Festschrift zum 50. Geburtstag von Hartmut Koschyk, MdB

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Was uns tr채gt In Verantwortung vor Gott

und den Menschen

Die Heimat lieben

Deutschland leben

Europa bedenken

Die Welt verstehen


Herausgeber: Dr. Oliver Junk Jan Oliver Scheller

Gestaltung: Satz: Druck: ISBN:

Christian Schultze Benjamin Querner Ruksaldruck, Berlin 978-3-00-027523-4

©2009, VDA-Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Kölnstraße 76, 53757 Sankt Augustin Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


Was uns tr채gt

Gl체ckw체nsche und Gedanken zum 50. Geburtstag von Hartmut Koschyk


Inhalt

Vorwort

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Glückwünsche Horst Seehofer Ministerpräsident des Freistaates Bayern Vorsitzender der Christlich-Sozialen-Union

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Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg MdB Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

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Dr. Günther Beckstein MdL Bayerischer Ministerpräsident a.D.

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Alfons Nossol Erzbischof der Diözese Oppeln

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Otto Schily MdB Bundesinnenminister a. D.

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Gedanken Kim Dae-Jung Präsident der Republik Korea a.D. Friedensnobelpreisträger des Jahres 2000

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Prof. Dr. Norbert Lammert MdB Präsident des Deutschen Bundestages

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Dr. Angela Merkel MdB Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland

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Dr. Ivo Sanader Ministerpräsident der Republik Kroatien

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Dr. Peter Ramsauer MdB Vorsitzender der CSU-Landesgruppe

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Rainer Eppelmann Minister a.D., Vorstandsvorsitzender der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur

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Gerd Poppe 47 Minister a.D. und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe Christian Schmidt Regionalbischof im Kirchenkreis Ansbach-Würzburg

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Dr. Werner Schnappauf Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V.

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Dr. Dieter George Kulturbeauftragter der Stadt Forchheim

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Maximiliane Koschyk Tochter von Hartmut Koschyk, Studentin der Regionalwissenschaften mit Schwerpunkt China und Sozialwissenschaften an der Universität Köln

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Hartmut Koschyk MdB Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag

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Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band versammelt aus Anlass des 50. Geburtstages von Hartmut Koschyk Glückwünsche und Gedanken von Persönlichkeiten deren persönliche und politische Lebenswege sich mit den von Hartmut Koschyk trafen. Hartmut Koschyk wurde vor 50 Jahren, am 16. April 1959, als Sohn von aus Oberschlesien vertriebenen Eltern, in Forchheim geboren. Dort besuchte er auch den humanistischen Zweig des Gymnasiums Forchheim. Nach seinem Abitur 1978 trat er als Offizieranwärter in die Bundeswehr ein, aus der er 1983 ausschied. Heute ist er Major der Reserve. Ebenfalls 1978 trat Hartmut Koschyk in die CSU und die Junge Union ein. Vier Jahre lang, von 1983 bis 1987, arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des CDUBundestagsabgeordneten Helmut Sauer im Deutschen Bundestag in Bonn, gleichzeitig studierte er Geschichte und politische Wissenschaften an der Universität Bonn. Geprägt durch das Vertreibungsschicksal seiner Eltern engagierte sich Hartmut Koschyk ehrenamtlich im Jugendverbandsbereich der Vertriebenen u.a. als Bundesvorsitzender der Schlesischen Jugend und ab 1987, mit erst 28 Jahren, als Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen. Dieses Amt übte er bis 1991 aus. Im Jahr zuvor wurde Hartmut Koschyk über die CSU-Landesliste in den Deutschen Bundestag gewählt. Vier Jahre später gewann er als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Bayreuth-Forchheim, den er seitdem noch drei Mal erfolgreich gewinnen konnte. Sein Engagement für die Anliegen der Vertriebenen setzte er auch im Bundestag fort als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Vertriebene und Flüchtlinge“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von 1990 bis 2002. Seit Beginn seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag war Hartmut Koschyk Mitglied des Innenausschusses, als dessen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion er von 2002 bis 2005 fungierte. Als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ des 12. Deutschen Bundestages und „Überwindung der Folgen der SEDDiktatur im Prozess der deutschen Einheit“ des 13. Deutschen Bundestages hat sich Hartmut Koschyk als Experte in diesem Themenbereich einen Namen gemacht. Bis heute ist er stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin. Von 1998 bis 2008 war er Mitglied -6-


des Beirats beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Seit der Bundestagswahl 2005 ist Hartmut Koschyk der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und zugleich 1. Stellvertreter des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Hartmut Koschyk ist einer der Gründungsväter der Deutsch-Kroatischen Gesellschaft e.V. Bonn, setzte sich 1991 entschieden für die Anerkennung Kroatiens durch die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde erster Kroatienbeauftragter des Bundestages und damit Wegbereiter für die DeutschKroatische Parlamentariergruppe. Durch sein Engagement für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Bewältigung der Herausforderungen der deutschen Einheit kam Hartmut Koschyk zu einer intensiven Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen Deutschland und dem ebenfalls geteilten Korea. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages und seit 2003 auch Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft. Seit 2007 ist er deutscher Ko-Vorsitzender des Deutsch-Koreanischen Forums. Aus seinem Einsatz für die Anliegen der Vertriebenen heraus kam Hartmut Koschyk zur Beschäftigung mit den Kulturbeziehungen zu den Deutschen im Ausland. Seit 1994 ist er Bundesvorsitzender des Vereins für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland e.V. und in dieser Funktion darum bemüht, vielfältige persönliche Kontakte zu deutschsprachigen Gemeinschaften in aller Welt zu unterhalten. Hartmut Koschyk gab auch den Anstoß für die Gründung der Stiftung „Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland“, dessen Stiftungsratsvorsitzender er ist. Ziel der Stiftung ist die Förderung und der Erhalt der deutschen Sprache, Kultur und der Traditionen der im Ausland lebenden Deutschen und deutschen Gemeinschaften. Ein 50. Geburtstag ist ein guter Anlass, innezuhalten, zurückzublicken und zu prüfen, wo man steht, wie man dorthin gelangt ist und wie der Weg weiter gehen soll. Nun hat man den bisherigen Lebensweg nicht alleine beschritten, sondern gemeinsam mit Weggefährten und hat sowohl gemeinsam wie auch untereinander gestritten. Einigen dieser Weggefährten wollten wir die Möglichkeit geben, gemeinsam mit Hartmut Koschyk einen Blick zurück zu werfen, um darüber nachzudenken, was uns trägt. Dr. Oliver Junk Jan Oliver Scheller

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Gl端ckw端nsche



Horst Seehofer Ministerpräsident des Freistaates Bayern Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union

Lieber Hartmut, zu Deinem 50. Geburtstag gratuliere ich Dir recht herzlich. Ich verbinde dies mit einem herzlichen Dank für Dein unermüdliches Wirken für unsere Partei. „Was uns trägt“ ist der Titel dieser Publikation. Generell ist es unser christlich-abendländisches Menschen- und Wertebild, das als tragende Säule unser Politikverständnis prägt. Wir sehen uns im Dienst für die Menschen. Dies äußert sich bei Dir vor allem in Deinem Wirken für die Belange der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa. Dabei geht es Dir nicht um Rechthaberei, sondern um Verständigung und Aussöhnung. Gerade die jüngste Vergangenheit und die Ereignisse um den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibung haben gezeigt, dass hier bei weitem noch nicht alle Wunden verheilt sind. Doch gerade dies muss uns auch Ansporn sein, gemeinsam mit den deutschen Heimatvertriebenen den Weg der Aussöhnung und Verständigung weiter zu gehen. Auch das gehört für mich zum Dienst am Menschen. Dieses Beispiel steht jedoch in besonderer Weise für das allgemeine Fundament, das uns trägt: Es ist seit jeher ein deutliches Unterscheidungsmerkmal christlich-sozialer Politik, dass wir den Menschen als Persönlichkeit in den Mittelpunkt der Politik stellen. Es geht uns nicht um ein Kollektiv, um eine Nivellierung aller. Uns geht es darum, jeden Einzelnen nach seinen Fähigkeiten zu fordern und fördern. Dieses Menschenbild ist es, das die Jahre überdauert hat und das durch sämtliche Zeiten Richtschnur war und ist für unsere CSU. Der Mensch steht im Mittelpunkt – das ist unser Fundament, das uns trägt. Dein Horst Seehofer -11-


Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg MdB Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

Lieber Hartmut, von Herzen gratuliere ich Dir zu Deinem 50. Geburtstag und wünsche Dir Gottes Segen, beste Gesundheit sowie die Energie und Freude für weitere Schaffenskraft. Genieße Deinen Ehrentag mit dem hoch verdienten Anspruch auf großartige Feierlichkeiten. Mit Dir, lieber Hartmut, verbindet mich neben unserer erfolgreichen Zusammenarbeit im Bundestag vor allem Dein einmal geäußertes Bekenntnis selbstbewusster Oberfranke, patriotischer Deutscher und überzeugter Europäer zu sein. Diese Heimatliebe bei gleichzeitigem Bewusstsein über die Notwendigkeit eines integrierten Europas und Dein unerschütterliches Wertebewusstsein sehe ich als unentbehrlichen Bestandteil unserer gemeinsamen politischen Überzeugungen an. Denn nur so kann es uns gelingen, die Schönheit der regionalen Vielfalt mit den komplexen Herausforderungen einer globalisierten Welt in Einklang zu bringen. Ich möchte diesen Tag auch als Anlass nehmen, Dir einmal ausdrücklich für Deinen hinsichtlich des Erfolgs der CSU-Landesgruppe unverzichtbaren Dienst als Parlamentarischer Geschäftsführer zu danken. Der großen Verantwortung, die dem Amt innewohnt, hast Du Dich vor über drei Jahren ohne zu zögern voll Enthusiasmus angenommen und wirst ihr seither Tag für Tag mehr als gerecht. Als Parlamentarischem Geschäftsführer gelingt es Dir seit jeher die CSU-Landesgruppe in Ausschüssen und Debatten hervorragend aufzustellen. Auch Dein jahrelanges Engagement für unsere gemeinsame Heimat verdient großen Dank. Mit der hohen Bereitschaft, mit der Du Dich für das Gemeinwohl unserer Region hier in Oberfranken einsetzt, leistest du zahlreichen Menschen einen unverzichtbaren Beitrag an verantwortungs-12-


vollem Miteinander und bist zugleich Vorbild für andere – über die Grenzen Frankens und Bayerns hinaus. Schließlich darf ich Dir sehr für die gewachsene Freundschaft und die erstklassige Zusammenarbeit danken und meine große Achtung gegenüber Deiner professionellen, unabhängigen und stets unserer Heimat verpflichteten Arbeit zum Ausdruck bringen. Die zahlreichen Gespräche empfinde ich immer als persönliche Bereicherung. Mit allen guten Wünschen Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg MdB

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Dr. Günther Beckstein MdL Bayerischer Ministerpräsident a.D.

Lieber Hartmut, zu Deinem 50. Geburtstag wünsche ich Dir von Herzen persönlich alles Gute, Gesundheit, Glück, weiter so große Schaffenskraft und Tatendrang, dazu im Politischen Fortune und Erfolg. Jetzt bist Du ein echter Fünfziger – ein falscher warst Du Gott sei Dank nie. Ich danke Dir für viele Jahre guter und verlässlicher Zusammenarbeit. Es ist die Aufgabe des Parlamentarischen Geschäftsführers, darauf zu verzichten, selbst im Mittelpunkt und der Öffentlichkeit stehen zu wollen. Vielmehr muss er dafür sorgen, dass alle Ebenen möglichst geräuschlos zusammenarbeiten. Das hast Du hervorragend geleistet, sowohl aus meiner langen Zeit als Innenminister, als auch aus der Zeit des Ministerpräsidenten kann ich dies nur dankbar feststellen. Es war sicher nicht immer leicht mit uns in Bayern, zumal wir meist überzeugt waren, es den anderen zeigen zu wollen. Du hast aber mit Offenheit gesagt, was geht – aber auch wo es keinen Sinn macht, sich zu verbeißen. Aber auch wenn es um unsere Kernkompetenz – innere Sicherheit und Ausländerpolitik gegangen ist, war die Zusammenarbeit mit Dir stets ausgezeichnet. Sachkunde, Verlässlichkeit, Engagement und Offenheit sind Dein Markenzeichen. Früher hätten wir gesagt, mit 50 wird man politisch erwachsen; jetzt muss ich im Zeichen neuer Altersgrenzen etwas vorsichtiger sein: Aber klar ist, dass Du Deinen Weg des Erfolgs für Dich persönlich, aber auch für uns alle in der CSU weiter gehen wirst. Dafür alles Gute! Mit freundlichen Grüßen Dr. Günther Beckstein -14-


Alfons Nossol Erzbischof der Diözese Oppeln

Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter, lieber Freund Hartmut Koschyk! Zum runden Geburtstag die besten Wünsche: Gesundheit, weitere Schaffensfreude und Gottes Segen. Innigsten Dank auch für Ihr Bemühen um die volle Versöhnung zwischen Polen und Deutschland im Sinne der Überwindung von gegenseitigen Vorurteilen, Entgiftung von Gedanken und Heilung von Erinnerungen. Denn nur auf diese Weise können wir gemeinsam zum Aufbau eines Vereinigten Europas als wahre Gemeinschaft des Geistes beitragen. In Verbundenheit und Freude Ihr Alfons Nossol

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Otto Schily MdB Bundesinnenminister a. D.

Hartmut Koschyk gehört ohne Zweifel zu den profiliertesten Innenpolitikern der CDU/CSU-Fraktion. Ich habe ihn als fairen und sachkundigen Parlamentarier und überzeugten Demokraten kennen und schätzen gelernt. Während der rot-grünen Regierungszeit von 1998 bis 2005 hat er sich durch eine kritische aber zugleich konstruktive Oppositionsarbeit ausgezeichnet. In den Grundfragen der Innenpolitik besteht zwischen Hartmut Koschyk und mir weitreichende Übereinstimmung, vor allem in der Frage einer wirksamen Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Wir haben uns seinerzeit mit der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion nach mühevollen Debatten auf ein modernes Zuwanderungs- und Ausländerrecht einigen können. Zu diesem Erfolg hat Hartmut Koschyk nicht unwesentlich beigetragen. Besonders hervorzuheben und lobenswert ist sein Engagement für das Technische Hilfswerk (THW) und vor allem für dessen Jugendarbeit. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Schicksals seiner Eltern ist es nur folgerichtig, dass Hartmut Koschyk sich für die Belange der Heimatvertriebenen einsetzt, er tut das aber im Geiste einer guten europäischen Nachbarschaft und ohne jeglichen Fanatismus. Als Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe hat Hartmut Koschyk sich große Verdienste bei der Erweiterung und Vertiefung der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Korea und Deutschland erworben. Der Wert dieser parlamentarischen Diplomatie sollte gerade in krisenhaften Zeiten besonders anerkannt werden. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag wünsche ich Hartmut Koschyk Glück, Gesundheit und Frohsinn, damit er sich im neuen Lebensjahr auf eine gute Zusammenarbeit mit dem künftigen Bundeskanzler Frank-Walter Steinmeier entweder als Koalitionspartner oder streitbarer Oppositioneller einrichten kann. Otto Schily -16-


Horst Seehofer, Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Vorsitzender der ChristlichSozialen-Union

Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg MdB, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

Dr. Günther Beckstein MdL, Bayerischer Ministerpräsident a.D.

Alfons Nossol, Erzbischof der Diözese Oppeln

Otto Schily MdB, Bundesinnenminister a. D. -17-



Gedanken



Lieber Hartmut Koschyk, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrem 50. Geburtstag. Zuallererst möchte ich Ihnen für Ihre Bemühung für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel, in deren Rahmen Sie regelmäßig Nord- und Südkorea besucht haben, herzlich danken. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir uns als gute Freunde um unser gemeinsames Ziel, die friedliche Entwicklung der Beziehung zwischen Süd- und Nordkorea, bemüht haben. Vor allem bin ich Ihnen aber für Ihren Beitrag für die freundschaftlichen Beziehungen und die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Korea und Deutschland, den Sie in Ihrer Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe geleistet haben, sehr dankbar.

Deutschlands Beitrag für eine demokratische und friedliche Welt

Kim Dae-Jung, Präsident der Republik Korea a.D. , Träger des Friedensnobelpreises des Jahres 2000

Deutschland hat Korea wie kein anderes Land mit großem Interesse bei der Demokratisierung begleitet und unterstützt. Als ich im August 1973 in Japan entführt wurde und in Gefahr war, im Pazifischen Ozean versenkt zu werden, als ich danach zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde und als ich in den USA im Exil war, haben sich die deutsche Politik, die Kirchen und die deutsche Bevölkerung immer für mein Leben und meine Menschenwürde stark gemacht. Besonders dankbar bin ich dafür, dass sich Deutschland, als ich im Jahr 1980 nach den Gesetzen der Militärdiktatur Koreas zum Tode verurteilt wurde, für meine Befreiung aktiv eingesetzt hat. Meine ehrwürdigen Freunde Willy Brandt, Richard von Weizsäcker und Hans Dietrich Genscher haben partei-

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übergreifend für meine Befreiung gekämpft und mir damit das Leben gerettet.

