontrapunkt zur Konsumgesellschaft und zur digitalen Berieselung. Damit ist es zu einer starken Marke innerhalb des Zentrum Paul Klee und zu einem etablierten Kreativzentrum in Bern geworden. Was macht das Creaviva deiner Meinung nach zu diesem besonderen «Ort lebendiger Kreativität»? Warum sind solche Orte wichtig? Ich liebe das «Kunstbad», das Schlendern durch Museen, die Kontemplation und vertiefte intellektuelle Auseinandersetzung mit Kunst und Geschichte – dieses Vergnügen und den Zugang finden leider nicht alle Menschen. Viele erkennen nicht, was Kunst mit ihnen zu tun haben könnte. Die Reaktion auf Unbekanntes kann sich in Form von Unwohlsein und Desinteresse äussern oder von Angst bis Widerstand reichen. Das Creaviva sieht sich in der Pflicht, eine Brücke aus der Alltagswelt der Gäste zu künstlerischer Tätigkeit zu bauen und über das eigene Wirken, Ausprobieren und Experimentieren Neugier zu wecken. Über vielfältige Zugangsmöglichkeiten werden fantasievolle Wege aufgezeigt, das Auge und die Hand zu schulen. Als ein Erlebnis- und Erfahrungsort möchte sich das Creaviva in Zukunft noch mehr als Ort des Experimentierens positionieren, um möglichst viele Menschen für Kunst zu begeistern. Was ist deine Vision für das Creaviva? Wofür soll das Creaviva in fünf Jahren stehen? Teilhabe und Partizipation sind die Schlagworte der Zeit. Mit der Überarbeitung des Museumsbegriffs rückt die eben angesprochene Vermittlungsarbeit in den Vordergrund, die Forderung nach Relevanz und nach demokratischem Einbezug von nicht kunstaffinen Bevölkerungsschichten ist omnipräsent. Als etablierte «Brückenbauerin» ist das Creaviva aufgefordert, einen aktiven Beitrag zu leisten. Beispielsweise wäre es spannend zu prüfen, wie Vermittlungsangebote vermehrt in Randregionen des Kantons gebracht werden könnten oder wie sich das Creaviva verstärkt als Ausbildungsstätte positionieren könnte. Generell möchte ich dem künstlerischen Ansatz als alternative Form der Weltbetrachtung und Problemlösung und allenfalls der angewandten Kunst mehr Gewicht beimessen und dabei insbesondere Firmenkunden in höherem Masse ansprechen. Auch wünsche ich mir, die Sichtbarkeit der Vermittlungsarbeit deutlich zu steigern – nicht nur im Sinne der Markenpflege, sondern um regionalen Künstler:innen eine Plattform zu bieten oder Eigeninitiativen von Kindern und Jugendlichen zu fördern und zum Durchbruch zu verhelfen. b Pia Lädrach ist die neue Leiterin des Kindermuseum Creaviva.

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Ausstellung

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Paul Klee

Zentrum Paul Klee 28.08.2021–22.05.2022

Oben: Paul Klee, Candide 1. Cap. «chassa Candide du château à grands coups de pied dans le derrière.», 1911, 78, Feder auf Papier, verso Feder auf Karton, 14 × 24,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Unten: Paul Klee, Candide 9 Cap Il le perce d’outre en outre, 1911, 62, Feder auf Papier auf Karton, 15 × 25,2 cm, Zentrum Paul Klee, Bern

Candide heute

Den Roman Candide oder der Optimismus von Voltaire kennen viele als Schulstoff. Das Buch verströmt bisweilen den Reiz einer abgenutzten Reclam-Studienausgabe. Zu Unrecht. Die Gesellschaftssatire aus dem 18. Jahrhundert, die vor keinen Tabus haltmacht, provoziert auch heute noch — oder wieder. Voltaires Gesellschaftskritik ist ein kraftvolles Plädoyer für Liberalismus, Humanismus und Toleranz, das nichts an Aktualität eingebüsst hat.

1759 erschien in Genf unter dem Namen eines «Docteur Ralph» der Roman Candide ou l’optimisme. Das Buch, das eigentlich aus der Feder des Philosophen Voltaire (mit bürgerlichem Namen François-Marie Arouet) stammte, wurde umgehend verboten. Nicht nur in Genf, auch in Paris landete es auf der schwarzen Liste. Der Vatikan verbannte es postwendend, und der amerikanische Zoll konfiszierte das Werk gar bis in die 1930er-Jahre. Paul Klee, der sich in frühen Jahren auch mit Illustrationen über Wasser zu halten versuchte, stiess 1911 auf das Buch und war hingerissen. «Herrlich zu lesen», schrieb er seiner Frau Lily, «wunderbare Sprache, einfach, gescheit, witzige Kombinationen, höchster Geist!» Klee entzückte an Candide vor allem die beissende Satire, die zweifellos auch heute in den Feuilletons kontrovers diskutiert würde, handelte es sich um eine Neuerscheinung. Held der äusserst rasant erzählten Geschichte ist der junge Candide, der uneheliche Neffe eines deutschen Barons, der nach einem verbotenen Kuss mit dessen schöner Tochter Kunigunde vom Schlossherrn mit Schimpf und Schande verjagt wird. In der Hoffnung, Kunigunde doch noch erobern zu können, be-

gibt sich Candide auf eine weltweite Odyssee, gesäumt von unerfüllten Versprechungen, Katastrophen und Gemetzeln. Die Reise findet auf einem kleinen Landgut am Bosporus ein idyllisches Ende, wo Candide Kunigunde wiederfindet – vielfach totgesagt, gebeutelt von den Schrecken der Welt und trotzdem noch immer am Leben. Gemeinsam suchen und finden sie das irdische Glück in der Arbeit im Garten. «Il faut cultiver notre jardin.» Wer nun glaubt, es handle sich bei Candide um eine Art vormodernen Groschenroman, irrt. Das Buch enthält eine radikale Kritik an der feudalen und klerikalen Weltordnung des 18. Jahrhunderts und liest sich als epochenübergreifendes liberales Plädoyer für Humanismus und Toleranz. Kirche und Adel, im damaligen Europa die herrschenden Institutionen, werden in Candide bis aufs Äusserste aufs Korn genommen. Heuchelei, Fanatismus, Dummheit und sinnlose Gewalt herrschen, wohin das Auge reicht. Und trotzdem sei dies die «beste aller möglichen Welten», wie dem arglosen Candide immer wieder von seinem Lehrmeister versichert wird. Bis auch in Candide allmählich die Zweifel an dieser «göttlichen» Weltordnung wachsen – und damit auch in uns, den Lesenden, die in dieser Erzählung die Schatten des realen Weltgeschehens wiedererkennen. Für Klee war die Beschäftigung mit Candide ergiebig. Die schlichte und lakonische Sprache des Romans, die selbst die aberwitzigsten Grausamkeiten in einer Art und Weise widergibt, als handelte es sich dabei um Trivialitäten des Alltags, stellte ihn vor die Herausforderung, eine dafür angemessene Bildsprache zu finden. Zugleich war er als Künstler immer bestrebt, Bilder zu schaffen, die auch

unabhängig vom Text eine Wirkung entfalten können. Seine Illustrationen zeigen konturenhafte Figuren, die wie Marionetten auf einer Theaterbühne vorgeführt werden, beinahe körperlos, reduziert auf Geste und Handlung – und so bestens zu den ebenso schemenhaften Protagonisten des Romans passen. Klee knüpfte stilistisch bei seinen Kinderzeichnungen an. Zugleich verband er eine spielerisch-reduzierte Bildsprache mit einer Frage, welche Philosophie und Theologie seit Jahrtausenden beschäftigt: Warum gibt es das Böse in der Welt, und warum müssen Menschen in dieser Weltordnung so unendlich leiden? Wer Candide heute liest, merkt schnell, dass diese Geschichte auch 250 Jahre später nichts an Aktualität eingebüsst hat. Ein reizendes Gedankenspiel bestünde darin, sich auszumalen, welchen Weg Candide heute durch die Welt nehmen würde. Naturkatastrophen, Kriege, Terror, Hass und Ausbeutung gibt es zur Genüge. Die Protagonisten tragen heute andere Namen, aber die Verhältnisse dauern fort. Mit Candide erinnert Voltaire uns daran, dass Zweifel und Toleranz zu Fortschritt und Erkenntnis führen. Und in dieser Aufforderung zum selbständigen Denken lebt auch heute noch der Geist der Aufklärung fort. b Martin Waldmeier, Kurator der Ausstellung Paul Klees Illustrationen zu Candide ist in der Ausstellung Paul Klee. Menschen unter sich (28.08.2021—22.05.2022) im Zentrum Paul Klee ein eigener Raum gewidmet. Die Ausstellung zeigt Klees künstlerische Ausei­ nandersetzung mit Themen des menschlichen Zusammenlebens, der Gemeinschaft und des Politischen.

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Ausstellung

Gabriele Münter Keine «malende Dame vom Dutzend»

Teil 1 — Anfänge einer Pionierin der modernen Kunst

In über sechs Jahrzehnten Schaffenszeit hat Gabriele Münter (1877–1962) ein ausdrucksstarkes und facetten­ reiches Œuvre geschaffen. Mit einer ungebändigten Neugierde erprobte sie immer wieder neue Techniken und Darstellungsformen, die ihr Werk auch ohne den Nimbus als «Blaue Reiterin» erstrahlen lassen. Der berühmte Blaue Reiter: Das Verhältnis, in das Gabriele Münters Schaffen zu dieser kurzen, aber umso mehr mystifizierten Episode der Kunstgeschichte gestellt wird, ist ambivalent. Zum einen wird ihre Beteiligung in der Gruppe um Wassily Kandinsky und Franz Marc im Allgemeinen zu klein bemessen. Jeder kennt die Namen der beiden Heraus-

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geberpersönlichkeiten – weniger bekannt ist, dass Münter mit ihrer Arbeit das Unterfangen Almanach massgeblich unterstützt hat. Ihren Namen sucht man im Impressum jedoch vergeblich. Bei den Redaktionssitzungen waren Münter und Maria Marc, Ehefrau von Franz Marc, stets mit von der Partie. «Marc und Kandinsky jeder mit seiner Amazone», mo-

kierte sich Elisabeth Macke, Ehefrau des Malers August Macke, über die Anwesenheit der Partnerinnen bei den Besprechungen. Sie waren mitbestimmend bei der Bilder- und Autorenwahl, leisteten wertvolle redaktionelle Arbeit und erledigten die umfangreiche Korrespondenz. «Die blaue Reiterei stürmt voran. […] Stürmen Sie mit, damit das Ziel


Gabriele Münter

Zentrum Paul Klee 29.01.–08.05.2022

Links: Gabriele Münter, Dorfstrasse im Winter, 1911, Öl auf Leinwand, 53 × 70 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München Rechts: Gabriele Münter, Donohoo’s Warehouse, Plainview, Texas, 1899, Fotografie, 46 × 34,5 cm, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München

erreicht wird», schrieb Münter wenige Wochen vor Erscheinen des Almanachs an Arnold Schönberg, um die Einsendung seines Beitrags zu mahnen. «Dass ich mitbestimmend war, hat wohl niemand gefunden  … ausser Kandinsky. Alle sahen in mir die malende Dame vom Dutzend», resümiert Münter Jahre später ihre Rolle. Andererseits wird dem Blauen Reiter und ihrem langjährigen Partner Kandinsky in ihren Biografien und Beiträgen zu ihrem Werk ein Stellenwert eingeräumt, der Münters weitläufiges Œuvre überschattet. Ihre Eigenständigkeit und unangepasste Art – im persönlichen wie im künstlerischen – wird so weitestgehend ausgeblendet. Münters Mut, ihre Bestrebungen gegen geltende gesellschaftliche Normen durchzusetzen und mit immerwährender Neugierde Neues zu lernen und sich selbst zu fordern, sind bemerkenswert. Die Familie Münters räumt ihr Freiheiten ein, die für eine alleinstehende Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich waren. Sie schwimmt mit grosser Freude und nennt ein Fahrrad ihren grössten Schatz – sportliche Betätigungen, die für eine Dame nicht gerade als schicklich galten. Vor allem aber zeichnet sie. 20-jährig geht Münter schliesslich allein nach Düsseldorf, um hier Zeichenunterricht an einer privaten Damenmalschule zu nehmen. Die Türen der Akademien waren zu dieser Zeit ambitionierten Künstlerinnen noch verschlossen.

Der unerwartete Tod der Mutter unterbricht dieses Unterfangen. Im Jahr darauf beschliesst Münter, ihre Schwester Emmy auf eine Reise zu Verwandten in die USA zu begleiten. Zusammen begeben sie sich auf eine zweijährige Reise durch verschiedene nordamerikanische Staaten: von New York nach Texas, mit Stationen in Missouri und Arkansas. Immer dabei ist Münters Skizzenbuch, in dem sie die Konterfeis ihrer weit verstreuten Verwandtschaft festhält. Ihr Blick schweift stets umher auf der Suche nach einem inte­ ressanten Motiv. Im Laufe des Jahres 1899 schenken Verwandte ihr eine Kodak Bull’s Eye No2 Kamera. Etwa 400 Fotografien dieser Reise zeugen von ihrer Fähigkeit, die Technik rasch sicher zu beherrschen und mit geschultem Auge ihre Umgebung im Bild festzuhalten. Die gewählten Bildausschnitte erinnern nicht selten an Kompositionen ihrer späteren Gemälde, genauso wie die Fotografien von Personengruppen und Einzelpersonen eine Intimität ausstrahlen wie viele ihrer gemalten, gezeichneten oder als Holzschnitt ausgeführten Porträts. «Ich bin von Kindheit auf so ans Zeichnen gewöhnt, dass ich später, als ich zum Malen kam […] den Eindruck hatte, es sei mir angeboren, während ich das Malen erst lernen musste», wird Münter etwa fünf Jahrzehnte später rückblickend äussern. Und malen lernen, das wird sie. Nach ihrer Rückkehr aus Amerika geht Münter nach München und tritt hier in die Phalanx-Malschule ein. Ihr Lehrer

ist Wassily Kandinsky; man kommt sich näher. Die Malklassen machen häufig Ausflüge in die Münchner Umgebung und malen im Freien. Schon bald kann Münter beachtliche Erfolge in der Malerei vorweisen. Reichlich Gelegenheit, sich weiter in der Freilichtmalerei zu erproben, bietet sich auch auf den nun folgenden Reisen zusammen mit ihrem verheirateten Geliebten. Münter und Kandinsky reisen in die Niederlande, die Schweiz, nach Italien und Tunis. Die Künstlerin gewinnt rasch Sicherheit im Umgang mit Farbe; der Farbauftrag ihrer frühen Malereien ist pastos und im spätimpressionistischen Stil gehalten. Auch die Künstlerin selbst scheint zufrieden, denn im Frühjahr 1907 gibt sie erstmals sechs ihrer Arbeiten in die Ausstellung des Pariser Salon des Indépendants. Nach den unsteten Wanderjahren kauft Münter schliesslich ein Haus in Murnau im Münchner Umland. Hier lebt und arbeitet sie mit Kandinsky. Die Murnauer Jahre zwischen 1908 und 1912 sind ihre produktivste Zeit. Die Künstler:innen befruchten ihr Schaffen, sie pflegen enge Kontakte zur Münchner Kunstszene – auch zu Paul und Lily Klee. Hier hält man Sitzung, unter anderem für den Blauen Reiter. Bis die Schatten des Ersten Weltkriegs auch auf das Murnauer Voralpenparadies fallen. b Kai-Inga Dost, Ausstellungsassistentin Zentrum Paul Klee Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe.

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Fokus

Kunstmuseum Bern 22.10.2021–13.02.2022

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Meret Oppenheim, Eichhörnchen, 1969, Bierglas, Schaumstoff und Pelz, 21,5 × 13 × 7,5 cm, Kunstmuseum Bern, Foto: Peter Lauri, Bern, © 2021, ProLitteris, Zurich


Fokus

14 Meret Oppenheim ist bis heute vor allem als sur­ realistische Künstlerin bekannt. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern zeigt sie aber auch als zeit­ genössische Künstlerin der 1950er- bis 1980erJahre – jeweils eng verbun­ den mit der Berner Kunst­ szene und den aktuellen internationalen Strömun­ gen. An Werken wie Oktavia oder Die Nebelblume wird das augenfällig.

