Terzett November 2015

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Belcea Quartet

«Die Musiker werden sie mit Vergnügen spielen, aber die Kritiker werden sie vernichten ...» Dmitri Schostakowitsch ahnte die Wirkung seiner 9. Sinfonie in Es-Dur offenbar voraus, oder hat es vermutlich eben darauf angelegt: Das Werk kommt oberflächlich frech und heiter daher und ist Provokation in ihrer reinsten Form! Die russischen Kulturfunktionäre verstanden in dieser Hinsicht allerdings gar keinen Spass, denn nach den beiden vorhergehenden, gemeinhin als Kriegssinfonien bezeichneten grossformatigen und pathetischen Sinfonien Nr. 7 und 8 wurde vom Komponisten 1945 eigentlich eine triumphale Siegessinfonie gefordert. Dieser enttäuschte die Erwartungen aber mit einem Werk, das die persönliche Erschütterung hinter einer Maske der Groteske verbirgt, das mit der Haupttonart Es-Dur auf Beethovens Eroica anspielt und sich auf diese Weise über den zum Kriegsende wieder zunehmenden Stalin-Kult mokiert. Das heroische Finale wird durch einen Zirkusmarsch ersetzt, was wiederum den Helden zum Clown degradiert, die Tonsprache ist durchzogen mit scheinbar sinnentleerten Passagen und Narrenpossen, Protest und Revolte gegen die gängige Kulturdoktrin. So offensiv sarkastisch hat Schostakowitsch nie zuvor Kritik an den Verhältnissen geübt und es sollte acht Jahre – bis nach Stalins Tod – dauern bis der erneut in Ungnade gefallene Komponist sich wieder der Gattung Sinfonie zuwandte. (os)

Das Belcea Quartet gehört fraglos zu den führenden Streichquartetten unserer Zeit. 1994 im Londoner Royal College of Music gegründet, besteht es aus der rumänischen Violinistin Corina Belcea, dem polnischen Bratschisten Krzysztof Chorzelski und den beiden französischen Musikern Axel Schacher und Antoine Lederlin. Geprägt wurde das Ensemble von den unterschiedlichen kulturellen Hintergründen seiner Mitglieder und den Impulsen der Mentoren, dem Alban-Berg- und dem Amadeus-Quartett. Das Belcea Quartet findet stets seinen ganz individuellen Ton, sei es in einem Quartett von Haydn oder einer der zahlreichen Uraufführungen, die es im Laufe der Jahre gespielt hat. Ständige Partner des Quartetts sind Künstler wie Piotr Anderszewski, Till Fellner, Valentin Erben, Ian Bostridge oder Matthias Goerne. Für eine ihrer letzten CD Aufnahmen, sämtliche Beethoven Streichquartette, erhielt das Ensemble u.a. den Gramophone Award und den ECHO Klassik.

Das Belcea Quartet wird in der Tonhalle St.Gallen seinen Facettenreichtum mit drei Quartetten von Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und Béla Bartók zur Probe stellen: Haydns G-Dur-Quartett gehört zu seinem letzten Streichquartett-Zyklus und zeigt den «Gründervater» dieser Gattung in all seiner formalen Meisterschaft und klassischen Ausgewogenheit. Das siebensätzige cis-Moll-Quartett op. 131 aus Beethovens Spätwerk lotet formale Grenzen aus und gilt und galt vielen – so auch Beethoven selber – als das Nonplusultra seiner Quartettkunst. Fast hundert Jahre später 1908 /09 entstand Béla Bartóks 1. Streichquartett, das in seinem Changieren zwischen Spätromantik und Expressionismus bereits erste Anzeichen seines typischen Personalstils trägt und einen der wichtigsten Quartettzyklen des 20.  Jahrhunderts eröffnet.

Das Belcea Quartet

Dmitri Schostakowitsch während des 2 . Weltkriegs als freiwilliger Feuerwehrmann auf dem Dach der Leningrader Philharmonie.

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