event. Magazin Ausgabe November 2019

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ZUCCHERO

NICHT SÜSS ...ABER IMMER ZUCKER

Von Thomas Reitmair. Am 8. November ist es so weit! Dann erscheint nach dreieinhalb Jahren wieder ein neues Zucchero-Album. „D.O.C“ heißt und es und fügt sich nahtlos in das Œuvre des Vaters des Italo-Blues ein. Weil ebenso abwechslungsreich wie eh und je. Zucchero hat den Blues, kann aber auch so ziemlich alles andere. Ein Ausnahmemusiker mit einer bewegten Ausnahmekarriere. Werfen wir mal kurz einen Blick zurück.

Zucchero kommt am 25. September 1955 als der Bauernjunge Adelmo Fornaciari in dem Städtchen Roncocesi in der norditalienischen Provinz Reggio nell’Emilia zur Welt. Seine Eltern lieben die Oper, aber er wird laut eigenen Aussagen zuerst von seinem Großvater geprägt. Der war „kein Mann großer Worte“ und „trug immer einen Hut auf seinem Kopf.“ Der Hut ist inzwischen auch schon lange zu seinem modischen Markenzeichen geworden, dem Vernehmen nach besitzt er mehr als 350 Stück. Sein heutiges Pseudonym verpasst ihm eine Grundschullehrerin, die ihn „süß wie Zucker“ findet. Er selbst mag es aber eher dreckiger und verliebt sich in den Blues und in den Rock. „Da wohnte ein afro-amerikanischer Student aus Boston in unserer Nachbarschaft. Er studierte in Bologna Kunst und spielte mir Songs vor, von Wilson Pickett, Aretha Franklin, Ray Charles und Otis Redding: ‚Respect‘, ‚I Got A Woman‘, ‚Sittin’ On The Dock Of The Bay‘ – eine Offenbarung. In Italien war dieser schwarze Sound aus Amerika noch null angesagt, im Radio liefen immer nur Schnulzen, Kitsch. Ich habe mich auf Anhieb verliebt in die Urwüchsigkeit, die Kraft und Emotion des Soul und Rhythm & Blues.“ Wie er dann selber zum Musikmachen gekommen ist, weiß er selbst nicht mehr so genau: „Ich glaube, ich war neun Jahre alt, als ich mein erstes Instrument gelernt habe“ – und zwar Saxophon. Der Rest findet sich, als er um 1970 mit seinen Eltern nach Forte dei Marmi in der Toskana zieht. Dort spielt er bis 1978 in drei lokalen Bands: Le Nuove Luci, Sugar & Daniel und Sugar & Candies. Und entdeckt, dass er es auch als Sänger kann: „Eines Tages hatten wir einen Auftritt, doch der Sänger kam nicht. Da ich der Einzige war, der sich die Texte merken konnte, bin ich kurzerhand eingesprungen und dabei geblieben. Der Sänger hatte noch an demselben Abend die Kündigung auf dem Tisch.“ Und Zucchero sein Ticket für eine Solo-Karriere. Die nimmt 1981 mit dem Lied „Canto te“, mit dem er das Festival von Castrocaro gewinnt,

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EVENT.

Fahrt auf – um 1983 mit dem Debüt-Album „Un po’ di Zucchero“ erst mal wieder zu versanden. Der Knoten platzt dann 1987 mit dem vierten Album „Blue’s“ und vor allem mit der Single „Senza una donna“, laut Zucchero „der Soundtrack zu meiner Scheidung“. Der Song verkauft sich weltweit drei Millionen Mal und das dann vor allem ab 1990 in der Duett-Version zusammen mit Paul Young. Bereits im gleichen Jahr spielt er als erster italienischer Künstler am Moskauer Kreml und spätestens ab hier darf man bereits vom „Weltstar“ sprechen. 1992 hat die Solo-Karriere dann auch schon fast wieder ein Ende, als ihn Brian May und Roger Taylor ein Angebot machen, das man eigentlich nicht ablehnen kann: den Sänger-Posten bei Queen. Zucchero lehnt dankend ab, aber der Begriff „solo“ ist bei ihm in der Folge manchmal eher relativ aufzufassen. Denn es gibt wohl kaum einen anderen Musiker, der die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen derart liebt wie Zucchero. Auf der Liste stehen unter anderem Bryan Adams, The Blues Brothers, Bonwo/U2, Jeff Beck, Ray Charles, Eric Clapton, Joe Cocker, Elvis Costello, Miles Davis, Peter Gabriel, John Lee Hooker, B.B. King, Mark Knopfler, Brian May, Luciano Pavarotti, Iggy Pop, Queen, Alejandro Sanz und Sting. Dementsprechend vielfältig fallen auch die entsprechenden musikalischen Ergebnisse aus. Zusammen mit Altmeister John Lee Hooker zelebriert er den ursprünglichen Blues, zusammen mit Luciano Pavarotti nimmt er die Pop-Arie „Miserere“ auf – alles geht. Die Sache mit der Oper schimmert ohnehin immer wieder durch: „Ich mixe afroamerikanische Grooves mit italienischen Melodien. In der Region, in der ich groß geworden bin, wuchsen auch Pavarotti und Puccini auf. Die Opernkultur hat mich musikalisch geprägt, das ist im Grunde genommen meine Musik.“ Aber eben nicht nur: „Ich liebe eben auch den rauen Sound des Blues-Deltas. Und ich höre kein Radio mehr, sondern mache lieber mein eigenes Ding und folge meinem Herzen.“


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