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Open Source und Telematikinfrastruktur 2.0

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Vorwort

Vorwort

Die gematik setzt in Sachen Transparenz und Zusammenarbeit explizit auf eine Open-SourceKultur. Wie wird diese Kultur intern und extern gestaltet und welche Vorteile ergeben sich daraus?

Unsere Open-Source-Kultur ist noch nicht sehr alt. Die ersten Schritte haben wir mit der Corona-Warn-App gemeinsam mit den Entwickler:innen von SAP gemacht. Wir haben auf GitHub1 die Aufgaben eingeteilt und aus diesem Projekt ist unser internes Open Source Program Office (OSPO) entstanden. Nun möchten wir unsere Prozesse und Werkzeuge für eine Open-Source-Kultur intern etablieren und anschließend nach außen tragen. Die Werkzeuge adressieren Aufgaben wie die Verwaltung der GitHub-Accounts, die Sicherstellung einer Lizenz-Compliance oder die Administration in GitHub. In Workshops vermitteln wir die Open-Source-Kultur auch an andere, die an der Entwicklung beteiligt sind. Gleichzeitig möchten wir ihnen hierbei zeigen, wie durch Open Source die Qualität bei der Softwareentwicklung erhöht und die Geschwindigkeit gesteigert werden kann.

Die Grundidee einer Plattform –die Bereitstellung von Basisdiensten, die durch Dritte ergänzt werden können – wird künftig auch in vielen Aspekten des Gesundheitswesens eine Rolle spielen.

Plattformen werden immer relevanter für die Vernetzung von Unternehmen und Institutionen. An welchen Plattformen ist die gematik bereits beteiligt und welche Potenziale ergeben sich künftig aus ihnen?

In der Entwicklung sind wir auch extern an verschiedenen Open-Source-Aktivitäten beteiligt. Beispielsweise bei Kyklo2, wo wir selbst auch Patches einstellen, um den Quellcode zu verbessern. Bei Jenkins 3 sind wir im Build-Service involviert, wo wir ebenfalls die Software verbessern. Wir sind auch auf Simplifier4 , einer Plattform, auf der wir viel von unserer Arbeit online bereitstellen. Für das Deutschen NotfallvorsorgeInformationssystem (DeNIS) haben wir eine Testplattform aufgebaut, über die wir Laboren und Interessierten eine Möglichkeit der Vernetzung bieten. Die Grundidee einer Plattform – die Bereitstellung von Basisdiensten, die durch Dritte ergänzt werden können – wird künftig auch in vielen Aspekten des Gesundheitswesens eine Rolle spielen. Wir werden auch hier in Zukunft eine gestaltende Rolle einnehmen und durch den Open-Source-Ansatz Plattformen bereitstellen.

Durch eine enge Zusammenarbeit mit Communitys von Entwickler:innen möchte die gematik an Innovationen teilhaben und bei Produkten ein hohes Maß an Sicherheit und Qualität sicherstellen. Welche Aspekte sind bei diesen Kooperationen besonders relevant?

Für uns ist wichtig, dass wir frühzeitiges Feedback zu unseren Entwicklungen bekommen. Die meisten Anwendungen, die wir betreuen, sind als Open Source verfügbar. Das E-Rezept ist ein schönes Beispiel, wo wir ein frühzeitiges Feedback bekamen, wie wir den Code besser und sicherer machen können und welche weiteren Funktionalitäten noch möglich wären. Ähnlich verlief es beim Referenzvalidator 5 , den wir als Open Source zur Verfügung stellten und bei dem wir noch am selben Tag den ersten Änderungsvorschlag, einen sogenannten Pull Request, erhalten haben. Diese Feedbacks gehen natürlich auch in unsere Qualitätssicherung mit ein. Wir sehen, dass diese Interaktion stark gewünscht wird und wir haben den Vorteil, dass viele Verbesserungen an unseren Entwicklungen aus der Community angestoßen werden.

Inwiefern profitieren die Communitys von der Zusammenarbeit mit der gematik?

Ich glaube, wir haben viele kluge Köpfe bei uns und draußen gibt es auch viele kluge Köpfe. Durch ein gemeinsames Arbeiten kann sehr viel Gutes entstehen. Wenn wir einen Vorschlag machen, zum Beispiel durch eine App-Entwicklung, dann kann die Community viel in die Zusammenarbeit einbringen, wir können dadurch aber auch viel zurückgeben. In dieser Form sind wir beispielseise auf der Plattform GitHub aktiv. Wir halten auch Fachkonferenzen und Vorträge, um Wissen an die Community zurückzugeben.

1 GitHub: Netzbasierter Dienst zur Verwaltung von Softwareversionen in Entwicklungsprojekten.

2 Kyklo: Produktinformations- und E-Commerce-Plattform für B2B-Händler und Hersteller.

3 Jenkins: Open-Source-Server, der bei der Softwareerstellung unterstützt.

4 Low-Code-Plattform, mit deren Hilfe und ohne großen Programmieraufwand integrierte Unternehmensanwendungen entwickelt und bestehende Systeme integriert werden können.