Meret Oppenheim, Okatvia, 1969, Öl auf Holz und plastische Masse mit Säge, 187 × 47 × 4 cm, Privatsammlung, Bern, © 2021, ProLitteris, Zurich


Margrit Baumann, Meret Oppenheim in ihrem Atelier, 1982, Fotografie, Barytabzug, selengetont, 18,4 × 27,7 cm, Kunstmuseum Bern, Bernische Stiftung für Foto, Film und Video, © Margrit Baumann

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Meret Oppenheim zog nach der Heirat mit Wolfgang La Roche 1949 nach Bern, bezog hier ein Atelier und tummelte sich bald intensiv in der vielseitigen Berner Szene jener Jahre. Es entstanden wichtige Werke wie beispielsweise Oktavia von 1969, ein lebensgrosses Bildobjekt aus einem bemalten Holzpanel und einer handelsüblichen Handsäge mit zwei Griffen, die man auf Deutsch «Fuchsschwanz» nennt. Das Modell war so weit verbreitet, dass man es auf Auktionsplattformen wie ricardo immer noch kaufen kann. Die Säge ist auf der linken Seite des Holzpanels appliziert. Oppenheim hat das Panel so zugesägt, dass sich die Form des Sägeblatts in eine idolartige Figur einschreibt, dies passgenau beim ersten Handgriff der Säge, dessen geschwungene Form sie für die Gestaltung der Kopfform auf das Panel überträgt. Der zweite, flexible Griff am anderen Ende des Sägeblatts wurde von ihr geradegestellt und markiert als hängendes Stöckchen den Übergang in den stelenartigen Fuss der Figur, der durch eine imitierte Baumrinden-Oberfläche charakterisiert ist. Die Umrisse der Säge wurden von Oppenheim spiegelverkehrt auf die rechte Seite des Panels übertragen und in einer metallischen Farbe ausgemalt. An die Stelle des Lochs des Handgriffs setzt sie ein grosses Auge, wodurch sich für den Betrachtenden ein achsensymmetrisches Augenpaar ergibt. Mit Gipsmasse ergänzt sie ein glattes Näschen und appliziert eine rosa eingefärbte Zunge, deren Spitze genau an den Punkt der Säge hinleckt, an dem der Handgriff in die stumpfe obere Seite des Sägeblattes übergeht.

Es fällt auf, dass Oppenheim verschiedene Formen von Holz ineinander übergehen lässt, und jedes Mal wurde gesägt: vom falschen Baumstamm zum Panel, das selbst durch Sägen seine Form fand, zu den hölzernen Griffen der Säge. Dieser semantische Raum wird durchbrochen durch illusionistische Eingriffe der Künstlerin, die das Gebilde als menschenähnliche Figur ausbildet und mit verschiedenen sexuellen Bildern auflädt. In der Literatur ist von Kastrationsangst die Rede, die durch die Säge verkörpert sei. Näher liegt das italienische Sprachbild, in dem Sägen für männliche Masturbation stehen. Konkret könnte das Lecken am «Fuchsschwanz» auch Auswirkungen auf das hängende Holzstückchen haben, dessen Flügelmutterschraube immerhin andere Positionen zuliesse. Zum einen haben wir es hier also mit einer Junggesellenmaschine zu tun, zum anderen vereint die – mit dem weiblichen Namen Oktavia betitelte – Figur Männliches und Weibliches in sich, ganz Oppenheims Philosophie der Androgynität der Geschlechter folgend. Die Verwendung des Alltagsobjekts «Säge» kann man in der dadaistisch-surrealistischen Tradition der Neu- und Umdeutung von Alltagsgegenständen verorten. Chronologie und Einflusslinien verlaufen jedoch bei weitem nicht so geradlinig. Marcel Duchamp produzierte in den 1960er-Jahren verschiedene neue Versionen seiner Readymades, so auch 1964 eine Version der Schneeschaufel nach dem verlorenen Original von 1915. Dies geschah im Umfeld der französischen Neo-Avantgarde und des Nouveau Réalisme. Metallgegenstände wie Werkzeuge waren bevorzugte Materialien dieser künstlerischen Gruppierung, deren Mitglieder sich zum Ziel gesetzt hatten, die erhabene Aura der bildenden Kunst zu sprengen und – in Abkehr von der abstrakten, informellen Malerei der Nachkriegsmoderne, die ihnen zu selbstbezogen erschien – mit Klebe- und Collagetechniken und gefundenen Materialien die Realität des tägli-


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chen Lebens in die Kunst zu integrieren. Sie knüpften an die Objets trouvés-Tradition des Dadaismus an. Die Gruppe bestand mehrheitlich aus französischen und Schweizer Künstler:innen. Meret Oppenheim bewegte sich mitten in diesem Kontext, sie war eng befreundet mit zentralen Vertreter:innen wie Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely und Daniel Spoerri. Aus der Korrespondenz von Oppenheim erfahren wir, dass ihre Freundschaft mit Tinguely schon auf die Kriegsjahre in Basel zurückgeht, als Tinguely noch nicht zwanzig Jahre alt war. Die Freundschaft mit Spoerri entwickelte sich 1956, als sie in Bern zusammen an einem Theaterstück arbeiteten. Aufführungsort war ein Altstadtkeller im Kleintheater in der Kramgasse 6, gespielt wurde die deutschsprachige Premiere des Stücks Wie man Wünsche am Schwanz packt. Geschrieben hatte es Pablo Picasso, auf die Bühne brachte es Isaac Tarot, in Wahrheit ein Pseudonym von Daniel Spoerri, der als Tänzer aus Paris nach Bern gekommen war und sich nun auf der Bühne versuchte, bevor er sich einen Namen in der Kunstwelt machte. Ein Filmdokument von den Proben zeigt Meret Oppenheim und Lilly Keller in der Rolle der Gardinen aus dem Stück. 1959 zog Spoerri nach Paris, wo auch er Tinguely kennenlernte. Der Briefwechsel von Spoerri und Oppenheim ist umfangreich und gerade in den 1960erJahren ist ihr Austausch intensiv. Ab 1972 bezog Meret Oppenheim zusätzlich zu ihrem Berner Atelier auch wieder ein Atelier in Paris und bewegte sich hier wie dort in ihren Künstlerfreundeskreisen. Die Nebelblume von 1974 gehört zu einer anderen in Bern entstandenen bedeutenden Werkgruppe Oppenheims, in der sie um eine grösstmögliche Reduktion ihres malerischen Ausdrucks bemüht ist und sich an monochrome Malereisprachen annähert. Vor allem die Nichtfarbe Weiss ist es, an die sie sich durch minimale Tondifferenzen herantastet. Die im Titel aufgerufene vegetabile Figuration erscheint in Weiss, das sich gegen Grauweiss verschattete Negativformen absetzt. Oppenheim bedient sich jeweils einer assoziativen Brücke, um in diese zunehmend abstrakten Farbräume einzutauchen. Eine ganze Gruppe von Werken trägt deshalb Titel wie Nebelkopf, Verborgenes im Nebel, Nebelgebilde, Mann im Nebel oder eben: Nebelblume. In der Literatur wird vor allem auf die symbolischen Bedeutungsebenen dieser Bilder, ihre strukturelle Ähnlichkeit mit Traumbildern und anderen ephemeren Bildern verwiesen. Es fällt auf, dass Oppenheim für diese Werke mitunter die grössten Formate wählt, die sie je für ihre Gemälde wählen wird. Das kann mit der starken Präsenz der US-amerikanischen abstrakten Malerei in Bern und Basel in jenen Jahren zusammenhängen, für die das grosse Format programmatisch war. Arnold Rüdlinger, Leiter der Kunsthalle Bern, zeigte in einer Reihe von Ausstellungen in den 1950er-Jahren zum Teil erstmals in Europa US-amerikanische Gegenwartsmalerei. Rüdlinger und Oppenheim waren eng befreundet. 1956 wechselte Rüdlinger an die Kunsthalle Basel, wo er wiederum bedeutende Ausstellungen US-amerikanischer Nachkriegskunst zeigte. Für das Kunstmuseum Basel kaufte er in dieser Zeit auf einer legendären

Meret Oppenheim, Nebelblume, 1974, Öl auf Leinwand, 195 × 130 cm, Sammlung Daniel Staffelbach, Courtesy Gerber Stauffer Fine Arts, Zürich, und Krethlow Fine Art, Bern, Foto: Peter Schälchli, © 2021, Pro Litteris, Zurich


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Meret Oppenheim, Hm-hm, 1969, Acrylfarbe auf Leinwand, Öl auf Holz, Blattgold, Arme aus geschnitztem Holz, 200 × 95 × 9 cm, Privatsammlung, © 2021, ProLitteris, Zurich


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Oben: Meret Oppenheim, Mein Kindermädchen, 1936/1967, weisse Damenschuhe auf ovaler Metallplatte mit Papiermanschette, 14 × 33 × 21 cm, Moderna Museet, Stockholm, Foto: Albin Dahlström, © 2021, ProLitteris, Zurich

Rechts: Meret Oppenheim, Der grüne Zuschauer, 1959, Lindenholz, Öl und Kupferblech, 166 × 49 × 15 cm, Kunstmuseum Bern, Foto: Peter Lauri, Bern, © 2021, ProLitteris, Zurich

Reise unter anderem Werke von Barnett Newman und Mark Rothko direkt aus den Ateliers in New York an. Die Korrespondenz mit Oppenheim zeigt, dass er sie mit persönlichen ausführlichen Briefen zu seinen Vernissagen einlud und sich eng mit ihr über kunsttheoretische Fragestellungen austauschte. Ein Gemälde von Sam Francis benennt er, als würde er auf einen gemeinsamen Scherz über ein monochromes Bild zurückkommen, als «Sams Gebirgsinfanterie im Nebel», das in der Ausstellung jetzt ins hellste Licht getreten sei. Rüdlingers Nachfolger als Direktor der Kunsthalle Bern war Franz Meyer, mit dem Oppenheim nach einer anfänglichen Romanze eine enge Freundschaft verband. Auch Meyer gab der US-amerikanischen Nachkriegskunst viel Raum in seinem Ausstellungsprogramm. Unter anderem zeigte er 1960 eine Einzelausstellung von Sam Francis, der um 1961 wegen einer längeren ärztlichen Behandlung ein Jahr lang in Bern lebte. Francis hatte ganze Werkgruppen von weissen Monochromien geschaffen,

in seiner Ausstellung in der Kunsthalle Bern waren viele dieser Gemälde ausgestellt. Auch Meyers Nachfolger, Harald Szeemann, führte die US-amerikanische Programmschiene in Bern fort. So waren etwa die radikal reduzierten weissen Werke von Robert Ryman in Europa das erste Mal in der Kunsthalle in Bern zu sehen, in Szeemanns legendärer Ausstellung When Attitudes Become Form von 1969. Auch wenn Meret Oppenheim vielseitig mit der Berner Kunstszene verbunden war, so wurde sie doch lange als ein Spezialfall betrachtet. Man kannte sie gut, man war mit ihr befreundet, aber ihre Kunst liess sich von vielen Zeitgenoss:innen nicht recht verdauen, und Ausstellungen von ihr waren höchst selten in Bern. Ein Höhepunkt für Meret Oppenheim war deshalb sicherlich ihre Retrospektive, die ihr die Kunsthalle Bern 1984 ausrichtete. Sie wählte Mon exposition als Titel – und das darf man durchaus als selbstbewusstes Statement lesen, in dem sie ihren eigenen Zugriff auf ihre künstlerische Entwicklung behauptet. Grund genug für uns, ihre Retrospektive im Kunstmuseum Bern unter dasselbe Vorzeichen zu setzen. b Nina Zimmer, Kuratorin der Ausstellung

Kunstmuseum Bern Meret Oppenheim. Mon exposition 22.10.2021—13.02.2022

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Becoming Meret Oppenheim. Das Digitorial zur Ausstellung

Was hat Meret Oppenheims Werk mit der Pop-Art zu tun? Wieso konnte sie in ihrer ersten Berner Einzelausstellung 1968 kein einziges Werk verkaufen? Und: Ist sie überhaupt eine Surrealistin?

Im Rahmen der Retrospektive Meret Oppenheim. Mon exposition entsteht ein vom Kunstmuseum Bern in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma maze pictures entwickeltes Digitorial®. Das Onlineerlebnis beleuchtet komplementär zur Ausstellung Facetten aus Oppenheims Leben und Werk und fokussiert dabei auf Oppenheims Selbstbehauptung als Künstlerin. Das für das Digitorial erarbeitete Storytelling orientiert sich an den eingangs gestellten Fragen und zeigt anhand von Kunstwerken, historischen Fotos, Zitaten und Filmausschnitten, mit welchen Hindernissen Oppenheim in ihrer über 50 Jahre andauernden Karriere konfrontiert war. Der Logik von Sehen – Lesen – Verstehen folgend, erzählt das Digitorial Oppenheims Biografie und beleuchtet insbesondere auch ihre Rezeption und die Vereinnahmung ihrer Werke durch kunsthistorische Stilzuweisungen. Um diese Geschichte zu entwickeln, hat ein abteilungsübergreifendes Team aus den Bereichen Kommunikation, Vermittlung, Marketing und Kuration eine sogenannte Log Line formuliert, welche die Erzählung in einem Satz zusammenfasst: Becoming Meret Oppenheim. Als Erschafferin der berühmten Pelztasse haftete Oppenheim ihr Leben lang der Ruf an, ihr gesamtes Werk sei dem Surrealismus der 1930er-Jahre zuzurechnen. Diese frühe Festsetzung auf die ersten Jahre ihres Schaffens übersah jedoch Oppenheims radikal offenes Kunstkonzept, denn ihre künstlerischen Strategien zeigen ebenfalls starke Affinitäten zu zeitgenössischen Nachkriegsströmungen wie Pop-Art oder Nouveau Réalisme. Die breite Anerkennung ihres Gesamtwerks liess lange auf sich warten, doch das Selbstvertrauen, ihren eigenen Weg zu gehen und keine künstlerischen Kompromisse zu machen, wuchs stetig. Ihre zunehmende Popularität in den 1970er- und 1980er-Jahren nutzte sie, um mit Fremddefinitionen aufzuräumen und ihr Profil als zeitgenössische und eigenständige Künstlerin zu stärken. 1982 konnte sie über ihre Pelztasse nur noch lapidar sagen: «Ich hätte alles mit Pelz überziehen können, Fahrräder und Stühle und Autos. Aber zu Tode gelangweilt hätt mich das, immer nur an einer Masche weiterzustricken.» b Nora Lohner, Wissenschaftliche Assistentin Kunstmuseum Bern Entdecken Sie mit dem Digitorial zur Ausstellung schon heute die Vielfalt von Meret Oppenheims Œuvre: meretoppenheim.kunstmuseumbern.ch


Gespräch

«Man muss sich als Frau nehmen, was einem zusteht.»

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Klara Obermüller, Foto: zvg / Xanthippe LS

Die Zürcher Publizistin und Schriftstellerin Klara Obermüller gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigen Stimmen im Schweizer Kultur­ leben. Und sie hat als Frau in den hiesigen Medien Pionierarbeit geleistet. Am Sonntagmorgen, 26. September, wird sie mit ihrem jüngsten Buch Die Glocken von San Pantalon im Zentrum Paul Klee zu Gast sein. Moderiert wird das Gespräch von Luzia Stettler. Die Journalistin hat Klara Obermüller — im Vorfeld ihres gemeinsamen Auftritts — ein paar Fragen gestellt.

