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DAS ENDE DER KNEIPE
Das seinerzeit noch völlig unbezweifelte Rauchen war höchst gesellige Beigabe und atmosphärisch bedeutend wie die Blume auf dem Frischgezapften. Die seltene Spezies der Nichtraucher kommentierten („Irgendwo kommt noch Sauerstoff durch!“) beschwerdefrei die Rauchschicht unter der nikotingefärbten Stuckdecke.
Was derb und ungehobelt durch das Gasthaus strömt, macht die Kneipe an sich zu Hort und Keimzelle geselliger Kommunikation. Am Tresen werden Firmen gegründet und Pleiten begossen, neue Partnerschaften eingegangen und alte Verbindungen aufgelöst, Ehen vorbereitet und Scheidungen eingeleitet, Freunde wieder zu Bekannten und Bekannte endlich zu Freunden.
Viel zu erzählen hatte auch Hein Wiese („Februar, Jaguar, Kaviar”), der selbst nie eine eigene Wirtschaft besaß, aber als „Tabletteur” des Westens im „Köpi” bei Walter Matzke zapfte („Schaumburger Festspiele”) und viele private Engagements erhielt.
Irgendwie ruht der Gast jener Jahre in sich selbst. Eine werbliche Ansprache zum Besuch dieser oder jener Gastronomie ist nicht notwendig und auch nicht üblich. Die Menschen an sich stehen sich näher und sind – mehr oder weniger –bereit zum Austausch. Aber vor allen Dingen: Sie finden die offenen Ohren für ihre Gedanken, den unproblematischen Austausch oder auch die politische Auseinandersetzung über die bewegenden Themen des Alltags. Die „Stammtischhoheit“ spielte eine markante Rolle, gab sich aber auch Chancen und Gelegenheiten zur Selbst ironie.
Rauchschwaden hängen über dem Zapfhahn. Die Luft ist voll mit Stimmengewirr. Untermalt vom verhaltenen Sound aus der Music-Box, die zwischen Gerry Raffertys „Baker Street“ oder dem Das Ende schunkelnden „Herzilein“ der Wildecker Herzbuben gefordert ist. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Alle Tische sind besetzt, am Tresen gehen laufend Bestellun- der Kneipegen für ein nächstes Bier ein. Das Publikum ist, soziologisch betrachtet, nur schwer greifbar. Das gepflegte Ratsherrn-Pils rinnt dem Chefarzt ebenso geErst kamen sie in Verruf, dann aus der Mode: die guten alten Eckkneipen. In früheren Zeiten waren sie das verlängerte Wohnzimmer. Wichtig war das pflegt über die Lippen wie Horst, dem Mau- vor allem für diejenigen, die allein waren oder ein offenes Ohr suchten. rer, oder Horst, dem Künstler, der als Viele dieser Lokale sind verschwunden. Extravagant mit Nachname Janssen seine Feststeht, dass sie über Jahrzehnte Bedeutung für ihren Kiez hatten. Eskapaden am Tresen auslebt („Hier hast du’n Hunderter, setz dich mal woanders Die Geschichte dieser Kneipen wollen wir hier nachzeichnen. hin!“) und dafür schulterhebend zur Kenntnis genommen wird. Mainstreamforscher fanden unvergleich-
In der Gaststätte Zur Linde an der Do- liche Möglichkeiten vorherrschender Meickenhudener Straße in Blankenese herrscht nungen, wenn sie sich denn an die Tresen Hochstimmung. Der Laden ist wieder ein- der deutlich frequentierten Kneipen gesellmal voll und Uwe am Zapfhahn hat gut zu ten. Ähnliches Verhalten lockerer Zusamtun. Das hat er eigentlich immer, denn ir- menkünfte wiesen auch die Treffs ausländigendwie muss der größte Bierumsatz west- scher Gastarbeiter auf, die sich mit Vorliebe lich der Alster ja auch zustande kommen. auf den Bahnhöfen zum Stelldichein und
Die Wirtsleute Uwe und Helga Schell, un- Austausch trafen. Erst die spätere Einricheingeschränkte Superstars der Kneipensze- tung der „Kulturclubs“ erwies sich für die ne in den 1980er und Heimatlosen als solidere Geselligkeitsalter1990er Jahren, bieten auf native. ihre mürrische Art dem Mit dem Ende der Kneipen fühlten sich Gast personifizierte Erleb- nicht wenige am Feierabend heimatlos, ja nisgastronomie, bevor es gar orientierungslos. Ohne Zweifel hatten den Begriff überhaupt gab. die Wirtshäuser eine starke Position im soMarketing und Interieur zialen Austausch. Ganz zu schweigen von beschränken sich auf eine einer nicht zu übersehenden Anzahl einsaSchiefertafel („Die Linde mer Gäste, für die die Kneipenwelt auch so empfiehlt heute: Woanders etwas wie Familienersatz bot. essen zu gehen!“) und auf Naheliegend für das unaufhaltsame Stereinen ernüchternden Resopaltresen samt ben der kleinen Gastronomie ist sicherlich schlichtem hölzernen Gestühl. Neonlicht das Rauchverbot und die Entwicklung der ätzt die Szene ins Realistische. Den Weg digitalen Kommunikation. Nachfolgende zur längsten Pinkelrinne (ebenfalls westlich Generationen entdeckten der Alster) findet der Neuling auf die Frage, wo denn die Toilette sei, mit dem einfühlsamen Hinweis: „Da, wo es nach Niere riecht …!“ „... machst mir noch’n Halben, Herzi?“ andere Formen gastronomischen Zusammenkommens. Die Linde in Blankenese gibt es immer noch,