Korea entführt wurden. Gegen sie wurden später schwere Strafen verhängt. Als Reaktion drohte die deutsche ReIm Jahre 1980 fand in der koreani- gierung nachdrücklich mit einem Abschen Stadt Kwangju eine große De- bruch der diplomatischen Beziehunmonstration gegen die Militärdiktatur gen zwischen Deutschland und Korea und für meine Befreiung statt, bei de- und verlangte die Rückkehr aller entren Niederschlagung Hunderte von führten Koreaner nach Deutschland. Menschen durch die Gewalt der Mili- Schlussendlich konnten auch alle wietärdiktatur ums Leben kamen. Auch der nach Deutschland zurückkommen. in dieser Situation haben die deutsche Dieser Einsatz gilt heute im Bereich Regierung und die deutsche Bevölke- der internationalen Menschrechte als rung durch ihre öffentliche Kritik am eine der herausragendsten Leitungen. Vorgehen der koreanischen Regierung großen Einfluss genommen. Damals Nach wie vor setzt sich Deutschland wurden zum ersten Mal von Deutschen überall ein, wo die Menschenrechte aufgenommene Videos veröffentlicht, verletzt werden. Deutschland unterdie einen großen Beitrag dazu geleistet stützt Menschen, die unter Hunger haben, die Weltöffentlichkeit auf das un- und Krankheiten leiden. Deutschland menschliche Regime der koreanischen genießt daher heute das Vertrauen Militärdiktatur aufmerksam zu machen. der Welt und gilt als Schutzstaat der Menschenrechte und der Demokratie. Aufgrund der starken Kontrolle der koreanischen Medien hatte die koreDiese hervorragende Entwicklung anische Bevölkerung selbst lange Zeit Deutschlands ist darauf zurückzufühnichts von dem grausamen Vorgehen ren, dass Deutschland aus seiner dunkder Regierung erfahren. Erst durch die len Vergangenheit und der Missachtung Videos aus Deutschland wurde die der Menschenrechte, der UnterdrüWahrheit über die damalige Situation ckung der Freiheit und der Ermordung ans Licht gebracht. Solches Material der Juden in der Zeit des Nationalsound unabhängige Informationen aus zialismus seine Lehren gezogen hat. dem Ausland haben später bei der De- Durch die aktive Aufarbeitung dieser mokratisierung Koreas einen großen Vergangenheit konnten andere NatioEinfluss auf die Bevölkerung gehabt. nen, die früher Deutschland fürchteten, langsam wieder Vertrauen zu diesem Vor der Demonstration in Kwangju Land aufbauen. Dieses Vertrauen entim Jahre 1967 löste die Militärdiktatur wickelte sich fortwährend weiter und Koreas die sogenannte Ostberlin-Affäre mittlerweile ist Deutschland als das aus, in deren Verlauf zahlreiche korea- Land der Gerechtigkeit anerkannt und nische Studierende und Wissenschaft- respektiert. Es erscheint kaum mögler aufgrund des Verdachts, nordkore- lich, sich Menschenrechte und Demoanische Spione zu sein, aus Berlin nach kratie ohne Deutschland vorzustellen. -22-


Länder, die sich ihrer Taten nicht bekenAber nicht nur Deutschlands äuße- nen wollen. Für diese kann Deutschre Entwicklung ist vorbildlich; auch land ein einflussreiches Vorbild sein. die innere kann als Beispiel für andere Länder dieser Welt herangezogen Zweitens: Immer noch existieren Dikwerden. Hierbei ist vor allem die fried- taturen auf der ganzen Welt, welche liche Koexistenz der beiden vonein- die Menschenrechte verletzen. Ich hofander getrennten deutschen Staaten, fe, dass Deutschland sich mit anderen ihre ebenso friedliche Kooperation und demokratischen Ländern für die Menletztendlich die Verwirklichung der schenrechte und die Ausweitung der Vereinigung dieser Staaten, zu nennen. Demokratie in der ganzen Welt einsetzt. Vor der Vereinigung Deutschlands wurde die DDR über 20 Jahre lang von der BRD durch verschiedene Hilfsmaßnahmen unterstützt. Durch die aktive Hilfe der BRD fanden unzählige Menschen der DDR den Weg in die Freiheit. Ohne die Initiative der Bürger in der DDR aber wäre die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich gewesen. Auch von den Nachbarstaaten wurde die Wiedervereinigung Deutschlands begrüßt und Deutschland hat schließlich aus eigener Kraft seine erfolgreiche Wiedervereinigung ermöglicht. Mittlerweile steht das vereinigte Deutschland im Zentrum des europäischen Einigungsprozesses.

Drittens: Immer noch leiden viele Menschen auf der ganzen Welt unter Hunger, Umweltverschmutzung und der Ausbeutung von Kindern. Ich hoffe, dass Deutschland sich als ein führendes Land darum bemüht, dass diese Menschen überleben und ein menschenwürdiges Leben führen können. Viertens: Ich hoffe, dass Deutschland weiterhin eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Europa und Asien spielen wird. Deutschland und Nordostasien brauchen sich gegenseitig. Besonders zur Erreichung des Ziels der friedlichen Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel freue ich mich auf die nachhaltige Unterstützung durch Deutschland. Ein Zurzeit wird die Rolle Deutschlands Land, das erfolgreich die Wiedervereiniin der ganzen Welt dringlich benötigt: gung seiner Nation verwirklicht hat und Erstens: Deutschland gilt mit seiner somit für uns Koreaner ein Vorbild ist. Aufarbeitungs- und Wiedergutmachungsarbeit als Vorbild für diejeniNoch einmal möchte ich Ihnen, Herr gen Länder, die sich selbst der Aggres- Hartmut Koschyk MdB ganz herzlich sion gegen ihre Nachbarn schuldig zu Ihrem 50. Geburtstag gratulieren und gemacht haben. In vielen afrikanischen ich wünsche Ihnen Gesundheit und viel und asiatischen Ländern leiden im- Erfolg bei Ihrer politischen Karriere. mer noch viele Menschen unter den Folgen dieser Aggressionen und sind Mit herzlichem Dank verbleibe ich wütend auf das Verhalten derjenigen Kim, Dae-Jung -23-



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Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes

Prof. Dr. Norbert Lammert MdB, Präsident des Deutschen Bundestages

artmut Koschyk gehört dem Deutschen Bundestag und unserer gemeinsamen Fraktion seit 1990 an, so dass sich unsere parlamentarischen Wege immer wieder und erfreulich häufig kreuzen. Besonders gerne denke ich an unsere gemeinsame Zeit im Kulturausschuss, an die Arbeit im Ältestenrat und nicht zuletzt an unsere Delegationsreise im August 2008 nach Korea, die mir auch deswegen so nachhaltig in Erinnerung geblieben ist, weil ich am Ort erlebt habe, wie exzellent der Ruf Hartmut Koschyks in diesem immer noch geteilten Land ist. Wiederholt hat sich dieser Eindruck beim Festakt zum 125. Jahrestag der Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschland und Korea im Dezember 2008 in Berlin. Auch hier war zu spüren, welche Wertschätzung und Sympathie Hartmut Koschyk dank seines völkerverbindenden Engagements bei seinen koreanischen Partnern und Freunden als Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe genießt. Es ist die gemeinsame geschichtliche Erfahrung der Teilung, die Deutschland und Korea auf so besondere Weise verbindet. Hartmut Koschyk weiß angesichts der Familiengeschichte selbst, was Vertreibung und politische Teilung für menschliches Leid verursachen. Und gerade im Oberfränkischen, wo man bis vor 20 Jahren geographisch so nahe am Eisernen Vorhang war, waren die Wirkungen der Teilung besonders deutlich zu spüren. Vor diesem Hinter-

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grund lag es nahe, dass sich Hartmut Koschyk politisch-parlamentarisch immer auch stark mit den Ursachen und den Folgen der deutschen Teilung und mit dem DDR-Unrecht befasst hat. Als Vorsitzender unserer Fraktionsarbeitsgruppe „Vertriebene und Flüchtlinge“, als Sprecher unserer Fraktion in den Enquete-Kommissionen „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ sowie „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ und als Mitglied des Beirates beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Nach wie vor ist er Mitglied des Stiftungsrates der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“.

Hinweis, unsere Kultur sei nicht nur und ausschließlich christlich, ist zweifellos richtig. Unsere Kultur speist sich auch aus anderen Quellen – insbesondere die antike Philosophie und die Aufklärung gehören dazu – aber es ist nicht zu verkennen, dass die christlich-jüdische Wurzel die europäische Kultur am stärksten und nachhaltigsten geprägt hat. In einem durchaus langen, schmerzhaften und blutigen Prozess haben sich in Europa daraus gemeinsame Werte und Prinzipien entwickelt: Die Freiheit von Meinung, Religion und Wissenschaft, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Gleichberechtigung von Mann und Frau – alles Elemente der europäischen Kultur, oder auch: der europäischen Leitkultur.

Diese Festschrift steht unter dem Leitgedanken „Was uns trägt“, und es fällt nicht schwer zu identifizieren, was Hartmut Koschyk trägt, was ihm Kraft und Motivation gibt: Es sind die christlichen Werte, die ihm in der Politik, aber nicht nur da, Maßstab und Orientierung zugleich sind. Sein Politikverständnis – und da stimmen meine Grundüberzeugungen mit denen von Hartmut Koschyk überein – ist geprägt von einem Menschenbild, das seine Wurzeln im christlichen Glauben hat, von einem Menschenbild, das uns zum Schutz des Lebens, zum Streben nach Gerechtigkeit und zur Solidarität mit den Schwächeren verpflichtet. Auf eben diesem christlichen Fundament basiert auch unsere gesamte Kultur – jedenfalls zu einem ganz wesentlichen Teil. Der

Ich weiß, dass der Begriff Leitkultur für manche provozierend ist; dabei soll er nur beschreiben, welche Werte verbindlich in einem Land gelten sollen, was es ist, das unsere Gesellschaft zusammenhält – man kann auch sagen: trägt. Gerade in einer Gesellschaft, die zunehmend multikulturell geprägt ist, ist die Verständigung über gemeinsame und verbindliche Werte und Überzeugungen dringlich. Denn die Vorstellung, dass alles gleichzeitig gelten könnte, bedeutet im Ergebnis, dass nichts wirklich gilt. Erfreulicherweise ist aber festzustellen, dass diese Diskussion inzwischen zu neuen Einsichten geführt hat. So hat sie auch die Erkenntnis befördert, dass das Erlernen der deutschen Sprache unverzichtbar ist, damit Integration gelingen kann. Die

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Gemeinsamkeit der Sprache ist zwar nicht die einzige, wohl aber eine essenzielle Voraussetzung, um Verständigung zu ermöglichen und damit friedliches Zusammenleben, denn die Sprache ist der wesentliche Kern der kulturellen Identität eines Landes. Wenn wir mit guten Gründen den Sitz unserer Hauptstadt und die Farben unserer Nationalflagge im Grundgesetz regeln, wäre es deshalb gewiss nicht übertrieben, auch den identitätsstiftenden Kern „Sprache“ in der Verfassung zu verankern. In anderen Ländern ist das übrigens eine Selbstverständlichkeit. In der EU haben von 27 Mitgliedern 17 die jeweilige Landessprache in die Verfassung aufgenommen. Und unter den drei deutschsprachigen Ländern Europas gibt es nur ein Land, in dem die deutsche Sprache keinen Verfassungsrang hat – das ist ausgerechnet jenes Land, das sich sogar nach seiner Sprache nennt.

rigens in deutschen wie in türkischen Medien – bis hin zum Vorwurf der „Zwangsgermanisierung“ gingen. Hätte es damals eine entsprechende Formulierung im Grundgesetz gegeben, wäre den Vertretern nicht nur dieser Schule, die sich wirklich um Integration verdient gemacht haben, ihr konsequentes Eintreten für die gemeinsame Landessprache sicherlich erleichtert worden. Ich danke Hartmut Koschyk für die jahrelange freundschaftliche Zusammenarbeit und die kollegiale Unterstützung vieler gemeinsamer Anliegen.

Die Verankerung von Deutsch als Landessprache im Grundgesetz würde über das Symbolische, das Deklamatorische weit hinausgehen. Ich will dies an einem konkreten Fall verdeutlichen: Vor einigen Jahren habe ich die Edgar-Hoover-Schule in Berlin mit dem Preis der Deutschen Nationalstiftung ausgezeichnet, weil sich dort Schüler, Lehrer und Eltern auf den Grundsatz verständigt hatten: Die verbindliche Schulsprache ist – auch auf dem Pausenhof und in den Gängen – Deutsch. Damals gab es einige heftige Reaktionen, die üb-27-



Lieber Hartmut Koschyk, zu Ihrem 50. Geburtstag gratuliere ich Ihnen sehr herzlich. Ihr Einsatz für Demokratie und die Stärkung der inneren Einheit Deutschlands zieht sich wie ein roter Faden durch ihr politisches Leben. Ihr Beitrag zur Aufarbeitung der Ursachen und Folgen der SED-Diktatur kennzeichnen Ihr politisches Wirken. Sie haben es stets als Ihre Aufgabe betrachtet, die Erinnerung an das geschehene Unrecht und die Opfer wach zu halten.

Wider das Vergessen und Verdrängen – Kein Ende der Aufarbeitung!

Dr. Angela Merkel MdB, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland

In diesem Jahr begeht Deutschland eine Reihe großer Jubiläen. Der 20. Jahrestag des Falls der Mauer erinnert an ein Schlüsselereignis der deutschen Geschichte. Unter dem Druck der Oppositionsbewegung und der friedlich demonstrierenden Menschen fiel am 9. November 1989 die Mauer in Berlin. Dies war einer der glücklichsten Tage in der deutschen Geschichte. Eine große Freude erfasste unser Land. Noch heute hat man die auf der Mauer tanzenden Menschen vor Augen, als wäre es erst gestern geschehen. An den Grenzübergängen wurde ausgelassen gefeiert. Wo immer sich Bürgerinnen und Bürger aus Ost und West begegneten, gab es Freudentränen und Umarmungen. Wir alle erinnern uns noch gut an die Bilder dieses schönsten Kapitels der deutschen Geschichte. Das Gedenken an den Mauerfall bedeutet jedoch Zweierlei: Neben der Freude über den Sieg der Frei-29-


heit erinnert er uns auch an das Unrecht der SED-Diktatur. Die Revolution war mit dem 9. November 1989 noch nicht beendet. Die Besetzung der Kreis- und Bezirksstellen des Ministeriums für Staatssicherheit Anfang Dezember 1989 und schließlich der Sturm auf die Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 in Berlin stellten weitere Wegmarken der Umwälzungen in der DDR dar. Gleichzeitig markieren diese Ereignisse den Beginn der systematischen Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ich möchte Ihnen, lieber Hartmut Koschyk, dafür danken, das Thema „Aufarbeitung“ als wesentlichen Beitrag auf dem Weg zur inneren Einheit vorangetrieben zu haben. Sie haben die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den politischen Folgen der SED-Diktatur stets als eine gesamtdeutsche Aufgabe begriffen. Sie gehörten zu denjenigen, die sich bereits seit 1990 für die Errichtung einer Enquete-Kommission im Bundestag zur Aufarbeitung der Geschichte des SED-Unrechtsstaates einsetzten. Ihre Bemühungen waren erfolgreich. Es ist Ihr großes Verdienst, als Sprecher der CDU/CSUFraktion in den Enquete Kommissionen „ Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ und „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der Einheit“ einer breiten Öffentlichkeit die Dimensionen der SED-Diktatur ins Bewusstsein gerufen zu haben. Als ehemaliges Mitglied des Beirates beim Bun-

desbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR haben Sie sich mit Blick auf das wachsende Interesse von jungen Leuten, Stasi-Unterlagen zu wissenschaftlichen Zwecken fruchtbar zu machen, stets für die Fortführung der Aufarbeitung des DDR-Unrechts eingesetzt. Zugleich haben Sie die Veröffentlichung von Publikationen sowie die schulische und außerschulische Bildungsarbeit über die DDR gefördert und maßgeblich an der Erarbeitung des ersten Gedenkstättenkonzepts des Bundes mitgewirkt. Ich freue mich sehr, dass Sie nach langjähriger Tätigkeit bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im letzten Jahr zum stellvertretenden Vorsitzenden des Stiftungsrates gewählt worden sind. Denn heute, 20 Jahre nach der Selbstbefreiung vom Sozialismus brauchen wir Politiker wie Sie, die für eine Kultur des Erinnerns eintreten und sich in der politischen Bildungsarbeit engagieren, um die jungen Menschen mit den Mechanismen der Diktatur vertraut zu machen. Angesichts starker Tendenzen, die DDR-Vergangenheit zu verklären und das Unrecht der SED-Diktatur zu verharmlosen, scheint mir dies heute wichtiger denn je. Lassen Sie uns dieses Jubiläumsjahr dazu nutzen, daran zu erinnern, wovon sich die Menschen aus der ehemaligen DDR aus eigener Kraft befreit haben. Denn nicht das in der DDR gelebte individuelle Leben

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steht zur Diskussion, sondern der SED-Unrechtsstaat. Geben wir den Zeitzeugen, den Opfern der Diktatur die Chance zu erzählen, wie alltäglich das Unrecht war: von der Bespitzelung in den Schulen, im Betrieb, der Zensur in den Medien bis hin zum staatlich organisierten Doping beim Sport, mit unvorstellbaren gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen. Und lassen Sie uns vergegenwärtigen, dass wir in den letzten 20 Jahren Großartiges erreicht haben: Die Menschen im Osten Deutschlands leben heute in Freiheit und Demokratie. Auch wirtschaftlich betrachtet haben wir bei der Umwandlung von einer maroden Planwirtschaft in eine Soziale Marktwirtschaft und beim Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur Beachtliches erzielt. Darauf können wir alle stolz sein. Lieber Hartmut Koschyk, ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für Ihren Einsatz, die Erinnerungen an die deutsche Teilung und an die Revolution von 1989 wach zu halten. Sie setzen damit wichtige Impulse für eine Identitätsstiftende Erinnerungskultur in Deutschland.