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Klara Obermüller, Sie waren 30 Jahre alt, als in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Wenn Sie an die Zeit davor zurückdenken: Was waren Momente (oder was war ein Moment), in denen Ihnen die eigene Rechtlosigkeit besonders krass bewusst wurde? Die erste, noch ziemlich diffuse Kränkung erfuhr KLARA OBERMÜLLER ich, als mein Vater mich nicht mit ins Stimmlokal nahm, obwohl sich dieses in dem Kindergarten befand, den ich die Woche über besuchte. Richtig diskriminiert fühlte ich mich aber erst ein paar Jahre später, als mir am Elterntag die Rezitation des Gedichts Orgetorix vom Lehrer mit der Begründung verweigert wurde, das sei nichts für ein Mädchen. Die Wende für die Frauen kam am 7. Februar 1971. Rund 65  % der LS Schweizer Männer warfen ein Ja in die Urne. Können Sie sich noch erinnern, wie Sie jenen historischen Tag verbracht haben? Nein, tut mir leid. Damals ist grad meine erste Ehe in die Brüche KO gegangen; ich hatte andere Sorgen. Hatten Sie mit einem Sieg gerechnet? LS Ja, er war absehbar und überfällig – anders als 1959, als der AbKO stimmung hitzige Diskussionen vorangegangen waren und die Enttäuschung umso grösser ausfiel. Wo spürten Sie in Ihrem persönlichen Alltag die rechtliche VerLS änderung am deutlichsten? In der Tatsache, abstimmen und wählen gehen zu können und KO nicht mehr vor dem Wahllokal in meinem ehemaligen Kinder­ garten stehen gelassen zu werden. Wo hingegen kam der Fortschritt eher harzig? LS Bei der rechtlichen Gleichstellung, z. B. dem Eherecht, bei der KO Chancen- und Lohngleichheit und vor allem bei all den subtilen Dingen, die mit Mentalitätswandel zu tun haben. Wenn man auf Podien immer die einzige Frau ist, wenn nur der Mann, nicht aber LUZIA STETTLER

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die Frau mit Doktortitel vorgestellt wird oder man als charmant, statt, wie ein Mann, als kompetent bezeichnet wird, dann spürt man, dass es mit der Gleichstellung doch noch nicht so weit her ist. Die Medienbranche gilt ja mehrheitlich als aufgeschlossen: Trotzdem waren damals, als Sie in den Journalismus einstiegen, Frauen in den tagesaktuellen Zeitungen noch deutlich untervertreten. Fühlten Sie sich im Beruf je diskriminiert? Nicht wirklich, nein. Zum Kulturjournalismus, in dem ich tätig war, hatten Frauen ja schon recht früh Zugang, in anderen Ressorts wäre es vermutlich schwieriger gewesen. Als ich ab 1970 bei der NZZ zunächst als Volontärin, später als Redaktorin tätig war, waren wir Frauen zu viert: zwei für «Frau und Mode», eine für die Wochenendbeilage und ich für die Kultur. Ihrer zweiten Ehe mit dem Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann mussten Sie dann Ihre Redaktionsstelle opfern; sein Sozialismus und der Freisinn der NZZ seien auf Dauer nicht kompatibel gewesen, sagten Sie einmal. Ein typisches Frauenschicksal? Ja und nein. In erster Linie war es natürlich ein politischer Konflikt, aber ich denke nicht, dass man auch bei einem Mann automatisch davon ausgegangen wäre, er stünde unter dem Einfluss seiner politisch unliebsamen Frau und sei deshalb für das Blatt nicht mehr tragbar. In ihrem aktuellen Buch Die Glocken von San Pantalon findet sich der selbstkritische Satz: «Die Liebe hat enorm viel Platz eingenommen in meinem Leben. Zuviel denke ich, manchmal.» Wie meinen Sie das? Nicht im Sinne, dass ich etwas bereue. Aber es hat Zeiten gegeben, da bestimmten Männer mein Leben. Ihnen wollte ich gefallen, von ihnen wollte ich anerkannt werden, ihretwegen vernachlässigte ich Dinge, die mindestens so wichtig gewesen wären. Das würde ich heute nicht mehr zulassen. Was kam denn zum Beispiel zu kurz? Ich selbst vor allem, meine eigenen Bedürfnisse, meine Freiheiten. Ich hätte mich zum Beispiel gerne weitergebildet, hätte mir Auszeiten nehmen wollen und wäre liebend gerne eine Zeitlang ins Ausland gegangen, nach Russland etwa oder nach Israel, um dort als Korrespondentin für eine Tageszeitung zu arbeiten. Ich habe es nicht getan, aus Rücksicht auf Beziehungen, vielleicht aber auch aus Bequemlichkeit. Sie sind bis heute für viele Journalistinnen – auch für mich – ein Vorbild geblieben. Worauf sind Sie selber – im Rückblick auf Ihre Karriere – besonders stolz? Ich fühle mich selbst weder als Pionierin noch gar als Vorbild. Ich hatte viel Glück, mir ist vieles in den Schoss gefallen, und ich bin – nicht zuletzt von Männern – immer wieder gefördert worden, das alles ist nicht mein Verdienst. Allenfalls haben mir Neugierde und ein gewisser Wagemut geholfen, Chancen beim Schopf zu packen und nicht lange zu fragen, ob ich der Aufgabe auch wirklich gewachsen sei. Man muss sich als Frau auch etwas zutrauen und sich nehmen, was einem zusteht. Geschenkt wird es einem nicht.

Lesung und Gespräch im Zentrum Paul Klee Klara Obermüller liest aus Die Glocken von San Pantalon Sonntag, 26. September 2021, 11 Uhr


Kindermuseum Creaviva

Das Gute und Schöne

Die Interaktive Ausstellung «Das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee ist für mich eine Perle. Die frei zugängliche Interaktive Aus­stellung ist eine Inspirationsquelle und fördert die Kreativität von Alt und Jung. Wir unterstützen deshalb mit dem Förderfonds BEKB die Interaktiven Ausstellungen mit grosser Freude.» b Karl Martin Wyss, Leiter Fokus@2025+ und BEKB Förderfonds

Kinder und Erwachsene gehen hier ein und aus. Das lichtdurchflutete Loft mit der Interaktiven Ausstellung ist ein offener Raum für alle. An interaktiven Stationen nähern sich Besuchende dem Spiel mit Formen und Farben, lernen Techniken kennen und werden über das eigene Tun an Kunst herangeführt — ein kleiner Beitrag zur Förderung ästhetischer Bildung. Das eigene Tun als Erfahrung von Selbstwirksamkeit

Es ist Wochenende. Zielstrebig läuft eine Familie mit Kindern den Weg vor dem Zentrum Paul Klee entlang. Sie blicken den kleinen Hügel hinunter, zeigen voller Vorfreude hinab, passieren den Haupteingang und stehen einige Minuten später im Loft des Creaviva. Die Kinder stürmen los und erkennen dabei intuitiv, welche gestalterischen Aufgaben für sie in der Interaktiven Ausstellung bereitstehen. Seit der Gründung des Kindermuseum Creaviva bildet die Interaktive Ausstellung einen Grundpfeiler in der Angebotspalette. Der Eintritt ist kostenlos, und sie hat sich als generationenverbindender Begegnungsort etabliert. Mit dem Begriff «Ausstellung» wird dabei auf die ästhetischen Ansprüche und das visuelle Erlebnis verwiesen. Dass Besuchende selbsttätig zu einem Teil der Ausstellung werden, betont der Begriff der «Interaktivität».

Neugier zu wecken und Menschen dazu einzuladen, der Kunst auf spielerische Art zu begegnen, ist seit Anbeginn ausgewiesenes Ziel der Interaktiven Ausstellung. Die partizipativen Stationen vermitteln Techniken oder veranschaulichen ein künstlerisches Konzept, befördern das Bedürfnis nach kreativem Gestalten und bereiten Besuchende in praktischer Weise auf die im Haus stattfindenden Ausstellungen vor. Die Interaktive Ausstellung spricht alle Sinne an und bietet ein emotionales, intuitives und intellektuelles Erlebnis. Der Name Creaviva entstammt den Wörtern «creare» – schöpfen, erschaffen – und «vivere» – Leben, erleben. Die Gründerfamilie bringt damit die Überzeugung zum Ausdruck, dass Kreativität den Charakter, die Einstellung und damit das Leben formt, und dass die eigene schöpferische Tätigkeit und das Experimentieren unterstützend auf die Persönlichkeitsentwicklung einwirken. Dieses grundlegende Verständnis ist in der Namensgebung verankert. Der Zeichnungstisch als gemeinschaftlicher Ort

Mit der aktuellen Diskussion rund um Partizipation und Teilhabe und der damit verbundenen Forderung an Kunstinstitutionen, sich vermehrt für nicht kunstaffine Bevölkerungsschichten zu öffnen, erfährt die bereits von

Schiller geäusserte Forderung nach spielerischer Vermittlung zwischen Vernunft und Erfahrung und die Frage nach dem Stellenwert und der Ausrichtung der kulturellen Bildung eine regelrechte Renaissance. Dies betrifft auch das Creaviva. Als Institution, die sich um Einbezug eines möglichst breiten Publikums sowie um Inklusion bemüht und dabei in innovativer und kreativer Weise neue Wege erkundet, um auch die kommenden Generationen an Kunst heranzuführen, wird das Creaviva in Zukunft weitere Anstrengungen unternehmen. Gerade die Interaktive Ausstellung bietet ein spannendes Experimentierfeld, um Formen der Teilhabe zu erproben. Mittlerweile sind weitere Familien im Loft unterwegs. In der Interaktiven Ausstellung steigert sich die Lebhaftigkeit, und der Bewegungsdrang der Kinder nimmt Überhand. Willy oder Monika, zwei der Freiwilligen im Team, setzen sich sogleich an den Zeichnungstisch und beginnen spielerisch mit der Bearbeitung eines Malgrunds. Bald gesellen sich Kinder, Väter und Grosseltern dazu. Freudig konzentriert wird nun Hand in Hand gestaltet und allmählich kehrt Ruhe ein – der Zeichnungstisch ist einfach nicht wegzudenken! b Pia Lädrach, Leiterin Kindermuseum Creaviva

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Musik

Community Building

Musikalische und architektonische Meisterwerke

paul &  FRUCHTLAND

Hochkarätige Konzerterlebnisse und ein Gefühl wie in einem zeitgenössischen Barocktheater: Die Meisterkonzertreihe im Zentrum Paul Klee besteht seit nunmehr fünfzehn Jahren und nimmt einen festen Platz im Kulturleben der Stadt Bern ein. Zahlreiche bedeutende Solist:innen sind dem Haus verbunden, was auch im Herbst­programm 2021 zum Ausdruck kommt.

Das Auditorium Martha Müller des Zentrum Paul Klee, von der deutschen Firma Müller BBM für die bestmögliche Akustik konzipiert, weist eine fast 100-prozentige Schallverbreitung aus. So gibt es wunderbarerweise keine schlechten Sitzplätze: Man hört und sieht von jedem Platz aus gleich gut. Fixe Holzpanels dominieren das optische Erscheinungsbild des gesamten Auditoriums. Sie hängen in verschiedenen Grössen und Neigungswinkeln an den Wänden, verteilen die Klänge gleichmässig und tauchen den Saal in ein tiefes, warmes Rot, das an ein zeitgenössisches Barocktheater erinnert. Im Gegensatz zu vielen modernen Konzertsälen wird die Akustik im Auditorium des Zentrum Paul Klee rein mechanisch gesteuert. Die aufwendige Veranstaltungstechnik ermöglicht es, den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, und das Raum-in-Raum-Prinzip sorgt dafür, dass nur das gehört wird, was gehört werden soll – ohne störende Geräusche und Einflüsse von aussen. In diesem Konzertsaal, eigens konzipiert für ein international ausstrahlendes Musikprogramm, kann das Publikum ganzjährig bedeutende Musiker:innen erleben. Die Vielfalt reicht von Meisterkonzerten mit renommierten Solist:innen und Ensembles über Jazz-­ Matinéen, Cross-Over, U-Musik und Rahmenprogramme zu Ausstellungen bis hin zu experimentellen Formaten und Konzertreihen von Kooperationspartnern und Partnerensembles. In der seit 2007 bestehenden Reihe der Meisterkonzerte versammelt sich die Liga der internationalen Top-Solist:innen, darunter Murray Perahia, Grigory Sokolov, Radu Lupu, Fazil Say, Khatia Buniatishvili, Angela Hewitt, Maria João Pires, Hélène Grimaud, Hilary Hahn, Daniel Hope, Janine Jansen, Julia Fischer, Vilde Frang, Frank Peter Zimmermann, Renaud Capuçon, Albrecht Mayer, Emmanuel Pahud, Jordi Savall, Sergei Nakariakov, Mischa Maisky, Steven Isserlis, Vesselina Kasarova und viele andere Künstler:innen, die dem Zentrum Paul Klee verbunden sind. Gautier Capuçon, Violoncello solo Sonntag, 12. September 2021, 17 Uhr Martin Fröst, Klarinette & Quatuor Ébène Sonntag, 7. November 2021, 17 Uhr Julia Fischer, Violine & Yulianna Avdeeva, Klavier Dienstag, 16. November 2021, 19.30 Uhr Piotr Anderszewski, Klavier Sonntag, 5. Dezember 2021, 17 Uhr

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen und freuen uns, Sie im Auditorium Martha Müller begrüssen zu dürfen. b Julia Vincent, Künstlerische Leiterin Musik Zentrum Paul Klee

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Seit diesem Frühling gedeiht auf dem Areal des Zentrum Paul Klee ein Garten. Gemeinsam pflanzen, pflegen und ernten Quartier­ bewohner:innen und Mitarbeiter:innen des Zentrum Paul Klee. Ihr Ziel: dass das Fruchtland zu einem Ort der Begegnung für das Quartier und der Auseinandersetzung mit Lebensmittelproduktion im urbanen Raum wird, der mitgestaltet werden kann.

Fruchtland heisst das Umland mit dem 2,5 ha grossen Ackerstück, welches sich als Teil von Renzo Pianos Gesamtkunstwerk um das Zentrum Paul Klee erstreckt und das Gebäude richtiggehend umarmt. Der Name bezieht sich auf das 1929 entstandene Werk Monument im Fruchtland von Paul Klee sowie die Adresse des Zentrum Paul Klee und ist eine Anlehnung an Klees lebenslange Faszination und Auseinandersetzung mit der Natur. Dass dieser Aussenraum ein Schatz ist, ist uns schon lange bewusst. Diese Wertschätzung äussert sich seit 2015 in dem Projekt FRUCHTLAND. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen schlagen wir eine Brücke zwischen Natur und Kunst und thematisieren die zeitlosen Werte der Natur und den aktuellen Umgang damit. Das Fruchtland ist auch Naherholungsort für viele Quartierbewohner:innen. Sie spazieren hier, joggen, geniessen die Aussicht auf Gurten und Alpen, auch das ist altbekannt. Neu ist für uns aber die Erkenntnis, dass diese Menschen auch gewillt sind, sich für die Gestaltung des Areals zu engagieren. 2020 haben wir im Rahmen des Projekts paul&ich eine Ideenwerkstatt für Anwohner:innen des Zentrum Paul Klee durchgeführt. Zahlreiche der geäusserten Ideen rankten sich um das Fruchtland. Darunter diejenige, man könnte auf dem Areal einen Garten anlegen. Die Idee überdauerte jegliche Auswahlrunden der QuartierArbeitsgruppen, der Direktion und im Team Zentrum Paul Klee. Alle waren sich einig – das wollen wir versuchen. Damit war der Grundstein für den Gemeinschaftsgarten gelegt. Es war ein kleines Wagnis, als wir 1200 m2 Ackerland für diesen Zweck bereitstellten. Zu diesem Zeitpunkt umfasste die Gartengruppe vier Personen und Robert Zollinger von Hortiplus, der dem Unterfangen seit den Anfängen mit viel Erfahrung beisteht. Allen war bewusst, wenn das Vorhaben gelingen soll, dann brauchen wir mehr Leute, die sich dafür engagieren. So wurde mobilisiert: in Quartiervereinen, über Social Media, unter Nachbar:innen und in Bekanntenkreisen. Mittlerweile umfasst die Gruppe fast 20 Personen aus ganz Bern. Sie gärtnert gemeinschaftlich, das heisst, den Beteiligten wurden keine eigenen Parzellen zur Verfügung gestellt. Es gibt Untergruppen, die sich beispielsweise der Pflege des Gemüses oder der Blumen widmen, geerntet wird aber gemeinsam. Was romantisch-idealistisch anmuten mag, funktioniert bisher tatsächlich. Uns vom Zentrum Paul Klee ist aber sehr bewusst, dass dies nicht selbstverständlich ist. Der Gemeinschaftsgarten wird mehrheitlich durch das Engagement der Berner:innen getragen. Wir würden uns sehr freuen, wenn der Garten im nächsten Jahr weiter gedeihen könnte. Was bereits gedeiht sind neue Ideen, wie man den Gemeinschaftsgarten und FRUCHTLAND in einen noch stärkeren Dialog bringen kann. b Eva Grädel, Projektleiterin Community Building & Dominik Imhof, Leiter Kunstvermittlung Zentrum Paul Klee Wer sich am Gemeinschaftsgarten im Zentrum Paul Klee beteiligen möchte, kann sich unter paulundich@zpk.org anmelden.


