polisMOBILITY Magazin - Public Interest

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PUBLIC INTEREST

Wie kann gemeinwohlorientierte Transfomation gelingen?

WER WILL, FINDET WEGE Von der ewigen Blaupause zur gemeinsamen Haltung Lana Horsthemke WER STEUERT DIE VERKEHRSWENDE?! Wenn der Transformation das Personal ausgeht BUILDING BRIDGES How asking the right questions facilitates change Interview mit Prof. Meredith Glaser VOM GEGENWIND ZUM RÜCKENWIND Wie kann die gemeinwohlorientierte Entwicklung von Mobilität und öffentlichen Räumen gelingen? Dr. Jessica Le Bries SHARING MADE EASY How meeting people’s needs facilitates behavioral change Interview mit Sandra Phillips ZWISCHEN DEN STÜHLEN Der Rollenkonflikt des öffentlichen Verkehrs DASEINSVORSORGE IN PRIVATER HAND? Die Rolle digitaler Plattformen in der Mobilitätswende Interview mit Dominik Piétron

Redaktionsleitung

polisMOBILITY Magazin

„Alle malen schwarz, ich seh‘ die Zukunft pink Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind“

PETER FOX & INÉZ „ZUKUNFT PINK“

Liebe Leser:innen,

ist die Rede von der Transformation der urbanen Mobilität, so sprechen wir stets auch über Aufenthaltsqualität, Ruhe und Sicherheit. Ausreichend Platz für Rad- und Fußverkehr, einladende Sitzgelegenheiten und nutzbare Grünräume gehören genauso zu dieser Vision wie eine gesunde Vegetation auf entsiegelten Flächen – und das Fehlen von Autos, das all dies erst ermöglicht. Visualisierungen dieser transformierten urbanen Räume gibt es mittlerweile zuhauf; besonders angetan hat es uns die Kreation des Architekten Po-Chun Hsieh. Aus diesem Grund ziert seine Umgestaltung der Berliner Bergmannstraße das Cover des Magazins, das Sie in Ihren Händen halten.

Die Stadt der Zukunft ist ein Ort, der zum Verweilen einlädt. Der es ermöglicht, emissionsfrei und gefahrlos von A nach B zu gelangen, und dabei niemanden ausschließt; egal, wie verschieden die Bedürfnisse und Lebensrealitäten. Die Stadt der Zukunft ist grün, vernetzt, sauber und barrierefrei. Kurz: Die Stadt der Zukunft gehört uns allen.

Im Transformationsprozess ist es daher von essentieller Bedeutung, die Interessen der Gesamtgesellschaft einzubeziehen, ohne sich im Klein-Klein zu verlieren. Gerade in Zeiten, in denen das Narrativ der Spaltung den politischen Diskurs dominiert, muss die Frage danach, was „Gemeinwohl“ für uns bedeutet, neu diskutiert werden; nur so finden wir unseren gemeinsamen Nenner wieder.

Unter dem Titel PUBLIC INTEREST setzen wir in der fünften Ausgabe des polisMOBILITY Magazins genau dort an und stellen die Frage, wie die Mobilitätswende gemeinwohlorientiert gelingen kann. Unter dem Leitziel der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit ist es uns ein Anliegen, Partikularund Allgemeininteressen voneinander abzugrenzen und anschließend wieder miteinander zu vereinen. Wir versuchen, die Herausforderungen beim Schopfe zu packen und gehen in diesem Sinne auf

die aktuellen Probleme und Lösungen des ÖPNV ein, bauen Brücken zwischen ländlichem und urbanem Raum und sprechen mit Expert:innen darüber, wie auch der zweifelnde Teil der Bevölkerung dort abgeholt werden kann, wo er steht – im wahrsten Sinne des Wortes.

Erstmals starten wir mit drei Meinungsbeiträgen in die Ausgabe, die sich unserer Leitfrage aus unterschiedlichen Perspektiven nähern – nämlich dem öffentlichen, dem privaten und dem zivilgesellschaftlichen Sektor. Spoiler: Michael Vogel von go.Rheinland, Juna Schönborn und Christopher Holzem von der Bürgerwerke eG sowie Kerstin Haarmann vom Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) sind sich im Kern einig.

Wir schwelgen mit Po-Chun Hsieh in seiner Vision des Bergmannkiezes, blicken mit Christin Herber und Niels Tietgen von Ramboll auf die Erfolgsfaktoren einer lokalen Energiewende und sprechen mit Meredith Glaser über die Rolle von Wissenschaftler:innen als „knowledge brokers“ in Transformationsprozessen. Philipp Oswalt, Claudia Hille und Dominik Piétron runden das Quartett aus der Forschung ab. Mit Jessica Le Bris und Sandra Philipps geben zwei Macherinnen mit hands-onmentality Einblick in ihre Arbeit, die – aus komplett unterschiedlichen Perspektiven – das Ziel einer gerechten, partizipativen Mobilitätswende verfolgt. Und der Meinungsbeitrag von Lana Horsthemke beleuchtet den Beitrag der polisMOBILITY Konferenz.

Liebe Leser:innen, tauchen Sie mit uns ein in die Welt der gemeinwohlorientierten Mobilitätswende! Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre.

David O’Neill & Janina Zogass

PS: Wir freuen uns über Ihren Besuch bei der polisMOBILITY expo & conference am 22. und 23. Mai sowie beim polisMOBILITY camp am 24. und 25. Mai 2024!

EDITORIAL 05
EDITORIAL
© Anna Schwartz

INHALT

polisMOBILITY

03 EDITORIAL

06 NACH GANZ FEST KOMMT

GANZ LOSE!

Gemeinwohlorientierte Mobilitätswende als erreichbares Ziel?

Michael Vogel

08 OHNE BETEILIGUNG KEINE ENERGIEWENDE!

Juna Schönborn und Christopher Holzem

10 ENERGIESEKTOR ALS VORBILD

Was kann die Verkehrswende von der Energiewende lernen?

Kerstin Haarmann 12

14 BEITRAG / INTERVIEW

VERKEHRSWENDE VON UNTEN

Visionen für ökologische Kiezblocks in Berlin

Interview mit Po-Chun Hsieh

16 INTERVIEW

ENERGIEWENDE LOKAL

Bedarfe ermitteln und kommunizieren

Interview mit Christin Herber und Niels Tietgen

20 MEINUNG

WER WILL, FINDET WEGE

Von der ewigen Blaupause zur gemeinsamen Haltung

Lana Horsthemke

22 WER STEUERT DIE VERKEHRSWENDE?! Wenn der Transformation das Personal ausgeht

26 INTERVIEW

BUILDING BRIDGES

How asking the right questions facilitates change

Interview mit Prof. Meredith Glaser

28 INTERVIEW

PUSH & PULL

Wie die Mobilitätswende auch den ländlichen Raum erreicht

Interview mit Prof. Philipp Oswalt

30 VON EINSAMKEIT ZU GESELLSCHAFTLICHER TEILHABE

Warum wir einen bundesweit einheitlichen Sozialtarif zum

Deutschlandticket brauchen

Prof. Claudia Hille

06 INHALT
MOBILITY News
35 22 54 © BVG © bikes4ukraine © Mika Baumeister

„Die Herausforderung liegt darin, die Lücke zwischen Problembewusstsein und tatsächlichem Handeln zu schließen“

Prof. Philipp Oswalt

32 BLACK BOX

EIN FAHRRAD HEIẞT FREIHEIT

Die Chancen von aktiver Mobilität in Zeiten der Krise

36 TECH News

38 VOM GEGENWIND ZUM RÜCKENWIND

Wie kann die gemeinwohlorientierte

Entwicklung von Mobilität und öffentlichen Räumen gelingen?

42 INTERVIEW

SHARING MADE EASY

How meeting people’s needs facilitates behavioral change

Interview mit Sandra Phillips

46 WOHIN DAMIT?

Waren- und Güterlogistik in der Personenverkehrsstadt

50 RECHT

AUSLEGUNGSSACHE?

Eine juristische Perspektive zum Umgang mit der gescheiterten StVO-Reform Felix Speidel

52 ZWISCHEN DEN STÜHLEN

Der Rollenkonflikt des öffentlichen Verkehrs

56 INTERVIEW

DASEINSVORSORGE IN PRIVATER HAND?

Die Rolle digitaler Plattformen in der Mobilitätswende Interview mit Dominik Piétron

FUTURE HEROES

58 PLATZ FÜR ALLES

Das Fahrradgespann als urbanes Transportmittel

60 DAS NEUE GANZE

Autonom und inklusiv auf der Straße

62 EINEN SCHRITT VORAUS

In Essen kommt Bewegung in den Bestand

64 URBAN News

66 IMPRESSUM

INHALT 07
26 60
58 © DMOV © BENTELER © CARLA CARGO

NACH GANZ FEST KOMMT GANZ LOSE!

GEMEINWOHLORIENTIERTE MOBILITÄTSWENDE ALS ERREICHBARES ZIEL?

TEXT: Michael Vogel, Geschäftsführer, go.Rheinland

PUBLIC
© Michael Vogel

Wie die gesamte Gesellschaft, steht auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) mitten in visionären Veränderungsprozessen. Eine Bewertung zum Stand der Mobilitätswende bleibt durchwachsen. Auf der technologischen Ebene sind die Vorstellungen mit der Antriebswende recht gut definiert. In dieser Welt der Normen, der technischen Vorschriften und Richtlinien lassen sich verbindliche Vorgaben gut abbilden und entsprechend ist der ÖPNV bei der Abkehr von den konventionellen zu neuen, innovativen Antriebsformen gut unterwegs. Hier bewegt sich die Branche im Rahmen ihrer „kulturellen“ Stärken. Technik- und prozessorientiert kann sie mit klaren und eindeutigen Vorgaben gut umgehen und legt dabei auch ein beeindruckendes Tempo vor.

Schwieriger wird es dort, wo die politischen Vorgaben disruptive Effekte erzeugen, die die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen in kürzester Zeit auf den Kopf stellen. Der ÖPNV ist eine Branche, deren Versprechen eine geplante Beförderungsleistung für eine Massennachfrage ist, die durch den veröffentlichten Fahrplan versinnbildlicht wird. Dieses Leistungsversprechen kann nur mit erheblichen, langfristig zu planenden Betriebsmitteln, Personalressourcen und Infrastrukturen erbracht werden. Somit ist der ÖPNV essentiell auf Planbarkeit und Sicherheit angewiesen.

Mit dem Deutschlandticket von Bund und Land wurde die erste Finanzierungssäule des deutschen ÖPNV, die Einnahmen vom Fahrgastmarkt, angegriffen. Bislang machte diese Säule etwa 70 bis 75 Prozent der ÖPNV-Finanzierung aus. Jetzt ist davon nur noch etwa die Hälfte übrig. Damit wurde dem ÖPNV die wesentliche Stellschraube entrissen, nämlich die eigenverantwortliche Marktbearbeitung und die damit verbundene stabile Finanzierungsbasis. Wer bestellt, bezahlt? Für das Jahr 2023 galt das, für das Jahr 2024 ebenfalls. Was ab dem Jahr 2025 gilt, ist heute noch nicht absehbar, zumal der notwendige administrative Rahmen zur preislichen und inhaltlichen Ausgestaltung des Tickets sowie die existenziell wichtige Aufteilung der bundesweiten Einnahmen ungeklärt sind. Zudem ist zu befürchten, dass dies in diesem Jahr nicht im notwendigen Maße geregelt wird.

Die Entwicklungen zum Deutschlandticket spielen sich vor dem Hintergrund großer Herausforderungen ab: den dramatisch gestiegenen Energiekosten und dem Wandel am Arbeitsmarkt vom Angebots- hin zum Nachfragemarkt. Beide Entwicklungen treiben die Kostenbelastung der Branche massiv voran. Diese Kostentreiber können durch die Verkehrsunternehmen am Fahrgastmarkt nicht kompensiert werden, einerseits weil auch die Preisentwicklung an Nachfragegrenzen stößt, andererseits weil über Preismaßnahmen im Restsortiment der Tarife die Kostensteigerungen auch im Ansatz nicht mehr aufgefangen werden können. In dieser Gemengelage fehlt es nicht nur an Planungssicherheit, hier geht es an die Substanz.

Auch Leistungskürzungen aus Wirtschaftlichkeitsgründen sind eine Mobilitätswende, aber die gewollte?!

Was in dieser Situation nicht hilft, ist, große Herausforderungen noch weiter emotional aufzuladen. Bislang verstand sich die Branche als Teil der Daseinsvorsorge. Ein gut abgegrenzter Begriff, der bereits anspruchsvoll ist. Zur Daseinsvorsorge zählen öffentliche Dienstleistungen, die keinem Gewinninteresse unterliegen. Selbstverständlich gehört zur Daseinsvorsorge auch die Teilhabe durch möglichst alle Bevölkerungsgruppen. Wir, der ÖPNV, sind für alle da und stellen die Grundversorgung mit Mobilität sicher. In diesem Sinne bieten wir Tarifprodukte für weniger finanzstarke gesellschaftliche Gruppen an. Der Begriff der Gemeinwohlorientierung geht darüber hinaus, bis zur Herstellung von Lebensglück, womit der ÖPNV ganz eindeutig überfordert ist. Im Übrigen, schon mit der Daseinsvorsorge sind eine Abschaffung von Bargeldakzeptanz und digitale Exklusivität beim Systemzugang nur schwer vereinbar, ein Gemeinwohlpostulat legt die Hürden eher noch höher.

Der ÖPNV ist unbestreitbar eine der maßgeblichen Säulen der Mobilitätswende. Ohne dieses Rückgrat der öffentlichen mobilen Grundversorgung, insbesondere im urbanen Raum, ist eine sozialverträgliche, umweltfreundliche, gesellschaftsförderliche, und lebensqualitätssteigernde Mobilität nicht denkbar!

Hierzu ist insbesondere ein dichtes und verlässliches Angebot erforderlich, das breiten Zugang für alle Bevölkerungsgruppen bietet, das aber durchaus auch einen Preis hat. Um diese Ansprüche zu erfüllen, braucht es Planungssicherheit, einen stabilen administrativen Rahmen und eine verlässliche, ausreichende Finanzierung. Der ÖPNV muss sein Innovationstempo in allen Bereichen deutlich erhöhen, insbesondere bei der Digitalisierung, und seine Kooperationsbereitschaft innerhalb der Branche, aber auch gegenüber neuen innovativen Mobilitätsanbietern erheblich ausbauen.

Seitens der Politik ist es erforderlich, nicht nur Begriffe zu prägen, sondern diese auch mit Inhalten zu hinterlegen.

Jahrgang 1964, ist Diplom-Verwaltungsbetriebswirt und seit Januar 2018 Geschäftsführer der Verkehrsverbund Rhein-Sieg GmbH (VRS) und der go.Rheinland GmbH (bis 31.12.2022 Nahverkehr Rheinland GmbH). Im VRS verantwortet Michael Vogel die Geschäftsbereiche Marketing, Tarif/Vertrieb und Finanzen, bei go.Rheinland Finanzen und Haushalt. Nach Stationen bei der Deutschen Bahn und der Regionalbahn Rhein-Ruhr GmbH war er vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer als Leiter der Abteilung „Tarif und Vertrieb“ und Prokurist beim VRS tätig. Michael Vogel lebt in Köln.

POLIS MOBILITY 09

OHNE BETEILIGUNG KEINE ENERGIEWENDE!

TEXT: Juna Schönborn, Energiewende-Botschafterin, und Christopher Holzem, Geschäftsleitung, Bürgerwerke eG

PRIVATE ©
Buergerwerke(2)

Als Gemeinwohl bezeichnen wir das, was vielen Menschen einer Gemeinschaft oder eines Staates gleichermaßen zugutekommt und nützt. Hört sich gut an – und ist es auch!

Wollen wir uns und unseren Kindern eine Zukunft auf diesem Planeten ermöglichen, dann sollten wir eines der größten Gemeinwohl-Projekte kraftvoll vorantreiben: die Energie- und Mobilitätswende. Dabei müssen wir allerdings ein enormes Tempo vorlegen, um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, noch zu lösen. Ein großes Problem: Das Vertrauen unserer Gesellschaft in die erforderlichen Maßnahmen ist angeknackster, als wir es uns eingestehen wollen. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben häufig nichts mit der Energiewende zu tun. Der Widerstand gegenüber politischen Entscheidungen und einer aktuell hohen Umsetzungsgeschwindigkeit ist dennoch real und sollte ernstgenommen werden.

Wie schaffen wir mehr Veränderungsbereitschaft und mehr Miteinander für die Energie- und Mobilitätswende?

Die letzten Jahrzehnte bestimmten fossile Energieträger und Individualmobilität unser Leben. Mittlerweile sind sich 99,9 Prozent aller Wissenschaftler:innen weltweit einig: Wir brauchen dringend eine Energie- und Mobilitätswende, wenn wir auch in einigen Jahren noch gut auf diesem Planeten leben möchten. Doch die enorme Dringlichkeit der Krise trifft auf „Das haben wir noch nie so gemacht“, auf Trägheit und sogar Angst in der Gesellschaft. Die Mehrheit aller Menschen in Deutschland befürwortet Maßnahmen zum Klimaschutz, befürchtet aber Einschränkungen. Nachhaltigkeit – so glauben viele seit dem wohl erfolgreichsten politischen Framing des vergangenen Jahrzehnts – sei Unfreiheit und Verzicht. Die Momentaufnahme zeigt: Ausgerechnet der Erhalt unserer eigenen Spezies polarisiert. Die Letzte Generation ist nur eines von vielen Reizthemen am heimischen Küchentisch, das potenziell die Familienzusammenkunft ruiniert. Wir erleben die Gesellschaft als gespalten – nicht im Ziel, wohl aber in den Vorstellungen, welche Meilensteine auf dem Weg liegen – und in dieser Situation sind gemeinwohlorientierte Entscheidungen eine enorme Herausforderung.

Wie also können wir Menschen nicht nur informieren und „da abholen, wo sie stehen“, wie es so oft heißt, sondern echte Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen? Dieser Frage stellen sich seit vielen Jahren Menschen in Energiegenossenschaften. Sie haben sie gegründet, um den zu langsamen Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen zu beschleunigen und mit Energiewende-Projekten vor Ort Schwung zu verleihen. Dabei lernten die Genossenschaftsmitglieder schnell: Die Technik ist längst nicht mehr das Problem, sondern die Akzeptanz der Menschen vor Ort. Also versuchen sie, genau hier zu wirken: Sie sprechen mit den Kommunen und bieten Menschen aus der Region einen Dialog an. Sie sind offen für die Fragen und Ängste der Bewohner:innen, schaffen Zielklarheit und stellen sicher, dass die gemeinwohlorientierten Interessen gewahrt bleiben. In aller Regel bieten sie auch die finanzielle Beteiligung an Erneuerbare-Energien-Anlagen mit Verzinsung für die Investierenden. Damit überzeugen sie die Menschen vor Ort und schaffen spürbare Vorteile. Und sie aktivieren andere, sich anzuschließen. So steigt die Akzeptanz für die Energiewende, die Fairness – und die Geschwindigkeit. So geht es voran, auf den Dächern und in den Köpfen. Wir sind überzeugt: Nur auf diese Weise kann die Energiewende tatsächlich gemeinwohlorientiert

und damit erfolgreich sein. Energiegenossenschaften zeigen, dass die Beteiligung der Menschen der entscheidende Schlüssel für eine schnelle und gesellschaftlich getragene Energiewende ist.

Was im Stromsektor langsam Fahrt aufnimmt, kommt im Wärmeund Verkehrssektor nur schleppend in Gang. Alle drei Sektoren sind absolut entscheidend für das Erreichen unserer Klimaziele. Die gute Nachricht: Auch hier haben sich engagierte Menschen in Energiegenossenschaften auf den Weg gemacht. In Mainz organisiert die UrStrom eG Carsharing mit Elektroautos in Bürgerhand, für die Fälle, in denen Fahrrad und Bus nicht ausreichen. In Pfalzgrafenweiler im Nordschwarzwald sorgt die Energiegenossenschaft WeilerWärme eG für E-Mobilität in einem ländlich geprägten Raum. Und dank der Inselwerke eG (Usedom) bauen Energiegenossenschaften in ganz Deutschland unter dem gemeinsamen Dach der Bürgerwerke öffentliche Ladesäulen. Das entstehende BürgerLadenetz wird mit erneuerbarem Bürgerstrom betrieben.

Was alle Projekte eint: bewusste Nähe zu den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Gut vernetzte Macher:innen, die die Projekte umsetzen. Und die Bereitschaft, Energiewende-Themen an die Stamm- und Küchentische zu bringen. So werden Widerstände und Vorurteile abgebaut, und es geht mit Spaß, Stolz und großem Zuspruch vor Ort voran. Damit blicken wir auf den wichtigsten Baustein für die Energie- und Mobilitätswende: die Menschen und ihre aktive Beteiligung.

JUNA SCHÖNBORN

geboren 1979 in Rastatt, Studium der Literatur- und Kulturwissenschaften in Göttingen und Promotion in Neuerer Deutscher Literatur in Freiburg. Seit acht Jahren macht Juna Schönborn Kommunikation und Kommunikationsberatung für Sozialunternehmer:innen. Zunächst solo-selbstständig, dann mit eigens gegründeter Agentur und Partner. In den vergangenen Jahren leitete sie zwei Bildungsprojekte im Bereich Social Entrepreneurship, bevor sie zu Beginn 2023 zu den Bürgerwerken wechselte. Ihre Themen sind werteorientierte Organisationsentwicklung, verantwortungsvolle Kommunikation und die Energiewende als eine unserer größten Chancen auf eine lebenswerte Zukunft.

geboren 1990 in Bergisch Gladbach, Studium der Wirtschaftsund Politikwissenschaften in Bergisch Gladbach, Friedrichshafen und Kopenhagen. Schon während der Schulzeit entdeckte Christopher Holzem seine Begeisterung für Erneuerbare Energien. Zum Ende seines Masterstudiums 2014 stieß er zum damaligen Gründungsteam der Bürgerwerke hinzu. Dort kümmert er sich heute als Mitglied der Geschäftsleitung um Themen rund um Marketing, Kundendialog und Unternehmenskommunikation. Seine Überzeugung: Nur ein wachsendes Sozialunternehmen, das Menschen begeistert, kann auch mehr Wirkung für die Energiewende in Bürgerhand entfalten.

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CHRISTOPHER HOLZEM

ENERGIESEKTOR ALS VORBILD

WAS KANN DIE VERKEHRSWENDE VON DER ENERGIEWENDE LERNEN?