Neben Blankenese zählte in den glorrei- ist jedoch dem veränderten chen Tagen des Kneipenwesens auch Nien- Zeitgeschmack angepasst, deutlich umgestedten zur Hochburg der Zapfhähne. In baut und spricht ein anderes Publikum an. der Gaststätte Schlag zeigte sich nicht nur Was auch nicht wundert: Zu Beginn wajeder Stuhl besetzt, mangels Tresen reihten ren Kneipen Orte für Gewerkschaften, sich die Gäste mit Bierchen in der Hand auf Kommunisten und Sozialdemokraten, wesder verbliebenen Freifläche dicht an dicht. halb sie der preußischen Regierung verZigarette, Bier und Bürgerliches aus der Kü- hasst waren. Dann wurden die Lokale Orte che, kombiniert mit den Themen des Tages, für die Unterschicht, Malocher, die hier vor der aktuellen Befindlichkeit oder den beengten Wohnungen flüchten konnten. Neuigkeiten aus dem Who is Who der Erst später kam die Mittelschicht hinzu. Szene. Lissi und Manni, die Wirtsleute mit Diese Schichten existieren in dieser Form ähnlichem Status wie die Blankeneser nicht mehr, meint Soziologe Thomas KräChefs der Linde, waren so etwas wie die mer-Badoni zum Kneipensterben. Daher Herbergseltern der Elbvororte. fehlt heute der gute alte Thekentempel, der
GASTRONOMIE UND GESELLIGKEIT
„... es ist ein Grundbedürfnis der Deutschen, beim Biere schlecht über die Regierung zu reden.“ Otto von Bismarck

Der Nienstedtener Krug von Wolfgang und Irmi Lau – Nienstedtens Wohnzimmer To’n Peerstall am Flottbeker Hochrad: Vorbei




Juliane Isabel Axmann (l.) mit Wirtin Katharina Baumgartner im „To’n Peerstall” in Flottbek
Geselliger Frühschoppen in der alten „Linde” in Blankenese
für eine gewisse Zeit Menschen aller Couleur zusammenbrachte. Das Gros der Gesellschaft hat für diese Orte keinen Bedarf mehr. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vor allem die Hafenkneipen sind wegen ihres Kultcharakters noch immer beliebte Anlaufpunkte. Dazu zählen wahre Schätze, wie der Treffpunkt Kaiserhafen (Bremerhaven), wo Auswanderer früher ihr letztes Bier auf europäischem Boden tranken – daher auch der Name „Die Letzte Kneipe vor New York“. So wie dieses Lokal überlebte auch manches Kleinod in Hamburg, etwa Zur Scharfen Ecke oder Erika’s Eck – Eckkneipen im wahrsten Sinne des Wortes und beide auf St. Pauli.
Vielleicht leben die Totgeglaubten doch länger oder sie müssten es zumindest. Das meint auch der Experte Jens Mecklenburg, Herausgeber des Online-Magazins „Nordische Esskultur“. Für ihn sind Hafenkneipen schützenswerte soziale Biotope. Er sagt: „Es gibt nicht mehr viele Orte, wo unterschied-
liche soziale Milieus zusammenkommen, friedlich zusammensitzen, reden und feiern. Hafenkneipen dürfen nicht aussterben, sie haben eine soziale Funktion, sind Ankerplätze für die Seele. Zur Not„Hafenkneipen sollte man sie unter Denkdürfen nicht malschutz stellen.“ aussterben. Sie Vergleichbar mit Kneipen haben eine wie dem Ratsherrn-Eck oder soziale Funktion.“ Bei Büsing in Nienstedten
Jens Mecklenburg sind die Hafenkneipen nicht direkt. Sie liegen an belebteren Plätzen und konnten durch Laufkundschaft sowie Nostalgie überleben. Andernorts verschwanden solche „Denkmäler“ und damit viele Erinnerungsstätten. Heute täten mehr solcher entschleunigten Nischen vielleicht wieder gut. Orte, wo sich Gott und die Welt allabendlich sagen, „danke fürs Zuhören“ oder „hast ja Recht“. Ein jegliches hat halt seine Zeit. Dass die gute alte Kneipenkultur der Zeit zum Opfer fiel, darf zumindest bedauert werden. Autoren: klaus.schuemann@kloenschnack.de michael.wendland@kloenschnack.de
… UND TSCHÜSS Das Kneipen-Aus über die Jahre in den Elbvororten
Eine unvollständige Übersicht
Blankenese: Zur Linde, Dockenhudener Straße, Wirtsleute Helga und Uwe Schell, (hier ist allerdings eine neue Linde für ein neues Publikum entstanden)
Blankenese: Zur gemütlichen Ecke,
Dockenhudener Straße, später Evergreen, heute Restaurant Rio Grande Blankenese: Deutscher Krug, („Germanen-Tasse”), Blankeneser Land straße, Wirtin: Edith Zwiefel, heute Fitness-Center Flottbek: To’n Peerstall, Hochrad, Wirtin Katharina Baumgartner, aktuell Leerstand Flottbek: Am Jenischpark, auch: Bei Beese, Wirtsleute: Wilma und Horst Beese, heute Wohnhaus-Neubau Nienstedten: Gaststätte Schlag, Rupertistraße, Wirtsleute: Lissi und Manni Schlag, aktuell Leerstand Nienstedten: Bei Büsing, bei der Nienstedtener Kirche, Wirt: Heinz Büsing, heute Physiotherapie
Nienstedten: Nienstedtener Krug,
Nienstedtener Marktplatz, Wirtsleute: Irmi und Wolfgang Lau, heute Galerie Nienstedten: Ratsherrn Eck, Wirt: Klaus Küster, heute Wohnhaus-Neubau