Ausstellung

Der grossartige Eigensinn des Jean-Frédéric Schnyder

Jean-Frédéric Schnyder, Micky, 02.1985, Öl auf vorgrundierter Leinwand, 50,2 × 50,3 cm, Kunstmuseum Bern, Sammlung Toni Gerber, Bern, Schenkung 1993

Kunstmuseum Bern 04.02.–29.05.2022 und in einem breiten Sinn als «schön» empfunden werden kann. Nach Anfängen im Skulpturalen wendet er sich schliesslich der Malerei zu. Er beginnt zusammen mit Margret Rufener die Werkserie How To Paint (1973), welche sich am gleichnamigen Do It YourselfMalkurs von Walter T. Foster orientiert. Schnyder und Rufener malen gewissenhaft Der 1945 in Basel geborene und in Bern aufge- leicht bekleidete Frauen, traurige Clownsgewachsene Künstler kam in den 1960er-Jahren sichter und schwülstige Sonnenuntergänge ab autodidaktisch zur Kunst und wurde bereits und arbeiten sich so durch den Kurs. mit 24 Jahren in Harald Szeemanns epochaler Erst 1982 startet dann Schnyders Karriere Ausstellung When Attitudes Become Form ge- als «ernsthafter» Maler, als er sich ein Rennzeigt. Schnyder hat sich der Kunst als ausge- velo und eine Staffelei kauft und die Umgebildeter Fotograf konzeptuell genähert. Daher bung von Bern zu erkunden beginnt. Im Tageszeigt er im Kunstmuseum Bern vor allem rhythmus malt er 126 Berner Veduten in einer Frühwerke, welche die Herausbildung seines Bildgrösse, die auf seinem Fahrrad transporKunstbegriffes dokumentieren. Zu diesem tierbar ist. Im Unterschied zu den Berner gehört, dass er Objekte in Materialien reali- Kleinmeistern aus dem 16. bis 18. Jahrhunsiert, welche der seriösen Kunst fremd sind dert, auf die er sich in Motiv und Format be(Plastik, Zinn, Kaugummi, Räucherstäbchen), zieht, konzentriert sich der Künstler nicht nur Basteltechniken nutzt (Lego, Steckbilder), auf die pittoresken Ansichten, sondern zeigt seine Werke in volkstümliche Formen packt ebenso Einkaufszentren, Bürogebäude und oder sie als visuellen Witz formuliert. Strassenunterführungen. Er sucht das Schöne Dennoch meint er es nicht ironisch, wenn auch im Durchschnittlichen, Banalen und Aller die Grenzen zum Kitsch auslotet. Jean-­ täglichen. Frédéric Schnyder sucht vielmehr das «NorIn den 1980er- und 1990er-Jahren, als für male», welches authentische Gefühle auslöst viele die Malerei «gestorben» war, dekliniert

Parallel zur Einzelausstellung, welche die Kunsthalle Bern dem bedeutenden Schweizer Künstler Jean-Frédéric Schnyder ausrichtet (kuratiert von Valérie Knoll, ab Februar 2022), präsentiert das Kunstmuseum Bern eine Accrochage aus eigenen Sammlungsbeständen.

er weitere Möglichkeiten der Malerei, indem er gleichzeitig naturalistische, expressive und ungegenständliche Malstile einsetzt. Auch hier hat der Künstler keine Hemmungen vor sentimentalen Motiven und nimmt sich die Freiheit, immer diejenige Bildsprache zu wählen, die zum Gegenstand passt. Alles scheint ihm würdig, Bild zu werden. Und so erinnert seine Installation im Kunstmuseum Bern an ein Kuriositätenkabinett mit verschiedensten Werkgruppen und Schaffensphasen, das Schnyders Auffassung von Kunst als etwas Nicht-Elitäres wiedergibt. Indem der Künstler sich kompromisslos dem Eigenen widmete, fand er unter dem Budenzauber populärer Schönheit das, was ihm Ausdruck des kollektiv Gültigen schien. In beharrlichem Widerstand zum Modischen und aktuell Angesagten hat er so ein künstlerisches Werk von überzeitlicher Ausstrahlung geschaffen, das 2022 zu Recht in – für Schnyders Verhältnisse – epischer Breite geehrt wird. b Kathleen Bühler, Kuratorin der Ausstellung

Kunstmuseum Bern / Kunsthalle Bern Jean-Frédéric Schnyder 04.02.—29.05.2022

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Ausstellung

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global Zentrum Paul Klee 16.09.2021—09.01.2022 24

Links: Mit der Skulptur dreiteilige einheit von 1947/48 gewann Max Bill 1951 einen Preis in São Paulo. Sie befindet sich heute in der Sammlung des Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo. Instituto Moreira Salles Collection, Foto: Hans Günter Flieg, © 2021, ProLitteris, Zurich Rechts: Das Werk lange plastik von 1933 konnte Bill noch im selben Jahr an der Ausstellung der Gruppe Abstraction-Création zeigen. max bill georges vantongerloo stiftung, haus bill zumikon, angela thomas und erich schmid, Courtesy Hauser & Wirth, © Angela Thomas Schmid / 2021 ProLitteris, Zürich


max bill

Max Bill (1908—1994) ist bekannt als Schweizer Künstler, doch sein Radius reichte weit über die Kunst und die Schweiz hinaus. Im Austausch mit Exponent:innen der Avantgarde entwickelte er sein umfassendes Verständnis von Gestaltung und gab dieses auch als Lehrer an der Hochschule für Gestaltung Ulm an eine internationale jüngere Generation weiter. Max Bills weltumspannendes Netzwerk steht im Fokus der Ausstellung.

Bill begann seine Karriere mit einer Lehre zum Silberschmied an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Dort unterrichtete zu jener Zeit Sophie Taeuber-Arp, die 1925 als Jurymitglied Schülerarbeiten von Bill für die Pariser Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes auswählte. Der Besuch der Ausstellung, besonders die Pavillons von Le Corbusier und Konstantin Melnikow, beeindruckte Bill dermassen, dass er selbst Architekt werden wollte. Mit diesem Ziel schrieb sich Bill 1927 am Bauhaus in Dessau ein und besuchte den Vorkurs bei Josef Albers. Albers’ Überzeugung, dass ein Gestalter Verantwortung für sein Tun übernehmen müsse, prägte fortan Bills Verständnis seiner vielseitigen Tätigkeit. Die beiden Männer verband eine lebenslange Freundschaft. Nach Albers’ Emigration 1933 besuchte ihn Bill regelmässig, wenn er in den USA auf Reisen war. Albers wiederum kam zweimal als Gastdozent an die Hochschule für Gestaltung in Ulm (HfG Ulm), die Bill Anfang der 1950er-Jahre mitbegründete. Auch Paul Klee lernte Bill am Bauhaus kennen und blieb zeitlebens mit ihm in Kontakt, vor allem nach dessen Rückkehr in die Schweiz. Finanzielle Schwierigkeiten zwangen Bill 1929 von Dessau in die Schweiz zurückzukehren. In Zürich versuchte er als Architekt Fuss zu fassen, der Erfolg blieb jedoch aus. Seinen Unterhalt verdiente er hauptsächlich als Gebrauchsgrafiker und Typograf. Regelmässig reiste er nach Paris, wo sich seine Wege wieder mit Taeuber-Arp und Hans

Arp kreuzten, die ihn in die Kreise der Pariser Avantgarde einführten. Bill wurde Mitglied der Gruppe Abstraction-Création. Aus dem Kreis dieser Künstlergruppe verband Bill die innigste Beziehung mit Georges Vantongerloo. Nach Vantongerloos Tod 1965 übernahm Bill die Verwaltung seines Nachlasses. Noch heute vereint die max bill georges vantongerloo stiftung mit Sitz im 1967 von Bill errichteten Haus Bill in Zumikon einen Teil des Nachlasses von Max Bill mit dem Nachlass Vantongerloos. Dr. Angela Thomas Schmid, die Witwe von Max Bill, verwaltet die Nachlässe gemeinsam mit der Galerie Hauser & Wirth. Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee wurde insbesondere von Angela Thomas Schmid grosszügig unterstützt. Während mehrerer Besuche im Haus Bill führte sie die Kuratorin Fabienne Eggelhöfer und mich auf Entdeckungsreisen durch Bills Schaffen, seine Interessen und Kontakte. Bills Sammlung prähistorischer und nichteuropäischer Kunst wäre ein eigenes Kapitel in der Ausstellung wert gewesen. Die Vielseitigkeit einer Figur wie Max Bill verlangte jedoch nach einem Fokus, der in unserer Ausstellung auf seinem internationalen künstlerischen Netzwerk liegt. Während wir auf der Terrasse, umgeben von Kunst und einem blühenden Garten, fürstlich bewirtet wurden, teilte Angela Thomas Schmid ihr umfangreiches Wissen mit uns. An zwei Gesprächen wird sie dies mit unterschiedlichen Partner:innen auch bei uns in der Ausstellung tun.

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max bill

Max Bill und Josef Albers 1955 in der HfG Ulm. max bill georges vantongerloo stiftung, Foto: Margit Weinberg-Staber Bild Seite 25: Nach dem tragischen Tod Sophie Taeuber-Arps in Bills Haus in Höngg malte Bill 1943 das Gemälde rhythmus in vier quadraten. Kunsthaus Zürich, 1968, © 2021, ProLitteris, Zurich

Als Kurator und Initiator von Ausstellungen förderte Bill Künstler:innen der internationalen Avantgarde sowie Kolleg:innen einer jüngeren Generation. Erstmals wirkte er bei den Vorbereitungen der Ausstellung Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik mit, die 1936 im Kunsthaus Zürich stattfand. In deren Katalog trat Bill ausserdem als Theoretiker in Erscheinung, mit dem Text konkrete gestaltung, der prägend auf die Diskussion um die abstrakte Kunst wirkte. Er trat der im folgenden Jahr gegründeten Gruppe Allianz bei, die sich hauptsächlich aus konkret oder surrealistisch arbeitenden Schweizer Künstler:innen zusammensetzte. Grössere Beachtung fanden die konkret arbeitenden Künstler:innen, insbesondere Camille Louis Graeser, Verena Loewensberg und Richard Paul Lohse, die gemeinsam mit Max Bill als die Zürcher Konkreten international bekannt wurden. 1930 war Bill bereits dem Schweizerischen Werkbund beigetreten, 1938 wurde er als Mitglied in die CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) aufgenommen. In den 1950er-Jahren wirkte Bill als Mitbegründer, erster Rektor und Architekt an der HfG Ulm. Zu dieser architektonischen Ikone macht vom 11. Dezember 2021 bis 9. Januar 2022 die Wanderausstellung ästhetik des einfachen – max bill und die hochschule für gestaltung ulm des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Forum des Zentrum Paul Klee halt. Noch immer den Idealen des Bauhauses verpflichtet, strebte Bill in Ulm danach, ein neues, zeitgemässes Bauhaus aufzubauen. Bill legte grossen Wert darauf, eine internationale Schar von Studierenden und Lehrenden zu versammeln. Dabei konnte er auf sein mittlerweile weit verzweigtes globales Netzwerk zurückgreifen. Im Lauf der Jahre kam es zu internen Auseinandersetzungen, die 1956 den Weggang Bills aus Ulm zur Folge hatten. Im Kern der Debatte

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stand dieselbe Frage, die bereits am Bauhaus zu einer Spaltung in zwei Lager führte: Welche Rolle kommt der Kunst in der Gestaltung zu? Was von Max Bills Idee der «guten Form» heute geblieben ist und wie Gestalter:innen in verschiedenen Feldern heute arbeiten, thematisieren wir am 6. und 7. November am Design-Weekend in Kooperation mit der Berner Design Stiftung. Die Diskussionen um die Ausrichtung der HfG Ulm hatten zur Folge, dass sich die enge Beziehung zu Tomás Maldonado deutlich abkühlte. Der argentinische Künstler, Theoretiker und Gestalter lernte Bill 1948 in Zürich kennen und war begeistert von seinem Schaffen. Es kam zu einem intensiven Austausch zwischen den beiden vielseitigen Gestaltern und Maldonado propagierte Bills Gedankengut in Argentinien. Ebenfalls in den 1950er-Jahren wurde die brasilianische Kunstszene auf Bill aufmerksam. 1951 fand eine Ausstellung zu Max Bill im Museu de Arte São Paulo statt, im selben Jahr gewann er den ersten Preis für Skulptur an der ersten Bienal de São Paulo. Diese Auftritte bewogen eine Handvoll junger Gestalter:innen, darunter Mary Vieira, Alexandre Wollner und Almir Mavignier, sich 1953 als Studierende an der neu gegründeten HfG Ulm einzuschreiben. Nachdem Bill die HfG Ulm verlassen hatte, blieb sein Lebensmittelpunkt in Zürich. Während er von 1967 bis 1974 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg als Professor für Umweltgestaltung tätig war, engagierte er sich zeitgleich von 1967 bis 1971 als Nationalrat für den Kanton Zürich und setzte sich unter anderem für den Umweltschutz ein. Inspiriert von der Idee des Bauhaus-Vorkurses, mit vorhandenen Materialien zu arbeiten, richtet Offcut Bern für den 4. und 5. Dezember eine Werkstatt im Forum des Zentrum Paul Klee ein. Bill blieb stets am Puls der Zeit und pflegte von Zürich aus Kontakte in die ganze Welt. Vom internationalen Interesse an Max Bill zeugen seine Werke in Kunstsammlungen und im öffentlichen Raum, die sich auf unterschiedlichen Kontinenten finden lassen. Die Ausstellung endet mit Bills erstmals erforschten Beziehungen in die USA. Nach kleineren Schauen tourte 1974 und 1975 eine Bill-Retrospektive von Buffalo über Los Angeles und San Francisco nach Washington, D. C. und machte ihn dort einem breiteren Publikum bekannt. Mit Charles und Ray Eames sowie Donald Judd schloss Bill Bekanntschaften mit einer jüngeren Generation US-amerikanischer Kreativschaffender, die trotz divergierender Anschauungen von seinem Lebenswerk fasziniert waren. b Myriam Dössegger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum Paul Klee

Zentrum Paul Klee max bill global 16.09.2021—09.01.2022 Ergänzend zur Ausstellung max bill global zeigt das Institute for Studies on Latin American Art (ISLAA) die Ausstellung “From Surface to Space”: Max Bill and Concrete Sculpture in Buenos Aires. Kuratiert von Francesca Ferrari, findet diese vom 19. August bis 30. Oktober 2021 in New York statt und erkundet die zeitgleichen Experimente mit konkreter Skulptur und den intensiven künstlerischen Dialog zwischen Max Bill und der argentinischen Avantgarde. Gezeigt werden Werke von Max Bill, Enio Iommi, Gyula Kosice, Lidy Prati und anderen. Die Ausstellung untersucht die länderübergreifende Zielsetzung, die Umgebung der Menschen mit abstrakten Skulpturen zu beleben. Für weitere Informationen: islaa.org


Debatte

Aus Sara Ahmed: Das Glücksversprechen

Die Hinwendung zum Glück

Was meine ich damit? Sicherlich, es sind zahlreiche Bücher zur Wissenschaft und Ökonomie des Glück/lichseins publiziert worden, insbesondere seit 2005. Die Popularität therapeutischer Kulturen und Diskurse über Selbsthilfe führten auch zu dieser Hinwendung zum Glück/lichsein: Heutzutage existieren viele Bücher und Kurse, die Anleitungen zum Glück/lichsein liefern, indem sie sich auf ein Wissensspektrum beziehen, einschliesslich des Feldes der positiven Psychologie, als auch (oftmals orientalischer) Lesarten östlicher Traditionen, vor allem des Buddhismus. Heutzutage kann man von einer «Glücks-Industrie» sprechen: Glück/lichsein wird durch diese Bücher sowohl hergestellt als auch verbraucht, wodurch sein Wert als eine Art Vermögen angehäuft wird. Barbara Gunnell (2004) schildert wie «die Suche nach dem Glück sicherlich viele Menschen bereichert. Die Glücks-Industrie boomt. Der Verkauf von Selbsthilfe-Ratgebern und CDs, die ein erfüllteres Leben versprechen, lief noch nie so gut.» Die Medien sind übersät mit Bildern und Geschichten des Glücks. In Grossbritannien haben viele seriöse Zeitungen «spezielle Sparten» zum Thema Glück/lichsein integriert und die BBC strahlte 2006 eine Dokumentation mit dem Titel The Happiness Formula (dt.: Das Glücksrezept) aus. Diese Hinwendung zum Glück kann als international beschrieben werden; man kann den «Glücks-Pflanzen-Index» im Internet einsehen und es gibt eine Anzahl an weltweiten Untersuchungen und Auswertungen, die den Grad des Glück/lichseins innerhalb und zwischen Nationalstaaten messen. Diese Berichte werden oft in den Medien zitiert, sobald Untersuchungsergebnisse nicht den sozialen Erwartungen entsprechen, also, wenn die Menschen in Entwicklungsländern den Anschein erwecken, glücklicher zu sein als die in Industrieländern. Nehmt zum Beispiel diesen Satz aus einem Artikel: «Bangladesch ist das Land mit den glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt! Hätten Sie das gedacht? Im Gegensatz dazu geben die USA ein trauriges Bild ab: Sie landen nur auf dem 46. Platz in der Rangliste dieser weltweit durchgeführten Studie über Glück/lichsein.» Glück/ lichsein und Unglück/lichsein werden zu Themen in den Nachrichten,

wenn sie Vorstellungen vom sozialen Status bestimmter Individuen, Gruppen und Nationen infrage stellen, dadurch aber den Status oftmals durch eine ungläubige Sprache bestätigen. Die Hinwendung zum Glück kann auch an den veränderten politischen und herrschaftlichen Rahmenbedingungen beobachtet werden. Die Regierung Bhutans misst seit 1972 das Glück/lichsein seiner Bevölkerung und die Ergebnisse werden im Bruttonationalglück (Gross National Happiness) festgehalten. Im Vereinigten Königreich sprach David Cameron, Anführer der konservativen Partei, über Glück/ lichsein als eine Werteinstanz für die Regierung und löste damit in den Medien eine Diskussion über New Labour und Glück/lichsein und die Agenda «gesellschaftlichen Wohlergehens» aus. Es wurde über einige