TEXT: Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende, Verkehrsclub Deutschland e.V.

CIVIC © Richard Westebbe

Was haben Energiewende und Verkehrswende gemeinsam? Richtig, die „Wende“ hin zum umweltfreundlichen Leben und Wirtschaften. Für den Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) ist die Verkehrswende dann erreicht, wenn neben der Dekarbonisierung des Verkehrs jede:r – unabhängig von Wohnort, Portemonnaie oder körperlicher Verfassung – die Wahl hat, wie sie oder er bequem, sicher und umweltfreundlich von A nach B kommt und die Verkehrsmittel des Umweltverbundes – also Bus und Bahn, Fahrrad, Zufußgehen, Carsharing und Taxi – immer die erste Wahl sind! Dafür muss es ein entsprechendes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln geben, die grundsätzlich Vorrang haben, und der ausufernde MIV muss eingehegt werden, etwa durch Einfahrts- und Durchfahrtsbeschränkungen in sensiblen Bereichen nach dem Motto „Einwohner First, Durchfahrer Second“, Sperrungen in Schulstraßen, eine Pkw-Maut, eine Begrenzung und angemessene Bepreisung des Parkens im öffentlichen Raum, strenge Kontrolle der Einhaltung von Schadstoffund Lärmemissionen sowieso.

Wie können Energie- und Mobilitätswende gemeinwohlorientiert gelingen? Die Energiewende ist schon auf einem guten Weg. Denn es gibt mit dem modernisierten Energiewirtschaftsgesetz einen vernünftigen Rechtsrahmen und es gab – am allerwichtigsten – mit dem EEG ein mächtiges und sehr wirksames Instrument, das den Erneuerbaren Energien eine grundlegende, auskömmliche Förderung und vor allem den Einspeisevorrang gegenüber den konventionellen Energien gewährt hat. Dies alles geschah für das Gemeinwohl, denn der Ausstieg aus den fossilen Energien ist zur Abwendung der drohenden Klimakrise alternativlos. Jedenfalls solange es keine klimafreundlichere Energieerzeugung als die aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft gibt.

Ein weiterer entscheidender Faktor für das Gelingen der Energiewende waren einzelne engagierte Pionier:innen und die Bürgerenergiegenossenschaften (Bürgerwindparks, Bürgersolaranlagen). Sie haben mit erheblichem technischem, wirtschaftlichem und politischem Engagement gegen fast übermächtige Widerstände der vier großen konventionellen oligopolistischen Energieversorger (EON, RWE, EnBW und Viag) gezeigt, dass die Erneuerbaren Energien, insbesondere die Windkraft, funktionieren und gewollt sind. Heute ist die EE-Branche mittelständisch geprägt mit einem hohen Anteil an Genossenschaften oder anderen Beteiligungsformen. Die Oligopolisten von damals sind spät umgeschwenkt und errichten jetzt ebenfalls große Projekte, allerdings vorwiegend offshore oder im Ausland. In Deutschland onshore sind ihnen bei den guten Standorten die Zivilgesellschaft und sich daraus entwickelnde kleine und mittelständische Unternehmen zuvorgekommen.

Die Verkehrswende kann sehr viel von der Energiewende lernen. Es ergeben sich eine Reihe von Parallelen, auch wenn Unterschiede bleiben:

Erstens, die Verkehrswende braucht dringend einen neuen Rechtsrahmen. Das Verkehrsrecht ist komplett veraltet und unbrauchbar für die Herausforderungen unserer Zeit. Das Straßenverkehrsgesetz ist aus den 1930er Jahren, Teile des Eisenbahnrechts

aus dem 19. Jahrhundert. Der VCD als zivilgesellschaftliche NGO hat deshalb den Entwurf eines Bundesmobilitätsgesetzes vorgelegt, in dem endlich die Gemeinwohlorientierung als leitendes Ziel der Verkehrspolitik festgeschrieben wird, unter anderem mit den Einzelzielen Umwelt- und Gesundheitsschutz, Verkehrssicherheit, städtebauliche Entwicklung, Flächensparsamkeit und Effizienz des Verkehrssystems. Ferner sollen die Bundesverkehrswege mittels eines neuen Bundesmobilitätsplans integriert geplant und finanziert werden: Dort, wo künftig die Bahn ausgebaut wird, benötigen wir heute keine neue Autobahn.

Zweitens soll der Gesetzesentwurf als wichtiges Steuerungsinstrument unter anderem Anreize für die Bundesländer geben, durch Selbstverpflichtung ihren Zielbeitrag für die Verkehrswende zu bestimmen und so entsprechende Finanzmittel vom Bund zu erhalten.

Drittens können wir alle darüber hinaus die Verkehrswende voranbringen: Wir können uns in Nachbarschaftsinitiativen für Tempo 30 innerorts wegen Gesundheits- und Lärmschutz und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit einsetzen und so die eigene Straße „zurückerobern“. Wir können Elterninitiativen für sichere Schulwege gründen und etwa für die Einrichtung von Schulstraßen werben, die temporär rund um Schulbeginn und -ende für den Autoverkehr gesperrt werden. Wir können das Deutschlandticket anschaffen, Fahrrad fahren oder auch Cargobikes und Carsharing nutzen.

Viertens muss auch die Verkehrswende auskömmlich finanziert werden: Allein für den Ausbau des ÖPNV sind nach Studien ca. 1824 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Das Geld ist bei der derzeitigen Haushaltslage mit Beschränkung der Investitionen durch die Schuldenbremse nicht in Sicht. Hier muss es eine gesicherte Finanzierung wie bei den Erneuerbaren Energien in der Energiewende geben. Ebenso bei der dringend erforderlichen Sanierung der Schieneninfrastruktur.; diese hat einen Investitionsrückstand in Höhe von ca. 90 Milliarden Euro. Von den Investitionsmitteln für den ebenfalls dringend erforderlichen Schienenausbau für die Verdopplung der Fahrgastzahlen ganz zu schweigen. Weshalb sollte dieses Kapital nicht durch Genossenschaften mit aufgebracht werden, an denen sich die Zivilbevölkerung beteiligen und eine moderate, aber stetige Rendite erhalten kann? Das Eigentum der Schieneninfrastruktur muss selbstverständlich im Bundesbesitz bleiben.

Jahrgang 1966, ist seit fünf Jahren ehrenamtliche Bundesvorsitzende des Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD). Sie war internationale Unternehmensjuristin, unter anderem 5 Jahre Chefjustitiarin eines im MDAX notierten IT-Unternehmens. Danach wechselte sie beruflich in den Bereich Nachhaltigkeit und ins Verbandsmanagement. Sie führt gemeinsam mit ihrem Mann eine gemeinnützige GmbH, die sich dem Nachhaltigen Wirtschaften und Leben widmet. Diesem galt auch ihr langjähriges aktives Engagement in der Lokalpolitik. Kerstin Haarmann setzt sich für eine Mobilität ein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht einzelne Verkehrsträger.

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Biokraftstoffe wie Hydrotreated Vegetable Oils könnten schon bald regulär getankt werden.

E-BIKE-MARKE FEIERT COMEBACK

PFLANZENPOWER

Wenn es um Klimaschutz im Verkehr geht, steht die Ökobilanz von Diesel hoch oben auf der Schädlingsliste. Mit der Zustimmung des Bundesrats Ende März zur Einführung des fossilfrei hergestellten XTL-Diesels kann sich dies zumindest in Teilen verändern. Bei dem neuen Kraftstoff, der schon ab Mai vorwiegend für moderne Dieselmotoren tankbar sein soll, handelt es sich um Hydrotreated Vegetable Oils (HVO), ergo mit Wasserstoff behandelte Pflanzenöle. In der Theorie wird dieser zu 100 Prozent aus Abfallstoffen hergestellt und würde die CO2-Emissionen im Vergleich zum paraffinen Diesel um 90 Prozent reduzieren. Das Bundesumweltministerium hingegen relativiert diese Aussage zum Teil, da auch frisches Palm- und Rapsöl zur Herstellung verwendet werden kann, was wiederum viele Ressourcen verbrauchen würde.

Schon im vergangenen Herbst wurde die totgeglaubte Amsterdamer E-BikeMarke VanMoof vom britischen Technologieunternehmen McLaren Applied übernommen. Nun hat VanMoof in sieben Ländern insgesamt 50 Reparatur- und Servicestandorte aufgenommen, darunter die Niederlande, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Unter der neuen Leitung wurde die Vertriebs- und Servicestrategie überarbeitet: Statt einer direkten Betreuung der Kund:innen werden deren Räder nun in lokalen Partner:innen-Werkstätten mit dem notwendigen Know-how gewartet und in naher Zukunft auch wieder verkauft. Alle Partner:innen erhalten für die Reparatur eine Schulung sowie spezielle Technik und Originalteile, um den bestmöglichen Service bieten zu können.

Die neu enthüllte Straßenbahn macht auf die Kampagne „drive and study“ aufmerksam.

Nach der Übernahme von McLaren Applied setzt VanMoof auf ein nachhaltigeres Wartungsmodell mit 50 Partnerwerkstätten in sieben Ländern.

STUDIS FÜR DIE STRASSENBAHN

Um dem Mangel an Fahrpersonal entgegenzuwirken, hat die Rhein-NeckarVerkehr GmbH (rnv) gemeinsam mit der Mannheimer Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) bereits im vergangenen Sommer die Kooperation drive and study ins Leben gerufen, im Rahmen derer Studierende auf Nebenjob-Basis als Bahnfahrer:innen arbeiten können. Nun haben Vertreter:innen des Projektes eine neu folierte Straßenbahn enthüllt, die auf den Schienen des Verkaufsgebietes für das vielfältige Studienangebot der Hochschule wirbt und zugleich auf die Kampagne und die rnv als Arbeitgeberin aufmerksam macht. Innerhalb von acht Wochen wird der nächste Schwung an Studierenden in der kommenden vorlesungsfreien Zeit für den Fahrbetrieb ausgebildet.

© Khamkéo / unsplash © VanMoof Welikebikes Munich © rnv GmbH/Haubner

Mit dem Förderprogramm „progres.nrw – Emissionsarme Mobilität“ bietet die Landesregierung NRW Anreize für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Mehrparteienhäusern.

LADEINFRASTRUKTUR FÜR MEHRPARTEIENHÄUSER

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bietet im Rahmen des Programms progres.nrw – Emissionsarme Mobilität aktuell Förderungen für Ladeinfrastruktur an Wohnkomplexen an, um die Antriebswende mit 23 Millionen Euro voranzutreiben. Mit bisherigen Programmen konnten schon 100.000 Ladepunkte in Ein- und Mehrparteienhäusern realisiert werden, bis 2030 sollen sogar 1,5 Millionen Schnittstellen zur Verfügung stehen, so das Ziel der Landesregierung. Neben den einzelnen Ladepunkten wird auch die oft umfangreiche sowie kostenintensive Grundinstallation gefördert.

ALLE WOLLEN BAHNFAHREN

Trotz der vielen Streikeinschränkungen verzeichnet die Deutsche Bahn ein Rekordniveau für die Beförderungszahlen.

Bei der Deutschen Bahn gehören die dürftigen Fahrgastzahlen der Corona-Zeit trotz der langen Streikperiode der Vergangenheit an. Während im nationalen Schienennetz das Deutschlandticket für die guten Zahlen verantwortlich ist, erfreut sich besonders der internationale Fernverkehr immer größerer Beliebtheit: Im letzten Jahr waren 24 Millionen Reisende mit der DB grenzüberschreitend unterwegs, was gegenüber 2019 einem Zuwachs von 21 Prozent entspricht. Pünktlich zur Europameisterschaft im Fußball sollen ab Mitte Juni erstmals die neuen Verbindungen Frankfurt-Brüssel und Frankfurt-Amsterdam zum Einsatz kommen. Für ein verbessertes Fahrerlebnis wird zudem alle drei Wochen ein neuer ICE in Betrieb genommen. Die neue Reihe wird sowohl mehr Komfort als auch höhere Fahrgastkapazitäten bieten.

© Michael Fousert/Unsplash
© Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont
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VERKEHRSWENDE VON UNTEN

VISIONEN FÜR ÖKOLOGISCHE KIEZBLOCKS IN BERLIN

TEXT: David O‘Neill

Der Verein Changing Cities hat große Pläne für die Bundeshauptstadt. Mit #KIEZBLOCKS hat er eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für Verkehrsberuhigungen einsetzt. Durch zivilgesellschaftliches Engagement und politischen Willen soll langfristig eine revolutionäre Stadtplanung institutionalisiert werden, die die Bedürfnisse des Menschen wieder in den Vordergrund stellt.

16 POLIS MOBILITY

Zwei neue Kiezblocks pro Bezirk pro Jahr, zwei kommunale Mitarbeiter:innen pro Bezirk, die Erstellung eines Leitfadens zur Errichtung verkehrsberuhigter Bereiche sowie die Anerkennung des Konzepts als Zielbild für nachhaltige Stadtentwicklung: Die Forderungen der Initiative #KIEZBLOCKS, prominent auf der Webseite platziert, lassen keine Fragen zu ihrer Haltung offen. Der Name gibt bereits einen Hinweis darauf, dass sich die Vision an der Idee der Superblocks orientiert, die seit vielen Jahren die politische Landschaft der katalanischen Hauptstadt Barcelona auf Trab hält. Stark vereinfacht handelt es sich dabei um ein Konzept der Verkehrsberuhigung in urbanen Räumen; die Nachbarschaft – der Kiez – soll seinen Bewohner:innen zurückgegeben werden, indem Durchfahrten gesperrt, Straßen zurückgebaut, Grünräume angelegt und Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden.

Wie das aussehen kann, illustriert das Cover dieser Ausgabe. Die Visualisierung eines Zukunftsszenarios der Berliner Bergmannstraße des Architekten Po-Chun Hsieh zeigt einen entspannten Radverkehr, flanierende Fußgänger:innen, spielende Kinder, belebte Außengastronomie, gesunde Vegetation – und kein einziges Auto. Was mit Blick auf die derzeitige Gestalt deutscher Großstädte anmutet wie ein Phantasma, ist von der Realität gar nicht so weit entfernt: Bereits im Jahr 2015 lief die erste Phase der Bürger:innenbeteiligung zum Pilotprojekt „Begegnungszone Bergmannstraße“ an, vier Jahre später wurden die in der Zwischenzeit gesammelten Erkenntnisse im Rahmen eines Reallabors für einen Tag praktisch umgesetzt. Ende 2019 dann der Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg: Im Bergmannkiez soll ein Modellprojekt für eine Verkehrsberuhigung entwickelt werden. Darüber wird uns Herr Hsieh im nächsten Abschnitt noch einiges erzählen.

Die Idee zieht weite Kreise in der Hauptstadt Tatsächlich ist die Bergmannstraße kein Einzelfall in Berlin: Zurzeit sind laut Webseite der Initiative siebzig Kiezblocks entweder bereits teilweise umgesetzt, politisch beschlossen oder zumindest explizit von Aktivist:innen gefordert. Diese konzentrieren sich mit

Von der Verkehrsader zum Wohlfühlort: Die Bergmannstraße hat einiges vor sich.

Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain und Prenzlauer Berg vor allem auf die beliebten Wohnlagen. Im Neuköllner Schillerkiez beispielsweise konnte die durch #KIEZBLOCKS geplante Verkehrsberuhigung die Mühlen von Politik und Verwaltung durchlaufen und steht unmittelbar vor der Realisierung. Auch hier führte die Kooperation zwischen Planungsbüros, Zivilgesellschaft, Bezirksamt und Lokalpolitik zum Erfolg: Gemeinsam wurde ein Maßnahmenkatalog erarbeitet, der die Ergebnisse umfassender Beteiligungsverfahren in konkrete Lösungen übersetzt.

Generell ist die Beteiligung der Kiez-Bewohner:innen über den gesamten Prozess hinweg von enormer Bedeutung, gerade in Anbetracht der lauten Gegenstimmen, die Verkehrsvorhaben seit jeher erzeugen. Auf der Webseite der Initiative #KIEZBLOCKS ist aus diesem Grund ein Faktencheck zu finden, der häufige Gegenargumente sammelt, ernst nimmt, diskutiert – und letztlich entkräftet. Denn so berechtigt die Ängste der Bevölkerung vor dem Wegfall von Parkmöglichkeiten und einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens auf den umliegenden Hauptstraßen sind, so wenig haltbar sind sie bei ganzheitlicher Betrachtung.

Die Fehler des Vorbilds vermeiden Barcelona zeigt schon seit Jahren, dass Kiez- respektive Superblocks funktionieren können. Die katalanische Metropole steht allerdings auch exemplarisch für eine teilweise mangelhafte Art der Vermittlung, sodass die (vor allem politischen) Widerstände selbst dann noch nicht verstummten, als die positiven Effekte der Verkehrsberuhigung schon längst bewiesen waren. Mittlerweile ist die Zukunft der Superblocks ungewiss, auch aufgrund einer Klage aus dem konservativen Lager. Der Vorwurf: Das Rathaus habe seine Pläne nicht angemessen kommuniziert.

Werden Kapitalfehler wie diese vermieden, kann die Hauptstadt ihr Vorbild überholen. Das formulierte Ziel ist jedenfalls ambitioniert: 180 Kiezblocks sollen in den kommenden Jahren eingerichtet werden. Bleibt Berlin bis dahin auf Kurs, kann das durchaus gelingen.

POLIS MOBILITY 17
Po-Chun Hsieh (2)

Im Gespräch mit Po-Chun Hsieh, Architekt

Herr Hsieh, was hat Sie dazu motiviert, die Bergmannstraße als ökologische Fußgängerzone neu zu konzeptionieren?

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat das Projekt Bergmannstraße ins Leben gerufen, um das Konzept des “Kiezblocks“ zu stärken. Das Konzept zielt darauf ab, den Durchgangsverkehr in einzelnen Vierteln zu verhindern und den Straßenraum als Grün- und Aufenthaltsflächen an die Bewohner:innen zurückzugeben. Interessanterweise gibt es in Berlin nur sehr wenige Fußgängerzonen, obwohl die Menschen Aktivitäten im Freien sehr schätzen. Die vorhandenen Plätze, wie zum Beispiel der Alexanderplatz, sind komplett gepflastert und bieten den Besucher:innen kaum einen Mehrwert, der zum Verweilen und Genießen einlädt.

Die Bergmannstraße ist das Herzstück des Bergmannkiezes in Kreuzberg. Sie bietet den Bewohnern:innen des Kiezes eine Vielzahl von Lebensmittelgeschäften, Drogerien und die beliebte Marheineke Markthalle. Gleichzeitig zieht sie mit ihren zahlreichen spezialisierten Geschäften und einer breiten Auswahl an Restaurants viele Besucher:innen an. Aus diesem Grund möchten wir das Konzept einer Fußgängerzone weiterentwickeln und den Nutzer:innen ein neues, parkähnliches Erlebnis bieten. Unser Ziel ist es, eine Straße zu schaffen, in der es beim Einkaufen und Essen nicht nur um Effizienz geht, sondern auch um Entspannung und das Gefühl, Teil der Natur inmitten der Stadt zu sein. Die Bergmannstraße soll eine fußgängerfreundliche Straße sein, die sowohl den Bedürfnissen der Nachbarschaft gerecht wird als auch den Charme für Besucher:innen verstärkt.

Erzählen Sie uns bitte mehr über die zentralen Elemente und Merkmale Ihres Entwurfs für die Bergmannstraße. Was macht sie zu einem attraktiven und nachhaltigen öffentlichen Raum?

Der Entwurf basiert auf Ideen, die zuvor in mehreren Bürgerwerkstätten entwickelt und vom Straßen- und Grünflächenamt präzisiert wurden. Dabei stehen drei Elemente im Mittelpunkt. Das Hauptmerkmal der Gestaltung stellen grüne, entsiegelte Bereiche dar, die sich mit sanften Erhebungen durch die Straße schlängeln. Die Straßenoberfläche wird durchlässig gestaltet und erweitert die Begrünung bis zum Gehweg. Dieses grüne Band umrahmt einerseits die Fußgängerzone und bildet eine sanfte Barriere zum angrenzenden Radweg. Andererseits dient es der Ableitung von Regenwasser und bietet Insekten ein Zuhause.

Die Potentiale sind riesig, schließlich ist die Bergmannstraße auch heute schon ein vergleichsweise schöner Ort.

Das grüne Band wird von Wasserkanälen begleitet. Das ist das zweite Element. Die Kanäle nutzen das natürliche Gefälle der verschiedenen Abschnitte, wodurch es in der Schenkendorfstraße einen schnelleren Wasserfluss und in der Bergmannstraße einen langsameren gibt. Dadurch entsteht eine Art Wasserspielplatz und die Fontänen am Anfang sowie die Pools am Ende können als Treffpunkte dienen. Dies trägt auch zur klimaresilienten Gestaltung der Stadt bei, da die Verdunstungskühle in den öffentlichen Räumen in der aufgeheizten Stadt immer wichtiger wird.

Ein weiteres Schlüsselelement sind die Fahrradspuren. Um einen lebendigen Kiez ohne Autoverkehr zu schaffen, ist das Fahrrad das wesentliche Verkehrsmittel. Durch den seitlichen Versatz der Fahrradspuren kann einerseits eine sichere Fahrradstraße und andererseits eine große Fläche für Grün und Außengastronomie geschaffen werden. Die Fahrradspuren sind auch an das Fahrradstraßennetz des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg angeschlossen.

Welche Herausforderungen haben Sie bei der Entwicklung Ihres Konzepts für die Bergmannstraße identifiziert, insbesondere in Bezug auf die Integration von Verkehrsteilnehmer:innen?

Die größte Herausforderung bestand darin, genügend Platz für den Lieferverkehr zu schaffen, ohne die Breite der Gehwege zu verändern. Auch wenn der Fahrzeugverkehr zukünftig auf die Morgen- und Abendstunden beschränkt wird, ist dafür eine stabile, überwiegend gepflasterte Fläche erforderlich. Das schränkt aber die Breite der entsiegelten Bereiche ein.

Wie haben Sie die Bedürfnisse und Anliegen der lokalen Gemeinschaft und anderer Interessengruppen in Ihr Konzept einbezogen – insbesondere in Bezug auf die Schaffung von Grünflächen, sicheren Spielbereichen für Kinder und sozialen Treffpunkten?

Das ist die entscheidende Frage. Die Planung der Bergmannstraße funktioniert eigentlich wie ein Netzplan. Wie eingangs erwähnt, geht es bei dem Projekt nicht nur darum, eine einzige aktive Straße zu schaffen. Es ist ein Tor zum Kiez und gleichzeitig sein – künftig grüneres – Zentrum.