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„Die deutsche Frage ist eine europäische Frage.“ Dies war nach dem Mauerfall im Herbst 1989 der viel zitierte Satz, der anfangs natürlich unterschiedlich interpretiert, doch sehr bald in eine erfolgreiche Politik umgesetzt werden sollte, die zur deutschen Wiedervereinigung sowie zu historischen Fortschritten im europäischen Einigungsprozess führte. Die Ausgangslage nach 1945 Das geteilte Deutschland befand sich nach 1945 im geographischen und machtpolitischen Zentrum der ideologischen und menschlichen Teilung Europas, so dass, aus außenpolitischer Sicht, der Bundesrepublik schon in den ersten Nachkriegsjahren eine besondere europäische und weltpolitische Bedeutung zukam.

Deutschlands Rolle im Prozess der europäischen Einigung Anmerkungen aus kroatischer Sicht

Dr. Ivo Sanader, Ministerpräsident der Republik Kroatien

Aus innenpolitischer Sicht galt es, im Spannungsfeld der deutschen Verantwortung für die jüngste Vergangenheit und des selbst erfahrenen Leids des Krieges eine neue deutsche Politik zu entwickeln, die nicht nur Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung bewirken, sondern langfristig einen Beitrag zu Frieden und Freiheit für ganz Deutschland und ganz Europa leisten sollte. Der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer entschied sich für eine Politik, die auf drei Überzeugungen beruhte. Zum einen wollte er die Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft verfolgen. Er hielt es -33-


für falsch die Werte von Freiheit und Demokratie zu opfern, um kurzfristig die deutsche Einheit unter Stalins Bedingungen zu erreichen. Zum zweiten sah er die Überwindung des historischen deutsch–französischen Gegensatzes als eine Grundvoraussetzung für langfristigen Frieden in Europa. Die dritte Überzeugung Konrad Adenauers war, dass ein europäischer Einigungsprozess in Gang gesetzt werden müsse, der dazu führen sollte, dass die europäischen Nationalstaaten wirtschaftlich und politisch immer enger zusammenarbeiten und sich verflechten, so dass ein neuer europäischer Krieg unmöglich wird. Auch in anderen westeuropäischen Staaten profilierten sich Nachkriegspolitiker, die bereit waren, alte nationale Denkmodelle fallen zu lassen und sich unter dem Leitmotiv „Nie wieder Krieg!“ für die europäische Idee einzusetzen. Neben Adenauer symbolisierten diesen neuen Politikansatz vor allem der damalige französische Außenminister Robert Schuman und der italienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi.

und langfristiger Frieden wachsen können. Hinzu waren sie überzeugt, dass gerade diesem freiheitlichen Wertefundament der westeuropäischen Demokratien, die kommunistischen Diktaturen Osteuropas langfristig nicht gewachsen waren. Diese von Adenauer, Schuman und De Gasperi vertretene Politik legte einen der Grundsteine im europäischen (und im deutschen) Einigungsprozess. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Beginn des europäischen Einigungsprozesses war die ebenso auf einem freiheitlichen Wertefundament aufbauende transatlantische Partnerschaft im Rahmen der neugegründeten NATO und die besondere Partnerrolle, welche die Vereinigten Staaten für ganz Westeuropa übernahmen. Als Adenauer die Bundesrepublik in die westliche Wertegemeinschaft integrierte und 1950 den Schuman-Plan für eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl unterstützte, hatte Deutschland seine wichtige Rolle im europäischen Einigungsprozess angetreten. Die östliche Hälfte Europas

Eine bedeutende Gemeinsamkeit Adenauers, Schumans und De Gasperis war ihr vom christlichen Glauben geprägtes Wertefundament, aus dem heraus sie ihre Politik führten. Die Geschichte hatte sie gelehrt, dass nur aus der Achtung der Menschenwürde, aus der daraus resultierenden Verwirklichung des Menschen durch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, Ziele wie Freiheit

Die östliche Hälfte Europas war ebenso wie der Westen schwer von den Leiden des Zweiten Weltkriegs gezeichnet. Doch auf das Leid des Zweiten Weltkriegs folgte hier nun die Aufoktroyierung des kommunistischen Gesellschaftssystems. Vom Baltikum über das östliche Mitteleuropa bis an die Adria kam es zu neuen tiefen innergesellschaftlichen

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Umwälzungen. Eine hilfreiche Beschreibung der damals ausschlaggebenden Wertefrage stammt von Papst Benedikt XVI., der bemerkt, dass ähnlich wie im Falle des Nationalsozialismus und Faschismus sich auch die Vertreter der kommunistischen Ideologie einer Hybris verschrieben hatten, die keine höhere Instanz mehr anerkannte und aus dem Dogmatismus der eigenen Ideologie heraus beanspruchte, „selbst den besseren Menschen zu schaffen und die schlechte Welt in eine gute Welt umzubauen“. Dieser noble Zweck heiligte dann die Mittel, mit denen sie ihre neue Politik verfolgten. Sie stellten den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Gesellschaftsvision und doch verletzten sie die Menschenwürde ihrer Bürger regelmäßig und systematisch. Viele Menschen fielen dieser neuen Politik zum Opfer. Freie, demokratische Wahlen fanden im östlichen Europa nach 1945 nicht statt, die Meinungsfreiheit wurde unterbunden, das individuelle wie das nationale Selbstbestimmungsrecht wurden missachtet. Dies waren die Erfahrungen, die man überall in Osteuropa mit den neuen Machthabern machte. Sicherlich gab es innerhalb des kommunistischen Blocks von Land zu Land Unterschiede. Auch Abstufungen der Unfreiheit entwickelten sich mit der Zeit. Jede der von Kommunisten regierten Nationen erlebte Phasen mit größerem Freiheitsspielraum und dann wieder das Anziehen der Repression. Einen Sonderweg ging das sozialistische Jugoslawien,

zu dem Kroatien damals als Teilrepublik gehörte. Entscheidend war dabei der 1948 vollzogene Bruch Titos mit Stalin und dessen Führungsanspruch im kommunistischen Lager. Durch den danach eingeführten sogenannten Selbstverwaltungssozialismus und der Ende der 1960er Jahre ermöglichten teilweisen Reisefreiheit war die jugoslawische Diktatur weicher als in den von Moskau abhängigen Ostblockstaaten. Doch auch in Jugoslawien wurde das Wertesystem weiterhin vom Weltbild der Kommunistischen Partei und ihrem Machtmonopol diktiert. Politische Prozesse und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der Geheimpolizei blieben an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund waren die freiheitlich-demokratische Ordnung Westeuropas, der dortige Wirtschaftsaufschwung und der einsetzende westeuropäische Einigungsprozess beeindruckende Beispiele für die Menschen in Ost- und Südosteuropa, dass man auch anders leben konnte. Auch hier hatte die Bundesrepublik Deutschland eine bedeutende Rolle zu spielen, da sie sich direkt an der Trennungslinie der beiden Gesellschaftsmodelle befand und mit ihrer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft als Schaufenster des Westens nach Osten wirkte. Auf diese Weise trug die Bundesrepublik demokratische Werte nicht nur nach Ostdeutschland hinein, sondern beeinflusste auch andere östliche und südöstliche Nachbarn. So kam es,

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dass in den 1960er und 1970er Jahren Hunderttausende kroatischer Gastarbeiter in die Bundesrepublik kamen, einerseits, ihren Beitrag zum deutschen Wirtschaftsaufschwung leisteten, und andererseits, zusammen mit ihren Familien in Kroatien und anderen Teilrepubliken Jugoslawiens zu unumgänglichen Beispielen für den im Westen möglichen Wohlstand des „kleinen Mannes“ wurden. Schon in der ersten Hälfte des Kalten Krieges zeigte sich an den verschiedenen Erhebungen osteuropäischer Völker gegen ihre kommunistischen Machthaber, dass die im Westen praktizierten Freiheiten zu den Leitmotiven dieser Bewegungen gehörten. Ob der Berliner Aufstand 1953, die Erhebung der Polen und Ungarn 1956, der Prager Frühling 1968 oder der Kroatische Frühling 1971, allen Bewegungen war gemeinsam, dass sie in der einen oder anderen Form nach mehr Freiheit sowie nach einer Öffnung ihrer Gesellschaften strebten und dabei auch auf westliche Beispiele verwiesen. Durch diese Freiheitsbewegungen hatte sich jede der betroffenen Nationen, wenigstens kurzzeitig, aus einer demütigen Lage heraus moralisch aufgerichtet. Obwohl jede dieser Erhebungen tragisch niedergeschlagen wurde, blieb doch bei den Herrschenden wie bei der Bevölkerung das tiefe Bewusstsein, dass sich die gegenwärtige Führung gegen ihr eigenes Volk vergangen hatte und dass ein erneutes Aufbäumen der entrechteten Mehrheit nur eine Frage der Zeit war.

Freiheitliche Werte haben die Teilung Europas beendet Im westlichen Europa folgte auf die Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft, eine neue Generation von Politikern, die auf den Errungenschaften der Römischen Verträge aufbaute, allerdings in den 1960er und 1970er Jahren auch einige europapolitische Flauten erlebte. So zeigte sich schon damals, dass zwischenzeitliche Stillstände und Inventuren ein natürlicher Teil der Europapolitik sind. Trotzdem entwickelten sich auch bedeutende und langfristig angelegte Beiträge zum europäischen Einigungsprozess, unter denen vor allem die Ostpolitik Willy Brandts, die deutsch-französisch e Zusammenarbeit unter Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing sowie in besonderer Weise die deutsch-französische Partnerschaft unter Helmut Kohl und Francois Mitterand hervorzuheben sind. Als es dann im Jahr 1989 zum annus mirabilis kam und friedliche Revolutionen in Mittel- und Osteuropa eine Wende vom Kommunismus zur Demokratie in Bewegung setzten, zeigte sich sehr deutlich, wer sein Haus auf einen Felsen und wer sein Haus auf Sand gebaut hatte. Trotz vieler, oft zu Recht kritisierten, Schwächen des Westens wurde doch offenbar, dass das freiheitliche Wertefundament Westeuropas weit mehr den menschlichen Bedürfnissen entsprach als die Werte der sozialistischen Volksrepubliken im Osten. Mit diesen historischen Umwälzun-

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gen kam ganz Europa in Bewegung. Eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands ebenso wie das Einbinden der jungen mittel- und osteuropäischen Demokratien in den europäischen Einigungsprozess stand im Raum. Es wurde immer offensichtlicher, dass die deutsche Frage in der Tat eine europäische Frage war.

Möglichkeit genommen worden war, sich selbst zu vertreten. Nicht zuletzt unter dem Eindruck, dass gerade das Beharren auf freiheitlichen Werten und die Anwendung des nationalen Selbstbestimmungsrechts die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht hatten, zeigte die Bundesrepublik auch hier historisches Verständnis und europäische Weitsicht. Sie gehörte zu jenen europäischen Staaten, die eine völkerrechtliche Anerkennung der jungen Demokratien im Baltikum sowie in Kroatien und Slowenien unterstützen, als das in Europa noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden war. Wichtig ist es, dass man auch im Zusammenhang mit der Demokratisierungswelle in Osteuropa hervorhebt, wie bedeutend die Rolle der Vereinigten Staaten für die Festigung der Demokratie und die Sicherung des Friedens in ganz Europa war. Die West- und Osteuropäer haben ihre Freiheit auch den Vereinigten Staaten zu verdanken.

Deshalb war es vollkommen richtig, dass sich die deutsche Bundesregierung in diesen Tagen nicht nur als beherzter Anwalt der deutschen Wiedervereinigung präsentierte sondern dies unermüdlich mit dem europäischen Einigungsprozess verband. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sprach dabei gerne von zwei Seiten einer Medaille. So gelang es in beeindruckend kurzer Zeit, die nötige Unterstützung für eine Wiedervereinigung Deutschlands zu sammeln und den Boden für neue große Fortschritte im europäischen Einigungsprozess zu schaffen. Die deutsche Wiedervereinigung war damit zu einem wichtigen Katalysator der Der Anfang der 1990er begonnene Europapolitik insgesamt geworden. positive Trend in der Europapolitik setzte sich nun einige Jahre lang fort Des Weiteren brachte die Demo- und führte über den Maastrichter kratisierungswelle im Osten Europas Vertrag und die Folgeverträge bis zur nicht nur neue, frei gewählte Regie- Einführung einer europäischen Währungen hervor, sondern ermöglichte rung und der EU-Osterweiterung. Bei vielen alten europäischen Nationen all diesen historischen Meilensteinen die langersehnte Wiedergewinnung der europäischen Integration gehörihrer staatlichen Unabhängigkeit. te Deutschland zu jenen Kräften, die Auch dies war ein wichtiger Teil des durch neue Initiativen und deren behistorischen Demokratisierungspro- herzte Umsetzung bewiesen, wie sehr zesses. Vom Baltikum über Mittel- man sich der europäischen Idee vereuropa bis an die Adria meldeten schrieben hatte. Auch Kroatien hat in sich jene Nationen zurück, denen die den letzten Jahren erfolgreich seine -37-


Verantwortung im Rahmen der europäischen Idee und der transatlantischen Partnerschaft übernommen. Es ist durch seine gut entwickelte Demokratie und erfolgreiche Wirtschaft zum Modell für die Reformstaaten Südosteuropas geworden. Deshalb ist es auch ganz natürlich, dass Kroatiens NATO- und EU-Beitritt bevorsteht.

Hartmut Koschyk war Anfang der 1990er der erste Kroatienbeauftragte des Deutschen Bundestages. In dieser Zeit habe ich ihn als deutschen Politiker und bekennenden Europäer kennen und schätzen gelernt. Ich bin ihm dankbar, dass er sich nun schon seit vielen Jahren berherzt für die deutsch-kroatische Freundschaft einsetzt. Zum 50. Geburtstag wünsche ich ihm alles Gute.

Für den Erfolg des europäischen Einigungsprozesses war in den letzten Dr. Ivo Sanader fünfzig Jahren von grundlegender Bedeutung, dass die deutschen Bundesregierungen von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis Angela Merkel der wichtigen Maxime gefolgt sind, bei europäischen Entscheidungen auch auf die Interessen der kleineren Länder zu achten. Damit hat Deutschland immer auch sich selbst genutzt und gleichzeitig den europäischen Gedanken gestärkt. Auch die Zukunft des europäischen Einigungsprozesses wird davon abhängen, ob die Europäer fähig sein werden, eine ausgleichende Politik zu führen, der es gelingt, nationale Interessen in europäische Interessen einzubinden. Denn langfristig, ist nationaler Erfolg eben doch nur durch den gesamteuropäischen Erfolg aufrechtzuerhalten.

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eit wir nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 gemeinsam als neu gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag gestartet sind, verbinden mich mit Hartmut Koschyk in der CSULandesgruppe enge Zusammenarbeit und persönliche Freundschaft. Während ich die parlamentarische Arbeit in der Arbeits- und Sozialpolitik und als arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe gelernt habe, hat Harmut Koschyk früh den Vorsitz in der Arbeitsgruppe Vertriebene der gemeinsamen Fraktion mit der CDU übernommen. In dieser Wahlperiode stehen wir gemeinsam an der Spitze der CSU-Landesgruppe. Der Vorsitzende und sein Parlamentarischer Geschäftsführer müssen ein Team sein, in dem jeder sich auf den anderen blind verlassen kann.

Parlamentarischer Geschäftsführer – Eine zentrale Aufgabe für die parlamentarische Demokratie

Dr. Peter Ramsauer MdB, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag

Parlamentarische Geschäftsführer stehen nicht im Rampenlicht. Lexika beschreiben die Aufgabe knapp und spröde als „Abgeordnete, die mit Verwaltungs- und Geschäftsordnungsfragen befasst sind“. Das ist nicht falsch, aber doch ein irreführendes Understatement. Als Manager des Parlaments bereiten die Parlamentarischen Geschäftsführer die Sitzungen des Bundestages vor und planen seine Tagesordnung. Doch ihr Wirkungskreis reicht weit darüber hinaus. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe ist zuständig für die Außendarstellung, für die vielfältigen Informationsangebote von den Presseerklärungen bis zum Internetauftritt. Er

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verantwortet den Etat, der alljährlich vom Bundesrechnungshof gründlich geprüft wird. Die Landesgruppe mit ihren rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe ich selbst immer mit einem mittelständischen Betrieb verglichen. Zu der Führungsleistung, die Hartmut Koschyk in diesem Kreis gelingt, kann sich die CSU-Landesgruppe nur gratulieren. Ohne Persönlichkeiten, die das Rampenlicht nicht scheuen, kommt die Politik nicht aus. Alle Kolleginnen und Kollegen sollen ein Tätigkeitsfeld finden, auf dem sie ihre Talente entfalten und zum Wohl der CSULandesgruppe optimal einbringen können. Wer in welchem Ausschuss tätig ist und in welcher Debatte spricht, entwickelt Harmut Koschyk im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen – und tariert das Gesamttableau bei jedem Wechsel mit viel Gespür und Fingerspitzengefühl neu aus. Darum ist die CSU im Bun-destag optimal vertreten: stets mit der richtigen Frau oder dem richtigen Mann an der richtigen Stelle. Unsere Landesgruppe besteht als einzige parlamentarische Gruppe im Bundestag über viele Wahlperioden hinweg ganz überwiegend aus direkt in ihren Wahlkreisen gewählten Abgeordneten. Das ist wie ein Orchester aus lauter Solisten – eine schwierige, aber vor allem anspornende Aufgabe für Dirigenten und Konzertmeister, denn je größer die Anforderung ist, Respekt zu finden, um so beeindruckender sind dann auch die Ergebnisse des Zusammenspiels.

