EINE FRAGE DER GESCHWINDIGKEIT ÜBER DEN DISKURS ZU FLÄCHENDECKENDEM TEMPO 30 IN INNENSTÄDTEN TEXT: Prof. Johannes Schlaich, Professor für Mobilität und Verkehr an der Berliner Hochschule für Technik
Diskussionen um Tempolimits polarisieren unsere Gesellschaft seit vielen Jahren: Beim Dauerthema Tempo 100/130 km / h auf Autobahnen sehen manche ihre Freiheit und die deutsche Autoindustrie bedroht, während andere mit Argumenten wie CO2-Reduktionen und höherer Verkehrssicherheit dagegenhalten. Mit dem Abschluss des Koalitionsvertrags ist klar: Bis auf Weiteres wird es auf Autobahnen kein Tempolimit geben. Für Befürworter:innen flächendeckender innerstädtischer Geschwindigkeitsreduktionen findet sich im Koalitionsvertrag hingegen Hoffnung. Anpassungen der Straßenverkehrsordnung sollen den Verkehr nicht nur flüssiger und sicherer machen: Indem Länder und Kommunen mehr Entscheidungsspielraum erhalten, sollen sie zukünftig auch Klima- und Umweltschutz, Gesundheitsaspekte sowie städtebauliche Entwicklungen besser fördern können. Bisher sind ihre Möglichkeiten stark beschränkt. Denn die Straßenverkehrsordnung sieht in § 3 vor, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit „innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h“ beträgt. Abweichungen davon sind nur in begründeten Ausnahmen möglich, z. B. vor Schulen. Mehr Freiheiten fordern auch die rund 100 Städte und Gemeinden (Stand: 7. März 2022) der Städteinitiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtverträglicheren Verkehr“. Sie möchten Tempo 30 anordnen können, wo sie es für sinnvoll erachten, gegebenenfalls auch stadtweit als neue Regelhöchstgeschwindigkeit.
Verkehrsmodelle können Wirkungen ermitteln Viele Wirkungen von Tempo 30 lassen sich, wie in der Verkehrsplanung üblich, mit Verkehrsmodellen abschätzen (Schlaich & Koesling 2014). Hier können Verkehrsmodellierer:innen veränderte Fahrzeiten für den motorisierten Individualverkehr (MIV) hinterlegen. So können sie unter anderem prüfen, wie groß die Verlagerungen bei der Ver© privat
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