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Die Bergmannstraße ist die erste, durch Geschäfte und Fahrräder stark frequentierte Ebene: Hier treffen sich Menschen, umgeben von Grün, zum Essen und Einkaufen. Die Seitenstraßen wie die Schenkendorfstraße und die Solmsstraße bilden die zweite Ebene des Verkehrs. Hier fahren Fahrräder weniger häufig und langsamer. Kinder können in diesen Bereichen unbeschwert spielen, ohne beaufsichtigt werden zu müssen. Die dritte Ebene ergibt sich aus den Straßen, die in die eigentlichen Parks und die vorhandenen Spielplätze übergehen, wie der Marheinekeplatz und der Chamissoplatz.

Wie würde sich eine ökologische Fußgängerzone in der Bergmannstraße auf die Kiezbewohner:innen, die Immobilienwirtschaft und die Umwelt auswirken? Welche Vorteile und langfristigen Folgen sehen Sie perspektivisch?

Dafür muss man verstehen, dass das Projekt Bergmannstraße Teil eines Konzeptes für ein vom Durchgangsverkehr befreites Viertel ist. Zusammen mit einer ökologischen Fußgängerzone vergrößert diese neue Planung die Grünfläche und schafft einen ununterbrochenen begrünten Aufenthaltsraum im Zentrum des Kiezes. Die Straßen werden von einer autozentrierten Gestaltung in ein fußgängerfreundliches, sicheres und angenehmes Wohnumfeld umgewandelt. Da das extreme Klima zur Normalität wird, ist ein grüneres und wasserdurchlässiges Straßenbild für die Städte unerlässlich.

Wo stößt Ihr Konzept in der Realität an seine Grenzen?

Das Projekt der Bergmannstraße befindet sich noch in einer Zwischenphase. Das Bezirksamt hat bereits mit der Umsetzung des Verkehrslenkungskonzepts begonnen, indem es den Durchgangsverkehr mit temporären Schildern und Pflanzkübeln begrenzt. Ohne eine integrierte Umgestaltung wird das neue System jedoch immer noch ignoriert. Für eine dauerhafte Umwandlung wird viel Geld benötigt, das derzeit aber nicht komplett zur Verfügung steht. Die tatsächliche Umgestaltung der Bergmannstraße könnte noch Jahre auf sich warten lassen. Darum ist es wichtig, zumindest Teile des Konzeptes – auch mit provisorischen Mitteln – umzusetzen.

Wie haben die Bürger:innen im Rahmen der Beteiligung auf Ihr Konzept reagiert? Gab es Lob oder Kritik?

Vertreter:innen des lokalen Gewerbes befürchten, dass eine autofreie Straße weniger Kundschaft anziehen könnte. Doch diese Sorge ist unbegründet, wie Erfahrungen aus anderen Verkehrsberuhigungskonzepten zeigen. Außerdem kommen die meisten Besucher:innen der Bergmannstraße ohnehin nicht mit dem Auto. Cafés und Geschäfte, die einen Blick auf eine offene Grünfläche und einen Spielplatz bieten, haben einen besonderen Charme und sprechen sicherlich mehr potentielle Besucher:innen an. Es ist wichtig, diese Argumente zu kommunizieren und die Bedenken der Menschen sachlich zu entkräften. Hier ist also noch Überzeugungsarbeit zu leisten.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke in das Projekt!

„Da das extreme Klima zur Normalität wird, ist ein grüneres und wasserdurchlässiges Straßenbild für die Städte unerlässlich.“

lebt in Berlin und arbeitet dort als Architekt. Er wurde in Taipeh, Taiwan, geboren; nach seinem Abschluss an der Harvard University hat er in den letzten 17 Jahren in New York und Taipeh gearbeitet und sich schließlich in Berlin niedergelassen. Von Wolkenkratzern bis hin zu kleinen Sozialwohnungen: Die Erfahrungen, die er auf den drei kulturell unterschiedlichen Kontinenten gesammelt hat, boten ihm die Gelegenheit, die Kreativität der Architektur in ganz unterschiedlichen Maßstäben zu erkunden. Sein Motto: Architektur macht Spaß, wenn sie den Nutzer:innen helfen kann, einen Traum umzusetzen.

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PO-CHUN HSIEH

ENERGIEWENDE LOKAL

BEDARFE ERMITTELN UND KOMMUNIZIEREN

© Ramboll
„Wir sehen in der Bevölkerung einen steigenden

Bedarf an politischer und wirtschaftlicher Mitbestimmung.“

Im Gespräch mit Christin Herber, Head of Energy Systems & Niels Tietgen, Consultant Smart Mobility, Ramboll Deutschland

In Zeiten der Energie- und Mobilitätswende verschieben sich sowohl die Verfügbarkeiten als auch die Bedarfe an erneuerbaren Energien. Wie kann sichergestellt werden, dass dem Verkehrssektor auch zu Spitzenzeiten genug Energie zur Verfügung steht?

Christin Herber: Die zeitliche Verschiebung von Stromerzeugung und -verbrauch ist in der Tat eine Herausforderung. Sektorkopplung bietet hier das Potenzial, die Flexibilität unserer Energiesysteme zu erhöhen. Ein smartes Last- und Lademanagement von flexiblen Stromverbrauchern wie Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen kann Lastspitzen abschwächen und teilweise sogar verhindern. Zudem bieten variable Preise für Stromeinkauf und -vertrieb in der Anwendung ökonomische Anreize und Orientierung, da sich die Stromnachfrage verschiebt. Das gilt nicht nur im Verkehrssektor. Konkret bedeutet das: Die Nachfrage steigt, wenn der Strompreis niedrig ist, weil ein hoher Anteil erneuerbar erzeugten Stroms eingespeist wird.

Niels Tietgen: Zudem sollte uns Verbraucher:innen bewusster werden, dass wir selbst Verantwortung tragen. Unsere Flexibilität in der Nutzung von Energie und die Anpassung unseres eigenen Verhaltens leisten einen entscheidenden Beitrag zur allgemeinen Verfügbarkeit. Energie abrufbarer zu gestalten, setzt zudem voraus, dass der Ausbau entsprechender Infrastruktur vorangetrieben wird und Ladestationen betriebsbereit sind. Das muss flächendeckend gewährleistet sein.

Mit der Mobilitäts- und der Energiewende ist die Marschrichtung klar vorgegeben, die Umsetzung verläuft jedoch weitaus weniger linear und ist von Unwägbarkeiten geprägt. Wie können die zukünftigen Energiebedarfe dennoch realistisch abgebildet werden?

Christin Herber: Nun, dafür bräuchten wir wohl eine geopolitische Glaskugel. Deutschland ist weiterhin stark von anderen Nationen abhängig, was etwa der Ukrainekrieg verdeutlicht: Neben der humanitären Katastrophe ist plötzlich auch die Rohstoffund Gasversorgung in Gefahr. Der Krieg bestätigt einmal mehr, dass kein Weg an der lokalen Energieerzeugung vorbeiführt, um genau diesen Unwägbarkeiten entgegenzuwirken. Es bedarf der Entwicklung eines Portfolios von Szenarien, die abhängig von äußeren Einflussfaktoren und sich verändernden Realitäten regelmäßig analysiert und kritisch hinterfragt werden müssen.

Niels Tietgen: Auch ein regelmäßiger Austausch mit der Industrie, dem Verkehrssektor und den Haushalten ist hier entscheidend, um relevante Parameter in der Bedarfsmodellierung stetig zu aktualisieren und zu plausibilisieren. Es bedarf einer Nähe zu den Akteuren; durch diesen proaktiven Ansatz kann besser auf Veränderungen reagiert und eine bedarfsgerechte Umsetzung der Mobilitäts- und Energiewende sichergestellt werden. Anders gesagt: Theoretisches Wissen ist gut, aber wir müssen realistischer in der Bedarfsermittlung werden und konkrete Verbrauchsdaten stärker berücksichtigen.

Die nachhaltige Erzeugung von Energie benötigt Flächenressourcen, Raumverteilung ist allerdings ein hart umkämpftes Thema. Wie kann ein produktiver Diskurs erreicht werden – und welche Handlungsmöglichkeiten bieten sich Kommunen?

Christin Herber: Hierfür gibt es keine Blaupause für alle involvierten Parteien. Wir sehen in der Bevölkerung einen steigenden Bedarf an politischer und wirtschaftlicher Mitbestimmung. Es ist aus unserer Erfahrung daher essentiell, frühzeitig alle relevanten Akteure einzubinden – von den Eigentümer:innen der Flächen über die Nachbar:innen bis hin zu denjenigen, die die erzeugte Energie letztlich nutzen. Den Menschen muss vermittelt werden, wie sie von der jeweiligen Maßnahme profitieren. Es bedarf eines offenen Diskurses; dadurch lassen sich frühzeitig mögliche Interessenkonflikte aufklären und Motivationen einzelner Beteiligter verstehen.

Niels Tietgen: Welcher Ansatz letztlich gewählt wird, hängt stark von den Gegebenheiten vor Ort ab. In dünn besiedelten Gebieten, in denen Raumverteilung keine allzu große Herausforderung ist, weichen die Gegebenheiten stark von urbanen Räumen ab. Ein Beispiel aus der Windenergie: Werden in Hessen Windparks auf Waldgebiet errichtet, erhalten Kommunen vom Land 20 Prozent der generierten Pachteinnahmen. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen ist es Privatpersonen möglich, sich finanziell am Bau eines Windparks zu beteiligen. Auf diese Weise kann die Bevölkerung auf dem Weg zur Energiewende mitgenommen werden und sogar individuell profitieren.

Vielen Dank für das spannende Gespräch.

CHRISTIN HERBER

leitet bei Ramboll Deutschland die Abteilung Energiesysteme (in Doppelspitze mit Annalena Warburg) mit Fokus auf ganzheitlichen Versorgungskonzepten zur Energie(system-)wende. Neben strategischen Projekten zur Dekarbonisierung von Energiesystemen verantwortet sie die Planungsleistung erster Wasserstofferzeugungsanlagen, überwiegend an Land.

NIELS TIETGEN

ist als Berater im Bereich Smart Mobility für Ramboll Deutschland in Berlin tätig. Er berät Ministerien, Städte sowie Landkreise und Kommunen aus ganz Deutschland mit technischen, ökonomischen sowie betrieblichen Betrachtungen von alternativen Antriebstechnologien und Energieträgern für eine klimaneutrale Mobilität.

INTERVIEW 21

WER WILL, FINDET WEGE

VON DER EWIGEN BLAUPAUSE ZUR GEMEINSAMEN HALTUNG

TEXT: Lana Horsthemke, Projektleitung polisMOBILITY Konferenz

© Anna Schwartz

Es war eine schöne Nachricht vom Umweltbundesamt, dass Deutschland in der Lage wäre, die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Tatsächlich zeichnet sich ein Rückgang von knapp 64 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990 ab. Das macht Mut –erschreckend deutlich wird jedoch, dass der Verkehrssektor seine Ziele aktuell drastisch verfehlt, während andere Sektoren nah an ihrer Zielerreichung sind.

Nun ist die Gemengelage keine einfache. Neben externen Krisen haben sich politische Rückschläge, zum Beispiel mit dem Urteil zum Klimatransformationsfonds und der gekippten StvO-Novelle, summiert. Beim ÖPNV geht es aktuell nicht mehr um einen Ausbau von Angeboten, sondern vielmehr darum, den Abbau von Bestehendem zu verhindern. Und die breite öffentliche Debatte verweilt währenddessen meist in Grabenkämpfen über Freiheitsverluste, die eine Veränderung des Modal Split zugunsten des Umweltverbundes angeblich bedeuten würde. Es sticht ins Auge, dass es bisher nicht gelungen ist, sich über die politischen Ebenen hinweg auf eine gemeinsame Richtung zu verständigen.

Was kann nun eine polisMOBILITY Konferenz dazu beitragen, weiter auf einen gemeinwohldienlichen Verkehrssektor hinzuarbeiten? Ich glaube, dass mutige, sektorenübergreifende Public Private Partnerships und eine bestärkende Kommunikation zwei wichtige Stellschrauben der Verkehrswende sind, denen wir mit der Konferenz den Rücken stärken können.

Denn innerhalb dieser gar nicht trivialen Herausforderungen passieren wahnsinnig spannende Dinge und es lohnt sich, in die Details zu schauen. Die Krisen unserer Zeit stellen quer durch die mit dem Verkehrssektor assoziierten Branchen etablierte Rollen und Geschäftspraktiken in Frage und eröffnen dabei gleichzeitig Räume für Wachstum. Insbesondere an der Schnittstelle zwischen Public und Private kann man jetzt Großes bewegen, ohne dass das mit einem Schrumpfen der Wirtschaft verbunden sein muss. Vielleicht müsste man sogar sagen: Um selbiges zu verhindern und nicht infrastrukturell abgehängt zu werden.

Nun ist es bei weitem nicht neu, dass davon gesprochen wird, Silos zu verlassen und branchenübergreifende, ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Vergleichsweise neu ist aber die damit verbundene Dringlichkeit. „Raus aus den Silos“ ist nicht länger ein wünschenswerter Anspruch, dem wir an den Schnittstellen von Energie, Verkehr und Stadtentwicklung nach Belieben gerecht werden. Es ist eine Notwendigkeit geworden, welche die Branchen zur Transformation zwingt, weil sich viele Herausforderungen nur mittels neuer Wege und Rollen lösen lassen – und gelöst werden müssen, wenn wir uns mit einem „weiter so“ nicht die eigene Lebensgrundlage entziehen wollen.

Inspirierend ist, dass es schon viele Beispiele gibt, die hier Spielräume nutzen und erweitern. Pilotprojekte verdeutlichen das Potential von Public Private Partnerships, egal ob es um die Machbarkeit der klimaneutralen Energieversorgung von Quartieren, um nachhaltige Logistik auf der letzten Meile oder multi- und intermodale Mobilität geht. Man stelle sich vor, was möglich wäre, wenn ein flächendeckender Rollout bestehender Leuchttürme gelänge! Doch genau dieser Transfer in die Breite ist ein oft mühsamer Schritt. Selbst da, wo wir wissen, wie es gehen könnte – und da, wo wir könnten, weil die Rahmenbedingungen, notwendigen Förderinstrumente und politisches Agenda Setting bereits ihren Teil beitragen.

Es braucht viel Mut, große Schritte zu gehen in Zeiten, in denen Unsicherheit ein bleibender Gast zu sein scheint. Pionierarbeit in neuen Geschäftsfeldern, welche – wenn konsequent verfolgt – jahrzehntelang zentrale Geschäftsbereiche in Frage stellt, ist schon in friedlichen Zeiten keine leichte Führungsaufgabe. Und sie wird nicht leichter dadurch, dass teilweise gar Unternehmenskulturen hinterfragt werden müssen, wenn wir uns die Frage nach der Gemeinwohldienlichkeit auch als Perspektive der Wirtschaft ernsthaft stellen. Aber sie scheint mir alternativlos – und in ihr liegen Möglichkeiten, für die es sich lohnt, die Wachstumsschmerzen auszuhalten. Auch wenn sich in jedem Fall genug gute Gründe finden lassen, sich nach Pilotprojekten wieder auf sicheres Terrain zurückzuziehen.

Um die vorhandenen Handlungsspielräume zu nutzen, sollten wir unser Stimmungsbild in puncto Verkehrswende im Auge behalten. In den letzten zwei Jahren hat sich hier etwas verändert: War 2022 noch ein Gefühl des Aufbruchs in den Branchen das dominant wahrnehmbare Framing, so nehmen inzwischen Appelle der Dringlichkeit mehr Raum ein, denen immer häufiger Frustration mitschwingt. Das gilt es ernst zu nehmen und gleichzeitig untereinander sicherzustellen, dass dabei der Glaube an die Machbarkeit des Wandels nicht verloren geht. Denn was uns keinesfalls passieren darf ist, dass denjenigen, die seit Jahren engagiert dicke Bretter bohren, die Puste ausgeht. Die kommenden Jahrzehnte werden uns als Gesellschaft deutlich mehr Eigenverantwortung abringen und wir sind dabei auf ein gemeinsames Gefühl des Gelingens angewiesen.

Deswegen ist es wichtiger denn je, dass die Willigen sich gegenseitig Mut machen und Allianzen schmieden. Natürlich ist die polisMOBILITY nur eine Veranstaltung. Sie kann die bestehenden Herausforderungen operativ nicht lösen. Aber sie kann denjenigen einen guten Rahmen für sektorübergreifenden Austausch, Rückenwind und Inspiration geben, die sich tagtäglich um die Verkehrswende bemühen.

Ihnen allen, die Sie mit technologischer Innovation, Public Private Partnerships, kommunalen Verkehrswendeprojekten und zivilgesellschaftlichem Engagement mit einem klaren Zielbild mutig nach vorne gehen, wünschen wir deswegen einen produktiven und bestärkenden Austausch. Wer will, findet Wege – inspirieren wir einander dazu, die nächsten Schritte zu gehen!

ist Projektleiterin der polisMOBILITY Konferenz beim Verlag Müller + Busmann. Nach ihrem Sozialwissenschaftsstudium war sie für verschiedene Projekte rund um die lebenswerte Stadt von morgen für Arbeitgeber:innen aus Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft und Privatwirtschaft tätig. Neben ihrer Haupttätigkeit für die polisMOBILITY begleitet sie für die Wirtschaftsförderung Wuppertal gemeinwohlorientierte Initiativen bei ihrer Entwicklung.

GRUNDSATZ 23
LANA HORSTHEMKE

WER STEUERT DIE VERKEHRSWENDE?!

TEXT: David O‘Neill

Ist von der Verkehrswende die Rede, geht es immer auch um den ÖPNV. Um die Ziele zu erreichen, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, müssen bis 2030

mindestens ein Drittel mehr Busse und Bahnen als heute unterwegs sein. Wie kann das in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels gelingen?

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WENN
DAS
AUSGEHT
DER TRANSFORMATION
PERSONAL

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) befindet sich in einer komplizierten Lage. Einerseits ist er auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität eine essentielle Säule, auf die Bund und Länder zwingend bauen müssen: Ohne ein gut ausgebautes, verlässliches Transportsystem ist die Abkehr vom motorisierten Individualverkehr kaum zu erreichen. Andererseits zeigt genau dieser steigende Bedarf die Probleme auf, mit denen sich die Branche zurzeit und in naher Zukunft auseinandersetzen muss: Die Personalsituation ist, mild formuliert, angespannt.

Das Ziel, bis 2030 ein Drittel mehr Busse und Bahnen als heute auf Straße und Schiene zu bringen, ist nicht nur dadurch stark gefährdet, dass in genau diesem Zeitraum laut Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) etwa 80.000 Beschäftigte der BoomerGeneration in Rente gehen werden. Auch die Nachwuchssituation ist kompliziert, was nicht nur auf jahrzehntelange politische Sparvorgaben im öffentlichen Verkehrssektor, sondern auch auf die geringe Attraktivität der Branche für potentielle Bewerber:innen zurückzuführen ist. Harald Kraus, Vorstandsvorsitzender der VDV-Akademie und Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor bei der Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21), kennt die Gründe dafür: „Junge Menschen schauen bei der Berufswahl verständlicherweise auf Faktoren wie Flexibilität und Freiheit. Mit vorgegebenen Routen und einer knappen Zeittaktung ist der Fahrdienst häufig nicht die erste Wahl“, sagt er. Damit sei der Nahverkehr eine der Branchen, die am härtesten von der „neuen Realität des Arbeitsmarktes“ getroffen werden.

Verschiedene Expert:innen gehen von einem Bedarf an 110.000 neuen Beschäftigten im Nahverkehr aus, um die Verkehrswendeziele zu erreichen. Laut Kraus ist das sogar noch ein eher konservatives Szenario: „Wenn wir wirklich etwas verändern möchten, sind es sicherlich 170.000; mindestens die Hälfte davon im Fahrdienst.“ Die Verkehrsunternehmen müssen sich also neu erfinden, um ihrer Rolle als Stütze der Verkehrswende gerecht zu werden – jetzt und vor allem in Zukunft. Denn wie soll ein öffentliches Nahverkehrssystem günstig, gut getaktet und in der Breite verfügbar sein, wenn das Personal fehlt? Der VDV sieht eine Stärkung der Personal- und Employer-Branding-Strategie als erforderlichen Schritt an, um den ÖPNV langfristig zu erhalten und darüber hinaus die notwendigen Wachstumsziele zu erreichen.

Was tun, wenn die Leute fehlen?

Dies erfordert eine neue Art der unternehmerischen Kreativität. Um die eigene Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, machen einige Verkehrsunternehmen aus der Not eine Tugend und gehen offensiv mit den Problemen um, denen sie sich ausgesetzt sehen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) etwa, die in der Vergangenheit bereits häufiger mit findigen Social-Media-Kampagnen aufgefallen sind, werben aktiv um Quereinsteiger:innen und haben die Profilanforderungen gesenkt, um Einstiegsbarrieren abzubauen. In Form eines 3-Punkte-Plans soll der Mangel an Fahrpersonal überwunden werden. Neben Werbemaßnahmen, die mithilfe zahlreicher Mitarbeiter:innen-Statements die Offenheit des Unternehmens illustrieren, und Recruiting-Events auf den Betriebshöfen beinhaltet dieser eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine bessere Zusammenarbeit mit kommunalen und Landesbehörden. Die Bemühungen scheinen bereits Früchte zu tragen: Im Jahr 2023 konnten laut BVG rund 650 Busfahrer:innen eingestellt werden, 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Karrierewebsite des Unternehmens wurde im selben Zeitraum 60 Prozent häufiger angeklickt als noch 2022.

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© BVG (2)
Die Arbeitgeberinkampagne der BVG konnte die Zahl der Bewerbungen deutlich erhöhen.

Auch andere Verkehrsunternehmen schlagen diesen Weg ein. Die Rheinbahn aus Düsseldorf etwa konnte durch eine Social-Recruiting-Kampagne über verschiedene Kanäle innerhalb von drei Monaten etwa 1.000 Bewerbungen verzeichnen. Seitdem führt das Unternehmen in regelmäßigen Abständen Bewerbungstage durch, die im Jahr 2023 eine Zusagenquote von etwa 50 % erreichten. Das Erfolgsrezept ist dabei, so formuliert es eine Mitarbeiterin auf Nachfrage, die Platzierung von authentischen Video-Einblicken in genau den Netzwerken, in denen die Zielgruppen abgeholt werden: Für den Fahrdienst sind das eher Facebook und Instagram, für Auszubildende zusätzlich TikTok. Links zu den jeweiligen Bewerbungsformularen können unterhalb des Videos gefunden werden, was den Bewerbungsprozess beschleunigt.