Unser Grundgesetz verankert die Bundesregierung ganz im Vertrauen des Bundestages, also der Abgeordneten aus den Koalitionsparteien, die nach dem Urteil der Wählerinnen und Wähler dort eine Mehrheit bilden können. Die Entscheidung für eine rein parlamentarische Demokratie war eine der Lehren, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus der deutschen Geschichte gezogen haben. Zum 60. Geburtstag unserer Verfassung können wir sagen: diese Entscheidung hat sich bewährt. In der parlamentarischen Demokratie ist eine Regierung so stabil, wie die Fraktionen regierungsfähig sind, die sie tragen. Regierung und Regierungsfraktionen müssen sich eng abstimmen, denn sie müssen im Gleichklang Politik machen. Das verlangt Disziplin in allen Fraktionen – im übrigen auch in der Opposition, denn der Anspruch der Opposition, nach der nächsten Wahl die Regierung bilden zu können, ist nur glaubwürdig, wenn ihre parlamentarische Arbeit überzeugt. Die Anforderungen sind vielfältig: bei den Abstimmungen im Parlament, und vor allem bei strittigen und namentlichen Abstimmungen, müssen alle Abgeordneten anwesend sein, in den zahlreichen Fachdebatten bis tief in die Nacht zumindest die Mitglieder der entsprechenden Ausschüsse. Die von gemeinsamen Überzeugungen getragene Zusammenarbeit in einer Fraktion und in unserer CSU-Landesgruppe kann nur funktionieren, wenn die Kolleginnen und Kollegen in den vielfältigen Fachausschüssen

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die Auffassungen der Gruppe einbringen, die sie dorthin entsandt hat – und wenn im Plenum die Vorarbeit unterstützt wird, die in den Fachausschüssen geleistet wurde. Dies alles steht in der Verantwortung der Parlamentarischen Geschäftsführer. Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind daneben gleichsam auch die Gewerkschaft oder der Betriebsrat der Abgeordneten. Die hohe persönliche Beanspruchung, die das Mandat mit sich bringt, ist leichter zu tragen, wenn man sich in schwierigen persönlichen Situationen auf Solidarität verlassen kann. Für die Anliegen und Belange unserer Kolleginnen und Kollegen setzt sich Hartmut Koschyk mit Nachdruck ein. Überall Bescheid zu wissen, wo nötig zu helfen und nichts zu sagen, zeichnet ihn aus. Gemeinsam mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der anderen Fraktionen kümmert er sich um die Themen, die für die parlamentarische Arbeit und für die Qualität der demokratischen Entscheidungsprozesse wichtig, aber in der Öffentlichkeit hoch umstritten sind: Eine sachgerechte Amtsausstattung der Parlamentarier und Diäten, die qualifizierte Persönlichkeiten zur Kandidatur für ein Mandat im Deutschen Bundestag ermuntern. Verein für klare Aussprache, Speerspitze der CSU – unsere Landesgruppe hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten mit harter Arbeit manche ehrenvolle Bezeichnung erworben. Das war nur möglich, weil

in der CSU-Landesgruppe das Klima stimmt. Alle, die den politischen Betrieb früher in Bonn und jetzt in Berlin kennen und die CSU-Landesgruppe kennengelernt haben, haben das besondere menschliche Miteinander in unseren Reihen hervorgehoben. Dafür, dass das so bleibt, sorgt Hartmut Koschyk: denn Teamgeist schafft Durchsetzungsfähigkeit. Beides macht die CSU-Landesgruppe zum Motor auch der Großen Koalition – Wahlfreiheit für die Familien, deutsche Sprache als Schlüssel der Integration, Einsatz für das Eigentum in der Erbschaftsteuerreform, Steuerentlastung im Pakt für Beschäftigung und Stabilität nenne ich nur als Stichworte. Hartmut Koschyk sorgt dafür, dass der Motor rund und kräftig läuft. Die Delegierten der Parteitage und Parteiausschüsse der CSU schätzen ihn als kompetenten und aufgeschlossenen Leiter der Antragskommission. Hartmut Koschyk ist ein Manager, der schwierige Situationen nicht nur besonnen zu meistern, sondern vor allem voraus-schauend zu meiden versteht. Die Landesgruppe und ich schätzen seine Urteilskraft und seinen Rat. Seine Empfehlungen haben Hand und Fuß. Er ist mein engster Mitstreiter in der Führung der Landesgruppe. Ohne ihn könnte ich meine Aufgabe nicht erfolgreich erfüllen. Ich freue mich darauf, mit ihm noch lange gut zusammenzuarbeiten – und nicht nur in unseren jetzigen Ämtern.

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Das Erbe der friedlichen Revolution bewahren

Rainer Eppelmann, Minister a.D., Vorstandsvorsitzender der Bundesftiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur

igentlich sprach alles dagegen, dass ich mit Hartmut Koschyk jemals freundschaftliche Kontakte aufnehmen könnte. Er stammt aus einer oberschlesischen Familie, ich aus Berlin, wohin allerdings viele Oberschlesier ausgewandert sind. Er hat ein humanistisches Abitur abgelegt, mir war das nicht vergönnt. Er ist Major der Reserve. Ich war nur Bausoldat und für wenige Monate Abrüstungs- und Verteidigungsminister der DDR. Er war mit 28 Jahren Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen. Ich hatte in der DDR gelernt, Vertriebener mit Revanchist zu übersetzen. Er holt seinen Wahlkreis Bayreuth-Forchheim mit 56 Prozent der Stimmen, ich brachte es in meinem brandenburgischen Wahlkreis Fürstenwalde –Strausberg –Seelow niemals ganz zu solchen Traumergebnissen. Er spricht oberfränkisch, ich kultiviere die Berliner Schnauze. Hartmut Koschyk ist römisch-katholisch und war wahrscheinlich sogar Messdiener. Ich bin evangelischer Pastor geworden und das gerne. Weshalb also sollte ich ihm etwas für seine Festschrift zum 50. Geburtstag schreiben? Eines haben wir dann aber eben doch nachweislich gemeinsam und das, dokumentiert in 36 dickleibigen Bänden, über gut acht Jahre hinweg: die gemeinsame, intensive Arbeit in den beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Deutschland und daran anschließend unsere Mitarbeit an der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur!

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Die Enquête-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind inzwischen selber Geschichte geworden und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Das politisch -historische Anliegen der Kommissionen lebt aber sehr kräftig fort in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, an deren Zustandekommen Hartmut Koschyk einen entscheidenden Anteil gehabt hat und in deren Stiftungsrat er heute als stellvertretender Vorsitzender entscheidend mitwirkt. Die Geschichte der Stiftung Aufarbeitung, wie sie heute meistens genannt wird, setzt nicht erst mit der Verabschiedung des „Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ vom 5. Juni 1998 ein, der Bestellung des Vorstandes und des Stiftungsrates oder der Arbeitsaufnahme der Geschäftsstelle damals in der Berliner Otto-Braun-Straße am 2. November 1998. Sie begann vielmehr mit der friedlichen Revolution von 1989 und hat ihre Vorgeschichte in der DDR - insbesondere bei allen denjenigen Menschen, die sich durch oppositionelles Verhalten der SED-Diktatur verweigert hatten. So war es kein Wunder, daß bereits sehr früh die Notwendigkeit der Aufarbeitung der SED-Diktatur erkannt wurde. Die Besetzung der Stasi-Zentralen im Spätherbst 1989 war ein nicht zu unterschätzender Beitrag mündig gewordener Bürger zu dieser Aufarbeitung. Die Offenlegung der Hinterlassenschaft der Diktatoren - von der einzigen frei gewählten Volkskammer beschlossen,

vom Deutschen Bundestag aufgenommen und durchgesetzt - war ein erster Schritt in die Richtung einer staatlich bewusst geförderten Aufarbeitung der Geschichte der zweiten Diktatur auf deutschem Boden. Hier sind nicht nur die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitssdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, also die Gauck- und danach Birthler-Behörde, zu nennen, sondern auch die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO), die Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) sowie die Landesbeauftragten für die Unterlagen der Stasi in allen neuen Ländern – mit Ausnahme Brandenburgs - gehören zu den unverzichtbaren Elementen der staatlich geförderten, aber nicht staatlich angeleiteten Geschichtsaufarbeitung. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wurde insbesondere von den Aktivisten der friedlichen Revolution auch als eine grundsätzliche Voraussetzung für die Herbeiführung einer demokratischen Gegenwart und Zukunft eingefordert. Das war die eigentliche Begründung für die zwei Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestages. Die Erkenntnis, dass eine einseitige Ausrichtung der Aufarbeitung auf den Stasi-, Parteiund Staatsapparat der Komplexität des Lebens in der Diktatur nicht gerecht werden könnte, spielte bei der Einsetzung der Enquête-Kommissionen eine wichtige Rolle. Es

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bestand aber auch die Gefahr, dass die Perspektive der Opfer des SEDRegimes angesichts der Aktenkilometer der Unterdrückungsapparate unterzugehen drohten. Ebenso schien die Tatsache, dass die Unterdrückungsgeschichte in der DDR ein Teil der Widerstandsgeschichte war, in der gesellschaftlichen Debatte über die DDR-Vergangenheit zu wenig Berücksichtigung zu finden.

trierte fraktionsübergreifende Arbeit im Bundestag die Anerkennung der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Aufarbeitung der SED-Diktatur durchgesetzt werden. So gelang es, in kürzester Zeit – und das in einem Wahljahr - zu einem gemeinsamen Gesetzesentwurf zu gelangen, der am 5. Juni 1998 bei weitgehender Zustimmung aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages – mit Ausnahme der PDS - zum Gesetz Der Einsetzungsbeschluss machte zur Errichtung der Stiftung zur Aufes der zweiten SED-Enquête-Kom- arbeitung der SED-Diktatur führte. mission ausdrücklich zur Pflicht, „den gesamtgesellschaftlichen AufDie Stiftung hat sich inzwischen als arbeitungsprozess [zu] fördern und ein zentraler Punkt bei der Vernetfür die Zukunft Vorschläge für seine zung der unterschiedlichen Ansätze Weiterführung [zu] machen“. Dabei der Aufarbeitung der SED-Diktatur sei zu prüfen, heißt es weiter, „ob fest etablieren können. Ihre umfangdafür nicht auch institutionelle Mit- reichen Tätigkeitsberichte bilanzieren tel, z.B. im Rahmen einer Stiftung, exakt die Fülle der Projekte, Stipenzu schaffen sind“. Die Enquête- dien, Veranstaltungen, Publikationen Kommission hat diesen Teil ihres und internationalen Kontakte, die Auftrags besonders ernst genommen durch die Stiftung ermöglicht und zuund sich ein umfassendes Bild vom meist aktiv mitgestaltet und begleitet vielfältigen gesellschaftlichen Pro- werden. Die Bibliothek und das Arzess der Aufarbeitung gemacht. Er- chiv der Stiftung in deren neuem Dogebnis war der am 8. Oktober 1997 mizil in der Kronenstraße, am Rande dem Deutschen Bundestag vorgeleg- des Regierungsviertels, haben inzwite Zwischenbericht „Errichtung einer schen professionelle Qualität erreicht. selbständigen Bundesstiftung des öffentlichen Rechts zur Aufarbeitung Gelegentlich kann man das Wort von Geschichte und Folgen der SED- von einer „nationalen Aufgabe“ der Diktatur in Deutschland“. In diesem Stiftung in der Öffentlichkeit lesen Bericht, an dem Hartmut Koschyk in- und hören. Das ist nur bedingt zutensiv mitarbeitete, wurden die Stif- treffend. In der Enquête-Kommission tung und ihr Auftrag bereits präzise war immer die Rede von der gesamtskizziert, vor allem aber ihre Not- staatlichen Aufgabe der Aufarbeiwendigkeit deutlich herausgestellt. tung - und das war eine sehr bewusst Auf bemerkenswerte Weise konnte gewählte Formulierung. Sie zielte auf in der Folgezeit durch eine konzen- die Notwendigkeit des gemeinsamen -45-


Engagements von Kommunen, Ländern und des Bundes bei der Aufarbeitung auch über die Grenzen der ehemaligen DDR hinaus. Deutlich gemacht werden sollte, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht nur eine Angelegenheit der neuen Länder sein könne und solle. Schon die erste Enquête-Kommission hatte sich ja deshalb selber sehr genau überlegt den Titel „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ gegeben. Diese Formulierung ist auch für die internationalen Dimensionen der Aufarbeitung der Diktaturgeschichte offen. Die DDR war Bestandteil des sowjetischen Imperiums. Der Zusammenhang von Demokratisierung, historischer Aufarbeitung und europäischer Integration zeigt, dass der nationale Blickwinkel je länger je mehr nicht ausreichen wird, um die Dimensionen kommunistischer Diktatur und ihrer Folgen ausreichend zu erfassen. Auch in der Förderpraxis der Stiftung wird diese Einsicht zunehmend berücksichtigt.

zu orientieren. Die Verbindung von Vereinen und Aufarbeitungsinitiativen mit Wissenschaftseinrichtungen sowie anderen staatlichen Einrichtungen, aber auch die beabsichtigte Einbeziehung von Stipendiaten bei den fachlichen Angeboten der Stiftung, wirkt sich positiv auch auf die fachliche Qualität von Aufarbeitungsprojekten aus. Das wird von der Stiftung nicht nur als Einbahnstraße in Richtung auf diese Projekte begriffen. Ebenso wichtig ist es, dass die Wissenschaftseinrichtungen das Wissen und die spezifischen Kenntnisse der Aufarbeitungsszene rezipieren und die Überlieferungen aus Opposition und Widerstand in den unabhängigen Archiven zur Kenntnis nehmen und nutzen. Solche Kontakte zwischen Wissenschaftlern und Aufarbeitungsinitiativen tragen zur Erweiterung des Wahrnehmungshorizontes bei und sind allen Seiten dienlich.

Ich persönlich bin dankbar dafür, dass mit der Arbeit für die Stiftung Aufarbeitung die Kontakte zu vielen Menschen institutionell verfestigt Eine besonders wichtige Aufgabe werden, so sagt man ja wohl, die mir sieht die Stiftung bei der fachlichen bei derAufarbeitung der SED-Diktatur Fortbildung der Mitarbeiter von zu persönlichen Freunden wurden. Initiativen zur Aufarbeitung der Hartmut Koschyk, dieser oberschleSED-Diktatur. Nicht selten wird sische Franke, gehört unbedingt in noch unterschätzt, wie wichtig es für diesen Kreis hinein, obwohl uns doch die dauerhafte Sicherung der Arbeit fast nichts miteinander verbindet, in Projekten von Vereinen und In- wie ich einleitend bemerken musste. itiativen ist, sich an den allgemein üblichen Maßstäben für die Ausgestaltung von Gedenkstätten, die Sozialberatung oder die sachgerechte Betreuung der Quellen in den Archiven -46-


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nsere Gemeinsamkeiten lassen sich vor allem auf die Zusammenarbeit als Abgeordnete des Deutschen Bundestages – damals noch in Bonn – von 1990 bis 1998 zurückführen. Vor allem bezog diese sich auf zwei große Themenbereiche, die Menschenrechtspolitik und die Überwindung der Folgen der kommunistischen Diktatur in der ehemaligen DDR.