«Glück/lichsein wird mehr und mehr zu einer echten Methode, um Fort­ schritt zu messen; wir könnten auch sagen, dass Glück/lichsein den ultima­ tiven Leistungsindikator darstellt.» 27


Debatte Regierungen berichtet, dass sie Glück/lichsein und Wohlbefinden als messbare Vorteile und explizite Ziele einführen und so das Bruttoinlandprodukt (BIP) durch den sogenannten echten Fortschrittsindikator (Genuine Progress Indicator, GPI) ergänzen. Glück/lichsein wird mehr und mehr zu einer echten Methode, um Fortschritt zu messen; wir könnten auch sagen, dass Glück/lichsein den ultimativen Leistungsindikator darstellt. So überrascht es nicht, dass die Studien zum Glück/lichsein sich zu einem eigenen akademischen Feld mit eigener Berechtigung entwickelt haben: Die akademische Fachzeitschrift Happiness Studies ist gut etabliert und es existieren bereits einige Professuren zum Thema. In Wissenschaftskreisen haben wir in zahlreichen Disziplinen, einschliesslich der Geschichte, der Psychologie, der Architektur, der Gesellschaftspolitik und der Wirtschaft, eine Hinwendung zum Glück/ lichsein bemerkt. Es ist wichtig, diese Wende wahrzunehmen und sich nicht einfach mit Glück/lichsein als eine Art der Einigkeit zu beschäftigen, sondern mit der Einigkeit darüber, den Begriff Glück/lichsein zu gebrauchen, um etwas zu beschreiben. Einige Ansätze zu diesem Thema wurden unter der Rubrik «Neue Glücksforschung» zusammengefasst. Das bedeutet nicht, dass die Glücksforschung an sich neu ist; viele der ausschlaggebenden Texte in diesem Bereich bieten Neuauflagen des klassischen englischen Utilitarismus an, insbesondere des Werkes von Jeremy Bentham mit seiner berühmten Maxime «das grösste Glück einer grösstmöglichen Zahl (Menschen)». Wie Bentham in seinem A Fragment of Government erklärt «was richtig und was falsch ist, misst sich an dem grössten Glück der grössten Zahl.» Bentham selbst beruft sich auf ältere Traditionen, darunter das Werk von David Hume als auch Cesare Beccaria und Claude Andrien Helvétius. Die Glücksforschung teilt sich eine Geschichte mit der Nationalökonomie: Denken wir nur an Adam Smiths Argument in Der Wohlstand der Nationen, dass der Kapitalismus uns von der sogenannten «elenden Gleichheit» weg und hin zur «glücklichen Ungleichheit» führt, sodass «selbst ein Arbeiter der untersten und ärmsten Schicht, sofern er genügsam und fleissig ist, […] sich mehr zum Leben notwendige und angenehme Dinge leisten [kann], als es irgendeinem Angehörigen eines primitiven Volkes möglich ist.» Selbstverständlich beinhaltet der Utilitarismus des neunzehnten Jahrhunderts eine ausdrückliche Widerlegung dieser Schilderung, in der Ungleichheit zu einem Indikator für Entwicklung und Glück/lichsein wird. Indem er sich Alexander Wedderburn anschliesst, beschreibt

«Wenn wir bereits an­ nehmen, dass Glück/lich­ sein etwas ist, das wir uns wünschen, ist die Frage danach, wie glücklich wir sind, keine neutrale Frage.» 28

Bentham die Prinzipien des Utilitarismus als Gefahr für die Regierung: «ein Prinzip, das als einziges Recht und berechtigtes Ziel der Regierung das grösste Glück der grössten Zahl zugrundelegt – wie kann dieses als ein gefährliches Prinzip verneint werden? Gefährlich für jene Regierung, die als ihr tatsächliches Ziel oder ihren Zweck das Glück des Einzelnen betrachtet.» Trotz dieser Auffassung, dass das Glück/lichsein jedes Einzelnen gleichermassen zählen sollte (das Glück/lichsein von vielen lehnt es ab, das Glück/lichsein irgendeines Einzelnen anzuheben), hält die utilitaristische Tradition an dem Prinzip fest, dass vermehrtes Glück/lichsein als Massstab für menschlichen Fortschritt fungiert. Émile Durkheim bot eine kraftvolle Kritik an diesem Prinzip an: «Aber ist es überhaupt wahr, dass das Glück des einzelnen in dem Mass wächst, wie der Mensch fortschreitet? Nichts ist zweifelhafter.» Eine Schlüsselfigur in der jüdischen Glücksforschung ist Richard Layard, der oftmals von den britischen Medien als «Glücks-Zar» bezeichnet wird. Sein wichtiges Werk Die glückliche Gesellschaft, das zum ersten Mal 2005 veröffentlicht wurde, beginnt mit einer Kritik an der Wirtschaftslehre dafür, woran sie menschliche Entwicklung misst: «Leider haben viele Wirtschaftswissenschaftler die Angewohnheit, das Glück einer Gesellschaft mit ihrer Kaufkraft gleichzusetzen.» Layard argumentiert, dass Glück/lichsein die einzige Möglichkeit darstelle, um Entwicklung und Fortschritt zu messen: «Die beste Gesellschaft [ist] diejenige, in der die Bürger am glücklichsten sind.» Eine der grundlegenden Annahmen dieser Wissenschaft ist, dass Glück/lichsein etwas Positives sei und dementsprechend nichts besser sein kann als dieses Glück/lichsein auf das höchste Mass zu bringen. Die Glücksforschung nimmt an, dass Glück/lichsein «da ist», dass man Glück/lichsein messen kann und dass diese Messungen objektiv sind: Sie wurden «Hedonimeter» genannt. Wenn die Glücksforschung davon ausgeht, dass Glück/lichsein «da ist», wie definiert sie Glück/lichsein dann? Richard Layard liefert uns erneut einen brauchbaren Anhaltspunkt. Er sagt: «Glück ist, wenn wir uns gut fühlen, und Elend bedeutet, dass wir uns schlecht fühlen.» Glück/lichsein bedeute «[sich] gut [zu] fühlen», was nahelegt, dass wir Glück/lichsein messen können, weil wir messen können, wie gut sich Menschen fühlen. Also bedeutet Glück/lichsein ist «da» eigentlich «hier». Die Vorstellung davon, Glück/lichsein messen zu können, schliesst den Glauben mit ein, Gefühle messen zu können. Layard führt an, dass es «den meisten Menschen […] leicht [fällt] zu sagen, wie gut sie sich in einem bestimmten Moment fühlen.» Glücksforschung gründet sich hauptsächlich auf Selbsteinschätzungen: Studien messen, wie glücklich Menschen laut eigenen Aussagen sind, vorausgesetzt, sie sind wirklich glücklich, wenn sie sagen, dass sie es seien. Dieses Modell geht sowohl von einer Transparenz der Selbstempfindung (dass wir wissen, wie wir uns fühlen und es auch ausdrücken können) als auch von dem unbegründeten und unkomplizierten Wesen der Selbsteinschätzung aus. Wenn wir bereits annehmen, dass Glück/lichsein etwas ist, das wir uns wünschen, ist die Frage danach, wie glücklich wir sind, keine neutrale Frage. Nicht nur sollen Menschen durch diese Frage ihre Lebensumstände bewerten, sie sollen dadurch auch ihre Lebensumstände anhand von Kategorien bewerten, die werturteilsbehaftet sind. Messungen könnten den relativen Wunsch nach Glück/lichsein messen oder sogar den relativen Wunsch, über das eigenen Lebensglück (sich selbst oder anderen gegenüber) zu berichten, anstatt einfach nur zu messen, wie Menschen über ihr Leben als solches denken. Es spielt keine Rolle, wie wir über Gefühle denken. Die Glücksforschung beruht vor allem auf der Vorstellung der Transparenz von Gefühlen als auch auf der Annahme, dass sie die Grundlage für ein moralisches Leben darstellen. Wenn etwas gut ist, fühlen wir uns gut. Wenn etwas schlecht ist, fühlen wir uns schlecht. Dementsprechend baut die Glücksforschung auf einem sehr spezifischen Modell der Sub-


Sara Ahmed

«Das bedeutet nicht, dass wir das Glück immer finden. Tatsächlich könnten wir eher sagen, dass Glück/lichsein einflussreicher wird, je mehr es als etwas gesehen wird, das sich in einer Krise befindet.»

jektivität auf, in dem der Mensch weiss, wie er sich fühlt und wo die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Gefühlen sicher ist und die Grundlage für subjektives als auch soziales Wohlbefinden bildet. Kulturwissenschaften und die Psychoanalyse können möglicherweise eine wichtige Rolle in diesen Debatten spielen, indem sie alternative Theorien der Affekte liefern, die nicht auf einem Subjekt basieren, das sich seiner selbst komplett bewusst ist, einem Subjekt, das immer weiss, wie es sich fühlt. Kulturelle und psychoanalytische Annäherungsweisen können untersuchen, wie gewöhnliche Verbundenheiten zu der Vorstellung eines guten Lebens auch ambivalent sind, indem Verwirrtheit anstelle von der Trennung von guten und schlechten Gefühlen eine Rolle spielt. Dann würde das Lesen von Glück/ lichsein zu einer Frage der Grammatik dieser Ambivalenz werden. Glücksforschung misst nicht einfach Gefühle; sie bewertet auch die Ergebnisse. Glück/lichsein zu messen, generiert vor allem Wissen über die Verteilung von Glück/lichsein. Die Glücksforschung hat Datenbanken produziert, die zeigen, wo Glück/lichsein verortet ist und diese Daten sind grösstenteils an einem vergleichenden Modell vorhersagbar. Datenbanken zum Glücklich/sein zeigen uns, welche Individuen glücklicher sind als andere, als auch welche Gruppen oder Nationen glücklicher sind als andere. Die Glücksforschung stellt Zusammenhänge zwischen Ebenen des Glück/lichseins und sozialen Indikatoren her und stellt somit sogenannte «Glücks-Indikatoren» auf. Glücks-Indikatoren sagen uns, welche Menschen glücklicher sind; sie fungieren nicht nur als Massstab für Glück/lichsein, sondern auch als Vorhersagen für das Glück/lichsein. So behaupten Frey und Stutzer in Happiness and Economics, dass soziale Indikatoren vorhersagen können, wie glücklich verschiedenen Menschen sein werden und damit sogenannte «Glücks-Psychogramme» erschaffen.

Einer der grundsätzlichen Glücks-Indikatoren ist die Ehe. Eine Ehe wird als «die beste aller Möglichkeiten» definiert, da sie Glück/lichsein auf die höchste Stufe stellt. Es wird argumentiert: Wenn du verheiratet bist, wirst du mit grösserer Wahrscheinlichkeit glücklicher, als wenn du nicht verheiratet bist. Diese Feststellung ist gleichzeitig ein Rat: Heirate und du wirst glücklich sein! Diese enge Verbindung zwischen der Messung und der Vorhersage hat eine mächtige Wirkung. Die Glücksforschung kann als performativ beschrieben werden: Indem sie an bestimmten Orten Glück/lichsein findet, erzeugt sie solche Orte als gute Orte, als Orte, die als Güter beworben werden sollten. Korrelationen werden als Kausalzusammenhänge gelesen, die dann die Grundlage für die Bewerbung bilden. Wir bewerben das, was ich im ersten Kapitel die «Glücks-Ursachen» nenne, was wiederum auch dazu führen kann, dass erst über Glück/lichsein berichtet wird. Somit beschreibt die Glücksforschung das, was bereits als gut bewertet wurde, erneut als Güter. Wenn wir dazu verpflichtet sind, die Dinge zu fördern, die uns glücklich machen, dann wird Glück/lichsein an sich zu einer Pflicht. Ich werde in diesem Buch der Bedeutung der «Pflicht zum Glück/lichsein» auf den Grund gehen. Das bedeutet nicht, dass wir das Glück immer finden. Tatsächlich könnten wir eher sagen, dass Glück/lichsein einflussreicher wird, je mehr es als etwas gesehen wird, das sich in einer Krise befindet. Die Krise des Glück/lichseins funktioniert hauptsächlich als Schilderung der Enttäuschung: Auf die Anhäufung von Reichtum folgte nicht auch eine Anhäufung des Glück/lichseins. In erster Linie wird diese Krise überhaupt erst durch die regulierende Wirkung einer sozialen Annahme zu einer Krise: dass grösserer Reichtum Menschen glücklicher machen sollte. Richard Layard beginnt seine Glücksforschung mit dem, was er als Paradox beschreibt, denn «obwohl die Menschen im Westen seit Jahrzehnten immer reicher werden, sind sie keineswegs glücklicher geworden.» Wenn die neue Glücksforschung Glück/lichsein von Reichtumsanhäufungen trennt, verortet sie weiterhin Glück/lichsein an bestimmten Stellen, vor allem der Ehe, die weithin als hauptsächlicher «Glücks-Indikator» gesehen wird, als auch in stabilen Familien und Gemeinschaften. Glück/lichsein wird dort gesucht, wo erwartet wird, dass es gefunden wird, selbst wenn es dort fehlt. Dabei fällt auf, dass die Krise des Glück/lichseins soziale Ideale nicht hinterfragt hat und wenn überhaupt ihre Herrschaft über das psychische und politische Leben erneut bekräftigt hat. Die Forderung nach Glück/lichsein wird immer mehr als Forderung nach einer Wiederkehr zu sozialen Idealen artikuliert, so als läge die Erklärung für die Krise des Glück/lichseins nicht im Scheitern dieser Ideale, sondern in unserem Scheitern, ihnen zu folgen. Und in Zeiten der Krise nimmt die Sprache des Glück/ lichseins wohl eine noch mächtigere Herrschaft an. b Aus: Sara Ahmed, Das Glücksversprechen. Münster 2018, UNRAST Verlag © UNRAST Verlag. Sara Ahmed (*1969 in England) ist Autorin, Wissenschaftlerin und feministische Aktivistin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Postcolonial Studies, feministische und queere Theorie. Sie setzt sich insbesondere mit den Fragen auseinander, wie Körper und Welten Gestalt annehmen und wie Macht in alltäglichen Lebenswelten und institutionellen Kulturen gesichert und in Frage gestellt wird. Darüber hinaus betreibt sie seit Jahren den Blog feministkilljoys.com Dass das stete Streben nach Glück die Menschen seit jeher beschäftigt, veranschaulicht die Ausstellung Der Weg zum Glück. Die Berner Kebes-­Tafel und die Bilderwelten des Barock vom 03.09—28.11.2021 im Kunstmuseum Bern. Im Zentrum der Ausstellung steht die Berner Kebes-Tafel von Joseph Plepp (1633), ein monumentales barockes Gemälde aus den Beständen des Kunstmuseum Bern, das den Weg des Menschen zu einem glücklichen Leben darstellt. Mehr dazu auf S. 46

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Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkei t Monkey off My Back Nach / After David Foster Wallace Inszenierung / Staging: Yana Ross or the Cat’s Meow Premiere: 11. September 2021, Schiffbau-Halle

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Nach / After Macbeth von / by William Shakespeare Inszenierung / Staging: Christiane Jatahy Uraufführung / World premiere: 27. Oktober 2021, Pfauen Eine Produktion des Schauspielhaus Zürich, in Kooperation mit CULTURESCAPES ♥ Affairs

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Von / By Trajal Harrell Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Trajal Harrell Premiere: 3. Dezember 2021, Schiffbau-Halle