Internationale Beziehungen spielen lassen

Die Personalsituation im Nahverkehr stellt nicht nur die Medienaffinität, sondern auch die interkulturelle Kompetenz der Ver-

kehrsunternehmen auf die Probe. Die Essener Ruhrbahn spricht seit einigen Jahren etwa gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an, indem Werbeplakate nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Griechisch, Türkisch oder Ukrainisch zur Bewerbung einladen. Neben der einfachen Akquise soll diese Maßnahme auch dazu führen, dass die bereits eingestellten Fahrer:innen Kontakte in ihre Herkunftsländer nutzen, um Freund:innen oder Familienmitglieder möglicherweise ebenfalls zum Einstieg zu bewegen. Die EU-weite Suche nach Bewerber:innen ist in der Branche generell bereits weit verbreitet; auch durch professionelle Personalvermittler:innen, die vorwiegend in Ost- und Südosteuropa geeignetes Fahrpersonal rekrutieren.

Dabei bestehen aber einige Risiken, wie die teils fragwürdigen Bedingungen zeigen, unter denen viele Gastarbeiter:innen in den 1960er und 1970er Jahren in die Bundesrepublik gelotst wurden. Aus diesem Grund setzt sich die VDV-Akademie momentan ver-

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Auch die Dortmunder Stadtwerke (DSW21) setzen beim Recruiting auf Humor.
© DSW21(2)
Ein vollelektrischer Bus der DSW21 inklusive Fahrpersonal. Für den Einstieg in die Elektromobilität nahm das Unternehmen jüngst etwa 40 Millionen Euro in die Hand.

stärkt mit der Frage auseinander, wie diese Form der Auslandsakquise auf eine langfristige und sozial nachhaltige Art und Weise unternommen werden kann. Harald Kraus sieht hierbei einen ganzheitlichen Ansatz als essentiell an: Seiner Meinung nach ist es von enormer Bedeutung, den Prozess von Anfang an – noch im Herkunftsland – intensiv zu begleiten und vorzubereiten, etwa durch Fortbildungen und Sprachkurse. Es müsse zudem gewährleistet sein, dass auch für die mit- oder nachziehenden Familienmitglieder Perspektiven geschaffen werden, beispielsweise in Form von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Partner:innen und Nachwuchs.

Arbeitsbedingungen als Schlüssel

Auch wenn sich der Fahrbetrieb nicht in dem Maße revolutionieren lässt, dass Verfechter:innen von Homeoffice und Gleitzeit vollständig auf ihre Kosten kommen, gibt es zumindest einige Stellschrauben, an denen Verkehrsunternehmen drehen können, um die Arbeitsbedingungen an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen – oder ihnen zumindest anzunähern. Dabei geht es vor allem um die Einführung von Teilzeitmodellen, attraktiveren Arbeitsplänen und softwarebasierten Lösungen wie beispielsweise digitalen Tauschbörsen, in denen Mitarbeiter:innen untereinander Fahrdienste tauschen können, wenn sie spontan verhindert sind oder eine Extraschicht übernehmen möchten. Durch solche Modelle sollen zum Beispiel Elternteile angesprochen werden, die durch Care-Arbeit über wenig Zeit verfügen und häufig außerplanmäßigen Verpflichtungen nachgehen müssen.

Weitaus weniger Spielraum für Innovation bleibt den Unternehmen allerdings beim Thema Vergütung. „Das ist ein Spagat“, sagt Harald Kraus mit einem Stirnrunzeln, denn sowohl in seiner Rolle beim VDV als auch im Vorstand der DSW21 werden ihm die finanziellen Probleme der Branche konstant vor Augen geführt. „Das Nahverkehrssystem ist chronisch unterfinanziert, und wo wenig Geld ist, sind die Verteilungskämpfe besonders rabiat.“ Auch das Deutschlandticket, „sozialpolitisch eine fantastische Sache“, gebe in der Gehaltsfrage Rätsel auf, da die Verkehrsunternehmen Rabattierungen wie diese nicht vollständig von Bund und Ländern erstattet bekommen. Dennoch seien die Löhne schon deutlich höher als noch vor einigen Jahren, und auch die Tarifrunden, die Anfang 2024 wieder aufgenommen wurden, versprechen eine weitere Anpassung nach oben – wenn auch nicht in allzu großen Sprüngen.

Neue Kolleg:innen in Sicht: Die BVG konnte 2023 70 Prozent mehr Busfahrer:innen einstellen als noch im Vorjahr.

Der Gewerkschaft ver.di und den Aktivist:innen von Fridays for Future reicht das nicht. Unter dem Motto „Wir fahren zusammen“ haben die beiden Organisationen eine Kampagne gestartet, die sich primär an die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene richtet und eine angemessene Finanzierung des ÖPNV als einen essentiellen Schritt bei der Erreichung der Klimaziele ansieht. Die Forderung: dauerhaft mehr Geld für Konsolidierung und Ausbau des Nahverkehrs, vor allem bezogen auf das Personal. Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse & Bahnen bei ver.di, ist sich sicher, dass die Personalgewinnung erheblich einfacher wäre, wenn flächendeckend eine arbeitsmarktübliche Bezahlung angeboten werden könnte: „Einen einheitlichen Fahrpreis schaffen ist schön – notwendig ist aber auch eine einheitliche Finanzierung.“ Um das zu erreichen, sieht er Bund und Länder in der Pflicht, entweder einen Teil der Betriebskosten verlässlich zu übernehmen oder den Kommunen dauerhaft mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Dass sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband in dieser Frage im Kern einig sind, verdeutlicht die politische Brisanz.

Kein Grund für Pessimismus

Das Beispiel des ÖPNV und dessen stiefmütterliche Behandlung vor allem in den 1990er Jahren zeigt: Wird ein Feld nicht bewässert, vertrocknet es. Doch ein Tiefpunkt ist immer auch eine Chance für einen Neuanfang; zumindest dann, wenn die entstehenden Herausforderungen erkannt und angenommen werden. Die Verkehrsunternehmen tun dies proaktiv und pragmatisch und gehen Wege, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären. Harald Kraus sieht daher keinen Grund für Pessimismus – im Gegenteil. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass der ÖPNV auch weiterhin die Säule der Verkehrswende sein wird: „Der ÖPNV dient den Menschen, er wird von der Gesellschaft betrieben und kommt dieser zugute. Wenn wir das Menschliche also in den Mittelpunkt stellen, bewegen wir uns in die richtige Richtung.“ Nicht nur die Beispiele aus Berlin und Düsseldorf zeigen: Es scheint zu funktionieren, wenn man die Menschen dort abholt, wo sie sind – ganz im Sinne der Kernkompetenz von Bus und Bahn.

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© BVG

BUILDING BRIDGES

HOW ASKING THE RIGHT QUESTIONS FACILITATES CHANGE

© DMOV
“Academics are knowledge brokers, not knowledge providers.”

You once stated that the mobility transition might not begin with mobility. What does it begin with instead?

As cities are complex ecosystems, any type of transition requires a systemic way of thinking. And when I state that mobility transition may not begin with mobility, it’s because mobility is connected to so many aspects of not only our built environment and our cities, but also our social environment. Being mobile means to be able to access life opportunities, to create friendships and foster social interaction. We therefore need to include all different actors involved, ranging from resident level to city councils and higher governmental institutions. In order to enable change together, they first need to listen to each other and come to an agreement on what the vision they are aiming for actually looks like.

The discussion on the transformation of urban mobility seems to be dominated by discord. Do you have any idea why this might be, when mutual understanding should be the guiding principle?

For the past hundred years, our streets have mostly been governed by the idea that they need to facilitate the movement and storing of cars. Questioning this paradigm and changing the narrative that has been ascribed to street space for such a long time, is a highly political matter. Streets can be seen as the physical manifestation of the tensions around any policy change in public space. And in cities which have to cope increasingly with urbanization, overcome housing crises and ensure accessibility for all, it is precisely this space that is valuable and disputed. Reaching a common denominator here is – by its very nature – not trivial.

Still, there are good examples all around the world. Amsterdam used to be a car-friendly city some decades ago and has since managed to transform itself to one of the most liveable European cities. What is the reason for this success?

We spoke about complexity earlier, so it is fairly apparent that there is not just one reason for this; in fact, a large range of factors has contributed to the change. For instance, there were a number of social movements at the time that were concerned about all different kinds of crises, primarily oil and housing. In the Netherlands, global activities such as these have led citizens to reflect on what the city actually means to them and who has a right to it. And as car traffic increased, taking up more and more space and causing more and more air pollution and traffic fatalities, all these questions came together and created “a perfect storm” of events. The administrative and governmental structures of the city have also allowed this power to be transformed into political action.

In many European cities, it’s easy to get the feeling that even if the will to transform urban mobility is apparent, things are going really slowly. Lay attempts to explain this include excessive bu-

reaucracy, political paralysis in municipalities or recalcitrant citizens. What is the genuine problem, and how can it be solved?

Of course, there is bureaucracy, but I think that is a proxy for the complexities of managing urban transport systems. The problem is that these transport systems have been embedded in a car dominant framework, and the professions of transport and urban planning have been, too. So, in order to unravel this system, we have to change the way our cities make policy around land use matters. In the end, it comes down to the municipalities, their political framework, their administrations – and lots of communication. To accommodate new types of policies and governing arrangements, old institutional and organisational structures need to be reshaped and public participation needs to be facilitated. We need to address all those who are silent and build bridges between them, civic leaders and municipal administrations.

You were recently appointed Professor of Cycling by the University of Ghent, so you are in the role of those connecting academia, local authorities and civic society. How are you planning on building these bridges?

There is still a gap between knowledge and practice. My role could be described as a pilot test to explore how this gap can be closed. The goal is to create societal impact through research. One way of doing this is to enable structured interaction between government and academia, who tend to have very different views of what knowledge is. I see academics as knowledge brokers, not knowledge providers: We come in as outsiders with an honest curiosity about how things are, and instead of providing solutions, we provide questions. We ask about policy agendas, mutual influences, about the holders of power. Also, we question community dynamics: which groups are committed to the future of the city, which organisations are they affiliated with? We then hand this framework of questions over to the city. The past has shown: The bridges we build are gladly used.

Thank you for this inspiring conversation.

With a multi-disciplinary background in public health and urban planning, Meredith Glaser brings a holistic understanding of and passion for advancing sustainable mobility. She is one of the most sought-after educators regarding urban cycling systems, governance and knowledge transfer of cycling policies. She is CEO of the Urban Cycling Institute and serves as Professor of Cycling at Ghent University. She received a PhD in urban planning from the University of Amsterdam and Masters degrees in public health and city planning from University of California Berkeley.

INTERVIEW 29

PUSH & PULL

WIE DIE MOBILITÄTSWENDE AUCH

DEN LÄNDLICHEN RAUM ERREICHT

© Can Wagner
„Die Herausforderung liegt darin, die Lücke zwischen Problembewusstsein und tatsächlichem Handeln zu schließen.“

Im Gespräch mit Prof. Philipp Oswalt, Lehrstuhlinhaber Architekturtheorie und Entwerfen, Universität Kassel

Der Fokus des Diskurses zur Mobilitätswende konzentriert sich vornehmlich auf den urbanen Raum. Ländliche Gegenden werden häufig ausgeklammert, obwohl auch dort – oder gerade dort – eine Mobilitätswende dringend erforderlich ist. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Im ländlichen Raum ist die Mobilitätswende noch dringender als in der Stadt, weil hier ein großer Teil der Bevölkerung lebt. Tatsächlich ist der ländliche Raum noch weitaus autogerechter gestaltet als die durchschnittliche deutsche Großstadt. In den letzten Jahrzehnten wurden öffentliche Verkehrsangebote stark vernachlässigt. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das wenig verwunderlich: Wenn die Nutzungsdichte niedrig ist und damit auch das Passagieraufkommen gering, sind öffentliche Verkehrsmittel kaum wirtschaftlich zu betreiben. Das gilt leider auch für die in Zentren verbreiteten neuen Mobilitätsangebote wie Sharing und On-Demand-Verkehr. Doch wenn die Verkehrswende gelingen soll, muss dieser Teufelskreis durchbrochen werden. Mit einem attraktiven Angebot muss der ÖPNV die Menschen im ländlichen Raum zurückgewinnen.

Welche Ansätze gibt es, um das zu ändern?

Vielerorts bemühen sich die Verkehrsbetriebe um Lösungen. Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) beispielsweise erhöht mit dem PlusBus-Konzept die Zuverlässigkeit und Taktung der Buslinien im ländlichen Raum. Einen ähnlichen Weg geht der Nordhessische Verkehrsverbund (NVV) mit der Angebotsoffensive „Jedes Dorf, jede Stunde“. Aus Karlsruhe und Kassel kommt das mittlerweile auch andernorts adaptierte Modell der „RegioTram“, einer Eisenbahn, die ab Erreichen des Oberzentrums als Straßenbahn unterwegs ist. Es ist zu beobachten, dass die Autonutzung im Einzugsgebiet der Tram geringer ist als in anderen Bereichen der Region – allerdings nur in den abgedeckten Korridoren. Um jedoch auch abgelegene Gebiete besser einzubinden und an die Zentren anzuschließen, braucht es attraktive On-Demand-Angebote. Zusätzlich braucht es eine verbesserte Kommunikation, denn tatsächlich ist den Menschen häufig gar nicht bekannt, welche Angebote es gibt.

Der Bevölkerung des ländlichen Raums wird oft vorgeworfen, sie sei mit ihrem Pkw verheiratet und es bestehe gar keine Nachfrage nach alternativen Verkehrsmitteln. Wie schätzen Sie das ein?

Vor einiger Zeit habe ich ein Forschungsvorhaben geleitet, das sich in Nordhessen intensiv mit genau dieser Frage beschäftigt hat. Im Rahmen des Projekts haben wir ein Reallabor und Bürgerbeteiligungsverfahren durchgeführt. Vorab wurden alle 5.000 Einwohner:innen der Kommune persönlich angeschrieben und zur Teilnahme ermuntert. Am Ende kamen 200 Interessent:innen zusammen, von denen wir fünfzehn repräsentativ ausgewählt ha-

ben, um praxisnah über die lokalen Möglichkeiten zu nachhaltiger Mobilität zu diskutieren. Das Ergebnis war, dass den Menschen die Gefahren des Klimawandels durchaus bewusst sind und sehr wohl ein generelles Interesse besteht, zur Verringerung der Umweltbelastung beizutragen. Die Herausforderung liegt nun darin, die Lücke zwischen dem Problembewusstsein und der tatsächlichen Anpassung des eigenen Handelns zu schließen …

… was gar nicht so einfach ist, wie etliche Beispiele zeigen.

Ja, es ist schließlich kein Geheimnis, dass Autofahren sehr bequem ist. Auch wenn wir den öffentlichen Verkehr enorm verbessern, können wir nicht versprechen, dort den gleichen Komfort zu erreichen, den das eigene Auto heute bietet. Wir müssen dementsprechend die Erwartungshaltung diskutieren und gleichzeitig den Autoverkehr stärker bepreisen. Das Autofahren wird derzeit noch enorm durch öffentliche Ressourcen subventioniert, was überhaupt nicht mehr tragbar ist. Dienstwagenprivileg, Pendlerpauschale, billiges Parken in Innenstädten – all das muss überdacht und an den heutigen Kenntnisstand angepasst werden. Wenn im selben Zuge der öffentliche Verkehr auch die entlegensten Regionen zuverlässig bedient und nutzerfreundliche On-Demand-Dienste etabliert werden, dann kann die Akzeptanz steigen. Es braucht also Push- und Pull-Faktoren: Die Lücke wird sich dann von selbst schließen.

Der öffentliche Verkehr hat ja auch eine soziale Komponente …

… und die ist nicht zu vernachlässigen! Gerade in ländlichen Gebieten, in denen es teilweise gar keine soziale Infrastruktur mehr gibt, kann eine Mobilitätsstation zu einem Treffpunkt werden. Es geht bei der Mobilitätswende ja nicht nur um Umweltfaktoren, sondern auch um die Frage, wie und wo wir leben möchten. Und eine Ortschaft, in der freie Flächen für sozialen Austausch und nachhaltige Mobilität genutzt werden, ist deutlich attraktiver als eine zugeparkte Dorfstraße. Wenn man diese Stärken hervorhebt und ausbaut, kann man kommunikativ etwas erreichen.

ist seit 2006 Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel. Zuvor war er Redakteur der Architekturzeitschrift Arch+, Mitarbeiter im Büro OMA von Rem Koolhaas sowie Co-Leiter des Europäischen Forschungsprojekts Urban Catalyst. Seine Forschungsschwerpunkte waren zuletzt ländlicher Raum, neue Mobilität, Architektur der Moderne und bauliche Rekonstruktionen.

INTERVIEW 31
Vielen Dank für das spannende Gespräch. PHILIPP OSWALT

VON EINSAMKEIT ZU GESELLSCHAFTLICHER TEILHABE

WARUM WIR EINEN BUNDESWEIT EINHEITLICHEN

SOZIALTARIF ZUM DEUTSCHLANDTICKET BRAUCHEN

TEXT: Prof. Claudia Hille, Professur für Radverkehr, Hochschule Karlsruhe

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© Fotoloft Erfurt

Im Sommer 2022 hat das 9-Euro-Ticket ganz Deutschland bewegt und wurde – wie selten eine politische Entscheidung –auf Bürofluren, in Wohnzimmern und an Bartheken von allen Schichten und Milieus diskutiert. Der Erfolg des Angebots hat die Baustellen des Systems „Bahn“ offenbart; Geschichten über maßlos überfüllte Züge prägten die mediale Berichterstattung zum 9-Euro-Ticket in besonderer Weise. Zugleich zeigte die hohe Nachfrage nach dem Ticket, wie groß die Sehnsucht danach ist, dass ein solches System funktioniert. Die anhaltende gesellschaftliche Debatte – auch um das Deutschlandticket als Nachfolgemodell – macht deutlich, wie gespalten unser Land in Mobilitätsfragen und wie verschieden das Verständnis von Gerechtigkeit im Mobilitätskontext ist.

Gegner:innen argumentieren, das Ticket sei nur ein Angebot für die urbane Bevölkerung und der öffentliche Verkehr auf dem Lande kaum nutzbar. Zudem unterstellen sie vermeintlich fehlende positive Klimaeffekte. Mitunter wird sogar diskutiert, ob ein stark rabattiertes Ticket nicht gänzlich falsche Anreize setze und eine vermeintliche „Gratismentalität“ in Deutschland befördere. Die Befürworter:innen hingegen sehen das 9-Euro-Ticket ebenso wie das Deutschlandticket als wichtige Weichenstellung für die Verkehrswende und betonen die einfache Nutzung und die Überwindung von Tarifgrenzen.

In einer Befragung von über 1.100 Personen in ausgewählten Erfurter Stadtteilen wurden insbesondere die sozialen Effekte deutlich, die das 9-Euro-Ticket auf Menschen mit geringem Einkommen hatte. Die Ergebnisse zeigen, dass das 9-Euro-Ticket oftmals einen Zugang zum öffentlichen Verkehrssystem ermöglicht hat, der für die rund 12,2 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Deutschland vorher kaum möglich war. Dabei geht es nicht nur um die Fortbewegung selbst, sondern vielmehr um essentielle Fragen von gesellschaftlicher Teilhabe. Zitate von Befragten zeigen eindrücklich, wie groß die Teilhabegewinne durch den stark vergünstigten Zugang zu Bus und Bahn sind. Wenn eine 78-jährige alleinlebende Rentnerin sagt: „Ich kann mich öfter mit Freunden treffen. Es [das 9-Euro-Ticket] hilft bei der Bewältigung von Alterseinsamkeit“, oder von einer 68-jährigen Befragten gesagt wird: „Ich habe endlich wieder ein Gefühl für das Leben bekommen. Ich konnte auch Arzttermine machen, was vorher nicht möglich war“, dann zeigt sich hier, wie eng der Zugang zu bezahlbarer Mobilität auch mit der individuellen Lebensqualität verknüpft ist. Zugleich heißt das aber auch, dass Menschen elementare Angebote der Daseinsvorsorge nicht nutzen können, weil sie sich den Zugang zum Verkehrssystem offenbar nicht leisten können. Das kann in einem grundsätzlich von erheblichem Wohlstand geprägten Land wie dem unseren durchaus als eklatanter gesellschaftlicher Missstand bezeichnet werden.

Mit Blick auf das Deutschlandticket als Nachfolgeangebot kann vor diesem Hintergrund durchaus die Grundsatzfrage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ gestellt werden. Für die Menschen in Deutschland, die armutsgefährdet sind, sind 49 Euro pro Monat sehr viel – in aller Regel zu viel – Geld. Immer wieder stehen sie vor der Entscheidung, welche Ausgabe die wichtigste ist; das Deutschlandticket wird dabei nur selten auf der Prioritätenliste weit oben stehen. Damit geht nicht nur der Zugang zum öffentlichen Verkehrssystem verloren, sondern zugleich grundlegende Teilhabechancen. Denn was für das Treffen mit Freund:innen und Arztbesuche gilt, das gilt auch für andere Hilfs- und Unterstützungsangebote. Sie alle sind mit Wegen und damit häufig auch mit Kosten verbunden. Einzelne Städte und Länder haben hier mit Einführung des Deutschlandtickets die Notwendigkeit zu handeln erkannt und begleitend vergünstigte Sozialtarife eingeführt. Ein richtiger sozialpolitischer Schritt, aber zugleich ergibt sich daraus ein neuer Flickenteppich an Tarifen – etwas, das mit Einführung des Deutschlandtickets der Vergangenheit angehören sollte. Nun entscheidet sich am Wohnort, ob Zugang zu einem Sozialticket besteht oder nicht. Eine Situation, die schon vor dem Experiment „9-Euro-Ticket“ bestand und aus sozialpolitischer Perspektive als unzureichend zu bezeichnen ist.