Der Schutz der Menschenrechte und der Umgang mit Diktaturen

Gerd Poppe, Minister a.D. und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe

Beide waren wir Mitglieder des damaligen Unterausschusses „Menschenrechte und Humanitäre Hilfe“. Beim Blick in die alten Plenarprotokolle der 12. Wahlperiode habe ich festgestellt, dasas wir im Jahre 1991 zweimal zum selben Tagesordnungspunkt im Bundestag gesprochen haben. Im September wurden die deutsch-polnischen Beziehungen behandelt, und am 6. Dezember fand eine große Menschenrechtsdebatte statt. Es ging unter anderem um Menschenrechtsverletzungen in China, Burma und Iran. Die könnten auch heute noch in ganz ähnlicher Weise beklagt werden, woran schon zu erkennen ist, wie mühevoll es ist, die Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Aber auch Erfolge haben sich inzwischen erreichen lassen. 1991 forderten wir einen Hochkommissar für Menschenrechte und einen Menschenrechtsgerichtshof bei den Vereinten Nationen. Beides ist inzwischen Realität, und heute kommen die Massenmörder nicht mehr so einfach davon, selbst wenn sie Staatspräsidenten sind. Debattiert wurde 1991 auch darüber, ob der Unterausschuss -47-


in einen vollwertigen Ausschuss umgewandelt werden sollte, was dann 7 Jahre später tatsächlich geschah. Der Abgeordnete Koschyk schlug außerdem vor, dass der Bundestag einen Menschenrechtsbeauftragten einsetzen sollte. Sieben Jahre später wurde ich der erste Menschenrechtsbeauftragte – zwar nicht des Bundestages, sondern der Bundesregierung. Die genannten Beispiele zeigen, dass sich Hartmut Koschyk Themen widmet, bei denen man nicht unbedingt einen schnellen spektakulären Erfolg erzielt, sondern einen langen Atem braucht. Das ehrt ihn. In diesem Zusammenhang soll auch die fraktionsübergreifende Tibet-Arbeitsgruppe erwähnt werden, die wir 1994 gründeten. Für die CDU/CSU-Fraktion arbeitete Koschyk mit, für die SPD Volker Neumann, für die FDP Irmgard Schwätzer und für Bündnis 90/Grüne ich. Hinzu kamen weitere Abgeordnete, und die ganze Organisation wurde von Ulrich Fischer bewältigt, der damals Menschenrechtsreferent meiner Fraktion war. Die Arbeit führte zur Aufsehen erregenden interfraktionellen Tibet-Resolution des Bundestages vom 23. April 1996. Darin wurden die Dialogbereitschaft des Dalai Lama gewürdigt, die schweren Menschenrechtsverletzungen und die Verletzung der ethnischen, kulturellen und religiösen Identität der Tibeter kritisiert und die Bundesregierung aufgefordert, sich für einen Dialog des

Dalai Lama mit der chinesischen Führung einzusetzen und sich in diesen Fragen um eine gemeinsame Stimme der EU zu bemühen. Die Resolution wurde mit großer Mehrheit von allen Fraktionen (außer der PDS, deren Vorgängerpartei ja schon 1989 das Massaker auf dem Tienanmen-Platz in Peking begrüßt hatte) verabschiedet. Allerdings gab es auch Einwände – nicht zuletzt aus der damaligen CDU/ CSU-FDP-Bundesregierung. Gleichwohl entschieden sich die Abgeordneten eindeutig und im Sinne von Demokratie und Menschenrechten. Pragmatische Überlegungen wegen einer befürchteten Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen mussten dahinter zurückstehen. Hartmut Koschyk hatte am Erfolg dieser fraktionsübergreifenden Initiative einen großen Anteil, und das beweist nicht nur, dass er sich bei vielen Gelegenheiten für den Schutz der Menschenrechte einsetzt, sondern auch, dass er, wenn es um die Durchsetzung unserer grundlegenden Werte geht, durchaus auch einmal den Widerspruch aus den eigenen Reihen aushalten kann. Auch das ehrt ihn. 1992 wurde die Enquetekommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ ins Leben gerufen, 1995-98 schloss sich „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ an. Neben den Abgeordneten arbeiteten renommierte Historiker und Wissenschaftler in der Kommission mit.

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Es waren nach Umfang der Arbeiten und der vorgelegten Ergebnisse die mit Abstand aufwändigsten EnqueteKommissionen in der Geschichte des Bundestages. Hartmut und ich waren jeweils die Obleute unserer Fraktionen. Noch heute stellen die insgesamt 32 herausgegebenen Bände eine bedeutende Quelle für die Arbeit von Historikern und Publizisten dar. Der Zusatz „in Deutschland“ in der Bezeichnung der ersten Kommission war wichtig, denn die Aufgabe konnte nur bewältigt werden, wenn sie als eine gesamtdeutsche wahrgenommen wurde. 1998 fasste der Deutsche Bundestag den Beschluss zur Gründung der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die inzwischen eine Vielzahl von Projekten – zunehmend auch in den alten Bundesländern – gefördert hat. Hartmut Koschyk ist diesem Thema stets verbunden geblieben, und er ist Mitglied des ehrenamtlichen Stiftungsrates. In diesem Jahr begehen wir den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution. Viel ist auf dem Weg der Vollendung der deutschen Einheit seitdem schon erreicht worden, aber immer noch wird die kommunistische Diktatur verharmlost und von manchen als ein zwar fehlerhaftes, aber „gut gemeintes Experiment“ schön geredet, nicht zuletzt durch die im Bundestag vertretene Linkspartei. Auch mit den Wissenslücken der jungen Generation hinsichtlich beider Diktaturen in Deutschland dürfen wir uns nicht abfinden. Wir müssen für alle Zeiten verhin-

dern, dass ähnliche „Experimente“ in Deutschland und Europa noch einmal möglich werden. Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wird noch viele Jahre wichtig bleiben, und ich bin Hartmut Koschyk dankbar, dass er sie immer als eine gesamtdeutsche Angelegenheit angesehen und sich bis heute für sie engagiert hat. Abschließend will ich noch eine weitere Tätigkeit Koschyks würdigen, die man gewissermaßen als Zusammenfügung der zuvor genannten Aufgaben ansehen könnte – gemeint ist sein Engagement für Korea. Hierbei geht es einmal um die Durchsetzung der Menschenrechte und schließlich die Überwindung der kommunistischen Diktatur im Norden, zum anderen auch um die weitere Festigung der Demokratie im Süden des Landes, um die Unterstützung bei noch erforderlichen Transformationsprozessen. Seit die Einheit Deutschlands erreicht wurde, ist das Interesse der südkoreanischen Politiker an den bei uns getroffenen Entscheidungen sehr groß. Für sie sind unsere Erfahrungen wertvoll, auch wenn allen klar ist, dass der Weg zur Wiedervereinigung auf andere Weise gegangen wird als bei uns. Hartmut Koschyk möchte mit der DeutschKoreanischen Gesellschaft und auch in der Parlamentariergruppe des Bundestages dazu beitragen, dass dieses Ziel eines Tages in greifbare Nähe rückt. Dieser Aufgabe widmet er sich mit Augenmaß und ohne Berührungsängste gegenüber den nordkoreanischen Funktionären, denen er

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zugleich aber immer auch verdeutlicht, dass unsere Gesprächsbereitschaft nicht bedeutet, den menschenverachtenden Umgang mit ihrem eigenen Volk zu akzeptieren. Menschenrechtspolitik und Dialogfähigkeit darf eben niemals zum „Appeasement“ gegenüber Diktaturen führen. Lieber Hartmut, ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft und gute Erfolge bei Deiner politischen Tätigkeit sowie viel Glück im privaten Leben. Ich würde mich freuen, wenn Du auch trotz der vielfältigen Aufgaben in Innenpolitik, Fraktion und Wahlkreis genügend Zeit findest, Dich auch zukünftig auf den hier genannten Politikfeldern zu engagieren.


Lieber Hartmut, zu Deinem 50. Geburtstag am 16. April 2009 gratuliere ich Dir auf’s Herzlichste!Für das neue Lebensjahr und -jahrzehnt wünsche ich Dir weiterhin frohen Mut, Stehvermögen, Glaubenskraft, Weisheit und Stärke und in allem den Segen unseres menschenfreundlichen Gottes! In alter Freundschaft und mit herzlichen Grüßen, Dein Christian Schmidt Ein Fürstenspiegel für Demokraten

Ein Fürstenspiegel für Demokraten

Christian Schmidt, Regionalbischof im Kirchenkreis Ansbach-Würzburg

Wie ihr ja wisst, hat ehedem die „Fürstenspiegel“ es gegeb’n; die waren nicht zum Sich-Rasieren und zum Frisuren-Ausprobieren, und nicht, um, Eigenlobes voll, zu sagen: Mensch, was bist du toll! Nein, nein, der Spiegel, liebe Leut’, hat ganz was anderes bedeut’, er ist auch nicht aus Glas gewesen – ein Buch war’s, um darin zu lesen, wie sich in dieser schnöden Welt ein Fürst und Herrscher gut verhält. Dies Spiegel-Buch, der Buches-Spiegel, ist, ja, wie Regel und wie Riegel, und nennt uns Gut und Bös beim Namen, so dass der Fürst, ihr Herrn und Damen sich fragt: Tu ich mich so verhalten, dass ich den Jungen und den Alten und – logisch – denen zwischendrin auch echt ein gutes Beispiel bin. Wenn er in diesen Spiegel schaut, merkt er: Jetzt hab ich Mist gebaut, doch manchmal sieht er – kaum zu fassen mein Handeln kann sich sehen lassen, ja, da kann Gutes draus erwachsen -51-


für meine Franken oder Sachsen. Heut gibt bei uns es, bitte sehr, keine regiern’den Fürsten mehr, seit neunzig Jahren gibt es hie auf gut Deutsch die – Demokratie. Halt, neunzig Jahr sind’s nicht gewesen – wie ihr’s erlebt habt oder g’lesen, war um zwölf Jahr die Zeit verkürzt, in welchen ins Verderben stürzt der Hitler – ja – die ganze Welt, was unserm Herrgott nicht gefällt. Der „Führer“, der so viel versaut, hat in den Spiegel nicht geschaut, wer in ihn schaut, hat keinen Spaß an Größenwahn und Rassenhass. Wie gut, dass heute engagiert bei uns das ganze Volk regiert! Da gibt es, wenn genau ich’s nehme, zwar auch so mancherlei Probleme, doch hat der Winston Churchill recht, der einmal sagte, gar nicht schlecht, im Gegenteil: Demokratie is doch meilenweit enorm viel besser die Regierungsform, Doch auch dem Volk sicher tut ein so ein „Fürstenspiegel“ gut, weil jeder Mensch ja dazu neigt, und seine Grenzen übersteigt und sich für – ja, so ist die Welt – den Mittelpunkt des Kosmos hält. Wer tut sich schon dazu bequemen, sich realistisch wahrzunehmen, wer lässt sich nicht ganz gerne schmeucheln, wenn andere Bewund’rung heucheln, und wer wird sich denn aus da klinken, wenn mal ein paar Geschenke winken? Noch immer gilt: „Der Geist ist, ach, oft willig, doch das Fleisch ist schwach!“; wobei das Leben öfter lehrt, dass manchmal es auch umgekehrt

und sich als ziemlich schwach der Geist, doch willig sich das Fleisch erweist! Drum, wenn bei uns auf Erden hie gedeih’n soll die Demokratie, und wenn die Frauen und die Mannen mutier’n nicht sollen zu Tyrannen, dann ist’s gewiss von großem Nutzen – wenn’s manche auch nur schwer verputzen – dass nicht drauf los wir schalten, walten, nein, dass wir uns vor Augen halten so oft wie nötig – also häufig – den Spiegel, der – wie’s nun geläufig – uns hilft, uns richtig einzuschätzen, und niemand schnöde zu verletzen, der den Erwachs’nen und der Jugend auf’s neue zeigt die alte Tugend, die Richtschnur uns und Maßstab gibt, ob dies beliebt, ob unbeliebt, denn ohne die, wie wohl bekannt, fährt schnell der Karren an die Wand. Und das, was wichtig für uns alle, das ist’s im ganz besond’ren Falle für die, die beim Regieren sitzen und für die Volksgemeinschaft schwitzen, und ebenso für unsre – sehter – stets hochgeschätzten Volksvertreter, denn die soll’n ja zu allen Zeiten im Guten stets voran uns schreiten, gerecht und gütig und mit Kraft mit einem Worte: beispielhaft. Drum halten wir, um was zu taugen den „Fürstenspiegel“ uns vor Augen, der uns – tut nur nicht gleich verzagen – stellt eine jede Menge Fragen, die – möge uns die Muse küssen – mir auch ein bisschen ordnen müssen, drum gehen wir - mir net bang, die alten Tugenden entlang. Die höchste – na, mein lieber Christ?


– ja, ganz genau, die „Klugheit“ ist, die – bitte seid nicht geistesmatt! – als Zeichen einen Spiegel hat. Wisst ihr, dass Konrad Adenauer – der Name weckt mir Ehrfurchtsschauer – die Bibelwort’ am liebsten klangen: „Seid klug, ihr Lieben, wie die Schlangen, und ohne falsch, so wie die Tauben“, das steht, ihr könnt es mir schon glauben Matthäus zehn, sechzehnter Vers, schlag’ doch mal nach es, na, wie wärs? Wer klug ist, stellt sich stets die Frage: Stimmt, was ich tue, was ich sage, denn ein mit dem, was Gott gedacht, als einst er alles schuf und macht’? Wenn nicht, dann hat es keinen Wert und wird am Ende ganz verkehrt. Hier sagt uns unser Tugendspiegel: Schiebt bitte einen großen Riegel vor Hochmut und vor Größenwahn, erkennt die Herrschaft Gottes an! ### Und wer erstrebt recht frohen Mutes echt Wahres, Schönes und auch Gutes, und wollte dies und mehr dergleichen mit schlechten Mitteln rasch erreichen, wer so sich am Gescheh’n beteiligt, dass stets der Zweck die Mittel heiligt, der ist im Innern stark verpickelt und, tja, ganz einfach schief gewickelt, denn schlechte Mittel – guter Zweck, das passt nicht, das ist schlichtweg Dreck, macht dich dem Bösen ebenbürtig und eben einfach unglaubwürdig. Die Klugheit steht auf alle Fälle und stets an allererster Stelle, denn wie will einer ohne sie – das frag ich euch jetzt, bitte, wie? – sinnvoll gerecht und tapfer sein, geduldig, maßvoll, edel, rein? Merkt ihrs: rasant geraten diese

Tugenden in die schwerste Krise, und in die rasche Abwärtsfahrt, wenn sie mit Klugheit nicht gepaart. Doch nun kommt schon die zweite dran und sieht uns aus dem Spiegel an, und das – ihr wisst’s, ihr seid gescheit – das ist, ja, die Gerechtigkeit, die meint, wir sagen’s mit Bert Brecht: Wirst deinem Nächsten du gerecht? Bekanntlich sind nun ja hinnieden die Menschen wirklich recht verschieden, weswegen denn auch die Devise „jedem das Gleiche“ ziemlich miese; wir sagen jedenfalls doch besser es mit Aristoteles, denn der sprach richtig, wie ich meine, Sinn macht doch nur: „jedem das Seine“! Drum halten wir zu jeder Zeit den Spiegel der Gerechtigkeit uns vor die Augen, um zu seh’n, wie wir zu unserm Nächsten steh’n; ob mit Behinderten und Kleinen wir’s – beispielsweise – gut auch meinen, und mit „Gut-Meinen“, denkt daran, alleine ist es nicht getan, denn ob wir ihnen zu uns neigen, das muss sich auch ganz praktisch zeigen. Merkt ihr, wie da nun, ganz gewitzt, der Spiegel wieder auf schon blitzt und uns – o nein, mitnichten plagt – nein, nach der dritten Tugend fragt, denn die erweist sich, lasst’s euch flöten, an dieser Stell’ als sehr vonnöten, es ist – da gibt es keinen Streit –, genau, es ist die Tapferkeit, die als Symbol, ganz schmuck und stattlich stets schon einen Löwen hat. Denn willst du einsteh’n ohne Trug für das, was gut, gerecht und klug, dann – so sagt’ jüngst es erst Hans Stapfer – -53-


dann musst du mutig sein und tapfer, dann musst du auch mal widerstehen den Leuten, die das anders sehen, die auch in unseren Gefilden, recht häufig eine Mehrheit bilden, und sagen gerne sich en bloc: “Das Hemd ist näher als der Rock“. Wer für das Kluge und Gerechte sich einsetzt und gezielt das Schlechte bekämpft, kriegt allemal auf Erden auch Ärger, Kummer und Beschwerden und musste schon zu allen Zeiten so manches tapfer auch erleiden, was jede Frau und jeder Mann an Jesus ja studieren kann, in dem sich alles dies verdichtet, der auf sein Leben hat verzichtet, damit wir hier hinkünftig eben nicht mehr als Egoisten leben, vielmehr, wie’s – seht’s im rechten Licht – der göttlichen Vernunft entspricht, welchselbe, Christin du und Christ, ja die Vernunft der Liebe ist. Zu der gehört, zu aller Zier, nun auch die Tugend Nummer vier, auf die wir, Männer ihr und Frauen, jetzt noch in unserm Spiegel schauen, und die, erst neulich neu ich las es, ist die des guten, rechten Maßes, weswegen sie – es steht ihr gut – trägt einen Krug als Attribut. Was meint nun diese Maßes-Tugend für die Erwachs’nen, für die Jugend? Sie meint, sich neu stets zu bequemen und zwischen mancherlei Extremen - genau – die Mitte zu ergründen, zu suchen und herauszufinden, und dazu zählt nun ganz gewiss der wirklich gute Kompromiss, bei dem es nicht, wie’s oft beliebt, hier Sieger, dort Verlierer gibt,

bei dem sich alle recht besinnen und alle auf die Tour gewinnen, das nennt man heute – hört gut hin! – die situation des „win-win“! Woll’n wir einander nicht vergrätzen, ist’s gut, sich richtig einzuschätzen, drum frag ich: Was ist denn die Gabe, die grad ich bekommen habe; reicht sie für das, was ich zu frommen der Menschen mir hab’ vorgenommen; bin ich für dieses Amt denn, schau, der richt’ge Mann, die rich’ge Frau? Da gilt’s ganz ehrlich zu erspüren: Hab’ ich’s denn auch, hinauszuführen das, was ich da jetzt will beginnen, woran ich häng’ mit allen Sinnen? Und dann fragt noch die Maßes-Tugend die Alten, Mittleren, die Jugend: Wie schaut’s – schaut nicht zum Fenster raus! – denn mit der Selbstbeherrschung aus? Wenn da das Schnitzel an dich springt, die Sachertorte dorten winkt? Darf’s noch ein dritter Schoppen sein? Mein Lieber, na, wann sagst du „nein“?! Wenn dort wer nicht mit Reizen geizt und dich zum Seitensprunge reizt, gilt da – zu sagen ich’s nicht scheue – für dich Verantwortung und Treue? Bei so viel schweren Tugendfragen, da könnte man ja fast verzagen; wo krieg’ ich Kraft und Mut denn her, so fragt sich mancher, bitte sehr, und wird betrübt, kennt sich nicht wieder, die Last der Tugend drückt ihn nieder: Wie soll ich, ohne zu erschlaffen, um Gottes will’n das alles schaffen?