King Lear

Von / By William Shakespeare Inszenierung / Staging: Johan Simons Zürich-Premiere: 8. Dezember 2021, Pfauen Eine Übernahme vom / Transferring from Schauspielhaus Bochum ♥ Affairs

Der Ring des Nibelunge n Von / By Necati Öziri Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Uraufführung / World premiere: 21. Januar 2022, Pfauen

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Von / By Fatima Moumouni & Laurin Buser Inszenierung / Staging: Suna Gürler Uraufführung / World premiere: Januar 2022, Schiffbau-Box Unterstützt von / Supported by Max Kohler Stiftung & Ernst Göhner Stiftung Auch interessant für Menschen ab 14 / Also interesting for ages 14 and up

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Ein Visual Poem nach dem Roman von / A visual poem based on the novel by Michael Ende Inszenierung / Staging: Alexander Giesche Premiere: Februar 2022, Schiffbau-Halle

Eine neue Inszenierung Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Premiere: Februar 2022, Pfauen

The Deathbed of Katherine Dunham

Von / By Trajal Harrell Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Trajal Harrell Premiere: März 2022, Kunsthalle Zürich In Kooperation mit / in cooperation with Kunsthalle Zürich The Deathbed of Katherine Dunham ist ein Teil der Trilogie / is part of the trilogy Porca Miseria, beauftragt durch das / commissioned by Schauspielhaus Zürich sowie / and Manchester International Festival, Onassis Stegi, Kampnagel Hamburg, Holland Festival, Barbican, Dance Umbrella, NYU Skirball, Berliner Festspiele & The Arts Center at NYU Abu Dhabi

Moby Dick

Moved by the Motion präsentiert / presents Moby Dick Nach / After: Herman Melville Inszenierung / Staging: Wu Tsang Premiere: März 2022, Pfauen In Kooperation mit dem / In cooperation with the Zürcher Kammerorchester In Koproduktion / In coproduction with deSingel, TBA21-Academy & Luma Foundation

Der Vater

Nach / After August Strindberg Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Zürich-Premiere: April 2022, Pfauen Eine Übernahme der / Transferring from Münchner Kammerspiele

Wilhelm Tell

Nach / After Friedrich Schiller Inszenierung / Staging: Milo Rau Premiere: April 2022, Pfauen Unterstützt von / Supported by Stiftung Corymbo ♥ Affairs

Räuberinnen

Nach / After Die Räuber von Friedrich Schiller Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Zürich-Premiere: Frühjahr / Spring 2022 Ein Gastspiel der / A guest performance by Münchner Kammerspiele


Forum

Sponsorship Credit Suisse

Das Kunstmuseum Bern ist bereit fürs grosse Publikum!

Der Mythos Meret Oppenheim: Was macht die Faszination und ungebrochene Aktualität dieser Künstlerin aus? Das Kunstmuseum Bern hat in der von der Credit Suisse unterstützten Ausstellung Antworten auf diese Fragen gefunden und setzt damit ein Ausrufezeichen in einem nicht einfachen Ausstellungsjahr. Wie nähert man sich einer Ikone wie Meret Oppenheim? Ihrem Wesen, ihrer internationalen Bedeutung, ihrem Schaffen? Diesen Fragen ist das Kunstmuseum Bern gemeinsam mit der Menil Collection in Houston und dem Museum of Modern Art in New York nachgegangen. Die erste grosse transatlantische Retrospektive untersucht das Mysterium Meret Oppenheim aus unterschiedlichen Perspektiven. Erklärtes Ziel ist es dabei, die jüngere Generation mit dem Schaffen und der Vorstellungswelt einer damals avantgardistischen und noch immer nicht leicht einzuordnenden Künstlerin bekannt zu machen. Dabei überrascht es nicht, dass vieles, was Meret Oppenheim ausmacht und beschäftigte, auch heute noch aktuell ist. Als Pionierin eines neuen Selbstverständnisses hat sie die Rolle der Frau hinterfragt — in Bezug auf die stereotypen Geschlechterrollen, aber auch als Künstlerin. Für sie war der Geist androgyn und das Konzept der getrennten Geschlechter blieb ihr fremd. Was damals revolutionär war, ist aus heutiger Sicht nah am Zeitgeist. Schon deshalb sind wir der Meinung, dass es sich lohnt, Meret Oppenheim neu zu entdecken! Die Credit Suisse ist seit 1996 Partnerin des Kunstmuseum Bern und durfte bereits im Jahr 2006 die grosse Oppenheim-Retrospektive «mit ganz enorm wenig viel» unterstützen. Heute, 15 Jahre später, freuen wir uns, dazu beitragen zu können, die Vielschichtigkeit und Aktualität dieser aussergewöhnlichen Künstlerin einem internationalen Publikum näherzubringen. Dass Bern Ausgangspunkt dieser an zwei weiteren Stationen gastierenden Ausstellung ist, hat mit der Expertise des Museums und der besonderen Beziehung von Meret Oppenheim zur Stadt Bern zu tun. Hier lebte und wirkte sie viele Jahrzehnte. Noch heute sichtbares Zeichen ihrer Gegenwart ist der 1983 eingeweihte Brunnen auf dem Waisenhausplatz. Damals heftig umstritten, gehört er inzwischen zu den prägenden Wahrzeichen der Stadt. Die Bedeutung von Kunst für unsere Gesellschaft ist uns allen in den vergangenen Monaten deutlich bewusst geworden. Als Reflexionsfläche und Inspirationsquelle verbindet sie Vergangenheit und Gegenwart zu einer neuen Sichtweise. Wir freuen uns daher sehr, dass Kunstgenuss nun wieder unmittelbarer möglich ist. Gleichzeitig danken wir dem Kunstmuseum Bern für seine Anstrengungen, die laufenden Ausstellungen in der Phase der Einschränkungen virtuell zu vermitteln. Hier wurden neue Wege beschritten, die das Museumserlebnis erweitern und wohl auch in Zukunft bereichern werden. Das sieht auch Martin Arregger, Leiter Private Banking Region Mittelland und Repräsentant der Credit Suisse in Bern, so: «Die Zeit, in der keine Museumsbesuche stattfinden konnten, hat einiges an

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Kreativität in der Vermittlung freigesetzt. Den Fokus auf die Chancen zu legen, eröffnete ganz neue Perspektiven. Genau darum geht’s! Dass nun wieder ein unmittelbares Kunsterlebnis möglich ist, freut uns. Denn die persönlichen Begegnungen sind nicht zu ersetzen.»

Meret Oppenheim, Die Hand (Turm), 1964— 1982, Öl, plastische Masse und Styropor auf Leinwand, 250 × 100 cm, Kunstmuseum Bern, Legat Meret Oppenheim, Foto: Peter Lauri, Bern, © 2021, ProLitteris, Zurich


Forum

Berner Rassismus-Stammtisch Text von Anisha Imhasly

Das Museum als Artefakt

Die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit bringen so manche über Jahrhunderte gewachsene Institutionen in Umund Aufbruch. Aufmerksamen Zeitgenoss:innen mag nicht entgangen sein, dass darunter auch Museen immer stärker in der Kritik stehen: Ihre bürgerliche Repräsentationsmacht und ihr Status als wissenschaftlich-aufklärerische Instanzen werden immer öfter in Frage gestellt. Etwa in Bezug auf rassistische Darstellungen, herabwürdigende Zuschreibungen oder stereotypisierende Narrative, in der Zurückweisung des Exotischen — siehe die Debatten um Restitution von Raubkunst oder jüngst um das Humboldt-Forum in Berlin. Dieses Infragestellen wird oftmals als Provokation verstanden und löst bei vielen Menschen — gerade bei denen, die sich diesen Institutionen seit jeher «zugehörig» fühlen — Abwehrreaktionen aus. Diese Abwehr orientiert sich meist am Topos der Kunstfreiheit (als Pendant zur Redefreiheit) und deutet institutionelle Kritik als Zensur und Ideologie. Was hier folgt ist ein kurzes Plädoyer aus einer diskriminierungs- und machtkritischen Perspektive. Museen stellen historische wie zeitgenössische Artefakte (sprich: von Menschen hergestellte Gegenstände) aus, stellen sie in einen Raum, in einen Kontext, und stellen dadurch Zusammenhänge — Wissen — her. Das Museum ist aber in sich selbst auch ein Artefakt. Kulturgeschichtlich entspringt es einer Ära der globalen wirtschaft­ lichen — und damit kolonialen — Expansion Europas. Wie botanische Gärten zuvor wurden auch historische und naturhistorische Mu­ seen zu physischen Depots für die (oftmals gestohlenen) Schätze, die diese Expansion mit sich brachte. Das Museum wurde zudem zu einem Ort der Wissensproduktion. Die Ordnungssysteme des Museums und der Kunstgeschichte kategorisieren seit jeher, was Kultur ist und was nicht, bzw. wer Kultur hat; was als «zivilisiert» und was als «primitiv» gilt, wer zum «wir» bzw. zum «Anderen» gehört. Dies kann in Bezug auf «race» geschehen, aber auch in Bezug auf Bildung, soziale Klasse und Geschlecht.

Über diese eigenen kulturgeschichtlichen Prämissen und Praktiken schweigt sich das Museum gerne aus. Dabei wäre gerade hier für Museen eine tiefergreifende Auseinandersetzung nötig, die sich heute in einer ganz anderen Alltagsrealität wiederfinden und bis­ weilen unter Legitimationsdruck stehen. Das Publikum, das unsere kulturellen Institutionen besucht oder gar darin beruflich wirken möchte, ist ebenso im Wandel und zunehmend heterogen. Dieses Publikum — das nicht mehr «nur» einer weissen Mittelschicht angehört — hat ebenso Anspruch auf die Repräsentationsräume der Kunst, auf Würde und Anerkennung. Anspruch darauf, nicht in hierarchischen Ordnungssystemen als «Andere:r» kategorisiert, sondern als eigenständiges, handelndes Subjekt wahrgenommen zu werden. Will das Museum als Artefakt der Geschichte eine Zukunft haben, so muss es sich Fragen wie diesen dringend stellen: Wie verhält sich eine Institution zu ihrer eigenen Geschichte und Praxis des Zeigens? Wer erzählt hier wessen Geschichte, und für wen? Ist sie bereit, die eigene kuratorische Haltung sichtbar zu machen? Ist sie bereit, ihre vorwiegend unsichtbare, vermeintlich objektiv-­ allwissende Erzählposition aufzugeben, gar etwas von ihrer Macht und Deutungshoheit abzugeben? b Anisha Imhasly begleitet Transformationsprozesse: als Coach von Einzelpersonen in beruflichen und persönlichen Umbruchphasen, sowie als Beraterin im Bereich Diversität und transkulturelle Öffnung bei Schweizer Kulturinstitutionen und Förderstellen. Hier schreibt sie als Teil des Berner Rassismus-Stammtisch — ein Kollektiv, das all­täglichen sowie strukturellen Rassismus mittels Veranstaltungen und weiteren Aktivitäten the­ matisiert und bezeugt und gegenüber Rassismus in der Öffentlichkeit interveniert. berner-rassismusstammtisch.ch Dienstag, 14. September 2021, 19 Uhr, Kunstmuseum Bern: Rundgang durch die Ausstellung August Gaul. Moderne Tiere aus postkolonialer Perspektive mit Vertreter:innen des Berner Rassismus-Stammtischs, Alliierten und der Kuratorin K. Lee Chichester.

Visual zu DIS-OTHERING AS A METHOD, ein Projekt von SAVVY Contemporary 2018. Zitat in Anlehnung an bell hooks.

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Forum

Schweizerisches Nationalmuseum Text von Denise Tonella

Im Dialog mit der Vergangenheit

Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Was hat die Vergangenheit mit der Gegenwart zu tun? Viel. Sie hilft, den aktuellen Moment zu verstehen und für die Zukunft wichtige Entscheide zu fällen. Kulturhistorische Museen leisten einen Beitrag, diesen Dreiklang der Zeiten für die Menschen verständlich zu machen. Beim Schreiben dieser Zeilen ist meine letzte Ausstellung bereits Geschichte: Die Tore sind geschlossen und die Objekte werden abgebaut. Frauen.Rechte war für mich ein prägendes Projekt. Vielleicht hat die Ausstellung sogar dazu beigetragen, dass ich mich — dank des erhöhten Bewusstseins für das Thema Gleichberechtigung — im letzten Herbst für die Direktionsstelle beworben habe und heute das Schweizerische Nationalmuseum (SNM) leiten darf. Seit meinem Stellenantritt im April werde ich gefragt, welche Aufgabe das SNM für unsere Gesellschaft hat und wie identitäts­ stiftend es sein kann und soll. Wir haben den Auftrag, wichtige Spuren unserer Kulturgeschichte aufzubewahren und sie an ein breites Publikum zu vermitteln. Das ist eine äusserst spannende und gesellschaftlich relevante Aufgabe. Denn in die Vergangenheit zu schauen, öffnet den eigenen Horizont und verleiht Weitblick. Zu erfahren, was und wie es war und warum es bestimmte Entwicklungen gab, erlaubt einen Perspektivenwechsel, schärft den Blick und verschafft im besten Fall Orientierung in der Gegenwart. Genau da sehe ich die Aufgabe des SNM: Mit unseren Ausstellungen und Angeboten möchten wir den Besuchenden Kenntnisse der Vergangenheit und Denkanstösse vermitteln, um die Gegenwart und die Zukunft besser zu verstehen. Idealerweise fördert dies den zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Dialog.

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Ob unsere Museen dadurch Orte der Identitätsstiftung sind? Jein. Im Landesmuseum Zürich, im Château de Prangins und im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz thematisieren und diskutieren wir relevante Fragen, welche die Schweiz und ihre Bewohnerinnen und Bewohner geprägt haben. Das kann identitätsstiftend sein, gleichzeitig aber Identität auch infrage stellen. Es geht im SNM nicht darum, «die» Schweizer Identität zu finden und zu vermitteln, sondern vielmehr, die Schweizer Identitäten und die Vielfalt unserer Geschichte und Kultur zu thematisieren und dadurch immer wieder ein neues «Wir» zu erproben. In diesem Zusammenhang ist mir besonders wichtig, im Dialog mit dem Publikum noch besser zu verstehen, welche Bedürfnisse es hat und wie wir Inhalte noch zielgerichteter vermitteln können, damit sie möglichst alle ansprechen und wir auch jene Bevölkerungsgruppen erreichen, die heute noch nicht ins Museum kommen. Andererseits stellt sich für uns die Frage, welche Werkzeuge wir in Zukunft entwickeln können, um mit der Vergangenheit in Dialog zu treten und räumlich eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Ich sehe uns ein wenig wie Therapeuten der Gegenwart, die wir wie in der Psychoanalyse unser Material aus der Vergangenheit holen und damit nach vorne schauen. Schatzgrube für den Dialog mit der Vergangenheit ist unsere Sammlung. Wir dürfen im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis hunderttausende Objekte konservieren, restaurieren und erforschen. Daraus schöpfen wir, um unsere Ausstellungen zu bestücken, liefern zahlreichen Bildungsinstitutionen Quellenmaterial für ihre Forschungen und möchten in Zukunft die Auseinandersetzung mit diesem materiellen Kulturgut noch weiter stärken. b Denise Tonella, Direktorin Schweizerisches Nationalmuseum


Forum

Kunstmuseum Solothurn Text von Christoph Vögele

Meret Oppenheim in Solothurn: Annalen einer doppelten Entdeckung

Arbeiten auf Papier

Meret Oppenheim, Backsteinbaum, 1954, Kohle, Gouache auf Papier, 42 × 59,5 cm, Kunstmuseum Solothurn, Ankauf 1981

1974 setzte die Schweizer Wiederentdeckung der heute international gefeierten Meret Oppenheim (1913—1985) in Solothurn ein. Der damalige Museumsleiter André Kamber widmete der Künstlerin eine grosse Überblicksausstellung, in der nicht nur die legendäre Pelz­tasse, sondern auch das aktuelle Schaffen präsentiert wurde. 47 Jahre später bietet sich ein weiterer Primeur an: Ein Überblick ihrer Arbeiten auf Papier (23.10.2021—27.02.2022), der als Satellit der Retrospek­ tive im Kunstmuseum Bern auftritt und dank dessen Unterstützung realisiert werden konnte. Das Kunstmuseum Solothurn besitzt einen umfangreichen Werk­ bestand von Meret Oppenheim. Dazu gehören auch 18 Arbeiten auf Papier: Original-Blätter in Tusche, Bleistift, Farbstift, Kohle und Gouache. Seit vielen Jahren engagiert sich das Museum für die Vermittlung von Schweizer Zeichnerinnen und Zeichnern des 19. Jahrhunderts und der Moderne, mit Einzelausstellungen der Arbeiten auf Papier von Cuno Amiet, Albert Anker, Giovanni Giacometti, Otto Morach, Sophie Taeuber-Arp oder Félix Vallotton. Der retrospektive Überblick von Meret Oppenheims Blättern, mit rund 100 Exponaten aus Museumsund Privatbesitz, setzt diese Ausstellungsreihe fort. Die Präsentation folgt sowohl chronologischen wie thematischen Kriterien. In einer musikalisch anmutenden Form der Wiederholung treten dieselben Motive oder Stile im Abstand vieler Jahre auf. Darin kann sich Oppenheims spezifische künstlerische Haltung spiegeln, die dem Umkreisen gleichbleibender Inhalte grössere Bedeutung beimisst als einer stilistischen Handschrift. Gerade die Arbeiten auf Papier, die spontaner und freier entstehen, von Einfällen und Zufällen leben, ermöglichen die Sicht auf eine tiefere, metaphorische Ebene. Darin gleichen ihre assoziativen Zeichnungen den Tag- und Nachtträumen, aus denen Meret Oppenheim für ihr Schaffen schöpft.