Wenn wir Ungleichheiten verhindern wollen und ein sozial gerechtes Verkehrssystem anstreben, das sich durch einen bezahlbaren Zugang zu Mobilität und damit gesellschaftlicher Teilhabe auszeichnet, ist die Einführung eines deutschlandweit einheitlichen Sozialtickets eine notwendige Maßnahme. Sie setzt – ebenso wie der dringend notwendige Ausbau des ÖPNV – weitere Finanzmittel voraus. Wenn wir ein menschliches Maß anlegen, dann bleibt nur die Konsequenz, die künftige Verkehrspolitik auch an sozialen Kriterien auszurichten und die sozialpolitische Wirkung von verkehrspolitischen Maßnahmen im Blick zu behalten.

ist seit 1. März 2024 Professorin für Radverkehr an der Hochschule Karlsruhe. Zuvor war die Mobilitätsforscherin neun Jahre am Institut Verkehr und Raum der FH Erfurt tätig und hat dort zu verschiedenen Themen im Feld der nachhaltigen Mobilität geforscht. Im Sommer 2022 leitete sie dabei eine Studie zu den Auswirkungen des 9-Euro-Tickets auf Menschen mit geringem Einkommen. Sie hat Soziologie studiert und in der Geographie promoviert.

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EIN FAHRRAD HEIẞT FREIHEIT

DIE CHANCEN VON AKTIVER MOBILITÄT IN ZEITEN DER KRISE

TEXT: Hannah Am Ende

Das Fahrrad bedeutet vieles: Für die einen ist es ein einfaches Fortbewegungsmittel, für die anderen ist es das wertvollste Hab und Gut, das wohlbehütet an der Wand hängt. In Krisenzeiten jedoch entdecken die Menschen das Fahrrad als zentrales Lebenswerkzeug wieder. Dies beweist die Arbeit der NGO Bikes4Ukraine, die seit 2022 Fahrräder in die Ukraine liefert, um vor Ort die Mobilität der Menschen wiederherzustellen und wichtige Infrastrukturen aufzubauen.

Die Geschichte von Bikes4Ukraine begann im April 2022 mit einer E-Mail an den dänischen Stadtplaner und Mobilitätsexperten Mikael Colville-Andersen, der schon für Städte auf der ganzen Welt Fahrradkonzepte erarbeitet hat. Kolleg:innen aus Kiew und Lwiw baten ihn darin, bei der Beschaffung von Rädern für die Ukraine zu helfen. Eine einfache Aufgabe in seinem fahrradgeprägten Heimatland, so sein erster Gedanke. Doch durch den Rückzug der russischen Armee erschien die Situation aus der dänischen Ferne entschärft, sodass das Projekt anfangs eher langsam anlief. Im Juli 2022 kamen in Kopenhagen bei einer Fahrradsammlung nur 25 Räder zusammen. Doch während der kommenden Monate folgten weitere Sammlungen in europäischen Städten sowie Spenden von dänischen Polizeibezirken, bei denen es sich um beschlagnahmte Räder ohne Besitzer:in handelte. Bis Dezember 2023 konnten insgesamt 900 Räder für die Ukraine gesammelt werden.

Laut Colville-Andersen machen die bereits gelieferten Fahrräder in 35 Städten und Gemeinden der Ukraine die Straßen befahrbar. Dabei hat ein einzelnes Rad nach seinen Aussagen im Durchschnitt bereits 18.000 Kilometer zurückgelegt – fast die Hälfte des Äquatorumfangs. Der Bedarf an Rädern ist offensichtlich noch lange nicht gedeckt. Aktuell benötige die NGO etwa 6.000 Fahrräder mehr, um die Menschen vor Ort vollständig versorgen zu können.

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© bikes4ukraine (4)
Eine Mutter bewältigt ihren Alltag mit Kind mittels eines Fahrrads vor der zerstörten Kulisse ihrer Heimat

Zu den Rädern bekommen die neuen Besitzer:innen direkt ein Schloss dazu – so ist der kostbare Besitz geschützt

Die Bedeutung des Fahrrads „Wir erlauben den Ukrainer:innen, das Fahrrad wiederzuentdecken“, so der Stadtplaner über seine mittlerweile alltägliche Arbeit. Auch wenn die Frontlinie sich inzwischen verlagert hat: Die von Angriffen beschädigten Straßen bleiben. Viele Autos und Busse wurden ebenfalls zerstört oder beschlagnahmt. Zusätzlich schränkt die Treibstoffknappheit den Bewegungsradius der Menschen ein. Eine einfache Lösung bietet das Fahrrad. Gewiss keine Neuerfindung, aber eine Wiederentdeckung, denn das Fahrrad diente seit jeher als Instrument der Selbstermächtigung. Schon zur Zeit der ersten Frauenbewegung symbolisierte das Rad Freiheit und Selbstbestimmtheit. Ein Gefühl, das heute auch bei Kindern aufkommt, wenn sie die ersten Ausfahrten ohne Stützräder oder die elterliche Hand am Rücken unternehmen. Dieser Freude begegnet Mikael Colville-Andersen wieder, wenn er den Menschen in der Ukraine die Räder bringt: „Sofortige Befriedigung, sofortige Freude, sofortiges Verständnis.“

In Borodjanka, nahe Kiew, verkauft ein Mann Grundnahrungsmittel. Die Auslieferung erfolgt per Fahrrad

Aufbau für morgen

Bei den Beschenkten handelt es sich in erster Linie um Helfer:innen, die mithilfe der Räder Lebensmittel, Wasser und Medikamente in der Region verteilen, oder Kinder, die ein stuch Unbeschwertheit zuruckerlangen. Andernorts werden die Räder zu einem gemeinschaftlichen Transportmittel für Baumaterialien und alles weitere dringend Benötigte. Die Räder bilden die Grundlage für den Wiederaufbau und die Wiederaufnahme des Lebens. In der Vergangenheit war die Stadt- und Verkehrsplanung in der Ukraine, wie in vielen anderen Ländern, hauptsächlich auf das Auto ausgerichtet. Dabei kann das zweitgrößte Land im osteuropäischen Raum auf eine lange Velo-Tradition zurückblicken: Ab den 1920er Jahren wurde in der Millionenstadt Charkiw ein Großteil der Fahrräder in der ehemaligen Sowjetunion gefertigt; ein Klassiker von 1960 trägt den Namen „Ukraine“. Doch trotz der 30 Millionen gefertigten Modelle konnte sich das Fahrrad auf den Straßen nicht gegen das Auto behaupten. Mikael Colville-Andersen hofft, dass die aktuelle Bedeutung des Fahrrads im Land sich auf die Stadtplanung in zukünftigen Friedenszeiten auswirkt. „Wenn wir jetzt viele Fahrräder ins Land bringen, um wichtige Dienstleistungen zu erbringen, dann sind diese auch noch da, wenn sich das Leben wieder normalisiert, und wir schaffen eine Art Fahrradboom.“

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In weiten Teilen des Landes, wie hier in Bucha, sind die Autos der Bevölkerung zerstört

Die Umstände des Krieges, unter denen sich die Ukrainer:innen wieder auf den Sattel wagen, sind ohne Zweifel schrecklich und grausam. Dennoch birgt die aktuelle Verbreitung des intuitiven, zweirädrigen Gefährts eine große Chance für das Land – ein Gedanke, der vielleicht hilft, um positiv in die Zukunft zu blicken. Bestehende Strukturen, wie sie beispielsweise in den westeuropäischen Städten zu finden sind, machen einen Wandel oft schwer und langwierig. Verfechter:innen von Auto- und Radverkehr bilden dort gerne einander gegenüberstehende verhärtete Fronten. Doch in dem notwendigen Wiederaufbau der Infrastruktur liegt das Potential für eine Neuausrichtung, bei der das Fahrrad das bestimmende Element sein kann.

Mikael Colville-Andersen vergleicht die Situation mit Musik: „Es gibt diese Fahrräder, die jeden Tag wichtige Aufgaben erfüllen. Und sie sind wie diese zarten Streichinstrumente im Orchester des Krieges, die von den Trommeln übertönt werden. Aber sie sind immer noch da, und sie spielen immer noch wunderschöne Töne.“ Bikes4Ukraine hat zum Ziel, diese zarte Hintergrundmelodie zu einem Crescendo werden zu lassen, das das Potential zum Leitmotiv der neuen Infrastruktur hat.

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H2 FÜR DIE

SCHIENE

Könnte ab Ende 2026 in Görlitz unterwegs sein: die Wasserstoffstraßenbahn.

Wasserstoff im innerstädtischen Schienenverkehr – das könnte schon bald zur Realität werden. Ein Forschungskonsortium aus Sachsen, bestehend unter anderem aus der Technischen Universität Chemnitz und den Görlitzer Verkehrsbetrieben (GVB), erprobt im Rahmen des Forschungsprojekts „HyTraGen“ die erste wasserstoffbetriebene Straßenbahn Europas. Unter anderem sollen Betankungsstrategien erarbeitet und Simulationsmodelle entwickelt werden, die den Regelbetrieb einer Wasserstoffbahn zukünftig ermöglichen –vorwiegend dort, wo es keine Oberleitungen gibt. Rund acht Millionen Euro investiert das Bundesministerium für Verkehr und Digitales in das Projekt, dessen Ergebnisse die Weichen für den Bau neuer innovativer Schienenfahrzeuge in Sachsen stellen sollen.

„Anboßeln” statt Spatenstich: Im schleswig-holsteinischen Kreis Dithmarschen versammelte sich Ende März 2024 eine prominente Runde.

POWER AUS DEM HOHEN NORDEN

Der schwedische Batteriehersteller Northvolt wird seine Produktion schon in naher Zukunft auf Deutschland ausweiten. In der Nähe der Stadt Heide in Schleswig-Holstein entsteht mit Northvolt Drei eine Gigafactory inklusive Recyclinganlage, deren Jahreskapazität von 60 GWh eine Million Elektrofahrzeuge mit Akkus versorgen kann. Der Betrieb soll bereits 2026 aufgenommen werden, obwohl die Anlage voraussichtlich erst in fünf Jahren fertiggestellt sein wird. Auf dem 100 Hektar großen Areal entstehen durch die Ansiedlung von Northvolt etwa 3.000 Arbeitsplätze. Die örtlichen Wirtschaftsförderungen sehen vielfältige positive Multiplikatoreffekte für die Region, die aufgrund der guten natürlichen Voraussetzungen auch als “Energieküste” bezeichnet wird.

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© Hörmann Vehicle Engineering GmbH © Energieküste

NEVER CHANGE A WINNING TEAM

Bereits seit 2016 arbeiten Volkswagen und die israelische Intel-Tochter Mobileye bei der Entwicklung von Fahrassistenzsystemen zusammen. Wie der deutsche Automobilhersteller Ende März 2024 verkündete, soll die Zusammenarbeit nicht nur fortgesetzt, sondern sogar intensiviert werden: Gemeinsam wolle man zügig neue Technologien entwickeln, um dem autonomen Fahren ein Stück näher zu kommen. So liefert Mobileye etwa die nötigen Assistenzsysteme für den autonom fahrenden VW ID.Buzz, der nach dem Serienstart 2026 zunächst in Hamburg als fahrer:innenloser Taxidienst zum Einsatz kommen soll. Der verstärkte Fokus auf Kooperationen trägt vor allem die Handschrift von CEO Oliver Blume, der die strategische Abkehr von der unternehmensinternen Softwareentwicklung seit Amtsantritt sukzessive eingeleitet hat.

Das Transportmittel der Zukunft? Getestet wird der Hyperloop vielerorts, nun auch in den Niederlanden.

Nach Plan des größten Autobauers Europas soll der VW ID.Buzz schon 2026 als Robotaxi auf den Straßen der Elbmetropole unterwegs sein.

ALLES IM LOOP

Ob wir uns in Zukunft wirklich in Schallgeschwindigkeit durch magnetische Rohrsysteme bewegen werden, ist heute noch ungewiss. Das European Hyperloop Center setzt nun alles daran, die futuristische Idee, die bisher eher die ostasiatische und US-amerikanische Tech-Welt umgetrieben hat, auch auf europäischen Boden zu erproben: Im niederländischen Veendam bei Groningen ist im Frühjahr 2024 die erste lange Hyperloop-Teststrecke des Kontinents fertiggestellt worden. Was die TU München im vergangenen Sommer auf 24 Metern getestet hat, wird nun also auf 420 Meter erweitert – zunächst mit bis zu 100 Stundenkilometern. Menschen sollen noch nicht transportiert werden; es geht zum jetzigen Zeitpunkt eher um die allgemeine Verkehrstauglichkeit. Finanziert wird das Projekt von 25 kommerziellen und öffentlichen Partnern, unter anderem der EU.

NEUE SENSORIK FÜR STELLANTIS

Fahrzeuge von Opel, Peugeot, Fiat und Co. könnten schon bald von einer strategischen Investition ihres Dachkonzerns profitieren: Stellantis hat sich im Rahmen des Strategieplans “Dare Forward 2030” mit einer Summe in bisher nicht genannter Höhe am Start-up SteerLight beteiligt. Das Unternehmen entwickelt eine neue Generation hochleistungsfähiger LiDAR-Erfassungstechnologie, die die Umgebung eines Fahrzeugs in drei Dimensionen mit höherer Auflösung und Präzision erfassen soll als derzeit verfügbare Systeme – zu weitaus niedrigeren Produktionskosten. Die Technologie soll dazu beitragen, den Fahrer:innen zukünftiger Marken des Konzerns deutlich verbesserte Fahrassistenzsysteme zu bieten und die nächste Stufe des automatisierten Fahrens zu erreichen.

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© Volkswagen AG © European Hyperloop Center

VOM GEGENWIND ZUM RUCKENWIND

WIE KANN DIE GEMEINWOHLORIENTIERTE ENTWICKLUNG VON MOBILITÄT UND ÖFFENTLICHEN RÄUMEN GELINGEN?

TEXT: Dr. Jessica Le Bris, Lead Strategic Consulting Mobility & Public Space, experience consulting GmbH

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„In der Stadt werden nicht nur große Herausforderungen sichtbar. Hier können wir auch am besten neue Lösungen entwickeln und ausprobieren, weil hier alle relevanten Akteure aufeinandertreffen und zusammenwirken“ – so heißt es einleitend auf der Webseite des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Unsere Städte und Gemeinden stehen vor riesigen Herausforderungen. Demografischer Wandel, Klimaschutz und -anpassung sowie die Sicherung des sozialen Zusammenhalts sind nur einige Beispiele.

Lösungsvorschläge für die einzelnen sektoralen Herausforderungen gibt es viele. Sie werden oft mit großer Ungeduld und großem Unverständnis darüber vorgetragen, wieso man das Offensichtliche nicht sofort umsetzt. Diese Ungeduld ist oftmals gerechtfertigt. Häufig wird dabei aber auch vergessen, dass wir unsere Städte nicht beliebig anpassen können, denn sie sind über Jahrhunderte gewachsener sozialer und physischer Lebensraum.

Mobilität in der Stadt der Zukunft gestalten Schauen wir direkt auf eines der wichtigsten Themen für eine zukunftsfähige Stadt- und Regionalentwicklung: eine nachhaltige Mobilität und die damit verbundene Nutzung des öffentlichen Raums. Wenn wir das Thema im Kontext urbaner Zentren betrachten, dann wissen wir schon lange, dass der öffentliche Raum extrem wertvoll ist, nicht nur für die Lebensqualität mit Frei- und Grünflächen, sondern natürlich auch für die Wirtschaft und den Handel. Nur durch den Mix verschiedener Funktionen in einer Straße entsteht echtes Leben draußen. Gerade in Städten – mit ihren hohen Wohnungskosten und daher oft auch beengten Verhältnissen – spielen sogenannte Outdoor-Räume oder Third Places eine unglaublich große Rolle.

Gegenwind durch Lautstärke

Leider erleben wir immer wieder eine Dissonanz zwischen der theoretisch-konzeptionellen Zielsetzung der Allgemeinwohlorientierung und der praktischen Umsetzung. Insbesondere Projekte zur Verkehrswende rufen schnell einen sehr aufgeladenen Diskurs und extreme Widerstände hervor.

Ein Spruch, der mir immer noch in den Ohren klingt: „(Parkende) Autos schreien wenigstens nicht!“ Dies war der Kommentar einer älteren Dame als Reaktion auf ein Straßenraumexperiment, bei dem Kfz-Flächen für Spielen und Aufenthalt freigegeben wurden. Und eine ansteigende Lautstärke durch mehr Kinder ist dabei nur eine Facette der Widerstandsargumentation. Zum Repertoire der sogenannten Nimbys – „Not in my Backyard“ – zählen natürlich auch die sich subjektiv verschlechternde (Auto-)Erreichbarkeit, da Anwohnerparkplätze wegfallen. Sehr häufig ist es auch der Handel, der sich massiv gegen Maßnahmen der Verkehrsberuhigung oder Umwidmungen wehrt, da massive Umsatzeinbußen befürchtet werden – obwohl es mittlerweile zahlreiche Studien gibt, die das Gegenteil beweisen.

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experience consulting GmbH (6)

Communication is key: Beteiligungsverfahren ermöglichen einen niederschwelligen Zugang zur Gestaltung des öffentlichen Raums.

Manchmal sind es tatsächlich nur wenige Gegenstimmen, die sich jedoch lautstark zu behaupten wissen.

Die Befürworter:innen werden aus eigener Erfahrung in unseren Projekten meist gar nicht so laut, da die Umgestaltung positive Effekte für sie hat. Die Stille der Zufriedenen ist auch ein Phänomen, das es zu berücksichtigen gilt. Wenn es keine differenzierten Verfahren der Anhörung gibt, dann gehen diese Meinungen unter.

Die Beispiele zeigen: Letztlich geht es um Interessen, die teils sehr voneinander abweichen oder sich diametral gegenüberstehen.

Rückenwind durch Dialog

Die Frage ist, wie wir eben genau dieses gesellschaftspolitische Ziel auch auf der konkreten Umsetzungsebene realisieren können und die unterschiedlichen Interessenlagen möglichst integrieren. Eines der wichtigsten Instrumente bleibt dabei der Dialog untereinander und der Aufbau einer Vertrauenskultur: Hinter den Positionen stehen letztlich Menschen, daher ist es umso wichtiger, dass sich alle mindestens ernst genommen fühlen und im gegenseitigen Dialog die Positionen abgewogen und diskutiert werden.

Ein großes Gewicht muss deswegen die gemeinsame Entwicklung von Zukunftsbildern haben. Das klingt einfach – ist es aber nicht. Das Wichtige ist der Prozess zur Erarbeitung von Zukunftsbildern, die Diskussion über und Abwägung von Pro und Kontra, die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse und auch der Einbezug fachpolitischer Positionen. Hier findet die echte Bewusstseinsbildung zu den unterschiedlichen Anforderungen statt und damit eine Sensibilisierung für Kompromisslösungen und/oder gesellschaftliche zukunftsorientierte Notwendigkeiten.

Für den Aushandlungsprozess selbst werden mittlerweile auch mehr und mehr moderne Formate der Beteiligung angewandt, sodass nicht einfach nur die lautesten Stimmen Einfluss nehmen, sondern die Vielfalt der Anliegen Berücksichtigung findet. Beispiel wären hier die Bürger:innenräte, bei denen über ein Losungsverfahren aus dem Melderegister eine möglichst repräsentative Gruppe zusammengestellt wird. Solche Bürger:innenräte können natürlich auch um die Interessenvertretungen aus Handel, Kultur et cetera erweitert werden.

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Wichtig ist allerdings auch, sich die Stufen der Beteiligung bewusst zu machen. Nur Informieren oder auch Anhören ist noch kein ganzheitlicher Beteiligungsprozess; echte Partizipation heißt, dass möglichst frühzeitig beteiligt wird und Mitgestaltung und Mitentscheidung möglich sind.

Wenn es schon zu einer Polarisierung gekommen ist, dann hilft meist nur noch ein Perspektivwechsel. Aus einem Workshop zu den Erfolgsfaktoren gelungener Beteiligung stammt die Aussage: „Es ist auf alle Fälle schon ein Riesenerfolg, wenn die eine Seite am Ende sagt: ‚Ich bin zwar immer noch gegen die Maßnahme, aber ich verstehe jetzt zumindest den Punkt der Gegenseite’”.

Bedarfe müssen klar formuliert werden

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, auch die Planenden selbst für die diversen Bedarfe zu sensibilisieren. Wir haben hier sehr gute Erfahrungen mit Inklusionsrundgängen gemacht, bei denen Mitarbeitende der Stadtverwaltung sich auf einen Stadtspaziergang begeben und selbst mal erleben, wie es denn ist, wenn man gehörlos oder blind ist, die Knochen nicht mehr so beweglich sind, das Gleichgewicht wackelig oder man auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Auf der anderen Seite muss auch klar die Frage gestellt werden, wann es überhaupt sinnvoll ist, vollumfassend zu beteiligen. Die Verwaltung hat per se einen gemeinwohlorientierten Auftrag – hier sollten keine Individualinteressen im Vordergrund stehen dürfen. Aber nicht nur verändern sich Routinen nur sehr langsam; auch Systeme haben die Tendenz, sich selbst zu erhalten.

Auch in der Münchner Innenstadt haben Bürger:innen regelmäßig die Möglichkeit, sich in Beteiligungsverfahren einzubringen.

Auf dem Land werden natürlich ganz andere Diskussionen geführt. Die Flächenproblematik stellt sich hier meist nicht in dieser Form. Dort geht es um die Erhaltung der Mobilität und Sicherung von Erreichbarkeiten – auch ohne eigenes Auto. Und dies betrifft insbesondere die Jugendlichen ohne Führerschein und die Älteren, die eventuell auch nicht mehr fahren sollten. Der demografische Wandel wird mit voller Wucht zuschlagen und verlangt eine Neujustierung bisheriger Strukturen und die Skalierung von Good Practices.

Mobilität – ein emotionales Thema Für viele ist das Thema Mobilität nicht nur hoch emotional, sondern Mobilität ist die Basis zur Erfüllung unserer alltäglichen und menschlichen Bedürfnisse. Eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung ist nur erreichbar, wenn die Interessen unterschiedlichster Stakeholder berücksichtigt werden und unter Anerkennung von Interessenkonflikten dennoch gemeinsame Ziele entwickelt werden. Kompromiss ist kein Schimpfwort, wie es im heutigen medialen Diskurs oft erscheint; er beschreibt die Kunst, das Mögliche zu erreichen und damit die Grundlage für eine moderne Stadtentwicklung zu schaffen.

bringt strategisches Denken, wissenschaftliches Theorie- und Methoden-Knowhow aus der Stadt- und Mobilitätsforschung mit einer praxisorientierten Kommunikation zusammen. Seit 2015 arbeitet sie bei experience consulting, ein Büro für Transformationsberatung, das ursprünglich aus dem Verein Green City e.V. in München hervorgegangen ist. Die promovierte Humangeographin leitet den Bereich strategische Beratung und ist seit kurzem auch Prokuristin.