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„Um Gottes will’n“ – schon Simon Nüssel hat es gewusst: Das ist der Schlüssel, ja, schaut auf Gott, und dann ihr seht’s: Jawohl. mit seiner Hilfe geht’s! Denn er, der uns verlieh das Leben, hat uns drei Tugenden gegeben, wie ein Geschenk, ein Blumenstrauß geh’n sie den Leistungen voraus, weswegen wir – ihr könnt’s erkennen – die drei die „göttlichen“ auch nennen, die gern ich tief ins Herz euch schriebe, sie heißen – Glaube, Hoffnung, Liebe! Das Herz des Vaters steht uns offen, das ist der tiefste Grund zum Hoffen; auf seine Hilfe darfst du bauen, das ist der Grund für das Vertrauen; und seine Lieb’ trägt unser Leben, das lässt sie froh uns weitergeben.

Mach still uns, Herr, dass wir dich hören; mach leer uns, Herr, und füll’ uns du. Lass lauschen uns auf Jesu Lehren und schenk’ der Seele Trost und Ruh. Mach hungrig uns nach Heil und Frieden und durstig nach Gerechtigkeit; nimm Angst und Traurigkeit hinnieden, schenk’ Freud’ hier und in Ewigkeit.

Doch, um nun bald zum Schluss zu kommen: Wie können wir denn nun, ihr Frommen, das, was ich euch nun hab gehustet – was ihr zum größten Teil schon wusstet – wie können wir – das ist kein Scherz – das denn nun tief in unser Herz so speichern, dass es wirklich dann als kraftvoll sich erweisen kann? Da hilft, das Trachten und das Dichten hinkünftig mehr auf das zu richten, was, ja, vor Gottes Angesicht ist von Bedeutung und Gewicht. Und weil man das aus eigner Kraft halt in der Regel niemals schafft, drum beten wir, was nie zu spät, in Zukunft täglich das Gebet:

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D

ie internationale Finanzkrise hält die Märkte der Welt fest im Griff. Ein tiefgreifender Vertrauensverlust erschüttert die Märkte. Der „Blutkreislauf“ des Wirtschaftslebens, der normalerweise lautlos von den Banken organisiert wird, ist gestört. Erst jetzt merken wir, wie entscheidend Vertrauen im Geschäftsleben und für das Miteinander der Wirtschaft ist. Denn ohne Vertrauen läuft nichts – immer mehr Kontrollen und staatliche Eingriffe können Vertrauen letztlich nicht ersetzen.

Das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns – wirtschaftliches Handeln in christlicher Verantwortung

Schon vor der Finanzkrise war es zu einem schleichenden Vertrauensverlust zwischen Wirtschaft und Politik gekommen. Er ist inzwischen in einen Vertrauensverlust in unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung gemündet. Nur jeder vierte Deutsche glaubt, dass die Bevölkerung profitiert, wenn es Unternehmen gut geht. Jeder Dritte hält Gewinne für unmoralisch. Hier tröstet es wenig, dass fast alle gesellschaftlichen Gruppen betroffen sind. Politik, Kirchen, Gewerkschaften und Medien. Hier muss dringend mehr getan werden, um die Zusammenhänge zu erklären. Es geht um unsere grundsätzliche Ordnung. Und um das Verhältnis von Markt und Staat. Ein Blick zurück - der ehrbare Kaufmann

Dr. Werner Schnappauf, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V.

Seinen historischen Ursprung fand das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns im alten Rom. Hier finden sich Zeugnisse in der bona fides -57-


des römischen Bürgers. Ein Römer hielt viel auf seine gute Treue. Gemeint war vor allem Zuverlässigkeit und Lauterkeit im Rechtsverkehr.

wir auch heute noch (in § 242 BGB) den Begriff von „Treu und Glauben“ als Verhalten eines redlich und anständig handelnden Menschen.

Im ausgehenden Mittelalter erlebten die Menschen in Europa eine Zeit radikalen Wandels. Die bis dahin gültige Schenkungswirtschaft wurde abgelöst durch das Aufkommen des Handelsstaates. Viele Autoren sehen hier die Wiege dessen, was wir heute Globalisierung nennen. Nach und nach entstanden die Handelszentren der Renaissance im Süden Europas und die Wirtschaftskraft der Hanse im Norden.

Die wichtige Rolle der Kirchen Die aktuelle Situation auf den Finanzmärkten sollte uns Anlass sein, der Frage nach Leitbildern intensiver nachzugehen. Denn wir müssen uns davor hüten, diese Krise als einen „Betriebsunfall“ zu verharmlosen. Wir müssen sie auch zum Anlass nehmen, wieder über christliche Werte in der Politik nachzudenken.

Bereits der heilige Benedikt hat in Zunächst bedurfte es keiner ge- seiner Klosterregel von der Discreschriebenen Regeln, um das Verhal- tio gesprochen. Das bedeutete, den ten der Kaufleute zu bestimmen. Das eigenen Wünschen in ausgeglichewichtigste Instrument der spätmittel- ner und moderater Weise nachzugealterlichen Stadt war die Ehre. „Ehre ben. Der entscheidende Begriff der verloren – alles verloren“, heißt es in „Mitte“ ist in der Vergangenheit oft einem alten Sprichwort bezeichnend. vergessen oder als „Mittelmaß“ verspottet worden. Dabei verkörpert Als Figur des Mittelalters blieb der die „Mitte“ viel von den Werten, die Kaufmann durchdrungen von Reli- jetzt gerade nötig sind. Es geht um giosität. Christliche Demut stand in „Maß und Mitte“ im Handeln des engem Verhältnis zum gesellschaft- Unternehmers für die Gesellschaft. lichen Verhalten der Kaufleute. Nach und nach wurde das Leitbild des Gerade die katholische Kirche hat ehrbaren Kaufmanns in Kaufmanns- sich früh und immer wieder mit unhandbüchern - Vorläufern unserer serem Wirtschaftssystem auseinanBetriebswirtschaftlehre - kodifiziert dergesetzt. Zentral ist die Sozialenzyund vermittelt. Im Werk eines ita- klika "Centesimus annus" von 1991, lienischen Autors heißt es schon im welche die Werte, die der sozialen Jahr 1494: „Es gilt nichts höher als Marktwirtschaft zugrunde liegen, als das Wort des guten Kaufmanns.“ verpflichtende Normen einer gerechten Wirtschaftsordnung herausstellt. Das Leitbild wirkt bis heute nach. In einer Schrift zur wirtschaftlichen Im Bürgerlichen Gesetzbuch finden und sozialen Lage in Deutschland -58-


heißt es bereits 1994: „Die soziale Marktwirtschaft unterliegt der ständigen Verpflichtung, unter sich wandelnden Bedingungen die Wirtschaft den Menschen dienstbar zu machen und zu verhindern, dass die Menschen zur bloßen Funktion wirtschaftlicher Prozesse werden.“ In der gleichen Schrift erinnerte die Kirche auch an das wichtige Prinzip der Subsidiarität. Auch soziale Regelungen und Maßnahmen müssen immer im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe angelegt sein. Auch die evangelische Kirche hielt aktuell 2008 in ihrer Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in unternehmerischer Perspektive“ Leitgedanken zum Unternehmerbild fest: „Unternehmerische Führung gibt Ziele vor, muss Vertrauen schaffen und Wertmaßstäbe setzen.“ Nichts anderes ist mit dem „Ehrbaren Kaufmann“ gemeint.

Nutzens gestellt wird. Ziel der Wirtschaft liegt nicht im Wirtschaften selbst, sondern in ihrem menschlichen und gesellschaftlichen Nutzen. Soziale Marktwirtschaft als Kompass Die soziale Marktwirtschaft gilt immer noch als die Wirtschaftsordnung des Wirtschaftswunders. Erst die Kombination aus Wettbewerb und Solidarität hat es möglich gemacht, dass Wohlstand für alle möglich wurde. Politiker wie Ludwig Erhard setzten die Ideen von Walter Eucken und Alfred Müller-Armack um. Schon kurz nach dem Krieg war der Kontrast zu den Ländern, die nicht auf die Marktwirtschaft setzten, für alle sichtbar. Das letzte Urteil fällte die Geschichte. Der Zusammenbruch der planwirtschaftlich diktierten Länder markierte auch das Versagen staatlich gelenkter Wirtschaft. Es war auch ein moralisches Versagen. Mauerbau und Schießbefehl waren Sinnbild für den Untergang der Humanität.

Das christliche Menschenbild ist die Grundlage unseres Gesellschaftsbildes und unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Zu Recht nimmt auch die Familie in diesem Menschenbild eine Schlüsselrolle ein. Wie keine andere Form Mittlerweile ist trotzdem die Skepdes Zusammenlebens vermittelt sis gegenüber der sozialen Marktsie die Erfahrung von Zuwendung, wirtschaft weit verbreitet. DemoskoVerlässlichkeit und Vertrauen. pische Umfragen zeigen den Verlust an marktwirtschaftlicher OrientieGerade die großen christlichen Kir- rung. Im Jahr 2000 hatten noch 46 chen haben uns gezeigt, dass eine Dis- Prozent der Befragten eine gute Meikussion über Werte unerlässlich ist. nung von unserem WirtschaftssysDie gesamte katholische Soziallehre tem – fünf Jahre später waren es nur ist von dem Gedanken durchzogen, noch 31 Prozent. Dabei hat Deutschdass das menschliche Gewinnstre- land in unglaublichem Maße von der ben in den Dienst des gemeinsamen sozialen Marktwirtschaft profitiert. -59-


Transfer an jene, die nicht in der Lage sind, ein eigenes Einkommen zu erzielen, bieten mittlerweile ein Maß an Sicherheit, welches vor dem 2. Weltkrieg völlig unvorstellbar war.

So verstanden sind Werte kein nützliches Accessoire, sondern Vorbedingung für erfolgreiches Wirtschaften. Unser Kompass in dieser Situation ist die Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft. Mit ihr haben wir Soziale Marktwirtschaft heißt ein starkes Modell zur Verfügung. nicht nur die Früchte der eigenen Ohne den „ehrbaren Kaufmann“ und Leistung zu genießen, sondern sie eine Rückbesinnung auf wertebeauch in den Dienst des anderen zu wusstes Wirtschaften ist die soziale stellen. An Märkten sind nur sol- Marktwirtschaft nicht zu realisieren. che Unternehmen erfolgreich, deren Leistung auch in der Gesellschaft Der Staat kann nicht alles vornachgefragt wird. Nur mit sozia- schreiben. Denn Anstand lässt sich ler Marktwirtschaft werden wir die nicht in Regeln gießen. Aber nur mit Herausforderung der Globalisie- Rückbesinnung auf diese Werte und rung bewältigen. Daher müssen wir Tugenden werden wir das Vertrauen uns auf die Grundwerte der sozia- in die Wirtschaft wieder herstellen. len Marktwirtschaft besinnen, ihren moralischen Gehalt verinnerlichen. Für unseren Jubilar sind diese Werte eine echte Verpflichtung und Werte sind nicht obsolet nicht nur Themen für Sonntagsreden. Hartmut Koschyk setzt sich in Leitbilder und Werte sind auch in seinem politischen, beruflichen und der heutigen Welt nicht obsolet. Im privaten Leben stets für die Geltung Gegenteil: Sie sind ein unerlässlicher des christlichen Menschenbildes Kompass in den globalen Verände- ein. Viele Jahre konnte ich mit ihm rungen. Das Leitbild des ehrbaren sehr vertrauensvoll und erfolgreich Kaufmannes verdient viel stärkere im CSU-Bezirksvorstand OberfranBeachtung. Denn Manager und Un- ken zusammenarbeiten. Der Einsatz ternehmensführer haben durch ihre Hartmut Koschyks für unsere Heigesellschaftliche Stellung eine Vor- matregion ist bis heute von Engabildfunktion. Sie sind in besonde- gement und Leidenschaft geprägt rem Maße gefordert, ihren Pflichten - vorbildlich in jeder Hinsicht. Ich als Bürger nachzukommen. Gerade wünsche Hartmut Koschyk als politiin Deutschland sollten wir uns auf schem Weggefährten und Freund aus die Stärken der sozialen Markt- Anlass seines 50. Geburtstages von wirtschaft zurückbesinnen. Denn Herzen für die Zukunft alles Gute. sie brachte nicht nur Deutschland, sondern den meisten Ländern der Erde nicht gekannten Wohlstand. -60-


Lieber Hartmut, Du bist 50, und ich hoffe, dass die besten Jahre noch vor Dir liegen: gemeinsam mit Deiner Familie, mit Deiner politischen Aufgabe und ebenso in Erfüllung des großen Denkmalerbes und Denkmalauftrags Schloss Goldkronach! Letzteres füge ich sehr bewusst und betont den tragenden Säulen Deines Lebens an. Wenn von Zukunft die Rede ist, dann darf – um mit Odo Marquard zu sprechen – die Herkunft nicht fehlen. Und 50 Jahre sind, sit venia verbo, schon eine ganze Menge Herkunft. Ich habe davon 9 Jahre mehr, und deshalb will ich unhöflicher Weise mit mir beginnen. Zwei Wochen nach Deinem Ehrentag werde ich ebenfalls ein „sattes 50er-Jubiläum“ feiern, nämlich meine Goldene Kommunion. Und dies in einer Pfarrei, deren Entstehung auf Tausende von Heimatvertriebenen zurückzuführen ist, die sich nach 1946 im Norden Forchheims angesiedelt hatten.

Heimat in Erinnerung und Aufbruch

Dr. Dieter George, Kulturbeauftragter der Stadt Forchheim

Als ich eine Woche nach dem Osterfest 1959 zusammen mit anderen Kindern sudetendeutscher, schlesischer, ostpreußischer (und auch Forchheimer Eltern) zur Erstkommunion vor das eben fertiggestellte, halbrunde Backsteinchor von Verklärung Christi trat, bist Du gerade zur Welt gekommen. Neun Jahre später, als Du dann selbst den Weißen Sonntag feiertest, befand sich die Nachkriegsgesellschaft im „68erTaumel“, ob hingesunken, hingezogen oder umgekehrt in äußerlicher, viel-

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leicht auch geistiger Abwehrhaltung.

war, behielt bei uns die Oberhand. Mit diesem Tag war ich „entlassen“: nicht 1968 mag freilich einiges verändert nur in die Volljährigkeit, auch aus der haben. Über den Grad des Wandels ist heilen Welt meiner damaligen Ideale. die Meinung der Zeithistoriker ambivalent. Heute scheinen mir eher Pop Ende der 70er-Jahre kreuzten sich und Anti-Baby-Pille die eigentliche unsere Wege, zunächst vorwiegend Hefe des Gärungsprozesses gewesen parteipolitisch, nämlich bei der Junzu sein, weniger neomarxistische und gen Union. Die Kanzlerkandidatur von anti-autoritative Dilettantismen. Doch Franz Josef Strauß 1980 stand über undamals waren (auch mir) Dutschke & serem ersten gemeinsam bestrittenen Co. durchaus sympathisch, schon allein Wahlkampf. Dein eigentlicher ehrenin jugendlicher Solidarität und aus Ent- amtlicher Schwerpunkt lag ja damals Solidarisierung mit der vermeintlichen eher bei der Schlesischen LandsmannSpießigkeit der elterlichen (in der Regel schaft, bei der Du Chef der Jugendorsudetendeutschen) Freundes- oder Ge- ganisation und stellvertretender baysprächskreise. Unrecht 1968 – das hieß erischer Vorsitzender warst. Wie Du für viele und mich Napalm oder B 52 in Dich bestimmt erinnerst, wollte ich das SüdostasienundnichtEntlassungineine damals nicht so recht verstehen, und es Wohlstands-GmbH namens BRD, für hat deswegen auch einmal ganz schön die man Tschechen und Polen im Nach- gekracht. Doch das war sehr schnell hinein doch eher dankbar sein müsste. vorbei, und wir haben uns dann im Freundeskreis gegenseitig nächtelang Eine „Entlassung“ persönlicher schlesisch und böhmisch bekocht. Die Art erlebte ich allerdings am 21. Au- so genannte Nachrüstung, die Stagust 1968, an meinem 18. Geburtstag. tionierung von Cruise Missile und Die Truppen des Warschauer Pakts in Pershing II verteidigten wir im WinPrag, Ende des gleichnamigen „Früh- terwahlkampf 1983 gemeinsam, in lings“! Der Großonkel aus Podersam zahlreichen Diskussionsveranstaltunim Ostegerland, gerade in Forchheim gen der JU und des Wehrpolitischen zu Besuch, packte überstürzt seine alt- Arbeitskreises. Wenige Jahre später wamodischen Koffer, die Eltern politisch ren alle Planspiele, strategischen Überbetroffen („Es ist ja doch die Heimat“), legungen, Hoffnungen, Sorgen und aber immerhin auch im subjektiven Ge- Ängste durch den Zusammenbruch fühl einer gerechten historischen Kom- des Sowjetsystems wie weggewischt. pensation. – In meinen Augen waren In unglaublich schneller Zeit öffnete Dubček und Swoboda Erneuerer, ver- sich ein Fenster zur Wiedervereinigung. gleichbar dem linksstudentischen Aufbruch in Deutschland. Gerade von dieDie Wiedervereinigungswahl am 2. ser Seite erwartete ich Protest, doch er Dezember 1990 brachte Dich über die blieb aus. Das gemeinsame ideologische CSU-Landesliste nach Bonn. IrgendDach, das in Prag soeben eingestürzt wann um 2:00 Uhr morgens muss der -62-


d’Hondt-Ticker um die Zahl zwei nach vorne gesprungen sein. Das hieß für Dich: statt zweiter Nachrücker letzter gewählter bayerischer Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Damit warst Du aber auch gefordert, als es darum ging, die Einheit abzusichern, auch durch Anerkennung der OderNeisse-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze gegenüber Polen. Damals dachte ich sehr viel über Heimat sowie deren Besitz und Verlust nach. Ich gewann die Einsicht, dass man Heimat nicht in einem rechtlichen Sinne besitzen kann, man muss sie im Goetheschen Sinne geistig erwerben, ganz gleich wo wir unsere Heimat sehen. Du hast es schon damals getan.

gerade auch in Forchheim, was zeigt, dass der Begriff „Heimat“ oder „Daheim“ positive Assoziationen weckt, die Gefühle der Menschen anspricht. Aber Heimat muss schon mehr sein als mediale Rückbestätigung von gewohnten Lebensverhältnissen oder Wiedererkennung von Gebirgszügen und Fachwerkfassaden. Heimat – die braucht außer Nähe auch Ferne, außer Sicherheit auch Infragestellung und neben Finden auch Suchen. Wer Heimat sucht, wird Heimat finden.