5 Referenzvalidator: Überprüft, ob ein Datensatz den Vorgaben entspricht.

Durch ein gemeinsames Arbeiten kann sehr viel Gutes entstehen. Wenn wir einen Vorschlag machen, zum Beispiel durch eine App-Entwicklung, dann kann die Community viel in die Zusammenarbeit einbringen, wir können dadurch aber auch viel zurückgeben.

Mit KIM und TIM bietet die gematik eine Plattform und einen Messenger an, die das Versenden von gesundheitsbezogenen Daten und Informationen sowie die Kommunikation ermöglichen. Welche zukünftigen Möglichkeiten sehen Sie mit den Anwendungen und was sind ihre Ziele?

KIM steht für Kommunikation im Medizinwesen und ist der erste etablierte sektorenübergreifende Kommunikationsdienst. Für die Zukunft sehen wir viele Anwendungsfälle im Bereich der Pflege, etwa für den

Versorgungsplan oder die Pflegeabrechnung. Hier können Verwaltungsvorgänge beschleunigt werden. Die Anwendung des E-Rezeptes ermöglicht eine leichtere Heimversorgung, etwa wenn Folgerezepte nicht vor Ort in der Praxis ausgestellt werden müssen, sondern via App an den Patienten oder die Patientin gehen. Auch Genehmigungsverfahren etwa bei einer Anschluss-Reha können durch digitale Lösungen beschleunigt werden. Wir können also Verfahren in der Verwaltung beschleunigen und den Austausch von Befunden in größerem Maße unterstützen.

TIM, eine Kurzform für Telematikinfrastruktur-Messenger, hingegen ist eher für die Ad-hoc-Kommunikation, ähnlich wie andere Messenger-Dienste, geeignet. Möchte ich mich als Arzt etwa zu einem konkreten Fall mit einer Kollegin austauschen, dann kann ich ihr den Fall schildern, Bilder versenden und bekomme eine schnelle Antwort. TIM kann also als Ergänzung zu KIM verstanden werden. Hier wollen wir die Kommunikation zwischen Leistungserbringenden weiter unterstützen, in einem nächsten Schritt sollen auch Versicherte in diese Kommunikation eingebunden werden. Der Weg zur Telemedizin ist dann nicht mehr weit.

Die Telematikinfrastruktur (TI) ist die Plattform für Gesundheitsanwendungen in Deutschland, mit der TI 2.0 ist eine Weiterentwicklung geplant. Was soll die TI 2.0 leisten können?

Die TI 2.0 wird nicht mit dem großen Knall kommen, sondern wir werden zu bestehenden Angeboten Zusatzangebote schaffen, sodass eine kontinuierliche Migration stattfindet. Mit der Weiterentwicklung wollen wir zum Beispiel digitale Identitäten parallel zur elektronischen Gesundheitskarte für Versicherte einführen, außerdem wollen wir einen konnektorlosen Zugang in die TI über ein sogenanntes TI-Gateway bereitstellen, sodass Ärztinnen und Ärzte künftig nicht mehr mit ihren Konnektoren arbeiten müssen. Es sind viele kleine Schritte, die wir gehen wollen, um von einer hardwarebasierten hin zu einer softwarebasierten Umgebung zu kommen, die sowohl Versicherte als auch Leistungserbringende unterstützen kann, indem wir eine moderne Sicherheitsarchitektur bereitstellen. Am Ende sollen Leistungserbringende mehr Zeit haben, sich auf die Patientinnen und Patienten zu fokussieren und diese sollen mehr Möglichkeiten haben, ihre Daten selbstbestimmt verwalten zu können. Nicht zuletzt soll die leistungserbringende Institution die Versorgung ortsunabhängig gewährleisten können.

Am Ende sollen Leistungserbringende mehr Zeit haben, sich auf die Patientinnen und Patienten zu fokussieren und diese sollen mehr Möglichkeiten haben, ihre Daten selbstbestimmt verwalten zu können. Nicht zuletzt soll die leistungserbringende Institution die Versorgung ortsunabhängig gewährleisten können.

Können Sie hier noch auf zeitliche Meilensteine eingehen, die Sie sich gesetzt haben?

Wir haben gerade die digitalen Identitäten für Versicherte veröffentlicht und rechnen damit, dass die Kassen noch in diesem Jahr die entsprechenden Umsetzungen bereitstellen können, sodass die Versicherten digitale Identitäten bekommen können. Wir gehen davon aus, dass wir Ende des Jahres die ersten Angebote zum TI-Gateway sehen werden, sodass dann die wichtigste Grundvoraussetzung für eine Anbindung an die TI lediglich ein Internetzugang ist. Dieser ist inzwischen glücklicherweise in nahezu jeder Praxis oder Apotheke gegeben. Bei allen anderen Entwicklungen wird man den zeitlichen Rahmen noch sehen.

Durch die elektronische Patientenakte (ePA) sollen Patientinnen und Patienten allein entscheiden können, was mit ihren Daten geschieht, zudem soll eine freiwillige Datenspende für Forschungszwecke möglich sein. Wie läuft diese Bereitstellung ab und welche neuen Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich daraus?