Die Ausstellung vermittelt die wichtigsten Motivkreise, zu denen alles Kreatürliche zählt: Mensch, Tier und Pflanzen. Ebenso häufig zeigen sich ihre geistigen Interessen, die sich in abstrahierten, manchmal an Paul Klee erinnernden Blättern spiegeln. Eindrucksvoll sind auch Darstellungen des Himmels, von Wolken und Gestirnen. Poetisch muten die surrealen Wechselbeziehungen zwischen Natur und Menschenwerk an, die sich auf demselben Blatt, wie etwa bei Backsteinbaum (1954, siehe Abb.), begegnen können. Bei der Auswahl der Exponate wurde dem Stilpluralismus, der sich bei den Zeichnungen am deutlichsten zeigt, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hatte sich die Kunstkritik lange an der formalen Inkonsequenz gestossen, kann heute an Oppenheims formaler Unentschiedenheit das Primat des Inhalts umso deutlicher erkannt werden. An der stilistischen und technischen Vielfalt der Werke zeigt sich aber auch der Freiheits-Wille der Künstlerin, sich einer schnellen Festschreibung zu entziehen. Gerade der Wechsel der Stile offenbart, mit welcher Sicherheit sie zu den spezifischen Inhalten das jeweils passende «Kleid» findet. So wirkt etwa der schlichte Realismus der beiden berührenden Bleistiftzeichnungen ihrer toten Mutter naheliegend, ja notwendig, um dem Tod des geliebten Menschen mit Demut begegnen zu können. Die beiden Leihgaben aus dem Nachlass ge­ hören zu den zahlreichen Exponaten, die bislang nie oder nur selten ausgestellt wurden. Zusammen mit den berühmten Meisterblättern bilden sie ein Ensemble, das erstmals einen gültigen Blick auf Meret Oppenheims zeichnerisches Schaffen ermöglicht. b Christoph Vögele, Konservator Kunstmuseum Solothurn

Zur Ausstellung erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich ein reich bebildertes Buch mit vier Aufsätzen.

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Kalender Kunstmuseum Bern

Der Weg zum Glück. Die Berner Kebes-Tafel und die Bilderwelten des Barock 03.09.—28.11.2021 Meret Oppenheim. Mon exposition 22.10.2021—13.02.2022

Zentrum Paul Klee

max bill global 16.09.2021—09.01.2022 Gabriele Münter. Pionierin der Moderne 29.01.—08.05.2022

Jean-Frédéric Schnyder 04.02.—29.05.2022 Meisterkonzerte Gautier Capuçon, Violoncello Sonntag, 12. September 2021 17 Uhr

Lesungen Klara Obermüller liest aus Die Glocken von San Pantalon Sonntag, 26. September 2021 11 Uhr

Martin Fröst, Klarinette & Quatuor Ébène Sonntag, 7. November 2021 17 Uhr

Reto Hänny liest aus Sturz Sonntag, 10. Oktober 2021 11 Uhr

Julia Fischer, Violine & Yulianna Avdeeva, Klavier Dienstag, 16. November 2021 19.30 Uhr

Eva Maria Leuenberger liest aus kyung Sonntag, 17. Oktober 2021, 11 Uhr

Piotr Anderszewski, Klavier Sonntag, 5. Dezember 2021 17 Uhr

Sharon Dodua Otoo liest aus Adas Raum Sonntag, 31. Oktober 2021 11 Uhr Simone Meier liest aus Reiz Sonntag, 14. November 2021 11 Uhr Änderungen vorbehalten: zpk.org

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More to See

Musée de l’Orangerie Paris Chaïm Soutine/Willem de Kooning, la peinture incarnée 15.09.2021—10.01.2022 Diesen Herbst zeigt eine Ausstellung im Musée de l’Orangerie den Maler der Pariser Schule mit russischer Herkunft Chaïm Soutine (1893—1943) in Verbindung mit dem abstrakt-expressionistischen US-amerikanischen Künstler Willem de Kooning (1904— 1997). In Zusammenarbeit mit der Barnes Foundation in Philadelphia werden etwa fünfzig Werke nach Themen zusammen­ge­ bracht, die im Œuvre beider Künstler von Bedeutung sind: die Spannung zwischen Abstraktion und bildlicher Darstellung, die Verschmelzung von Figur und Landschaft, die gestische Malweise und das besondere Interesse an der Darstellung des «Fleisches». De Kooning hat seine tiefe Faszination für Soutine bekannt; in dessen Werk sah er eine Legitimation für seinen eigenen ausdrucksvollen Stil an der Grenze zwischen Figuration und Abstraktion. Soutines Bedeutung für die Kunstschaffenden des Abstrakten Expressionismus in den 1940erund 1950er-Jahren wurde bereits mehrfach betont. Nun bringt diese Ausstellung erstmals das besondere Verhältnis de Koonings zu dem «verfluchten Künstler» der Pariser Schule ans Licht. Empfohlen von Alyssa Pasquier Volontärin Sammlung Ausstellungen Forschung Zentrum Paul Klee musee-orangerie.fr

Fondation Beyeler Riehen CLOSE-UP Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Alice Neel, Marlene Dumas, Cindy Sherman, Elizabeth Peyton 19.09.2021—02.01.2022 Im Nachklang des letzten Frauenstreiks und einer Kunstwelt, die noch immer durch männliche Künstler dominiert wird, trifft die Ausstellung CLOSE-UP den Nerv der Zeit. So verleiht sie neun Künstlerinnen eine Stimme, deren Arbeiten unterschiedlichste Positionen innerhalb der Geschichte der Moderne seit 1870 bis heute vertreten. Es ist der Zeitraum, zu dessen Beginn es weiblichen Kunstschaffenden in Europa und Amerika erstmals möglich wurde, auf breiter Basis professionell tätig zu sein. Der Fokus der Ausstellung liegt dabei auf Porträtdarstellungen, die sich durch den sich stets wandelnden Blick der Protagonistinnen auf ihre Umgebung, auf ihr Gegenüber und auf sich selbst auszeichnen. Sei dies in den intimen Porträts von Mary Cassatt, den spannungsgeladenen Werken von Marlene Dumas oder in der kritischen Auseinandersetzung Cindy Shermans mit Darstellungskonventionen des Kinos oder der Werbung. Diese neun individuellen Positionen fügen sich in der Ausstellung zu einem schillernden Gesamtbild aus weiblichen Eindrücken zusammen, das zeitlos und zugleich hochaktuell erscheint.

Landschaftspark Binntal Twingi Land Art 19.06.—17.10.2021 Hoch über der Binna schlängelt sich die alte Wagenstrasse dem Fels entlang durch die Twingischlucht ins Binntal. Dieses Baukunstwerk aus dem 19. Jahrhundert bietet seit 15 Jahren von Sommer bis Herbst die Bühne für eine besondere Land Art-Ausstellung. Rund ein Dutzend Werke, verteilt über knapp drei Kilometer, reagieren auf die Landschaft und das historische Strassenstück — auf das Grau des Schiefersteins, den steil abfallenden Fels, das Rauschen des Flusses, die Natursteintunnel. Dieses Jahr zu sehen ist etwa ein Balkon von Kaspar Bucher, hoch oben am Felsen, verheissungsvoll, aber unerreichbar. Ein riesiger Steinbrocken mit Ohrschutz von Maria Ceppi droht jeden Moment ohren­ betäubend in den Abgrund zu donnern. Daneben hat es auch stille Werke, wie der Baumstrunk von Sarah Hillebrecht, der ein elegantes Paillettenkleid aus goldigen Reissnägeln trägt. Die von Luzia Carlen sorgfältig kuratierte Schau ermöglicht jedes Jahr, die gewaltige Schlucht neu zu entdecken — und zu erkennen, wie klein hier der Mensch und wie klein hier auch grosse Kunst ist. Empfohlen von Nadine Franci Leiterin Graphische Sammlung Kunstmuseum Bern landschaftspark-binntal.ch

Empfohlen von Svenja Eckell Registrarin Zentrum Paul Klee fondationbeyeler.ch

Chaïm Soutine (1893— 1943), Le Village, 1923, Öl auf Leinwand, 73,5 × 92 cm, Paris, musée de l’Orangerie, © photo Musée d’Orsay, dist. Rmn — Grand Palais / Hervé Lewandowski

Marlene Dumas, Teeth, 2018, Öl auf Leinwand, 40 × 30 cm, Privatsammlung, Madrid © Marlene Dumas. Courtesy the Artist and David Zwirner, Photo: Kerry McFate

Kaspar Bucher, Platform, 2021, Foto: Matthias Luggen

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Agenda

Kunsthalle Bern Monika Baer 16.10.—12.12.2021 In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in der Schweiz seit den neunziger Jahren werden jüngere Werkserien von Monika Baer im Zentrum stehen, ergänzt durch eine punktuelle Auswahl älterer Arbeiten. Die Ausstellung der Gewinnerin des Hannah-Höch-Preises 2020 wird mit bislang noch nie gewagten Dialogen zwischen den Malereien überraschen und gänzlich neue Werke beinhalten. Helvetiaplatz 1, 3005 Bern kunsthalle-bern.ch

Kunsthaus Langenthal Cathy Josefowitz. The Thinking Body Inka ter Haar. LOVE 26.08.—14.11.2021 In der bislang grössten Ausstellung des Werks von Cathy Josefowitz (1956—2014) wird die ganze Fülle ihres Schaffens gezeigt, in dem Malerei und Zeichnung im Dialog mit choreografischer Arbeit stehen. Die Ausstellung ist ein Projekt mit dem Centre culturel suisse. Paris und dem MACRO Roma. Inka ter Haar (*1980) zeigt in ihrer ersten grossen Einzelausstellung eine Serie neuer Arbeiten. Marktgasse 13, 4900 Langenthal kunsthauslangenthal.ch

Kunsthaus Centre d’art Pasquart Biel/Bienne Emma Talbot GHOST CALLS AND MEDITATIONS 12.09.—21.11.2021 In Emma Talbots (*1969, GB) multimedialem Werk bildet stets die Zeichnung den Ausgangspunkt für ihre Auseinandersetzung mit Fragen unserer Zeit, von der Umwelt über Gender bis hin zur Art und Weise, wie wir kommunizieren. In ihren leuchtenden, auf Seide gemalten Zeichnungen kombiniert sie oft Wort und Bild, um die Lyrik und den Schmerz der Subjektivität auszudrücken.

Kunstmuseum Thun Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) 04.09.—28.11.2021 Die thematische Ausstellung widmet sich der traditionsreichen Frucht Apfel aus künstlerischer wie aus wissenschaftlichkulturhistorischer Perspektive. Ein Projekt von Pawel Freisler und Antje Majewski. Mit Brigham Baker, Jimmie Durham, Agnieszka Polska und Didier Rittener. Hofstettenstrasse 14, 3602 Thun kunstmuseumthun.ch

Seevorstadt 71, Faubourg du Lac, 2502 Biel/Bienne pasquart.ch Oben: Monika Baer, Bay view, 2009, Wasserfarbe und Acryl auf Leinwand, Naht, 83,5 × 71 cm, Courtesy Monika Baer und Galerie Barbara Weiss, Berlin

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Unten: Emma Talbot, Ghost Calls (Detail), 2021, Acryl auf Seide, Courtesy Cara Pirie and DCA

Oben: Cathy Josefowitz, Sans titre, 1974, Gouache auf Papier, 69 × 95,5 cm, Courtesy of the Artist

Unten: Antje Majewski, Gelbe Schleswiger Renette, 2014, oil on wood, 40 × 80 × 3 cm, © Antje Majewski / © 2021, ProLitteris, Zürich, photo by Jens Ziehe, Berlin, courtesy the artist and neugerriemschneider, Berlin

Musée des beaux-arts Le Locle 10. Triennale für zeitgenössische Druckkunst 23.10.2021—09.01.2022 Die Ausstellung bringt Künstlerinnen verschiedener Generationen zusammen, die sich mit Identität, Politik, Universalität oder Introspektion und insbesondere mit dem weiblichen Dasein auseinandersetzen. Darunter Louise Bourgeois als wichtige historische Figur und die zeitgenössischen Künstlerinnen Laia Abril, Billie Zangewa, Batia Suter und Sophie Wietlisbach. Marie-Anne-Calame 6, 2400 Le Locle mbal.ch

Musée jurassien des Arts Moutier Cantonale Berne Jura 12.12.2021—30.01.2022 In den kontrastreichen Räumen des Museums wird die Vielfalt der zeitgenössischen Kunst in den Kantonen Bern und Jura gezeigt. Die Arbeiten von rund dreissig Künstler:innen, die in unterschiedlichen Medien arbeiten, treten in einen Dialog. Rue Centrale 4, 2740 Moutier musee-moutier.ch

Oben: © Laia Abril, Ala Kachuu (Bride Kidnapping), Kyrgyzstan, Power Rape, On Rape, 2019. Courtesy Galerie Les filles du Calvaire

Unten: Cantonale Berne Jura — édition 2020, Foto: Musée jurassien des Arts Moutier © les artistes


Agenda

Museum Franz Gertsch Die schönsten Bilder. Otto Wyler begegnen 18.09.2021—27.02.2022 Die Schau konzentriert sich auf Gemälde aus den 1900er- bis 1960er-Jahren. Sie bietet Gelegenheit, dem Schweizer Künstler Otto Wyler wieder zu begegnen und seine eigenständige Verarbeitung der künstlerischen Strömungen der Zeit zu entdecken. Anhand der Themen Porträt, Akt, Stillleben und Landschaft sowie mit Reiseszenen aus Marokko und Frankreich ergibt sich ein umfassendes Bild. Platanenstrasse 3, 3400 Burgdorf museum-franzgertsch.ch

Stadtgalerie George Steinmann FUTURE NOW (Kunst im Horizont der Agenda 2030) 30.10.—11.12.2021 Der Titel der Ausstellung FUTURE NOW in der Stadtgalerie ist ein Aufruf: Zukunft jetzt! George Steinmann reagiert auf die fehlende Präsenz der Kunst und Kultur in der «Agenda 2030» zur weltweiten Sicherung nach­ haltiger Entwicklung. Die Ausstellung gibt Einblick in den Prozess Steinmanns in der Wechselwirkung von künstlerischen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. PROGR, Waisenhausplatz 30, 3011 Bern stadtgalerie.ch

Oben: Otto Wyler, Blumenstillleben, 1912, Öl auf Leinwand / oil on canvas, 43 × 53,5 cm, Privatsammlung / private collection, © Nachlass / estate of Otto Wyler

Unten: George Steinmann, Mindmaps: Symbioses of Responsibility, 2017, Ausschnitt Installation, Blaubeersaft, Tusche, Kugelschreiber auf Papier, Masse variabel, Courtesy the Artist

Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel Henry Brandt 14.11.2021—29.05.2022 Anlässlich seines 100. Geburtstages wird Henry Brandt (1921—1998) erstmals eine grosse Ausstellung gewidmet. Die Schau präsentiert das Werk dieser bedeutenden Figur des Schweizer Kinos und Schöpfers einzigartiger Dokumentarfilme über Afrika und die Schweiz. Die Ausstellung beleuchtet zudem das noch weitgehend unbekannte fotografische Schaffen Brandts. Esplanade Léopold-Robert 1, 2000 Neuchâtel mahn.ch