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Mobilitätsbefragung mit Obst und Kuchen auf dem Münchner Piusplatz

SHARING MADE EASY

HOW MEETING PEOPLE’S NEEDS FACILITATES BEHAVIORAL CHANGE

© BMW Magazine
“We have a systemic bias, and if we want to overcome it, we need a more diverse workforce in the industry – on all levels.”

Talking to Sandra Phillips, Shared Mobility Architect & Principal, movmi

You state that the transition to shared mobility must be made easier, more attractive, more social and more accessible. However, renting a car or bike requires apps and digital skills, which can be a barrier for a lot of people. How can we ensure better access for everyone?

Traditionally, renting cars or bikes was and still is well possible without an app. But you’re right: there has been a digital shift. Even if it’s not an app, you at least need to be able to use a website to set up an account and book a vehicle. Age plays a role here, but also education. In Europe, 96 percent of people aged 55 to 74 with a higher educational level had used the internet in the previous year – compared to 61 percent of those with a lower educational level. This varies greatly across Europe: in the Netherlands or Finland, more than 70 percent of the elderly have basic digital skills, compared to less than 15 percent in countries such as North Macedonia, Serbia or Romania.

So yes, there is a barrier for older people, but it keeps shrinking. I think that on the shared mobility side we should really focus on what’s called “universal design”, the design of products and environments to be usable by all, to the greatest extent possible, without the need for adaptation or specialized design. In concrete terms: simplifying the navigation path in an app reduces the cognitive load.

Which would be desirable in many respects.

Yes, users struggle to maintain concentration, and secondary functions in an app distract them from what they actually want to do. This is why enlarging critical buttons for the next step can help center their attention. Another example is the reduction of anxiety by ensuring that every screen includes an apparent exit on the interface. Universal design is absolutely necessary for a large part of the population; and for the other part, it is just handy.

INTERVIEW 45

A recent study by the Center of Automotive Management has shown that the shared mobility market is undergoing a process of consolidation due to a reduced demand. At the same time, the number of car sharing customers in Germany has increased by 30 percent in 2022. How do you assess this development?

The process of merging and consolidation can be observed in the shared mobility space, that’s right. Just like in any other business sector, this has a lot to do with the fact that there are too many competitors fighting for the same piece of cake. In Madrid, for instance, there were thirteen companies in 2019 that offered shared electric scooters, creating a fragmented market for consumers and regulators altogether. In 2023, only three providers were still active, the others had been forced out of the market, in part by regulatory changes. By consolidating, providers were able to gain higher market shares and also take advantage of operational synergies, both of which help the financial viability of these services.

Sharing was developed to close gaps. Is the concept of financial viability still acceptable for mobility services? After all, important mobility options are being taken away from parts of society.

Yes, that is indeed problematic. In fact, we need to bring the public and private sectors together on this one, as mobility should be a public service and not entirely dependent on financial success. At least we have made some progress in this area in recent years, which in part had to do with the pandemic: public transport re-

alized that in order to become more resilient and inclusive, other shared modes should be incorporated. In fact the International Association of Public Transport (UITP) has added shared mobility to their mandate in 2023 by stating that when well integrated, shared mobility can add to a multimodal transport system and play a large part in satisfying individual transportation needs.

Which again clashes with the fragmentation of operator structures that we still see today – even if consolidations have already taken place.

The situation reminds me of what happened in the early days of subways and buses. In early 20th century London, different private companies operated the underground railways, buses, trams and trolleybuses, often directly competing with each other. This led to a wasteful duplication of efforts. In 1933, the system came under public ownership in order to coordinate the services and build a reliable network. What happens with shared mobility nowadays is similar: services are fragmented, in competition and also regulated differently across administrative boundaries. This causes frustration not only for users but also for regulators.

Maybe that’s why some major European cities have abolished e-scooters again …

… which is very short-sighted. It seems like we’re repeating history: the first motorized scooter designed for adults was developed

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© movmi
Maslow‘s hierarchy of needs, mobility edition.

in 1913 already and went by the name “Autoped” or “Autoglider”. Some of the models were electric, but many used gasoline. They were very popular during World War I as they consumed a very low amount of fuel. However, they became controversial very quickly; a newspaper clipping from 1916 told readers to beware of the potential dangers of the new “scooter craze”. A subheading reads: “Solo devil wagon taken up in a serious way might add new terrors to city life”. Some gangs in New York even began using the scooters to escape from the police after committing crimes. In addition to the bad press, scooter riders kept being unsure whether to drive on the road or on the pavement, which probably sounds familiar today. Eventually, they flopped. To close the loop: It’s really a matter of figuring out regulations around infrastructure and vehicle safety standards. Under the right circumstances, e-scooters would – literally – have a place to stay and a role to play in reducing GHG emissions.

What new roles and relationships do you see for and between public transportation companies and private shared mobility providers?

We currently work on several different projects integrating privately operated shared mobility providers and public transport. Having said that, at the moment there is no one size fits all, and most likely there never will be. It really depends on the context: in Metro Vancouver, for example, there is a vibrant and successful ecosystem of private shared mobility providers, more than 3,000 sharing cars are operated by two providers – Modo and Evo – and over 2,000 shared bikes are operated by local Mobi and international Lime. In this context, TransLink – the local public transport authority – is spearheading the integration efforts and coordinating all parties. Compare that with how things are handled in the Capital District of New York, which is predominantly rural: the large international operators have little to zero interest in providing services in this area, but the local public transport authority still sees the value in having other alternatives to buses and has taken on the task to bring sharing to their operating area – also, they are fully funding the services. In both cases, the public transport provider is taking on some or all of the finanical burden, and if you look at transportation as a public service, that makes sense.

With EmpowerWISM (Empower Women in Shared Mobility), you have created an award program aimed at women in the field of shared mobility. Why is having more women involved in the mobility sector such an important issue?

One of my mentors during my early career days told me that we all have an inherent design bias, meaning we design for what we personally know best. Today most new urban mobility solutions appeal mostly to young professional men with an above average income and education level. Guess what: that is the exact same demographic that designs these systems in the first place. We have a systemic bias, and if we want to overcome it, we need a more diverse workforce in the industry – on all levels.

“The public transport provider is taking on some or all of the financial burden, and if you look at transportation as a public service, that makes sense.”

Last year’s winner of the EmpowerWISM award was Whee!, which offers a subscription for a bike for three with insurance and maintenance included at a fixed monthly rate. Their solution is research-based and is tapping into the specific transportation needs of urban women and caretakers needing to trip the chain with kids and goods. Guess what: the founder is a mother of two who needed to solve these very needs in her own daily life.

What is your vision of tomorrow‘s urban mobility?

It’s pretty simple: I want everyone, regardless of age, income, education level or where they live to have access to alternative transportation options that reduce the dependency on private car ownership. And for that to happen we need to build a network of reliable choices – be they privately or publicly operated.

Thank you for this inspiring conversation.

is the founder and CEO of movmi, a leading global shared mobility consultancy. Sandra has been bringing mobility visions to life as a shared mobility architect since 2010 and has designed and implemented more than a dozen different programs worldwide. She is a global expert on shared mobility, a TED alumni and was elected to the Canadian Council of Academies Expert Panel on Connected, Automated Vehicles and Shared Mobility in 2018. Sandra holds an MA from the University of Zurich, an MBA from TrustForte Corporation in New York and is a certified project manager.

INTERVIEW 47
SANDRA PHILLIPS

WOHIN DAMIT?

WAREN- UND GÜTERLOGISTIK IN DER PERSONENVERKEHRSSTADT

Jan Klein

Kommt der Mensch zur Ware oder die Ware zum Menschen? In der modernen Stadt passiert beides gleichzeitig und nebeneinander. Zusammen mit Prof. Michael Lorth überlegen wir, ob und wie die Ideen zur Mobilität mit denen zum Warentransport harmonieren.

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© Pixabay

Warenlieferung durch Tunnelsysteme? Zumindest kein Ding der Unmöglichkeit.

Der Markt regelt das?

Bis auf wenige Ausnahmen sind die deutschen Großstädte hunderte, manche tausende Jahre alt. Oft gerät nach so vielen Jahren in Vergessenheit, dass diese Städte oft dort entstanden sind, wo Waren getauscht und gehandelt wurden. Dieser Austausch führte zu einem attraktiven Ort, an dem man sich niederließ. Die Marktplätze waren oft die Keimzellen der Städte und Grundlage für unsere heutige Gesellschaftsordnung. „Verkehrsleistungen ermöglichen erst jenes Phänomen, das man ’Markt‘ nennt“, schrieb der Verkehrsökonom Fritz Voigt vor fünfzig Jahren in seinem Standardwerk Verkehr und meinte damit Märkte im wörtlichen und im übertragenen Sinn.

In der modernen Großstadt führen Märkte unter freiem Himmel ein Nischendasein. Ihre Aufgabe, die Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, wird heute von Supermärkten übernommen, in wachsendem Maße auch vom Onlinehandel. Die Waren kommen, egal ob mit dem Umweg Supermarkt oder direkt per Haustürlieferung, aus den Logistikzentren in den Gewerbegebie-

ten außerhalb der Stadt. Auch die alten Umschlag- und Handelsplätze, die Güterbahnhöfe, Stadthäfen und Speicherhäuser haben ausgedient und werden zu neuem Wohnraum. „Wir bauen die Städte um wie ein Haus, in dem Küche, Bad und Keller für fünf Wohnzimmer hergegeben werden. Wer Hunger hat, muss dann das Haus verlassen“, beschreibt Prof. Michael Lorth die Situation. Er hat an der TH Köln die Professur für Logistikconsulting inne. „Die städtische Versorgung ist heute weitgehend von der Peripherie abhängig. Die ’letzte Meile‘ im wichtigen Stückgutbereich ist im Durchschnitt 30 Kilometer lang, das verursacht enorm viel Verkehr. Und jetzt versuchen wir, den Lkw-Verkehr wieder zu reduzieren, den wir durch die Verdrängung urbaner Logistikinfrastrukturen selbst mitverursacht haben.“

Zurück in die Stadt

Eine wortwörtlich naheliegende Lösung könnten Umschlag- und Lagerflächen in der Stadt sein, die von außerhalb mit leistungsfähigen und emissionsarmen Transportmitteln bedient werden können. Solche innerstädtischen „Hubs“ wären dann Ausgangsund Zielpunkte für die Bündelung von Gütern und die Feinverteilung mit wesentlich kleineren und stadtraumverträglicheren Fahrzeugen in der Stadt. Dafür fehlen aber oft nicht nur die Flächen, sondern auch das Verständnis und Engagement der Kommunen für die Logistik.

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© Michael Lorth (TH Köln) / Nina Lockemann

Anders als wir Menschen sind Waren nicht von sich aus mobil. Sie werden nur deshalb überhaupt transportiert, weil sie an anderen Orten hergestellt und verwendet werden. Ihre Verteilung wird von Speditionen organisiert, ohne dass andere davon viel erfahren. Hinzu kommt, dass die städtische Versorgung in unterschiedliche Logistiksegmente fällt – jede Supermarktkette hat ein eigenes Logistiknetzwerk, das eng an die jeweiligen Unternehmen gebunden ist, während der Einzelhandel klassisch von Stückgutspediteuren beliefert wird, die oftmals in Stückgutnetzwerken miteinander kooperieren, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Kommunen lassen die Logistikbranche oft gewähren und vertrauen darauf, dass sie sich selbst effizient organisiert. Diese berücksichtigt dabei jedoch überwiegend ihr eigenes Netzwerk, während die Kommune die Effizienz für alle im Blick haben sollte. Eine Studie der Agora Verkehrswende weist darauf hin, dass sich an dieser Stelle ein hohes Maß an Verkehr und Emissionen einsparen lassen würde, wenn es etwa Anreize für stärkere Bündelung und Kooperation gäbe. Die Logistikbranche reagiere sehr gut auf Preisinstrumente und Vorgaben der öffentlichen Hand, benötige aber auch Planungssicherheit und Ansprechbarkeit. Letztendlich

müsse sich aber nicht die Stadt nach dem längst überkommenen Ideal einer verkehrs- und logistikoptimierten Stadt richten, sondern die Logistik ein gutes Leben in der Stadt ermöglichen, meint Prof. Lorth.

Eine Frage der Infrastruktur

Ein Ansatz dafür läuft unter dem Schlagwort der City-Logistik, in den 1990er-Jahren aus Effizienzgründen entwickelt. Damals ging es vor allem darum, dass Logistikunternehmen effizienter in Ballungsräumen operieren, indem sie kooperieren und Lieferungen vor den Toren der Stadt in kleinere Fahrzeuge umschlagen. Positive Effekte für die Umwelt waren eher nebensächlich; Wege sparen heißt schließlich auch Kosten senken, damals wie heute vielerorts das Leitmotiv. Um die Jahrtausendwende liefen allerdings zahlreiche Förderungen aus und viele Projekte wurden wieder eingestellt; übrig blieben vor allem die Güterverkehrszentren und das inzwischen allgegenwärtige Schlagwort „multimodal“, das eigentlich die Bedienung per Straße, Schiene oder Schiff meint. Heute kennt man es vor allem im Personenverkehr, wenn es um Mobilstationen und Umsteigeknoten geht.

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„Niemand will in den Stadtzentren oberirdische Logistikzentren sehen”, sagt Prof. Michael Lorth. Seine Grafik zeigt, wie ein intelligenter Aufbau aussehen könnte.

„City-Logistik steht für mehr als nur den Gütertransport in einer Stadt“, so Prof. Laetitia Dablanc von der Universität Gustave Eiffel in einem Definitionsversuch. Es gehe darum, die städtische Versorgung nach den höchsten ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Standards zu ermöglichen. Dementsprechend steht also die Frage im Vordergrund, was die Logistik eigentlich in der Stadt leisten muss.

„In dem Bereich der Mobilität sieht man das eigentlich“, meint Prof. Lorth. „Bahnhöfe in der Innenstadt, vielleicht eine U-Bahn und darüber hinaus zahlreiche Buslinien – gebündelte Verkehrsströme, die so nah wie möglich zu den Ausgangs- und Zielpunkten führen. In der Logistik fahren wir einfach von außen rein in die Stadt, ohne die Potenziale stärker gebündelter Transporte auch nur annähernd auszunutzen.” Er schlägt daher ein Umdenken in der Planung vor, um eine leistungsfähige, intelligente und nachhaltige Logistikinfrastruktur zur Ver- und Entsorgung aufzubauen, die eine Anpassung der Losgrößen und eine zeitliche Entkoppelung logistischer Prozesse nah an den innerstädtischen Quellen und Senken ermöglicht. In den zentralen Lagen könnten und sollten

die Infrastrukturen seiner Meinung nach unterirdisch sein, um den knappen oberirdischen Stadtraum nicht zusätzlich zu beanspruchen und multiple Flächennutzungen zu ermöglichen: „Niemand will in den Stadtzentren oberirdische Logistikzentren sehen.“

Aber ist das realistisch? Lorth zieht Parallelen zwischen dem Umgang mit dem Güterverkehr und der Mobilität von Personen: Große und gebündelte Strukturen in der Stadt seien im Personenverkehr normal und akzeptiert. „Nur in der Logistik machen wir es ganz anders. Das sollten wir ändern, wenn wir ein nachhaltigeres Leben in attraktiven, lebenswerten und klimaresilienten Städten ermöglichen wollen.“ Dadurch könne ein wesentliches Stück Lebensqualität für die Menschen zurückgewonnen werden, auch wenn es finanziellen Aufwand erfordere.

Nicht nur in dieser Hinsicht hängen Warentransport und Gemeinwohl eng miteinander zusammen.

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© Michael Lorth (TH Köln) / Nina Lockemann

AUSLEGUNGSSACHE?

EINE JURISTISCHE PERSPEKTIVE ZUM UMGANG

MIT DER GESCHEITERTEN STVO-REFORM

Gerichte wenden Gesetze an und prägen deren Charakter durch fachgerechtes juristisches Arbeiten. Dabei sind nahezu immer unterschiedliche Auslegungen möglich. Diese Erkenntnis zeigt, dass auch im Gerichtssaal dringend benötigte Freiräume im Verkehrs- und Stadtplanungsrecht geschaffen werden könnten. Eine solche Änderung der Rechtsprechung ist nicht nur wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich geboten.

Bedeutet das Nein des Bundesrates zur Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) vom November 2023 juristischen Stillstand für eine klima- und menschenfreundliche Verkehrsplanung? Bei der Reform ging es um einen (zaghaften) gesetzlichen Paradigmenwechsel: von einem „Erst, wenn etwas passiert oder zumindest fast passiert ist, darf punktuell in den Verkehr eingegriffen werden“ hin zu einem „Gemeinden bekommen Gestaltungsraum über den historisch gewachsenen Primat des motorisierten Individualverkehrs hinaus, um planen zu können“. Was bleibt nun zu tun? Die Hände in den Schoß legen oder die Demostiefel und Lobbyschuhe aus dem Schrank holen und einen neuen Vorstoß wagen? Gibt es daneben weitere Optionen?

Über den Tellerrand hinaus: Warum der juristische (Fach-) Diskurs uns alle betrifft Wer sich mit Gemeinwohlprojekten, Verkehrs- und Mobilitätswende beschäftigt oder nachhaltige lebenswerte Städte gestalten möchte, nimmt geltendes Recht oft als Hindernis wahr. Recht kann strukturkonservativ den Status quo beschützen und Veränderungsexperimenten Steine in den Weg legen. Mit Recht können aber auch Veränderungen eingeleitet und alte Strukturen aufgebrochen werden.

Lässt sich die StVO so verstehen, dass sie – ergänzend zum Bauplanungsrecht – Raum zur Gestaltung gibt, für kommunale Verkehrsversuche und die Verlagerung von Verkehr auf Gemeindestraßen? Als Jurist ist meine Antwort: Ja, mit der Hilfe von beherzten Akteuren. Die lange Version dieser Antwort geht erst auf den Unterschied zwischen Gesetz und Urteil ein, um dann einen Blick in die Verfassung zu werfen und abschließend auf die notwendigen Akteure für Veränderung.

Rechtsprechung und Gesetz – wie hängt das zusammen? Wenn wir im Alltag davon sprechen, dass dieses oder jenes rechtlich nicht möglich ist, dann meinen wir meistens nicht das Gesetz, sondern dessen Auslegung durch Gerichte und Verwaltungen; im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung ist das nicht das Gleiche.

Im Parlament wird diskutiert und ein Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz wird – und mag es auch um noch so konkrete Angelegenheiten gehen – möglichst allgemein geschrieben. Warum? Damit viele unterschiedliche Situationen einheitlich geregelt werden können. So muss jedoch für jeden Einzelfall diskutiert werden, ob dieser nun unter die allgemeine Regel fällt. Das ist viel Diskussionsraum! Dazu kommt: Gesetze bestehen aus Sprache und

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Sprache ist nicht eindeutig. Egal, wie wir uns bemühen: Die Bedeutung hängt immer von Kontext und Perspektive ab. Gesetze können also mit gutem Recht auf die eine oder die andere Weise verstanden werden.

Jurist:innen mögen es kompliziert, also gibt es noch eine weitere Ebene: Es gibt mehr als eine Art Gesetz. Die Verfassung setzt sich etwa gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch durch. Diskussionsbedürftig werden Anliegen und Fragen dann, wenn die Vorschrift der Verfassung selbst uneindeutig ist, etwa aufgrund ihrer Kürze. In einer solchen Diskussion geht es dann um die Grundlagen unserer Gesellschaft und um die Abwägung von unterschiedlichen Interessen – um Fragen also, die politisch und nicht (nur) juristisch sind. Dadurch, dass die zuständige Richterin am Ende entscheidet und die Diskussion beendet, liegt ein Mechanismus vor, der Rechtssicherheit trotz der Unsicherheit des Diskussionsraums schafft und sich oft als Kompromiss darstellt. Der rechtliche Rahmen lässt sich also sowohl durch eine Gesetzesänderung als auch durch eine Rechtsprechungsänderung beeinflussen, wenn die eigenen Argumente im juristischen Diskurs überzeugen.

Wie ein anderer Blick auf § 45 StVO Verkehrsgestaltung ermöglichen würde Zentral für die StVO ist § 45. In diesem Paragrafen werden unterschiedliche Dinge parallel geregelt, was allerdings die Lesbarkeit erschwert. Auf die verschiedenen Absätze verteilt, werden Voraussetzungen für speziell beschriebene Fälle straßenverkehrsbehördlicher Anordnung aufgeführt, etwa „zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“ (Abs. 1b Nr. 5), aber auch für die Situation, dass ein solcher umrissener Fall fehlt (Abs. 1). Das Aufstellen der dafür nötigen Verkehrsschilder regelt dann wieder ein anderer Absatz (Abs. 9).

Gesetzgeberisch lassen sich auf diese Weise Wiederholungen verhindern und (hoffentlich) Übersichtlichkeit herstellen. In unserem Fall, der „Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“, stellt sich jedoch die Frage: Muss bei dieser zusätzlich die restriktive konkrete oder qualifizierte Gefahr aus Abs. 9 vorliegen? Damit wäre nur Reagieren und nicht planendes Gestalten möglich.

Die Rechtsprechung liest die Absätze aktuell zusammen und addiert die Voraussetzungen. Die StVO ist dann primär als Gefahrenabwehrrecht und nicht als Planungsrecht verstanden. Sie wird hierbei so ausgelegt, dass möglichst wenig Eingriffe in den fließenden Verkehr stattfinden. Damit wird verhindert, dass Gemeinden den Verkehr gestalten und diese Gestaltung an unterschiedlichen Bedürfnissen ausrichten können. Diese Grundentscheidung ist im Gesetz nicht ausgesprochen und hat doch massive Auswirkungen.

Verfassungsrechtlich lassen sich an diesem Verständnis von § 45 StVO ernsthafte Zweifel anmelden (vgl. Baumeister, InfrastrukturRecht 2024, 43). Um das Gesetz nicht mehr als reines Gefahrenabwehrrecht, sondern verstärkt als Gestaltungsrecht auszulegen, können zwei Argumentationslinien dienlich sein: Art. 28 Abs. 2 GG gibt Kommunen das Recht zur Selbstverwaltung und schützt dieses Recht vor Eingriffen durch andere staatliche Akteure. Es mutet zweifelhaft an, dass eine lange bestehende Rechtsprechung „nun“ der Verfassung widersprechen soll. Jedoch: Wo kein Kläger, da keine Richterin. Solange Rechtsprechung und die

entscheidenden Akteure darin einig waren, dass Mobilität (motorisierter) Individualverkehr bedeutet, wurde die Rechtsprechung auch nicht als Eingriff wahrgenommen und damit auch nicht problematisiert. Der gesellschaftliche Perspektivwechsel in Richtung Verkehrswende führt so dazu, dass nun juristisch andere Zusammenhänge in den Blick geraten sollten.