Im Moment darf nicht einmal der Betreiber einer Patientenakte Zugriff auf die Daten haben, es gelten also hohe Sicherheitsstandards. Die Daten, die von dem oder der Versicherten aus der ePA für die Forschung bereitgestellt werden, werden pseudonymisiert und dem Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) übergeben. Diese Daten können dann für Forschungszwecke verwendet werden. Wir liefern also die Daten entsprechend der Datentransparenzverordnung in einem anonymisierten Topf. Die Patientinnen und Patienten können jederzeit ihre Zustimmung geben oder widerrufen.

Die Möglichkeiten, die sich für die Forschung daraus ergeben, sind enorm. Es gibt klinische Studien, bei denen nur noch auf die Bereitstellung der Daten gewartet wird, um eine statistische Auswertung der verschiedenen Indikationen, der verbundenen Medikationen und der geografischen Aspekte vornehmen zu können. Auch intern entwickeln wir User Journeys, um Anhaltspunkte zu finden, wo die Daten genutzt werden können, etwa bei der Prävention, um die Versorgung zu verbessern. Dann lässt sich nicht nur sagen, wie viele Menschen im Alter von über 60 Jahren Kehlkopfkrebs bekommen, sondern wir können Erkenntnisse für die Wirksamkeit von Anwendungen gewinnen.

Für die ePA ist zudem ein Opt-out-Verfahren geplant. Im Ausland gibt es hiermit unterschiedliche Erfahrungen. Wovon hängt Ihrer Meinung nach eine erfolgreiche Umsetzung ab?

Der kritischste Punkt ist ganz banal, nämlich dass die Daten überhaupt in die ePA kommen. Wenn man sich diesen gesamten Entwicklungsprozess ansieht, hängt viel von den entsprechenden Implementierungen im Praxisverwaltungssystem PVS ab, worüber die Daten in die ePA eingespielt werden. In einem nächsten Schritt geht es darum, dass wir die Daten auch tatsächlich nutzen können. Zudem müssen Patientinnen und Patienten erkennen, was ihr Vorteil aus der ePA ist. Sie müssen einen möglichst einfachen Zugriff auf ihre Daten erhalten, um einzusehen, welche Daten gespeichert werden.

Die gematik soll im Zuge der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums mehr Kompetenzen erhalten. Welche Kompetenzen werden hier erweitert und welche zusätzlichen Aufgaben sind damit verbunden?

Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Wir freuen uns natürlich über das Vertrauen, das uns hier entgegengebracht wird. Wir verstehen es als Beweis für die Qualität unserer Arbeit. Alles Weitere werden wir dann im Rahmen des konkreten Gesetzes sehen.

Gibt es Kooperationen oder Plattformen im Ausland, die Sie sich auch in Deutschland zukünftig vorstellen können?

Wir haben in der gematik einen speziellen Bereich, der sich mit dem Themenkomplex Strategie und Sicherheit im europäischen Kontext auseinandersetzt. Wir blicken hier vor allem auf die skandinavischen Länder, die eine gewisse Vorreiterrolle innehaben. Wir stehen in Kontakt mit der schwedischen Digital Health Agency, die zum Beispiel in grenzüberschreitenden Dienstleistungen, wie E-Rezept oder Patient Summary, führend sind, sodass diese auch international genutzt werden können. Wir beobachten auch Finnland, wo schon 100 Prozent der Patientenakten digital verfügbar sind, wovon die Forschung stark profitiert.

Es gibt also viele Länder, die uns in verschiedenen Belangen enorm voraus sind. Es ist wichtig, nicht nur technisch, sondern auch kulturell im Austausch mit anderen Ländern in Europa zu stehen.

Darüber hinaus sind wir mit Frankreich im Kontakt, die den persönlichen Gesundheitsraum „Mon Espace Santé“ mit allen relevanten Daten ins Leben gerufen haben. Sie haben interessante Beschleunigungsstrategien für Prozesse im Gesundheitswesen publiziert, hier stehen wir in einem regelmäßigen Austausch mit der Projektgruppe. Wir sind auch Teil eines Projektes, in dem sichergestellt werden soll, dass EU-Bürger:innen europaweit Zugriff auf ihre Daten haben. Dänemark ist ein Beispiel für die Länder, von denen wir kulturell lernen können, denn dort herrscht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, die eigenen Daten der Forschung zur Verfügung zu stellen, da man als Patientinnen und Patienten davon profitiert. Es gibt also viele Länder, die uns in verschiedenen Belangen enorm voraus sind. Es ist wichtig, nicht nur technisch, sondern auch kulturell im Austausch mit anderen Ländern in Europa zu stehen.

Axel Schulz Program Manager (ART Basic Infrastructure) der gematik

Axel Schulz ist diplomierter Medieninformatiker und seit Januar 2023 Program Manager (ART Basic Infrastructure) der gematik GmbH (zuvor: Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH – gematik).

Axel Bindewalt Partner Head of Healthcare Deutschland KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft abindewalt@kpmg.com

Julia Kaub Partnerin Healthcare KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft jkaub@kpmg.com

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