Mit wenigen Zeilen auf den Punkt gebracht hat dies der uns beiden aus gemeinsamer Forchheimer Zeit bekannte Dichter Gerhard Kraus. Am Ende meiner rückblickenden Gedanken auf GeEs gibt einen Grundsatz romanti- meinsames und gemeinsam Erstrebtes schen Künstlertums: „Da, wo ich nicht möchte ich sein Gedicht wiedergeben: bin, da ist das Glück.“ Irgendwie gilt dies aber auch für die Verortung von Heimat, daher? Heimat. Geistig gehört die Heimat den Weggehenden, den Aufbrechen- Was den. Heute bewohnst Du ein sehr altes bleibt, muss Haus im ehemals bayreuthischen Ter- erst gekommen sein – ritorialstädtchen Goldkronach, wo der Exotenforscher und Naturgelehrte Ale- Schreibt xander von Humboldt für einige Zeit da, von weit, als Bergwerksdirektor fungierte. Wo sich Heimat her (wie wir), war er, der Vielgereiste, der Unruhige, zu Hause, wo sah er seine Heimat? die sich versteht Während ich diese Zeilen schrei- auf uns, uns liebt, be, wird gerade unten auf dem Rathausplatz in der milden Märzsonne wenn wir entrinnen können? eine Folge von „Dahoam is dahoam“ gedreht, mit unserem Forchheimer Lieber Hartmut, ich wünsche Dir für Landsmann Horst Kummeth in der Deine Heimat: Kommen, Bleiben und Hauptrolle. Diese Vorabendserie er- immer wieder Aufbruch. freut sich großer Beliebtheit, natürlich -63-



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ls Kind bin ich oft gefragt worden, wie es denn mit einem Politiker zum Vater sei. – Meine Antwort war meist schlichtweg: "Wie immer." Denn es ist im Grunde unmöglich, einen Vergleich zu ziehen, wenn man nur den einen Vater hat und dieser im Grunde immer ein Politiker gewesen ist, soweit meine ersten Erinnerungen im Kindergartenalter auf den Beginn des Bundestagsmandats meines Vaters fallen. Auch ist die Beziehung zu den eigenen Eltern so individuell und unverwechselbar für jeden, unabhängig davon wie reflektiert man sie betrachtet und bewertet, so dass die Frage, wie es mit einem Politiker zum Vater sei, eine rhetorische bleibt.

Schutz

Maximiliane Koschyk, Tochter von Gudrun und Hartmut Koschyk, Stundentin der Regionalwissenschaften mit Schwerpunkt China und Sozialwissenschaften an der Universität Köln

Trotzdem will ich versuchen, diese Frage zu beantworten. Mehr noch – eine Frage versuchen zu beantworten, die ich mir als Kind häufig gestellt habe: Wie ist es, Politiker und Vater zu sein. Ich habe keine Ahnung davon, wie es ist, nicht einen Vater zu haben, der Politiker ist. Auch weil ich meinen Vater als einen Politiker an sich sehe; er begreift die Politische Tätigkeit als Sein und ist davon aus tiefstem Herzen überzeugt. Als Politiker in einer Demokratie steht man auch vor der Verantwortung, Werte und Gesetzgebungen an seine Bürger weiterzutragen und ihnen gegenüber diese Werte auch ein Stück weit vorzuleben. Trotz dieser Dopplung sind in der modernen Zivilgesellschaft Familie und Staat aber zwei von Grund auf verschiedene -65-


Sozialgefüge. Eine staatstragende Erziehung im machtpolitischen Sinn muss heute wohl kein Kind eines Politikers mehr über sich ergehen lassen. So musste ich schon einige Male die wilden Vermutungen entkräften, dass im tiefsten Bayern - oder in meinem Fall obersten Franken - die Mitgliedschaft in der CSU mir wortwörtlich in die Wiege gelegt worden sei. Andererseits wird eine Familie in der Öffentlichkeit heute immer noch oft nur als Aushängeschild für Sympathien wahrgenommen – egal ob Politiker oder Filmstar, auch in der Werbung gibt es zahlreiche Beispiele, wie erstrebenswert so ein harmonisches, aber im Grunde nur inszeniertes Familienbild zu sein scheint. Die Wahlkampfbroschüren aus mittlerweile 19 Jahren Bundestagsmandat meines Vaters haben von unserer Familie auch einige dieser Bilder hervorgebracht. Trotzdem haben es unsere Eltern geschafft, die Familie nicht völlig zum Gegenstand einer Wahlkampfpolitik zu machen. Denn so schwer die Grenze für einen Politiker zwischen Repräsentanz seiner Persönlichkeit und seinem wirklichen Privatleben manchmal zu ziehen ist, so dankbar bin ich doch, dass meine Eltern diese Grenze gewahrt haben. Manchmal nachjustiert , aber sie war immer ein Garant für unser eigenes Familienleben. Dass einem die elterlichen Grenzen als Jugendliche nicht immer zusagen, galt natürlich auch für meine Geschwister und mich. Unsere Grenzen und die der El-

tern auszutesten, war unvermeidlich. Trotzdem haben uns unsere Eltern gerade diesen Raum gegeben; sie haben uns die Möglichkeit geschaffen, eigene Erfahrungen zu sammeln und verstehen zu lernen, warum manche Grenzen nicht zu überschreiten sind. Dass es bei rebellischen Haarfarben und friedlichen Demonstrationen geblieben ist, hat aber wohl auch etwas mit der Arbeit unseres Vaters zu tun. Wenn es leidliche Diskussionen um das späte Ausgehen und das damit verbundene Jugendschutzgesetz gab, erfüllte mein Vater seinen Erziehungsauftrag im doppelten Sinne – für uns war er in diesem Fall die Legislative höchstpersönlich und für die Öffentlichkeit ein vorbildlicher Vater. Wenn mein Bruder heute bestrebt ist, Jura zu studieren, ist das wohl auch die Konsequenz dessen, wie wir unseren Eltern die Auslegung eines Gesetzes irgendwann besser erklären konnten: Unsere Abendplanung durfte sich durchaus in einem verlängerten Zeitrahmen abspielen, solange sie innerhalb der Trägerschaft einer Jugendhilfe (in unserem Fall: der katholischen Jugend) stattfand. Doch nicht nur für uns und unsere Erziehung waren diese Grenzen wichtig. Für eine Person des Öffentlichen Lebens ist es auch wichtig, eine solche Grenze ziehen zu können. Eine Grenze, hinter der man sich wieder als Privatperson fühlen kann. Für meinen Vater und unsere Familie musste es diesen Raum geben. Damit er trotz seiner Motivation ein Rückzugsgebiet hatte und den Blick

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auf das Normale nicht zu verlieren drohte. Auch für ihn ist seine Familie Schutz. Als Kind bekommt man natürlich nicht mit, wie anspruchsvoll der Beruf eines Politikers ist. Allerdings merkt man am vollen Terminkalender des Vaters, dass da wenig Freizeit ist. Und diese wenige Zeit somit umso wichtiger und kostbarer wird. Das beginnt in unserer Familie mit simplen Dingen wie einem gemeinsamen Abendessen am Freitag, wenn unser Vater aus Berlin nach Hause kam und wir Kinder eine Woche Schule hinter uns gebracht hatten. Das macht die kurzen, gemeinsam verbrachten Urlaube zu unvergesslichen Erlebnissen; trotz Sondersitzungen in Berlin und Orkane über der Nordsee, hatten wir immer das Gefühl, dass unser Vater den Urlaub mit uns sehr genoß. Auch wenn diese schönen Erinnerungen eben sehr seltene Erinnerungen sind, so hat es uns doch gezeigt, wie wichtig es ist, die Menschen um sich zu haben, die man liebt, sich um sie zu kümmern und wertzuschätzen, weil sie eben nicht selbstverständlich da sind.

wir uns im Gegenzug auch die Zeit, wenn er ganz für uns da sein kann. Zu diesem Verständnis hat vor allem auch unsere Mutter beigetragen. Ohne sie wäre das Familienleben so nicht möglich gewesen. Meine Mutter hat ihren Beruf aufgegeben, um meinen Vater zu unterstützen. Es heißt nicht umsonst, dass hinter jedem starken Mann eine starke Frau stehe und nicht umsonst betont meine Mutter oft, dass sie eine alleinerziehende Mutter ist. Sie hat nicht nur einen Haushalt geführt, sie hat diese Familie zusammengehalten. Während der Umzüge von Bonn nach Franken und während der Sanierungsarbeiten in Goldkronach hat sie dafür gesorgt, dass dieser Haushalt mehr als nur ein Ort ist. Sie hat mich auch gelehrt, die Rolle der Frau reflektierter zu sehen. Denn sie war 'der Mann im Haus'; sie hat viel Zeit und Kraft darauf verwendet, den beruflichen Ansprüchen meines Vaters, als auch denen unserer Familie gerecht zu werden. Dabei war unser Alltag eben nicht alltäglich, wenn wir Kinder zum Beispiel freitags oft bis Mitternacht gewartet haben, bis unser Vater aus Berlin heimkam. Doch unsere Mutter hat uns gezeigt, dass gerade solche Momente es ausmachen, eine Familie zu sein - ganz egal, wie wenig Zeit man miteinander verbringt oder wie weit man von einander entfernt ist. Es ist am wichtigsten, zu wissen, dass man für einander da ist.

Ab und an hat er uns auch zu einer Kirchweih oder einer Veranstaltung im Landkreis mitgenommen – dann gab es am Sonntag zum Mittagessen Bratwürste „im Weckla“ und Eiscreme – dafür lässt man als Kind dann auch ein paar Reden und laute Blasmusik über sich ergehen. Weil wir Kinder unseren Vater so auch in seinen öffentlichen Aufgaben kennenlernen konnten und seinen enSo sehr uns unsere Eltern aus der gen Terminplan kennen, nehmen Arbeit meines Vaters heraushalten -67-


wollten, so unvermeidlich war und ist diese Konfrontation; wenn sich der eigene Nachname zum Beispiel öfter auf der Titelseite der Heimatzeitung als im Telefonbuch wiederfindet. Zugegebenermaßen, keine große Kunst! Nicht selten wurden die politischen Tagesthemen als Beilage zum Mathematik- oder Kunstunterricht serviert. Das war häufig anstrengend. Letztendlich hat es mir aber geholfen, sehr früh zu begreifen, dass ich zwar zu meinem Vater gehöre, allerdings auch eine eigenständige Person darstelle. Und darauf legt auch mein Vater wert. Denn wichtiger als politischer Konsens war es ihm, dass wir seine Meinung nicht einfach aus Bequemlichkeit übernehmen. So wurde nicht nur im Unterricht, sondern auch daheim diskutiert, und es hat uns geholfen, sowohl eine eigene Perspektive und eigene Argumente zu entwickeln, als auch die Meinungen und Aussagen unseres Vaters besser verstehen zu lernen. Was uns trägt – meinen Vater und meine Familie – ist das Bedürfnis von Schutz. Die Bedürftigkeit eines jeden nach Schutz, nach einem Ort, wo man sich geschützt fühlt, wo man um die Notwendigkeit von Vertrauen und Respekt weiß und man lernt, für seine Werte und Meinungen einzustehen und sie zu schützen.

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unde Geburtstage, zumal das Überschreiten der „Lebensmitte“, sind ein guter Anlass, innezuhalten und sich darüber Gedanken zu machen, auf welchen Grundfesten man steht.

Was uns trägt

Hartmut Koschyk MdB, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestg

Die Gedanken gehen zurück an die Eltern sowie an die Kindheit und Jugendzeit. In der Rückschau tritt klar zu Tage, welches die prägenden Elemente für das bisherige Leben gewesen sind. Wenn man als Kind heimatvertriebener Eltern aufwächst, bekommt man ein besonderes Gefühl dafür vermittelt, welchen Wert Heimat sowohl geographisch, geistig-politisch, aber auch emotional ausmacht. Mit zunehmendem Alter spürt man, dass man neben dem lokalen Heimatbezug auch einer „geistigen Beheimatung“ bedarf. Hierbei ist ganz entscheidend ist, dass man von frühester Kindheit und Jugendzeit an Werte vermittelt bekommt, vor allem dadurch, dass Erwachsene sie einem bewusst vorleben. Es muss nicht immer um das perfekte, leuchtende Beispiel gehen. Als Kind und Jugendlicher erkennt man sehr schnell, wo es ernstes Bemühen, verbunden mit Anstrengungen, von Erwachsenen gibt, Werte und darauf basierende Grundeinstellungen bewusst zu leben, was versagen und scheitern einschließt. Als Kleinkind macht man beim Laufen-Lernen die Erfahrung, dass dies immer auch mit Hinfallen verbunden ist. Aber entscheidend ist, dass und wie man wieder aufsteht. Dies gilt auch für das weitere Leben.

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Ich persönlich bin meinen Eltern bis heute zutiefst dankbar dafür, dass sie mir von Kindheit an den christlichen Glauben nahegebracht haben. Das Abendgebet mit meiner Mutter, der sonntägliche Kirchgang mit meinem Vater, dies hat mich geprägt. Als Heranwachsender wurde ich im Forchheimer Redemptoristenkloster St. Anton Messdiener und habe klösterliches Leben näher kennengelernt. Dabei konnte ich spüren, dass Enthaltsamkeit und Verzicht von Ordensleuten das Gewinnen von Freiheit bedeuten kann und ein Klosterleben mit großem Gottvertrauen, Zuversicht und einer besonderen Fröhlichkeit des Herzens einhergeht.

den. Mein Glaube hat mir geholfen, Trauer und Schmerz zu ertragen, nicht zu verzweifeln und Zuversicht durch die „frohe Botschaft“ zu gewinnen, dass mit dem Tod ein geliebter Mensch nicht auf Dauer von uns gegangen, sondern uns nur vorausgegangen ist. Diese Lebensstärke durch Glaubenszuversicht versuchen meine Frau und ich auch an unsere drei Kinder weiter zu geben. Wir betrachten dies als deren wichtigstes Rüstzeug für das Leben.