Zudem hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Klimabeschluss klargestellt, dass ein klimapolitisches Handeln nicht einfach in die Zukunft verschoben werden kann. Die Bundesregierung müsse daher die nötigen Eingriffe planend auf die Generationen verteilen. Über den dezentralen Aufbau der Bundesrepublik lässt sich hier auch ein starkes Argument für eine Auslegung gewinnen, die eine gemeindliche Planung ermöglicht – und damit gegen eine solche, die sie verhindert. § 45 ist daher verfassungskonform auszulegen, sodass er nicht nur Gefahrenabwehr, sondern auch Planung ermöglicht.

Die aktuelle Auslegung von § 45 StVO steht zudem im Konflikt mit der „Vision Zero“ (VwV-StVO), zumindest dort, wo begrenzter Straßenraum zu Lasten von Radfahrer:innen und Fußgänger:innen verteilt wird. Während ein neuer Anlauf zur Reform der StVO unternommen wird, gilt es, solche schon jetzt möglichen rechtlichen Freiräume zu finden und zu entwickeln. Juristisch gibt es Alternativen für verschiedene Bereiche, die sowohl für die Umsetzung der Mobilitätswende als auch für die Stadtplanung relevant sind. Interessierten Leser:innen sei an dieser Stelle das Positionspapier „Der Kampf ums Recht auf Mobilität“ von Dilling und Senders ans Herz gelegt, erschienen 2023 im Portal Bremenize.

Rechtliche Freiräume realisieren sich jedoch nicht, weil sie denkbar oder überzeugend sind. Rechtsprechung wird nur im Gerichtssaal geändert, so wie Gesetze nur im Parlament geändert werden. In den Gerichtssaal kommt eine Frage jedoch nur aufgrund mutiger Planungsbehörden, zivilgesellschaftlicher Initiativen oder vorausschauender Beratungsgesellschaften. Deshalb sollte dem Handeln (mutig) eine ermöglichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt und eine gerichtliche Klärung in Kauf genommen werden, um die Rechtsprechung zu transformieren und in Bewegung zu bringen.

FELIX SPEIDEL

ist Doktorand und widmet sich im Rahmen seiner Dissertation der Rolle des Rechts in gesellschaftlichen Transformationsprozessen, insbesondere denen des 19. Jahrhunderts, die für die Demokratie und die juristische Methodenlehre konstitutionell waren. Aus einer interdisziplinären Perspektive stellt er die Frage, ob und wie sich kollektive Überzeugungen als „neutral“ in die juristische Methodenlehre einschreiben und so Urteile beeinflussen, ohne die Notwendigkeit, sie immer wieder zu diskutieren und offenzulegen.

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© Jessica Epstein

ZWISCHEN DEN STUHLEN

DER ROLLENKONFLIKT DES ÖFFENTLICHEN VERKEHRS

TEXT: Jan Klein

Seit dem Jahresanfang sind große Teile des deutschen Bahnnetzes mit der DB InfraGO in einer Gesellschaft zusammengefasst, die das Gemeinwohl im Namen trägt. Doch so gewichtig der Begriff ist, so schwer bestimmbar ist er auch. Auf der Suche nach Antworten.

„Was passt schon besser zusammen als der Beitrag zum Gemeinwohl und ein Stadtwerk?“. Bei Daniel Orel, dem Stabsstellenleiter für Geschäftsfeldentwicklung bei den Stadtwerken Neumarkt (SWN), klingt es wie eine Selbstverständlichkeit. Sein Unternehmen hat im letzten Jahr eine Gemeinwohlbilanz erstellt und auditieren lassen. Damit gehört es zu einer Handvoll Stadtwerken in Deutschland, die der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) beigetreten sind. In ihren Bilanzen liest man immer wieder, dass die kommunalen Unternehmen sich eigentlich schon immer dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Wieso ist die Branche gerade in letzter Zeit so interessiert daran, das zu betonen?

Gemeinwohl oder Daseinsvorsorge?

Dem Mobilitätsforscher Oliver Schwedes ist gleich zu Beginn des Gesprächs darüber wichtig, die Begriffe Gemeinwohl und Daseinsvorsorge zu trennen. „Beim Gemeinwohl im weitesten Sinne ist der Gedanke, dass die Politik immer alle im Blick haben soll. Wie man das ausbuchstabiert, ist eine andere Frage.“ Dazu lassen sich ganze Bücherregale füllen. Etwa zur Kernfrage, wie das Gemeinwohl definiert wird und wer es bestimmt. Der als „substanziell“ bezeichneten Ansicht nach kann das Allgemeinwohl zumindest umrissen werden: Es entsteht in liberalen Definitionen aus der Summe der eigennützigen Interessen, in eher technokratischen bis autoritären Ansätzen aus den Ansichten Berufener. Die Gegenposition dazu geht davon aus, dass nur eine ständige Abwägung und Aushandlung das Gemeinwohl bestimmen könne und sich dessen Gestalt dadurch stetig ändere. Dieses „prozedurale“ Verständnis stellt das Aushandeln in den Mittelpunkt – und welche Rolle die Politik und der Staat dabei spielen, aus den pluralen Interessen Leitlinien zu formen.

Die Versorgung mit Energie, öffentlicher Nahverkehr, aber auch der Betrieb eines Schwimmbades wie bei den SWN fällt unter das staatliche Leistungsprinzip, für das Ernst Forsthoff in Deutschland die Bezeichnung Daseinsvorsorge prägte. Ebenfalls ein weit gefasster Begriff, meint Schwedes, dem der autoritäre Kontext, in dem Forsthoff sich bewegte, sehr bewusst ist. Dennoch sei er heute weiterhin relevant, gerade weil er so wandelbar sei. Heute müsse man die Daseinsvorsorge anders interpretieren als zu Forsthoffs Zeit. „Es funktioniert nicht mehr, dass ein Staat ohne jegliche Mitsprache der Bevölkerung Leistungen erbringt. Er ist keine allwissende Instanz, die alle individuellen Bedürfnisse kennt. Wenn man davon ausgeht, dass es immer noch bestimmte Erfordernisse im Verkehr gibt, muss man für die Frage, wie diese erbracht werden, demokratische Verfahren entwickeln.“

Den Umfang öffentlicher Leistungen bestimmt grundsätzlich die Politik. Heißt auch: Wer damit nicht zufrieden ist, muss politisch aktiv werden. Für den Nahverkehr erkannte der Verkehrsökonom Karl Oettle die Besonderheit, dass Menschen auch „marktlich“ aktiv werden können, also auf andere Verkehrsmittel umsteigen,

wenn sie denn können, oder sich öfter für den Nahverkehr entscheiden. Das sei wesentlich unmittelbarer und wirksamer als die politische Steuerung, meinte Oettle. Er hielt das sowohl für eine Chance, war aber auch damit konfrontiert, dass der öffentliche Verkehr in seiner Zeit immer mehr an den Rand gedrängt wurde. „Da stand die soziale Frage im Vordergrund. Dafür war die Daseinsvorsorge zuständig, dafür brauchte man den öffentlichen Verkehr“, erzählt Schwedes.

Was heißt das für die Verkehrsunternehmen? Schwedes sagt, die Politik habe sich dort einen schlanken Fuß gemacht und sie in der Zwickmühle zwischen gemeinwohlorientierten Leistungen und der Eigenwirtschaftlichkeit alleine gelassen. So sei beispielsweise der DB-Konzern als Zwitter zwischen privat- und gemeinwirtschaftlicher Organisation entstanden. Diesen Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und gemeinwohlorientierten Auflagen könne kein Unternehmen auf Dauer aufrechterhalten. „Wohin das führt, sehen wir ja: Infrastruktur, die völlig heruntergewirtschaftet ist.“

Aus dieser Unmöglichkeit sei dann auch das neue Interesse am Gemeinwohl zu erklären. Letztlich sei es damit „ein Produkt der letzten 30 Jahre neoliberaler Hegemonie.“

Was kostet das Gemeinwohl?

Weder das Schwimmbad noch den Stadtbusverkehr können die SWN profitabel betreiben. Das Geld dafür kommt aus dem Energiegeschäft und von der Stadt. Orel sagt, das Gemeinwohl brauche auch wirtschaftliche Grenzen: „Trägt ein Vorhaben zum Gemeinwohl bei, ist aber gleichzeitig nicht wirtschaftlich, wird bei uns darüber diskutiert, in welchem Maße die Kosten das Unternehmen betreffen und letztendlich auch die Bürgerinnen und Bürger. Steigende Kosten tragen nicht zum Gemeinwohl bei und sind mit dem Mehrwert in Relation zu setzen.“

In der Privatwirtschaft hingegen zählen vor allem die Profite. Wie stark dürfen sie auf Kosten des Gemeinwohls gehen? „Das ist Verhandlungssache“, erklärt Schwedes. „Dort, wo es keine Anforderungen der öffentlichen Hand im Sinne des Gemeinwohls gibt, erzeugt ein Anbieter wie Uber Verhältnisse, die völlig inakzeptabel sind. Sie richten sich gegen die Menschen vor Ort, weil keine Sicherheits- und Sozialstandards eingehalten werden.“ Auf der anderen Seite seien die Sharing-Angebote, die für einen nachhaltigen Verkehr im Sinne der Daseinsvorsorge interessant wären, privatwirtschaftlich organisiert. Um ihren Beitrag zum Gemeinwohl besser zu nutzen, wünscht er sich dort eine stärkere Organisation durch die öffentliche Hand, etwa unter gemeinsamen Mobilitätsplattformen. Deutschland sieht er mit Angeboten wie Jelbi und VHH Switch auf einem guten Weg, auch wenn hier bei der Integration der Anbieter und der Beteiligung der Bürger:innen noch Luft nach oben sei. „Ich kann mir aber vorstellen, dass die öffentliche Hand die Daseinsvorsorge so weiterentwickelt.“

POLIS MOBILITY 55

DASEINSVORSORGE IN PRIVATER HAND?

© Mika Baumeister
„Digitale Mobilität gehört zum Versorgungsauftrag der Öffentlichen; man sollte nicht darauf warten, dass das Silicon Valley das übernimmt.“

Im Gespräch mit Dominik Piétron, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Sozialwissenschaften,

Humboldt-Universität zu Berlin

Mobility-as-a-Service (MaaS) gilt als Wunderwaffe der Mobilitätswende. Dass private Anbieter die Daseinsvorsorge nun selbst in die Hand nehmen, ist allerdings neu. Wie schätzen Sie den Beitrag ein, den MaaS-Plattformen zur Mobilitätswende leisten können?

Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe die ersten waren, die MaaS in Deutschland so richtig in die Fläche gebracht haben; die privaten haben sie allerdings inzwischen überholt. Es ist schon länger im allgemeinen Verständnis angekommen, dass die Bündelung von Verkehren der Schlüssel zum Erfolg in der Mobilitätswende ist, und was das angeht, sind Online-Plattformen unschlagbar. Gerade wenn es um die intermodale Routenwahl geht, bei der der Umweltverbund im Zentrum stehen muss, können MaaS-Plattformen sehr hilfreich sein, um attraktive Alternativen zum privaten Auto aufzuzeigen. Zudem ermöglichen Plattformen Verkehrsplaner:innen eine bedarfsorientierte Angebotsplanung, da sie Veränderungen

von Mobilitätsmustern in Echtzeit aufzeigen. So kann schnell auf Trends reagiert werden. Kurz gesagt: MaaS-Plattformen bergen unheimliche digitale Steuerungspotentiale.

Nun ist bekannt, dass sich private Anbieter nicht allzu gern steuern lassen. Können diese Potentiale dennoch angemessen genutzt werden?

Es lassen sich in jedem Fall gewisse Steuerungskonflikte beobachten. Diese finden auf zwei Ebenen statt: Die erste ist die Ebene der Dienste selbst, also der Steuerungskonflikt zwischen dem Geschäftsmodell und der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Mobilitätswende. Die privaten Anbieter von Sharingund Fahrdiensten wissen, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell überhaupt nur in den Innenstädten profitabel sein können. Dort verschärfen sie aber die Flächenkonkurrenz und ziehen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Fahrgäste vom Umweltverbund ab.

INTERVIEW 57

Damit die privaten Mobilitätsdienste also überhaupt einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten können, müssen sie eigentlich nicht in den Innenstädten, sondern an den Stadträndern und auf der letzten Meile eingesetzt werden, wo sie die vorhandenen Versorgungslücken schließen. Das ist aber gerade nicht profitabel.

Und der zweite Steuerungskonflikt?

Der findet auf der Ebene der MaaS-Plattformen statt, die zunehmend eine Koordinationsfunktion im Personennahverkehr einnehmen. Hier müssten die privaten Sharing-Anbieter und Fahrdienste eigentlich im Sinne einer bedürfnisorientierten intermodalen Routenplanung in den ÖPNV integriert werden. Beispiel: Ich möchte von A nach B gelangen und nutze für die erste Teilstrecke das Bike-Sharing, nehme dann den Bus, steige um in die Straßenbahn und buche mir für die letzte Meile einen E-Scooter. Der Punkt ist, dass mich die App als Mobilitätsassistent während der ÖPNV-Nutzung begleitet und mich auf alle Unsicherheiten wie nicht reservierte oder ausfallende Verkehrsmittel, Verspätungen und so weiter hinweist. Das könnten MaaS-Plattformen leisten. Private Plattformen haben allerdings aufgrund ihres Geschäftsmodells den Anreiz, private Anbieter zu bevorzugen, weil diese mehr Geld für die Vermittlung zahlen. Das ist beispielsweise bei Google Maps zu sehen, wo E-Scooter von Lime angezeigt werden, wenn man nach ÖPNV-Verbindungen sucht. Grund dafür ist sehr wahrscheinlich eine wirtschaftliche Verbandelung der beiden Unternehmen. Eine solche Priorisierung privatwirtschaftlicher Dienste ist dem Ziel der Mobilitätswende aber kaum vereinbar und untergräbt die ökonomische Basis der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Die Konflikte, die Sie beschreiben, klingen lösbar. Sollte es nicht möglich sein, eine Priorisierung des ÖPNV durch gesetzliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten?

Sollte man meinen, denn Mobilitätsversorgung ist ein öffentlicher Auftrag, die Kommunen sind Aufgabenträger des ÖPNV. Wie man die Kommunen und Verkehrsverbünde allerdings stärken und davor schützen kann, sich mit transnationalen Konzernen wie Google auseinandersetzen zu müssen, bleibt offen. Eine enorm wichtige Stellschraube ist dabei der Zugang zu und der Umgang mit den produzierten Daten.

Inwiefern?

Die Bewegungsdaten einer einzelnen Person sind beinahe wertlos, die Bewegungsdaten aller User im Netz hingegen sind zusammen ein Vermögen wert. Daraus lässt sich alles über die Bevölkerung ablesen, deren persönliche Vorlieben, deren politische Denkweise, deren soziale Interaktionsmuster. Dass MaaS-Plattformen und private Anbieter diese Daten allein verwerten dürfen, obwohl wir Nutzer:innen sie produzieren, ist meines Erachtens nicht zu rechtfertigen. Die Staudaten von Google, die Echtzeitdaten der Fahrdienste und Carsharing-Anbieter – das sind Daten

von öffentlichem Interesse, die deutlich mehr Nutzen bringen, wenn sie allgemein verfügbar sind. Die Gesellschaft könnte auf dieser Basis eigene unabhängige MaaS-Plattformen entwickeln und Kommunen könnten die lokalen Mobitätssysteme besser auf die Bedarfe der Bevölkerung und die Umwelt anpassen. Das angekündigte Mobilitätsdatengesetz mit sanktionsbewährten Offenlegungspflichten für alle Anbieter im Personennahverkehr wäre hier ein Anfang – wenn es dann mal kommt. Bis dahin sind die Kommunen auf sich allein gestellt.

Was können sie unternehmen?

Berlin beispielsweise hat festgelegt, dass die Nutzung des öffentlichen Raums – also Straßen, Bürgersteige und Parkflächen – durch die Sharing-Anbieter eine Sondernutzung darstellt, vergleichbar mit der Außengastronomie. Diese Sondernutzungen sind genehmigungspflichtig, sodass die Kommune die Möglichkeit hat, einen Deal auszuhandeln: Die Anbieter dürfen den öffentlichen Raum nutzen, wenn die Kommune Zugang zu ihren Daten bekommt. Es wird also ein Anreiz für die privaten Akteure geschaffen, zu kooperieren. Dadurch können Städte das Treiben der Anbieter und dessen Auswirkungen überprüfen und sicherstellen, dass sie wirklich Teil der Mobilitätswende sind und ihre Fahrzeuge besonders dort einsetzen, wo sie sinnvoll sind – und nicht zu einer Überversorgung beitragen. Die Anbieter gehen weitestgehend darauf ein, da sie gelernt haben, dass ihr Geschäftsmodell langfristig nur funktioniert, wenn sie sich zumindest in Teilen an die Notwendigkeiten der Mobilitätswende anpassen; täten sie das nicht, würden sie sich früher oder später selbst ihrer Existenzberechtigung berauben.

Wir halten also die enorme Bedeutung eines gemeinsamen Zugangs zu Mobilitätsdaten fest. Wie kann gewährleistet werden, dass die gesammelten Daten vertraulich und im Sinne der individuellen Privatsphäre behandelt werden?

Bei privaten MaaS-Plattformen ist die Nutzung und der Schutz von Daten eine Black Box. Es braucht hier in jedem Fall eine höhere Transparenz. Die Kommunen selbst arbeiten bei ihren eigenen Plattformen in der Regel eng mit den lokalen Datenschutzbehörden zusammen und sind eher vorsichtig. Es ist allerdings so, dass die DSGVO bei der Frage nach dem Schutz kollektiver Daten sehr große Lücken aufweist, während sie den Schutz individueller Daten akribisch reguliert. Hier ist es wichtig, einen Ausgleich zu finden.

58 INTERVIEW

Gibt es hierzu bereits Ansätze?

Eine Methode, die im Gespräch ist, ist die sogenannte Datentreuhand. Dabei werden die Datenrisiken, die aus der Verarbeitung personenbezogener Bewegungsdaten entstehen, nicht nur individuell gedacht, sondern kollektiv – sowohl bezogen auf den Wert der Daten als auch auf deren Schutz. Es wird also eine Dateninfrastruktur entwickelt, die die durch Mobilität erzeugten Daten bündelt und externen Akteuren zu gemeinwohlorientierten Zwecken zur Verfügung stellt – in der Medizin ist so etwas bereits gang und gäbe. Diese treuhänderische Organisation könnte beispielsweise Forschungseinrichtungen das Recht auf die Daten gewähren, um soziale Missstände frühzeitig zu erkennen.

Intermodalität setzt ein hohes Maß an Agilität und Spontaneität voraus: Nutzende müssen sowohl körperlich als auch geistig fit genug sein, auf einer Strecke schnell umzuschalten und verschiedene Dienste in Anspruch zu nehmen. Scooter und Leihräder sind nicht für alle Bevölkerungsteile nutzbar. Es ist also – Stichwort demografischer Wandel – essentiell, dass auch weiterhin niederschwellige ÖPNV-Angebote zur Verfügung stehen. Wie kann dieser Spagat geschafft werden?

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. 20 Prozent der Deutschen haben keinen mobilen Internetzugang und können dementsprechend keine MaaS-Plattformen nutzen. Dass der ÖPNV weiterhin gestärkt werden muss, versteht sich ohnehin. Und auch ÖPNVTickets müssen weiterhin analog verfügbar sein. Ansonsten hat die plattformvermittelte Mobilität aber gerade in sozialer Hinsicht einen entscheidenden Vorteil: Die Routenplanung kann personalisiert werden. Gerade für Menschen mit Mobilitätseinschränkung und besonderen Bedürfnissen gibt es keine bessere Option als eine Plattform, die weiß, welche Verkehrsträger ich für meine Wege in Betracht ziehe und welche nicht. Umso wichtiger ist es, dass die Routenplanung nicht durch Werbeanzeigen verzerrt wird.

Es scheint also recht klar zu sein, welche Schritte unternommen werden müssen, um die digitale Mobilitätswende gemeinwohlorientiert zu gestalten. Was ist Ihre Prognose – wird das geschehen?

Langfristig wird viel davon abhängen, wie sich der Markt der MaaS-Plattformen entwickelt. Werden die privaten Anbieter wie Google Maps und FreeNow zu neuen Gatekeepern, sind dauerhafte Steuerungskonflikte zu erwarten. Gelingt es aber, mehr Nutzer:innen für öffentliche Mobilitätsplattformen zu gewinnen, dann erhalten wir ein mächtiges Instrument für die sozialökologische Mobilitätswende. Die geplante EU-Verordnung zur interoperablen Ticketbuchung im Personennahverkehr stellt in dieser Hinsicht eine Herausforderung für die kommunalen Verkehrsbetriebe dar. Aber digitale Mobilität gehört zum Versorgungsauftrag der Öffentlichen; man sollte nicht darauf warten, dass das Silicon Valley das übernimmt. Die Möglichkeiten müssen selbst erschlossen werden. Wenn der öffentliche Sektor sich hier gut aufstellt, bin ich sehr optimistisch, dass die Digitalisierung einen beachtlichen Teil zur Mobilitätswende beitragen kann.

Ich danke Ihnen für das spannende Gespräch.

„Damit

die privaten Mobilitätsdienste also überhaupt einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten können, müssen sie eigentlich nicht in den Innenstädten, sondern an den Stadträndern und auf der letzten Meile eingesetzt werden, wo sie die vorhandenen Versorgungslücken schließen.“

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und forscht zum Themenfeld „politische Ökonomie des digitalen Kapitalismus“. Im Zentrum seiner Arbeit stehen die Wechselwirkungen von digitaler Technologie und Gesellschaft, insbesondere die sogenannte „Plattformisierung“ von Märkten und die damit verbundenen Transformationsprozesse von Arbeitsbeziehungen, Wettbewerb und Innovationssystemen.