Museum für Gestaltung Zürich Alberto Venzago: Taking Pictures — Making Pictures 09.07.2021—02.01.2022 Virtuos pendelt der Zürcher Alberto Venzago zwischen Reportage und Werbung, Dokumentation und Inszenierung. Kritisch dokumentiert er das Weltgeschehen, erzählt bewegende Geschichten und schafft schillernd konstruierte Porträts. Venzagos erste Museumsausstellung ist eine opulente Retrospektive seines Werks als Fotograf und Filmemacher. Ausstellungsstrasse 60, 8005 Zürich museum-gestaltung.ch Oben: Henry Brandt, Lutteurs, Bratsk, Sibérie, URSS, 1968, Diapositive 24 × 36 mm, Fonds Henry Brandt, Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel (Suisse)

Unten: Alberto Venzago, Spiegelkuss, Klub Kaufleuten, Zürich, Schweiz, 1995 © Alberto Venzago

Migros Museum für Gegenwartskunst Korakrit Arunanondchai Songs for dying / Songs for living 18.09.2021—09.01.2022 Die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers Korakrit Arunanondchai (*1986, Bangkok) in der Schweiz zeigt Videoarbeiten, raumgreifende Installationen, Malerei und Performance. Es sind Erzählungen von Erinnerung, Trauer, Transformation und Gemeinschaft mit Bezügen zu Thailand, Popkultur und Globalisierung. Limmatstrasse 270, 8005 Zürich migrosmuseum.ch

Kunstmuseum St. Gallen Marie Lund 30.10.2021—27.03.2022 Körper, Alltagsobjekte und Architektur­ elemente sind Ausgangspunkte der künstlerischen Recherche der dänischen Künstlerin Marie Lund (*1976). Sie ver­ wendet eine Vielzahl von Materialien wie Kupfer, Beton, Gips oder Textilien. Für die Präsentation im Kunstmuseum St. Gallen entstehen neue plastischen Arbeiten, die bis in den Aussenraum ausgreifen. Museumstrasse 32, 9000 St.Gallen kunstmuseumsg.ch Oben: Korakrit Arunanondchai, Songs for dying, 2021, Videostill, Courtesy the artist, Bangkok CityCity Gallery, Bangkok, Carlos/ Ishikawa, London, C L E A R I N G, New York/Brussels, Kukje Gallery, South Korea

Unten: Marie Lund, The Apartment, 2020, Aluminium, Nylongurte und Beschläge, 33 × 100 × 40 cm, Courtesy die Künstlerin und Croy Nielsen, Wien

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BAUKULTUR UND DIE STADT Vittorio Lampugnani, ETHZ/Baukontor Architekten Marianne Burkhalter, Gestaltungsbeirat Salzburg/Burkhalter-Sumi Architekten Werner Binotto, ehem. Kantonsbaumeister St.Gallen Marcel Smets, KU Leuven/ehem. Baumeister von Flandern Katrin Gügler, Baukollegium/ Direktorin Amt für Städtebau Zürich Yvonne Farrell und Shelley McNamara USI/Grafton Architects Dublin Susanne Eliasson, GRAU Paris Kees Christiaanse, ETHZ/KCAP Rotterdam, Zürich Salvador Rueda, IAAC Barcelona Paola Viganò, EPFL/Studio Paola Viganò Milano, Brussels

Anmeldung erforderlich www.stiftung-baukultur-schweiz.ch


Membership

Der Weg zum Glück:

Schwelgen, Zweifeln und Stark-sein in Bildern des Kunstmuseums Joseph Plepp, Die Berner Kebes-Tafel, um 1633, Öl auf Leinwand, 161,4 × 308,2 cm, Kunstmuseum Bern, Staat Bern

Die Ausstellung Der Weg zum Glück. Die Berner Kebes-Tafel und die Bilderwelten des Barock führt in die materielle und visuelle Kultur Berns im 17. Jahrhundert ein. In Grafiken, Zeichnungen und Gemälden des Kunstmuseums macht die Schau vorstellbar, wie sich die Menschen im 17. Jahrhundert über Werte, Regeln und Ideale verständigten.

Konzipiert und ausgearbeitet wurde die Schau von Studierenden im Rahmen zweier Seminare des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Bern. Nachdem im Herbst 2018 die Abteilung für Kunstgeschichte der Neuzeit neu besetzt worden war, gab es bald erste Gespräche mit den Kolleg:innen vom Kunstmuseum. Die Direktorin Nina Zimmer lud das Team um Professorin Urte Krass ein, mit der beachtlichen, jedoch selten ausgestellten Sammlung Alter Kunst zu arbeiten. Zusammen mit Annette Kranen wurde der Plan entwickelt, die sogenannte Kebes-Tafel des Berner Malers Joseph Plepp (1595–1642) in den Mittelpunkt einer Ausstellung zu rücken. Dieses 1633 entstandene riesige Gemälde stellt mit mehr als 200 Figuren die Irrungen und Wirrungen des Menschen auf seinem Lebensweg dar. Dieser ist in drei Zonen geteilt, die es auf dem Weg zum Glück zu durchlaufen gilt: Einmal ins Leben eingetreten, sind alle Menschen den Launen des Schicksals, den personifizierten Begierden und falschen Meinungen ausgesetzt. Nur durch Vernunft, Bil-

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dung und mithilfe von Tugenden vermögen einige schliesslich in die dritte Zone, zur Erkenntnis dessen zu gelangen, was wirklich wichtig ist im Leben. Die Darstellung basiert auf einem antiken Text. Plepp nutzte für sein Gemälde einen Kupferstich des niederländischen Künstlers Hendrick Goltzius als Vorlage. Ein erstes Seminar zu diesem Projekt fand im Herbstsemester 2019 statt. Hier ging es vor allem um das «Erforschen, Präsentieren und Vermitteln» der Kunst des Berner Barock und speziell um die Geschichte der Kebes-Tafel. Eine Herausforderung bestand darin, den zwanzig Studierenden in nur wenig mehr als drei Monaten sowohl grundlegende Kenntnisse der Kunst des Barock in der Schweiz zu vermitteln als auch in einem diskursiven Prozess ein Narrativ für die Ausstellung zu entwickeln. Zum Ende des Semesters kristallisierte sich ein klares Konzept heraus. Die Ausstellung soll das Publikum selbst in drei Stationen den Weg nachvollziehen lassen, den die Kebes-Tafel aufzeigt: Zunächst werden die zeittypischen materiellen Versuchungen und die Gaben der Fortuna aufgezeigt. In einem zweiten Raum folgt die Problematisierung der moralischen Entscheidungen, des tugendhaften und klugen Handelns. Im dritten Raum schliesslich finden sich Bilder, die die ideellen Werte vermitteln, die man im Bern des 17. Jahrhunderts hochhielt. Wie so viele Projekte musste auch diese Ausstellung, die ursprünglich für den Herbst

2020 geplant war, wegen der Covid-19-Pandemie verschoben werden. Auch wenn dies gerade für die beteiligten Studierenden bitter ist, da sie grösstenteils in der Zwischenzeit ihr Studium abgeschlossen haben und wegen beruflicher Verpflichtungen nicht mehr am geplanten Rahmenprogramm mitwirken können, bot sich damit auch eine Chance. Während des virtuell durchgeführten Frühlingssemesters 2021 hat eine weitere Gruppe von fünfzehn Studierenden an Katalognummern für den Ausstellungskatalog gearbeitet und leistet so einen Beitrag zur Vermittlung der einzelnen Werke en détail. Zur Eröffnung wird der Katalog, der zusätzlich vier Essays rund um die Themen der Ausstellung enthält, erscheinen. Dank der Zusammenarbeit mit AnneChristine Strobel, die die Koordination zwischen dem Museum und den beiden Kuratorinnen und den Studierenden übernommen hat, erwiesen sich die vergangenen Monate als eine lehrreiche und anregende Zeit. Wir freuen uns über die seltene Möglichkeit, die universitäre Lehre mit einer Ausstellung im Berner Kunstmuseum verknüpfen zu können. Das Projekt bot für die Studierenden eine grossartige Chance, das Betriebssystem Kunst kennenzulernen, wie es sich in einem renommierten Museum wie dem Berner Kunstmuseum heute darstellt. b Annette Kranen und Urte Krass, Universität Bern, Institut für Kunstgeschichte


Membership Verein der Freunde Kunstmuseum Bern

Freunde ZPK

Bernische Kunstgesellschaft BKG

Berner Kunstfonds

Die Mitglieder des Vereins der Freunde Kunstmuseum Bern leisten einen wertvollen Beitrag an das Museum und an das Berner Kunstleben. Der Verein erwirbt mit den Beiträgen seiner Mitglieder hauptsächlich Kunstwerke für das Museum und rundet damit die Sammlung in ihren Schwerpunkten ab.

Als Freund:in des Zentrum Paul Klee profitie­­ren Mitglieder von freiem Eintritt in alle Ausstellungen, umfassenden Informationen über die viel­ fältigen Aktivitäten des Zentrum Paul Klee und exklusiven Einblicken.

Die BKG fördert das Verständnis für die zeitgenössische Kunst und unterstützt insbesondere begabte junge Kunstschaffende, das Kunstmuseum Bern sowie die Kunsthalle Bern. Die BKG veranstaltet Führungen in Ausstellungen und organisiert Kunstreisen, Atelierbesuche und Vorträge. Jährlich vergibt sie mit dem Louise Aeschlimann und Margareta Corti-Stipendium den höchstdotierten privaten Kunstpreis der Schweiz. Im Jahr 1813 gegründet, gehört die BKG zu den ältesten In­ stitutionen, die sich in der Schweiz der Kunstförderung widmen.

1993 wurde der Berner Kunstfonds durch den Verein der Freunde Kunstmuseum Bern, die Bernische Kunstgesellschaft BKG und die Kunsthalle Bern gegründet, um die Be­ ziehungen zu Mäzen:innen und Sponsor:innen auf privatwirtschaftlicher Basis zu pflegen und zu koordinieren. Die Mitglieder leisten jährlich mit rund CHF 90 000 einen wichtigen Beitrag zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kunstmuseum Bern und Kunsthalle Bern sowie zur Kunst­vermittlung und zum Kunstleben. Der Berner Kunstfonds zählt an die 60 Mit­ glieder (Private, Firmen und Institutionen).

Mitglieder profitieren von di­ver­­sen Vergünstigungen, Einladungen zu Eröffnungen und exklusiven Veranstal­ tungen. Zudem erhalten sie freien Eintritt in die Sammlung und Wechselausstellungen des Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee. Mehr Infos unter kunstmuseumbern.ch/ vereinderfreunde Verein der Freunde Kunstmuseum Bern Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern +41 31 328 09 44 member@kunstmuseumbern.ch

Zudem leisten Mitglieder einen wichtigen Beitrag an ein in der Schweiz einzigartiges Kunst- und Kulturzentrum. Mehr Infos unter zpk.org/freunde Freunde Zentrum Paul Klee Monument im Fruchtland 3 3006 Bern +41 31 359 01 01 freunde@zpk.org

Den Mitgliedern bietet die BKG freien Eintritt in die Sammlung und Wechselausstellungen des Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee.

Mehr Infos unter kunstmuseumbern.ch/ bernerkunstfonds

Mehr Infos zu den exklusiven Angeboten für BKG-Mitglieder unter kunstgesellschaft.ch

Berner Kunstfonds Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern +41 31 328 09 44 member@kunstmuseumbern.ch

Bernische Kunstgesell­schaft BKG Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern 7 +41 31 328 09 44 info@kunstgesellschaft.ch

Kunsteinsicht Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, info@kunsteinsichtbern.ch. HERAUSGEBER: Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 8—12, 3011 Bern, kunstmuseumbern.ch. Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, 3006 Bern, zpk.org. Gegründet von Maurice E. und Martha Müller sowie den Erben Paul Klee. REDAKTION: Martina Witschi. KORREKTORAT: Gila Strobel. AUFLAGE: 11 000 Ex., erscheint 2-mal jährlich. BEZUG: In der Jahresmitgliedschaft der Gönnervereine enthalten, aufgelegt im Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee. GESTALTUNG: salzmanngertsch.com. DRUCK: staempfli.com. INSERATE: Willy Beutler, +41 31 300 63 82, willy.beutler@staempfli.com und Adrian Weber, +41 31 300 63 88, adrian.weber@ staempfli.com. UNTERSTÜTZUNG: Wir bedanken uns für die grosszügige Unterstützung beim Verein der Freunde Kunstmuseum Bern und der Bernischen Kunstgesellschaft BKG. TITELBILD: Meret Oppenheim, Gesicht in Wolke, 1971, Kugosit und Holz bemalt in Öl und Aquarell, gefirnisst, 39 × 39 × 13 cm, Kunstmuseum Bern, Hermann und Margrit Rupf-Stiftung

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Augenblicke  b Kräutersonne beim

Zentrum Paul Klee: Der Gemeinschaftsgarten nimmt Form an.

b Hoher Besuch: Der

ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Ehefrau Kim So-yeon im Gespräch mit Uli Sigg und Nina Zimmer in der Ausstellung Grenzgänge. Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg.

b   Gross und Klein an der

Eröffnung der Ausstellung August Gaul. Moderne Tiere.

b Eröffnung der Interaktiven Ausstellung Kleines Universum im Kindermuseum Creaviva.

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Augenblicke  b Die Ankunft von August Gauls lebensgrosser Tierskulptur Grosse stehende Löwin in Bern.

b Tierischer Spielplatz:

Unter dem Dach des Zentrum Paul Klee hat sich eine Fuchsmutter mit gleich fünf Jungen einquartiert.

b Direktorin Nina Zimmer

gibt Besuchenden an der Eröffnung einen Einblick in die Forschungsausstellung Paul Klee. Ich will nichts wissen.

b Fotoshooting mit der

Autorin Dorothee Elmiger für die Schweizer Illustrierte im Zentrum Paul Klee.

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Kolumne

Neu denken lernen Text : Michelle Steinbeck / Illustration : Serafine Frey

Heuer jährt sich der Todestag der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington zum zehnten Mal. Ihr Meisterinnenwerk The Debutante befindet sich zuhinterst in der Anthologie des schwarzen Humors. Das umfangreiche Standardwerk des Surrealismus, 1940 herausgegeben von André Breton, lässt mit Leonora Carrington und Gisèle Prassinos nicht mehr als zwei Künstlerinnen zu Wort kommen. Die Sensation ihrer weiblichen Andershaftigkeit wird denn auch wortreich hervorgehoben: Breton stellt die erste als «junge schöne Hexe» vor, die zweite als «Kind-Frau», «junge Chimäre» oder «Feenkönigin». Je mehr ich mich mit der surrealistischen Bewegung auseinandersetze, desto mehr wird klar: Frauen wurden darin grundsätzlich weniger als eigenständige Subjekte 50

denn als mystifizierte Projektionsfläche für Erotik und Sexualität wahrgenommen. Selbst überragende Künstlerinnen wie Carrington waren offenbar nicht davor gefeit, von ihren Kollegen objektiviert zu werden. Für mich, die ich als Autorin mit surrealistischen Herangehensweisen arbeite, ist das zumindest irritierend. Ich plädiere also für einen neuen Surrealismus. Denn es geht nicht um unsterbliche Werke, um in Stein gemeisselte Worte selbsterklärter Genies. Surrealismus, wie ich ihn verstehe, ist ein vielfältiger Prozess, eine Praxis, eine Lebensweise, die auf Indeterminismus und Offenheit basiert. Er ist Ausdruck einer Potenzialität der dinglichen Realität: Er nimmt das Bestehende und entwickelt es weiter — aus «es ist» wird «wie es sein könnte». Surrealismus betrifft somit nicht nur die Kunst, sondern auch Wissenschaft, Politik, Beziehungen, das Leben. Anhand der überwältigenden Herausforderungen unserer Zeit scheint es immer schwerer, überhaupt über die Realität hinauszudenken — besonders das Ausmalen von Utopien bereitet uns Mühe. Der Philosoph Hans Jonas pocht deshalb auf eine Schulung unserer Vorstellungskraft, da sie erst die Handlung bedingt. Auch sein Kollege Gaston Bachelard meint, dass wir unser Denken darauf vorbereiten sollten, neue Arten von Wirklichkeit zu suchen. Surrealismus tut genau das. In diesem Sinne: Viel Spass beim Üben — mit Leonora Carrington!



In Kunst mehr als nur schöne Bilder sehen? Warum nicht. Kunst regt zum Denken an, zeigt neue Perspektiven auf. Uns als Bank ist das wichtig. Kulturell und geschäftlich. Deshalb unterstützen wir das Kunstmuseum Bern. credit-suisse.com/entrepreneurs

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