Existentielle Herausforderungen durch Glaubensstärke zu meistern – diese Erfahrung haben unter ganz anderen Umständen auch viele Frauen und Männer gemacht, die sich der In Verantwortung vor Gott und den Diktatur des Nationalsozialismus in Menschen Deutschland aus ihren Glaubens- und Wertüberzeugungen heraus entgeDiese natürliche Heranführung an gengestellt und Tod, Haft, Folter soden christlichen Glauben in meinem wie schweres Leid erlitten haben. Die Elternhaus, aber auch in St. Anton, hat Glaubenserfahrung von Christen im mich für die ersten existentiellen He- Widerstand gegen die Diktatur des rausforderungen meines Lebens un- Nationalsozialismus bringt unser glaublich stark gemacht. Im Alter von Grundgesetz in der Präambel mit dem 21 Jahren verlor meine Mutter durch Satz zum Ausdruck: „In Verantworeinen Verkehrsunfall ihr Leben, mein tung vor Gott und den Menschen …“ Vater wurde sehr schwer, meine jüngere Schwester leicht verletzt. Der Unfall Der Abfall vom christlichen Sittenereignete sich kurz vor dem Osterfest gesetz durch die Nazi-Barbarei hat uns 1980, das ich dann bei meinem schwer- vor Augen geführt, dass dort, wo man verletzten Vater im Bad Reichenhaller Gott keinen Platz und keine Ehre mehr Krankenhaus verbracht habe, wo üb- geben will, sehr schnell im wahrsten rigens Ordensschwestern in der Pflege Sinne des Wortes der Teufel los ist. Ohne tätig waren. Der Satz, den ich oft und den in zwei Jahrtausenden von Geneohne tieferes Nachdenken als Minis- ration zu Generation weitergetragetrant bei Kreuzwegandachten mitge- nen Glaubenssatz der Gottesebenbildbetet habe, „nach jedem Karfreitag lichkeit des Menschen ist der zentrale kommt ein Ostersonntag“, ist mir in Wesensgehalt unseres Grundgesetzes jenen Ostertagen sehr bewusst gewor- in Art. 1 undenkbar: „Die Würde des -70-


Menschen ist unantastbar!“ 60 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes ist es wieder notwendig, sich über die Bedeutung christlicher Grundwerte für unser menschliches Zusammenleben heute und in Zukunft klar zu werden. Der Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat als gläubiger Christ in seinem Buch „Gewissen, Glaube, Religion“ die Grenzen von Religionsfreiheit und damit Religionsferne deutlich gemacht und zu Recht gemahnt, bei aller notwendigen Neutralität eines säkularen Staates sich „nicht von den Sinnstiftungsressourcen der Religion abzuschneiden.“ Das Spannungsfeld von Glaube und Vernunft, gerade für die Menschheit unserer Tage, haben Prof. Dr. Jürgen Habermas und der heutige Papst Benedikt XVI. und damalige Joseph Kardinal Ratzinger in ihrem bemerkenswerten Dialog in der Katholischen Akademie Bayern in München im Jahr 2004 eindrucksvoll ausgeleuchtet. Die Heimat lieben Für mich ist es eine Folge der fortschreitenden, unser tägliches Leben durchdringenden Globalisierung, dass diese mit einer Renaissance des Heimatbewusstseins einhergeht. Aus der Botanik wissen wir, dass flachwurzelnde Bäume beim ersten richtigen Sturm schneller umstürzen und dass es die „Tiefwurzler“ sind, die schwere Stürme am besten überstehen. Verwurzelt sein in der Geschichte, Kultur und den Traditionen der angestammten Heimat, gestärkt durch „geistige Beheimatung“ in einem christlich fundierten Wertekanon - das vermittelt Sicherheit und lässt

einen mit mehr Zuversicht und Freude durchs Leben gehen als dies reinen Kosmopoliten und Nihilisten möglich ist. Gerade bei jungen Menschen ist die Suche nach Heimatgefühl sowohl im lokalen und regionalen als auch im geistigen Sinn unübersehbar. Heimatliebe ist gerade bei den Menschen stark ausgeprägt, die aus welchen Gründen auch immer, sei es gewaltsam oder freiwillig, ihre angestammte Heimat verlassen mussten. Aus soziologischen Untersuchungen wissen wir, dass dieser Drang, nach Entwurzelung durch den Heimatverlust nach neuen Wurzeln zu suchen, sich auch über Generationen fortpflanzt. So sehe ich den fränkischen Raum, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, den ich aus beruflichen Gründen zeitweise verlassen habe, als meine angestammte Heimat an. Diesem Raum fühle ich mich emotional verbunden. Seine Landschaft und Kultur, aber vor allem der fränkische Menschenschlag, stehen mir einfach näher als andere Regionen Deutschlands. Die oberschlesische Heimat meiner Eltern, die ich seit 1989 sehr oft besucht habe und in der bis heute Angehörige meiner Familie leben, ist für mich jedoch auch ein wichtiger Bestandteil meiner Identität. Dies ist vielleicht auch deshalb in meinem Fall so stark ausgeprägt, weil bei der Besiedlung Schlesiens die Franken eine besondere Rolle spielten und sich vielfältige historisch-kulturelle Bezüge zwischen Franken und Schlesien ergeben haben. Der Mädchenname „Franke“ meiner Mutter hat dafür mehr als nur symbolische Bedeutung. Die Wurzeln meiner Frau liegen im Sudetenland, aus dem ihre Eltern nach

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1945 vertrieben wurden. Unsere drei Kinder haben die oberschlesische und sudetendeutsche Heimat ihrer Großeltern inzwischen auch besucht. Sie sind in Bonn geboren, in Oberfranken aufgewachsen, sind vielfach im europäischen und außereuropäischen Ausland gewesen. Die Heimat ihrer Großeltern im früheren deutschen Osten empfinden aber auch sie als Teil ihrer Identität. Aus wohlverstandener Heimatliebe erwächst auch der für unser demokratisches Gemeinwesen unverzichtbare politische Gestaltungswille, der vor allem in der Kommunal- und Regionalpolitik am stärksten zum Ausdruck kommt. Die Zukunft der eigenen Heimat mitgestalten zu wollen, ist für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger die zentrale Antriebsfeder für ihr kommunalpolitisches, aber auch gesellschaftliches Wirken vor Ort. Deshalb müssen die kommunale Selbstverwaltung und das Ehrenamt immer wieder nachhaltig gestärkt werden. Daher muss über eine stärkere Teilhabe der Bürgerschaft an der Zukunftsgestaltung ihres heimatlichen Umfeldes nachgedacht werden. Für mich bedeutet dies, im bayerischen Staatsaufbau zu überlegen, wie die Regionen in ihrem Verhältnis zur zentralen Landespolitik in München noch weiter gestärkt werden können. Dies kann zum Beispiel durch mehr demokratische Teilhabe der Bürger bei der Wahl der regionalen Spitzenrepräsentanz geschehen, aber auch durch die Dezentralisierung und Regionalisierung politischer Entscheidungen, die das Leben der Menschen im kommunalen und regionalen Bereich unmittelbar berühren.

Deutschland leben Es ist wahr: Gerade die Deutschen haben sich aufgrund ihrer Geschichte mit der nationalen Selbstfindung ungleich schwerer getan als ihre europäischen Nachbarn. Wir sind eine „verspätete Nation“, wir haben existentielle Brüche in unserer Geschichte zu verkraften. Gerade das 20. Jahrhundert mit den Erfahrungen von zwei Weltkriegen, zwei Diktaturen, großen Gebietsverlusten und den Jahren der Teilung hat tiefe Spuren in der deutschen Volksseele hinterlassen. Für mich gehört es zu den beglückendsten Erfahrungen deutscher Geschichte, dass nach all den Schreckensereignissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den Westen Deutschlands nach 1945 ein demokratischer Neuanfang in Freiheit und Demokratie möglich war und dass wir 1989/1990 die deutsche Einheit und die europäische Einigung erreichen konnten. Was hätten meine 1980 und 1990 verstorbenen Eltern dafür gegeben, das Geschenk der deutschen Einheit und der europäischen Einigung noch bewusst auskosten zu dürfen. Mit meinem im November 1990 verstorbenen Vater habe ich zu Ostern 1990 seine oberschlesische Heimat besucht. Für meinen Vater war es das erste Mal, dass er nach 1945 in seine Heimat zurückgekehrt ist. Ich habe bei diesem Besuch keinerlei Bitterniss verspürt, was damit zusammenhängt, dass gerade in seiner oberschlesischen Heimat noch Angehörige seiner Familie leben, die auch während der kommunistischen Diktatur in Polen

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ihre deutsche Sprache und Kultur trotz aller Unterdrückung und Anfeindung bewahren konnten. Ich betrachte die Entwicklung hin zur deutschen Einheit und europäischen Einigung als „Geschenk Gottes“. Es macht mich traurig, dass wir bei allen Herausforderungen die noch bestehen, um die innere Einheit Deutschlands zu erreichen und das europäische Einigungswerk zu vollenden, oftmals zu wenig dankbar für das sind, was bis heute in Deutschland und Europa erreicht werden konnte. Ein in sich selbst ruhendes Nationalbewusstsein, das die eigene Nation schätzt und achtet, aber auch Respekt und Achtung vor anderen Nationen hat, wird heute vom überwiegenden Teil der Menschen unseres Volkes bewusst gelebt. Trauer und Scham angesichts der Verbrechen, die von Deutschen und in deutschem Namen begangen wurden, muss und darf uns nicht daran hindern, stolz auf die zivilisatorischen Leistungen zu sein, die unser Volk bis heute erbracht hat. Jedes Volk braucht ein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Dass auch in Deutschland eine nationale Unbeschwertheit und Fröhlichkeit möglich ist, hat gerade die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gezeigt. Dies bezieht auch Mitbürgerinnen und Mitbürger ein, die als Zuwanderer mit einem anderen kulturellen Hintergrund in unser Land gekommen sind. Ich selbst habe dies bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eindrucksvoll erlebt: In einem Berliner Biergarten habe ich das Spiel Deutschland gegen Italien auf Großleinwand mitverfolgt. Beim Abspielen der Nationalhymnen standen die meisten der ca.

2.000 Biergartenbesucher auf und sangen die deutsche Nationalhymne mit. Bewusst taten dies auch junge Menschen, die äußerlich erkennbar einen sogenannten „Migrationshintergrund“ hatten. Sie haben unsere Nationalhymne genauso fröhlich wie ihre „Ur-Berliner“ Altersgefährten mitgesungen und unsere Mannschaft mit gleicher Begeisterung angefeuert. Weil ich selbst in meiner Kindheit und Jugendzeit erfahren habe, wie wichtig es für ein „Flüchtlingskind“ ist, Chancengleichheit im Bildungsbereich zu erhalten, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir unsere Anstrengungen zur Integration und Teilhabe junger Menschen aus dem Zuwandererbereich intensivieren müssen. Dies darf jedoch keine Einbahnstraße sein, sondern bedarf Anstrengungen von beiden Seiten. Auch die Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, vor allem ihre Eltern sind hier gefordert. Europa bedenken Das europäische Einigungswerk ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Wir Deutsche haben in den Jahren 1989 und 1990 sehr eindrucksvoll erfahren: “die deutsche Einheit und die europäische Einigung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille“. (Helmut Kohl). Die Herbeiführung der staatlichen Einheit Deutschlands ging mit einer irreversiblen Vertiefung der europäischen Einigung einher, für die vor allem der gemeinsame Binnenmarkt und die gemeinsame Währung stehen. Doch haben die politische Verantwortlichen in Europa die Mahnung des

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damaligen Kommissionspräsidenten Jaques Delors nicht beherzigt, der den Vertrag von Maastricht als den letzten europäischen Einigungsschritt bezeichnet hat, den die Politik erreichen konnte, ohne die bewusste Zustimmung der Menschen erhalten zu müssen. Die gescheiterten Referenden in Frankreich, den Niederlanden und in Irland sind Alarmzeichen, das europäische Einigungsbemühen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und die Grenzen europäischen Einigungsstrebens bewusst zu erkennen und zu akzeptieren. Diese Grenzen gilt es sowohl im Hinblick auf die Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses als auch im Hinblick auf die Erweiterungsmöglichkeiten der Europäischen Union zu erkennen. Die Menschen in Europa wollen keinen europäischen Bundesstaat mit Kompetenzen für Lebensbereiche, die auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene viel besser geregelt werden als auf europäischer Ebene. Eine Vollmitgliedschaft von Ländern wie der Türkei, aber genauso der Ukraine, würde nicht nur diese Länder, sondern Europa als Ganzes überfordern. Der Mensch, der die Grenzen seiner Möglichkeiten bewusst erkennt, akzeptiert und in seiner Begrenztheit ein erfülltes Leben sucht und findet, lebt glücklich. Europa wird nur dann eine glückliche Zukunft haben, wenn seine politisch Verantwortlichen die institutionellen, aber auch geographischen Grenzen Europas erkennen und akzeptieren. Die Bürgerschaft in Europas Nationen hat im Hinblick auf die Grenzen Europas oftmals ein besseres natürliches Empfinden für das Machbare als viele Politiker.

Die Welt verstehen Die gegenwärtige Finanz-und Wirtschaftskrise, Naturkatastrophen auch als Folge nicht nachhaltigen Umgangs mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen, weltumspannende terroristische Bedrohungen, aber auch das Scheitern von Ideologien und der Zusammenbruch vieler Gewaltherrschaften weltweit haben den „Alles ist Machbar-Wahn“ ad absurdum geführt. Das spüren die Menschen, aber spüren es auch alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und in der Gesellschaft? Das Lebensmotto „Alles ist möglich!“ (Anything goes) ist längst der nüchternen, aber nicht minder beglückenden Erkenntnis gewichen: „Klein ist wunderschön!“ („Small ist beautiful“). Klein(heit) steht hier für Grenzen erkennen, Grenzen akzeptieren und dadurch Einsicht, Kraft und Gelassenheit gewinnen, um so die Welt besser zu verstehen. Die Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben uns Deutsche, aber auch die Europäer sehr empfindsam dafür gemacht, dass wir uns bei allen Herausforderungen deutscher und europäischer Politik nicht selbst genügen und von den Entwicklungen in der Welt abkoppeln können. Dies spüren wir gerade in unserer Zeit deutlich durch die Wanderungsbewegung aufgrund von Armut, durch die ökologischen Herausforderungen aufgrund von Raubbau an unserer Natur sowie durch die Folgen der WeltFinanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Wir müssen uns bemühen, die Welt noch besser zu verstehen. Wir müssen

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mehr, auch der einzelne Bürger, über weltumspannende Zusammenhänge Bescheid wissen, gemäß der alten Volksweisheit „ohne Kenntnis kein Verständnis“. Dies beginnt in der Schule durch das Erlernen anderer Sprachen und damit deren Kulturen. Dazu gehört aber auch echtes Mitgefühl für Not und Elend in anderen Teilen der Welt. Dies ist auch Teil unserer Pflicht zu christlicher Nächstenliebe. Dazu gehört auch die nüchterne Erkenntnis, dass wir in Deutschland und Europa auf Dauer nicht in Frieden und Wohlstand leben können, wenn es dauerhafte Zonen von Krieg, Vertreibung, Unterdrückung, Hunger und Krankheit auf dieser Welt gibt. Wenn wir Not und Elend in anderen Teilen unserer einen Welt nicht beseitigen oder zumindestens lindern helfen, kommen die Not und das Elend auch zu uns. Dieser Herausforderung kann Deutschland sicher nicht allein gerecht werden, und auch nicht Europa. Aber Deutschland und Europa können sich auch nicht davor drücken, ihren leistbaren Teil auch tatkräftig und beherzt anzugehen. Wenn wir hier mit gutem Beispiel vorangehen, können wir auch selbstbewusst den Beitrag anderer großer Nationen und Staaten außerhalb Europas anmahnen, seien es die Vereinigten Staaten von Amerika, Russland, China, aber auch Staaten in der arabischen Welt, in Süd- und Mittelamerika und in Asien.

Patenschaften von Schulen, Kommunen, Vereinen, Kirchengemeinden, aber auch durch entwicklungspolitisches Engagement von Unternehmen. Bei dieser weltumspannenden Nächstenliebe sollten wir uns auch bewusst sein, dass es in allen Teilen der Welt auch Millionen deutsche Landsleute gibt, die als angestammte Minderheit oder durch jüngere Auswanderung entstandene Gemeinschaft durch die deutsche Sprache und geschichtliche sowie kulturelle Wurzeln mit uns verbunden sind. Deutsche, die auf Dauer in aller Welt leben, sind eine wichtige Brücke zwischen unserem Land und den Völkern der Welt. Gerade sie können uns helfen, die Welt besser zu verstehen. So möchte ich am Schluss meiner Gedanken mein gewachsenes LebensCredo noch einmal zusammenfassen: In Verantwortung vor Gott und den Menschen die Heimat lieben Deutschland leben Europa bedenken die Welt verstehen!

Viele Bürger in unserem Land sind diesbezüglich in eindrucksvoller Weise engagiert, in den kirchlichen Hilfswerken, in lokalen Aktionsgruppen, durch -75-


Glückwünsche und Gedanken zum 50. Geburtstag von Hartmut Koschyk. Dr. Günther Beckstein MdL Rainer Eppelmann Dr. Dieter George Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg MdB Kim Dae-Jung Maximiliane Koschyk

Prof. Dr. Norbert Lammert MdB Dr. Angela Merkel MdB Alfons Nossol Gerd Poppe Dr. Peter Ramsauer MdB Dr. Ivo Sanader Otto Schily MdB Christian Schmidt Dr. Werner Schnappauf Horst Seehofer

Bayerischer Ministerpräsident a.D. Minister a.D., Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Kulturbeauftragter der Stadt Forchheim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Präsident der Republik Korea a.D. Friedensnobelpreisträger des Jahres 2000 Tochter von Hartmut Koschyk, Studentin der Regionalwissenschaften mit Schwerpunkt China und der Sozialwissenschaften an der Universität Köln Präsident des Deutschen Bundestages Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Erzbischof der Diözese Oppeln Minister a.D. und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Ministerpräsident der Republik Kroatien Bundesinnenminister a.D. Regionalbischof im Kirchenkreis AnsbachWürzburg Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. Ministerpräsident des Freistaates Bayern Vorsitzender der Christlich-Sozialen-Union

ISBN: 978-3-00-027523-4



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