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DOMINIK PIÉTRON
© Dominik Piétron

Auch als Imkerwagen kann der Anhänger genutzt werden, wie hier auf dem Grundstück des 2023 neu bezogenen Firmensitzes von CARLA CARGO

Eine Lastenradkolonne dieser Art kann selbst einen Umzug schnell bewältigen.

Der Ingenieur Markus Bergmann ist Gründer und Geschäftsführer von CARLA

Die Kupplung erlaubt eine einfache Handhabung der Lastenanhänger, die schnell zum Handwagen umfunktioniert werden können.

60 FUTURE HEROES © CARLA CARGO (4)
CARGO

Platz für alles

Das Fahrradgespann als urbanes Transportmittel

Aus dem Bedarf der solidarischen Landwirtschaft nach einem fahrradkompatiblen und emissionsfreien Transportmittel entwickelte eine Freund:innengruppe die Idee von CARLA CARGO, einem Lastenanhänger mit elektrischer Unterstützung. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne finanzierten sie den Prototypen, der 2013 auf dem Wagenplatz „Schattenparker“ zusammengebaut wurde. Mittlerweile muss sich das intelligente Anhängerkonzept von CARLA CARGO nicht mehr im Dunkeln verstecken.

TEXT: Hannah Am Ende

Im vergangenen Sommer konnte die von Markus Bergmann gegründete Firma CARLA CARGO ihr neues Hauptquartier am grünen Rand des Industriegebiets im baden-württembergischen Herbolzheim beziehen. Rund 15 Personen sind dort aktuell beschäftigt. Die Unternehmensgeschichte fing wesentlich kleiner an, als die GartenCoop Freiburg, eine Kooperative der Solidarischen Landwirtschaft, auf der Suche nach einem neuen Transportmittel für ihre Gemüselieferungen war. In Schrauber:innenmanier wurde von Freund:innen ein Jahr lang der erste Prototyp entwickelt, bis der Kooperative 2014 mehrere der Fahrradanhänger für die Auslieferung ihrer Ernte zur Verfügung standen.

Die Entwicklung von CARLA CARGO war an diesem Punkt allerdings nicht beendet, denn der Vorteil des Lastenanhängers für das urbane Transportmittel Fahrrad sprach sich schnell herum. Rund vier Jahre nach dem Prototypen wurde im Frühjahr 2018 die CARLA CARGO Engineering GmbH gegründet, um mit dem Ziel der Serienproduktion der steigenden Nachfrage gerecht werden zu können. Dieser Meilenstein gelang bereits nach zwei Jahren: Die Stahlrohrrahmen werden seit 2020 im Fertigungsbetrieb Wecubex mithilfe eines Roboters innerhalb einer halben Stunde zusammengeschweißt – nur wenige Meter entfernt von den heutigen Büroräumen der Firma. Damit leisten die Fahrradanhänger nicht nur im Einsatz, sondern bereits in der Herstellung durch die kurzen Transportwege einen wichtigen Beitrag für eine klimafreundliche Zukunft.

Bis zu 200 Kilogramm Cargo kann CARLA durch die Stadt bewegen, wahlweise mit einer Pedelecunterstützung für eine Geschwindigkeit von bis zu 25 Kilometern pro Stunde. Wer sich für die letzte Variante als eCARLA entscheidet, spürt von der hohen Zuladung wenig. Eine integrierte Auflaufbremse bietet in dieser Gewichtsklasse die nötige Sicherheit, während der Anhänger durch seine Geometrie verlässlich der Spur des ziehenden Fahrrads folgt. Die tief liegende und damit stabilisierende Ladefläche ist nach Standardnormen von Euroboxen aufgebaut, die so in vier Reihen von etwa anderthalb Metern Höhe gestapelt werden können. Die dreirädrige Konstruktion verleiht dem Anhänger eine hohe Wendigkeit und durch die leicht zu bedienende Schraubkupplung wird der Fahrradanhänger mit wenigen Griffen zu einem Handwagen. Durch diese Merkmale ist CARLA besonders auf dem Gebiet der letzten Meile optimal eingesetzt.

„Wir entwickeln, bauen und liefern langlebige, hochwertige und umweltgerechte Transportlösungen für den urbanen Raum“, so die Vision des Unternehmens. Das Portfolio bietet hier eine entsprechende Vielfalt an CARLA-Modellen, um jeder Person die passende Transportlösung anbieten zu können. Die Ausstattung reicht von einer vielseitig einsetzbaren Universalkiste sowie einer mobilen Küche oder Werkstattwagen über eine befahrbare Rampe mit optionaler Überdachung bis hin zu einem Grünpflege-Aufbau für kommunale Nutzungen. Umbauten von privaten Bastler:innen zeigen, dass selbst ein kleiner Wohnwagen für eine Weltreise auf dem Basismodell aufgebaut werden kann. In der Nische der schwerlastfähigen Fahr-

radanhänger ist CARLA CARGO mit dieser Produktpalette weltweit marktführend und bietet eine Antwort auf den globalen Bedarf an klimafreundlichen Transportlösungen. Der Vertrieb reicht über die Nachbarländer Frankreich und die Niederlande, über Schweden und England bis in die USA, wo ganze 500 CARLAs in New York bei der Letzten-Meile-Lieferung von Bio-Lebensmitteln der Supermarktkette WholeFoods eingesetzt werden.

Der bereits mehrfach in der Kategorie „Bike-Trailer“ als „International Cargobike of the Year“ ausgezeichnete Lastenanhänger hat aus einer Kleinstadt am Rande des Schwarzwaldes die Welt erobert und wird die Logistik- und Fahrradbranche bestimmt auch für die Zukunft weiter in diese nachhaltige und ressourcenschonende Richtung prägen.

FUTURE HEROES 61

Voraussichtlich Ende nächsten Jahres soll der Mover den Hamburgtakt der Elbmetropole stärken.

Mit bis zu 60 km/h kann sich das Elektrofahrzeug durch die Straßen bewegen.

Der Innenraum soll durch hochwertiges Design und eine leicht verständliche Nutzungsvermittlung den größtmöglichen Komfort bieten, um den Umstieg vom eigenen Pkw zu vereinfachen.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing übergab im Oktober 2023 den sechs Projektbeteiligten den Förderbescheid.

© BENTELER (4)

Das neue Ganze

Autonom und inklusiv auf der Straße

Der flächendeckende Einsatz selbstfahrender Autos ist für die Mobilitätswende von entscheidender Bedeutung. Doch obwohl das autonome Fahren schon seit Jahren in aller Munde ist, gilt es noch immer als futuristische Vision. Auf deutschen Straßen erreichen Fahrzeuge bisher höchstens Autonomielevel 3, doch der HOLON Mover soll schon bald den Stein für die nächste Stufe ins Rollen bringen.

TEXT: Hannah Am Ende

Das Start-up HOLON, das 2022 aus der Umfirmierung von BENTELER EV Systems hervorging, entwickelt den vollautomatisierten Kleinbus. HOLON – ein Name, der seine Wurzeln im Altgriechischen hat und ein Ganzes bezeichnet, das selbst Teil eines größeren Ganzen ist. Kein Wunder also, dass die Entwickler:innen des Mover eine umfassende Mission verfolgen. Sie streben nach nachhaltigen, inklusiven, zuverlässigen und sicheren Mobilitätslösungen für den urbanen und ländlichen Raum. Umsetzbar ist diese Ambition durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partner:innen wie dem amerikanischen Mobilitätsanbieter Beep, dem israelischen Softwareunternehmen Mobileye sowie der italienischen Designfirma Pininfarina; letztere gestaltet normalerweise Fahrzeuge, die auf der linken Spur schwer ohne Zeitlupe zu erfassen sind. Mit dem Mover werden die Kompetenzen der internationalen Partner:innen nun gebündelt und mit ihm allen Menschen zur Verfügung gestellt – womit die Bedeutung des Namens HOLON eine dritte Dimension erlangt.

Der Innenraum ist loungeartig gestaltet und bietet zehn Sitz- und fünf Stehplätze sowie eine definierte Rollstuhlposition. Der Einstieg in das Fahrzeug ist mit maximaler Nähe zum Bordstein und einer integrierten vollautomatischen Rampe so barrierefrei wie möglich gestaltet. Niederschwellig soll auch die Nutzung des Mover sein: Audiovisuelle Signale und zusätzliche Kennzeichnung in Brailleschrift übermitteln die Fahrinforma-

tionen an die Passagier:innen. Fahrpersonal gibt es nicht, denn der Mover ist weltweit der erste Kleinbus mit Automobilstandards, der Autonomielevel 4 erreicht. Die technische Ausstattung besteht aus einer Kombination von Lidar-, Radar- und Kamerasystemen. Ersteres findet schon seit den 1960er-Jahren in der Raumfahrt Anwendung und wertet die Umgebung mithilfe von Laserstrahlen dreidimensional aus. Durch den technischen Dreiklang der Sensorik werden potenzielle Schwächen der einzelnen Systeme kompensiert und fügen sich zu einem sicheren und neuen Ganzen zusammen.

Mit einer Einsatzdauer von circa sieben Stunden pro Batterieladung und einer Höchstgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde soll der emissionsfreie Mover die Lücke zwischen privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln schließen und außerdem ländliche und städtische Gebiete besser miteinander verbinden. Das Design wurde mit besonderem Fokus auf Komfort entwickelt, um auch Menschen anzusprechen, die eine hohe Affinität zum Auto und der damit verbundenen Bequemlichkeit haben. In Kooperation mit der Hamburger Hochbahn, dem bundesweit zweitgrößten Verkehrsunternehmen, soll der HOLON Mover voraussichtlich Ende nächsten Jahres im Straßenverkehr der Elbmetropole getestet werden. Im Rahmen des Projekts ALIKE sollen die Mover den Hamburgtakt stärken, demzufolge bis 2030 jede:r innerhalb von fünf Minuten ein passendes Mobilitätsangebot erreichen soll. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) fördert das Projekt, an dem auch der On-Demand-Dienst Moia, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und

die Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) beteiligt sind, mit 26 Millionen Euro. Durch den Einsatz im appbasierten On-Demand-Verkehr sollen die autonomen Minibusse die Zukunft der Mobilität mitprägen und sich im ÖPNVVerständnis der Menschen etablieren.

Im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes gehen die Visionen des HOLON Mover über den Einsatz im Personenverkehr hinaus. Neben dem Einsatz in kommunalen Verkehrsunternehmen oder privaten Einrichtungen wie Flughäfen kann der Mover einen Beitrag zu einer nachhaltigen Logistik auf der letzten Meile leisten. Die flexible Plattformarchitektur der Karosserie ermöglicht zukünftig weitere Nutzungsvarianten. Die Produktion des Mover in den USA ist für 2026 geplant und soll im Anschluss auf Europa und den Mittleren Osten ausgeweitet werden. „2024 stehen nun die Prototypenentwicklung sowie erste Testfahrten im Fokus. 2025, so unser Ziel, sollen die ersten Fahrzeuge im Rahmen von Pilotprojekten im Einsatz sein“, so Henning von Watzdorf, CEO von HOLON. Bis zum ersten fahrer:innenlosen Trip durch die Hamburger Straßen oder dem ersten via Mover gelieferten Päckchen braucht es also noch ein wenig Geduld.

FUTURE HEROES 63

Die Implementierung von Ladesäulen in bestehende Wohnviertel ist ein wichtiger Schritt in Richtung Mobilitätswende.

In gemeinsamen Workshops erarbeitete das Team von Allbau und VEOMO Consulting die verschiedenen Schritte zur Strategie für eine intelligente Ladeinfrastruktur im Bestand.

Sind auch zu Hause Lademöglichkeiten vorhanden, fällt die Entscheidung für ein Elektroauto deutlich leichter.

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Einen Schritt voraus

In Essen kommt Bewegung in den Bestand

Zukunftsgerechte Infrastrukturen in den Bestand zu integrieren ist schwieriger, als sie bei einer Neubauplanung mitzudenken. Dennoch ist eine Lösung für das Gelingen der Verkehrswende und für das Erreichen der Klimaziele unverzichtbar. Wie es gehen kann, zeigt die Zusammenarbeit des Essener Wohnungsunternehmens Allbau mit den Mobilitätsberater:innen von VEOMO Consulting.

TEXT: Hannah Am Ende

Mobilität ist ein zentraler Bestandteil im Alltag eines jeden Menschen. Laut der Studie „Mobilität in Deutschland“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus dem Jahr 2017 beginnen und enden 75 Prozent aller Wege am Wohnort. Immobilien und Mobilien zur Fortbewegungszwecken sind daher durch die Alltagswege eng miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig. Bei der Umsetzung der Verkehrswende bringt diese Erkenntnis neue Problemstellungen und auch Lösungsansätze mit sich, denn die Quartiere müssen unmittelbar an eine Mobilitätsinfrastruktur und damit auch an Ladeoptionen für E-Autos angeschlossen sein. Bei Neuplanungen ist dies in der Entwurfsplanung schon Standard, doch der Bestand birgt noch einige Herausforderungen. Bisher wird der Anschluss ans Ladenetz für die E-Mobilität eher in individuellen Einzellösungen umgesetzt: Jede:r Bewohner:in beantragt eine eigene Wallbox von einem Anbietenden eigener Wahl. In der Realität sorgt dies für ein Sammelsurium an Infrastruktur und einen Aufwand, der bei der Anschaffung eines E-Autos und damit auch beim Gelingen der Verkehrswende eine Hürde darstellt. Gerade Letzteres gleicht dem berühmten Henne-Ei-Problem und wird auch auf Bundesebene nach wie vor viel diskutiert: Braucht es zuerst eine bestimmte Zahl an E-Autos auf den Straßen, damit eine Ladeinfrastruktur flächendeckend ausgebaut werden kann, oder ist eine vorhandene Ladeinfrastruktur die Voraussetzung für die Anschaffung eines Elektromobils?

Die Essener Allbau als kommunales Wohnungsunternehmen hat in enger Zusam-

menarbeit mit der Münchener Mobilitätsberatung VEOMO eine Antwort auf diese Frage gefunden. „Wir bestimmen jetzt eine Strategie, wie wir vor der Welle reiten können”, so beschreibt Emil Pabst, Geschäftsleiter von VEOMO, die gemeinsame Vorgehensweise mit der Allbau. Diese möchte mit ihrem Bestand von 18.000 Wohneinheiten in Essen eine Vorreiter:innenrolle einnehmen und den Bewohner:innen den Zugang zur E-Mobilität erleichtern. Mit diesem Anspruch wird das Ziel eines nachhaltigen, barrierefreien Angebots an zukunftsfähiger Mobilität angestrebt. „Unser Auftrag ist es, lebenswerte Räume für die Bürger:innen bereitzustellen. Dabei sind zukunftsgerechte, niederschwellige Mobilitätsangebote ein wichtiger Faktor”, erklärt Nils van Gulijk, Bereichsleiter bei der Allbau

Gelingen soll dies mit dem gemeinsam entwickelten Strategieprozess für den ganzheitlichen Ladeinfrastrukturaufbau basierend auf umfangreichen Datenanalysen. Die Lösung der infrastrukturellen Versorgung kann je nach Gebietscharakter variieren, sodass private, privat-gemeinschaftliche oder öffentliche Ladeinfrastrukturen an verschiedenen Orten passend sind. Die prozessuale Strategie soll künftig bei der Umsetzungsentscheidung unterstützen und folgt dabei in fünf Schritten einer methodischen Vorgehensweise. Zu Beginn wird in den Quartiersanalysen die vorhandene Situation nach sozial-ökonomischen Parametern analysiert und anschließend durch einen technischen Check ergänzt. Darauf folgt die Auswahl der konkreten Quartiere, für die die Ladekonzepte erstellt werden. In diesem Schritt werden gemäß dem ganzheitlichen Ansatz auch die zukünftigen Maßnahmen wie Photovoltaik und energetische Sanierung in den Beständen mit eingeschlossen, denn die Ladekonzepte sollen auch in Zukunft je nach Bedarf flexibel

erweiterbar sein. Erst danach erfolgt die tatsächliche Entscheidung zur Umsetzung. Im Falle einer Entscheidung dafür soll das Konzept nach festgelegten Kriterien kontrolliert werden, um es den Bedürfnissen anpassen zu können und die Erkenntnisse im Sinne eines iterativen Prozesses in weitere Quartiere einfließen zu lassen.

Aktuell ist der Strategieprozess bis zur Ebene der Angebotserstellung erprobt und soll in diesem Jahr für die gesamte Umsetzung beispielhaft an fünf Quartierstypen durchgespielt werden, in die sich der gesamte Bestand der Allbau einordnen lässt. Diese theoretische Probe soll die Methode von Allbau und VEOMO verifizieren. Dieser Prozess könnte den Grundstein für eine zukunftsfähige, nachhaltige Mobilität in Bestandsquartieren legen.

FUTURE HEROES 65

PER ZUG AUFS LAND

Durch das Pilotprojekt „Der kleine Grüne Bahnhof“ möchte die Deutsche Bahn AG ihre Bahnhofsgebäude vor allem in ländlichen Gebieten anpassen. Bei den Projekten, deren Konzept vom internen Architekturbüro der DB Station&Service AG entwickelt wird, liegt der Fokus auf der Verwendung nachhaltiger und regionaler Rohstoffe und einer standardisierten Bauweise, sodass die Holzkonstruktion eine große Gestaltungsvielfalt aufweist – Warteraum, Servicestore und jede nötige Infrastruktur inbegriffen. Ende 2023 wurde im bayerischen Zorneding das erste Empfangsgebäude eröffnet. Die Fertigstellung des zweiten Projekts für das ebenfalls in Bayern befindliche Haar ist für den Frühsommer 2024 geplant. Deutschlandweit sollen in den kommenden Jahren insgesamt bis zu 20 „kleine grüne Bahnhöfe“ gebaut werden.

In Zorneding lädt der Servicestore zum Vertreib der Wartezeit ein.

Wo früher Autos hergestellt wurden, sollen zukünftig Nachhaltigkeit und Gemeinschaft in ökologisch wertvoller Umgebung im Mittelpunkt stehen.

PARK STATT AUTOS

Auf dem Gelände der ehemaligen Autofabrik FSO entsteht in Warschau derzeit der FSO Park. Insgesamt umfasst das von OKAM entwickelte Areal 62 Hektar, wobei ein Drittel davon als Grün- und Parkfläche wiederbelebt wird. Das ehemals bestimmende Auto weicht dem nachhaltigen Rad- und Fußverkehr. Der Masterplan der Planungsbüros WXCA und SAWAWA fokussiert sich neben Gemeinschaft, Ökologie und Bildung auch auf den Erhalt der industriellen Vergangenheit in der Architektur. Die Nutzungen reichen von Wohnungen sowie Bildungseinrichtungen über Geschäfts-, Dienstleistungs- und Büroflächen – ein Ort zum Leben, Arbeiten und für eine hohe Lebensqualität. Die Realisierung des gesamten Projektes wird etwa 25 Jahre dauern. Der Baubeginn für die erste Etappe ist bereits für das kommende Jahr geplant.

MEHR GRÜN IN KÖLN

In Köln entwickelt das Joint Venture aus der bema Gruppe und der ABG Real Estate Group den nachhaltigen „Green Campus“. Auf dem 14.000 Quadratmeter großen Grundstück sollen bis 2030 nach den Planungen von ingenhoven associates drei terrassierte Gebäude entstehen, die durch Wegekonzepte sowie Grün-, Spiel- und Aktionsflächen miteinander verbunden werden. Für die Nutzung ist eine urbane Durchmischung mit belebten Erdgeschosszonen vorgesehen. Neben der Begrünung und Entsiegelung der Bodenfläche werden auch die Dächer nachhaltig eingebunden: Biodiverse Bepflanzungen, Aufenthaltszonen und PV-Anlagen runden diese ab. Im Anschluss an das Beteiligungsverfahren durch die Stadt Köln wird aktuell auf Basis des städtebaulichen Entwurfs der Bebauungsplan für das Areal entwickelt.

66 URBAN NEWS
© Deutsche Bahn AG © OKAM ©ingenhoven associates, HG Esch, bema ABG
Der „Green Campus“ schließt sich mit seinen terrassierten Gebäuden westlich an den bekannten Kölner Melatenfriedhof an.

DYNAMISCHE VERBINDUNG

Nach den Plänen des Büros Batlleiroig soll in Barcelona im Laufe der nächsten Jahre das Areal eines ehemaligen Mercedes-Benz-Werks zum Ecodistrict laMercedes umgewandelt werden. Auf der neun Hektar großen Fläche ist ein urbaner Stadtteil geplant, auf dem neben Wohnungen, Einzelhandel und Büroflächen auch Wirtschafts- und Forschungseinrichtungen vorgesehen sind. Mit dieser dynamischen Mischung verbindet der Ecodistrict künftig die Viertel Sant Andreu und Bon Pastor. Dabei liegt der Fokus auf der grünen Infrastruktur. Die Freiräume bilden autofreie, durchlässige Treffpunkte und die neuen Materialien kühlen das Stadtklima. Der motorisierte Verkehr wird in den Untergrund integriert, lediglich die Logistik der letzten Meile und Fahrzeuge der neuen Mobilität sollen im Stadtgebiet sichtbar sein.

Im Rahmen der Aufgabe im nationalen Maßstab soll ein innovatives Gestaltungs- und Entwicklungskonzept für den Tagebau Welzow-Süd und dessen angrenzende Flächen erarbeitet werden.

Die verbindenden Freiräume versprühen mit den begrünten Überdachungen das Lebensgefühl der Stadt.

IDEENREICHES JUBILÄUM

Zum 50. Mal wird in diesem Jahr der Peter-Joseph-Lenné-Preis des Landes Berlin ausgelobt. Im Rahmen des Ideenwettbewerbs zur Landschaftsentwicklung und Freiraumplanung stehen dem Nachwuchs der Planungsbranche drei Aufgaben in verschiedenen Maßstäben zur Auswahl. Im regionalen Teil sollen in Berlin für die Leipziger Straße Visionen für den Wandel der Verkehrsachse zu einem öffentlichen Raum erarbeitet werden. Für Welzow-Süd, den letzten aktiven Tagebau der Lausitz, wird in der nationalen Aufgabe die Frage nach Ideen für die Zeit nach der Kohle gestellt und auf internationaler Ebene widmet sich der Wettbewerb der Vervollständigung von Barcelonas Küstenabschnitt, der den ökologischen Ansprüchen entsprechen sowie Stadt und Meer wertvoll verbinden soll. Bis zum 28. Juni können Unterlagen eingereicht werden.

URBAN NEWS 67 © SBDA © Andreas Franke

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